171. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Montag, den 10. Januar 1977 um 10.00 Uhr



[13133] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Montag, den 10. Januar 1977 um 10.00 Uhr

(171. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft - mit Ausnahme von Reg. dir. Widera - erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag

Als Urkundsbeamte sind anwesend:

Just. Ass. Clemens

Just. Ass. Scholze.

Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]

Als deren Verteidiger sind erschienen, Rechtsanwälte Schily, Dr. Augst (als Vertreter von RA Eggler), Künzel, Schnabel, Schwarz, Schlaegel und Grigat.

Vors.:

Wir können die Sitzung fortsetzen.

Die Pflichtverteidigung[a] - mit Ausnahme von Herrn Rechtsanwalt Dr. Heldmann - vollzählig. Herr Dr. Augst: Vertretung für Herrn Rechtsanwalt Eggler.

Rechtsanwalt Dr. Heldmann erscheint um 10.00 Uhr im Sitzungssaal.[b]

Zeugen sind noch nicht da. Ich vermute auch nach dem, was ich gelesen habe, gehört habe in den Nachrichten, daß zunächst Herr Rechtsanwalt Schily das Wort[c] wünscht ...

RA Schi[ly]:

Ich bitte ums Wort, ja.

Vors.:

Bitte.

Rechtsanwalt Schily verliest nunmehr den aus Anlage 1 des Sitzungsprotokolls ersichtlichen Antrag, der anschließend übergeben und dem Protokoll beigefügt wird.

Vors.:

Weitere Wortmeldungen zum Antrag?

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Herr Baader schließt sich diesem Antrag und seiner Begründung selbstverständlich an.

[13134] Vors.:

Sonst sehe ich keine Wortmeldungen. Man wird diesen Antrag[2] nicht als unzulässig[3] behandeln können; deswegen frage ich gar nicht, ob Stellungnahme abgegeben wird. Ich will dazu eine dienstliche Erklärung abgeben; die wird vorliegen, die dienstliche Erklärung, wenn sie abgegeben werden soll, wenn nicht ohnedies andere Gesichtspunkte dazu gebracht werden. Oder wollten Sie sich äußern, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder? Ich wollte Ihnen das Wort nicht abschneiden.

BA Dr. Wu[nder]:

Nein, Herr Vorsitzender, ich wollte nur sagen: Die hier aufgestellten Behauptungen lassen es natürlich angezeigt erscheinen, daß sie sorgfältig geprüft werden. Und nach Ihrer dienstlichen Äußerung würden wir deshalb um eine etwas längere Pause als sonst gebeten haben.

Vors.:

Gerne.

Ich bitte um 10.45 Uhr wieder hier im Saal zu sein, die Prozeßbeteiligten. Es wird dann bekanntgegeben, wie es weitergeht; voraussichtlich ist jedenfalls dann mit der Übergabe meiner dienstlichen Erklärung zu rechnen.

Pause von 10.14 Uhr bis 15.54 Uhr

Bei Fortsetzung der Hauptverhandlung: RA Schlaegel ist nicht mehr anwesend.

Rechtsanwalt Weidenhammer ist nunmehr auch anwesend.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort.

Ich bitte die Prozeßbeteiligten um Verständnis. Wir haben die Stellungnahmen, d. h. der Senat, die zuständigen Herren, um 13.30 Uhr bekommen, es ist also nicht viel Zeit.

RA Schi[ly]:

Ich bitte um eine Pause.

Ich bitte um eine Pause, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Darf ich fragen zu welchem Grunde?

RA Schi[ly]:

Ihre Äußerung: „Wir haben die Stellungnahme erhalten“, [d] gibt zu Überlegungen Anlaß, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, darf ich darauf hinweisen: Nach rechtlichen Bestimmungen ist in dem Augenblick, in dem dem abgelehnten Richter der Beschluß bekanntgegeben wird, daß die Ablehnung nicht durchgreift, er wieder voll Mitglied [13135-13141][4] [13142-14145][5] [13146-13147][6] [13148-13155][7] [13156-13157][8] [13158][9] [13159][10] [13160] des Senates.[11] Er kann also jederzeit, auch in dieser Form von „wir“ sprechen, weil er wieder zum Senat gehört ...

