15. Verhandlungstag

Fortsetzung der Verhandlung am Mittwoch, den 9. Juli 1975, 9.05 Uhr



[1203] Fortsetzung der Verhandlung am Mittwoch, den 9. Juli 1975, 9.05 Uhr

(15. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte waren anwesend:

Just. Ass. z. A. Clemens

Just. Ass. z. A. Scholze

Die Angeklagten waren anwesend mit ihren Verteidigern:

Rechtsanwälte Schily, Becker, Heldmann, Riedel, v[on] Plottnitz, Eggler, Künzel, Schnabel, Schwarz, Schlaegel, König, Linke, Grigat.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort. Wie ich sehe, in voller Besetzung. Es fehlt nur Herr Rechtsanwalt Chotjewitz, der sich als Wahlverteidiger[1] für Herrn Baader gemeldet hat. Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, wir haben die Frage Ihres Antrags betreffend Beiordnung als Pflichtverteidiger[2] nicht etwa vergessen. Die Bundesanwaltschaft hat hierzu schriftlich Stellung genommen. Sie werden darüber und über eine Vorfrage, die der Senat noch an Sie zu stellen hat, in dem Zusammenhang schriftlich unterrichtet werden. Heute oder spätestens morgen. Im Falle der Bestellung, hat das mit dem Zeitpunkt der Bestellung dann nichts zu tun. Den kann man ja dann zurückverlegen, so daß Ihnen also keine Nachteile[3] entstehen, daß das nicht sofort erledigt werden kann. Das hängt einfach mit dem Gang der Hauptverhandlung zusammen. Die Bundesanwaltschaft hat gestern noch gebeten, Stellung nehmen zu können zur Frage der Untersuchung, und außerdem ist Stellung zu nehmen zu dem Antrag der Gegenüberstellung von Dr. Henck und Professor Teuns.

Herr Bundesanwalt Dr. Wunder, bitte.

BA Dr. W[under]:

Die Bundesanwaltschaft nimmt die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Angeklagten verhandlungsfähig[4] und, auf das weitere Verfahren bereits bezogen, haftfähig sind, nicht leicht. Es erscheint notwendig, dies ausdrücklich einmal zu betonen. Auch wir sehen durchaus, auch heute noch, die Folgen des Hungerstreiks.[5] Nur müssen die geltend gemachten gesundheit- [1204] lichen Beschränkungen nach den prozessual üblichen Regeln, d.h. in Übereinstimmung mit der Untersuchungshaftvollzugsordnung[6] festgestellt werden. Ich brauche hier den Worten des Herrn Vorsitzenden, die er gestern aussprach, zu diesem Punkt nichts weiter hinzufügen. Auch aus der Sicht der Bundesanwaltschaft sollte deshalb der Anregung von Herrn Professor Rauschke[7] nachgegangen werden, zur Unterstützung der Untersuchungen von Herrn Dr. Henck[8], die Angeklagten von einem unabhängigen Ärztegremium untersuchen zu lassen. Notfalls, betone notfalls, nach einer Anordnung nach § 81aStPO[9]. Niemals war die Bundesanwaltschaft gegen die Beiziehung neutraler Ärzte. Das ergibt sich schon aus ihrer Haltung zu diesem Punkt während des letzten Hungerstreiks. Unter neutralen Ärzte kann die Bundesanwaltschaft allerdings nicht, und das jetzt ganz allgemein besprochen und nicht akzentuiert auf bestimmte Personen, keine Sympathisanten oder Unterstützer der Angeklagten verstehen. Die Bundesanwaltschaft tritt allerdings einer Gegenüberstellung des Herrn Dr. Henck mit Herrn Dr. Teuns bzw. dessen Vernehmung entgegen. In der Gegenüberstellung könnte hier allerdings nur die jeweilige Gutachtenerstattung nacheinander, d.h. in Anwesenheit des jeweils anderen Gutachters, zu verstehen sein. Nachdem aufgrund der Bekundungen von Herrn Professor Rauschke feststeht, daß das von Herr Dr. Henck primär für die Gegenwart und die nahe Zukunft abgegebene Gutachten fundiert und zutreffend ist, halten wir eine Gegenüberstellung mit einem anderen Arzt nicht für erforderlich. Eine Zuziehung von Herrn Dr. Teuns käme ohnedies kaum in Betracht, er hat sich wie der BNN vom 3. Juli 1975 zu entnehmen ist, Pressevertretern gegenüber bereits gutachtlich über den Zustand der Angeklagten erklärt.

Herr Vorsitzender, nachdem heute, bevor die Bundesanwaltschaft zu diesen Dingen überhaupt ein Wort der Stellungnahme abgeben konnte, der Presse entnommen werden kann, wie der Senat vermutlich weiter verfährt, hat diese Stellungnahme an sich nur wenig Sinn. Ich habe sie aber aus bestimmten Gründen dennoch abgegeben. Die Bundesanwaltschaft wäre jedenfalls dankbar, wenn ihr nun wenigstens rechtzeitig dann die Namen der ins Auge gefaßten Ärzte bekanntgegeben wird.

Vors.:

Ja. Das wird allen Beteiligten gegenüber geschehen. Es wird von Seiten der Herrn Verteidiger irgend eine Erklärung zu dieser [1205] Stellungnahme der Bundesanwaltschaft zu ihren Anträgen gewünscht. Herr Dr. Heldmann, Sie sind wohl derjenige, der den Antrag gestellt hat, Teuns, bitte.

RA Dr. H[eldmann]:

