22. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Donnerstag, den 31. Juli 1975, 10.05 Uhr



[1754] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Donnerstag, den 31. Juli 1975, 10.05 Uhr. (22. Verhandlungstag).

Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen in der gleichen Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte waren anwesend:

Just. Ass. z. A. Clemens

Just. Ass. z. A. Scholze

Die Angeklagten waren anwesend mit ihren Verteidigern: Rechtsanwälte Schily, Becker, [a] Riedel, v[on] Plottnitz, Eggler, Künzel, Schnabel, Schwarz, König, Linke und Grigat.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort. Herr RA Schlaegel wird später erscheinen, von Herrn RA Dr. Heldmann weiß ich nicht, was ihn ... bitte?

RA R[iedel]:

Erscheint sofort.

- (RA Heldmann erscheint um 10.06 Uhr.) -

Vors.:

Wird auch kommen. Ich habe dann zunächst, Herr RA Schily. Herr RA Schily, ich muß zunächst jetzt die Angeklagten belehren über den Ablauf des Verfahrens nach dem gestrigen Ausschluß.[1] Es hat Herr Rechtsanwalt Riedel seinen Antrag[2] betreffend Akteneinsicht in rund 1700 weitere Ordner, entsprechende Beiziehung durch das Gericht und Aussetzung des Verfahrens zu Ende vorgetragen. In ihrer Stellungnahme hat die Bundesanwaltschaft die Zurückweisung des Antrags beantragt. Der Senat hat zu diesem Antrag folgenden Beschluß gefaßt, der hiermit verkündet wird:

1. Der Antrag auf Akteneinsicht in die vom Generalbundesanwalt am 5.5.1975 übersandten Stehordner mit Anlagen ist unzulässig.

2. Der Antrag, 1602 Stehordner des Bundeskriminalamts zu den Gerichtsakten beizuziehen, wird als unbegründet abgelehnt.

3. Der Antrag, die Hauptverhandlung auszusetzen, wird zurückgewiesen.

Gründe: 1. Akteneinsicht in die Spurenakten[3], somit auch in die am 5.5.1975 übersandten Stehordner, haben die Verteidiger seit langem. Nachdem die Bundesanwaltschaft schon am 10. Oktober [1755] 1974 die Gelegenheit dazu angeboten hatte, hat der Senat im Beschluß vom 22.1.1975 erneut auf die Möglichkeit der Akteneinsicht hingewiesen und diesen Hinweis mit Schreiben vom 9. Mai 1975 nochmals wiederholt. Keiner der von den Angeklagten benannten Verteidiger hat bisher von diesem Angebot Gebraucht gemacht. Lediglich einige der von den Angeklagten nicht benannten Verteidiger haben sich dieser Mühe unterzogen. Der Antrag auf Akteneinsicht ist sonach überflüssig, mithin unzulässig.

2. ...

Gelächter im Saal

Ich bitte Sie im Saale von vornherein, bewahren Sie die Ruhe.

2. Zu dem jetzt wiederholten Antrag, noch weitere 1602 Ordner beizuziehen, hat der Senat im Beschluß vom 22.1.1975 folgendes ausgeführt: „Der Umfang der Akten bestimmt sich zunächst danach, was die[b] Anklagebehörde nach ihrer pflichtgemäßen Beurteilung dem Gericht vorlegt. Sie hat alles be- und entlastende Material, das für das Verfahren vernünftigerweise von Bedeutung sein kann, dem Gericht zuzuleiten. Zweifel daran, daß der Generalbundesanwalt dieser Verpflichtung nicht nachgekommen wäre, hat der Senat nach seiner Aktenkenntnis nicht. Richtig ist zwar, daß die Akten nicht wie üblich nach dem zeitlichen Eingang der Aktenteile geordnet wurden, daß einzelne Ermittlungsvorgänge nicht aufgenommen wurden und daß Umblattierungen erfolgten. Dies war aber erkennbar teils durch die Abgabe von Verfahren gegen einzelne Beschuldigte des Baader-Meinhof-Komplexes an die Landesstaatsanwaltschaften bedingt, teils deshalb erforderlich, weil auf andere Weise bei einem[c] Verfahren dieses Umfangs keine Übersicht herzustellen gewesen wäre. Der Vorwurf der Aktenmanipulation läßt sich jedenfalls damit nicht begründen. Der Generalbundesanwalt hat sich außerdem bereiterklärt, dem Gericht und der Verteidigung auf Anforderung die als nicht tatbezogen festgestellten und deshalb ausgeschiedenen Spuren-Akten vorzulegen. Einer Beschlagnahme bedarf es deshalb, wenn eine solche überhaupt zulässig sein sollte, schon aus diesem Grunde nicht. Ermittlungsvorgänge, die weder zur Be- noch zur Entlastung der in diesem Verfahren Angeschuldigten beitragen können, sind ohne Bedeutung. Der Senat hat deshalb keinen Anlaß, alle aus diesem Grund ausgeschiedenen Spuren-Akten beizuziehen. Der Verteidigung bleibt es überlassen, von dem Ange- [1756] bot des Generalbundesanwalts auf Akteneinsicht Gebrauch zu machen und über Beweisanträge im Einzelfall solche Akten beiziehen zu lassen, die gleichwohl eine Bedeutung für das anhängige Verfahren haben könnten“. Diese Gründe gelten auch heute noch.

3. Damit erweist sich auch der Antrag, das Verfahren auszusetzen, als unbegründet.

Es sind noch einige technische Dinge zu erledigen, zunächst Herr RA. Dr. Heldmann, Sie hatten schriftlich oder haben schriftlich gebeten, einige Stellen des Protokolls richtig zu stellen. Dies gibt Anlaß, grundsätzlich dieses Verfahren jetzt zu klären, wie wir das handhaben. Selbstverständlich geschieht das in diesem Sinne. Es sind also offensichtliche Verschreibungen, Hörfehler, Verständnisfehler hier. Ich beabsichtige, in Zukunft bei derartigen Anregungen diese Anregungen dann zu vervielfältigen und allen Beteiligten zukommen zu lassen. Sämtlichen Verteidigern, auch den Angeklagten, natürlich auch der Bundesanwaltschaft, sodaß dann jeder selbst die Korrekturen durchführen kann. Es wird vom Protokollführer dann richtiggestellt. Also dem Antrag wird selbstverständlich entsprochen. Soweit Sie erneut beantragen, den Angeklagten Tonbandprotokolle zur Verfügung zu stellen, ist das ja inzwischen schon geregelt ...

RA Dr. H[eldmann]:

Ja, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Jawohl. Dann darf ich noch darauf hinweisen ...

RA’in B[ecker]:

Herr Vorsitzender, die Angeklagten haben aber noch keine Protokolle gekriegt jetzt.

Vors.:

Ja, das ist ja klar, die von (verbessert sich) das geht ja erst ab der heutigen Woche, die zurückliegenden haben wir nicht mehr zur Verfügung. Ab der heutigen Woche und die sind noch nicht geschrieben. Das heißt noch nicht fertig.

RA’in B[ecker]:

Ja, und rückwir... (verbessert sich) die zurückliegenden Protokolle kriegen sie nicht oder wie?

Vors.:

Nein, die zurückliegenden, da können wir nicht mehr nachschieben, das ist unmöglich.

[1757] RA’in B[ecker]:

Dann stelle ich den Antrag,

daß die zurückliegenden Protokolle auch ausgehändigt werden.

Vors.:

Gut, machen Sie es außerhalb der Hauptverhandlung. Darüber können wir außerhalb der Hauptverhandlung dann sprechen. Es ist gestern über die mangelnde Möglichkeit, zu regenerieren, in der Mittagspause, gesprochen worden, das betraf die ... den Umschluß. Herr RA Schily, es ist nun wieder etwas, was wohl wichtig ist im Zusammenhang mit dem, was Sie gestern selber vorgetragen haben. Die Mittagspause bereitet uns einen gewissen Kummer. Ich habe nun versucht, aufgrund Ihrer gestrigen Hinweise mit der Haftanstalt zu klären, welche Möglichkeiten bestünden, es ist also klar, aus zeitlichen Gründen, personellen Gründen. Wir könnten es entweder so durchführen, daß die Angeklagten zurückgebracht werden zum Mittagessen und sich dann drüben ausruhen können ohne Umschlußmöglichkeiten, die ist in der kurzen Zeit nicht möglich. Es gibt die andere Möglichkeit, so wie es dann hier gehandhabt worden ist, daß die Angeklagten hier verbleiben, zu viert zusammenkommen dürfen nach dem Mittagessen, Umschluß also immer haben. Sie bezeichnen jetzt, insbesondere bei diesen Temperaturen, ja beides als ein Übel, insbesondere weil drüben die Aufheizung des Gebäudes auch sich eben bemerkbar mache. Sie müssen wählen, also ich bitte Sie, heute mittag klar zu sagen, welcher Lösung Sie den Vorrang geben. Umschluß hier oder Ausruhen drüben. Dabei möchte ich aber auf folgendes hinweisen: Es kommt mir zur Kenntnis, von der Haftanstalt, daß die Angeklagten sehr stark Gebrauch machen von Kaffee und Zigaretten. Es ist ganz selbstverständlich, bei den Temperaturen, die wir jetzt haben und bei dem Streß dieser Hauptverhandlung, die alle betrifft, bringen einen solche Genußmittel, im Übermaß genossen, an den Rand dessen, was man körperlich verkraften kann. Vielleicht wäre da eine Empfehlung auch notwendig, daß die Angeklagten hier maßhalten.

RA Sch[ily]:

Na, vielleicht darf ich in dem Zusammenhang daraufhin weisen, daß ja jetzt dann das Stichwort Kreislauf fiel, und vielleicht ist Ihnen bekannt, daß gerade bei schlechtem Kreislauf mit- [1758] unter eben diese Mittel auch dann gebraucht[d] werden, um den Kreislauf noch einigermaßen aufrechtzuerhalten, Kaffee und Zigaretten, und weil Sie schon vom Streß sprechen nicht wahr, das gehört vielleicht dann noch dazu, daß man also mit diesen Mitteln noch versucht mühsam einigermaßen seinen Zustand zu stabilisieren, wobei natürlich Sie da offene Türen einrennen, wenn Sie sagen also der Genuß von übermäßigen Kaffee und Zigaretten ist, da rennen Sie offene Türen bei mir ein.

Vors.:

Gut, dann können wir fortfahren mit der[e] Verhandlung. Nach unseren Vorstellungen würde man jetzt Herr Baader, Sie zu Ihrer Person hören.[4] Soll ein Antrag gestellt werden. Herr RA v[on ]P[lottnitz].

RA v[on ]P[lottnitz]:

Zunächst mal ein kurzer Antrag, der für den Herrn Raspe zu stellen ist und zwar habe ich erneut zu beantragen:

Bis zum Zeitpunkt der Erstellung endgültiger Gutachten durch die Sachverständigen, also insbesondere durch die Sachverständigen Professor Schröder und Professor Müller,[5] die Dauer der jeweiligen Sitzungstage bis zum Mittag nur zu beschränken.

Diesen Antrag, der vor einem Monat, soweit ich mich recht entsinne, bereits einmal von uns gestellt wurde, haben wir erneut zu stellen. Einmal schon deshalb, weil ja gestern der Bundesanwalt Dr. Wunder es für richtig gehalten hat, als wir die Frage der Verhandlungsfähigkeit[6] am gestrigen Nachmittag aus aktuellem Anlaß angeschnitten haben, von einem Kampf gegen die Uhr zu sprechen, so lautete wohl die Formulierung. Und im gleichen Zusammenhang uns auch einmal hier der Vorwurf der Prozeßverschleppung gemacht worden ist. Es müßte eigentlich aus dem, was wir zu dieser Frage im bisherigen Verlauf der Hauptverhandlung vorgebracht haben, klar geworden sein, daß für uns die Frage der Verhandlungsfähigkeit, der partiellen Verhandlungsunfähigkeit der Mandanten, zumindestens nach wie vor nicht erledigt ist. Das heißt, wir könnten eigentlich jeden Tag hier beginnen, mit einer Art ceterum censeo, in der wir klarstellen, daß unserer Kenntnis nach, wir sind zwar keine Mediziner, aber unserer konkreten Kenntnis nach, die Gefangenen nicht in [1759] der Lage sind, den Sitzungen im gegenwärtigen Verhandlungsrhythmus zu folgen. Mit Verhandlungsrhythmus meine ich also, eine Dauer von in der Regel 3 Sitzungstagen die Woche, von 9.00 bis 16.00 Uhr. Wir haben das immer wieder klargestellt, es ist natürlich keine Frage, wie gestern aus aktuellem Anlaß, das erneut vorgebracht haben, daß das für die gesamte Zeit gilt, in der bereits verhandelt worden ist. Der Streß in dem die Gefangenen hier ausgesetzt sind, auf der Grundlage der Haftbedingungen, denen sie nach wie vor unterliegen, verstärkt sich natürlich mit zunehmender Sitzungsdauer. Der Senat hat selbst, ist selbst davon ausgegangen, daß hier konkrete Hinweise dafür vorliegen, konkrete Hinweise dafür vorliegen, daß die Gefangenen beim gegenwärtigen Rhythmus überfordert sein könnten. Nicht anders ist es zu erklären, daß der Senat selbst die Frage der Verhandlungsunfähigkeit durch die von ihm eingesetzte Spezialistenkommission hier überprüfen lassen will. Was gegenwärtig geschieht ist folgendes; gegenwärtig wird sozusagen auf Verdacht verhandelt. Auf Verdacht, was die Frage der Verhandlungsfähigkeit oder die Frage der unbeschränkten Verhandlungsfähigkeit angeht, deshalb, weil ja bislang allenfalls vorläufige Stellungnahmen vorliegen von denjenigen, die als Sachverständige berufen worden sind. Das Schreiben, das gestern vom Vorsitzenden verlesen worden ist, das offensichtlich in die Sitzung reingereicht wurde, als wir die Frage angeschnitten haben. Das Schreiben spricht zwar von einer Verhandlungsfähigkeit für die weitere Zukunft von zwei bis drei Wochen, so heißt es darin wohl, das ist schon mal sehr vage, zwei bis drei Wochen. Eine Woche ist ja ein ganz erheblicher Zeitraum. Es ist eigentlich nichts, worauf man sich hier mit gutem Gewissen stützen könnte. Darüber hinaus ist in dem Schreiben nichts darüber enthalten, für welche Dauer das gilt und inwieweit das mit der Notwendigkeit von Unterbrechungen, Pausen der zeitlichen Beschränkung der Sitzung an den einzelnen Sitzungstagen, inwieweit es da also, wieweit da Beschränkungen notwendig sind. Um also klar zu stellen, daß zumindest, bis die endgültigen Gutachten vorliegen, den berechtigten gesundheitlichen Belangen der Gefangenen Rechnung getragen wird, sind wir der Auffassung, daß es nicht zu ver- [1760] antworten ist, bis diese endgültige Gutachten vorliegen, hier länger zu verhandeln, als jeweils bis mittags, wobei wir uns selbst bei dieser Lösung natürlich damit, falls wieder mal ein aktueller Anlaß besteht, nicht wieder der Vorwurf der Prozeßverschleppung hier kommt, bei dieser Lösung vorbehalten müssen und nicht ausschließen können, daß aus aktuellem Anlaß dann mal gesagt werden muß um halbelf schon wir bitten jetzt eine Pause zu machen, oder zu unterbrechen bis zum nächsten Tag, weil der Gefangene x oder y sich in besonders geschwächtem Zustand befindet.

Vors.:

Herr RA R[iedel].

RA R[iedel]:

Ich schließe mich dem Antrag an und möchte im Zusammenhang mit dem wiederholten Vorwurf der Verteidigung gegenüber, der Prozeßverschleppung, darauf hinweisen, daß es doch sehr eigenartig erscheint, wenn man den gestrigen Ablauf des Nachmittags sich betrachtet. Da wird also verhandelt, bis 16.20 oder 30 Uhr[f] etwa und die Voraussetzungen dafür, eine Entscheidung über einen gestellten Antrag zu treffen, liegen vor, der Senat aber stellt fest und bestimmt, daß am darauffolgenden Tag, also heute, erst um 10.00 Uhr weiterverhandelt wird, mit der Bemerkung, daß die Zeit, die ursprünglich ja für die Hauptverhandlung vorgesehen ist, nämlich von 9.00 Uhr ab, dazu benutzt werden soll, den Beschluß des Senats herbeizuführen. Das zeigt also, daß das Gericht selber die Beschleunigung und die Eile dann nicht allzu ernst nimmt, wenn es darum geht, daß der Senat auf sich selber Rücksicht nimmt. Nämlich den einigermaßen angemessenen Feierabend bekommt. Wenn es aber darum geht, daß Rücksicht genommen werden soll auf die Gesundheit der Gefangenen, dann wird mit einem enormen Druck und mit einer geradezu demonstrativen Härte auf die Uhr geschaut und auf Eile gedrängt.