RA Schi[ly]:

Um 13 ...

Vors.:

Vielleicht läßt das ...

RA Schi[ly]:

Um 13.30 Uhr, Herr Vorsitzender?

Vors.:

Nein, ich habe jetzt gesagt, „wir“, der Senat hat um 13.30 Uhr die Stellungnahmen bekommen. Sie haben um Verlängerung gebeten. Gemeint war damit der Senat, zu dem ich mich wieder zählen kann, seit ich diesen Beschluß gesehen habe. Insofern, glaube ich, haben Sie keine Gründe, in dieser Form nun auf eine Pause zu drängen. Doch wollte ...

RA Schi[ly]:

Ich habe Gründe, Herr Vorsitzender, und ich bitte um eine Pause. Ich möchte dann Überlegungen dazu anstellen, 5 Minuten.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, jetzt werde ich zunächst diesen Beschluß bekanntgeben.

RA Schi[ly]:

Ja, nein, das ist ja eine unaufschiebbare Handlung,[12] Herr Vorsitzender.

Vors.:

Ja, aber so lange hat es auf jeden Fall Zeit.

RA Schi[ly]:

Nein, das hat keine Zeit; 5 Minuten Pause bitte.

Vors.:

Nein, nein, ich bitte Sie jetzt um Verständnis. Jetzt werde ich den Beschluß bekanntgeben. Ich wollte nur aus Höflichkeit den Beteiligten klarmachen, warum sich die Zeit etwas verzögert hat. Sie hindern mich daran. Jetzt komme ich zum Beschluß.

Der Vorsitzende verliest den Beschluß vom 10. Januar 1977, der als Anlage 2 dem Protokoll beigefügt wird.

RA Schi[ly]:

... bestehen, Herr Vorsitzender,

Vors.:

Auf was bestehen?[e]

RA Schi[ly]:

Welche Namen unter diesem Beschluß sich befinden?

Vors.:

Dr. Foth, Maier, Dr. Berroth; das sind die berufenen Richter.

RA Schi[ly]:

Ja, dann habe ich folgendes zu Protokoll zu erklären:

Namens der Angeklagten Ensslin werden die Richter am Oberlandesgericht Dr. Foth, Maier und Dr. Berroth wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

[13161] Namens der Angeklagten Ensslin wird das Ablehnungsgesuch wie folgt begründet:

Zunächst wird der gesamte Sachverhalt, der heute vormittag mit dem Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Prinzing vorgetragen worden ist, einschließlich der Glaubhaftmachung[13] zum Gegenstand dieses Ablehnungsgesuches gemacht.

Zur weiteren Begründung wird ausgeführt: Die abgelehnten Richter haben sich mit dem soeben verkündeten, empörenden und aller Rechtsstaatlichkeit hohnsprechenden Beschluß, das Verhalten des abgelehnten Richters Dr. Prinzing zu Eigen gemacht.

Glaubhaftmachung: Die heutige Sitzungsniederschrift und dienstliche Erklärungen der abgelehnten Richter.

Im übrigen ist aus der Eingangsbemerkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Prinzing, der darauf verwiesen hat; „Wir“ hätten eine Stellungnahme erhalten, und seitens der Verteidigung sei auch um eine Verlängerung der Frist für die Stellungnahme nachgesucht worden unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der abgelehnte Richter offenkundig bei seiner dienstlichen Erklärung auch bereits eine Verfügung hinsichtlich der Fristsetzung zur Stellungnahme diktiert hatte, den Verdacht aufkommen, daß zwischen den abgelehnten Richtern Dr. Foth, Maier und Dr. Berroth einerseits und dem abgelehnten Richter Dr. Prinzing andererseits Beeinflussungen bei der Beschlußfassung über das Ablehnungsgesuch gegen Dr. Prinzing stattgefunden haben.

Zur Glaubhaftmachung wird auf dienstliche Erklärungen der abgelehnten Richter Bezug genommen, sowie auf die dienstliche Erklärung des abgelehnten Richters Dr. Prinzing und die Verfügung, die sich darunter befindet.

