141. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, 31. August 1976, 9.03 Uhr



[11402] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, 31. August 1976, 9.03 Uhr

(141. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte sind anwesend:

JOS Janetzko

Just. Ass. z.A. Scholze

Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]

Als deren Verteidiger sind erschienen:

RAe. Dr. Heldmann, Eggler, Künzel, Schnabel und Grigat.

Der Gehilfe des RA Dr. Heldmann, Herr Wackernagel, ist ebenfalls anwesend.

Als Zeugin ist erschienen

Ilse Stachowiak

- vorgeführt aus Untersuchungshaft -

mit ihrem Rechtsbeistand, RA Jipp.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort.

Herr Rechtsanwalt Schwarz wird sich um eine halbe Stunde verspäten.

Herr Rechtsanwalt Schily hat mitteilen lassen, daß er sich durch einen Stau verspätet habe am Flughafen, sein Flugzeug nicht er- [11403] reicht habe, so daß er an der Vormittagssitzung nicht teilnehmen könne. Wir sind im Ungewissen, ob er gegebenenfalls heute Nachmittag zur Sitzung erscheinen wird. Wir haben telefonisch jetzt mal rückgefragt im Büro und noch keinen Bescheid erhalten. Ich hoffe, daß er in der nächsten Zeit noch kommt.

Für heute sind geladen die Zeuginnen Stachowiak und Eckes.

Bitte ...

RA Jipp:

Mein Name ist Rechtsanwalt Jipp aus Hamburg. Ich bin der Beistand[2] für Frau Stachowiak.

Vors.:

Selbstverständlich zulässig. Wenn Sie irgendwelche Wünsche bezüglich der Beratung haben, so bitte ich, daß Sie sich melden.

Die Zeugin Stachowiak wird gem. § 57 StPO[3] belehrt.

Die Zeugin ist mit der Aufnahme ihrer Aussage auf das Gerichtstonband nicht einverstanden.[4]

In der Folge wird das Tonbandgerät ausgeschaltet, solange sich die Zeugin äußert.

Die Zeugin macht folgende Angaben zur Person:

Ilse Stachowiak

geb. [Tag].[Monat].1954, z.Zt. berufslos, z.Zt. Untersuchungshaftanstalt Hamburg,

mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert,

wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.

Vors.:

Ich möchte jetzt die Beweisthemen im Zusammenhang benennen.

Dann können Sie sich äußern zu allem, was Sie dazu zu sagen haben. Sie sollen nach dem Antrag der Verteidigung angeben können, daß es in der Roten-Armee-Fraktion keine hierarchische Struktur oder ein sonstiges Verhältnis der Über- und Unterordnung gegeben habe, auch nicht in tatsächlicher Hinsicht.

Die Zeugin Stachowiak spricht unverständlich dazwischen.

[11404] Vors.:

Zweiter Punkt Ihrer Beweisthemen, daß die Rote-Armee-Fraktion nicht als „offene Gruppe“ sondern in kleinen, zahlenmäßig engbegrenzten Gruppen organisiert gewesen sei, wobei sich der Informationsaustausch auf die jeweilige Gruppe und deren Mitglieder beschränkt habe.

Vor Beginn ihrer Aussage wird die Zeugin gem. § 55 StPO[5] belehrt.

- Die Zeugin macht Angaben zur Sache -

Rechtsanwalt Schlaegel erscheint um 9.08 Uhr im Sitzungssaal.

Rechtsanwalt Schwarz erscheint um 9.16 Uhr im Sitzungssaal.

Sodann erklärt die Zeugin:

Ich möchte jetzt eine Pause.

Vors.:

Die Fragen, die ich zu stellen hatte mit den Beweisthemen, scheinen mir hiermit beantwortet zu sein.

Sind beim Gericht weitere Fragen? Ich sehe nicht.

Zeugin Sta[chowiak]:

Ich bin noch nicht fertig. Ich will mich konzentrieren.

Vors.:

Hat die Bundesanwaltschaft Fragen?

OStA Z[eis]:

Wir stellen unsere. Fragen vorläufig zurück.

Vors.:

Wir machen dann die Pause, Frau Stachowiak, die Sie wünschen.

Wir setzen dann nach der Pause mit der Gelegenheit für die Herrn Verteidiger, Fragen zu stellen, fort.

10 Minuten Pause.

Pause von 9.35 Uhr bis 9.47 Uhr

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort.

Es ist nunmehr Gelegenheit gegeben, seitens der Herrn Verteidiger Fragen an die Frau Zeugin zu stellen.

RA Jipp:

Ich bitte, meiner Mandantin einen Schlußbericht zu gestatten und zwar zu dem einen konkreten Punkt des Beweisthemas, des Schießbefehls und der Frage der offenen Gruppe. Das wäre dann die abschließende Darstellung.

Vors.:

Gut, das sind Themen, die hier angeschnitten sind. Bitte.

[11405] - Die Zeugin macht weitere Angaben -

Anschließend der Vorsitzende:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, haben Sie Fragen?

RA Dr. He[ldmann]:

Danke, keine Fragen.

Vors.:

Keine Fragen. Sonstige Fragen an die Frau Zeugin? Sehe ich nicht.

Die Zeugin Stachowiak bleibt unbeeidigt gemäß § 60 Nr. 2 StPO[6] wegen des Verdachts der Tatbeteiligung.

Vors.:

Über den vom Senat erlassenen Beugehaftbeschluß[7] werden wir außerhalb der Hauptverhandlung dann befinden, nachdem die Zeugin inzwischen ausgesagt hat.

Die Zeugin Stachowiak wird im allseitigen Einvernehmen um 9.53 Uhr entlassen.

Vors.:

Dann müssen wir jetzt, weil es wohl eine ¼ Stunde dauert, bis Frau Eckes hergebracht werden kann eine Pause zwangsläufig einlegen.

Pause von 9.54 Uhr - 10.14 Uhr

Ende Band 666

[11406] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 10.14 Uhr

Als Zeugin ist

Christa Eckes

- vorgeführt aus Untersuchungshaft -

mit ihrem Rechtsbeistand, RA. Jipp, anwesend.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort mit der Vernehmung der Zeugin Eckes.

Die Zeugin Eckes wird gem. §§ 57, 55 StPO belehrt.

Wir haben hier das Tonband wieder eingeschaltet. Sind Sie damit einverstanden.

Zeugin Eckes:

Nein.

In der Folge wird das Tonbandgerät ausgeschaltet, solange sich die Zeugin äußert.

Die Personalien der Zeugin werden wie folgt festgestellt:

Christa Eckes

geb. [Tag].[Monat].1950, berufslos,

z.Zt. JVA Hamburg,

mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert,

wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.

Vors.:

Dann darf ich Ihnen nochmals die Beweisthemen benennen. Sie sollen Angaben machen können zu folgenden zwei Beweisbehauptungen der Verteidigung, daß es in der Roten-Armee-Fraktion keine hierarchische Struktur oder ein sonstiges Verhältnis der Über- und Unterordnung, auch nicht in tatsächlicher Hinsicht, gegeben habe; und zweitens, daß die Rote-Armee-Fraktion nicht als „offene Gruppe“, sondern in kleinen zahlenmäßig engbegrenzten Gruppen organisiert gewesen sei, wobei sich der Informationsaustausch auf die je- [11407] weilige Gruppe und deren Mitglieder beschränkt habe. Sie können sich dazu jetzt im Zusammenhang äußern.

Die Zeugin beginnt ihre Angaben zur Sache mit folgenden Worten:

Warum ich hier überhaupt eine[a] Aussage mache, nachdem der Staatsschutz Ulrike ermordet[8] hat, hat den Grund ...

Vors.:

Frau Eckes, ich darf Sie darauf hinweisen, daß derartige Unterstellungen einen so hohen Grad von beleidigendem Gehalt haben, daß zu befürchten ist, wenn Sie in dieser Tonart fortfahren, daß das zur Wortentziehung führen müßte, zumindest auch die Gefahr in sich birgt, daß Sie mit Ungebührstrafen[9] zu rechnen hätten. Also mäßigen Sie sich im Ton.

Die Zeugin macht weitere Angaben zur Sache.

Nach längeren Ausführungen äußert die Zeugin:

Wir haben nicht aufgehört, obwohl sich der Vernichtungswille von Buback[10] und des Counter-Staates konzentriert hat, je schlechter wir dran waren. Um so länger und entschlossener haben wir gekämpft.

Vors.:

Sie haben vom Vernichtungswillen des Generalbundesanwalts gesprochen. Auch hier gilt derselbe Hinweis:

Ich verwarne Sie jetzt zum letzten Mal. Solche Ausdrücke sollten Sie meiden. Es zieht die Gefahr des Wortentzugs oder der Ungebührstrafe nach sich.

Bitte fahren Sie fort.

Zeugin Eckes:

Die Wirkung des Hungerstreiks war deswegen so stark, weil wir nicht aufgehört haben, entschlossen zu kämpfen. Wir haben unter allen Bedingungen gekämpft. Es hat sich aus der Reaktion des Staatsapparats entwickelt. Daß es ein starker Angriff war, und die ganze faschistische Struktur der BRD entlarvt hat, ist aus der Reaktion des Staatsapparats offen geworden. Es ist klar geworden, was die BRD für ein Faschistenapparat ist.

Vors.:

Sie haben eben im Augenblick den Staat als Faschistenstaat beschimpft.

[11408] Ich muß Sie jetzt darauf hinweisen, daß das eine Ungebührstrafe nach sich ziehen kann. Es ist möglich, gegen Sie Ordnungshaft und ... oder Ordnungsgeld zu verhängen - Ordnungshaft bis zu einer Woche. Wollen Sie sich dazu äußern?

RA Jipp:

Herr Vorsitzender, ich halte diese Formulierung für eine zulässige politische Einschätzung.

Vors.:

Ich darf Sie darauf hinweisen, daß Sie die Möglichkeit haben, die Frau Zeugin zu beraten, wenn Sie es wünschen, wie sie sich äußern soll zu der jetzigen Frage. Aber selbst Ausführungen in dieser Form zu machen, ist an sich nicht Ihre Aufgabe. Wollen Sie eine Pause, um die Frau Zeugin zu beraten?

RA Jipp:

Ich würde Sie bitten, daß Sie die Frage nochmal gegenüber Frau Eckes ...

Vors.:

Die Frage ist einfach. Sie hat den ...

RA Jipp:

... daß Sie gegenüber Frau Eckes die Frage nochmal wiederholen, damit Sie sich dazu äußern kann. Solch eine Frage ...

Vors.:

Es war einfach: Die Frau Zeugin hat augenblicklich den Staat als Faschistenstaat beschimpft. Und ich habe ihr Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern, ob eine Ordnungshaft oder Ordnungsgeld gegen sie verhängt werden wird oder kann.

Zeugin Eckes:

Nein, ich will weiterreden.

Vors.:

Der Senat wird jetzt zuerst darüber beschließen, ob eine Ordnungshaft bzw. Ordnungsgeld in Betracht kommt.

Vors.: (nach geheimer Umfrage)

Der Senat hat

beschlossen:

Gegen die Zeugin wird wegen Beschimpfung der Bundesrepublik als Faschistenstaat eine

Ordnungshaft von 3 Tagen

festgesetzt.

Es handelt sich hier um eine Ungebühr.

Die Zeugin hat die Gelegenheit, sich dazu zu äußern, nicht wahrgenommen. Sie wurde wiederholt verwarnt. Sie hat zuvor schon dem Generalbundesanwalt Vernichtungswillen nachgesagt.

- - -[b]

[11409] Jetzt können Sie fortfahren.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich bitte um’s Wort.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich rüge ausdrücklich, daß dem Rechtsbeistand der Zeugin hier in dieser Frage, ob eine Ordnungsstrafe gegen sie zu verhängen sei, das Wort nicht ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, es ist so, daß Herr ...

RA Dr. He[ldmann]:

Sie hatten mich nicht ausreden lassen ...

Vors.:

... daß Herr Rechtsanwalt Jipp sicher selbst imstande ist, seine Rechte hier wahrzunehmen.

RA Dr. He[ldmann]:

Ja, aber Prozeßbeteiligter bin ich.

Und prozeßuale Rügen erkläre ich zu Protokoll.

Vors.:

Das hätten Sie vorher tun müssen. Das ist inzwischen überholt. Der Senat kann über diese Frage jetzt nicht mehr entscheiden. Also einen Vermerk ins Protokoll haben Sie jetzt bereits angebracht dadurch, daß Sie die[c] Rüge erhoben haben.