Vors.:

Will sich sonst noch jemand dem Antrag anschließen.

RA Dr. H[eldmann]:

Ich schließe mich für Herrn Baader dem Antrag an und weise noch einmal, wie gestern, schon darauf hin, daß nur eine nähere Besichtigung des Herrn Baader für jedermann, auch dem Laien erkennbar machen muß, daß er nicht, wie Sie es annehmen, ver- [1761] handlungsfähig ist und darauf kommt es mir noch einmal an, nicht in dem zeitlich gesetzten Rahmen, den der Senat bisher eingehalten hat. Das bedeutete in der Praxis, also Wegfall der Nachmittagssitzungen, denn die Verteidigung weist wiederholt darauf hin, daß die Mittagspause den Angeklagten zu Vorbereitungen[g] ihrer weiteren Verteidigung dient. Das ist also nicht eine Ruhepause ist, für die auch die Gemächer, die Sie, hier im Keller dieses Gebäudes finden, auch wenig geeignet erscheinen.

Vors.:

Herr RA Sch[ily].

RA Sch[ily]:

Ich schließe mich dem Antrag an.

Vors.:

Die Bundesanwaltschaft bitte.

Reg. Dir. W[idera]:

Zum wiederholten Male: in dem Verhalten der Angeklagten, in dem Aussehen der Angeklagten ist seit Beginn dieser Hauptverhandlung eine Änderung nicht festzustellen. Die Angeklagten könnten ja ihren guten Willen zeigen, indem Sie sich mal von dem Arzt, der ihnen am nächsten ist, untersuchen lassen. Weiter ist darauf hinzuweisen, daß nach dem Bekanntgeben gestern, der Zwischenergebnisse, der untersuchenden Ärzte, nunmehr überhaupt kein Anlaß besteht, insbesondere aber auch deswegen kein Anlaß besteht, am Nachmittag nicht zu verhandeln, weil zum Beispiel gestern vormittag etwa 90 Minuten, am Nachmittag ungefähr 1 ½ Stunden verhandelt worden ist und weil die Verteidiger nicht einer von ihnen da drüben irgend konkrete Umstände genannt haben, die darauf hindeuten könnten, daß sich irgend etwas in dem, an dem Zustand der Angeklagten seit Beginn der Hauptverhandlung und insbesondere seit der Erstattung beider Gutachten, die wir gehört haben, geändert hätte. Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, daß demnächst, und zwar in kürzester Frist, eine Erholungszeit den Angeklagten von etwa 10 Tagen zur Verfügung stehen wird und aus all diesen Gründen bitte ich, den Antrag zurückzuweisen.

[1762] Vors.:

Ja, wir werden über den Antrag noch im Laufe des Vormittags entscheiden. Bitte.

RA Sch[ily]:

Herr Widera, Ihre Beobachtungsgabe scheint vielleicht durch die Beleuchtungsverhältnisse getrübt zu sein. Aber manchmal ist es eben auch so mit dem Wahrnehmungsvermögen, daß das eben durch subjektive Einflüsse beeinträchtigt sein kann, so daß man eben manches nicht wahrnehmen kann, was man nicht wahrnehmen will. Darüber gibt es ja sehr interessante Untersuchungen, die in den Vereinigten Staaten angestellt wurden sind, wie sich beispielweise das Wahrnehmungsvermögen von Polizeibeamten durch bestimmte subjektive Einflüsse verändern kann, so daß sie sogar guten Glaubens etwas sehen, was eine reine Reflektion ist und manchmal drängt sich der Eindruck auf, daß hier nur mit der Fiktion einer Verhandlungsfähigkeit gearbeitet werden soll, um das Verfahren über die Bühne zu bringen. Ich weiß nicht, Herr Regierungsdirektor Widera, wie Sie eigentlich zu der Formulierung gelangt sind: Der Arzt, der den Angeklagten am nächsten steht. Das kann ja einen Wortsinn haben, nämlich daß er örtlich benachbart ist, oder einen übertragenen Sinn, normalerweise der Nächststehende, der Nächste, da versteht man ja eigentlich etwas anderes darunter. Jedenfalls in dem übertragenen Sinne, so haben Sie es ja wohl nicht gemeint. Daß der örtlich nächste Arzt nicht unbedingt der geeignetste sein muß, das sollte Ihnen eigentlich auch klar sein, und nachdem, was wir hier doch in öffentlicher Verhandlung, Herr Regierungsdirektor Widera, mit Herrn Dr. Henck[7] erlebt haben, meine ich, sollte Ihnen wenigstens Ihr eigenes Interesse raten, von solchen Vorschlägen Abstand zu nehmen und wieder Herrn Dr. Henck ins Gefecht zu führen, als untersuchenden Arzt. Sie wissen, daß die Gefangenen aus guten Gründen, aus zahlreichen guten Gründen, die Untersuchung, Sie nicken, das ist gut, Herr Regierungsdirektor Widera, Sie stimmen mir zu.

Vors.:

Das hat mir gegolten, weil ich durch Blickverbindung feststellte, ob Herr Bundesanwalt Widera beabsichtigt, Ihnen [1763] nachher zu erwidern, damit ich die Worterteilung regeln kann ...

RA Sch[ily]:

Ach so, das geht durch Blick, das ist ... durch Blickkontakt konnten Sie das feststellen ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt ...

RA Sch[ily]:

... welche Vorhaben Herr Regierungsdirektor Widera hat. Das finde ich doch sehr interessant.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily, ich würde Sie jetzt bitten, ich benutze die Gelegenheit, Sie daran zu erinnern, daß Sie nicht große Erklärungen da zu diesen Punkten abgeben sollen, auch Sie haben sich darüber beklagt und mich gefragt, ob Sie da unten noch einen Feuerwerkskörper brauchten um sich bemerkbar zu machen. Im allgemeinen kann ich es nur durch Blicke feststellen, ob jemand sich zu Wort melden will oder nicht.

RA Sch[ily]:

Ja, aber ich meine ...

Vors.:

... brüllen kann er ja nicht.

RA Sch[ily]:

Nein, aber daß Sie durch Blick...

Vors.:

Darf ich Sie bitten, daß Sie jetzt fortfahren.

RA Sch[ily]:

...kontakt sagen, sich verstehen, daß er darauf noch einmal erwidern will, das finde ich interessant.

Vors.:

Natürlich hat er das Recht, wenn Sie ihn so direkt ansprechen ...

RA Sch[ily]:

Natürlich ... jedes Recht sich zu äußern, das wird ihm niemand bestreiten.

Vors.:

Aber Ihnen darf ich dazu sagen ...

RA Sch[ily]:

Die Verteidigung, nein, das haben wir noch nie. Aber daß hier [1764] sozusagen die Verständigung so hervorragend funktioniert, daß also schon ein Nicken und Sie dann wissen aha, er will darauf erwidern, finde ich doch gut.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, das dient wohl jetzt zu Ihrer eigenen Selbstdarstellung, Sie gefallen sich in dieser Rolle offenbar sehr gut. Das, was Sie jetzt tun, ist unsachlich uns in der Sitzung ...

RA Sch[ily]:

Ach wissen Sie, Herr Vorsitzender, wie ich mir gefalle, oder wie Sie sich gefallen, das lassen wir doch mal ganz außerhalb der Debatte, nicht.

Vors.:

Kommen Sie jetzt bitte zur Sache.

RA Sch[ily]:

Ja, ja ich wollte ja gerne, aber Sie haben mich darin unterbrochen.

Vors.:

Ja.

RA Sch[ily]:

Aus zahlreichen Gründen haben die Angeklagten, ich darf das wiederholen, sich geweigert und werden sich künftig auch weigern, das ist ja nun eindeutig, sich durch den Herrn Dr. Henck untersuchen zu lassen und ich finde, weil nun so häufig von Beschleunigung des Verfahrens, Prozeßökonomie gesprochen wird, sollte man doch einmal versuchen, von diesem Thema dann hinwegzukommen und doch mal sich damit abzufinden, daß dem so ist. Und uns nicht sozusagen, uns nicht vor die Notwendigkeit da zu stellen und ständig wieder diese Gründe Ihnen vorzutragen aus denen der Herr Dr. Henck eben nicht akzeptiert werden kann.[8] Wie gesagt, Ihr Wahrnehmungsvermögen, Herr Reg. Dir. W[idera], scheint mir getrübt zu sein. Die Beobachtung, die die Verteidiger aus nächster Nähe, und die sind da nicht nur auf visuelle Eindrücke angewiesen, sondern auch aus dem unmittelbaren Kontakt, Gesprächen usw. können wir sagen, daß sich der Zustand der Gefangenen von Tag zu Tag verschlechtert. Und es ist ja heute von dem Herrn Vorsitzenden mit Recht gesagt worden, daß dieses Verfahren einen [1765] Streß darstellt und doch vermutlich für diejenigen, die am unmittelbarsten dadurch betroffen sind, den stärksten Streß. Davon würde ich mal ausgehen und was das heißt, nach 3 Jahren Isolationshaft einem solchen Streß ausgesetzt zu sein, das wollen Sie offenbar nicht sehen und wollen Sie nicht wahrhaben. Das ist der Punkt. Sie können offenbar gar nicht mehr anders als zu sagen, darüber muß ich hinwegsehen. Das muß ich unter allen Umständen hier aus der Verhandlung herausdrängen, daß dieses Faktum vorhanden ist, Herr Reg. Dir. W[idera]. Das habe ich zu Ihren Ausführungen zu sagen.

Vors.:

Sie sind direkt angesprochen worden bitte.

Reg. Dir. W[idera]:

Trotz meines Vorhalts hat Herr RA Sch[ily] jetzt in seinen langen Ausführungen es nicht für notwendig befunden, irgendetwas Konkretes über die angebliche Zustandsänderung mitzuteilen. Das wollte ich Ihnen sagen, Herr Rechtsanwalt Schily, und noch eines dazu. Es ist nicht nur möglich, daß man nicht sieht, was man nicht sehen will. Es ist auch möglich, daß man sieht, was man sehen will.

Vors.:

Die Bundesanwaltschaft ... bitte, Herr RA Dr. H[eldmann].

RA Dr. H[eldmann]:

Sie haben Ihre Behauptung von vorhin wiederholt, Herr Reg. Dir. W[idera], konkrete Umstände habe die Verteidigung nicht vorgetragen. Diese Behauptung ist erweislich unrichtig. In den Vernehmungsprotokollen, der vom Gericht als Sachverständigen beigezogenen Dr. res. Hencke und Rauschke[9]. Hencke und Rauschke, sind eine Vielzahl von unmittelbaren körperlichen und psychischen Symptomen dargestellt nicht nur von der Verteidigung, sondern insbesondere auch von Angeklagten selbst. Die sind in den Sitzungsprotokollen minutiös nachzulesen, und ich erinnere wieder daran, daß der als Sachverständiger von diesem Gericht gehörte Herr Dr. Henck ausdrücklich auf Befragung gesagt hat, er hält für ausgeschlossen, daß die von den Gefangenen bezeichneten Symptome etwa simuliert sein könnten. Ferner ich gebe dem Gericht sehr dringlich zu erwägen, die gestrige Mitteilung eines der beiden internistischen Sachverständigen doch auch in der richtigen Relation zu sehen. Ich wäre für [1766] die Verteidigung sehr dankbar, wenn wir dieses Schreiben in Kopie bekommen könnten. Sollte etwa dort unterblieben sein, darauf hinzuweisen, daß die internistischen Untersuchungen noch gar nicht abgeschlossen sind, dann müßte das zu denken geben, denn nachdem was Sie, Herr Vorsitzender, gestern aus jenem Schreiben zitiert haben, beruht dieses Schreiben auf einer Besprechung der beiden Internisten am vorgestrigen Abend. Aber gestern vormittag erst sind die Urinproben zur Untersuchung abgeholt worden, von denen wir jetzt schon sagen können, daß sie zumindest in 2 Fällen der hier Angeklagten erhebliche Krankheitssymptome zeigen und ferner erst heute, im Laufe des heutigen Tages, wird ja das für internistische Untersuchungen besonders wichtige EKG genommen werden können. Also, bitte beachten Sie den Vorbehalt, daß wesentliche Untersuchungen für die internistische Beurteilung noch gar nicht vorlagen. Und ich erinnere Sie nur einmal daran, die Verteidigung wäre dankbar, wenn Sie von dieser Stellungnahme des Internisten Müller eine Kopie zur Kenntnis bekommen kann.

Vors.:

Wir werden dann über den Antrag, der gestellt ist, im Laufe des Vormittags noch beraten. Ich bitte fortzufahren in der Sitzung ... Nein jetzt ist

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Baader

Vors.:

... jetzt ist dann aber wirklich genug gesagt. Herr Baader, ich kann Ihnen zur Erörterung dieses Punkts

Angekl. B[aader] redet unverständlich.

Augenblick. Zur Erörterung dieses Punktes, der nun hier schon Tage ausgefüllt hat, nicht mehr große Erörterung zulassen. Wir sind uns über die Problematik, über alle Gesichtspunkte, die gesprochen werden können und hervorgebracht werden können, längst einig geworden. Wir wollen das nicht zum Dauerthema hier machen. Herr Baader, bitte Sie haben jetzt das Wort, aber fassen Sie sich bitte kurz.

[1767] Angekl. B[aader]:

Na, ich stelle also noch einmal fest, Sie haben mir in den letzten 3 Tagen tatsächlich, Sie haben verhindert, daß ich auch nur einen Satz zu Ende sprechen konnte und insofern würde ich eigentlich noch[h] mal sagen[i], daß die ganze Frage der Verhandlungsfähigkeit schon ziemlich gegenstandslos. Denn das ist ja so, daß wir unser Erklärungsrecht in der Verhandlung, auf das es uns wesentlich ankommt, daß wir das nicht etwa nicht wahrnehmen könnten, zunächst, auf Grund unseres Zustands, sondern dem vorgelagert, das sind[j] ja gewissermaßen, das sind ja gewissermaßen Ihre repressiven Maßnahmen, d.h. Ihr permanenter Versuch zu verhindern, daß die Gefangenen sich jetzt zu Anträgen erklären, beziehungsweise zum Prozeßverlauf ...

Vors.:

So und jetzt kommen Sie bitte zur Sache, Sie haben kein Recht, jetzt Erklärungen abzugeben ...

Angekl. B[aader]:

... also ich meine, das ist ja ganz klar ...

Vors.:

Kommen Sie jetzt zur Sache oder nicht, Herr Baader.

Angekl. B[aader]:

Das ist doch in den letzten ...

Vors.:

Sie haben das gesagt. Ich habe Ihnen Gelegenheit gegeben, diese Erklärungen abzugeben ...

Angekl. B[aader]:

... verhindern nur immer wieder, daß ich kein Recht hab, Erklärungen abzugeben.

Vors.:

Entweder Sie kommen jetzt zur Sache und begründen das, was Sie begründen wollen im Zusammenhang mit der gestellten ...

Angekl. B[aader]:

Die Bundesanwaltschaft hat gestern hier in diesem Zusammenhang erklärt, es ginge der Verteidigung jetzt um einen Kampf gegen die Uhr. Es ginge um den Versuch der Verteidigung beziehungsweise der Angeklagten, das Verfahren hier zu [1768] verschleppen. Sie werden doch erlauben, daß ich im Zusammenhang auch genau darauf eingehe, denn das ist doch die Kernfrage. Ich würde dazu ganz gerne auch mal einen ziemlich berühmten deutschen Richter zitieren der sagt: „Aber wir mußten erleben wie marxistische Verteidiger systematisch, bewußt und gewollt das[k] Ansehen der Rechtspflege untergruben. Von den rabulistischen Verdrehungskünsten, von Systemverteidigern im Gerichtssaal bis zur bewußten absichtlichen von Skandal gesteigerten Rechtssabotage“. Und da möchte ich mal daran erinnern, daß der Begriff der Rechtssabotage beziehungsweise der Sabotage der Begriff der Bundesanwaltschaft ist, alles auf ein und derselben Linie, auf der Linie der Herabwürdigung, und dann möchte ich daran erinnern, daß der Begriff der Herabwürdigung, der Begriff des Senats ist, der in sämtlichen Zensuren und Anhaltebeschlüssen zur Frage der Isolation auftaucht.

Vors.:

Herr Baader, ich muß Sie darauf hinweisen, wir sprechen von Ihrer Verhandlungsfähigkeit.

Angekl. B[aader]:

... das ist ein Zitat. Ja das ist doch wesentlich. Der Punkt ist doch ...

Vors.:

Ich sehe nicht, was das mit Ihrer Verhandlungsfähigkeit zu tun hat. Ich gebe Ihnen Gelegenheit, das weiter auszuführen, aber bitte kommen Sie zur Sache. Es ist notwendig, sonst kann ich Ihnen das Wort nicht belassen.

