173. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 18. Januar 1977, 9.02 Uhr



[13188] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 18. Januar 1977, 9.02 Uhr

(173. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft - mit Ausnahme von Reg. Dir. Widera - erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte sind anwesend:

JOS Janetzko

JAss. Clemens.

Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]

Als deren Verteidiger sind anwesend, Rechtsanwälte

Eggler, Künzel, Schnabel, Schwarz, Schlaegel und Grigat.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort.

Zunächst, die Verteidigung ist gewährleistet.

Bei der Verteidigung haben sich folgende Veränderungen gegeben. Herrn Rechtsanwalt Dr. Heldmanns Bestellung zum Pflichtverteidiger[2] ist aufgehoben worden.[3] Herr Baader hat daraufhin schriftlich mitgeteilt, daß das Mandat von Frau Rechtsanwältin Tilgner beendet sei. Sie scheidet somit aus dem Kreis der Wahlverteidiger aus,[4] und an ihre Stelle trete Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann. Es ist dem Senat noch nicht offiziell mitgeteilt, ob Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann das Wahlmandat übernimmt.

Es ist noch in der letzten Sitzung bekanntgegeben worden, daß ein Aussetzungsantrag gestellt werden würde. Der Senat hat den Aussetzungsantrag am Freitagmorgen mit Begründung bekommen und folgenden Beschluß gefaßt, den ich hiermit bekanntgebe - er stammt vom 14. Januar 1977 -:

Der Vorsitzende gibt den Beschluß vom 14. Januar 1977 bekannt.

Eine Fotokopie dieses Beschlusses wird als Anlage 1 dem Protokoll beigefügt.

Wir stehen wieder am selben Punkte wie am Schluß des letzten Verhandlungstages. Es sind sämtliche Beweisanträge, [13189] sämtliche gestellten Anträge erledigt. Weitere Anträge liegen nicht vor. Es wäre allenfalls daran zu denken, wenn darauf Wert gelegt würde - es ist mir bekannt, daß Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann im Hause ist - aber ich bin der Meinung, er weiß, daß es auf das Ende der Beweisaufnahme wieder zugeht und er weiß auch, daß die Sitzung um 9.00 Uhr begonnen hat, so daß ich persönlich keinen Anlass sehe, noch nachzufragen, was Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann beabsichtigt. Wenn daher jetzt keine Anträge mehr gestellt sind, gehe ich davon aus, daß auch die übrigen Prozeßbeteiligten alle Anträge als erledigt betrachten und schließe ...

Herr Rechtsanwalt Schwarz, bitte.

RA Schw[arz]:

Herr Vorsitzender, ich würde Wert darauf legen, daß jetzt geklärt wird, ob Herr Dr. Heldmann Vollmacht vorlegt oder nicht. Er ist entpflichtet, ist im Haus, ich muß also zunächst davon ausgehen, daß er in seiner Verteidigereigenschaft im Haus ist, sonst wüsste ich nicht, was er hier im Haus tun würde. Ich würde also bitten, schon zur eigenen Vorbereitung, daß diese Frage noch geklärt wird.

Vors.:

Es ist so, es liegt hier eine Vollmacht für ihn vor von Herrn Baader, das ist klar; er hat ja mitgeteilt, anstelle von Frau Rechtsanwältin Tilgner trete Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann als Wahlverteidiger, so daß er befugt ist, aufgrund dieses Schreibens die Besuche durchzuführen.

RA Schw[arz]:

Wenn diese Frage geklärt ist, ist meine Anregung überflüssig.

Vors.:

Ja, die Frage ist geklärt; das ist eine wirksame Vollmacht, die zwar nicht die üblichen Formalitäten enthält, aber im übrigen als Vollmacht zu betrachten ist - es ist ein Originalschreiben - datiert und unterschrieben von Herrn Baader. Die Frage ist also geklärt.

Der Vorsitzende schließt hierauf erneut die Beweisaufnahme.

Ich möchte jetzt darauf hinweisen, daß jetzt die Bundesanwaltschaft Gelegenheit hat, nochmals abschließend zu den Schlußvorträgen Ergänzungen[5] vorzutragen und daß der Senat auch bei dem Beginn der erneuten Schlußvorträge, wie bisher, die Anwesenheit der Angeklagten nicht für unerläßlich hält.[6] [13190-13193][7] [13194] Sind Sie imstande, sogleich mit Ihrem Vortrag zu beginnen, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder?