RA Dr. He[ldmann]:

Sie haben mich ja nicht ausreden lassen.

Vors.:

Ja, aber Sie können ja keine Beanstandung ...

RA Dr. He[ldmann]:

Und rüge somit, daß die Zeugin insoweit kein rechtliches Gehör erhalten hat.

Vors. (nach geheimer Umfrage):

Es gibt keine Veranlassung für den Senat, etwas darauf zu erwidern.

Sie können fortfahren.

Die Zeugin macht weitere Angaben zur Sache.

Nach Beendigung ihrer Angaben auf Frage des Vorsitzenden, ob sie sich äußern könne, wie das Info[11] an sie gelangt sei:

Zeugin Eckes:

Also ich beantworte keine Fragen vom Gericht und der Bundesanwaltschaft.

Vors.:

Sie müssen Fragen des Gerichts schon beantworten.

Bitte, Herr Rechtsanwalt.

[11410] RA Jipp:

Meine Mandantin beruft sich insoweit auf § 55[ StPO]. Sie möchte Fragen dieser Art generell nicht beantworten. Ich darf darauf hinweisen, Herr Vorsitzender, daß meine Mandantin sich noch in einem laufenden Verfahren befindet in Hamburg.[12] Das Verfahren ist nicht abgeschlossen.

Vors.:

Es ist klar, es bedarf keiner Begründung. Bloß darf ich Sie nochmals auf folgendes hinweisen - das haben wir bisher immer so gehandhabt - Sie haben beratende Funktion. Die Berufung auf § 55[ StPO] muß die Zeugin natürlich selbst aussprechen. Sie können jederzeit sagen, ich möchte meiner Mandantin dazu einen Rat geben, und dann hat sich das, aber nicht selbst diese Ausführungen machen.

RA Jipp:

Ich gebe nur die juristische Begründung für die Erklärung, die meine Mandantin bereits abgegeben hat.

Vors.:

Die Erklärung hat sie nicht abgegeben. Sie hat gesagt, sie beantworte keine Fragen des Gerichts.

RA Jipp:

Ich meine, ihr wird der § 55[ StPO] nicht so geläufig sein wie Ihnen. Deswegen ist es zulässig, daß ich diese Erklärung abgebe.

Vors.:

Frau Eckes, wir können es einfacher machen. Schließen Sie sich dem an, was Ihr Herr Rechtsanwalt gesagt hat?

Zeugin Eckes:

Ja.

Es ist einfach so, daß durch das, was ich gesagt habe, unheimlich klar wird, daß es nie eine Hierarchie gegeben hat.

Es ist eine Projektion der Bullenstruktur, die es nur im Imperialismus gibt. Das ist völlig absurd ...

Vors.:

Das wollen wir nicht mehr hören, Frau Eckes. Wiederholungen sind nicht angebracht. Es geht um Ihr Wissen, nicht um Ihre Darstellungen von Dingen, die Sie schon bereits hier gegeben haben, die übrigens über Ihr Wissen hinausgreifen, sondern nur Mutmaßungen, Kombinationen und dgl. sind.

Haben Sie etwas Neues?

RA Jipp:

Ich bitte um eine Pause für meine Mandantin, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Wie lange benötigen Sie?

RA Jipp:

10 Minuten.

[11411] Vors.:

Wir wollen vorher noch fragen - jedenfalls ich habe keine Frage mehr - sind beim Gericht noch irgendwelche Fragen? Nein. Die Herren der Bundesanwaltschaft?

OStA Zeis:

Wir stellen unsere Fragen vorläufig zurück, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Wir machen die Pause. Es ist dann gegebenenfalls die Gelegenheit gegeben, daß die Herren Verteidiger nachher noch Fragen stellen.

10 Minuten Pause.

Pause von 11.07 - 11.21 Uhr

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort.

Das Fragerecht kann jetzt ausgeübt werden. Sind Fragen? Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Danke, keine Fragen.

Vors.:

Die Herren der Bundesanwaltschaft?

OStA Zeis:

Wir verzichten, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Die anderen Verteidiger auch? Ja.

Dann ist die Vernehmung der Frau Zeugin abgeschlossen.

Die Zeugin Eckes bleibt gem. § 60 Ziff. 2 StPO wegen Verdachts der Tatbeteiligung unbeeidigt und wird im allseitigen Einvernehmen um 11.22 Uhr entlassen.

Wir werden die Sitzung heute Nachmittag um 14.15 Uhr fortsetzen. Wir beabsichtigen, heute Mittag einige Entscheidungen noch bekanntzugeben. Wir müssen uns auch noch über einige Entscheidungen Gedanken machen, ob die heute schon getroffen werden können oder nicht. Wenn Anträge zu stellen sind, dann wäre ich sehr dankbar, wenn solche jetzt bekanntgegeben werden könnten.

[11412] RA Dr. He[ldmann]:

Die Verteidigung hier, Herr Schily und ich, werden noch Anträge stellen. Aber das wird vor der Ankunft des Herrn Schily hier nicht möglich sein.

Vors.:

Er wird heute Mittag bei der Sitzung anwesend sein. Wir können also davon ausgehen, daß da die Anträge bekanntgegeben werden?

RA Dr. He[ldmann]:

Das wird sich ergeben, wenn Herr Schily da ist.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Künzel.

RA Kü[nzel]:

Ich möchte einen Beweisantrag stellen und zwar zu einem Kapitel aus der Biographie der Frau Ensslin.

Vors.:

Entschuldigen Sie bitte.

(zu Herrn RA Jipp) Herr Rechtsanwalt, Sie haben natürlich im Augenblick keine Funktion mehr oder haben Sie noch ...

RA Jipp:

Ich wollte noch einen Antrag im Zusammenhang mit der Zeugenvernehmung stellen.

Ich möchte beantragen,

die beiden Beugehaftbeschlüsse[13] aufzuheben,

gegen Frau Eckes und gegen Frau Stachowiak.

Ich möchte diesen Antrag bitte ausdrücklich gestellt haben. Nach meiner Einschätzung sind beide Beschlüsse hinfällig. Zumindest seit dem Zeitpunkt, als das Schreiben der beiden Damen Ihnen zugegangen ist, daß sie bereit sind, auszusagen, spätestens aber heute seit der tatsächlichen Aussage.

Vors.:

Wir werden darüber befinden, wie ich schon angekündigt habe.

Rechtsanwalt Jipp verläßt um 11.23 Uhr den Sitzungssaal.

RA Kü[nzel]:

Es handelt sich also um einen Beweisantrag zu einem Kapitel aus der Biographie der Frau Ensslin.

Rechtsanwalt Künzel verliest nunmehr seinen schriftlich vorliegenden Beweisantrag mit Ausnahme der mit [eckigen Klammern] gekennzeichneten Stellen.

[11413] RA Dr. Heldmann verläßt während der Verlesung um 11.30 Uhr den Sitzungssaal.

Während der Verlesung des Antrag auf Seite 4 1. Absatz wird RA Künzel vom Vorsitzenden wie folgt unterbrochen:

Vors.:

Verzeihen Sie bitte, ich möchte die Ausführungen an sich nicht unterbrechen, aber es ist mir noch nicht ganz klar ersichtlich, daß das ein Beweisthema sein soll, das hier bekanntgegeben wird.

RA Kü[nzel]:

Herr Vorsitzender, ich behaupte, daß sich Frau Ensslin mit diesen Stimmen identifiziert und die hier vorgetragenen Anliegen zu ihren Anliegen damals gemacht hat.

Das habe ich an sich deutlich gesagt.

Nach der Verlesung übergibt RA. Künzel den Beweisantrag dem Gericht

Eine Ablichtung davon wird als Anlage 1 zum Protokoll genommen.

RA Kü[nzel]:

Und dann rege ich noch an, daß der Senat beim Oberlandesgericht in Athen um den Wortlaut des Beschlusses nachsucht, der in der Auslieferungssache gegen Herrn Pohle[14] ergangen ist, damit der Beschluß durch Verlesen in die Hauptverhandlung - gegebenenfalls - eingeführt werden kann, zum Beweiskomplex „Politische Motivation der RAF-Bemühungen“.

Vors.:

Damit wären wir am Ende der Vormittagssitzung.

14.15 Uhr heute Nachmittag Fortsetzung.

Pause von 11.34 - 14.17 Uhr

Ende des Bandes 667.

[11414-11423][15] [11424] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 14.17 Uhr.

RA Schily und RA Dr. Heldmann sind anwesend.

Der Gehilfe des RA Dr. Heldmann, Herr Wackernagel, ist nicht anwesend.

RA Schlaegel ist nicht mehr[d] anwesend.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort. Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Schi[ly]:

Darf ich um’s Wort bitten?

Vors.:

Bitte.

RA Schi[ly]:

Ich stelle für meine Mandantin, Frau Ensslin, den Antrag:

die Hauptverhandlung auszusetzen, hilfsweise zu unterbrechen bis zur Entscheidung über den von der Verteidigung bei dem Verwaltungsgericht Köln eingereichten Antrag, gegen den Bundesminister für Justiz, auf Erteilung einer Aussagegenehmigung[16] für den Zeugen, Herrn Generalbundesanwalt Buback; und hierzu hilfsweise bis zur Entscheidung über die in der gleichen Sache eingereichte Klage, sofern das Verwaltungsgericht Köln zu dem Ergebnis gelangen sollte, daß im vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren über diesen Prozeßgegenstand nicht entschieden werden kann.[17]

Vors.:

Verzeihen Sie, werden wir Ihren schriftlichen Antrag bekommen?

RA Schi[ly]:

Ich überreiche Ihnen dann eine Abschrift meines Antrages, den ich jetzt verlesen möchte. Zur Begründung dieses Aussetzungsantrages ... meines Antrages an das Verwaltungsgericht Köln, den habe ich schriftlich, und was ich nicht schriftlich habe, ist die Klage. Die nimmt aber im wesentlichen auf diesen Antrag Bezug.

Vors.:

Danke.

RA Schi[ly]:

Ich habe dem Senat bereits in einer früheren Sitzung während der Hauptverhandlung mitgeteilt, daß der Herr Bundesminister der Justiz mit Schreiben vom 22. Juli, mir zugegangen am 26. Juli 1976, die Aussagegenehmigung für Herrn Generalbundesanwalt Siegfried Buback nicht erteilt hat. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut: „Betrifft: Aussagegenehmigung für Generalbundesanwalt Siegfried Buback für das Strafverfahren gegen Baader und andere.“ Nun folgt das Aktenzeichen, „Sehr geehrter Rechtsanwalt. Ihrem[e] mit[f] Schreiben vom 28.6.76 für das vor dem zweiten Strafsenat des Oberlandesgerichts [11425] Stuttgart anhängige Strafverfahren gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe gestellten Ersuchen, Generalbundesanwalt Buback gemäß § 61 Bundesbeamtengesetz die erforderliche Genehmigung zur Aussage als Zeuge zu erteilen, vermag ich nicht zu entsprechen. Aussagen zu den in Ihrem Schreiben wie folgt angekündigten Beweisthemen 1. Umfang und Inhalt der gesamten Ermittlungsakten aus dem sogenannten „Baader-Meinhof-Komplex“ insbesondere der Spurenakten, 2. Inhalt der zwischen der Bundesregierung und dem Generalbundesanwalt über das Strafverfahren geführten Gespräche oder eines entsprechenden Schriftwechsels, 3. Inhalt der Verhandlungen und Gespräche, die von Ermittlungsbeamten oder Angehörigen“ ... das ist hier etwas falsch zitiert, „anderer Behörden mit den Zeugen Karlheinz Ruhland,[18] Dierk Hoff[19] und Gerhard Müller[20] geführt worden sind, insbesondere Form und Inhalt von Versprechen, Zusagen und anderen Einflußnahmen auf die genannten Zeugen[21] wären geeignet, die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich zu gefährden, § 62 Abs. I Bundesbeamtengesetz. Rechtsmittelbelehrung anbei. Mit vorzüglicher Hochachtung Dr. Rolland.“ Dann ist angefügt die Rechtsmittelbelehrung.

Gegen diesen Bescheid des Bundesjustizministers habe ich im Auftrage von Frau Ensslin am 24. August dieses Jahres fristgerecht Klage eingereicht und nunmehr diese Klage verbunden mit einem Antrag an das Verwaltungsgericht Köln, den ich verlese:

RA Schily verliest nun den Antrag an das Verwaltungsgericht Köln vom 25. August 1976, der in Abschrift übergeben wird.