Angekl. B[aader]:

Es ist gesagt worden, das Insistieren der Verteidigung darauf, daß diese Verhandlung hier, daß hier nicht 5 Stunden oder 7 Stunden am Tag verhandelt wird, wegen Zustands der Gefangenen, das sei ein Manöver der Rechtsanwälte um den[l] Prozeß zu verschleppen. Ich wollte nur sagen, daß das ein Zitat von Freisler[10]. Aber das liegt ja auf der Ebene tatsächlich dieser ganzen Argumentation. Grundsätzlich ist für uns festzustellen, daß wir überhaupt kein Interesse haben, den Prozeß zu verschleppen, im Gegenteil. So wie wir[m] das letzte Woche, das heißt in den letzten 4 Verhandlungstagen gehandhabt haben ist unser Interesse, sozusagen, daß Sie in das[n] [1769] Stadium der Verhandlung eintreten hier endlich, also das Stadium der Verhandlung, das Sie offenbar so erwähnen, indem wir die Möglichkeit haben, uns zu äußern[11] und ich stelle in dem Zusammenhang jetzt weitergehend[o] den Antrag, uns auszuschließen aus der Verhandlung, da unsere Anwesenheit in der Verhandlung im Moment funktionslos ist.

Sie lassen uns nicht sprechen, das heißt, Sie lassen uns inhaltliche Argumentationen nicht entwickeln, das hat sich in den letzten 4 Tagen gezeigt. Unser Gesundheitszustand verschlechtert sich von Tag zu Tag. Das heißt, es ist für uns eine funktionslose Anstrengung, in diesem Verfahren zu bleiben und es ist überdies für uns wesentlich einfacher sozusagen, dem Ablauf der Verhandlung hier zu folgen aus den Protokollen.

Vors.:

Ja, dieser Antrag, Sie auszuschließen, wollen Sie dazu eigens Stellung nehmen bitte.

Reg. Dir. W[idera]:

Der Antrag, den der Angeklagte Baader eben gestellt hat, ist unzulässig, es steht nicht im Belieben der Angeklagten, ob sie an der Verhandlung teilnehmen wollen oder nicht.[12]

Vors.: (nach geheimer Umfrage)

Beschluß:[p] Der Antrag, die Angeklagten auszuschließen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

Wir können in der Sache fortfahren. Jetzt käme Herr Baader zur Vernehmung zur Person dran.

Ich höre doch, daß Sie Interesse hätten, Herr Baader, daß das Verfahren fortschreitet. Wir könnten jetzt weitermachen. Bitte also, dann wollen wir mit der Vernehmung zur Person von ...

Angekl. B[aader]:

Also ich würde sagen, wir kommen da drauf noch einmal zurück.

Vors.:

Ist recht.

Angekl. B[aader]:

Was ich da in der Form eines Antrags formuliert habe, na ja, darauf werden wir noch zurückkommen.

Vors.:

Augenblick, Herr Baader.

[1770] Angekl. B[aader]:

Aber im Moment hat, glaube ich, der Verteidiger Heldmann hier einen Antrag zu stellen.

Vors.:

Herr RA Dr. H[eldmann] wollen Sie einen Antrag stellen?

RA. Dr. H[eldmann]:

Ich muß einen Antrag stellen.

Vors.:

Sie müssen, bitte.

RA. Dr. H[eldmann]:

Und zwar, dieses muß bedeutet folgendes: Ich habe für Herrn Baader, ich habe für Herrn Baader einen Ablehnungsantrag zu stellen wegen der Besorgnis der Befangenheit. Ich habe in meiner 14-jährigen Anwaltspraxis bisher zwei oder drei Ablehnungsantrage für Mandanten gestellt. Sie mögen daraus erkennen, für wie wichtig ich es halte, in diesem Verfahren diesen Ablehnungsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Dr. Prinzing sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Foth, Maier, Dr. Berroth und Dr. Breucker zu stellen. Noch eine sachliche Vorbemerkung, um die Bundesanwaltschaft nicht abermals zu rechtlich unhaltbaren Äußerungen, wie gestern, zu provozieren, weise ich gleich auf folgendes hin: Die Frage des Ablehnungszeitpunkts vor Eintritt in die Vernehmung zur Sache regelt § 25[ StPO] und nicht § 26a[ StPO].[13] 2. spricht § 25 Strafprozeßordnung in seinem Satz 2 des Absatz 1 ausdrücklich die Konzentrationsmaxime[14] aus, dies bedeutet, daß es das Interesse des Angeklagten sein muß, etwaige Ablehnungsgründe, die sich im Laufe einer Hauptverhandlung summieren können, dann geltend machen, wenn der von der Prozeßordnung hierfür vorgesehene Zeitpunkt gekommen ist.

Ende des Bandes 70.

[1771] RA Dr. H[eldmann]:

Und [§ ]26a[ StPO], den der Herr Bundesanwalt gestern zitierte, spricht von etwas ganz anderem, nämlich von Verspätung und ähnlichem, das haben Sie gestern zitiert. Also die Grundlage hinsichtlich des Zeitpunktes für diesen Antrag ergibt sich eindeutig aus § 25 StPO. Der Angeklagte Baader lehnt den Vorsitzenden Richter Dr. Prinzing sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Foth, Maier, Dr. Berroth und Dr. Breucker wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Es sind drei Komplexe die ihn dazu bewegen, nämlich

1. die von diesen Richtern bisher wiederholt, wo nicht fortlaufend demonstrierte Vorverurteilung der Angeklagten.

2. Die von diesem Senat, es erscheint der Verteidigung manchmal wie eine Generallinie, verfolgte Behinderung der Angeklagten in ihrer Verteidigung und

3. die nur gar zu oft und gar zu handgreiflich während der Hauptverhandlung in Erscheinung getretene Parteilichkeit des Senats, die für den Angeklagten Baader die Besorgnis der Befangenheit begründen.

Im Einzelnen ...

Vors.:

Verzeihen Sie Herr Rechtsanwalt. Darf ich fragen, kommt Ihr Antrag schriftlich zum Protokoll.

RA Dr. H[eldmann]:

Nur teilweise, darum muß das Tonband mitlaufen.

RA Dr. H[eldmann]:

1[q] 1. In Ihrem Beschluß vom 12.3.1975 haben die Richter Dr. Prinzing, Dr. Foth und Dr. Berroth über den seinerzeitigen Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Dr. Croissant[15], geschrieben, er habe die, wörtliches Zitat, „Weiterführung der kriminellen Vereinigung aus den Zellen heraus betrieben und damit Unterstützungshandlung geleistet“. Dieser Beschlußtext setzte die Täterschaft des Angeklagten im Sinne von § 129 StGB[16] voraus, worüber allerdings erst am Ende dieser Hauptverhandlung befunden werden könnte. Zur Glaubhaftmachung:

Beschluß der hier genannten Richter vom 12. März 1975.

1[r] 2. In Ihrem Beschluß vom 27.3.1975 haben die Richter Dr. Prinzing, Maier, Dr. Breucker über den seinerzeitigen Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Groenewold, geschrieben, wörtlich wieder, „er habe der Verbreitung der auf gewaltsamen [1772] Umsturz gerichteten Ideen der Angeklagten gedient und damit“, weiter wörtlich, „wesentlich dazu beigetragen, die Voraussetzungen zur Weiterführung der kriminellen Vereinigung aus den Zellen heraus zu schaffen.“ Dieser Beschlußtext setzte die Täterschaft des Angeklagten Baader im Sinne von § 129 StGB voraus, worüber erst am Ende dieser Hauptverhandlung befunden werden könnte.

1[s] 3. In Ihrem Beschluß vom 6.5.1975 haben die Richter Dr. Foth, Dr. Berroth und Dr. Breucker über den damals amtierenden Verteidiger des Angeklagten, nämlich Herrn Kollegen Ströbele, geschrieben, dieser, und wieder zitiere ich wörtlich, „habe unter Mißbrauch seiner Verteidigerrechte an der Weiterführung einer kriminellen Vereinigung mitgewirkt.“ Dieser Beschlußtext setzte die Täterschaft des Angeklagten im Sinne von § 129 StGB voraus, worüber erst am Ende dieser Hauptverhandlung befunden werden könnte. Glaubhaftmachung: Beschluß vom 6.5.75.

1[t] 4. In Ihrem Beschluß vom 20.6.1975 haben die Richter Dr. Foth, Maier und Dr. Berroth wortwörtlich eine Stellungnahme der Bundesanwaltschaft übernommen, ohne daß die wörtliche Zitierung notwendig oder auch nur üblich gewesen wäre. Ohne auch, daß jene Stellungnahme der Bundesanwaltschaft der Verteidigung vorher überhaupt zur Kenntnis gegeben worden wäre. Und sie haben, die abgelehnten Richter Dr. Foth, Maier und Berroth, in ihrem weiteren Beschluß zu den hier wiedergegebenen Tatsachen, d.h. dort wiedergegebenen Tatsachenbehauptungen und Würdigungen jegliches distanzierende oder auch etwa nur kritische Wort vermissen lassen. Somit finden wir in jenem Beschlußtext, dem nämlich vom 20.6.1975, die folgenden Formulierungen. Ich zitiere jeweils wörtlich. „Rädelsführer Baader“, „die Bandenangehörigen“, „die folgenschwersten Verbrechen der Baader-Meinhof-Bande“, „Ziel dieses Gesuchs ist es, durch böswilligste Diffamierung die abgelehnten Richter fertig zu machen, ein Verhalten, mit dem die psychische und physische Vernichtung von Richtern propagiert wird“ und weiteres wörtliches Zitat: „In der Geschichte der deutschen Justiz einmalig, einmalig, daß ein Rechtsanwalt sich für das auf physische und psychische Vernichtung eines Richters abgestellte Programm der Angeklagten einspannen läßt und daran mitwirkt.“ Mit dieser wortwörtlichen Übernahme der Vorverurteilungen des Angeklagten durch die Bundesanwalt- [1773] schaft und der Verunglimpfung des Verteidigers durch jene und sogleich mit dem Fehlen jeglicher distanzierenden oder auch nur kritischen Anmerkung hierzu begründen die abgelehnten Richter die Besorgnis des Angeklagten, sich [u] eben jene Vorverurteilung komplett bereits zu eigen gemacht zu haben. Vergleichen Sie bitte - und ich spreche die Herren dieses Senats direkt an, vergleichen Sie damit Ihren früheren Beschluß. Ich meine, er datiert vom Februar oder März dieses Jahres. Zur Verteidigertätigkeit des Kollegen Croissant, indem dieser Senat, oder jedenfalls die an jenem Beschluß beteiligten Richter dieses Senats, darauf gekommen waren, aus der Sprache des Verteidigers Dr. Croissant schlossen Sie, hätten Sie zu schließen, daß jener Verteidiger Croissant sich durch seine Ausdrucksweise, durch die Wahl seines Vokabulars, nicht nur Argumente seiner Mandanten zu eigen gemacht habe, sondern sich auch politisch und in der diesen Mandanten vorgeworfenen Taten mit ihnen identifiziert habe und somit als Mittäter zu behandeln sei. Beachten Sie also einmal, wie Sie selbst, die hier abgelehnten Richter, bei anderer Gelegenheit, Sprache, Vokabular zu deuten pflegten. Und vergleichen Sie das, was ich Ihnen hier vorgelesen habe.

Punkt 2. Der von der permanenten Behinderung der Verteidigern des Angeklagten Baader handelt. Ich habe vorhin schon gesagt, sie ist im Laufe dieser Hauptverhandlung fortgesetzt festzustellen.

2[v] 1. Mit Ihrem Beschluß vom 21.5.1975, nämlich die Angeklagtenbank weiterhin mit Wachpersonal zu durchsetzen, haben die Richter Dr. Prinzing, Dr. Foth, Maier, Dr. Berroth, Dr. Breucker das unüberwachte Verteidigergespräch während der Sitzung ausgeschlossen. Damit haben Sie aber gerade diejenige Einschränkung der Verteidigungsrechte praktiziert, die noch der Gesetzgeber in seinen Gesetzgebungsbeschlüssen, Stichwort Verteidigerausschließungsgesetz[17], vom 18. u. 19.12.1974, aus Rechtsstaatsgründen ausdrücklich abgelehnt hatte. Hier in diesem Saal wurde es praktiziert. Die Begründung für diesen Beschluß der abgelehnten Richter, Ihren Beschluß nämlich, zum ungestörten Verkehr zwischen Angeklagten und Verteidigung ist anderwärts Gelegenheit gegeben. Dazu dient nicht der Sitzungssaal. Das ist ja geradezu eine Pervertierung der faktischen [1774] Prozeßverhältnisse, weist diesen als bewußte Beschränkung der Verteidigung aus. Jeder von Ihnen, jeder von uns im praktischen Strafrecht Tätige weiß, daß ständig jede Hauptverhandlung Situationen zeitigt, welche eine sofortige Verständigung zwischen Angeklagten und Verteidigern notwendig machen. Die hier beschriebene Behinderung, schwerwiegende Behinderung[w] der Verteidigung, weil sie für die ganze Sitzungsdauer galt, wiegt aber noch um so schwerer, als der Senat es sich damals schon begonnen hat, seine Gewohnheit zu entwickeln, Pausen für die Verteidigung, etwa zu einem Kurzmandantengespräch grundsätzlich abzulehnen, es sei denn, der Herr Vorsitzende trüge mir einmal an, die vielleicht schriftlich fixierten Manuskripte, Vortragsmanuskripte meines Mandanten vor deren Vortrag zu zensieren. Sonst ist es nicht Erfahrung der Verteidigung, daß Sie auf Antrag zu Mandantengesprächen während der Sitzung Pausen erhält. Um so schwerer also, ich sagte es, wog jene Beschränkung der Verteidigung. Daß diese Überwachung später aufgehoben worden ist, macht jedenfalls die hier gerügte Behinderung der Verteidigung nicht ungeschehen.

Glaubhaftmachung:[18]

Protokoll vom 21.5.1975, Blätter 48 - 49.

2[x] 2. In der Sitzung vom 12.6.1975 hat der Vorsitzende Richter durch wiederholte Unterbrechungen der Verteidiger während deren Befragung des Sachverständigen Dr. Henck versucht, dessen Sachverständigenaussage, nämlich daß mildere Haftbedingungen zu einem besseren Befinden der Angeklagten geführt hätten, und würden sie nunmehr angewendet, führen würden, diese Aussage des Sachverständigen zu tilgen oder zumindest zu entwerten. Das ist eine voreingenommene Einflußnahme auf einen vom Gericht selbst hierher bestellten Sachverständigen und damit eine handgreifliche Behinderung der Verteidigung.

Glaubhaftmachung:

Protokollblätter 373 - 374, 377

2[y] 3. In derselben Sitzung hat der Vorsitzende Richter durch wiederholte Unterbrechung der Befragung des Sachverständigen Dr. Henck durch den Angeklagten Baader, schließlich sogar durch Wortentziehung versucht, die Antwort des Sachverständigen [1775] auf die Frage nach den kausalen Beziehungen zwischen Haftbedingungen und Gesundheitszustand der Angeklagten zu verhindern, obgleich ja zumindest nach den vorangegangenen Diskussionen in diesem Gerichtssaal jeder von uns, der hier an diesem Prozeß teilnimmt, wußte, welche gravierende Bedeutung gerade diese Frage für die Sachverständigenfrage nach der Verhandlungsfähigkeit, jedenfalls nach der Frage der unbeschränkten Verhandlungsfähigkeit, hatte. Das ist wiederum eine unmittelbare Behinderung der Verteidigung des Angeklagten Baader in seiner eigenen Sache.

Glaubhaftmachung:

Protokoll Blätter 384-386

2[z] 4. In derselben Sitzung, nämlich wiederum am 12.6.1975, hat der Vorsitzende Richter durch wiederholte Unterbrechung der Befragung des Sachverständigen Henck durch Rechtsanwalt Schily die Beantwortung der ganz wesentlichen Sachverständigenfrage, welche gesundheitsschädigenden Auswirkungen die Isolation habe, verhindert. Drastischer so merke ich an, ist Behinderung der Verteidiger, der Verteidigung, nicht mehr denkbar, wo selbst dem Verteidiger für die Aufhellung eines entscheidungserheblichen[aa] Umstandes während der Hauptverhandlung das Wort verwehrt wird.

Glaubhaftmachung:

Blatt 390 des Protokolls.

2[bb] 5. In derselben Sitzung hat der Vorsitzende Richter Fragen des Rechtsanwalts Schily, welche ersichtlich darauf zielten, eine etwaige Voreingenommenheit, die da ja schon mit Händen zu greifen war, des Sachverständigen zu prüfen, abermals zu verhindern versucht, indem er dem Sachverständigen Dr. Henck nahe gelegt hat, weitere Fragen nicht zu beantworten. Das ist drastischer kaum vorstellbar, Behinderung der Verteidigung.

Glaubhaftmachung

Blatt 486 des Protokolls.