Ich bestehe weiter darauf, Herrn Professor Teuns als Sachverständigen hierzu zu hören. Ich erinnere daran, daß Herr Dr. Henck hier selbst auf[a] Herrn Teuns als die Kapazität zu den wesentlichen Fragen hingewiesen hat und sich auf ihn, zumindest auf seine Publikationen, medizinisch-empirische Publikationen, berufen hat. 2. Sachlich halte ich für unrichtig, wenn Herr Bundesanwalt vorträgt, der beklagenswerte Gesundheitszustand der Angeklagten sei eine Folge des Hungerstreiks. Der Hungerstreik ist seit über 6 Monaten beendet. Was unberücksichtigt bleibt, Herr Bundesanwalt, was verdrängt zu werden scheint, es sind die Folgen einer außergewöhnlichen, über drei Jahre währenden Isolation. Und das wird die Verteidigung im Interesse der Angeklagten weiter zu ihrem Thema machen, nämlich welche Folgen die sogenannten Deprivationsschäden sind, hier an den Angeklagten festzustellen, und dazu hat auch Herr Dr. Henck eingeräumt, brauchen wir den Spezialisten. Dasselbe hat uns gestern Professor Rauschke gesagt. Den Spezialisten, der auf diesem Gebiet die Deprivationsschäden durch Langzeitisolierung unter erschwerten Bedingungen kennt[b]. Es[c] ist ein Spezialist neben dem Internisten, neben dem möglicherweise Psychiater, wie Herr Rauschke meinte, neben dem möglicherweise Urologen aber zwingend hinzuziehen. Denn Herr Rauschke hat gesagt, die lange Haft kann psychische Auswirkungen gehabt haben, wobei er aber auf die spezielle Frage unserer Fälle nicht eingegangen ist, unter welchen Bedingungen diese über drei Jahre währende Haft stattgefunden hat. Im übrigen verwahre ich mich für meinen Mandanten ausdrücklich gegen die Anregung des Herrn Bundesanwalts, die notwendige, und notwendig dürfen wir nach der gestrigen Aussage von Professor Rauschke als Sachverständigen sagen, gegen die notwendige Untersuchung der Angeklagten mit Hilfe des § 81a[ StPO]. § 81a[ StPO] wird sowieso in der Justiz hinreichend mißbraucht, wobei ich nicht unterstellen will, daß Sie hier ein Mißbrauch dem Gericht angetragen haben. Aber § 81a[ StPO] ist ein NS-Gesetz, im Zuge des Gesetzes über die Gewaltverbrecher 1936[10] in das Strafgesetzbuch eingeführt, und ist leider in die Straf- [1206] prozeßordnung eingeführt, befindet sich leider heute noch darin. Aber ganz egal, welcher unsauberen Rechtsquelle dieser [§ ]81a[ StPO] entstammt, ich halte für unzulässig, in[d] dieser Frage, Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten, erneut Zwang anwenden zu wollen, sondern indiziert, medizinisch indiziert kann nur sein, die freiwillige Untersuchung durch Ärzte des Vertrauens.

Vors.:

Zunächst, Herr Rechtsanwalt Schily darf ich Sie um folgendes bitten. Sie haben gestern Ihren Stationsreferendar, wenn ich richtig annehme, hier als Beobachter bzw. Protokollstütze mitgebracht. Er ist uns gestern aufgefallen durch einen, für den Platz den er einnimmt, hier etwas ungewöhnlichen Aufzug. Wir haben es hingenommen. Würden Sie den jungen Kollegen belehren, daß das genießen von Kaugummi jedenfalls, auf dem Sitz auf dem er im Augenblick sitzt, nicht das Übliche ist und nicht das Richtige ist.

Darf ich jetzt Herrn Baader zunächst zwei Fragen stellen, Herr Rechtsanwalt Schily, bevor ich Ihnen dann das Wort geben.

RA Sch[ily]:

Nein, wenn Sie solche Erklärungen hier abgeben, Herr Vorsitzender, also ich habe nicht festgestellt ...

Vors.:

Augenblick, Herr Rechtsanwalt Schily, ich hatte jetzt im Augenblick nicht das Wort an Sie gegeben. Darf ich jetzt zunächst meine Fragen an Herrn Baader richten, dann werde ich sehen müssen ...

RA Sch[ily]:

(im Hintergrund unverständlich, da ohne Mikrofon).

Vors.:

Nein, wir sind im Augenblick darüber, das darf ich wohl tun dazwischen rein, da brauchen wir keine langen Erklärungen dazu oder.

RA Sch[ily]:

(Zunächst unverständlich) ... durch die Bekleidung meines Stationsreferendars gestört wird, dann wüßte ich nicht, was Sie für Vorstellungen haben, soll er hier im Konfirmationsanzug erscheinen.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily. Wir brauchen uns darüber wohl nicht [1207] zu unterhalten, was man als einen noch angemessene Kleidung ansieht; es war der Kittel abgelegt, im Hemd. Gewiß, es sitzen hier auch die Beamten im Hemd, aber das ist die offizielle Sommerdienstkleidung. Ich weiß nicht, ob da nicht gewisse Anstandsregeln eine andere Auffassung an sich zweckmäßig machen würden. Ich wollt’s Ihnen nur gesagt haben. Sie haben den Kollegen mitgebracht, und es wäre wünschenswert, daß er sich dann an der Stelle so aufführt, wie das üblich ist. Vielleicht muß er auch das noch für die Zukunft lernen.

Herr Baader ... Herr Bundesanwalt Sie wollten noch eine Erklärung abgeben, bitteschön.

BA Dr. W[under]:

Herr Vorsitzender, es hat sich inzwischen erledigt. Danke.

Vors.:

Hat sich erledigt, bitte.

Herr Baader, folgende Frage. Haben Sie sich nach[e] der Empfehlung, die ich versuchte Ihnen gestern zu geben, wiegen lassen, gestern Abend.

Angekl. B[aader]:

Das war nicht möglich.

Vors.:

War nicht möglich.

Angekl. B[aader]:

Ich hab mich selbst gewogen. Aber das ist nicht der Punkt.

Vors.:

Zweite Frage, Augenblick, ich will ja jetzt gerade noch eine zweite Frage stellen. Zweite Frage. Ist dieses extreme Schlafbedürfnis, das nun wiederholt als Symptom für Deprivationsschäden hier benannt worden ist, auch heute bei Ihnen noch vorhanden?

Angekl. B[aader]:

Manchmal ...

Vors.:

Was heißt manchmal.

Angekl. B[aader]:

Was festgestellt worden ist, ist doch eine extreme Labilität des Zustands.

[1208] Vors.:

Darf ich fragen, wie soll man das Wort „manchmal“ verstehen.

Angekl. B[aader]:

Ja, es wechselt der Zustand. Er wechselt sehr stark.

Vors.:

Können Sie uns sagen, mit welcher Häufigkeit sich dieses Bedürfnis wiederholt.

Angekl. B[aader]:

Also es war die ganze letzte Woche zum Beispiel so. Gestern wars nicht so. Aber ich kann Ihnen nicht sagen, ich bin kein Arzt und ich hab keinen genauen Begriff davon, was die Ursachen sind, aber es ist jedenfalls so, und nicht nur bei mir, sondern auch von den anderen Gefangenen. Das Symptom eben, das war, daß unmittelbar, nachdem die Verhandlung zu Ende war und sie zurückgebracht worden sind, vielleicht noch essen konnten, und daß sie dann umgefallen sind und geschlafen haben bis zum nächsten Morgen.

Vors.:

Also, das ist geschehen dann in diesen Fällen.

Angekl. B[aader]:

Und zwar vor allen Dingen steigert sich das. Der Erschöpfungszustand, das ist, glaube ich, der richtige Begriff, steigert sich im Verlauf dieser drei Verhandlungstage und ist also am dritten Verhandlungstag, es findet praktisch keine Erholung mehr statt. Der Zustand kulminiert bis zum dritten Verhandlungstag. Am ersten geht es noch, am zweiten wird es schon schlechter, und am dritten ist es dann praktisch unmöglich.