Die übergebene Abschrift ist dem Protokoll als Anlage 2 beigefügt.

Soweit die Verlesung dieses Antrages. Ich habe den Antrag jetzt hier in der Hauptverhandlung gestellt auf Aussetzung der Hauptverhandlung, hilfsweise Unterbrechung, stelle dem Senat aber ausdrücklich anheim, von welchen der beiden prozeßualen Möglichkeiten[22] er Gebrauch machen will, um die entstandene prozeßuale Situation zu bewältigen. Naturgemäß, wenn sich die Möglichkeit anbietet, auch im Wege der Unterbrechung hier die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln abzuwarten, ist das die zweifellos bessere Lösung; aber ich kann nicht übersehen, inwieweit das Verwaltungsgericht Köln da zu einer Entschließung gelangt.

[11426-11440][23] [11441] Vors.:

Darf ich zur Klarstellung hier eines bemerken: Zunächst mal, wir dürfen davon ausgehen, die Klage ist schon eingereicht?

RA Schi[ly]:

Die Klage ist eingereicht und der Antrag, den ich soeben verlesen habe, der geht heute an das Verwaltungsgericht ab.

Vors.:

Nun, es ist wohl so, daß die Folgerungen[g], die Sie aus der Klageerhebung und aus diesem Antrag ziehen, etwas über den Zweck hinaus gehen, der damit verfolgt werden kann. Es kann ja wohl nur darauf ankommen, den Senat zu veranlassen, die Beweisaufnahme nicht zu schließen, bevor nicht über das entschieden ist.

RA Schi[ly]:

Sicherlich.

Vors.:

Einer Aussetzung oder Unterbrechung bedürfte es dazu nicht.

RA Schi[ly]:

Das ... auch insoweit ...

Vors.:

Verzeihung.

RA Schi[ly]:

Ja, bitte.

Vors.:

Wenn Sie also den Antrag auf Aussetzung oder Unterbrechung aufrechterhalten würden, so wäre das ein über den Zweck hinausschießender Teil, über den man dann extra befinden müßte. Wenn Sie aber sagen: nein, der Sinn der Sache ist in der Tat nur der, die Beweisaufnahme soll[h] nicht geschlossen werden können, bevor nicht entschieden ist, dann müßten wir keine[i] zusätzliche Entscheidung treffen.

RA Schi[ly]:

Da bedanke ich mich für den Hinweis. Das ist genau in dem Sinne gemeint. Also es bestehen seitens der Verteidigung beispielsweise keine Bedenken, daß beispielsweise jetzt die Vernehmung von Frau Roll in Triest[24] durchgeführt wird und möglicherweise auch eine Verlesung dann hier stattfindet der Aussage; also das ist damit gemeint, daß hier die Beweisaufnahme nicht geschlossen wird, bevor über diesen Antrag entschieden wird. Daß diese Reihenfolge einzuhalten ist, [j] für diese Frage verweise ich noch auf zwei Entscheidungen aus diesem Jahr des Verwaltungsgerichts Berlin und zwar auf einen Beschluß des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Juni 1976 zu dem Aktenzeichen VG I A 181/76, in dem Beschluß heißt es: ... Entschuldigung, jetzt habe ich das Zitat falsch ... das ist der Beschluß vom 7. Mai 1976 mit dem Aktenzeichen VG I A 161/76 und in diesem Beschluß heißt es, ich zitiere: „Ein etwa anhängig zu machender Hauptprozeß auf Erteilung der Aussagegenehmigung wäre für das Strafverfahren als vorgreiflich anzusehen, so daß die Gefahr einer Verurteilung vor Abschluß des Verwaltungsstreitverfahrens nicht entsteht[k].“ [11442] Und dann ein weiteres Zitat aus dem Urteil ... aus einem Urteil des Verwaltungsgerichts, und das ist jetzt also 4. Juni 1976 zu dem Aktenzeichen VG I A 181/76 ...

Vors.:

Auch Berlin?

RA Schi[ly]:

Auch Verwaltungsgericht Berlin. Und in diesem Urteil heißt es - ich zitiere also aus diesem Urteil:

„Weil der Ausgang des Verwaltungsprozesses für die Entscheidung des Strafverfahrens vorgreiflich ist. Denn ist die Versagung“ - so wird dann zur Begründung der Vorgreiflichkeit hier ausgeführt - „denn ist die Versagung der Genehmigung rechtswidrig gewesen, könnte dies zu einer neuen Hauptverhandlung führen, sei es, daß in der rechtswidrigen Versagung der Aussagegenehmigung ein Revisionsgrund[25] zu sehen, sei es, daß damit ein Wiederaufnahmegrund[26] gegeben ist.“

Das Verwaltungsgericht Berlin teilt also die Auffassung der Verteidigung, und deshalb habe ich das auch hier als Belegstelle zitiert, daß eine Vorgreiflichkeit besteht. Und aus diesem Grunde ist auch meiner Meinung nach das hiesige Gericht verpflichtet, zunächst abzuwarten, was aus diesem Verwaltungsgerichtsverfahren wird, bevor es die Beweisaufnahme schließt und hier zu einer Entscheidung in der Sache gelangt.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich schließe mich für Herrn Baader diesem Antrag, auch in seiner nachgeholten Modifizierung, hilfsweise nämlich die Beweisaufnahme nicht zu schließen, bis die zu erwartende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln bekanntgegeben worden ist, in vollem Umfang und mit der vollen Begründung an.

Vors.:

Darf[l] ich, bevor wir über weiteres jetzt uns schlüssig werden, fragen, sind weitere Anträge seitens der Verteidigung vorhanden, die gestellt werden können?

RA Dr. He[ldmann]:

In der heutigen Sitzung nicht.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, das heißt also, es bestehen Absichten. Nun ist es natürlich gerade im Zusammenhang damit, daß Aussetzung beantragt wird, von besonderer Bedeutung, daß dann Anträge, die dazwischenrein erledigt werden können, auch gestellt werden. Und so, wie das Sitzungsprogramm gegenwärtig läuft, glaube ich, hat auch[m] das Gericht und[n] alle Verfahrensbeteiligten - einschließlich der Angeklagten - einen gewissen Anspruch darauf, daß das zügig gemacht wird, um nicht unnötig dann Zeit zu verlieren. Denn wir [11443] können, das wird sich nachher zeigen, das Sitzungsprogramm ja jetzt nur in sehr lockerer Folge noch abwickeln und verlieren jeweils, wenn die Anträge nicht gestellt werden, unnötige[o] Wochen unter Umständen. Deswegen würde ich also bitten, wenn diese Anträge ersichtlich sind, sie auch zu stellen und sich in dieser Richtung ...

RA Schi[ly]:

Herr Vorsitzender, [p] ...

RA Dr. He[ldmann]:

... bis zum Beginn der nächsten Woche jedenfalls vorliegen.

RA Schi[ly]:

Ich kann diese Zusage nicht geben, Herr Vorsitzender. Wir wissen ja alle, daß bestimmte Zeugen relativ spät präsentiert[27] worden sind, und die Verteidigung steht natürlich vor der Notwendigkeit, insoweit auch noch, und soweit[q] sie dazu Möglichkeiten hat, Ermittlungen anzustellen. Wie weit dann noch Gegenbeweisanträge[r] zu stellen sind, und daß das mitunter Zeit kostet, ist auch klar. Und, ich glaube, niemand ist gedient, wenn dann also vielleicht die Beweisanträge so sehr schnell und vielleicht dann flüchtig formuliert werden, daß ... damit kann ja niemandem gedient sein. Also ich kann ... ich kann auch ankündigen, daß noch Beweisanträge geprüft werden; aber ich kann nicht die Zusage machen, daß ich bereits zu Beginn der Woche, der kommenden Woche, diese Beweisanträge vorlegen kann. Ich bin allerdings bereit, auch dann, wenn sie sich früher abzeichnen, dann also vorweg Ihnen schriftlich das mitzuteilen, damit Sie also das vorweg vor der entsprechenden Hauptverhandlungssitzung haben. Der umgekehrte Fall kann natürlich auch eintreten; dann würde ich Ihnen das vorweg mitteilen.

Vors.:

Da wäre ich sehr dankbar. Ich meine, Sie sind alle mit den Prozeßvorgängen vertraut genug, um zu wissen, daß das Gericht nun in der Tat wegen der Abwicklung des Verfahrens Wert darauf legen muß, daß die Anträge jeweils dann, wenn sie gestellt werden können, auch dann prompt vorgetragen werden. Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, wenn Sie imstande sind etwa auch schriftlich Vorankündigung zu machen, so daß man unter Umständen schon Vorbereitungen treffen kann, bevor die Anträge gestellt sind, sich umsehen kann, Adressen überprüfen kann und dergleichen, wäre es sehr dienlich ...

RA Dr. He[ldmann]:

Werde ich gern tun, ja.

Vors.:

Dann will ich zunächst fragen: Wie denkt sich die Bundesanwaltschaft die Frage der Stellungnahme zu dem eben gestellten Antrag? Ich könnte folgenden Vorschlag machen:

[11444] Ich möchte sowieso das Schreiben, das heute früh beim Senat eingegangen ist, das der Herr Generalbundesanwalt bekanntgegeben hat, geschrieben hat an den Senat, gemäß § 256[ StPO][28] hier verlesen und den Beteiligten Gelegenheit geben, bevor der Senat dann zu einer weiteren Entschließung über den dahinter stehenden Beweisantrag kommt, hierzu sich zu äußern. Ich wäre also gerne bereit, nach der Verlesung dieses Schreibens des Herrn Generalbundesanwalt eine angemessene Pause einzulegen, so daß auf der einen Seite die Herren Verteidiger Zeit hätten, sich überlegen, inwieweit sie sich äußern wollen zu der Frage dieser Verlesung, und der Bundesanwaltschaft damit gleichzeitig die Pause eingeräumt wäre, sich Gedanken zu machen, ob die Stellungnahme erfolgen kann zu diesem Antrag.

BA Dr. Wu[nder]:

Herr Vorsitzender, wir werden das gerne überlegen; aber ich bin im Augenblick der Meinung, nach dem die Herren Verteidiger die Anträge, beziehungsweise den Anschluß an den Antrag von [s] Herrn Rechtsanwalt Schily bei Herrn Dr. Heldmann[t], dahingehend präzisiert haben, daß eine Schließung der Beweisaufnahme nicht erfolgen soll, glaube ich, daß die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft nicht eilbedürftig ist.

Vors.:

Gut ja ...

BA Dr. Wu[nder]:

Ich würde es [u] also gerne dann mir vorbehalten. Wenn es sich um Aussetzung oder Unterbrechung gehandelt hätte, dann wären wir dem mit Sicherheit entgegengetreten.

Vors.:

Ich habe vergessen zu erwähnen, daß Herr Rechtsanwalt Schlaegel für heute Nachmittag entschuldigt ist. Dann wird jetzt gemäß § 256[ StPO] das Schreiben verlesen. Ich darf in Erinnerung rufen, daß Sie einen Beweisantrag gestellt haben am 19.7.1976, Herr Rechtsanwalt Schily. Drei Absätze ... die ersten drei Absätze dieses Schreibens sind gemäß einem Schreiben des Bundesministers der Justiz nicht freigegeben für eine Äußerung oder eine Zeugenaussage des Herrn Generalbundesanwalts. Er hat also insoweit keine Aussagegenehmigung, wogegen die Punkte vier und fünf von ihm beantwortet werden können. Der Senat hat, was schon bei der Verlesung dieses Schreibens angekündigt wurde, zunächst mal den Herrn Generalbundesanwalt gebeten, sich schriftlich zu äußern, um das nach [§ ]256[ StPO] einzuführen und dann notfalls weitere[v] Entscheidungen zu treffen. Bitte.