2[cc] 6. In derselben Sitzung hat der Vorsitzende Richter nach wiederholter Unterbrechung des Angeklagten Baader während dessen Befragung des Sachverständigen Dr. Henck nun selbst durch zwei aufeinanderfolgende suggestive Fragestellungen bewirkt, daß der Sachverständige seine[dd] zunächst negative Schlußfolgerung auf die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten [1776] Baader nunmehr, auf Ihre, des Herrn Vorsitzenden Richters doppelte suggestive Fragestellungen hin, nunmehr in ihr Gegenteil verkehrt hat. Das ist so etwa die drastische Behinderung von Verteidiger, wenn der Vorsitzende Richter, unter Berufung selbstverständlich auf seine Prozeßleitungsbefugnis, eine für den Angeklagten günstige Aussage, und das auch noch mit solchen Mitteln, beseitigt.

Glaubhaftmachung:

Blätter 513-515 des Protokolls.

Ende von Band 71

[1777] 2 7.[ee] In der Sitzung vom 2.7.75 hat der Vorsitzende Richter nach Unterbrechung der Befragung des Sachverständigen Dr. Henck durch RA. Sch[ily] nach den gesundheitlichen Auswirkungen der Isolation durch abermals suggestive Fragestellung an den Sachverständigen diesen von jener Frage abgebracht und ihm dann nahegelegt, die Frage nach der Verhandlungsfähigkeit unmotiviert wie früher zu bejahen. Das ist Behinderung der Verteidigung durch unzulässige Interruption der Vernehmung durch den hier an der Reihe gewesenen und dafür kompetenten Rechtsanwalt, Verteidiger und das ist darüber hinaus eine direkte Sachverständigenbeeinflussung in öffentlichen Hauptverhandlungen, Protokoll Blatt 981.

2[ff] 8. In derselben Sitzung, nämlich am 2.7., hat der Vorsitzende Richter nach wiederholter Unterbrechung der Befragung des Sachverständigen Dr. Henck durch den Angeklagten Baader auf eine handgreiflich dubiose Sachverständigenäußerung hin die offensichtlich begründete Frage des Angeklagten für unzulässig erklärt und damit abermals den Angeklagten in seinem Verteidigungsrecht schwerstens behindert. Damals schon war für jeden, das merke ich an, erkennbar, daß das, was Herr Dr. Henck da als Sachverständigenäußerung von sich gegeben hatte, das auch für den zuhörenden Laien offensichtlich unsinnig war, das hat Herr Baader völlig richtig begriffen. Ich habe in der vorigen Woche dem Gericht das da nachgewiesen, indem ich jedem die Zeitschrift „Der Nervenarzt“ Jahrgang 1954 (verbessert sich) 1974 mit dem Hinweis auf die Seite 563 vorgelegt habe, wo Sie dann schwarz auf weiß nachlesen könnten, was der Angeklagte Baader in seiner Vernehmung am, eben seiner Sachverständigenbefragung am 2.7. sofort begriffen hatte, da er ja zugehört hatte, daß diese Sachverständigenaussage offensichtlich unsinnig war. Sie haben ihm die Befragung, die daraufhin zielte, das zu klären verwehrt. Sie haben seine Frage für unzulässig erklärt. Abermals Behinderung der Verteidigung. Glaubhaft- [1778] machung Blatt 1010 des Protokolls.

2. 9. In derselben Sitzung hat der Vorsitzende Richter die Befragung des Sachverständigen Dr. Henck durch den Angeklagten Baader nach Gesundheitsschädigungen ...

Vors. (Nach Unterbrechung durch eine Frage des Gerichtswachtmeisters):

Bitte sehr, bitte um Entschuldigung.

RA Dr. H[eldmann]:

Bitteschön. In derselben Sitzung hat der Vorsitzende Richter die Befragung des Sachverständigen Dr. Henck durch den Angeklagten Baader, nämlich nach Gesundheitsschädigungen durch Isolation, nach fortgesetzter Unterbrechung abgebrochen. Behinderung der Verteidigung durch unberechtigte und hier auch unzulässige Entziehung des Fragerechts des Angeklagten in einer eigenen Sache. Glaubhaftmachung - da können Sie gleich 4 Blätter nachlesen -: 1012 bis 1015 des Protokolls.

2. 10. In derselben Sitzung hat der Vorsitzende Richter versucht, die Antwort des Sachverständigen Dr. Henck auf die Frage des Angeklagten Baader nach dem Kausalzusammenhang zwischen Haftbedingungen und Gesundheitszustand zu verhindern. Behinderung der Verteidigung des Angeklagten Baader. Glaubhaftmachung Blätter 1017, 1018 und 1020 des Protokolls.

2. 11. In der Sitzung vom 8.7.75 hat der Vorsitzende Richter durch abermalige Unterbrechung des Angeklagten Baader versucht, zu verhindern, daß dieser dem Sachverständigen Professor Rauschke zur Beantwortung der Sachverständigenfrage nach der Verhandlungsfähigkeit subjektive Beschwerden der Angeklagten bekanntgab. Das halte ich selbst für eine der schwerstwiegenden Behinderungen der Verteidigung. Wie schwer sie wiegt, hat heute die Bundesanwaltschaft durch die sachlich unrichtige Bekundung ihres Vertreters Widera demonstriert, wo er sagte, konkrete Umstände hätten die Angeklagten ja nie genannt. Dort wo es am Platze war, nämlich bei der Vernehmung des Sachverständigen Rauschke, da hat wiederum, unter rechtlich unzulässiger Berufung auf seine Prozeßleitungsbefugnis, der Vorsitzende Richter Dr. Prinzing dem Angeklagten Baader verwehrt, dem Sachverständigen Professor Rauschke, die subjektiven Beschwerden zur Kenntnis zu geben. Glaubhaftmachung Blätter 1133 bis 1135 des Protokolls.

[1779] 2[gg] 12. Und schließlich gar hat in derselben Sitzung der Vorsitzende Richter Prinzing es fertig gebracht, den Sachverständigen Rauschke in dessen Urteil über die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten zu beeinflussen, zumindest in der Form des Versuchs, indem er diesem Sachverständigen, bevor dieser noch seine Sachverständigenfrage, Verhandlungsfähigkeit, gegebenenfalls zeitlich beschränkt, bevor also der Sachverständige selbst sein Urteil noch gebildet hatte, hat Herr Dr. Prinzing diesem Sachverständigen Rauschke das frühere Urteil, oder sagen wir Vorurteil des[hh] bisher als Sachverständigen vernommen[ii] Dr. Henck vorgehalten, daß nämlich von einer unbeschränkten Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten gesprochen hatte. Damit hat der Vorsitzende Richter zum Nachteil des Angeklagten Baader den Sachverständigen Rauschke unmittelbar beeinflußt.

Glaubhaftmachung Blatt 1135 des Protokolls.

III

Parteilichkeit dieses Senats ... Habe ich Ihre Aufmerksamkeit wieder? Die abgelehnten Richter, insbesondere der Vorsitzende Richter Dr. Prinzing, haben während des Verlaufs der Hauptverhandlung fortgesetzt Parteilichkeit gezeigt, nämlich Voreingenommenheit gegen den Angeklagten Baader und Parteinahme für die Bundesanwaltschaft.

3[jj] 1. Ungerügt ließ der Senat die Äußerung der Bundesanwaltschaft in der Sitzung vom 11.6.75 noch vor Eintritt in die Beweisaufnahme im Blick auf diese Angeklagten, die ja insbesondere auch auf den Angeklagten Baader, von wörtlich: „der kriminellen Tätigkeit der Bande“, zu sprechen.

Glaubhaftmachung Protokoll Blatt 290.

3[kk] 2. In der Sitzung vom 12.6.75 hat der Vorsitzende Richter nach fortgesetzter Unterbrechung meiner Befragung des Sachverständigen Henck durch die Bundesanwaltschaft, also die Bundesanwaltschaft hatte unvermittelt und selbstverständlich ohne Ihre Erlaubnis mich unterbrochen. Meine Bitte, mir wieder zu meinem Rederecht zu verhelfen, durch die Frage an die Bundesanwaltschaft beschieden, nämlich ob diese wörtlich „noch irgendwie erwidern“ wolle, oder wörtlich, oder soll [1780] die Frage, das heißt meine, des Verteidigers Frage, „oder soll die Frage jetzt beantwortet werden.“ Überflüssig zu sagen, daß die Bundesanwaltschaft, damit ich weiterreden konnte, das Plazet gegeben hat für weitere Befragung des Sachverständigen durch mich als Verteidiger.

Glaubhaftmachung Blatt 392 des Protokolls.

3[ll] 3. In der Sitzung vom 12.6.75 hat der Vorsitzende Richter ungerügt zugelassen, daß die Bundesanwaltschaft den Kollegen RA. Sch[ily] in der Befragung des Sachverständigen Dr. Henck unterbrochen hat und alsdann den Streit ums Wort entschieden hat, die Priorität läge bei der Bundesanwaltschaft.

Glaubhaftmachung Blatt 400 bis 402 des Protokolls.

3[mm] 4. In der Sitzung vom 18.6.75 hat auf Zwischenruf der Angeklagten Frau Ensslin der Vorsitzende Richter seine Prozeßleitungsbefugnis stillschweigend an die Bundesanwaltschaft wieder einmal abgetreten, wörtlich: „Will die Bundesanwaltschaft bezüglich des Aufführens[nn] der Angeklagten irgendwelche Anträge stellen, oder nehmen wir das hin?“ Dieses „wir“ kann ja wohl für den Leser wie für den Zuhörer nur verstanden werden, als die Vereinigung von Richterbank und Bundesanwaltschaftsbank. Ich wiederhole: Oder nehmen wir das hin.

Und ob die Äußerung der Bundesanwaltschaft die Angeklagte dann verwarnt, Sie haben das, nämlich was die Bundesanwaltschaft entschieden hatte, Sie haben das gehört.

Glaubhaftmachung Blatt 603 des Protokolls.

3[oo] 5. Für die in ganz ungewöhnlichem Maß demonstrierte Parteilichkeit der Richter Dr. Foth, Maier, Dr. Berroth, welche in Ihrem Beschluß vom 20.6.75 die Verunglimpfung eines Verteidigers aufgenommen haben, verweise ich auf die Blätter 712 bis 736 des Protokolls. Überflüssig zu sagen, daß etwa eine schriftliche kritische Äußerung der Verteidiger oder gar der Angeklagten über die Äußerungen oder gar die Funktion in der Bundesanwaltschaft bisher gerichtliche Schriftstücke noch keinen Eingang gefunden hat. Ich wiederhole, Blätter 712 bis Blatt 736 des Protokolls, die sich, wenn Sie mir diese persönliche Anmerkung erlauben: Lesen wir ein Stück aus einem Grusical[pp].

[1781] 3. 6. Ungerügt ließ in der Sitzung vom 24.6.75 der Senat den Zuruf aus der Bundesanwaltschaft auf den Prozeßvortrag eines der hier sitzenden Verteidigers wörtlich: „Das klingt ja wie auf einem Parteitag der KPD/ML[19]“. Ungerügt. Ich möchte wissen, aber ich weiß es, wiewohl der Senat reagieren würde, wenn einer von uns hier rüber entsprechenden Ruf richten würde: Das klingt ja wie auf dem Parteitag von Nürnberg[20].

- Beifall im Saal. -

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ich kann Sie ...

(zum Publikum) Ich kann Ihnen sagen, wenn der Saal nicht augenblicklich still ist und derartige Äußerung unterläßt, dann muß ich, da es nicht zu unterscheiden ist, von woher dieser Beifall kommt, weil es zu viele sind, die sich hier beteiligt haben, den Saal räumen zu lassen.

Nehmen Sie es zur Kenntnis; wenn Sie den Vortrag weiter hören wollen, dann sind Sie bitte still.

Herr Rechtsanwalt, daß das eine ungehörige Bemerkung und ein ungehöriger Vergleich war, das könnten Sie doch wohl von sich selbst aus ermessen, meine ich.

RA. Dr. H[eldmann]:

Mit Sicherheit nicht, nur Verzeihung Herr Vorsitzender, dann gebe ich zu Protokoll, daß diese Äußerung einmal mehr ihre Parteilichkeit zeigt, denn jeder weiß und alle Gazetten sind voll, daß die KPD/ML sozusagen eines der staatsfeindlichsten Unternehmen ist, die bekämpft werden müssen mit allen Mitteln. Und da ist wohl der Vergleich, den ich soeben angestellt habe, als milde zu bezeichnen. Glaubhaftmachung Blatt. Aber ich habe das zu Protokoll gegeben ...

Richter Dr. F[oth]:

Ist das Nr. 7 oder Nr. 6 b des Ablehnungsgesuchs.

RA Dr. H[eldmann]:

Das ist Nr. 3.6. Aber ich meine 3 Ziff. 6.

Richter Dr. F[oth]:

Die eben geäußerte Rüge meine ich.

RA Dr. H[eldmann]:

Das gehört direkt hierein. Als weiteren Grund für die Parteilichkeit des Vorsitzenden Richters Dr. Prinzing. Davon abgesehen, also auf das bisher zu 6 vorgetragene: Glaubhaftmachung, Blatt 772 des Protokolls.

[1782] 3[qq] 7. In ihrem Beschluß vom 26.6.75 haben die abgelehnten Richter ohne irgendwelche Beziehung zur Sache, ohne irgendeinen prozessualen Anlaß - aber vollends unbesehen den Staatsanwaltschaften und damit der Bundesanwaltschaft zu deren höchste dubiosen Maßnahmen - nämlich: Beschlagnahme von Verteidigungsmaterial für dieses Verfahren aus den Rechtsanwaltsbüros Croissant, Ströbele und Groenewold, Köncke in Hamburg - den Segen dieses Senats erteilt. Als ob sie einer darum gebeten hätte. Oder anders herum ausgedrückt: Was Verfolgungsbehörden in diesem Land machen, das kann einem noch so die Haare zu Berge stehen lassen. Es scheint nach dieser Äußerung, ich beziehe mich auf Blatt 834 des Protokolls, das mag einem noch so die Haare zu Berge stehen lassen, zumal es sich hier um Beschlagnahme von Verteidigungsmaterial, eine unzulässige für dieses unseres Verfahren handelt. Die Bundesanwaltschaft, die Strafverfolgungsbehörden, werden hier wohl machen können was sie wollen, den Segen dieses Senats werden sie dafür immer finden. Das ist eine unmotivierte und handgreifliche Parteinahme für die Bundesanwaltschaft hier und gegen die Verteidigung.

3[rr] 8. Als ob in der Tat die Bundesanwaltschaft Herr dieses Verfahrens sei, gibt der Vorsitzende wiederum einmal sitzungspolizeiliche Äußerungen der Bundesanwaltschaft an den Angeklagten weiter, nämlich: „Herr Baader, Sie habens gehört“. Was als sitzungspolizeiliche, wenigstens in ihrem Inhalt, sitzungspolizeiliche Äußerung von der Bank der Bundesanwaltschaft gekommen war.

Glaubhaftmachung Blatt 1123 des Protokolls.

3[ss] 9. Trug am 20.6.75 ungerührt der Vorsitzende Richter den Beschluß der Richter Dr. Foth, Maier, Dr. Berroth mit Vorverurteilungen der Angeklagten und[tt] Unglimpfungen des Verteidigers vor. Ich beziehe mich auf die Blätter 713 ff. Protokolls. So entzog er: Kontrasterlebnis, in der Sitzung vom 16.7., kurzerhand dem Angeklagten Baader das Wort, als dieser reflektierte, die Bundesanwaltschaft sitze hier und argumentiere in der Tradition des Staatsschutzes des 3. Reiches, ließ ihn[uu] aus dem Saale weisen.

Glaubhaftmachung Blatt 1353 des Protokolls.

Dort findet sich die bemerkenswerte und zu meiner Ablehnungs- [1783] thematik gehörende Äußerung des Vorsitzenden Richters nämlich wörtlich: „Die Bundesanwaltschaft braucht sich derartige Anwürfe nicht gefallen zu lassen, das Gericht nimmt das nicht hin“. Als das Gericht am 20.6.75 unglaubliche Vorverurteilungen, Beschimpfungen, Verunglimpfungen von Angeklagten, unverurteilten, als unschuldig zu geltenden Angeklagten und deren Verteidigung in seinen eigenen Beschluß aufgenommen hat, da war dem Senat, da war den abgelehnten Richtern der Gedanke nicht gekommen, etwa in Ihrem Wortlaut hier vom 16.7. zu sagen, die Verteidigung braucht sich derartige Anwürfe nicht gefallen zu lassen, das nimmt das Gericht nicht hin.

3[vv] 10. Die gleiche Parteinahme des Vorsitzenden Richters wiederholt sich, zum Beispiel, in der Sitzung vom 16.7.75: Unterbrechung des Angeklagten Baader wegen angeblich scharfer Angriffe auf die Bundesanwaltschaft und Worterteilung an die Bundesanwaltschaft und Androhung in der Wortentziehung für den Angeklagten. Das heißt abermals, was dort drüben recht ist, ist noch lange nicht einmal billig, es ist die verschiedene Elle, es ist das ungleiche Maß, es ist das Prinzip der Waffenungleichheit, welches in dieser Hauptverhandlung mittlerweile zur Prozeßmaxime geworden ist.