Vors.:

Ja, das würde bedeuten, wann haben Sie sich dann zum Schlafen gelegt an diesen Tagen?

Angekl. B[aader]:

Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen, also ich würde sagen unmittelbar um sechs oder um sieben.

Vors.:

Nun gut, so genau kommt’s nicht darauf an. Sie sagen nur, Sie hätten grade noch das Essen einnehmen können und dann hätten Sie sich niedergelegt. Das müßte also dann, wenn das Essen regelmäßig um sechs oder sieben stattfindet ...

[1209] Angekl. B[aader]:

Nein, um vier kommt das Essen.

Vors.:

Bitte?

Angekl. B[aader]:

Um vier kommt das Essen.

Vors.:

Das Abendessen?

Angekl. B[aader]:

Ja, so ist das.

Vors.:

Und ab wann haben Sie dann geschlafen?

Angekl. B[aader]:

Um fünf, sechs, sieben.

Vors.:

Ab fünf, sechs, sieben und dann durchgehend bis zum nächsten Morgen.

Angekl. B[aader]:

Ja, durchgehend oder vielleicht war ich auch einmal dazwischen wach. Was wollen Sie eigentlich hier machen. Versuchen Sie hier kriminalistisch meinen Angaben nachzugehen.

Vors.:

Nein, mich interessiert es, weil das selbstverständlich für die Beurteilungen, die später zu ziehen sind, wie sich das bei Ihnen auswirkt, von Bedeutung ist.

Angekl. B[aader]:

Ja, so war das. Zum Teil ununterbrochen 12 bis 14 bis 16 Stunden schlafen und am nächsten Morgen keine Erholung und auch am nächsten Morgen ein Erschöpfungszustand und zum Teil auch mal dazwischen natürlich wach ...

Vors.:

Sollen weitere Erklärungen abgegeben werden, Herr Rechtsanwalt Schily, bitte.

Halt, ich weiß nicht, Herr Baader, wenn Sie gerade am Worte sind. Herr Rechtsanwalt Schily wünscht[f] dringend das Wort zu haben ...

RA Sch[ily]:

Das ist mir egal, also wer jetzt zuerst. Herr Baader war ja nun grade am Zuge.

[1210] Angekl. B[aader]:

Ich wollte nochmal darauf hinweisen, daß der § 81[ StPO], den die Bundesanwaltschaft hier angeführt hat und [g] schon in Aussicht stellt, daß nach diesem § durchgeführt worden ist die Zwangsuntersuchung bei Manfred Grashof,[11] bei der er[h] eine Schädelverletzung vermutlich und eine Wirbelverletzung davongetragen hat. Und daß nach diesem § die Zwangsszintigraphie und die Zwangsnarkose bei Ulrike[12] von der Bundesanwaltschaft versucht worden ist durchzusetzen, voriges Jahr. Das scheint mir ziemlich bezeichnend zu sein, daß die Bundesanwaltschaft, obwohl es auf Antrag der Verteidigung hin hier um eine ärztliche Untersuchung geht, gleich mit diesem § der Zwangsuntersuchung ankommt. Ich würde dazu, wenn hier dieser Ablauf, wenn das hier abgelaufen ist, die Anträge, dann würde ich gerne eine Erklärung abgeben, bzw. ich würde gerne etwas sagen und einen Antrag stellen zu diesen beiden bisher hier gehörten Gutachtern und zur Frage der Untersuchung, wie die[i] sich für uns darstellt.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily, bitte.

RA Sch[ily]:

Ich möchte darauf hinweisen, daß die Feststellung der Bundesanwaltschaft, daß nun die beiden Gutachten von Herrn Dr. Henck und Herrn Professor Rauschke so haargenau übereinstimmen, unrichtig ist. Wenn die Bundesanwaltschaft diese beiden Gutachten richtig wahrgenommen hätte, dann hätte sie entdecken müssen, daß der Herr Professor Rauschke zutreffend gesagt hat, Erkenntnisse über Verhandlungsfähigkeit oder Verhandlungsunfähigkeit oder beschränkte Verhandlungsfähigkeit kann ich nur an Hand von Untersuchungen gewinnen. Aus der bloßen Beobachtung während eines kurzen Zeitraums ist nicht mehr festzustellen hinsichtlich irgendwelcher Hinweise oder Nichthinweise. Mehr nicht. Er hat gesagt, irgendein Urteil darüber, ob verhandlungsfähig oder nicht verhandlungsfähig, kann ich nicht abgeben.

Während Herr Dr. Henck hier gesagt hat, spätere Untersuchungen können meine bisherige, durch Beobachtung aus einer Entfernung von 6 m gewonnenen sogenannten Erkenntnisse bestenfalls, das hat er allerdings später zurückgenommen, bestätigen. Und darin liegt meiner Meinung nach der ganz erhebliche Unterschied zwischen den beiden Gutachten, wobei sicherlich noch über die Frage zu [1211] reden sein wird, welchen Stellenwert Hinweise auf Verhandlungsunfähigkeit haben bzw. beschränkter Verhandlungsfähigkeit, die wir aus der gestrigen Befragung des Herrn Professor Rauschke gewonnen haben. Aber [j] daraus wird wahrscheinlich sich noch ein Antrag ergeben der Verteidigung. Aber das möchte ich zurückstellen, bis Sie jetzt über den zunächst gestellten Antrag und die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft entschieden haben.

Vors.:

Herr Bundesanwalt Dr. Wunder, bitte.

BA Dr. W[under]:

Ich möchte kurz erwidern. Herr Rechtsanwalt Schily, Sie interpretieren mich falsch, von haargenau war überhaupt nicht die Rede. In den maßgeblichen Fakten stimmen die Gutachten überein, nachdem ich ausdrücklich das Gutachten von Herrn Dr. Henck auch auf die Gegenwart und die nahe Zukunft bezogen habe. Das ist Ihnen sicherlich nicht entgangen. Im übrigen wissen Sie selbst, wie lange Herr Dr. Henck bereits Gelegenheit hat, die Angeklagten hier in der Vollzugsanstalt zu beobachten.

Vors.:

Wir werden jetzt über den Antrag beraten und darüber dann den Beschluß bekanntgeben.

Herr Rechtsanwalt, wollten Sie noch zur Sache selbst was sagen, zu dem Punkt, bitte.