Vors.:

Darf ich fragen: Bin ich auch abgelehnt? Sie ...

RA Schi[ly]:

Ich komme darauf, ich komme darauf.

Im übrigen lehnt die Angeklagte Ensslin auch aus dem gleichen Grunde den abgelehnten Richter, den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Prinzing wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Zur Begründung wird auf die zuletzt vorgetragenen Tatsachen unter Wiederholung der heute vormittag vorgetragenen [13162-13164][14] [13165] Tatsachen Bezug genommen.

Und auch wiederum zur Glaubhaftmachung des vorgetragenen Sachverhalts auf[f] eine dienstliche Erklärung des abgelehnten Richters Dr. Prinzing Bezug genommen.

Vors.:

Weitere Wortmeldungen?

Herr Rechtsanwalt Weidenhammer.

RA Wei[denhammer]:

Dem Ablehnungsgesuch schließe ich mich für den Angeklagten Raspe an.

Es wird Bezug genommen auf die heute vormittag vorgetragenen Gründe zum Ablehnungsgesuch von Frau Ensslin.

Zur Unverzüglichkeit: Der Angeklagte Raspe hat erst heute nachmittag von den Ablehnungsgründen Kenntnis erhalten. Weiter zur Glaubhaftmachung wird Bezug genommen auf die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden Richters.

2. ... Zur Unverzüglichkeit erfolgt weiter, anwaltliche Versicherung.

2. Der Angeklagte Raspe lehnt den Richter Dr. Foth wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Der abgelehnte Richter hat im 3. Strafsenat beim Oberlandesgericht Stuttgart am 2.11.1971 an einem Beschluß mitgewirkt, neben zwei anderen Richtern, in welchem von der „Baader-Meinhof-Bande“ gesprochen wird.

Az.: 3 Ws 288/71

Glaubhaftmachung: Dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters.

1. Der Ausdruck „Baader-Meinhof-Bande“ ist ein nicht-juristischer Begriff, welchen als Bundesinnenminister Herr Genscher in Umlauf gesetzt hat, z. B. in der „Frankfurter Rundschau“ vom 15.2.1971 und in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 15.2.1971, den vorzugsweise dann die Springer-Presse verwendet hat.

Der hier erkennende Senat hat diesen[g] Ausdruck wohlweislich nie benutzt. „Bande“ soll im allgemeinen Sprachgebrauch, laut Duden, Gaunerschar bedeuten. Der von ihm abgeleitete Begriff „Bandit“ soll Straßenräuber, Gauner bedeuten. Und im Strafgesetzbuch findet sich dieser Begriff lediglich in den §§ 244 und 250[ StGB], wo von Bandendiebstahl gehandelt wird. [13166] In den Strafrechtslehrbüchern finden wir den Begriff lediglich in dem längst antiquierten Lehrbuch von Liszt, hier zitiert nach der 20. Auflage von 1914. Danach ist Bande die auf Begehung mehrerer, noch nicht einzeln bestimmter Verbrechen gerichtete Verbindung - S. 220 -. In neueren Lehrbüchern gibt es diesen Begriff nicht (vgl. hierzu Metzger, Maurer, Baumann, Jescheck und Schmidhäuser).[15] Das Landgericht Bamberg hat den Gebrauch dieses Ausdrucks als Beleidigung und Verunglimpfung verurteilt nach den §§ 185 und 90b StGB.

„Die Bezeichnung der Bundesregierung als „Rasselbande“ stellt eine Verunglimpfung dar.“

Urteil vom 20.11.1952, abgedruckt in der NJW von 1953, Seite 675.

Die Anklage gegen Jan-Carl Raspe wegen krimineller Vereinigung, datiert erst rund 3 Jahre später als jener Beschluß vom 2.11.1971, nämlich vom 26.9.74.

Ziff. 2: Die Befangenheit ist ein innerer Zustand des Richters, der seine vollkommen gerechte, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache, seine Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten beeinträchtigen kann. (Zitat nach Dünnebier in Löwe-Rosenberg 23. Aufl. 1976 § 24 Anm 4.)