BA Dr. Wu[nder]:

Nein, Herr Vorsitzender. Mir erscheint die augenblickliche Prozeßlage, weil die gewählten Verteidiger noch nicht anwesend sind, doch noch etwas zu unbestimmt, um jetzt gleich nach dem Schließen der Beweisaufnahme abschließend und ergänzend zu plädieren. Ich erlaube mir die Bitte, doch noch etwas zuzuwarten, vielleicht eine Stunde - dieser Zeitraum würde mir genehm sein - zumal ja bekannt ist, daß Herr Rechtsanwalt Schily im allgemeinen erst gegen 9 ½ Uhr kommt; und gerade heute hielt ich es zweckmäßig, tatsächlich erst dann mit einem ergänzenden, abschließenden Plädoyer zu beginnen, wenn mit Sicherheit davon auszugehen ist, daß als nächste Prozeßhandlung die Plädoyers der Verteidiger heranstehen.

Ich bitte, dieser Bitte zu entsprechen.

Vors.:

Angesichts dieser Bitte, die sicher nicht zwingenden Inhalts ist, halte ich es für gut, daß wir uns um 10.00 Uhr wieder hier treffen. Wenn bis dahin keine Veränderungen eingetreten sind, bitte ich Sie dann, Ihre Schlußworte zu finden.

BA Dr. Wu[nder]:

Ja.

Vors.:

10.00 Uhr Fortsetzung.

Pause von 9.12 Uhr bis 10.05 Uhr

Bei Fortsetzung der Hauptverhandlung sind RAe. Schily und Dr. Heldmann nunmehr auch anwesend.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort.

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann hat durch Schriftsatz mitgeteilt, daß er das Wahlmandat für Herrn Baader übernommen hat.

Herr Rechtsanwalt Schily hat mitteilen lassen, er beabsichtige, einen Antrag zu stellen.

Sie haben das Wort.

[13195] Rechtsanwalt Schily verliest nunmehr die aus Anlagen 2 - 4 des Protokolls ersichtlichen Ablehnungsanträge[8] - mit Ausnahme der beigefügten eidesstattlichen Versicherungen - die anschließend übergeben und dem Protokoll als Anlagen beigefügt werden.

Am Ende des dem Protokoll als Anlage 4 beigefügten Ablehnungsantrags erklärt RA Schily anstelle des handschriftlich eingefügten Satzes:

„Von dem vorstehenden Sachverhalt hat die Angeklagte Ensslin erst heute von dem Unterzeichneten Kenntnis erlangt, was der Unterzeichnete anwaltlich versichert.“

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich schließe mich für Herrn Baader den Anträgen und ihren Begründungen wie den Mitteln der Glaubhaftmachung[9] an.

Vors.:

Sonstige Wortmeldungen zu diesen Anträgen?

Sehe ich nicht.

Die Bundesanwaltschaft will sicher auf die Stellungnahmen warten.

BA Dr. Wu[nder]:

Ja.

Vors.:

Um 11.00 Uhr bitte ich die Prozeßbeteiligten wieder anwesend zu sein. Es wird dann bekanntgegeben, wie es weitergeht.

Die Sitzung wird um 10.18 Uhr unterbrochen.

Ende Band 780

[13196-13199][10] [13200-13205][11] [13206-13207][12]


[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 – Az.: 1 StE 1/74 – StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).

[2] In den Fällen der notwendigen Verteidigung ist die Mitwirkung eines Verteidigers oder einer Verteidigerin gesetzlich vorgeschrieben (§ 141 StPO a.F.; seit dem 13.12.2019 [Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019, BGBl. I, S. 2128] ist die Bestellung in manchen Fällen von einem Antrag des/der Beschuldigten abhängig, § 141 Abs. 1 StPO). Die notwendige Verteidigung ergab sich in diesem Verfahren daraus, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht stattfand (§ 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO) und dem Vorwurf eines Verbrechens (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO; ein Verbrechen liegt vor bei einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr, § 1 Abs. 1 StGB a.F.; heute: § 12 Abs. 1 StGB), sowie der Inhaftierung der Beschuldigten für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO a.F.; heute ist die zeitliche Vorgabe entfallen). Auch zuvor gewählte Verteidiger/innen können als Pflichtverteidiger/innen bestellt werden. Für einige der sog. Vertrauensverteidiger/innen war dies geschehen; nach zwischenzeitlichen Entpflichtungen traf das zu diesem Zeitpunkt nur noch auf Rechtsanwalt Schily (für die Angeklagte Ensslin) zu.