RA v[on ]P[lottnitz]:

Ich hatte vorhin versucht, mich bemerkbar zu machen, das ist untergegangen. Ich wollte auf einen Punkt hinweisen. Mir ist eigentlich nicht klar, warum sich die Bundesanwaltschaft so sehr dagegen sträubt, hier dem Antrag zuzustimmen, Herrn Teuns und Herrn Henck gemeinsam zu hören. Also ... ich, zunächst mal ist es falsch, wenn gesagt wird, diese beiden Sachverständigen könnten nur hintereinander zwei Gutachten erstatten. Die gleichzeitige Anhörung beider Sachverständiger ermöglicht natürlich auch, daß die Sachverständigen sich gegenseitig wissenschaftliche Daten und Einschätzungen vorhalten. Das ist etwas, was natürlich dem Senat und allen Verfahrensbeteiligten eine genauere Einschätzung ermöglicht, als wenn man ohne eine solche gleichzeitige Anhörung, Gegenüberstellung, verfährt. Das zweite ist, der Senat und wohl auch die Bundesanwaltschaft bestreiten ja immer, zumindest was den Senat angeht, für die Zeit der Begründung seiner Zuständig- [1212] keit,[13] daß hier die Bedingungen der Untersuchungshaft der Gefangenen als Isolationshaft zutreffend beschrieben sind. Im Falle des Sachverständigen Teuns besteht die Möglichkeit, ihm präzise vorzuhalten, wie derzeit aussehen, die Untersuchungshaftbedingung der Gefangenen und wie sie seit Anbeginn der Untersuchungshaft ausgesehen haben. Dr. Rauschke hat eindeutig und klar gesagt, er verfüge nicht über die erforderlichen Fachkenntnisse, um zu beurteilen, was Isolation ist und was nicht Isolation ist und wie die gesundheitlichen Auswirkungen davon aussehen. Dr. Henck kann gewiß nicht als ein Spezialist auf diesem Gebiet angesprochen werden. Er selbst hat das auch nicht getan. Unter diesem Aspekt meine ich, daß der Senat dringendst sich dazu verstehen sollte, hier den Sachverständigen Teuns in der beantragten Art und Weise mit dem Herrn Dr. Henck zusammen zu hören.

Vors.:

Wir müssen einigen Fragen im Zusammenhang mit dem Antrag gründlich nachgehen. Fortsetzung der Sitzung um viertelelf. Wir brauchen eine dreiviertel Stunde. Ich bitte, die Angeklagten dann in die Zellen zurück zu bringen.

Das Gericht zog sich um 9.25 Uhr zur Beratung zurück.

Nach Wiedereintritt um 10.23 Uhr wurde die Verhandlung wie folgt fortgesetzt.

Vors.:

Darf ich die Aufmerksamkeit auch der Herrn Verteidiger erbitten. Wir setzen die Sitzung fort. Zunächst ist der Beschluß des Senats zu verkünden, der da lautet:

Die Beiziehung des Professor Teuns als Gutachter wird abgelehnt.

Gründe:

Unabhängig davon, daß es kurz vor der ohnehin eingeleiteten Untersuchung der Angeklagten durch ein Facharztgremium höchst untunlich wäre, die Diskussion über mögliche Gesichtspunkte, die für die Verhandlungsfähigkeit von Bedeutung sein könnten, fortzusetzen, kommt Professor Teuns als Gutachter, zu dessen wesentlichen Eigenschaft die Unparteilichkeit gehört, nicht in [1213] Betracht. Er hat unter anderem seinem im Kursbuch 32[14] abgedruckten Vortrag mit dem Titel „Isolation, sensorische Deprivation, die programmierte Folter“, einen Aufruf vorangestellt, in dem es heißt, ich zitiere: „Gerade weil soziale und politische Desorientierung im Massenmaßstab durch schleichende sensorische Deprivation in Form einer Abstumpfung der sinnlichen Wahrnehmung zu den Bedingungen von Herrschaft gehört, Empörung, Protest, Widerstand schon im Keime ersticken oder System konform kanalisieren soll, gerade deshalb ist es für viele heute noch schwierig, die Isolationsfolter, wie sie gegen politische Gefangene in der Bundesrepublik Deutschland angewendet wird, als den tendenziellen Massenmord à la Auschwitz zu begreifen, der [k] ist.“ Es heißt ferner: „Unsere Solidarität mit den politischen Gefangenen, Patienten, ist keine karitative sondern eine politische. Wir betrachten es als unsere Aufgabe, die Forderungen der politischen Gefangenen mit unseren Mitteln zu unterstützen, durchzusetzen, jetzt wo wirs noch können, bevor wir selbst Gefangene sind.“ Ein Sachverständiger, der von derartigen Vorstellungen ausgeht, kann nicht als unparteilich angesehen werden.

Dann, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, ein ganz kurzer Hinweis, weil Sie sich mit der Vorschrift des § 81a[ StPO] sehr kritisch auseinandergesetzt haben. Wir möchten Ihnen empfehlen, den von Ihnen an anderer Stelle schon gerühmten Großkommentar Löwe-Rosenberg zu benützen, die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift nachzulesen. Dort werden Sie erfahren, daß [§ ]81a[ StPO] Gegenstand von Änderungen und damit von Beratungen war im Zusammenhang mit dem Vereinheitlichungsgesetz vom 12.9.1950 und im dritten Strafrechtsänderungsgesetz vom 4.8.1953. Der Vorwurf, den Sie erheben, würde also den Bundestag treffen.

RA Dr. H[eldmann]:

Ich bitte, erwidern zu dürfen.

Vors.:

Bitte, Herr Rechtsanwalt.

RA Dr. H[eldmann]:

Ich sprach nicht davon, daß der Bundestag sich mit dieser bedauerlichen Norm [§ ]81a StPO wiederholt befaßt hat. Sondern ich sprach von der dunklen Quelle des § 81a[ StPO], die durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher vom 24.11.1933 erstmals in die StPO von 1877 Eingang gefunden hat. Ich bitte, Herr Vorsitzender, wenn Sie mir Belehrungen erteilen, dann auch zuzuhören, was ich gesagt habe. Das ist die dunkle Quelle dieser Vorschrift, [1214] und ich habe bedauert, daß [l] bisher in[m] diesem Rechtsstaat diese Vorschrift überdauert hat.

Vors.:

Dieser Rechtsstaat hat sich durch seinen Bundestag mit dieser Vorschrift befaßt. Alles, was Sie gegen diese Vorschrift an Vorwürfen erheben, trifft den neuen Gesetzgeber.

RA Dr. H[eldmann]:

Dann muß ich noch deutlicher werden. Dann richtet sich mein Vorwurf an solch finstere Bestimmung, die sich in gewachsenen Demokratien nicht findet, etwa England, etwa USA. Dann richtet sich mein Vorwurf auch gegen den Gesetzgeber der Bundesrepublik, allerdings ist es kein Novum, daß der Gesetzgeber der Bundesrepublik bei seinen Gesetzgebungsakten die Verfassung gelegentlich aus den Augen verliert. Ich möchte zweitens, wollen Sie die Diskussion über [§ ]81a[ StPO] fortsetzen?