[11445] RA Schi[ly]:

Ja, ich widerspreche ausdrücklich einer Verlesung eines mir unbekannten Schreibens von Herrn Generalbundesanwalt Buback unter Verwendung der Vorschrift des § 256[ StPO]. Ich wiederhole, daß ich hier nicht einen Beweisantrag gestellt habe auf Zeugnis einer Behörde, sondern auf Zeugnis einer bestimmten lebenden Person. Und es geht nicht an, daß der Senat sozusagen diesen Antrag nun einfach umdeutet in ein Auskunftsersuchen, also behördliches Zeugnis oder ein Gutachten einer solchen Behörde, und dann die Beweisaufnahme aus der Hauptverhandlung heraus verlegt. Eine solche Verfahrensweise halte ich für unzulässig; und aus diesem Grunde kann dieses Schreiben auch nicht verlesen werden. Es ist es ja ganz deutlich, daß ein solches schriftliches Verfahren, was Sie jetzt hier wählen wollen, ja beispielsweise das Fragerecht in ganz elementaren Sinne tangiert; das heißt, wir haben keine Möglichkeiten dann Fragen zu stellen. Ich bin auch nicht damit einverstanden, daß hier so Vorwegerklärungen vorgenommen werden, die dann vielleicht pauschal[w] sohin lauten ... dahin lauten wie wir es ja schon gehört[x] haben: also ich weiß von nichts, oder ich kann zu dem Thema sowieso nichts sagen. Da ist ja nun gerade die Frage, daß bestimmte Vorhalte gemacht werden, bestimmte Fragen gestellt werden. Das ist ja nun eigentlich der Sinn dann der Zeugenbefragung in der Hauptverhandlung. Und das Gericht ist meiner Meinung nach nicht befugt, nun sozusagen einen Umweg oder einen Ausweg zu wählen, indem es eine Umdeutung des Beweisantrages vornimmt, und auf diese Weise das Fragerecht der Verteidigung, der übrigen Prozeßbeteiligten unterläuft.

Ende von Band 668.

[11446] Vors.:

Will sich sonst jemand zu dieser Frage äußern? Ich betrachte das also als eine Beanstandung[29] meiner Absicht, das nach § 256[ StPO] zu verlesen. Bitte Herr Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich widerspreche ebenfalls einer Verlesung.

1. Nicht die Bundesanwaltschaft ist in den Beweisanträgen benannt worden, sondern individuell, Herr Siegfried Buback, Generalbundesanwalt in Karlsruhe.

2. Die von Ihnen beabsichtigte Verlesung dieser Äußerung, würde die von uns beantragte Einvernahme ihres Autors, des Generalbundesanwalts, als Zeugen in dieser Hauptverhandlung, in ihrem Ergebnis vorwegnehmen würde, wäre geeignet, diese Zeugenaussage durch Vorwegnahme hier bereits festzulegen. Und ich beantrage deswegen

die Entscheidung über die Verlesung jedenfalls zurückzustellen bis zu der hier erwarteten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln, ob Aussagegenehmigung für Herrn Buback, als Zeugen hier, zu erteilen sei.

Vors.:

Will sich die Bundesanwaltschaft äußern? Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.

BA. Dr. Wu[nder]:

Herr Vorsitzender, ich hätte vielleicht eine Frage an Herrn Rechtsanwalt Schily. Wäre es nicht möglich zu sagen, was gerade die Person Buback aussagen sollte und nicht der Behördenleiter Generalbundesanwalt Buback? Das sind ja doch die Dinge, an denen offenbar jetzt vorbeigeredet wird. Können Sie das ...

RA Schi[ly]:

Ja gerne, ich glaube der Beweisantrag ist doch noch bekannt. Ich habe ihn selber jetzt im Wortlaut nicht vor mir, aber die Beweisthemen sind da im einzelnen ja benannt. Und da ist es, selbst bei einer so hochgestellten Persönlichkeit wie Herrn Generalbundesanwalt Buback, nicht anders wie bei einem Polizeibeamten, den ich vielleicht für ein bestimmtes Beweisthema benenne, dann benenne ich ihn nämlich als Person und nicht etwa die Polizeidienststelle als Behörde. Und wenn Sie also diesen Vergleich mal sich richtig zu Bewußtsein bringen, dann werden Sie erkennen, daß hier ein Zeuge persönlich benannt wird, über seine Kenntnisse zu den in dem Beweisantrag benannten Beweisthemen. Und das hat mit einer Auskunft einer Behörde überhaupt nichts zu [11447] tun. Selbst wenn er die Kenntnisse, die er also, die ihn zu Auskünften befähigen im Rahmen seiner Tätigkeit als meinethalben Behördenleiter oder im Rahmen seiner Tätigkeit als Polizeibeamter oder sonst wie erworben hat.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, ich möchte nur darauf hinweisen, ich meine, ich habe Ihnen das Wort gelassen, aber Sie selbst haben ja den Antrag nicht gestellt; an sich ist da unmittelbar angesprochen Herr Rechtsanwalt Schily. Sie sprachen gerade von „unserem“ Antrag. Das ist nicht der Ihre. Wollen Sie trotzdem noch irgendwas beitragen?

RA Dr. He[ldmann]:

Ja. Zunächst mal, schließe ich mich, was anscheinend unterblieben war, diesem Antrag des Kollegen Schily an. Ferner ein Satz lediglich zu der von Herrn Bundesanwalt Wunder aufgeworfenen Frage: Warum die Person des Herrn Buback, der von uns benannte Generalbundesanwalt, als Zeuge, Herr Buback als Zeuge, hat in einer Reihe von öffentlichen Äußerungen höchst spezielle und höchstdetaillierte Kenntnisse genau dieser Materie, die das Substrat und sogar direkter Gegenstand unserer Beweisanträge ist, geoffenbart, so daß es der Verteidigung hier darum geht, diese Kenntnisse in das Hauptverfahren, in die Hauptverhandlung einzuführen.

Vors.:

Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.

BA Dr. Wu[nder]:

Alles, was der Generalbundesanwalt erfahren hat, erfuhr er in amtlicher Eigenschaft. Ich beantrage

die Verlesung dieses Schreibens des Generalbundesanwalts.

Das behördliche Zeugnis gibt Auskunft, über amtlich festgestellte Tatsachen, über Wahrnehmungen von Behördenangehörigen, die als Zeugen zu vernehmen wären, wenn § 256[ StPO] nicht bestünde. Ich glaube, damit ist alles gesagt.

Vors.:

Wir werden uns über die Beanstandung kurz schlüssig werden, durch Beratung. Herr Rechtsanwalt Schily ... wir wollen es nicht ins Endlose ausdehnen.

RA Schi[ly]:

Nein, nicht ins Endlose, aber Sie haben es ja auch Herrn Bundesanwalt Dr. Wunder gestattet, mir Fragen zu stellen ...

Vors.:

Ja, er hat bisher noch nicht Stellung genommen gehabt, sondern eine Frage an Sie gestellt, die beantwortet wurde. Bitte.

RA Schi[ly]:

Ja eben ... Es ist ... auch was normalerweise nicht zu ... [11448] ich meine, ich habe sie gerne beantwortet. Nur ich glaube, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder, Sie verkennen wirklich - ich weiß nicht, ob Ihnen das nicht deutlich ist, der Unterschied - Sie verkennen wirklich die Differenz zwischen einem Beweisantrag nach [§ ]244[ StPO] und einer möglichen Beweiserhebung nach [§ ]256[ StPO].[30] Natürlich könnten sowohl Sie als auch die Verteidigung ein solches behördliches Zeugnis möglicherweise in Anspruch nehmen, für ein bestimmtes Beweisthema. Aber ich bedauere sehr, daß Sie auf mein Beispiel eigentlich nicht eingehen wollen, mit dem Polizeibeamten. Natürlich hat der seine Kenntnisse auch nicht privat erworben, sondern in seiner amtlichen Eigenschaft. Und wenn wir hier zum Beispiel Vernehmungsbeamte benannt haben, dann ist ja auch nicht dann irgendwie die Bundessicherungsgruppe Bonn[31] oder was hier aufgetreten als Amtsperson und hat dann schriftliche Auskünfte erteilt, sondern der Herr Freter ist hier erschienen oder wer immer. Der jeweils Benannte. Und daß wir Herrn Generalbundesanwalt Buback als Person benennen, dafür haben wir unsere Gründe, die Herr Kollege Dr. Heldmann jetzt zum Teil angedeutet hat. Aber es gibt auch noch weitergehende Gründe dafür. Da ist es auch nicht unsere Sache, das hier in der Hauptverhandlung darzulegen. Das unterliegt ja unserer pflichtgemäßen Entscheidung, inwieweit wir einen solchen Beweisantrag stellen oder nicht. Und das ist das eigentliche Kriterium, was anzulegen ist. Und ich wiederhole, wir können doch nicht einen solchen Beweisantrag, der sich ... der die Vernehmung einer bestimmten Person zum Gegenstand hat, durch ein Ausweichgleis über den [§ ]256[ StPO] der Strafprozeßordnung einfach unterlaufen.

Vors.:

Ich bitte, in einer Viertelstunde wieder hier zu sein. Der Senat wird seine Entscheidung treffen.

Pause von 15.09 Uhr bis 15.30 Uhr.

Vors.:

Der Senat hat folgenden Beschluß gefaßt:

Das Schreiben des Generalbundesanwalts [11449] vom 27.8.1976, eingegangen beim Senat am 31.8.76, ist zu verlesen.

Gründe: Bei den in das Wissen des Generalbundesanwalts Buback gestellten Tatsachen handelt es sich durchweg um solche, die ihm - falls er davon erfahren hätte - allein in seiner Eigenschaft als Generalbundesanwalt zur Kenntnis gekommen wären, das heißt als „öffentliche Behörde“ im Sinne von § 256 Abs. 1 StPO. Daher kann sein Zeugnis schriftlich abgegeben und durch Verlesen in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Ob der Zeuge darüber hinaus in der Hauptverhandlung noch zu hören wäre, hat der Senat unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO zu prüfen und zu entscheiden. Daran ändert nichts, daß Generalbundesanwalt Buback im Rahmen eines Beweisantrags benannt worden ist (vgl. Gollwitzer bei Löwe-Rosenberg, 22. Aufl., Anm. 6 zu § 256 StPO[32]; BayObLG NJW 53 S. 194[33]). § 256 StPO entfällt auch nicht deshalb, weil der Antragssteller den Generalbundesanwalt Siegfried Buback als Zeugen benennt und nicht die Bezeichnung der Behörde, nämlich Bundesanwaltschaft verwendet. Nicht auf diese Benennung kommt es an, sondern allein darauf, wie sich das behauptete Tatsachenwissen sachlich darstellt; ob es darum geht, was die Gewährsperson innerhalb ihres amtlichen Wirkungskreises als Repräsentant der Behörde erfahren hat. Daß letzteres hier zutrifft, steht außer Zweifel.

Hinzu kommt, daß sich die Beweisthemen auf Fragen im Zusammenhang mit § 136a StPO[34] beziehen. Der Senat hält die Verlesung deshalb auch im Wege des Freibeweises[35] für zulässig.

- - -[y]

Demgemäß erfolgt jetzt die Verlesung.

Gem. § 256 StPO wird das Schreiben des Generalbundesanwalts Buback vom 27.8.1976 verlesen.

Eine Fotokopie dieses Schreibens wird als Anl. 3 zum Protokoll genommen.

[11450-11451][36] [11452] Den Verf. Beteiligten werden Kopien dieses Schreibens ausgehändigt.

Vors.:

Es wird Gelegenheit gegeben, sich nun zu äußern zu der Frage, wie der Senat nach dieser Verlesung über den Beweisantrag des Herrn Rechtsanwalts Schily vom 19.7.76, dem sich Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann soeben angeschlossen hat, zu befinden haben wird. Wenn die Herren dazu eine Pause wünschen, wird diese Pause eingelegt.

RA Schi[ly]:

Vielen Dank. Ich benötige keine Pause.

Vors.:

Keine Pause.

RA Schi[ly]:

Ich entnehme diesem Schreiben zunächst, daß sich Herr Generalbundesanwalt Buback - soweit er[z] sich hier schriftlich zu den Beweisthemen äußert - nur in dem eingegrenzten Sinne Stellung nimmt, daß er von Angehörigen seiner Behörde spricht. Ich habe jetzt den Beweisantrag[37] nicht vor mir, ob da die gleiche Wortwahl getroffen worden ist, aber soweit ich ihn im Gedächtnis habe, ist es ... ganz allgemein von Ermittlungsbeamten die Rede.