Glaubhaftmachung Blatter 1395 bis 1396 des Protokolls.

3[ww] 11. Dieser handgreifliche Ungleichbehandlung[xx] von Bundesanwaltschaft einerseits und Angeklagten und Verteidigern andererseits entspricht, daß der Vorsitzende Richter mit milder Bitte abzuwehren pflegt, wenn sich aus dem Publikum Beifall für die Bundesanwaltschaft erhebt, jedoch sogleich die Räumung des Saales androht, wo Beifall für die Verteidigung einmal hörbar geworden war und hierfür verweise ich z. B. auf die Blätter 323, 557, 1246 des Protokolls im Vergleich zu dem mir[yy] bis dahin noch nicht vorgelegten Protokoll der Sitzung vom 24.7.75. So haben in den Augen und in der berechtigten Besorgnis der Angeklagten hier, insbesondere des Angeklagten Baaders, die hier zu Entscheidungsfindung berufenen Richter, die Herr Baader mit diesem Antrag wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, nicht nur wiederholt demonstriert, daß sie die[zz], Unschuldsvermutung, die aus dem Rechtsstaatsprinzip unserer Verfassung, also nicht nur, wie regelmäßig zitiert, aus der Europäischen Menschenrechtskonvention folgt, sondern[aaa] nach den[bbb] Entscheidungen[ccc] des Bundesverfassungsgerichts im 22., 25. und 38. [1784] Band Bestandteil des Rechtsstaatsprinzip ist und damit Verfassungsrang hat,[21] daß sie diese Unschuldsvermutung zum Nachteil der hier Angeklagten mißachten. So haben ferner die abgelehnten Richter für den Angeklagten Baader insbesondere aber auch die Besorgnis begründet, sie hätten in diesem Verfahren die Souveränität der rechtssprechenden Gewalt aufgegeben in ihrem Verhältnis zur Bundesanwaltschaft. Zur weiteren Glaubhaftmachung auf diesen bisherigen Vortrag beziehe ich mich im übrigen auf die dienstlichen Äußerungen der hier abgelehnten Richter.

- Um 11.20 Uhr erscheint RA. Schlaegel. -

Ende Band 72.

[1785] RA Dr. H[eldmann]:

4.

Seine Voreingenommenheit und Parteilichkeit hat der abgelehnte Vorsitzender Richter Dr. Prinzing auch dadurch unter Beweis gestellt, als er in einer Situation lebensgefährlichen Zustands eines seiner Fürsorge anvertrauten Untersuchungshäftlings den unverbindlichen Angaben eines Gefängnisbeamten mehr Glaubwürdigkeit beigemessen hat, als den beschwörenden Vorstellungen des Verteidigers, daß der Gefangene unmittelbar in Lebensgefahr schwebe. Der abgelehnte Vorsitzender Richter Dr. Prinzing hat sich in den Mittagsstunden des 9. November 1974 mit völlig unzulänglichen und oberflächlichen Auskünften eines Vollzugsbeamten, nämlich des Herrn Hower zufriedengegeben und hat trotz des Verteidigers Dr. Croissant Hinweisen auf Holger Meins’ akute Lebensgefährdung[22] einen Arzt nicht einmal zu sprechen; geschweige denn: herbeizuziehen verlangt.

Glaubhaftmachung, dienstliche Äußerung des abgelehnten Vorsitzenden Richters Dr. Prinzing. Das Verhalten des abgelehnten Richters Dr. Prinzing, der es unterlassen hat, lebensrettende Maßnahmen für Holger Meins, oder wenigstens eine sofortige ärztliche Überprüfung von dessen Zustand anzuordnen, nachdem er wußte, daß Meins auf einer Bahre in das Besprechungszimmer getragen worden war und nach dem er Stunden vorher die beschwörenden Vorstellungen des Rechtsanwalts Dr. Croissant als Verteidiger zur Kenntnis genommen hatte, dieses Verhalten resultiert offen ersichtlich aus der Tatsache, daß der abgelehnte Richter sich dagegen gesperrt hat, Mitteilungen eines Verteidigers gleich worüber selbst hier nicht, entgegenzunehmen; selbst hier nicht, wo es um Leben oder Tod eines Gefangenen ging.

Sein Verhalten gegenüber seiner Fürsorge anvertrauten Gefangenen[23] setzt der abgelehnte Richter Dr. Prinzing in dieser Hauptverhandlung fort, vergleichbar jenem im November 1974, wo er sich hartnäckig, wie auch die übrigen hier abgelehnten Richter, dagegen sträubt, wie auch die übrigen hier abgelehnten Richter dagegen sträubt, konkrete Tatsachen über die [1786] eine Verhandlungsfähigkeit oder jedenfalls eine vollständige unbeschränkte Verhandlungsfähigkeit ausschließende hochgradige Leistungsreduzierung überhaupt nur zur Kenntnis zu nehmen, stattdessen die für jedermann offensichtliche Verhandlungsunfähigkeit während der nach Mittagsstunden als deren Gegenteil vom Richtertisch herunter postuliert.

5.

Der abgelehnte Dr. Breucker hat im Einverständnis mit dem abgelehnten Richter Dr. Prinzing auf das Ablehnungsgesuch des Angeklagten Raspe vom 3.7.1975 den Vollzugsbeamten der Anstalt Wittlich telefonisch vernommen. Auf diese Weise allerdings auch eine von Howers polizeiliche Aussage vom 27. November 1974 abweichende Tatsachendarstellung erlangt und nunmehr diese also eine sogenannte dienstliche Äußerung des Zeugen Hower zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vom 3.7.75 herangezogen, obwohl doch bereits das Protokoll über die zeitnahe Vernehmung des Herrn Hower als Zeugen vorlag, nämlich vom 27. November 1974. Der abgelehnte Richter Dr. Breucker möge sich doch bitte erklären, ob er nicht dem Zeugen Hower im Zusammenhang mit dieser telefonischen Vernehmung den Inhalt der Darstellung des Sachverhalts, wie ihn der abgelehnte Richter Dr. Prinzing in seiner dienstlichen Äußerung zu jenem Ablehnungsgesuch des Herrn Raspe vom 3.7.75 gegeben hat, vermittelt hat und dadurch auf einer Angleichung dieser neuen telefonischen Aussage, 8/9 Monate später, auf jene neue Darstellung des Herrn Hower hingewirkt hat, und wie, rechtlich wohl zu erklären sein mag, daß diese Telefonnotiz des abgelehnten Richters Dr. Breucker, in dem er ein Telefongespräch mit einem Justizbeamten Hower aus Wittlich wiedergibt, wie das als[ddd] eine dienstliche Äußerung für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vom 3.7.1975 einfließen konnte. Diese dienstliche Äußerung, die Sie dem Vollzugsbeamten Hower zugeschrieben haben, die haben Sie, Herr Richter Dr. Breucker, handschriftlich unterzeichnet. Diese Verfahrensweise ist deshalb besonders befremdlich, weil in [1787] jenem Ablehnungsgesuch, nämlich jene vom 3.7., eine zusätzliche dienstliche Äußerung des Zeugen Hower als Mittel der Glaubhaftmachung nicht bezeichnet worden ist. Wohlgemerkt, in Ihren Mitteln zur Glaubhaftmachung hat der Angeklagte Raspe durchaus nicht eine, wie Sie es nennen, dienstliche Äußerung des Vollzugsbeamten Hower genannt, das bedurfte es nicht, weil über dessen Aussagen ein ausführliches polizeiliches Vernehmungsprotokoll vorlag. Ich sagte, diese Verfahrensweise ist deshalb besonders befremdlich, weil der Angeklagte Raspe sich darauf nicht berufen hat, was er nicht brauchte, angesichts des Herrn Howers eindeutiger protokollierter Aussage und dienstliche Erklärungen von nicht in der Hauptverhandlung anwesenden Personen nach der bisher von den abgelehnten Richtern von diesem Senat vertretenen Ansicht und ihrer ständigen Übung, als Mittel zur Glaubhaftmachung, nicht zulässig[24] sind.

Zur Glaubhaftmachung hierfür:

1. Sitzungsniederschrift

2. dienstliche Erklärungen

Aus der Sicht des Angeklagten Baader, muß diese zusätzliche Vernehmung des Zeugen Hower per Telefon, durch den zur Entscheidung berufenen Richter Dr. Breucker, deren Ergebnis er als eine dienstliche Äußerung des Vollzugsbeamten Hower, der nicht in diesem Verfahren sich befindet, ausgibt und handschriftlich nun selbst als Richter unterzeichnet. Aus der Sicht des Angeklagten Baader, muß dieser Vorgang den Eindruck vermitteln, daß die abgelehnten Richter bei der Prüfung der gegen den Vorsitzenden Richter geltend gemachten Ablehnungsgründe und damit bei richterlichen Entscheidungen überhaupt nicht unvoreingenommen sind.

Ich beende hiermit das Ablehnungsgesuch des Angeklagten Baader gegen den Herrn Vorsitzenden Richter Dr. Prinzing, sowie gegen die Herren Richter Dr. Foth, Maier, Dr. Berroth und Dr. Breucker.

Ich schließe daran eine Erwägung an, ob nicht spätestens nach dem heutigen Ablehnungsgesuch und in Anbetracht dessen, was [1788] an Ablehnungsgründen durch die anderen Angeklagten hier bereits vorgetragen worden ist, die Protokolle weisen es wörtlich aus, und was an Prozeßverstößen in diesem bisherigen Stadium des Verfahrens schon gerügt worden ist, erwäge ich, ob nicht, das kann natürlich keine Empfehlung sein, bitte verstehen Sie es auch nicht als einen Versuch eines Eingriffs in Richterfreiheiten, ob nicht der Zeitpunkt gekommen wäre, daß der Herr Vorsitzende Richter sich nun selbst nicht mehr für unbefangen halten kann.[25]

Herr Baader bittet um ergänzende Ausführungen zur Begründung meines[eee] Gesuchs.

Vors.:

Ja bitte, Herr Baader.

Da ist unten der Knopf vielleicht ... Vor dem Mikrophon auf dem Tisch.

Wechseln Sie vielleicht den Platz.

Angekl. B[aader]:

Ich wollte sowieso zunächst eine Pause beantragen von 10 Minuten, weil in diesem Ablehnungsantrag Bestandteile sind, die ich nicht kenne und auf die ich mich gerne beziehen würde.

Vors.:

Keine Pause, Herr Baader, wir sagten schon: zur Begründung eigener Anträge gibt es keine Pause. Das ist eine Frage, ob es eine Pause geben kann, wenn eine andere Seite sich geäußert hat und Sie dazu Stellung nehmen müssen. Da kann es sein, daß Sie Überlegungen brauchen[fff], aber bei eigenen Anträgen nicht.

Angekl. B[aader]:

Naja, dann nur kurz jedenfalls.

Es gibt eine Abhängigkeit des Gerichts, würden wir sagen, auf drei Ebenen.

Das ist 1. die strukturelle Abhängigkeit dieses Gerichts aus der Klassenlage der Richter und aus der[ggg] Klassenfunktion der Justiz überhaupt ... ist diesem Zusammenhang nicht zu reden. Es gibt 2. die Abhängigkeit in der Funktion dieses Gerichts innerhalb der staatlichen Vernichtungsstrategie, als Krieg, [1789] konzipiert als Kriegsführung gegen die Politik die hier verhandelt werden soll.

Und es gibt 3. und das ist der Punkt, der hier relevant ist im Moment, die Befangenheit des Gerichts sozusagen auf der Ebene seiner unmittelbaren Veranlassung, sich diesen Prozeß, als einen politischen Prozeß dadurch zu erleichtern, daß die Gefangenen, seit dieses Gericht zuständig ist, also seit über 1 Jahr, in seiner gezielten Veranlassung die Gefangenen verteidigungsunfähig zu machen. Dazu gehört als zentraler Bestandteil, sie Haftbedingungen zu unterwerfen, die letzten Endes zum intellektuellen Zusammenbruch der Gefangenen führen sollen. Darüber ist auch inzwischen hier genug geredet worden.

2. gehört dazu, der Ausschluß der Verteidiger, an dem dieses Gericht unmittelbares Interesse hatte, d. h. es geht aus allen Beschlüssen des Senats hervor, daß er bemüht war, vorbereitete Verteidiger in diesem Verfahren loszuwerden, um sich die Hauptverhandlung zu erleichtern. Das fängt an, mit den Beschlüssen, in denen die Begründungen der Bundesanwaltschaft, der Ausschlußanträge voll übernommen werden. Es fängt an mit den Beschlüssen zum, der Weigerung, Croissant, Ströbele, Croissant, Ströbele und Groenewold, als Pflichtverteidiger zu bestellen.[26] Es geht weiter mit dem Beschluß des Ruhens der Rechte dieser Verteidiger etwas später, und das endet jetzt schließlich in der Weigerung, diese 3 Verteidiger, als vorbereitete Verteidiger in dem Verfahren, für die anderen 3 Gefangene zuzulassen,[27] nach dem der Ausschluß für mich, zumindest einem Teil, rechtskräftig war. Aber ich würde sagen, daß dieser Antrag, dieser Ablehnungsantrag natürlich hilflos sein muß, wie jeder Antrag in diesem Verfahren, der versucht, es an die Verfassung oder auch nur die Strafprozeßordnung zu erinnern, und wie jeder Antrag der Verteidiger in den 3 Monaten dieses Verfahrens wird dieser Ablehnungsantrag abgeschmiert werden. Dieses Gericht, Prinzing, sitzt hier tatsächlich wie in Beton gegossen, als Bestandteil dieser Betonfestung, und dieses Gericht hat, wie sein besonders Gehäuse,[28] auch eine besondere, [1790] nämlich eine politische Funktion, die das Gewaltverhältnis, nämlich das der Klassengesellschaft als unerschütterlich zu propagieren. Gegen immanente[hhh] Argumentation ist die Funktion zwangsläufig immun.

Um 11.35 Uhr verließen Reg. Dir. Widera und StA Holland den Sitzungssaal.

Angekl. B[aader]:

Wie er unmöglich gemacht werden konnte, ist der Versuch, uns zu verteidigen, in diesem Verfahren überhaupt ein Widerspruch in sich. Wir konnten gar nicht verteidigt werden. Was möglich ist, ist Aufklärung darüber, daß das Gewaltsystem, das hier durch den Senat verfährt, nur abgelehnt, gestürzt, bekämpft, zerrüttet werden kann durch Gewalt, durch revolutionäre Gewalt. Die Maßnahme dieses Gerichts, jede Maßnahme des Gerichts klärt darüber auf. Der Versuch der Verteidigung hier, politische Justiz durch den Bezug auf Normen und Regeln der Klassenjustiz in ihrer Willkür, ihren faschistischen Maßnahmecharakter zu korrigieren, muß hilflos sein. Ich würde sagen, das werden wir in spätestens vier Stunden wissen, wenn dieser Antrag abgelehnt ist.

Ja, es ist erstmal Schluß hier.

Vors.:

Herr Bundesanwalt, wollen Sie sich gleich äußern?

BA Dr. W[under]:

Ich bin bereit gleich Stellung zu nehmen, ja.

Dieser Antrag, der auch unbegründet wäre, ist unzulässig.

Ich beantrage,

ihn zurückzuweisen.

Die Ablehnungsantrage wiederholen sich derart rapid, daß sich nunmehr die Anwendung der Vorschrift des § 26a Abs. 1, Ziff. 3 der StPO[29] regelrecht aufdrängt und es sich damit verbietet, auf Einzelheiten einzugehen. Die Vorschrift des § 26a [Abs. ]1, Ziff. 3[ StPO] gilt für jede Verfahrenslage, also auch für diese. Im übrigen beziehe ich mich auf meine Ausführungen zur Ablehnung des gesamten Spruchkörpers am vorgestrigen Tage. Gestern hat gegen 17.30 Uhr ein Radiosprecher, ich [1791] weiß nicht von welchem Sender, den gestern gestellten Antrag von Herrn Rechtsanwalt Riedel, als „Aufguß“ kommentiert. Ich mache mir diesen Begriff nicht zu eigen, aber ich fürchte, daß der heutige Antrag von Herrn Rechtsanwalt Heldmann, er hat in der Tat schon fundiertere gestellt, kaum anders kommentiert werden kann; denn es scheint so zu sein, daß man mittlerweile allenthalben erkannt hat, worum es jetzt den Angeklagten und der Verteidigung in Wirklichkeit geht.

Angekl. B[aader]:

Ja, worum denn?

Vors.:

Herr Baader ...

BA Dr. W[under]:

Vorsorglich stelle ich den Antrag

auf Abtrennung des Verfahrens gegen Herrn Baader,[30]

und zwar nur für den Fall, daß der Antrag nicht als unzulässig verworfen würde. Wir stehen heute am 22. Verhandlungstag. Wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, hat die zügige Fortführung des Verfahrens Vorrang vor allem anderen,[31] zumal die Angeklagten schon lange in Haft sind. Der Antrag Baaders, dem sich die anderen Angeklagten bislang nicht angeschlossen haben, darf sich also nicht zum Nachteil der übrigen Angeklagten auswirken. Bei dieser Gelegenheit möchte ich, um Zweifel jeglicher Art aufkommen zu lassen, noch folgendes betonen.