Vors.:

Keineswegs.

RA Dr. H[eldmann]:

Zweitens. Erhebe ich sofort Gegenvorstellung[15] gegen Ihren Beschluß, Herrn Professor Teuns abzulehnen. Und weil die Begründung für Ihren Beschluß unrichtig ist, Herr Vorsitzender.

Sie haben Herrn Teuns etwas ...

Vors.:

Es ist ein Senatsbeschluß. Weil Sie wieder mich ansprechen, meine Begründung ist das nicht.

RA Dr. H[eldmann]:

Sie haben Herrn Teuns einen Text zugeschrieben, der nicht von ihm stammt. Sondern das ist eine redaktionelle Einleitung, dem völlig selbständig dann der Aufsatz von Teuns folgt. Es war also unrichtig, Herrn Teuns diejenigen Texte zuzuschreiben, die Sie soeben zitiert haben.

Vors.:

Herr Dr. Heldmann, der Beschluß lautete, er hat unter anderem seinem im Kursbuch abgedruckten Vortrag diese Vorbemerkung vorangestellt, aus der wir zitiert haben.

RA Dr. H[eldmann]:

Er doch nicht, die Redaktion. Die Kursbuchredaktion.

[1215] Vors.:

Nun lesen Sie den Aufsatz.

RA Dr. H[eldmann]:

Ich kenne den Aufsatz, und ich kenne die Einleitung dazu. Diese Einleitung ist als redaktionelle Einleitung deutlich erkennbar und nachher kommt der Aufsatz von Teuns.

Vors.:

Das ist Sache des Verfassers, was er in seinem Aufsatz vorne als [n] Vorbemerkung einstellen will und was er als Prämisse sozusagen setzt.

RA Dr. H[eldmann]:

Das ist ein Irrtum.

Vors.:

Das ist doch ganz selbstverständlich, wenn Sie unter der Überschrift Sjef[o] Teuns, Isolation usw. die programmierte Folter, ein Titel übrigens von ihm, dann die Vorbemerkung machen lassen und dann kommen seine Ausführungen. Das ist doch sein Aufsatz, wie er hier erschienen ist und wie er es in der Druckfahne vorher im Zweifelsfall zu sehen bekommen hat.

RA Dr. H[eldmann]:

Aber doch nicht die redaktionelle Einleitung, die Vorbemerkung.

Vors.:

Wie gehen Sie so davon aus, daß die Redaktion vor einem unter seinem Namen erscheinenden Aufsatz von sich aus einfach eine Einfügung machen dürfte, gibt es nirgends.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Vorsitzender, ich habe recht viel publiziert und ich bin es in Zeitschriften gewöhnt, daß Redaktionen eine Vorbemerkung machen, der sie meinen Aufsatz dann folgen lassen, und diese Vorbemerkung lerne ich erst kennen, wenn ich das Ding gedruckt vor mir habe. So auch hier bei Professor Teuns.

Vors.:

Diese Gepflogenheit kennen wir nicht und Sie dürfen versichert sein, auch unter uns sind einige die viel publiziert oder mehreres publiziert haben. Sie bekommen eine Druckfahne, da wird vollständig abgedruckt, was veröffentlicht werden soll, d.h., Sie erfahren dann auch, wenn diese Vorbemerkung gemacht wird.

[1216] RA Sch[ily]:

Ist es so, daß der Senat, zur Erläuterung dieses Beschlusses, daß der Senat die Auffassung vertritt, dadurch, daß diese Erklärung in dem Aufsatz erscheint als Vorbemerkung oder wie immer, habe sich Herr Professor Teuns den Inhalt dieser Erklärung zu eigen gemacht.

Vors.:

Es hat sich der Senat durch seine Entscheidung geäußert, ich glaube sie war deutlich genug.

RA Sch[ily]:

Aber das wär doch zur Klarstellung wichtig zu wissen, damit wir dann eine Grundlage haben, ob dagegen nun Gegenvorstellung ...

Vors.:

Ich kann Ihnen den abschließenden Satz nochmals bekannt geben.

Ich gebe doch keine Erläuterung eines Senatsbeschlusses. Das heißt: Ein Sachverständiger, der von derartigen Vorstellungen ausgeht, kann nicht als unparteilich angesehen werden.

RA Sch[ily]:

Der von diesen Vorstellungen ausgeht.

RA Sch[ily]:

Ahja, also das heißt ja nichts anderes als daß ...

Vors.:

Es ist allerdings ungewöhnlich, daß Sie vom Vorsitzenden zusätzliche Erläuterung wünschen. Der Senat spricht durch seine Entscheidung.

RA Sch[ily]:

Naja, es gibt vieles außergewöhnliches in diesem Prozeß.

Vors.:

Ja, ganz gewiß Herr Rechtsanwalt. Die Auffassung teilen wir auch. Ich sag ja, was Sie gerade machen, ist außergewöhnlich.

RA v[on ]P[lottnitz]:

Ich möchte mich der Gegenvorstellungen anschließen, die der Herr Kollege Heldmann vorgetragen hat und nochmal ausdrücklich diese Gegenvorstellung auf die Tatsachenbehauptung stützen, daß der Text, der zur Begründung dieses Beschlusses zitiert worden ist, nicht von dem Sachverständigen Teuns stammt, nicht Bestandteil des Vortrages ist, der im Kursbuch, auf das Sie sich beziehen, da eine Dokumentation enthält, eine Dokumentation [1217] nicht Bestandteil dieses Vortrags gewesen ist. Der Vortrag, der abgedruckt worden ist, wurde gehalten von dem Professor Teuns [p] auf einer Veranstaltung in Frankfurt, ich glaube im Mai des Jahres 1973, der schriftliche Text ist abgedruckt worden, nicht Bestandteil dieses Textes ist [q] gewesen der Vorspruch. Der Senat müßte im Zweifelsfall auch wieder im Freibeweisverfahren[16] zur Glaubhaftmachung dessen, was wir hier sagen, Erkundigungen einziehen bei dem Herausgeber dieser Dokumentation, also dem Verlag, der das Kursbuch editiert, um festzustellen, ob es seine Richtigkeit mit dem hat, was wir sagen.

Vors.:

Will die Bundesanwaltschaft sich dazu äußern, bitte.

BA Dr. W[under]:

Ich beantrage, die Gegenvorstellungen zurückzuweisen. Jedenfalls hat sich Dr. Teuns von der Einleitung zu seinem Vortrag nicht distanziert. Diese steht unter seinem Namen.

Vors.:

Wir werden uns zur Beratung zurückziehen. Ich glaube ...

Es gibt nicht eine ständige ...