Vors.:

Es heißt im Abs. 4 Ihres Beweisantrages: „Der Zeuge wird weiter bekunden, daß dem Zeugen Gerhard Müller von Ermittlungsbehörden als Gegenleistung ...“ usw. Und genauso im Abs. 5, „...daß der Zeuge Müller nach Absprache mit den Ermittlungsbehörden ...“

RA Schi[ly]:

Ja, nun kennen wir ja auch Hilfsorgane der Ermittlungsbehörden. Und es war ja wohl auch in aller Regel so, daß wohl nicht die Herren Bundesanwälte persönlich oder sonstige Angehörige dieser Dienststelle, sich zu Herrn Müller begeben haben, sondern daß die Gespräche, von denen wir gehört haben, also weitgehend von Kriminalbeamten geführt worden sind. Aber Gegenstand der Befragung des Zeugen, des Herrn Generalbundesanwalts Buback, sollte eben auch sein, das was er darüber weiß, was Gesprächsinhalt insoweit war. Und insofern ist die Auskunft, die hier schriftlich erteilt wird, und die ich nach wie vor in dieser Form als nicht prozeßordnungsgemäß halte, ohnehin unvollständig. Das gleiche gilt dann hier hinsichtlich des 2. Absatzes. Im übrigen aber halte ich den Beweisantrag in vollem Umfange [aa] aufrecht einfach, weil dieses Schreiben [11453] ja die Notwendigkeit dokumentiert, daß nun eigentlich in eine Befragung eingetreten wird, des Zeugen. Und vielleicht auch bestimmte Vorhalte gemacht werden, unter anderem, wie es schon der Kollege Dr. Heldmann erwähnt hat, aus öffentlichen Verlautbarungen des benannten Zeugen. Ich bin der Meinung, daß es sich hier im Wesentlichen darum handelt, daß der Herr Generalbundesanwalt ja über seine eigenen Wahrnehmungen berichtet. Und seine eigenen Wahrnehmungen sind auch beispielsweise Gespräche, die er mit Ermittlungsbeamten geführt hat oder Schriftstücke, die er zur Kenntnis genommen hat oder vielleicht auch Besprechung in seiner Behörde selbst. Und um diese eigenen Wahrnehmungen geht es; und die sind nur im Wege einer Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung und nicht über den Umweg des § 256 der Strafprozeßordnung prozeßordnungsgemäß in die Hauptverhandlung einzuführen. Ich sage auch in aller Offenheit, daß mich die Begründung des soeben verkündeten Beschlusses des Senats nicht überzeugt. Und daß ich an meiner Rechtsauffassung festhalte[bb]. Ich hätte es auch insoweit gern gesehen, wenn man sich einmal mit der Argumentation der Verteidigung etwas eingehender auseinandergesetzt hätte, zumal auch in anderen Fällen, ich kann das also erwähnen, Frage des Polizeipräsidenten ist einmal ein Beweisantrag in einem Strafverfahren gestellt worden. Selbstverständlich ist dann der Polizeipräsident nicht als Behörde schriftlich vernommen worden, sondern als Person, als Zeuge. Und insoweit sind das ganz gleich gelagerte Fälle, die man jetzt nicht unterschiedlich behandeln sollte, nur weil es sich vielleicht um einen Zeugen handelt, der in einer Behörde tätig ist, die hier an dem Verfahren in besonderer Weise beteiligt ist.

Vors.:

Sonstige Stellungnahmen? Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann. Wir wollen die Verteidiger vielleicht abschließend sich äußern lassen, bitte.

RA Dr. He[ldmann]:

Das Grundsätzliche ist, mit dem was Herr Schily soeben ausgeführt hat, bereits gesagt, so denke ich. Ich habe vorhin selbst darauf hingewiesen, daß Herr Buback sehr detaillierte und sehr spezielle Kenntnisse gerade [11454] des Komplexes Zeugeneinvernahme Müller, Zeugeneinvernahme Hoff, öffentlich geäußert hat. Daß aber offensichtlich diese Auskunft auch nicht annäherungsweise dem Beweisantrag, dem Beweisbegehren gerecht wird und zwar erkennbar, handgreiflich erkennbar nicht gerecht wird, etwa beispielsweise die folgenden 3 Formulierungen: „Angehörige meiner Behörde“ - wir entnehmen aus dem nächsten Satz, daß damit Angehörige der Bundesanwaltschaft unmittelbar gemeint sind - „haben nicht Angebote als Gegenleistung für eine Aussage gemacht.“ Die Frage bleibt offen, haben sie vielleicht machen lassen. Diese Frage wäre durch eine Zeugeneinvernahme zu klären. 2. Etwa die weitere Frage, ist nicht das Bundeskriminalamt die ausführende - oder die Hilfsbehörde der Bundesanwaltschaft. Hat nicht als eine der ersten Besucher die Zelle des späteren Zeugen Müller ein Bundesanwalt betreten, und von da an haben dann Beamte des Bundeskriminalamts ihre Tätigkeit dort und darum herum entfaltet. Oder eine Absprache seitens der Bundesanwaltschaft ist nicht getroffen worden. Hat aber etwa die Bundesanwaltschaft bewirkt oder ist im Einvernehmen oder auch nur in Kenntnis der Bundesanwaltschaft eine Absprache getroffen worden, daß Müller sein Urteil in seinem eigenen Strafverfahren abwartete und erst nach Ablauf der Revisionsfrist für die Staatsanwaltschaft seine Aussagen protokollieren ließe. „Ein Einvernehmen“ - so heißt es weiter - „zwischen Müller und der Bundesanwaltschaft darüber, ‚möglichst viel für die publizistische Verwertung seiner Aussagen herauszustärken‘, gibt es nicht“. Ein Einvernehmen zwischen Müller und der Bundesanwaltschaft; der unmittelbare Kontakt ist angesprochen. Danach bleibt offen jedoch die Frage, wußte jedoch die Bundesanwaltschaft, daß Journalisten die Klinke der Zellentür des Herrn Müller sozusagen putzten, ehe noch - wie wir aus amtlichen, jedenfalls öffentlichen Äußerungen wissen - ehe noch Müller gegenüber dem Bundeskriminalamt, also den Ermittlungsbehörden im weiteren Sinne, seine Aussagen zu Protokoll gegeben hat. Das sind die Fragen, die daran detailliert nun etwa schließen. Und sie liegen offen, so meine ich, daß der Beweisantrag durchaus nicht erledigt ist, daß viel- [11455] mehr die Beweisfragen offengeblieben sind.

Vors.:

Weitere Erklärungen seitens der Herren Verteidiger? Herr Rechtsanwalt Künzel.

RA Kü[nzel]:

Ich meine, daß durch die Verlesung dieses Schreibens eine Zeugenvernehmung des Herrn Buback nicht erledigt ist. Zeugnis im Sinne des § 256 StPO heißt sicherlich nicht, Zeugnis im Sinne des ... der Zeugenvernehmung. Das ergibt sich schon in der Aufzählung Zeugnis oder Gutachten, innerhalb einer Erklärung. Es ist meiner Meinung nach ein Zeugnis, das eine Behörde erteilen kann, innerhalb ihrer Befugnisse - etwa Güteklasse irgendeines Salates oder ähnliches - aber nicht Zeugnis als Angaben eines Zeugen. Es kommt zwar, ich wiederhole, bei der Verweigerung des Zeugnisses, auch das Wort „Zeugnis“ in den vorderen Abschnitten der Strafprozeßordnung vor, aber im übrigen macht der Zeuge „Angaben“. Und rein grammatikalisch trifft’s die Sache nicht. Wir haben hier nicht die Erklärung einer Behörde, die ein Zeugnis, ein Zeugnis enthält. Deshalb bitte ich, das noch einmal zu überprüfen und ich meine, daß mit der Verlesung der Beweisantrag, auch der Freibeweis, nicht erledigt ist.

Vors.:

Was meinen Sie mit „nochmals zu überprüfen“. Der Sinn der Äußerung ist ja gerade, um eine Überprüfung zu ermöglichen.

RA Kü[nzel]:

Sicher, nur Sie haben ja nun vorher beschlossen, zu verlesen.

Vors.:

Zu verlesen; und jetzt haben wir zu befinden, was jetzt mit dem Beweisantrag geschehen soll. Wir treten in eine erstmalige Prüfung dieser Frage ein, so daß also das „nochmals“ sicher nicht ... Weitere ... Herr Rechtsanwalt Grigat.

RA Gri[gat]:

Auch Herr Raspe hat sich am 20.7.76 für die Vernehmung des Herrn Generalbundesanwalts ausgesprochen und dies beantragt. Die Verweigerung der Aussagegenehmigung, lediglich unter Berufung auf den Gesetzestext, halte ich für rechtswidrig. Für Herrn Raspe schließe ich mich dem Antrag von Frau Ensslin daher an, die Beweisaufnahme nicht zu schließen, bevor das Verwaltungsgericht Köln über den Antrag der Frau Ensslin auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung beziehungsweise über deren Klage auf Verpflichtung [11456] zur Erteilung einer Aussagegenehmigung an Herrn Generalbundesanwalt Buback rechtskräftig entschieden hat.

Vors.:

Das ist keine Äußerung zu der jetzt angeschnittenen Frage, sondern ein Rückgriff auf die gestellten Anträge der Herren Rechtsanwälte Schily und Dr. Heldmann. Sonst keine Äußerung? Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.

BA Dr. Wu[nder]:

Die verlesene Erklärung hat sich an dem Wortlaut des Beweisantrages von Herrn Rechtsanwalt Schily orientiert. Deswegen wurde sie so, wie geschehen, formuliert. Der Generalbundesanwalt ist Leiter[cc] einer[dd] Ermittlungsbehörde. Er kann deshalb nur für diese Behörde, der er vorsteht, eine Erklärung abgeben, nicht für andere. Die Erklärung des Generalbundesanwalts - ich will nicht vorgreifen, aber ich glaube, das sagen zu können - könnte, falls es für erforderlich gehalten wird, dahingehend ergänzt werden, durch eine Erklärung, daß ihm, dem Generalbundesanwalt, auch nichts über entsprechende Angebote usw. seitens von Polizeibeamten bekannt ist, und daß die Bundesanwaltschaft auch auf solches nicht hingewirkt hat. Ich glaube, wenn das der Senat für erforderlich halten sollte, wäre das möglich.

Vors.:

Wir werden uns vorbehalten dann, eventuell auf eine solche Ergänzung hinzuwirken; das würde im Schriftwege geschehen. Der Senat wird über die jetzt aufgetauchten Fragen zu entscheiden haben. Für heute ist nur noch auf folgendes hinzuweisen. Das Original-Schreiben des Herrn Generalbundesanwalts [ee] kommt zu dem Ordner wieder „Beweisanträge“, er ist ja den Herrn Beteiligten bekannt. Unser[ff] weiteres Sitzungsprogramm sieht so aus, daß wir in dieser Woche kein Programm mehr haben. Wir können am Donnerstag ohnehin nicht verhandeln, weil da die Vernehmung der Zeugin Roll in Triest stattfindet. Ich glaube, sämtliche Beteiligten haben inzwischen die Terminnachricht erhalten. Wir hängen dann davon ab, bis wann wir diese Vernehmungsprotokolle oder das Vernehmungsprotokoll, das anfällt, hier übersandt bekommen. Und ich würde aus Sicherheitsgründen vorschlagen, daß wir erst am Mittwoch, dem 8.9., die Sitzung dann fortsetzen, um jedenfalls nicht am Dienstag zusammenzutreffen und dann zu erfahren, daß uns die italienische Post, oder wer das immer befördert, das Protokoll noch nicht geliefert hat. [11457] Das Konsulat selbst hat zugesagt, daß das Protokoll sofort in Marsch gesetzt wird, sobald es abgefaßt ist.

RA Schi[ly]:

Wäre es möglich, dann am Mittwoch um 9.30 Uhr zu beginnen?

Vors.:

Das wäre eine Möglichkeit, setzen wir gleich fest. Mittwoch, 9.30 Uhr. Nun hat der Senat einige Entscheidungen zu treffen. Es sind bis jetzt nur Ankündigungen von Anträgen erfolgt. Anträge liegen noch nicht vor. Ich möchte deshalb - obwohl es offensichtlich wieder darauf hinausgeht, daß die Frage der Plädoyers noch nicht so dringlich wird; kein Mensch kann das voraussagen, wann es tatsächlich zu den Plädoyers kommen kann - trotzdem möchte ich die Frage anschneiden: Wie wird im Falle der Plädoyers die Frage der Protokollierung gedacht von den Beteiligten? Sollen die Plädoyers auch auf Tonband aufgenommen werden? Wollen Sie sich dazu äußern? Bitte, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.