Die Bezeichnung einer Personenmehrheit als „Bande“ ist eine Beleidigung, jedenfalls solange, als nicht entsprechende Feststellungen in einem Gerichtsurteil getroffen und rechtskräftig geworden sind. In der Verwendung des Begriffs „Baader-Meinhof-Bande“ in einem richterlichen Beschluß vom 2.11.1971 liegt eine Kriminalisierung ohne justizielles Verfahren. Das ist eine Vorverurteilung. Weiter liegt darin ein vorweggenommenes Absprechen politischer Motivationen und Intensionen für diesen Personenzusammenschluß.[16]

Noch am 2.6.1972 hat Prof. Gollwitzer erklärt: „Wer sich über die Bomben bei uns erregt, nicht aber über die jahrelangen amerikanischen Massenbombardierungen in Vietnam,[17] heuchelt - die verbreitete Heuchelei ist geeignet, junge Menschen wahnsinnig zu machen. Wer das nicht versteht, ist als akademischer Lehrer fehl am Platze.“ Darum. „Die intellektuelle Verantwortlichkeit für die Bombenanschläge ist bei denen zu suchen, die seit Jahren den über das vietnamesische [13167] Volk herabregnenden Bombenmord rechtfertigen. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn dann einige aus der Bahn geratene Leute auch hierzulande meinen, Bomben rechtfertigen zu können.“ (Zitat nach „Frankfurter Rundschau“ 2.6.72, S. 2).

Schließlich hat der abgelehnte Richter mit der richterlichen Verwendung des Begriffs „Baader-Meinhof-Bande“ schon 3 ½ Jahre vor Beginn dieses Prozesses zu erkennen gegeben, daß er in seinem richterlichen Urteil von der damals kursierenden öffentlichen Verdammung, etwa durch Genscher, Springer u. a. zum Nachteil auch des heutigen Angeklagten Raspe beeinflusst war. In seinem Revisionsbeschluß vom 5.5.1976 hat der Bundesgerichtshof wieder hervorgehoben: „Wenn ein Richter einen Verdacht bereits als mehr oder minder feststehende Tatsache wiedergab, ehe das vom Gesetz für die Bildung einer dahingehenden Überzeugung vorgesehene rechtsstaatlich geordnete Verfahren mit eingehender Würdigung der Beweise in mündlicher Verhandlung hinreichend gediehen war, so konnte der Angeklagte auch bei vernünftiger Beurteilung Grund zu der Annahme haben, der Richter nehme ihm gegenüber eine nicht mehr ganz unvoreingenommene und unparteiliche Haltung ein.“ (Zitat abgedruckt in der NJW 1976, Seite 1462).

Zur Unverzüglichkeit: Ich versichere anwaltlich, daß ich selbst, wie der Angeklagte Raspe, von dem Beschluß vom 2.11.1971 der Richter Dr. Foth, Dr. Joos und König erst heute Kenntnis erhalten habe.

Vors.:

Dürften wir nochmal um das Aktenzeichen bitten. 3 Ws ...

RA Wei[denhammer]:

3 Ws 288/71.

Vors.:

Danke.

Weitere Wortmeldungen? Sehe ich nicht.

Will sich die Bundesanwaltschaft äußern?

Bitte, Herr Bundesanwalt Zeis.

OStA Z[eis]:

Die Bundesanwaltschaft beantragt,

das Ablehnungsgesuch oder besser gesagt, die Ablehnungsgesuche als unzulässig zu verwerfen.

Was mit diesen neuerlichen Anträgen bezweckt wird, beweist die Formulierung, wonach es sich bei dieser Entscheidung um [13168] eine empörende, aller Rechtsstaatlichkeit hohnsprechenden Beschluß handeln soll. Das stellt wieder einmal mehr sich als ein Dokument dar dessen, was Sie, Herr Rechtsanwalt Schily, an Achtung diesem Gericht gegenüber aufbringen. Was mit dem „wir“ gemeint war, hat der Vorsitzende eben schon dargelegt; daraus ein Ablehnungsgesuch zu konstruieren, ist abwegig.

Auf die nicht unbedingt aus sich heraus verständlichen Äußerungen des Herrn Rechtsanwalt Weidenhammer, versage ich es mir näher einzugehen. Ich kann mich allerdings nicht des Eindrucks erwehren, daß er versehentlich das falsche Schriftstück hier vorgetragen hat.