RA v[on ]P[lottnitz]:

Woher weiß die Bundesanwaltschaft, woher weiß der Senat, ob dem Professor Teuns Druckfahnen vorgelegen haben, ob die Druckfahnen die Vorbemerkung enthielten usw. und sofort.

Das ist aufzuklären.

Vors.:

Das ist die Frage, die wir uns ja jetzt vorlegen. Wir werden uns schnell zur Beratung der Gegenvorstellung zurückziehen.

Herr Dr. Heldmann.

RA Dr. H[eldmann]:

Bitte würden Sie Herrn Baader noch zur weiteren Begründung der Gegenvorstellung anhören.

Vors.:

Wenn er zu dieser Gegenvorstellung etwas äußern will, bitte.

Angekl. B[aader]:

Ich hab was zu sagen, zu der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft. Vorhin, zu diesem Beschluß des Senats, Professor Teuns nicht zuzuziehen, es würde ungefähr 15 Minuten dauern.

[1218] Vors.:

Ich versteh jetzt nicht. Sie wollen die Gegenvorstellung mit einem 15 minütigen Vortrag ...

Angekl. B[aader]:

Ja, ungefähr 15 Minuten.

Vors.:

Nun, das scheint gut vorbereitet zu sein, dann bitte.

Angekl. B[aader]:

Ich wollte zunächst sagen zu diesen beiden Gutachtern, die bisher hier aufgetreten sind. Von Professor Rauschke weiß man, daß er Siegfried Hausner[17] obduziert hat, nach seinem Tod in der Vollzugsanstalt Stammheim. Und daß er bei dieser Obduktion Schädelverletzungen, eine Fission, die gutachtlich festgestellt ist von dem behandelnden Krankenhaus in Stockholm, nicht festgestellt hat. Diese Schädelverletzungen sind aber auch festgestellt worden von dem auf der Intensivstation Stuttgart-Stammheim behandelnden Arzt Dr. Henck. Das sozusagen zu der Frage der Unabhängigkeit. Mal abgesehen von ihrer Funktion als Amtsarzt bzw. Vollzugsarzt.

Vors.:

Herr Baader, es tut mir leid, daß es schon wieder losgeht.

Wir sind im Augenblick ...

Angekl. B[aader]:

Naja, was heißt, es geht los?

Vors.:

Wir sind im Augenblick dabei, über die Gegenvorstellung gegen den Beschluß des Senates uns beraten zu wollen. Sie können dazu alles beitragen, was Ihnen notwendig erscheint. Die Unabhängigkeit oder Abhängigkeit der Sachverständigen, die bisher gehört worden sind, hat mit dieser Frage nichts zu tun.

Angekl. B[aader]:

Doch, Sie haben Teuns abgelehnt mit der Behauptung ...

Vors.:

Aus völlig anderen Gründen.

Angekl. B[aader]:

Sie haben ihn abgelehnt mit der Behauptung der Abhängigkeit.

Vors.:

Sie haben jetzt, nehmen Sie es zur Kenntnis Herr Baader ...

[1219] Angekl. B[aader]:

Ich habe jetzt hier nachzuweisen, daß die Gutachter, die Sie bisher hier angeführt haben ...

Vors.:

Das können Sie in einem anderen Zusammenhang, das wird Ihnen nicht verwehrt. Aber jetzt geht es um die Frage, ob unsere Begründung für den Beschluß, daß Herr Teuns hier nicht gehört wird, ob die[r] stichhaltig ist oder nicht.

Angekl. B[aader]:

Ich habe einfach vor, ich will mich jedenfalls bemühen, hier zu entwickeln was Sie für ein Verständnis von Unabhängigkeit eines Gutachters haben.

Vors.:

Das ist ganz unnötig ...

Angekl. B[aader]:

Sie haben bisher jedesmal, wenn versucht worden ...

Vors.:

Das, was Sie hier vortragen wollen, das könnte allenfalls Gegenstand eines Ablehnungsgesuches gegen die Sachverständigen, gegen die Sie sich offenbar wenden wollen, sein. Aber niemals Grundlage für eine Gegenvorstellung; über die wir jetzt zu beraten haben. Der Antrag ist gestellt. Wenn Sie zu dieser Gegenvorstellung etwas zu sagen haben, dann dürfen Sie das. Wenn nicht, dann können Sie die jetzt nicht vortragen. Denn der Senat wird dann über die Gegenvorstellung beraten.

Angekl. B[aader]:

Na ich würde, ich verstehe es nicht, es ist in jedem Fall von Belang, daß der Begriff, d.h. das Kriterium von Unabhängigkeit oder Abhängigkeit ...

Vors.:

Nein. Es ist jetzt nur die Frage, ob wir die Frage, [s] bezüglich der Unparteilichkeit des Herrn Dr. Teuns richtig beantwortet haben oder nicht. Und dazu hat es überhaupt nichts zu sagen, was Sie im Augenblick vortragen wollen über die beiden anderen Sachverständigen. Das können Sie ja in einem anderen Zusammenhang vortragen.

Angekl. B[aader]:

Ich gebe Ihnen zu bedenken, daß die Vorstellung von Unabhängigkeit, das Kriterium von Unabhängigkeit, der Begriff von Unabhängigkeit, den Sie hier entwickeln, daß das ein [1220] Begriff ist von Abhängigkeit und zwar von der Abhängigkeit, und das läßt sich entwickeln aus der Tatsache, daß die Gutachter, die bisher benannt worden sind, eindeutig abhängig sind von den Interessen und den Intentionen oder instrumentalisiert sind für die Interessen und Intentionen der Bundesanwaltschaft und zwar nicht erst im Zusammenhang dieses Verfahrens, sondern daß sozusagen diese Abhängigkeit schon eine Geschichte hat. Bei Rauschke im Zusammenhang mit Siegfried Hausner und bei Henck im Zusammenhang mit der gesamten Tortur des Hungerstreiks.

Vors.:

Wir sehen also, daß Sie im Augenblick nur die Absicht haben, sich mit Fragen zu befassen, die die Abhängigkeit oder die Unabhängigkeit dieser Ärzte betreffen ...

Angekl. B[aader]:

Nein. Damit will ich zu der Frage kommen, wie wir einschätzen diese ganze Prozedur der Untersuchungen durch unabhängige Ärzte und die Veranlassung des Senats, bzw. die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft dazu. Und dazu ...

Vors.:

Herr Baader in einem anderen Zusammenhang ...

Angekl. B[aader]:

Sie können jeden Text oder jede Argumentation zerstören, indem Sie einfach versuchen, die Zusammenhänge zu streichen.

Vors.:

Und Sie versuchen die Zusammenhänge krampfhaft herzustellen, um unbedingt was loszuwerden ...