BA Dr. Wu[nder]:

Herr Vorsitzender, wir wären bereit, die Anträge im engeren Sinne zu Protokoll zu geben, das heißt, auf Tonband zu sprechen. Im übrigen aber sind wir weder bereit noch verpflichtet, unsere Erklärungen auf Band abzugeben. Ich darf daran erinnern, daß erst kürzlich wieder eine Broschüre erschienen ist, in der Ausführungen der Bundesanwaltschaft völlig aus dem Zusammenhang gerissen abgedruckt worden sind. Wir können mithin nicht ausschließen, daß mit unseren Ausführungen Mißbrauch getrieben wird. Auf dieser Meinung beharren wir, zumal, und das ist aber nur eine Nebenerwägung, wir heute noch auf die zugesagten Ausführungen der Angeklagten zur Sache[38] warten.

Vors.:

Danke. Nun, es hängt ja völlig von Ihrer Zustimmung ab, ob auf Protokoll gesprochen werden kann und darf.[39] Wenn Sie sich da nicht davon abbringen lassen, beziehungsweise die Erklärung abgegeben haben, dann hat es der Senat hinzunehmen. Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Schi[ly]:

Ja, also ich kenne die Broschüre nicht, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder, aber es ist für mich verwunderlich, daß also, wenn ein Zitat, selbst wenn es aus dem Zusammenhang gerissen wird, von Ihnen insofern als Mißbrauch be- [11458] zeichnet wird. Das kann natürlich auch jederzeit dadurch geschehen, daß hier jemand im Zuhörersaal sitzt und irgendetwas mitschreibt, und dann womöglich auch entstellt wiedergibt. Das ist das Schicksal leider auch der Verteidigung in vieler Hinsicht gewesen, daß mitunter also Darlegung der Verteidiger falsch oder verzerrt oder unvollständig oder wie immer wiedergegeben werden. Ich halte es aber doch eigentlich für angemessen, nachdem wir so viele Erklärungen hier auf dem, auf der Tonbandniederschrift haben, der Authentizität halber also auch die Darlegung der Bundesanwaltschaft hier in vollem Wortlaut dann im Protokoll erscheinen zu lassen. Ich meine, wenn sich die Bundesanwaltschaft schon vorweg scheut, daß das hier in die Annalen dieses Verfahrens eingeht, dann hat sie das selbstverständlich selbst zu vertreten. Es kann sie niemand dazu zwingen, eine solche Zustimmung zu erteilen. Aber es ist vielleicht schon ein Hinweis, auf die Qualität dessen, was uns da von der anderen Seite erwartet.

Unruhe im Sitzungssaal.

Vors.:

Ich bitte im Saal um Ruhe. Außerdem, ich meine das ist eine Schlußfolgerung, die nicht zwingend ist. Die Gründe sind angegeben worden ...

BA Dr. Wu[nder]:

Herr Rechtsanwalt Schily, wir scheuen uns nicht. Wir werden so deutlich sein im Plädoyer, daß jeder alles mitbekommt.

Vors.:

Der Senat hat zu dieser Frage nichts zu sagen. Wiegesagt, ich muß es den Beteiligten überlassen, inwieweit sie bereit sind, auf das Tonband zu sprechen und inwieweit nicht.

Herr Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Gerade erstens die angekündigte Deutlichkeit spräche doch sehr dafür, deutlich auch aufs Papier kommen zu lassen. Und 2. ...

Vors.:

Meine Herren, ich darf folgendes ... Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, da der Senat in dieser Frage weder was zu entscheiden noch zu bestimmen hat, würde ich vorschlagen, daß das vielleicht unter der Verteidigung, innerhalb der Verteidigung und Bundesanwaltschaft besprochen und ausgemacht wird. Wir [11459] müssen es hinnehmen, wie die Prozeßbeteiligten sich dazu einstellen. Es ist vielleicht ganz gut, daß diese Frage mal angeschnitten wird. Sofern irgendwelche Schreibhilfen und dergleichen benötigt würden im Falle der Plädoyers, ist diese Frage jedenfalls rechtzeitig angesprochen.

RA Dr. He[ldmann]:

Aber nachdem, Herr Vorsitzender, diese Frage doch Herr Bundesanwalt Wunder angesprochen hat und auch noch mit dieser Begründung, wäre da auch noch darauf hinzuweisen, nämlich 2. wollte ich sagen, wo Sie falsch zitiert worden sein sollten. Ich weiß auch nicht, worum es sich handeln soll. Dann wäre doch umso mehr geboten, hier durch die Protokollierung für die Original-Zitate zu sorgen. Und 3. ich meine jedenfalls, daß die Verteidigung Wert darauf legen wird, daß ihre Ausführungen, jedenfalls - soweit spreche ich für mich - auf Tonband, wie bisher geschehen, aufgenommen werden.

Vors.:

Gut, das ist die Erklärung. Sie sind also bereit, daß Ihre Ausführungen hier mit Tonband mitgeschnitten werden.

RA Schi[ly]:

Ich habe noch eine kurze Frage, wegen der kommissarischen Vernehmung. Ich habe in meiner langjährigen Verteidigertätigkeit noch keine solche konsularische Vernehmung erlebt. Ich würde gerne wissen, durch wen diese konsularische Vernehmung durchgeführt werden wird. Wird da ein beauftragter Richter des Senats sie durchführen oder soll die über den Herrn Konsul oder wen?

Vors.:

Das ist im Gesetz, in den Konsulargesetzen[40] [gg] ganz klar geregelt ...

RA Schi[ly]:

Ja, vielen Dank. Ich kann auch gern im Gesetz nachlesen. Aber vielleicht[hh] wäre es möglich, daß vielleicht ...

Vors.:

... das ist eine Rechtsauskunft, die wir ... da können wir wirklich auf das Gesetz verweisen. Es ist klar, daß es durch ...

RA Schi[ly]:

[ii] Wird die Bundesanwaltschaft dort vertreten sein. Darf man[jj] diese Frage vielleicht an die Bundesanwaltschaft richten, bei der Vernehmung?

BA Dr. Wu[nder]:

Nein, Herr Rechtsanwalt, wir fahren nicht nach Triest.

RA Schi[ly]:

Danke.

[11460] Vors.:

Damit sind wir also am Ende des heutigen Tages. Und um es nochmals festzuhalten,

Mittwoch, 8.9.1976, um 9.30 Uhr

mit einem noch nicht gewissen Verhandlungsprogramm Fortsetzung.

Ende der Hauptverhandlung 15.53 Uhr.

Ende des Bandes 669.


[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 - Az.: 1 StE 1/74 - StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).

[2] 1974 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das Recht auf ein faires Verfahren verlange, Zeug/innen grundsätzlich das Recht zuzugestehen, einen Rechtsbeistand des Vertrauens zur Vernehmung hinzuzuziehen, wenn sie es für die Wahrnehmung ihrer prozessualen Befugnisse erforderlich hielten. Insbesondere die Lage derjenigen Zeug/innen, die sich durch ihre Aussage der eigenen Strafverfolgung aussetzen könnten, sei mit der Lage von Beschuldigten in einem Strafverfahren vergleichbar (BVerfG, Beschl. v. 8.10.1974 - Az.: 2 BvR 747/73, BVerfGE 38, S. 105, 112 ff.). Inzwischen ist dieses Recht gesetzlich in § 68b StPO verankert.

[3] § 57 StPO a.F. schrieb für die Belehrung von Zeug/innen vor: „Vor der Vernehmung sind Zeugen zur Wahrheit zu Ermahnen und darauf hinzuweisen, daß sie ihre Aussage zu beeidigen haben, wenn keine im Gesetz bestimmte oder zugelassene Ausnahme vorliegt. Hierbei sind sie über die Bedeutung des Eides, die Möglichkeit der Wahl zwischen dem Eid mit religiöser oder ohne religiöse Beteuerung sowie über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage zu belehren.“ Im Unterschied dazu ist die Vereidigung von Zeug/innen heute nur noch die Ausnahme (§ 59 StPO).

[4] Zu den Besonderheiten dieses Verfahrens gehörte es, dass sich die Prozessbeteiligten darauf einigten, ein gerichtliches Wortprotokoll als Arbeitsgrundlage anzufertigen (s. dazu S. 4 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag). Gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich ein sog. Ergebnisprotokoll, in welchem der Gang und die wesentlichen Ergebnisse der Hauptverhandlung sowie die wesentlichen Förmlichkeiten festgehalten werden (§§ 272, 273 StPO). Die wörtliche Protokollierung ist nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO nur dann vorgesehen, wenn es auf die Feststellung des Wortlauts einer Aussage oder Äußerung ankommt. Nach der damaligen Rechtsprechung bedurfte die Tonbandaufnahme in der Hauptverhandlung stets der Zustimmung der Beteiligten (BGH, Urt. v. 4.2.1964 - Az.: 1 StR 510/63, NJW 1964, S. 602 f.; OLG Schleswig, Beschl. v. 6.5.1992 - Az.: 2 Ws 128/92, NStZ 1992, S. 339). Heute wird die gerichtliche Tonbandaufnahme z.T. auch ohne Zustimmung der Beteiligten für zulässig erachtet (Kulhanek, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/2, 1. Aufl. 2018, § 169 GVG Rn. 35; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 169 GVG Rn. 13).

[5] Nach § 55 Abs. 1 StPO steht Zeug/innen ein Auskunftsverweigerungsrecht zu, wenn sie sich selbst oder ihre Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) durch die Beantwortung einer Frage der Gefahr aussetzen würden, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.

[6] Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung war die Vereidigung von Zeug/innen nach § 59 f. StPO a.F. grundsätzlich vorgeschrieben. Ausnahmen galten nur für wenige Vereidigungsverbote, darunter bei Personen, die selbst wegen der Beteiligung der gegenständlichen Tat verdächtig oder bereits verurteilt worden waren (§ 60 Nr. 2 StPO). Darüber hinaus hatte das Gericht die Möglichkeit, in bestimmten Fällen von der Vereidigung abzusehen (§ 61 StPO a.F.). Im Unterschied dazu bestimmt der heutige § 59 Abs. 1 Satz 1 StPO, dass eine Vereidigung nur dann erfolgt, wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage nach seinem Ermessen für notwendig hält.

[7] Die Zeugin Stachowiak wurde bereits am 130. Und 131. Verhandlungstag vorgeführt, weigerte sich jedoch, Angaben zu machen, da sie aufgrund des langen Transports und der „Vernichtungshaft“ dazu gesundheitlich nicht in der Lage sei (S. 10913 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 130. Verhandlungstag, sowie S. 10919 ff. des Protokolls, 131. Verhandlungstag). Auf Antrag der Bundesanwaltschaft und gegen den Widerspruch der Verteidigung ordnete der Senat daraufhin Beugehaft an (S. 10927 des Protokolls der Hauptverhandlung, 131. Verhandlungstag). Beugehaft dient nach § 70 Abs. 2 StPO „der Erzwingung des Zeugnisses“ und kann für einen Zeitraum von bis zu 6 Monaten angeordnet werden, wenn Zeug/innen Angaben verweigern, ohne hierfür einen gesetzlichen Grund anführen zu können (etwa ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO, oder Zeugnisverweigerungsrechte aus §§ 52, 53 StPO).

[8] Am Morgen des 9. Mai 1976 wurde Ulrike Meinhof tot in ihrer Zelle aufgefunden. Nach der öffentlichen Bekanntgabe, Ulrike Meinhof habe Selbstmord begangen, entstanden in mehreren deutschen Städten Proteste. In anderen europäischen Ländern wurden deutsche Einrichtungen angegriffen. Die übrigen RAF-Insass/innen sowie weitere Sympathisant/innen und Unterstützer/innen gingen von einem Mord aus. Meinhofs Tod wurde damit zu einem auch medial breit diskutierten Ereignis. Auf Druck u.a. von Meinhofs Angehörigen wurde schließlich eine Nachobduktion durchgeführt, die jedoch zu keinem eindeutigen Ergebnis führte. Außerdem nahm sich eine internationale Untersuchungskommission des Falls an. Sie bestand überwiegend aus Jurist/innen, Ärzt/innen und Journalist/innen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Dänemark; unter den Mitgliedern befanden sich auch bekannte Persönlichkeiten wie etwa Simone de Beauvoir. In ihrem Bericht aus dem Jahr 1978 kam die Kommission zu dem Schluss, dass ein Selbstmord Meinhofs nicht erwiesen sei. Gegenteilige Beweise erbrachte die Kommission allerdings ebenfalls nicht. Die genauen Umstände von Meinhofs Tod blieben weiterhin umstritten (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 394 ff.; Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 268 ff.; März, Linker Protest nach dem Deutschen Herbst, 2012, S. 159 ff.; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 398 ff.; zum Bericht der Kommission s. Internationale Untersuchungskommission zum Tode Ulrike Meinhofs, Der Tod Ulrike Meinhofs: Bericht der Internationalen Untersuchungskommission, 1979).