Alles in allem beantragt die Bundesanwaltschaft, gem. § 26a, Abs. 1, Ziff 3 StPO[18] ...

RA Wei[denhammer]:

Ihre Eindrücke sind nicht Gegenstand Ihrer Beanstandung.

OStA Z[eis]:

... die Ablehnungsgesuche als unzulässig zu verwerfen.

Vors.:

Ich bitte um 16.45 Uhr ... d. h. Herr Rechtsanwalt Schily, Sie haben heute uns zwei Zeugen präsentiert, sie sind anwesend: Wir müssen natürlich jetzt wegen der Zeugen, das halte ich für unaufschiebbar, noch fragen: Ist Aussicht oder wollen Sie heute noch mit der Vernehmung der Zeugen beginnen?

RA Schi[ly]:

Nein.[h]

Vors.:

Dann würden wir die Zeugen verständigen lassen, daß wir sie bitten auf morgen zu disponieren, einverstanden?

RA Schi[ly]:

Nein.

Vors.:

Sondern?

RA Schi[ly]:

Ich habe ... keine Fragen an die Zeugen und ich[i] werde die Zeugen zu einem späteren Zeitpunkt laden.

Vors.:

Also Sie verzichten oder ...

RA Schi[ly]:

Ich verzichte auf gar nichts, sondern ich erkläre, daß ich die Zeugen auf einen späteren Zeitpunkt laden werde.

Vors.:

Also Sie wollen sie heute nicht mehr präsentieren?

RA Schi[ly]:

Nein.

Vors.:

Gut, wir müssen ja auch erfahren, wie es weitergeht.

Um 16.45 Uhr bitte ich wieder anwesend zu sein.

[13169] Um 16.45 Uhr gab Just. Ass. Clemens durch Verlesen der dem Protokoll als Anlage 3 beigefügten Verfügung des R.a.OLG Dr. Breucker das Ende des 171. Verhandlungstages bekannt.

[13170][19]


[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 – Az.: 1 StE 1/74 – StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).

[2] Es handelte sich um eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 24 Abs. 1 StPO). Die Ablehnung findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters/einer Richterin zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO).

[3] § 26a Abs. 1 StPO benennt die Fälle, in denen eine Ablehnung als unzulässig zu verwerfen ist, nämlich bei Verspätung der Ablehnung (Nr. 1), wenn ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht oder nicht innerhalb einer bestimmten Frist benannt wird (Nr. 2) sowie wenn durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen (Nr. 3).

[4] Anlage 1 zum Protokoll vom 10. Januar 1977: Ablehnung des Vorsitzenden Dr. Prinzing durch die Angeklagte Ensslin vom 10. Januar 1977.

[5] Dienstliche Erklärung des Vorsitzenden Dr. Prinzing vom 10. Januar 1977.

[6] Stellungnahme der Bundesanwaltschaft vom 10. Januar 1977.

[7] Stellungnahme des Rechtsanwalts Schily zur dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden Dr. Prinzing.

[8] Schreiben des RiBGH Mayer an den Chefredakteur der „Welt“ Dr. Kemp vom 20. Juli 1976.

[9] Auszug des Protokolls vom 125. Verhandlungstag mit handschriftlichen Notizen des Vorsitzenden Dr. Prinzing.

[10] Mitteilung des Rechtsanwalts Schily vom 10. Januar 1977 über die Versetzung des RiBGH Mayer.