Angekl. B[aader]:

Wieso denn krampfhaft?

Vors.:

Weil das krampfhaft ist. Sie brauchen sich deswegen nicht zu erregen.

Angekl. B[aader]:

Das ist doch lächerlich, was Sie hier machen.

Vors.:

Wir haben jetzt lediglich ...

Angekl. B[aader]:

Ihre Kleinlichkeit, die Kleinlichkeit, mit der Sie argumentieren.

Vors.:

Herr Baader ...

Angekl. B[aader]:

Das ist doch bezeichnend, die Kleinlichkeit mit der Sie ...

[1221] Vors.:

Bitte, Herrn Baader das Wort abzustellen.

Herr Baader, nehmen Sie folgendes zur Kenntnis. Diese Gegenvorstellung kommt für Sie überraschend. Das, was Sie vorbereitet haben, ist sicherlich etwas, was Sie loswerden wollen. Das dürfen Sie auch wahrscheinlich loswerden, aber nicht in einem Zusammenhang, der hier von Ihnen jetzt hergestellt wird, der aber nicht besteht. Wollen Sie zu dieser Gegenvorstellung etwas sagen.

Angekl. B[aader]:

Es ist übrigens vollkommen falsch, wenn Sie sagen, es sei hier etwas längeres vorbereitet.

Vors.:

15 Minuten.

Angekl. B[aader]:

Sie wissen ganz genau, und das haben Sie auch in der bisherigen Praxis festgestellt hier ...

Vors.:

Herr Baader, ich rede jetzt mit Ihnen darüber nicht. Entweder Sie geben jetzt ganz klar zu erkennen, daß Sie sich zu der Gegenvorstellung äußern wollen, oder der Senat entscheidet über die Gegenvorstellung.

Angekl. R[aspe]:

Aber Sie verhindern das doch dauernd.

Angekl. B[aader]:

Aber Sie verhindern das doch dauernd.

Vors.:

Sie haben bis jetzt ...

Angekl. B[aader]:

Sie versuchen doch dauernd inhaltlich jeden Satz, den ich sage, versuchen Sie zu zensieren.

Vors.:

Das behaupten Sie. Ich sagen Ihnen nur, das hat keinen Zusammenhang.

Angekl. B[aader]:

Das sind Tatsachen, die können Sie im Protokoll nachlesen.

Vors.:

Sie haben keinen Zusammenhang mit dem jetzt anstehenden Entscheidungspunkt.

[1222] Angekl. B[aader]:

Man muß die Manipulation, die hier dauernd stattfindet, mal darstellen. Das Protokoll ist an 35 Stellen gefälscht, als Beispiel.

Vors.:

Ach.

Angekl. B[aader]:

Ja. Sehen Sie mal nach.

Vors.:

Ach, ist es an 35 Stellen gefälscht, Herr Baader.

Angekl. B[aader]:

Mindestens. Wann immer hier versucht wird ...

Vors.:

Herr Baader, jetzt ist ... Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann bitte.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Vorsitzender, ich unterstütze diese Bitte, Herrn Baader doch ausreden zu lassen. Er spricht nämlich genau zu dem Thema, das die Gegenvorstellung tragen soll, die Kriterien Ihrer Selektion von Sachverständigen.

Vors.:

Nein, das ist nicht Gegenstand der Gegenvorstellung. Es geht nur darum, ob in der Tat unsere Auffassung, daß das, was im Kursbuch hier gekommen ist, die Unparteilichkeit des Sachverständigen in Frage stellt, richtig ist. Was [t] anderes haben wir nicht zu tun.

RA Dr. H[eldmann]:

Haben Sie nicht selbst gesagt: unparteiisch.

Vors.:

Darf ich jetzt bitten, dieses Durcheinanderreden hat nun keinen Sinn, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. H[eldmann]:

Haben Sie nicht selbst in Ihren Beschlußgründen den Begriff verwendet, nicht unparteiisch und damit also hier ein Kriterium gesetzt, zu dem Herr Baader soeben gesprochen hat.

Vors.:

Keineswegs ...

RA Dr. H[eldmann]:

Wer ist parteiisch, wer ist unparteiisch.

Vors.:

Wir brauchen jetzt keine Belehrung oder irgend eine Vorlesung [1223] über den Begriff der Parteilichkeit oder Unparteilichkeit, wie ihn Herr Baader sich vorstellt. Wir wollen wissen, ob er hier zur Gegenvorstellung etwas zu sagen hat. Und weiteres kann er jetzt nicht vortragen. Ich hindere[u] ihn später, wenn ein geeigneter Zusammenhang da ist, keineswegs das vorzutragen, wenn es sich in der angemessenen Form hält.

RA Sch[ily]:

Aber den Inhalt der Gegenvorstellung bestimmt doch wohl die Verteidigung und auch die Argumentation, das ist doch eigentlich, dachte ich, immer noch vielleicht etwas, was an sich gewöhnlich ist und üblich ist. Und zu dem vielen außergewöhnlichen, was diesen Prozeß auszeichnet, sollte nun nicht noch kommen, daß das Gericht darüber bestimmt, wie wir argumentieren und was der Inhalt der Gegenvorstellung ist. Und wenn Sie einen[v] Begriff verwenden wie Abhängigkeit, dann ist es wohl das gute Recht eines Angeklagten und eines Verteidigers, sich zu diesem Begriff zu äußern.

Vors.:

Keineswegs.

RA Sch[ily]:

Keineswegs, ach ...

Vors.:

Nein, Herr Rechtsanwalt. Es ist, glaube ich noch immer nach unserer Prozeßordnung, und das außergewöhnliche ist bloß, daß Sie das offenbar nicht zur Kenntnis nehmen wollen, notwendig, daß man Begründungen und Anträge bekommt, die zur Sache gehören. Jetzt einen Vortrag zu bekommen, bloß weil hier einmal das Wort oder zweimal von der Parteilichkeit geredet worden ist, in einem ganz anderen Zusammenhang darzustellen, was Herr Baader über Parteilichkeit denkt, das ist doch geradezu absurd. Und wenn Sie das unterstützen wollen, dann verstehen Sie in der Richtung die Prozeßordnung falsch.

RA Sch[ily]:

Aber Herr Vorsitzender, hier gehts doch um die Frage der Parteilichkeit und der Abhängigkeit eines medizinischen Sachverständigen, und gerade zu dem Punkt will Herr Baader sich äußern. Und wenn er da andere Beispiele wählt, Sie sind doch ständig, erinnern Sie sich doch einmal an frühere Verhandlungstage, Sie sind doch auch ständig mit Beispielen an der Hand, wo Sie dann was selber illustrieren wollen. Erinnern Sie sich doch einmal [1224] an Ihr eigenes Verhalten. Das ist doch, ich mein das ureigenste Recht eines Angeklagten auch zur Belegung seiner Thesen, ob etwas Abhängigkeit darstellt oder nicht, Beispiele zu wählen und dem Gericht vor Augen zu führen.