[9] § 178 GVG ermöglicht bei ungebührlichem Verhalten die die Festsetzung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft.

[10] Siegfried Buback war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung Generalbundesanwalt und damit Leiter der Strafverfolgungsbehörde „Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof“, welche das Amt der Staatsanwaltschaft beim BGH (§ 142 Nr. 1 GVG), sowie in den zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug gehörenden Strafsachen (§ 120 Abs. 1 und 2 GVG) ausübt (§ 142a Abs. 1 GVG).

[11] Das INFO war ein Informations- und Kommunikationssystem, das einen Austausch von Rundbriefen, Zeitungsartikeln etc. unter den inhaftierten RAF-Mitgliedern ermöglichte. Über die Verteidigerpost, die im Vergleich zu anderer Post vollzugsrechtlich privilegiert ist (§§ 97 Abs. 1 Nr. 1, 148 StPO), konnte Material ohne vorherige Zensur ausgetauscht werden. Den Rechtsanwälten Ströbele, Groenewold und Dr. Croissant wurde später vorgeworfen, durch die Beteiligung am „Info-System“ dazu beigetragen zu haben, dass die inhaftierten RAF-Mitglieder auch aus der Haft heraus ihre kriminelle Vereinigung hätten fortführen können. Dabei ging es nicht um das INFO an sich, sondern um die Weiterleitung ganz bestimmter Unterlagen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 521 ff.; s. auch die Interviews mit K. Groenewold und H.-C. Ströbele, in Diewald-Kerkmann/Holtey [Hrsg.], Zwischen den Fronten, 2013, S. 49, 58 f., 70 f. sowie S. 121, 132 f.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 52).

[12] Vor dem Landgericht Hamburg fand zu dieser Zeit das Verfahren gegen die sog. „Gruppe 4.2.“ statt. Nach den Verhaftungen der RAF-Führungsriege 1972 begann eine Gruppe um Margrit Schiller ab Mitte 1973 damit, sich zu reorganisieren. Ihre Pläne zur gewaltsamen Befreiung der inhaftierten Mitglieder wurden jedoch durch ihre Festnahmen am 4. Februar 1974 verhindert. In Anlehnung an das Verhaftungsdatum wurde die Gruppierung als Gruppe 4.2. bezeichnet. Verhaftet wurden an diesem Tag in Frankfurt am Main neben Margrit Schiller auch Kay-Werner Allnach und Wolfgang Beer, darüber hinaus Eberhard Becker, Christa Eckes, Helmut Pohl und Ilse Stachowiak in Hamburg, sowie kurz darauf Ekkehard Blenck (zusammen mit Axel Achterrath) in Amsterdam. Sie wurden am 28. September 1976 vom Landgericht Hamburg zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 55, 78 ff., 116 ff., 121 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 357 ff.; Straßner, in Ders. [Hrsg.] Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 209, 219; Stuberger, Die Akte RAF, 2008, S. 263).

[13] S. bereits Fn. 7. Auch die Zeugin Eckes gab bei ihrer früheren Vorführung an, aufgrund ihres Gesundheitszustands und der Transport- und Haftbedingungen („Isolationshaft“) keine Angaben machen zu können (S. 10927 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 131. Verhandlungstag). Daraufhin ordnete der Senat auch im Hinblick auf die Zeugin Eckes Beugehaft an (S. 10934 des Protokolls der Hauptverhandlung, 131. Verhandlungstag).

[14] Rolf Pohle war ein linker Aktivist aus München. 1969 wurde er aufgrund seiner Teilnahme an den Osterunruhen nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke zu 15 Monaten Haft (ohne Bewährung) verurteilt, jedoch im Rahmen der „Brandt-Amnestie“ wieder freigelassen. Nachdem ihm aufgrund seiner Vorstrafe jedoch die Zweite Juristische Staatsprüfung verwehrt blieb, bewegte er sich ab 1970/71 im Umfeld der militanten Münchner Formation „Tupamaros München“. Am 18. Dezember 1971 wurde er verhaftet, als er versuchte, mit einem gefälschten Ausweis Waffen zu erwerben und im März 1974 wegen illegalen Waffenbesitzes und aufgrund seiner angeblichen Zugehörigkeit zur RAF wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Haftstrafe in Höhe von fast sechseinhalb Jahren verurteilt. Er gehörte zu denjenigen Insass/innen, die 1975 durch die Lorenz-Entführung in den Südjemen ausgeflogen wurden. Er verließ den Jemen aber und ging nach Griechenland, wo er 1976 verhaftet wurde. Zunächst lehnten griechische Behörden und Gerichte eine Überstellung in die Bundesrepublik ab. Pohles Auslieferung wurde zum Skandal, als sich viele Unterstützer/innen in Griechenland mit Parolen wie „Übergebt Pohle nicht den Nazis!“ mobilisierten und der Fall vor dem obersten Gericht für Zivil- und Strafsachen (Areopag) verhandelt wurde. Letztlich wurde Pohle im Oktober 1976 ausgeliefert und in die JVA Straubing verlegt. Pohle bestritt bis zu seinem Tod seine Mitgliedschaft in der RAF und wird von der aktuellen Forschung eher der im Entstehen befindlichen Bewegung 2. Juni zugerechnet (Danyluk, Blues der Städte, 2019, S. 513 f.; Hocks, in Kiesow/Simon [Hrsg.], Vorzimmer des Rechts, 2006, S. 129 ff.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 761 Anm. 56; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 388 f.).

[15] Anlage 1 zum Protokoll vom 31.8.1976: Antrag des Rechtsanwalts Künzel auf Vernehmung von Frau Beilmann als Zeugin.

[16] Landes- und Bundesbeamt/innen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet bezüglich aller Angelegenheiten, die ihnen im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit bekanntgeworden sind. Aussagen vor Gericht hierüber sind nur nach und im Umfang der Genehmigung durch den jeweiligen Dienstherrn gestattet (heute geregelt in § 37 Abs. 1 und 3 BeamtStG für Landesbeamt/innen und in § 67 Abs. 1 und 3 BBG für Bundesbeamt/innen; für den Stand 1975 galten für Landesbeamt/innen noch Landesgesetze, die sich allerdings an § 39 des Beamtenrechtsrahmengesetzes vom 1.7.1957 orientieren mussten; für Bundesbeamt/innen galt § 61 BBG a.F.). § 54 Abs. 1 StPO stellt sicher, dass die Verschwiegenheitspflicht auch im Falle einer Vernehmung als Zeug/in in einem Strafprozess fortbesteht.

[17] Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes (§ 123 VwGO) kann grundsätzlich nur eine vorläufige Entscheidung erreicht werden; eine endgültige Entscheidung erfolgt erst in dem Verfahren der Hauptsache. Daher ist es im einstweiligen Rechtsschutzverfahren in der Regel nicht möglich, eine Entscheidung zu erreichen, die die Hauptsache unwiderruflich vorwegnehmen würde. Eine solche endgültige Vorwegnahme ist allerdings in Ausnahmefällen zulässig, wenn die Hauptsache nach einem strengen Maßstab erkennbar Erfolg haben wird, eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rechtzeitig erwirkt werden kann und dem/der Antragssteller/in hieraus unzumutbare Nachteile entstehen würden. Im Falle einer beantragten Aussagegenehmigung für einen Untersuchungsausschuss bejahte das Bundesverwaltungsgericht diese unzumutbaren Nachteile, die durch eine Beendigung des Untersuchungsverfahrens vor Entscheidung in der Hauptsache eintreten würden (BVerwG, Beschl. v. 13.8.1999 - Az.: 2 VR 1/99, BVerwGE 109, S. 258, 262 f.). Zur Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs s. auch BVerwG, Urt. v. 24.6.1982 - Az.: 2 C 91.81, BVerwGE 66, S. 39, 41).

[18] Der Schlosser Karl-Heinz Ruhland wurde im Dezember 1970 verhaftet. Erst wenige Monate zuvor hatte Ruhland wohl aus Geldsorgen begonnen, die RAF mit dem Frisieren gestohlener Autos zu unterstützen. Am 29. September 1970 beteiligte sich Ruhland an den Berliner Banküberfällen. Bis zu seiner Verhaftung kundschaftete er u.a. gemeinsam mit Meinhof und Jansen mögliche Einbruchsziele aus und beging Diebstähle. In mehreren Verfahren gegen RAF-Mitglieder fungierte Ruhland, der sich von der RAF losgesagt hatte, als umstrittener Belastungszeuge. Mit Urteil vom 15.3.1972 wurde er vom OLG Düsseldorf wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; nach nur zweieinhalb Jahren wurde er vom damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann begnadigt. Im Laufe seiner verschiedenen Aussagen verstrickte er sich in zahlreiche Widersprüche (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 243 ff., 253 ff., 260, 271 ff.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 243 ff.). Rechtsanwalt Heinrich Hannover bezeichnete ihn auch als „berühmtesten oder richtiger ruhmlosesten aller bisherigen Kronzeugen“ (Hannover, Terroristenprozesse, 1991, S. 140).

[19] Dierk Hoff, der in seiner Werkstatt einige der später von der RAF verwendeten Sprengkörperhüllen hergestellt hatte, wurde als einer der Hauptbelastungszeugen ab dem 68., sowie am 98. Verhandlungstag vernommen.

[20] Gerhard Müller war ein ehemaliges Mitglied der RAF und einer der Hauptbelastungszeugen in diesem sowie in weiteren Verfahren gegen Mitglieder der RAF. Er wurde ab dem 124. Verhandlungstag als Zeuge vernommen.

[21] Die Verteidigung versuchte, eine unzulässige Beeinflussung der Strafverfolgungsbehörden auf die Zeugen Hoff und Müller zu beweisen. Rechtsanwalt Heldmann stellte hierzu (in Bezug auf den Zeugen Hoff) am 89. Verhandlungstag den Antrag, den Generalbundesanwalt Siegfried Buback als Zeuge zu vernehmen (S. 7962 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Der Antrag wurde am 108. Verhandlungstag abgelehnt (S. 9596 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Betr. den Zeugen Müller s. insbesondere die Beweisanträge in den Anlagen 4 bis 19 zum Protokoll zum 20.7.1976, S. 10643 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (128. Verhandlungstag).

[22] Die Strafprozessordnung unterscheidet zwischen (kürzeren) Unterbrechungen und der Aussetzung des Verfahrens. Während die Unterbrechung der Hauptverhandlung für einen kürzeren Zeitraum (§ 229 Abs. 1 StPO a.F.: bis zu zehn Tage; heute: 3 Wochen) durch den/die Vorsitzende/n angeordnet werden kann (§ 228 Abs. 1 Satz 2 StPO), ist für die Entscheidung über die Aussetzung sowie über für bestimmte Situationen vorgesehene längere Unterbrechungen (z.B. nach § 229 Abs. 2 StPO) das Gericht - hier wäre das der Senat in voller Besetzung - zuständig (§ 228 Abs. 1 Satz 1 StPO). Eine Aussetzung hat stets die Folge, dass mit der Hauptverhandlung von neuem zu beginnen ist; gleiches gilt für eine die Frist des § 229 Abs. 1 StPO überschreitende Unterbrechung (§ 229 Abs. 3 Satz 1 StPO a.F.; heute Abs. 4 Satz 1 StPO; s. zu den grundlegenden Unterschieden zwischen Aussetzung und Unterbrechung auch Arnoldi, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 228 Rn. 3 ff.).

[23] Anlage 2 zum Protokoll vom 31.08.1976: Antrag der Angeklagten Ensslin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Erteilung einer Aussagegenehmigung für den Generalbundesanwalt Buback).

[24] § 223 StPO ermöglicht die Vernehmung durch eine/n ersuchte/n oder beauftragte/n Richter/in, wenn dem Erscheinen von Zeug/innen in der Hauptverhandlung nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen, oder ihnen das Erscheinen wegen großer Entfernungen nicht zugemutet werden kann. Die Vernehmung kann auch im Ausland stattfinden. Das Ergebnis der Vernehmung kann gem. § 251 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO a.F. (heute: § 251 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO) durch Verlesen des richterlichen Vernehmungsprotokolls in die Hauptverhandlung eingeführt werden.