Wenn es für die Vertreter der Bundesanwaltschaft irgendwie erkennbare Anzeichen für eine Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten gäbe, würde sich die Bundesanwaltschaft niemals für eine Weiterverhandlung im bisherigen Rhythmus aussprechen. Den Angeklagten könnte nochmals in ihrem eigenen Interesse geraten werden, sich von einem Anstalts- oder Amtsarzt untersuchen zu lassen, dann würde dieses eine Problem sofort aus der Welt geschaffen sein.

Vors.:

Ich bitte, daß die ...

RA Dr. H[eldmann]:

Ich bitte um Erwiderung.

[1792] Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, zu was noch, es ist ja jetzt alles gesprochen, oder wollen Sie ...

RA Dr. H[eldmann]:

Ich bitte um Erwiderung.

Vors.:

Bitte, wir können nur noch ...

RA Dr. H[eldmann]:

Zunächst ...

Vors.:

... unaufschiebbare Handlungen;[32] Sie wissen es, wir sind nicht mehr lange da.

RA Dr. H[eldmann]:

Ja, aber ich bitte Sie um Erwiderung auf die Replik[iii] des Herrn Staatsanwalts.

Zunächstmal was ich als sachliche Vorbemerkung vorhin gesagt habe, ist abermals drüben nicht angekommen. Selbstverständlich entscheidet sich, und darum dieser Zeitpunkt für diesen Antrag heute, der Zeitpunkt für Ablehnungsanträge vor Beginn der Vernehmung zur Sache nach [§ ]25[ StPO]. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß er etwa verspätet sein könnte, wie Sie gestern schon meinten und heute juristisch falsch wiederholt haben, denn gerade die Konzentrationsmaxime in [§ ]25 [Abs. ]1 S. 2[ StPO] gebietet den Zeitpunkt abzuwarten, in dem insgesamt die bisherigen Prozeßverstoße zusammengefaßt werden können, und wenn Sie inhaltlich genau ... Herr Bundesanwalt Wunder, dann hätten Sie festgestellt, daß meine Rügen für den Ablehnungsantrag des Herrn Baaders zurückgehen bis in die vorige Sitzungswoche. Das heißt also, daß das[jjj] Prozeßmaterial bis dahin aufgearbeitet worden ist. Bezeichnend ist jedoch das, was wir von der Bundesanwaltschaft schon gar nicht mehr anders gewohnt sind, wo sie nämlich auf Anträge der Verteidigung antwortet, es erübrigt sich auch inhaltlich einzugehen, oder wie Sie es eben einmal in einer besonders individualistischen Formulierung gesagt haben, auf Einzelheiten einzugehen. Das ist das Typische: eine Prozeßeinlassungen der Bundesanwaltschaft auf Anträge oder auf Prozeßeinlassungen der Verteidigung, es erübrigt sich darüber[kkk] noch [1793] ein Wort zu verlieren. Sie können das in den Protokollen nachlesen, das Beispiel wurde eben wieder gegeben.

3. Ein Radiosprecher habe gestern gesagt, des Kollegen Riedel Antrags sei ein „Aufguß“ gewesen. Wenn wir, Herr Bundesanwalt Wunder, den Konsens herbeiführen können, unsere prozessualen Impulse künftig aus den Medien zu beziehen, gerne, dann wird sich jeder von uns das ihm passende aussuchen, dann werden wir damit den Senat füttern. Schließlich dem Abtrennungsversuch, dem Abtrennungsgesuch trete ich für den Angeklagten Baader entgegen.

Herr Baader bittet um Erwiderung.

BA Dr. W[under]:

Herr Rechtsanwalt Heldmann, in einem Punkt müssen Sie mich mißverstanden haben. Ich habe § 26a Abs. 1 Ziff. 3 der StPO zitiert.

RA Dr. H[eldmann]:

Gestern sprachen Sie von Ziffer 1, heute Ziffer 3. Sicher, da läßt sich noch manches aussuchen.

Vors.:

Nun es ist immerhin Gesetzestext. Will[lll] sich jemand der Herrn Verteidiger sonst zu dem Abtrennungsantrag äußern, betrifft alle Angeklagte[mmm]?

Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Sch[ily]:

Herr Baader, Sie hatten sich zuerst gemeldet.

Herr Baader hatte sich vor ... (Schluß nicht verständlich)

Vors.:

Herr Baader.

Angekl. B[aader]:

Das ist noch nicht ganz klar, was die Frage des Anstaltsarztes in dem Zusammenhang des Ablehnungsantrags hier jetzt unmittelbar zu suchen hat. Das ist natürlich eine unglaubliche Infamie, wenn Wunder sagt, die Bundesanwaltschaft würde hier nicht weiterverhandeln, wenn Verhandlungsunfähigkeit vorläge. Nach dem ihre Maßnahmen seit 3 Jahren darauf zielen, die Gefangenen verhandlungsunfähig zu machen. Das ist also wirklich ein absoluter Widerspruch. Es gehört zu [1794] diesem Konzept der Folter, der Isolationshaft, daß sie, daß ihre Wirkungen unsichtbar sind und das gehört zu der ganzen Counter-Strategie der Bundesanwaltschaft, Isolation zu bestreiten, bis zuletzt. Inzwischen hat der Senat ja sozusagen indirekt Isolation zugegeben. Er hat auch Isolationsfolter zugegeben, in dem er sich ausdrücklich darauf abgehoben hat, daß einer der psychiatrischen Gutachter, die uns aufgezwungen werden sollen, sich mit Deprivationssymptomen im Zusammenhang von Lengede[33] befaßt hat. Ich finde das ganz witzig sozusagen, weil Lengede das ist ja eine Katastrophe. Das heißt also, da werden Leute, da sind Leute lebendig begraben worden und das ist insofern eine ganz interessante Assoziation, weil es natürlich ... Naturkatastrophe, aber weil es natürlich eine gesellschaftliche Katstrophe ist, daß ist ein Konzept, wie das der Langzeitisolation bzw. das Konzept der Folter in total geräuschisolierten Trakten in den Vollzugsanstalten, von denen jetzt 15 eingerichtet worden sind, weil das natürlich ... Und, was eben wesentlich ist, also nicht die Tatsache, daß das geschieht, sozusagen eine gesellschaftliche Katastrophe, sondern die Dimension, in der das öffentlich propagiert worden ist, in der das öffentlich vertreten worden ist, nach und nach auf allen Ebenen oder von allen Ebenen der Politik, bis rauf in[nnn] die Regierung. Das ist eigentlich schon eine gesellschaftliche Katastrophe. Aber zur Frage der Anstaltsärzte würde ich einfach sagen, möchte ich nochmal Posser[34] zitieren, der auch unmittelbar verantwortlich war für den toten Trakt, der sagt in der „Frankfurter Allgemeinen“ vom 15.3.: „Die Häftlinge lehnen nach Darstellung der Anstalt jedes Gespräch mit Ärzten und Psychologen ab und verweigern auch jeden Kontakt zu den ermittelnden Staatsanwälten“. Daher sei die Frage, wann es zu einem Prozeß komme, derzeit kaum noch zu beantworten. Das ist einfach wichtig, weil die Funktion der Anstaltsärzte in diesem ganzen Zusammenhang, d. h. die Funktion der Anstaltspsychiatrie bzw. der [1795] Staatsschutzpsychiatrie natürlich auch ist, zu einer Verfügung, zu einer psychischen Verfügung über die Gefangenen zu kommen, nach dem sie sozusagen in den Trakten, in den Gehirnwäscheprogrammen, in den Trakten vorbereitet worden sind. Im Interesse, unmittelbaren Interesse der Ermittlungsbehörden, dh. d. im unmittelbaren Interesse der Bundesanwaltschaft. Das ist in dieser Äußerung impliziert. Das ist der Grund, warum wir Untersuchungen durch Anstaltsärzte selbstverständlich ablehnen oder ein wesentlicher Grund, warum wir sie auch immer ablehnen werden, ganz abgesehen davon, was Anstaltsärzte im Zusammenhang des Hungerstreiks gegenüber den Gefangenen veranlaßt haben und durchgeführt haben, auch hier in Stammheim.

Ende Band 73

[1796] Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily bitte.

RA Sch[ily]:

Ich widerspreche einer Abtrennung. Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, die Auslegungen von Herrn Bundesanwalt Dr. Wunder der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der Weise, daß Sie sagen, die Zügigkeit des Verfahrens hat Vorrang vor allem anderen. Im Klartext, und in diesem Zusammenhang soll das ja wohl heißen, daß ein Angeklagter notfalls auch hinnehmen soll, daß ein voreingenommener Richter das Verfahren leitet, nur damit das Verfahren vorankommt. Eine andere Ausdeutung Ihrer heutigen Ausführungen, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder, ist ja wohl kaum möglich. Im übrigen haben Sie vielleicht nicht bemerkt, in der Eile, daß Sie sich mit Ihren heutigen Ausführungen wieder in einen Widerspruch begeben haben. Denn wenn Sie schon die Zügigkeit des Verfahrens hier ins Feld führen wollen, dann darf ich Sie nur noch einmal darauf hinweisen, daß Sie durch eine Abtrennung für die Zügigkeit des Verfahrens nun überhaupt nichts gewinnen. Im Gegenteil: Sie würden das Verfahren komplizieren und eigentlich nur eine schwierigere Gangart dieses Verfahrens herbeiführen. Und im übrigen möchte ich die Ausführungen des Kollegen Dr. Heldmann unterstützen. Wissen Sie, wenn man ein so monströses Verfahren hat, wie dieses nun ja mal ist, und in einer angesehenen bürgerlichen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, hat mal ein Leitartikel gestanden, der hieß: das Prozeßmonstrum - das ist also nicht meine Ausdrucksweise - dann ist es eine Sache, die sich aus den Verhältnissen ergibt, daß eben[ooo] ungewöhnliche, vielleicht auch ungewöhnlich umfangreiche Anträge gestellt werden müssen. Und da wir ja nun nicht alle nebeneinander reden können, also zugleich reden können, simultan reden können und auch nicht simultan Anträge stellen können und sogar auch nach dem jüngsten gesetzlichen Bestimmungen nicht sollen, denn die Blockverteidigung haben wir nun ja ab 1. Januar abgeschafft,[35] da ergibt es sich nun aus dem Lauf des Verfahrens, daß eben in der Tat Anträge erst dann zu einem späteren Zeitpunkt gestellt werden können. Über die Schwierigkeiten, die dabei auftreten, ist sich auch die Verteidigung im klaren. Nur die Konsequenzen, die Sie daraus [1797] ziehen, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder, die scheinen mir ja nun in keiner Weise vertretbar. Abgesehen davon, daß ich es natürlich begrüßt habe, daß Sie gestern immerhin sich zu der Äußerung bereitgefunden haben, daß alle Anträge, die die Verteidigung zuvor gestellt habe, also vor den gestrigen Anträgen doch sehr fundierte Anträge gewesen seien, oder um Sie korrekt zu zitieren, fundierte Anträge, das sehr haben Sie nicht gesagt, dann hätte es mich eigentlich gefreut, wenn Sie dieses Wort von den fundierten Anträgen auch zu einem früheren Zeitpunkt gebraucht hätten. Ich kann mich aber erinnern, daß Sie auch früher, bzw. Ihre Kollegen, sehr gern eine inhaltliche Argumentation dadurch umgangen haben, daß also Worte gebraucht worden sind, der Antrag möge publikumswirksam sein oder der Antrag dient der psychischen und physischen Vernichtung eines Richters[36] und ähnliche Epitheta, - wenn ich da[ppp] jetzt richtig die Mehrzahl bilde[qqq] - schmückende Beiwörter dieser gebraucht worden sind, um diese inhaltliche Argumentation zu umgehen. Wäre ja dann doch erstaunlich, daß auch damals man nicht auf diese fundierten Anträge inhaltlich eingegangen ist. Und wir sind es ja gewohnt, aus vielen politischen Verfahren, das ist nahezu ein einheitliches Kennzeichen politischer Verfahren, daß gerne davon Gebrauch gemacht wird, von dem Begriff der Verfahrensfremdheit, und das ist ja das Stichwort, was Sie wohl aufnehmen wollen aus der gesetzlichen Bestimmung. Und Sie setzen da die Tradition einer gewissen Rechtsprechung vielleicht fort aus den 50 Jahren, in denen man gern, also z. B. Beweisanträge abgelehnt hat aus dem Begriff der Verfahrensfremdheit.[37] Und ich darf Sie vielleicht daran erinnern, daß gerade diese Methode, die Verteidigung zu behindern und zu beschränken, bei Autoren, die die Rechtsstaatlichkeit verteidigt haben, auf besonders intensive Kritik gestoßen ist. Ich darf aber zusammenfassend sagen, was Sie erreichen wollen, ist in sich widersprüchlich, und aus diesen Gründen widerspreche ich einer Abtrennung des Verfahrens gegen meine Mandantin.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.

RA v[on ]P[lottnitz]:

Ich habe auch zu beantragen, dem Antrag der Bundesanwaltschaft, das Verfahren hier abzutrennen, nicht zu entsprechen, diesen [1798] Antrag also abzulehnen. Ich meine, daß die Bundesanwaltschaft, wenn Sie einen solchen Antrag - und Sie tut es ja im Zusammenhang mit der Einbringung von Ablehnungsgesuchen nicht das erste Mal -, wenn Sie einen solchen Antrag stellt, in gewisser Weise den Vorwurf auf sich ziehen muß, sie spricht hier die Sprache der Macht. Denn die Bundesanwaltschaft weiß ganz genau, daß, wenn man mal ein Ablehnungsgesuch juristisch als das nimmt, was es darstellt, die Abtrennung des Verfahrens mitnichten zur Folge haben würde, eine Forderung und Beschleunigung des Verfahrens, also das zur Folge haben würde, was der Bundesanwalt Dr. Wunder hier vorhin gemeint hat. Denn es ist ganz klar: Würde hier einem Ablehnungsgesuch stattgegeben werden - und davon hätte man ja zunächst mal auszugehen, daß diese Möglichkeit noch in Betracht kommt, - würde einem Ablehnungsgesuch stattgegeben werden, dann würden die Folgen der Stattgabe von so ungeheuren Auswirkungen natürlich sein, auch auf die prozessuale Situation der übrigen Gefangenen hier, daß die Konsequenz natürlich nicht wäre, Forderung und Beschleunigung des Verfahrens, wenn vorher abgetrennt worden wäre, sondern ganz im Gegenteil eine ungeheure Verzögerung. Die Bundesanwaltschaft geht eigentlich davon aus und Sie verhält sich so, wie es Herr Baader vorhin in seinem Beitrag geschildert hat: Sie kann sich gar nicht mehr vorstellen, daß in diesem Verfahren hier etwa ein Ablehnungsgesuch gestellt werden könnte, daß erfolgreich sein könnte. Sie betrachtet dieses Verfahren als ein Verfahren, indem Ablehnungsgesuche sozusagen bzw. der Erfolg von Ablehnungsgesuchen undenkbar sind. Und in der Tat entspricht das leider der Struktur dieses Verfahrens, daß ein solches Bewußtsein nicht verwundert auf Seiten einer Anklagebehörde hier. Die Sprache der Macht spricht sie natürlich auch im Hinblick auf das, was gesagt worden ist zum Inhalt des Ablehnungsgesuch selber. Sie hat ... nicht mit einem Wort ist der Bundesanwalt Dr. Wunder etwa darauf eingegangen, in welchen Punkten nun eine Wiederholung etwa enthalten ist, eines früheren Gesuchs oder das, was er hier mit dem Wort „Aufguß“ gemeint hat. Auch insoweit also liegt ein, der Kollege Schily hat darauf hingewiesen, ein einziges Wort in dem inhaltlich, eine inhaltliche Auseinandersetzung erfolgt, mit dem, was gesagt worden ist, sondern der Versuch, hier den Eindruck zu erwecken, als ob ein [1799] Ablehnungsgesuch immer dann schon unzulässig ist, wenn in einem Verfahren, in dem es mehrere Angeklagte gibt, zuvor von anderen Angeklagten bereits das eine oder andere Ablehnungsgesuch - sei es erfolglos oder erfolgreich - eingebracht worden sind. Die Strafprozeßordnung kennt aber in verbundenen Sachen nicht die Maxime, daß, sagen wir mal, das Ablehnungsgesuch, und das ist hier das erste Ablehnungsgesuch, schon dann als unzulässig etwa zurückzuweisen ist, wenn die übrigen Mitangeklagten zuvor andere Befangenheitsanträge eingebracht haben.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Riedel. Sie schließen sich wohl auch an.

RA R[iedel]:

Ich schließe mich dem Antrag ebenfalls an, das Verfahren nicht abzutrennen.