[11] Eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit hatte nach damaliger Rechtslage zur Folge, dass der/die abgelehnte Richter/in vorläufig amtsunfähig wurde und damit ab dem Zeitpunkt der Ablehnung nicht mehr an Entscheidungen mitwirken durfte; eine Ausnahme galt nur für unaufschiebbare Handlungen (§ 29 StPO a.F.). Unaufschiebbar ist eine Handlung dann, wenn sie wegen ihrer Dringlichkeit nicht aufgeschoben werden kann, bis ein/e Ersatzrichter/in eintritt (BGH, Beschl. v. 3.4.2003 – Az.: 4 StR 506/02, BGHSt 48, S. 264, 265; BGH, Urteil vom 14.2.2002 – Az.: 4 StR 272/01, NStZ 2002, S. 429, 430). Nachdem zwischenzeitliche Gesetzesänderungen weitere Mitwirkungsmöglichkeiten u.a. bei in der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungen ermöglichten, wurde das Verfahren nach einer Ablehnung durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 (BGBl. I, S. 2121) grundlegend neu geregelt. Nach § 29 Abs. 1 StPO sind zwar weiterhin nur unaufschiebbare Handlungen gestattet; die Hauptverhandlung wird aber nach § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO gesetzlich als unaufschiebbar eingeordnet. Bis zur Entscheidung über die Ablehnung (Frist: zwei Wochen, Abs. 3) findet diese nun unter Mitwirkung des/der abgelehnten Richter/in statt. Wird die Ablehnung für begründet erklärt, ist der seit Anbringung des Ablehnungsgesuchs durchgeführte Teil der Hauptverhandlung zu wiederholen, es sei denn, dies ist nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand möglich (Abs. 4).

[12] Die Ablehnung von Richter/innen wegen Besorgnis der Befangenheit muss in diesem Stadium der Hauptverhandlung unverzüglich, also „ohne eine nicht durch die Sachlage begründete Verzögerung“ (BGH, Urt. v. 10.11.1967 – Az.: 4 StR 512/66, BGHSt 21, S. 334, 339) erfolgen; andernfalls wäre sie nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO wegen Verspätung als unzulässig zu verwerfen. Zulässig ist allerdings, zunächst noch abzuwarten, ob sich der Eindruck der Befangenheit verfestigt (OLG München, Beschl. v. 22. 11. 2006 – Az.: 4 St RR 182/06, NJW 2007, S. 449, 451).

[13] Der Grund, aus welchem Richter/innen abgelehnt werden, muss nach § 26 Abs. 2 Satz 1 StPO glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht sie für überwiegend wahrscheinlich hält (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 26 Rn. 7). Die Glaubhaftmachung erfordert damit eine geringere Form der Überzeugung als der sog. Vollbeweis. Die Glaubhaftmachung genügt nur dort, wo das Gesetz sie ausdrücklich zulässt. Mittel der Glaubhaftmachung kann auch das Zeugnis des/der abgelehnten Richter/in sein (§ 26 Abs. 2 Satz 3 StPO).

[14] Anlage 2 zum Protokoll vom 10. Januar 1977: Senatsbeschluss vom 10. Januar 1977 (Zurückweisung der Ablehnung als unbegründet).

[15] Als gesetzliches Merkmal findet sich der Begriff der „Bande“ bis heute in den §§ 244, 250 StGB. Dabei handelt es sich um den Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die sich zur fortgesetzten Begehung einer unbestimmten Anzahl an (Raub- oder Diebstahls-) Straftaten verbunden haben (BGH, Beschl. v. 22.3.2001 – Az.: GSSt 1/00, BGHSt 46, S. 321, 325). In anderen Bestimmungen verwendet das Gesetz den Begriff der (kriminellen oder terroristischen) „Vereinigung“ (§§ 129 ff. StGB). Eine „Vereinigung“ bezeichnet dabei den auf eine gewisse Dauer angelegten organisatorischen Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und untereinander derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen (BGH, Beschl. v. 13.9.2011 – Az.: 3 StR 231/11, BGHSt 57, S. 14, 16f.).

[16] Zwischen der Verteidigung auf der einen Seite und dem Gericht sowie der Bundesanwaltschaft auf der anderen Seite gab es erhebliche Meinungsverschiedenheiten in der Frage, ob das Verfahren als politisches Verfahren einzuordnen sei. Die Verteidigung stellte am 21. Verhandlungstag ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Dr. Prinzing wegen Besorgnis der Befangenheit, da dieser in einem Fernsehinterview geäußert hatte, es handele sich nicht um ein politisches Verfahren, sondern einen „normalen Strafffall“ (Anlage 1 zum Protokoll vom 30.7.1975, S. 1660 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 21. Verhandlungstag). Bundesanwalt Dr. Wunder erwiderte, es handele sich schon allein deswegen um kein politisches, sondern ein „normales“ Strafverfahren, da keine Taten aus dem Ersten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB angeklagt seien (S. 1685 des Protokolls der Hauptverhandlung, 21. Verhandlungstag). Der Erste Abschnitt, der überschrieben ist mit „Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats (§§ 80-92b)“ enthält Straftaten, die in besonderem Maße politisch motiviert sind. Die Ablehnung wurde als unbegründet zurückgewiesen (Anlage 2 zum Protokoll vom 30.7.1975, S. 1695 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, ebenfalls 21. Verhandlungstag).