[25] Die Revision ist ein Rechtsmittel gegen Urteile, mit welchem Rechtsfehler, d.h. die Nicht- oder Falschanwendung einer Rechtsnorm, gerügt werden können (§ 337 StPO). In der Regel muss zudem dargelegt werden, dass das Urteil gerade auf diesem Rechtsfehler beruht („relative Revisionsgründe“), dass also nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei korrekter Anwendung der Rechtsnorm eine andere Entscheidung ergangen wäre (Gericke, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 337 Rn. 33 ff.). Mit der Revision können grundsätzlich nur Rechtsfehler des erkennenden Gerichts gerügt werden, nicht dagegen solche der für die Erteilung der Aussagegenehmigung zuständigen Stelle, sofern diese für das Gericht nicht erkennbar waren. Auch das Vorliegen eines neuen Beweismittels ist kein Umstand, der der Revision zu Erfolg verhelfen könnte, da hier, anders als in der Berufung (§ 324 Abs. 2 StPO), keine erneute Beweisaufnahme stattfindet. In Betracht kommen kann aber eine Aufklärungsrüge (Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht, § 244 Abs. 2 StPO), wenn sich das Gericht nicht hinreichend um eine Aussagegenehmigung bemüht hat (BGH, Beschl. v. 26.6.2001 - Az.: 1 StR 197/01, NStZ 2001, S. 656; Bader, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 54 Rn. 26) oder die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Versagung der Aussagegenehmigung nicht hinreichend aufgeklärt hat. Gleiches gilt, wenn die Fehlerhaftigkeit der Verweigerung einer Aussagegenehmigung für das Gericht erkennbar ist. Dann ist das Gericht gehalten, bei der zuständigen Behörde eine Gegenvorstellung zu erheben. Einschränkend muss jedoch zu erwarten sein, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Behörde ihre Entscheidung ändern würde (Percic, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, § 54 Rn. 36).

[26] Mit Ablauf der Rechtsmittelfrist, oder wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind und eine letztinstanzliche Entscheidung ergangen ist, erwächst das Urteil in (formeller) Rechtskraft. Mit der Rechtskraft entfaltet die Entscheidung auch ihre dauerhafte Wirkung, die nur in Ausnahmefällen wieder durchbrochen werden kann (Nestler, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3.1, 1. Aufl. 2019, § 449 Rn. 27). Die §§ 359 ff. StPO enthalten eng begrenzte Wiederaufnahmemöglichkeiten. So ist zugunsten des/der Beschuldigten eine Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO zulässig, „wenn neue Tataschen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung [...] zu begründen geeignet sind.“

[27] Der Zeuge Müller war in der Anklageschrift noch nicht als Beweismittel vorgesehen. Erst am 118. Verhandlungstag stellte Bundesanwalt Dr. Wunder den Antrag, Gerhard Müller als Zeugen zu vernehmen (S. 10035 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[28] § 250 StPO enthält den Grundsatz der persönlichen Vernehmung. Nach § 250 Satz 2 StPO darf die Vernehmung einer Person über Tatsachen, die sie wahrgenommen hat, nicht durch die Verlesung einer früheren Vernehmung oder einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden. Die §§ 251 ff. StPO enthalten enge Ausnahmen von diesem Grundsatz. § 256 StPO benennt bestimmte Arten verlesbarer Erklärungen, darunter die „ein Zeugnis oder Gutachten enthaltenden Erklärungen öffentlicher Behörden“ (§ 256 Abs. 1 Satz 1, 1. Var. StPO a.F.; heute: § 256 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StPO).

[29] Sachleitungsbezogene Anordnungen des/der Vorsitzenden können als unzulässig beanstandet werden (§ 238 Abs. 2 StPO). Über die Beanstandung entscheidet sodann das Gericht, in diesem Fall der Senat in voller Besetzung.

[30] § 244 Abs. 3 bis 6 StPO enthalten die abschließenden Gründe, aus denen Beweisanträge abgelehnt werden können. Nach der h.M. ist in § 256 StPO allerdings eine weitere Einschränkung des Beweisantragsrechts zu sehen: das Gericht kann auch bei beantragter Zeugenvernehmung einen „Austausch“ des Beweismittels vornehmen, indem es sich zur Verlesung nach § 256 StPO entschließt. Das Gericht bleibt allerdings weiter an die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO gebunden, sodass die Verlesung nach § 256 StPO die Vernehmung in der Hauptverhandlung dann nicht ersetzen kann, wenn hiervon eine bessere Sachaufklärung zu erwarten ist (Krüger, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 256 Rn. 4).

[31] Die Sicherungsgruppe ist eine Abteilung des Bundeskriminalamtes. Die SoKo B/M (Sonderkommission Baader/Meinhof) wurde 1971 als Teil der Sicherungsgruppe für Ermittlungen betreffend die RAF eingerichtet (Klaus, Sie nannten mich Familienbulle, 2008, S. 23).

[32] Dort heißt es: „Ist die Verlesung einer Erklärung oder eines Attests nach § 256 [StPO] zulässig, dann darf Gericht den Beweisantrag auf persönliche Vernehmung des Ausstellers (Hervorh. Im Original) der Erklärung oder des Attestes ablehnen, sofern nicht besondere Umstände dies nach § 242 Abs. 2 (Anm. d. Verf.: gemeint sein dürfte § 244 Abs. 2 StPO, die gerichtliche Aufklärungspflicht) geboten erscheinen lassen“ (Gollwitzer, in Löwe-Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 2, 22. Aufl. 1973, § 256 Anm. 6).

[33] Das Bayerische Oberste Landesgericht führte hierin aus, dass die Vernehmung eines Arztes abgelehnt werden könne, wenn die Voraussetzungen der Verlesung des Gutachtens nach § 256 StPO erfüllt seien und die Wahrheitserforschungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) eine Vernehmung nicht gebiete (BayObLG, Urt. v. 4.11.1952 - Az.: 2 St 457/52, NJW 1954, S. 194).

[34] § 136a StPO enthält eine Auflistung von verbotenen Methoden bei der Vernehmung von Beschuldigten. Diese sind: die Beeinträchtigung der Willensentschließung und -betätigung durch Misshandlung, Ermüdung, körperlichen Eingriff, Verabreichung von Mitteln, Täuschung, Quälerei oder Hypnose, sowie die Drohung mit einer unzulässigen Maßnahme oder das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils (Abs. 1). Ferner untersagt sind Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit der Beschuldigten beeinträchtigen (Abs. 2). Für den Fall eines Verstoßes gegen diese Verbote enthält § 136a Abs. 3 Satz 3 StPO ein Verwertungsverbot für die so zustande gekommenen Aussagen.

[35] Das Freibeweisverfahren findet Anwendung zum Beweis von Tatsachen, die nicht die Straf- oder Schuldfrage, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, betreffen. Im Unterschied zum dort anzuwendenden Strengbeweisverfahren ist das Gericht im Freibeweisverfahren nicht auf die Wahl bestimmter Beweismittel beschränkt, sondern kann grundsätzlich alle verfügbaren Erkenntnisquellen nutzen; auch an die im Strengbeweisverfahren vorgeschriebene Form ist es nicht gebunden (BGH, Urt. v. 28.6.1961 - Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166). Für die Prüfung der Voraussetzungen des § 136a StPO wurde zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung wohl überwiegend das Freibeweisverfahren (auch für die Tatsacheninstanz) für ausreichend angesehen (BGH, Urt. v. 28.6.1961 - Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166; s. etwa Sarstedt, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 1, 22. Aufl. 1971, § 136a Anm. 8). Die Rechtsprechung vertritt diesen Standpunkt weiterhin (BGH, Urt. v. 21.7.1994 - Az.: 1 StR 83/94, NJW 1994, S. 2904, 2905; BGH, Urt. v. 21.7.1998 - Az.: 5 StR 302/97, BGHSt 44, S. 129, 132; siehe auch Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 136a Rn. 32). Im Schrifttum mehren sich aber die Stimmen, die die teilweise oder sogar vollständige Anwendung des Strengbeweises fordern (für eine vollständige Anwendung des Strengbeweises s. Gleß, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 4/1, 27. Aufl. 2019, § 136a Rn. 77; für eine Anwendung des Strengbeweises in den Fällen, in denen die Aussage letztlich für die Straf- oder Schuldfrage verwertet werden soll s. Schuhr, in Knauer/Kudlich/Schneier [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, § 136a Rn. 99).

[36] Anlage 3 zum Protokoll vom 31.08.1976: Erklärung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback.

[37] Der Beweisantrag ist abgedruckt in Anlage 8 zum Protokoll vom 20.7.1976, S. 10649 f. des Protokolls der Hauptverhandlung (128. Verhandlungstag).

[38] Da ihre eigenen Erklärungen nach Auffassung der Angeklagten in den gerichtlichen Protokollen oftmals nicht richtig wiedergegeben wurden, beantragten sie, die gerichtliche Tonbandaufzeichnung für die Dauer ihrer Erklärung zur Sache auszusetzen (S. 5636 des Protokolls der Hauptverhandlung, 63. Verhandlungstag). Im Anschluss sollte das Manuskript abgeschrieben und im Ganzen an das Gericht überreicht werden (s. S. 5658 f., 64. Verhandlungstag). Zuletzt erklärte die frühere Angeklagte Meinhof am 84. Verhandlungstag, solange der Senat ihnen weiterhin bestimmte Bücher und Zeitschriften vorenthalte, bekomme er von den Angeklagten auch keine Texte (S. 7555 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[39] Nach der damaligen Rechtsprechung bedurfte die Tonbandaufnahme in der Hauptverhandlung stets der Zustimmung der Beteiligten (s. bereits Fn. 4). Ob solche Aufnahmen überhaupt angefertigt werden können, liegt aber im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (BGH, Urt. v. 13.10.1981 - Az.: 1 StR 561/81, NStZ 1982, S. 42; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.8.1990 - Az.: VI 14/89, NStZ 1990, S. 554). Dabei spielen nicht nur die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, sondern auch die Pflicht zur Wahrheitsermittlung nach § 244 Abs. 2 StPO eine Rolle (s. hierzu bereits BGH, Urt. v. 4.2.1964 - Az. 1 StR 510/63, NJW 1964, S. 602 f.).

[40] Die konsularische Vernehmung ist in § 15 Konsulargesetz (KonsG) geregelt. Die Vernehmungen und Vereidigungen und die über sie aufgenommenen Niederschriften stehen dabei gem. § 15 Abs. 4 KonsG Vernehmungen und Vereidigungen sowie den darüber aufgenommenen Niederschriften inländischer Gerichte und Behörden gleich, sodass diese nach Maßgabe des § 251 Abs. 1 StPO a.F. (heute: Abs. 2) in die Hauptverhandlung eingeführt werden können (vgl. dazu Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 251 Rn. 33).


[a] Maschinell eingefügt: eine

[b] Handschriftlich eingefügt: - - -

[c] Handschriftlich ersetzt: eine durch die

[d] Maschinell eingefügt: mehr

[e] Handschriftlich ergänzt: Ihrem

[f] Maschinell eingefügt: mit

[g] Maschinell ersetzt: Forderungen durch Folgerungen

[h] Handschriftlich durchgestrichen: sollte

[i] Handschriftlich durchgestrichen: keinen

[j] Handschriftlich durchgestrichen: da

[k] Handschriftlich ersetzt: besteht durch entsteht

[l] Handschriftlich durchgestrichen: Bedarf

[m] Maschinell eingefügt: auch

[n] Maschinell eingefügt: und

[o] Handschriftlich ergänzt: unnötige

[p] Handschriftlich durchgestrichen: darf ich

[q] Handschriftlich durchgestrichen: insoweit

[r] Maschinell ergänzt: Gegenbeweisanträge

[s] Maschinell durchgestrichen: der

[t] Maschinell ersetzt: behandelt, behält man durch bei Herrn Dr. Heldmann

[u] Maschinell durchgestrichen: mir

[v] Handschriftlich ergänzt: weitere

[w] Maschinell eingefügt: pauschal

[x] Maschinell eingefügt: gehört

[y] Handschriftlich eingefügt: - - -

[z] Maschinell eingefügt: soweit er

[aa] Maschinell durchgestrichen: für

[bb] Maschinell durchgestrichen: festhalten

[cc] Handschriftlich ersetzt: leider durch Leiter

[dd] Handschriftlich ergänzt: einer

[ee] Maschinell ergänzt: Generalbundesanwalts

[ff] Maschinell durchgestrichen: Unseres

[gg] Maschinell durchgestrichen: ein

[hh] Maschinell eingefügt: vielleicht

[ii] Maschinell durchgestrichen: Wenn

[jj] Maschinell eingefügt: Darf man