Vors.:

Gut. Wir werden über die Frage der Abtrennung ganz kurz beraten müssen. Denn würden wir dem Antrag nachkommen, müßte aus Gründen der Öffentlichkeit das auch jetzt bald bekannt gegeben werden. Ich bitte im Saale zu bleiben.

-Der Senat zog sich um 11.59 Uhr zur Beratung zurück-

-Nach Wiedereintritt um 12.03 Uhr wird die Sitzung fortgesetzt-

-Rechtsanwalt von Plottnitz war nicht mehr anwesend. Er erschien um 12.04 Uhr-

Vors.:

Darf ich die Herrn bitten, daß Sie Platz nehmen. Ich habe nur noch bekannt zu geben, der Senat hat beschlossen:

Das Verfahren wird nicht abgetrennt.

Ich bitte die Prozeßbeteiligten um 15.00 Uhr wieder im Saale zu sein. Hier wird dann über den weiteren Verlauf, eventuell auch über die dienstlichen Stellungnahmen, das Nähere zu erfahren sein. Der Öffentlichkeit kann ich sagen, daß heute mit einer Fortsetzung der Verhandlung nicht mehr gerechnet werden kann.

RA v[on ]P[lottnitz]:

Geht das klar, daß die Gefangenen im Gebäude bleiben können.

[1800] Vors.:

Nein, zurückgebracht. Die Sitzung ist beendet für heute.

Ende der Sitzung um 12.05 Uhr

-Rechtsanwalt Dr. Heldmann übergab nach Schluß der Verhandlung seinen Antrag um ihn fotokopieren zu lassen.

Die Fotokopie ist dem Protokoll als Anlage 1 beigefügt.

Ende von Band 74

[1801-1813][38] [1814-1825][39] [1826][40] [1827][41] [1828][42] [1829][43] [1830][44] [1831-1832][45]


[1] Die Angeklagten wurden während des vorigen Verhandlungstages wegen fortgesetzter Störung der Verhandlung nach § 177 GVG i.V.m. § 231b Abs. 1 StPO von dieser ausgeschlossen (S. 1729 f. des Protokolls der Hauptverhandlung. 21. Verhandlungstag). Nach §§ 231b Abs. 2, 231a Abs. 2 StPO sind die Angeklagten bei ihrer Rückkehr von dem wesentlichen Inhalt dessen, was in ihrer Abwesenheit verhandelt wurde, zu unterrichten.

[2] Abgedruckt in Anlage 4 zum Protokoll vom 30.7.1975, S. 1737 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (21. Verhandlungstag).

[3] Als Spurenakten werden diejenigen Akten bezeichnet, die während einer Ermittlung entstehen, von den Strafverfolgungsbehörden aber als nicht (mehr) relevant für die betr. Tat eingestuft werden (Thomas/Kämpfer, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, § 147 Rn. 20).

[4] Die Hauptverhandlung beginnt nach dem Aufruf der Sache und Feststellung der Anwesenheit mit der Vernehmung der Angeklagten zur Person, an die sich die Verlesung der Anklage (heute außerdem: Mitteilung über ggf. stattgefundene Erörterungen) sowie die Vernehmung der Angeklagten zur Sache anschließen. Hierauf folgt die Beweisaufnahme (§§ 243, 244 StPO). Aufgrund vorrangiger Anträge fand die Vernehmung zur Person sowie die Verlesung der Anklage erst am 26. Verhandlungstag statt.

[5] Die Sachverständigen Prof. Dr. Schröder und Prof. Dr. Müller wurden damit beauftragt, Gutachten über die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten aus internistischer Sicht zu erstellen.

[6] Verhandlungsfähigkeit ist die Fähigkeit „in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen“ (BGH, Beschl. v. 8.2.1995 - Az.: 5 StR 434/94, BGHSt 41, S. 16, 18). Die Verhandlungsunfähigkeit bildet ein vorübergehendes oder dauerndes Verfahrenshindernis (§§ 205, 206a StPO). Eingeschränkter Verhandlungsfähigkeit kann durch die Anordnung besonderer Maßnahmen (ärztliche Unterstützung, Einlegung von Erholungspausen o.ä.) begegnet werden (s. dazu auch Rechtsanwalt Dr. Heldmann auf S. 1255 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 15. Verhandlungstag). Bei vorsätzlicher und schuldhafter Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit kann die Hauptverhandlung in Abwesenheit des/der Angeklagten durchgeführt werden (§ 231a StPO).

[7] Dr. Henck war während des Prozesses als Anstaltsarzt in Stuttgart-Stammheim tätig. Er wurde als erster Sachverständiger zur Frage der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten angehört. Zur Vernehmung des Herrn Dr. Henck s. S. 357 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (5. Verhandlungstag), S. 937 ff. (12. Verhandlungstag) und S. 1725 ff. (21. Verhandlungstag). Eine Untersuchung durch ihn lehnten die Angeklagten ab.

[8] Andreas Baader beschrieb das Verhältnis zu Dr. Henck wie folgt: „Das Verhältnis zu Henck ist ein Zwangsverhältnis, d. h. er hat unter [...] Anwendung urmittelbaren Zwangs durch 6 Vollzugsbeamte die Zwangsernährung - oder wie ein anderer Vollzugsarzt, typischer Sadist, sagt, die Schlauchorgie - in Stammheim während des Hungerstreiks durchgeführt, zuletzt so, wie ich das hier erklärt habe, daß es physische Folter war; darin besteht das Verhältnis zu Henck“ (S. 1243 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 15. Verhandlungstag; s. auch die Ablehnungsgesuche gegen Dr. Henck als Sachverständigen auf S. 517 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 5. Verhandlungstag. Neben der Voreingenommenheit betonte die Verteidigung auch die mangelnde Sachkunde des Anstaltsarztes.

[9] Prof. Dr. Rauschke war Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am Gesundheitsamt der Stadt Stuttgart und zuvor ebenfalls beauftragt worden, zur Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten Stellung zu nehmen. Auch eine Untersuchung durch ihn lehnten die Angeklagten ab. Zur Vernehmung des Prof. Dr. Rauschke s. S. 1102 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (14. Verhandlungstag).

[10] Roland Freisler stand von August 1942 bis 1945 dem Volksgerichtshof, dem formal höchsten Gericht des nationalsozialistischen Regimes, als Präsident vor. 1934 war das Gericht auf Betreiben Hitlers als Sondergericht zur Aburteilung von Hoch- und Landesverratsverbrechen eingerichtet worden. Der Volksgerichtshof fällte in erster und letzter Instanz politisch motivierte Urteile gegen Gegner/innen des Regimes. Freisler verhängte als Vorsitzender des Ersten Senates nach bisherigen - vermutlich unvollständigen - Schätzungen ca. 2400 Todesurteile. Der sog. „Blutrichter“ Freisler führte die ihm übertragenen Verfahren mit besonderem Eifer und oftmals demütigender Härte durch. Zu den bekanntesten Fällen seiner Amtszeit gehören die Schauprozesse gegen die Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose und die Beteiligten am Stauffenberg-Attentat auf Hitler (Wagner, Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat, Neuausg. 2011, S. 17 ff., S. 26 f., 80, 84 f., 201 f., 660 ff., 832 ff.).

[11] Die Hauptverhandlung befindet sich in diesem Zeitpunkt im Stadium zwischen der Feststellung der Anwesenheit und der Vernehmung der Angeklagten zur Person (§ 243 Abs. 1 und 2 StPO). Erklärungen der Angeklagten sind erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen, nämlich zum einen bei der Vernehmung der Angeklagten zur Sache (§ 243 Abs. 4 StPO a.F.; heute: § 243 Abs. 5 StPO), zum anderen im Stadium der Beweisaufnahme (§ 244 StPO), für die § 257 Abs. 1 StPO beweismittelbezogene Erklärungsrechte vorsieht.

[12] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Neben der Fortsetzung im Falle ordnungswidrigen Verhaltens (§ 177 GVG i.V.m. § 231b StPO) gibt es in der ersten Instanz allerdings weitere Ausnahmen: § 231 Abs. 2 StPO ermöglicht eine Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten, wenn sie über die Anklage bereits vernommen worden sind, trotz Hinweises in der Ladung auf der Möglichkeit der Verhandlung in Abwesenheit eigenmächtig der Hauptverhandlung fernbleiben und das Gericht die Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Werden nur geringe Strafen erwartet, kann unter bestimmten Voraussetzungen nach § 232 StPO in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt werden, oder sie können nach § 233 StPO auf Antrag vom Erscheinen entbunden werden. Schließlich ist nach § 231a StPO unter bestimmten Voraussetzungen die Verhandlung in Abwesenheit gegen verhandlungsunfähige Angeklagte möglich, die sich selbst vorsätzlich und schuldhaft in diesen Zustand versetzt haben.

[13] Grundsätzlich enthält § 25 StPO eine zeitliche Vorgabe nur für Ablehnungen, die ab dem Beginn der Vernehmung der Angeklagten zur Sache (heute: Vernehmung der Angeklagten zur Person) vorgebracht werden: diese sind nach § 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO „unverzüglich“ geltend zu machen, andernfalls sind sie nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO wegen Verspätung als unzulässig verwerfen. Für das derzeitige Hauptverhandlungsstadium vor Vernehmung der Angeklagten zur Person (§ 243 Abs. 2 StPO) gilt dies nach § 25 Abs. 1 StPO noch nicht. Eine zeitliche Einschränkung ergibt sich allerdings auch für dieses Stadium aus der sog. Konzentrationsmaxime, wonach alle Ablehnungsgründe gleichzeitig vorzubringen sind (§ 25 Abs. 1 Satz 2 StPO a.F.; heute: Abs. 1 Satz 3). Geschieht dies nicht, ist das Vorbringen, das sich auf solche Gründe stützt, die zum Zeitpunkt der letzten Ablehnung bereits vorgelegen haben, aber nicht zur Begründung herangezogen wurden, ebenfalls wegen Verspätung nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen. Grundsätzlich möglich wäre es zudem auch bereits zu diesem Zeitpunkt, Ablehnungen (bei entsprechenden Anhaltspunkten) wegen Prozessverschleppung nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO zu verwerfen.

[14] Auch bei Missachtung der Konzentrationsmaxime, wonach alle Ablehnungsgesuche gleichzeitig vorzubringen sind (§ 25 Abs. 1 Satz 2 StPO a.F.; heute: Abs. 1 Satz 3) ist § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO (Verwerfung als unzulässig wegen Verspätung) anwendbar (Conen/Tsambikakis, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, § 26a Rn. 8). Zulässig ist allerdings, zunächst noch abzuwarten, ob sich der Eindruck der Befangenheit verfestigt (OLG München, Beschl. v. 22. 11. 2006 - Az.: 4St RR 182/06, NJW 2007, S. 449, 451).

[15] Zwischen dem 22. April und dem 13. Mai 1975 und damit kurz vor Beginn der Hauptverhandlung wurden die Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele, zu diesem Zeitpunkt allesamt Verteidiger von Andreas Baader, auf Grundlage des erst am 1.1.1975 in Kraft getretenen § 138a StPO wegen des Verdachts der Tatbeteiligung (Unterstützung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB) von der Mitwirkung im Verfahren ausgeschlossen; zudem wurden strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 156 ff., S. 537 ff.; s. auch die angehängte Chronik in Dreßen [Hrsg.], Politische Prozesse ohne Verteidigung?, 1976, S. 104 f.).

[16] § 129 StGB enthält den Straftatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen, der allen Angeklagten in unterschiedlicher Ausgestaltung vorgeworfen wurde (den Angeklagten Baader, Ensslin und Meinhof die Gründung und Beteiligung als Rädelsführer, dem Angeklagten Raspe die Beteiligung an der kriminellen Vereinigung als Mitglied).

[17] Die Vorschriften über den Ausschluss von Verteidiger/innen (§§ 138a ff. StPO) wurden, wie zahlreiche weitere Reformen, durch welche die Rechte der Beschuldigten und der Verteidigung eingeschränkt wurden, nur wenige Monate vor Beginn der Hauptverhandlung durch das Ergänzungsgesetz zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) eingeführt. Zum Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens s. die Ausführungen des Rechtsanwalts Dr. Heldmann am 11. Verhandlungstag, S. 837 f. des Protokolls der Hauptverhandlung.

[18] Der Grund, aus welchem Richter/innen abgelehnt werden, muss nach § 26 Abs. 2 Satz 1 StPO glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht sie für überwiegend wahrscheinlich hält (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 26 Rn. 7). Die Glaubhaftmachung erfordert damit eine geringere Form der Überzeugung als der sog. Vollbeweis. Die Glaubhaftmachung genügt nur dort, wo das Gesetz sie ausdrücklich zulässt. Mittel der Glaubhaftmachung kann auch das Zeugnis des/der abgelehnten Richter/in sein (§ 26 Abs. 2 Satz 3 StPO).

[19] Die Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML) entstand Ende Dezember 1968 in der Bundesrepublik auf Initiative des Journalisten Ernst Aust und einigen Fraktionen der seit 1956 verbotenen Kommunistischen Partei Deutschland (KPD). Ihr Parteiprogramm war in Anlehnung an den chinesischen Kommunismus nach Mao Tse-tung zunächst antiamerikanisch und antisowjetisch ausgerichtet und hatte die gewaltsame Errichtung einer proletarischen Diktatur bei gleichzeitigem Sturz aller, nach Auffassung der Partei, imperialistischen und faschistischen Systeme zum Ziel. Nach 1976 wandte sich die Partei vermehrt in Richtung der Partei der Arbeit Albaniens (PdAA) (Benicke, Die K-Gruppen, 2019, S. 20 ff.; Wunschik, Die maoistische KPD/ML und die Zerschlagung ihrer „Sektion DDR“ durch das MfS, 1997, S. 5 ff.).

[20] Nachdem die Parteitage der NSDAP bereits in den Jahren Jahr 1927 und 1929 in Nürnberg stattgefunden hatten, bestimmte Hitler Nürnberg 1933 schließlich als dauerhaften Austragungsort. Von 1933 bis 1938 hielt die NSDAP ihre jährlichen Parteitage in Nürnberg ab (Zelnhefer, Die Reichsparteitage der NSDAP, 1991, S. 5, 77 ff.).

[21] Die Unschuldsvermutung ist in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankert: „Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“ Das Bundesverfassungsgericht leitet sie auch aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG her, wodurch ihr Verfassungsrang zukommt (ausführlich BVerfG, Beschl. v. 26.3.1987 - Az.: 2 BvR 589/79, BVerfGE 74, S. 358, 370; s. aber auch bereits die von Rechtsanwalt Dr. Heldmann genannten Entscheidungen: BVerfG, Beschl. v. 19.7.1967 - Az.: 2 BvR 489/66, BVerfGE 22, S. 254, 265; BVerfG, Beschl. v. 15.4.1969 - Az.: 1 BvL 20/68, BVerfGE 25, S. 327, 331; BVerfG, Beschl. v. 8.10.1974 - Az.: 2 BvR 747/73 u.a., BVerfGE 38, S. 105, 111).

[22] Holger Meins war ursprünglich Mitangeschuldigter im Stammheim-Prozess, starb aber noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) am 9. November 1974 in Untersuchungshaft in Wittlich an den Folgen des dritten Hungerstreiks. Für seinen Tod machten die Angeklagten staatliche Akteure, u.a. den Vorsitzenden Dr. Prinzing sowie die Bundesanwaltschaft verantwortlich (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 117 ff.). Unstreitig ist, dass Rechtsanwalt Dr. Croissant den Vorsitzenden Dr. Prinzing am 9. November 1974 anrief und ihn auf den kritischen Gesundheitszustand von Holger Meins hinwies. Der genaue Inhalt des Gesprächs wird von den Beteiligten unterschiedlich dargestellt. Dr. Prinzing gab an, hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes der Schilderung skeptisch gewesen zu sein. Die Hinzuziehung eines Arztes unterblieb letztlich - aus welchen Gründen ist unklar. Die Justizvollzugsanstalt in Wittlich soll Dr. Prinzing auf Nachfrage versichert haben, der Zustand von Holger Meins sei nicht so dramatisch, wie von Rechtsanwalt Dr. Croissant dargestellt. Gegen 17 Uhr am selben Tag verstarb Holger Meins (s. zu den unterschiedlichen Schilderungen der Ereignisse die hierauf gestützte Ablehnung des Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit durch die Angeklagte Ensslin, Anlage 1 zum Protokoll vom 19. Juni 1975, S. 620 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 7. Verhandlungstag, sowie die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden Dr. Prinzing, S. 677 ff., ebenfalls 7. Verhandlungstag).

[23] Ab dem Zeitpunkt der Erhebung der öffentlichen Klage ist das Gericht der Hauptsache zuständig für den Vollzug der Untersuchungshaft und damit auch für Entscheidungen über die Haftbedingungen (§ 126 Abs. 2 StPO).