[3] Die Zurücknahme der Bestellung als Pflichtverteidiger/in (Entpflichtung) war ausdrücklich nur für den Fall vorgesehen, dass demnächst ein/e andere/r Verteidiger/in gewählt wird und diese/r die Wahl annimmt (§ 143 StPO a.F.; heute: § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO). Überwiegend wurde aber angenommen, dass die Zurücknahme der Bestellung auch über diesen Fall hinaus aus einem wichtigen Grund zulässig ist (BVerfG, Beschl. v. 8.4.1975 – Az.: 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, S. 238, 244). Als wichtiger Grund wurde auch die grobe Pflichtverletzung nach voriger Abmahnung gesehen; bloßes prozessordnungswidriges oder unzweckmäßiges Verhalten reicht hingegen nicht aus, da es nicht Aufgabe des Gerichts ist, die ordnungsgemäße Erfüllung der Verteidigungspflichten zu überwachen (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 143a Rn. 25 ff.; s. auch Kleinknecht, Strafprozeßordnung, 32. Aufl. 1975, § 143 Anm. 3). Seit dem 13.12.2019 enthält § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO (eingeführt durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019, BGBl. I, S. 2128) ausdrücklich die Möglichkeit der Entpflichtung, wenn „aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist“. Darunter fällt nun auch der Fall der groben Pflichtverletzung (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 143a Rn. 26).

[4] Mit dem Ergänzungsgesetz zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) wurde, neben weiteren Reformen, durch die die Rechte der Angeklagten sowie der Verteidigung eingeschränkt wurden, u.a. eine Beschränkung der Zahl der Wahlverteidiger/innen auf drei eingeführt (§ 137 Abs. 1 Satz 2 StPO). Da viele der Vorschriften im Hinblick auf das anstehende Stammheimer Verfahren beschlossen wurden, wurden sie auch als „lex RAF“ kritisiert. (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 132 ff.; s. zu den Reformen auch Tenfelde, Die Rote Armee Fraktion und die Strafjustiz, 2009, S. 72 ff.).

[5] Der Vorsitzende Dr. Prinzing hatte die Beweisaufnahme bereits am Ende des 148. Verhandlungstages geschlossen (S. 11767 des Protokolls der Hauptverhandlung) und die Bundesanwaltschaft ab dem 149. Verhandlungstag plädiert. Auch nach Schließung der Beweisaufnahme bleibt jedoch ein Wiedereintritt möglich. Die Verfahrensbeteiligten haben bis zum Beginn der Urteilsverkündung das Recht, Beweisanträge zu stellen, das Gericht ist zur Entgegennahme verpflichtet (BGH, Urt. v. 3.8.1966 – Az.: 2 StR 242/66, BGHSt 21, S. 118, 123). Der Wiedereintritt wird – auch konkludent – angenommen, sobald Verfahrensvorgänge durchgeführt werden, die für die Sachentscheidung des Gerichts von Bedeutung sein können; dies sind insbesondere Prozesshandlungen, die in den Bereich der Beweisaufnahme fallen, aber auch wenn sonst der Wille des Gerichts erkennbar wird, es wolle mit den Prozessbeteiligten in der Beweisaufnahme fortführen. Dies kann bereits bei der Erörterung von Anträgen der Fall sein (BGH, Beschl. v. 5.2.2019 – Az.: 3 StR 469/18, NStZ 2019, S. 426 f. m.w.N.).

[6] Die Fortführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten in den Fällen ihrer vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsfähigkeit (s. bereits Fn. 1), ist nur zulässig, soweit das Gericht ihre Anwesenheit nicht für unerlässlich hält (§ 231a Abs. 1 StPO).

[7] Anlage 1 zum Protokoll vom 18.1.1977: Senatsbeschluss vom 14. Januar 1977 (Ablehnung des Aussetzungsantrages).

[8] Gemäß § 24 Abs. 1 StPO können Richter/innen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Die Ablehnung findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters/einer Richterin zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO).

[9] Der Grund, aus welchem Richter/innen abgelehnt werden, muss nach § 26 Abs. 2 Satz 1 StPO glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht sie für überwiegend wahrscheinlich hält (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 26 Rn. 7). Die Glaubhaftmachung erfordert damit eine geringere Form der Überzeugung als der sog. Vollbeweis. Die Glaubhaftmachung genügt nur dort, wo das Gesetz sie ausdrücklich zulässt. Mittel der Glaubhaftmachung kann auch das Zeugnis des/der abgelehnten Richter/in sein (§ 26 Abs. 2 Satz 3 StPO).

[10] Anlage 2 zum Protokoll vom 18.1.1977: Ablehnung des Vorsitzenden Dr. Prinzing durch die Angeklagte Ensslin vom 18. Januar 1977.

[11] Anlage 3 zum Protokoll vom 18.1.1977: Ablehnung des Vorsitzenden Dr. Prinzing durch die Angeklagte Ensslin vom 18. Januar 1977 inkl. zweier eidesstattlicher Erklärungen.

[12] Anlage 4 zum Protokoll vom 18.1.1977: Ablehnung der Richter Dr. Foth, Maier, Dr. Breucker und Dr. Berroth durch die Angeklagte Ensslin vom 17. Januar 1977.