[17] Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und mit dem Ziel, die Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien einzudämmen, führten die USA in Vietnam von 1964 bis 1973 einen Luft- und Bodenkrieg gegen die südvietnamesische Befreiungsfront und nordvietnamesische Truppen. Trotz wachsender Proteste in der amerikanischen Bevölkerung und entgegen den Einschätzungen und Warnungen hochrangiger Berater, entschieden sich mehrere US-Präsidenten für die Fortsetzung der Kämpfe. Während dieses Krieges griff das US-amerikanische Militär auf Methoden zurück (u.a. search and destroy, Phoenix-Programm), die darauf ausgerichtet waren, möglichst viele Gegner/innen auszuschalten und deren Strukturen zu zerschlagen (Fischer, Die USA im Vietnamkrieg, 2009, S. 104 ff.; Frey, Geschichte des Vietnamkriegs, 2016, S. 83 ff.; 126 ff.; 144 ff.; 187 ff.; Greiner, Krieg ohne Fronten, 2007, S. 56 ff.). Der Krieg der USA in Vietnam stieß seit Ende der 1960er Jahre auf zunehmende Kritik und Proteste, auch innerhalb der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Die RAF verstand sich selbst als Teil eines weltweiten Kampfes gegen den (US-)Imperialismus, dessen Schlachtfelder sie nicht nur in den Ländern der „Dritten Welt“, sondern auch in den Metropolen wie der Bundesrepublik verortete. Amerikanische Militäreinrichtungen in der Bundesrepublik galten dabei als Schalt- und Lagezentren für Operationen der US-Streitkräfte in Vietnam und damit unmittelbar als Schauplätze des Vietnamkriegs in Deutschland. Gegen die Bundesrepublik erhoben sie in diesem Zusammenhang den Vorwurf, die USA sowohl logistisch als auch finanziell in ihrem Krieg zu unterstützen (Klimke/Mausbach, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 620, 631 f., 634 ff.; Lemler, Die Entwicklung der RAF im Kontext des internationalen Terrorismus, 2008, S. 51 ff., 55 ff.). Explizit gegen amerikanische Militäreinrichtungen waren die Anschläge der RAF auf das Hauptquartier des 5. US-Corps in Frankfurt a.M. am 11. Mai 1972 sowie auf das Hauptquartier der 7. US-Armee und der US-Landstreitkräfte in Europa (USAREUR) in Heidelberg am 24. Mai 1972 gerichtet. Beide Anschläge wurden in anschließenden Kommando-Erklärungen u.a. mit den Bombenangriffen der USA im Vietnam-Krieg gerechtfertigt (die Kommando-Erklärungen sind abgedruckt in ID-Verlag [Hrsg.], Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 145, 147 f.).

[18] Die Ablehnung ist nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig zu verwerfen, wenn „durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen“.

[19] Anlage 3 zum Protokoll vom 10. Januar 1977: Verfügung (Beendigung der Sitzung am 10. Januar 1977).


[a] Maschinell ergänzt: Pflichtverteidigung

[b] Maschinell durch *** eingefügt: Rechtsanwalt Dr. Heldmann erscheint um 10.00 Uhr im Sitzungssaal.

[c] Maschinell eingefügt: das Wort

[d] Handschriftlich durchgestrichen: Das

[e] Maschinell eingefügt: V.: Aus was bestehen?

[f] Maschinell eingefügt: auf

[g] Maschinell ersetzt: den durch diesen

[h] Maschinell eingefügt: RA Schi.: Nein.

[i] Maschinell eingefügt: ich