[24] Da die Glaubhaftmachung das Gericht grundsätzlich in die Lage versetzten soll, ohne weitere, das Verfahren verzögernde Ermittlungen, zu entscheiden, reicht die bloße Nennung eines Beweismittels in der Regel nicht als Mittel der Glaubhaftmachung aus. Für die Benennung abwesender Zeug/innen bedeutet dies, dass der/die Antragsteller/in zumindest eine schriftliche Erklärung beibringen muss. Nur wenn dies nicht möglich ist, was ebenfalls glaubhaft zu machen ist, kann auch die bloße Nennung nicht anwesender Zeug/innen ein zulässiges Mittel der Glaubhaftmachung sein (BGH, Urt. v. 10.11.1967 - Az.: 4 StR 512/66, BGHSt 21, S. 334, 347).

[25] Richter/innen können durch Selbstanzeige ihre Befangenheit kundtun (§ 30 StPO). Damit ist aber zunächst noch keine Entscheidung getroffen. Über den Ausschluss entscheidet das zuständige Gericht, in diesem Fall der Senat ohne Mitwirkung der anzeigenden Person (§ 27 Abs. 1 StPO) in der vorgeschriebenen Besetzung (drei Berufsrichter/innen, § 122 Abs. 1 GVG).

[26] Noch bevor die drei früheren Verteidiger Baaders, die Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele, auf Grundlage des neu geschaffenen § 138a StPO wegen des Verdachtes der Tatbeteiligung - Unterstützung der kriminellen Vereinigung RAF - von der Mitwirkung im Verfahren ausgeschlossen wurden (s. dazu Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 156 ff.), hatte der Vorsitzende Dr. Prinzing ihre Bestellung als Pflichtverteidiger für Andreas Baader mit Verfügung vom 3.2.1975 aufgehoben, da „nicht ausschließen [sei], daß sie von den Bestimmungen über den Ausschluß von Verteidigern im Strafverfahren betroffen werden könnten“ (so der Vorsitzende Dr. Prinzing am 3. Verhandlungstag, S. 235 f.).

[27] Da sich die Ausschlüsse auf die Verteidigung von Andreas Baader bezogen, legitimierten sich alle drei ausgeschlossenen Rechtsanwälte am ersten Verhandlungstag für jeweils andere Angeklagte und stellten den Antrag, zur Hauptverhandlung zugelassen zu werden. Der 2. Strafsenat war der Auffassung, die Wirkung der bereits ergangenen Ausschlussentscheidungen umfasse auch das Verbot der Mitwirkung der Verteidiger im Hinblick auf die übrigen Angeklagten. Die Bundesanwaltschaft äußerte gegen diese Rechtsauffassung erhebliche Bedenken (so BA Dr. Wunder auf S. 50 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag) und beantragte daher, die Verteidiger auch im Hinblick auf die anderen Angeklagten auszuschließen (Anlage 5 zum Protokoll vom 21.5.1975, S. 65 ff., ebenfalls 1. Verhandlungstag). Den Antrag legte der 2. Senat dem zuständigen 1. Senat zur Entscheidung vor, welcher die ursprüngliche Auffassung des 2. Senates bestätigte und die (nach dieser Ansicht überflüssige) Durchführung eines (erneuten) Ausschlussverfahrens ablehnte. Inzwischen sieht § 138a Abs. 5 StPO ausdrücklich vor, dass der Ausschluss sich auch auf andere Beschuldigte in demselben Verfahren erstreckt.

[28] Die Hauptverhandlung fand in dem sog. Mehrzweckgebäude (auch „Mehrzweckhalle“) statt, einem Gerichtsgebäude aus Stahl und Beton, das in Vorbereitung auf den Prozess unmittelbar neben dem Gefängnis für etwa 12 Millionen DM errichtet wurde (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 69; krit. hierzu auch Tenfelde, Die Rote Armee Fraktion und die Strafjustiz, 2009, S. 100 f.).

[29] Die Ablehnung ist nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig zu verwerfen, wenn „durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen“.

[30] Verbundene Verfahren können nach § 4 Abs. 1 Var. 1 StPO auch nach Eröffnung der Hauptverhandlung auf Antrag oder von Amts wegen durch gerichtlichen Beschluss getrennt werden, wenn dies zweckmäßig ist (vgl. § 2 Abs. 2 StPO). Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn sich im Hinblick auf eine/n Mitangeklagte/n besondere Verfahrensverzögerungen ergeben. Bei bereits seit längerer Zeit in Untersuchungshaft befindlichen Mitangeklagten ist für diese auch das Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu beachten (Börner, in Satzger/Schluckebier/Widmaier [Hrsg.], Strafprozessordnung, 4. Aufl. 2020, § 2 Rn. 15).

[31] In seinem Nichtannahmebeschluss vom 23.7.1975 führte das BVerfG aus: „Die hier in Frage stehende Regelung gibt dem Interesse der Allgemeinheit an einer zügigen, auch die Belange des Angeklagten wahrenden Durchführung des Strafverfahrens den Vorzug gegenüber dem Interesse des Anwalts, die Vereidigung in jedem Fall umfassend vorzubereiten. Sie hält sich damit in den Grenzen, innerhalb deren die Freiheit der Berufsausübung zulässigerweise beschränkbar ist. Daß der Gesetzgeber die Möglichkeiten, in Fällen der notwendigen Verteidigung durch wiederholten Verteidigerwechsel das Verfahren zu verschleppen oder gar seine Durchführung in Frage zu stellen, einzudämmen sucht, ist unter den Gesichtspunkten der Vernünftigkeit und Zweckmäßigkeit jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn er zugleich eine ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten sicherstellt (BVerfG, Beschl. v. 23.7.1975 - Az.: 2 BvR 557/75, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 29. Juli 1975, S, 1566 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 20. Verhandlungstag). Die damit nicht zur Entscheidung angenommene Verfassungsbeschwerde des Rechtsanwalts Dr. Heldmann betraf einen Beschluss des OLG Stuttgart vom 11.6.1975, mit welchem ein Unterbrechungsantrag für zehn Tage zwecks Einarbeitung in die Akten abgelehnt wurde (zum Antrag s. S. 274 des Protokolls der Hauptverhandlung, 4. Verhandlungstag; zum ablehnenden Beschluss s. S. 292 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, ebenfalls 4. Verhandlungstag).

[32] Eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit hatte nach damaliger Rechtslage zur Folge, dass der/die abgelehnte Richter/in vorläufig amtsunfähig wurde und damit ab dem Zeitpunkt der Ablehnung nicht mehr an Entscheidungen mitwirken durfte; eine Ausnahme galt nur für unaufschiebbare Handlungen (§ 29 StPO a.F.). Unaufschiebbar ist eine Handlung dann, wenn sie wegen ihrer Dringlichkeit nicht aufgeschoben werden kann, bis ein/e Ersatzrichter/in eintritt (BGH, Beschl. v. 3.4.2003 - Az.: 4 StR 506/02, BGHSt 48, S. 264, 265; BGH, Urt. v. 14.2.2002 - Az.: 4 StR 272/01, NStZ 2002, S. 429, 430). Nachdem zwischenzeitliche Gesetzesänderungen weitere Mitwirkungsmöglichkeiten u.a. bei in der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungen ermöglichten, wurde das Verfahren nach einer Ablehnung durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 (BGBl. I, S. 2121) grundlegend neu geregelt. Nach § 29 Abs. 1 StPO sind zwar weiterhin nur unaufschiebbare Handlungen gestattet; die Hauptverhandlung wird aber nach § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO gesetzlich als unaufschiebbar eingeordnet. Bis zur Entscheidung über die Ablehnung (Frist: zwei Wochen, Abs. 3) findet diese nun unter Mitwirkung des/der abgelehnten Richter/in statt. Wird die Ablehnung für begründet erklärt, ist der seit Anbringung des Ablehnungsgesuchs durchgeführte Teil der Hauptverhandlung zu wiederholen, es sei denn, dies ist nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand möglich (Abs. 4).

[33] Im Erzbergwerk der niedersächsischen Gemeinde Lengede fluteten am 24. Oktober 1963 nach einem Klärteicheinbruch Schlamm und Wasser eine Grube, in der sich 129 Arbeiter befanden. Einige von ihnen konnten sich selbst befreien oder wurden in den folgenden Tagen gerettet. 29 Bergleute starben. Das Grubenunglück wurde jedoch insbesondere durch das „Wunder von Lengede“ bekannt, bei dem wider Erwarten 14 Tage nach dem Einbruch die Rettung von elf Arbeitern gelang. Sie hatten ohne Licht und Nahrung in einem stillgelegten Bereich der Grube überlebt (Willeke, DIE ZEIT, Heft 43/2003, S. 84).

[34] Diether Posser (SPD) war von 1972 bis 1978 Justizminister in Nordrhein-Westfalen. Als solcher war er auch zuständig für die JVA Köln-Ossendorf, in der Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Astrid Proll zwischen 1971 und 1973 für unterschiedlich lange Zeiträume in Einzelhaft untergebracht waren. Die dortigen besonders harten Haftbedingungen wurden von Rechtsanwalt Ulrich Preuß als einem der ersten als „Folter“ bezeichnet. Anfang 1973 erstattete Preuß Strafanzeige gegen Posser (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 103 f.; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 96 f., 103 ff.).

[35] Als Blockverteidigung wurde die gemeinsame Verteidigung mehrerer Beschuldigter bezeichnet. Diese Form der Verteidigung wurde durch das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO), welches durch das Ergänzungsgesetz vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) eingeführt und am 1.1.1975 in Kraft trat, unzulässig. Zulässig ist seither nur noch eine abgestimmte Verteidigung, bei der zwar eine gemeinsame Verteidigungsstrategie entwickelt werden kann, jede/r Verteidiger/in aber nur eine/n Angeklagte/n vertreten darf (s. dazu OLG Düsseldorf, Beschl. vom 20.8.2002 - Az. 1 Ws 318/02, NJW 2002, S. 3267 ff.).

[36] Am 7. Verhandlungstag trug Rechtsanwalt Schily im Namen seiner Mandantin Gudrun Ensslin die Ablehnung des Vorsitzenden Dr. Prinzing wegen Besorgnis der Befangenheit vor (S. 640 bis 694 des Protokolls). Die Ablehnung stützte sich auf die Umstände, unter denen der frühere Mitbeschuldigte Holger Meins in der Untersuchungshaft verstorben war. Da der Senat ab Erhebung der öffentlichen Klage für Entscheidungen über die Haftbedingungen zuständig war (§ 126 Abs. 2 StPO), warfen die Angeklagten dem Senat, insbesondere aber dem Vorsitzenden Dr. Prinzing vor, Holger Meins ermordet bzw. sich hieran beteiligt zu haben. Die Bundesanwaltschaft wiederum warf Schily in ihrer Stellungnahme vor, an der „psychische[n] und physische[n] Vernichtung eines Richters“ mitzuwirken (S. 694 des Protokolls der Hauptverhandlung, 7. Verhandlungstag).

[37] § 244 Abs. 3-6 StPO enthalten die abschließenden Gründe, aus denen Beweisanträge abgelehnt werden können; die „Verfahrensfremdheit“ ist hier nicht explizit genannt. Die Rechtsprechung ordnet solche Anträge, die Zwecke verfolgen, die objektiv mit der Urteilsfindung nichts zu tun haben, bereits als rechtsmissbräuchlich ein und lehnt sie damit als unzulässig ab (aus der früheren Rechtsprechung: RG, Urt. v. 11.6.1886 - Az.: 1492/86, RGSt 14, S. 189, 193; RG, Urt. v. 8.6.1931 - Az.: II 511/31, RGSt 65, S. 304, 306; BGH, Urt. v. 12.12.1961 - Az.: 3 StR 35/61, BGHSt 17, S. 28, 29 ff.). Diese Rechtsprechung wird z.T. als nicht erforderlich oder sogar als mit der Systematik des Beweisantragsrechts unvereinbar kritisiert; stattdessen könnten die Fälle der Verfahrensfremdheit bereits mit den gesetzlich vorgesehenen Fallgruppen (z.B. Bedeutungslosigkeit für die Entscheidung oder Verschleppungsabsicht) sachgerecht gelöst werden (s. etwa Becker,in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 6, 27. Aufl. 2019, § 244 Rn. 276 f.; zum Vorwurf der Systemwidrigkeit s. Trüg/Habetha, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 244, Rn. 193).

[38] Anlage 1 zum Protokoll vom 31. Juli 1975: Ablehnung des Vorsitzenden Dr. Prinzing sowie der Richter Dr. Foth, Maier, Dr. Berroth und Dr. Breucker wegen Besorgnis der Befangenheit durch den Angeklagten Baader.

[39] Dienstliche Äußerung des Vorsitzenden Dr. Prinzing nebst Anlagen.

[40] Dienstliche Äußerung des Richters Dr. Foth.

[41] Dienstliche Äußerung des Richters Maier.

[42] Dienstliche Äußerung des Richters Dr. Berroth.

[43] Dienstliche Äußerung des Richters Dr. Breucker.

[44] Verfügung: Stellungnahmefrist und voraussichtliche Fortsetzung der Hauptverhandlung.

[45] Stellungnahme des Rechtsanwalts Dr. Heldmann zur dienstlichen Äußerung des Richters Dr. Breucker.


[a] Handschriftlich durchgestrichen: Heldmann

[b] Handschriftlich ersetzt: der durch die

[c] Handschriftlich ersetzt: diesem durch einem

[d] Handschriftlich ersetzt: versucht durch gebraucht

[e] Handschriftlich eingefügt: der

[f] Maschinell eingefügt: Uhr

[g] Handschriftlich ersetzt: Vorbehaltungen durch Vorbereitungen

[h] Handschriftlich ersetzt: auch durch noch

[i] Handschriftlich ersetzt: wagen durch sagen

[j] Handschriftlich ersetzt: ist durch sind

[k] Handschriftlich ersetzt: durch durch das

[l] Handschriftlich ersetzt: in dem durch um den

[m] Handschriftlich eingefügt: wir

[n] Handschriftlich ersetzt: dem durch das

[o] Handschriftlich ersetzt: weiter geht durch weitergehend

[p] Maschinell eingefügt: V.: (nach geheimer Umfrage) Beschluß:

[q] Handschriftlich eingefügt: 1

[r] Handschriftlich eingefügt: 1

[s] Handschriftlich eingefügt: 1

[t] Handschriftlich eingefügt: 1

[u] Maschinell durchgestrichen: gegen

[v] Handschriftlich eingefügt: 2

[w] Maschinell durchgestrichen: Behinderungen

[x] Handschriftlich eingefügt: 2

[y] Handschriftlich eingefügt: 2

[z] Handschriftlich eingefügt: 2

[aa] Handschriftlich ersetzt: entscheidend erheblichen durch entscheidungserheblichen

[bb] Handschriftlich eingefügt: 2

[cc] Handschriftlich eingefügt: 2

[dd] Handschriftlich durchgestrichen: seiner

[ee] Handschriftlich eingefügt: 2 7.

[ff] Handschriftlich eingefügt: 2

[gg] Handschriftlich eingefügt: 2

[hh] Handschriftlich eingefügt: des

[ii] Handschriftlich eingefügt: vernommenen

[jj] Handschriftlich eingefügt: 3

[kk] Handschriftlich eingefügt: 3

[ll] Handschriftlich eingefügt: 3

[mm] Handschriftlich eingefügt: 3

[nn] Handschriftlich ersetzt: Aufhörens durch Aufführens

[oo] Handschriftlich eingefügt: 3

[pp] Handschriftlich ersetzt: Grusikel durch Grusical

[qq] Handschriftlich eingefügt: 3

[rr] Handschriftlich eingefügt: 3

[ss] Handschriftlich eingefügt: 3

[tt] Handschriftlich ersetzt: unter durch und

[uu] Handschriftlich ergänzt: ihn

[vv] Handschriftlich eingefügt: 3

[ww] Handschriftlich eingefügt: 3

[xx] Handschriftlich ersetzt: ungleiche Behandlung durch Ungleichbehandlung

[yy] Handschriftlich ersetzt: hier durch mir

[zz] Handschriftlich ersetzt: sich in durch sie die

[aaa] Handschriftlich ersetzt: soll ein durch sondern

[bbb] Handschriftlich ersetzt: der durch den

[ccc] Handschriftlich ergänzt: Entscheidungen

[ddd] Maschinell eingefügt: als

[eee] Handschriftlich ersetzt: seines durch meines

[fff] Handschriftlich ersetzt: haben durch brauchen

[ggg] Maschinell eingefügt: aus der

[hhh] Handschriftlich ergänzt: immanente

[iii] Handschriftlich ersetzt: ... durch Replik

[jjj] Handschriftlich eingefügt: das

[kkk] Maschinell eingefügt: darüber

[lll] Handschriftlich ersetzt: Wenn durch Will

[mmm] Handschriftlich ersetzt: den Angeklagten durch alle Angeklagte

[nnn] Handschriftlich ersetzt: ... durch rauf in

[ooo] Handschriftlich ersetzt: im durch eben

[ppp] Handschriftlich ersetzt: des durch da

[qqq] Handschriftlich durchgestrichen: bildete