Vors.:

Nein, nein ...

RA Sch[ily]:

Wenn er das nicht darf, dann allerdings tun Sie etwas, und wenn Sie das sogar als absurd bezeichnen, dann weiß ich überhaupt nicht mehr, was Sie für ein Verständnis haben von Strafprozeßordnung.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, es nützt nichts, was Sie hier reden. Es ist mir bewußt, daß Sie aufgrund dessen ...

RA Sch[ily]:

Den Eindruck habe ich auch, daß hier überhaupt alles nutzlos ist.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, es ist mir bekannt, daß durch diese Art von Diskussionen ein Eindruck erweckt werden kann, als ginge das Gericht unkorrekt vor. Es ist ein falscher Eindruck. Das Gericht hat es nicht notwendig, sich jetzt Beispiele mit zwei Sachverständigen, über die im Augenblick nicht die Rede ist, belehren zu lassen oder darlegen zu lassen, welche Begriffsvorstellungen Herr Baader von der Parteilichkeit oder Unparteilichkeit hat. Es kann im Zusammenhang mit Herrn Professor Teuns und mit dieser hier ergangenen Entscheidung und der von Ihnen erhobenen Gegenvorstellung vorgetragen werden, was dazu gehört. Keineswegs etwa jetzt Vorstellungen, die Herr Baader aus dem Fall Hausner beispielsweise herleitet, oder dem Fall Meins[18] herleitet. Das hat damit überhaupt nichts zu tun.

RA Sch[ily]:

Herr Vorsitzender, um Ihnen einmal ein Beispiel doch auch vor Augen zu führen. Wenn es darum ginge, jetzt darüber zu entscheiden, welcher Zeuge vereidigt wird oder nicht, wir wären bereits in der Beweisaufnahme und müßten darüber entscheiden und wir würden dem Gericht darstellen, daß bei anderen Zeugen, die vielleicht oder, wo der Sachverhalt gleich gelagert ist, oder eine gewisse Vergleichsbasis vorhanden ist, über die Ver- [1225] eidigung in der Weise entschieden worden ist, in einer bestimmten Form entschieden worden ist, ich glaube nicht, daß Sie als Vorsitzender mich unterbrechen würden und würden sagen, wie kommen Sie dazu, jetzt diese beiden anderen Zeugen zu erwähnen und unsere Entscheidung, diese beiden Zeugen zu vereidigen oder nicht zu vereidigen, das zu erwähnen, als Beispiel. Da würden Sie sicherlich nicht sagen, das ist nicht zur Sache gehörig. Also wenn Herr Baader jetzt sich dazu äußert, wie Sie eigentlich die Frage der Abhängigkeit oder Unabhängigkeit beurteilen bei anderen Sachverständigen, dann gehört das unmittelbar in den Sachzusammenhang. Ich weiß eigentlich nicht, wie Sie das nicht begreifen wollen. Vielleicht haben Sie sich jetzt zu sehr da festgelegt, daß Sie nicht wieder davon runterkommen können. Aber Herr Vorsitzender, es ehrt eigentlich jeden, wenn er auch einmal in der Lage ist, seine eigene Haltung zu überprüfen und dann vielleicht auch zur besseren Einsicht zu gelangen.

Vors.:

Nun, in dieser Richtung haben Sie ja Erfahrung gemacht, daß der Senat keinesfalls festhält an einer Meinung, wenn er sie nicht mehr für tunlich hält.

RA Sch[ily]:

Wir haben die Erfahrung gemacht, daß Sie sehr schnell, wenn die Bundesanwaltschaft Gegenvorstellung macht, mal in der Lage sind, Ihre Meinung zu ändern, allerdings dann auch wieder nicht an der geänderten Meinung dann festhalten, das haben wir an den ersten Verhandlungstagen festgestellt, aber sonst ...

Vors.:

Es gelingt Ihnen jetzt Herr Rechtsanwalt, mit den Ausführungen natürlich, das an sich gängige Urteil hervorzurufen, hätte man ihn reden lassen, dann wäre das längst hinter uns, was er gesagt hat. Man verliert mehr Zeit durch dieses Gespräch. Das gebe ich zu. Es geht nur darum, daß man grundsätzlich in der Verhandlung sich daran gewöhnen muß, und dieses Vertrauen bringe ich einem Anwalt entgegen, daß er sich im Sachzusammenhang hält. Ich bin nicht davon überzeugt und laß mich auch nicht davon überzeugen, so wie Herr Baader begonnen hat, daß diese Ausführungen im Zusammenhang mit unserem Beschluß und Ihrer Gegenvorstellung gegen diesen Beschluß stehen. Wenn Herr Baader imstande ist [1226] durch ...

Angekl. B[aader]:

Moment, Moment, das ist ja nicht gesagt worden ...

Vors.:

Unterbrechen Sie mich jetzt nicht. Wenn Herr Baader imstande ist, mich davon zu überzeugen, dann werde ich ihm selbstverständlich das Wort nicht nehmen, dazu muß er aber seine Ausführungen auf unseren Fall beziehen. Es hat überhaupt nichts damit zu tun, daß er jetzt auseinandersetzt, was Herr Professor Rauschke in seinen Augen versäumt haben könnte, im Falle Hausner beispielsweise. Nein, das hat nichts damit zu tun.

RA Sch[ily]:

Doch, das ist mit der Frage ...

Vors.:

Gut, das ist eine Meinungsverschiedenheit. Wenn Sie glauben, daß ich falsch entschieden habe, dann können Sie, wie Sie genau wissen, die Entscheidung des Senats anrufen.[19]

Herr Baader bitte, wir wollen versuchen, ob Sie den Zusammenhang herstellen, Sie wissen ja jetzt, was das Gericht will. Es will Ihnen nicht das Wort abschneiden, es will den Zusammenhang.

Angekl. B[aader]:

Ich würde sagen, genau das ist es, was das Gericht will. Es will hier Argumentationen, die jeweils den Zusammenhang wie dieser Komplex hier zum Beispiel ...

Vors.:

Bitte kommen Sie jetzt zur Sache, das will das Gericht ...

Angekl. B[aader]:

Verdammt, kann ich denn nicht einen halben Satz sagen, ohne daß Sie sagen, kommen Sie zur Sache.

Vors.:

Kommen Sie zur Sache. Das Gericht will Ihnen das Wort nicht entziehen. Im Gegenteil, wir meinen, daß wir Ihnen gegenüber recht geduldig sind.

Angekl. B[aader]:

Ja dann quatschen Sie doch nicht immer dazwischen. Sie zerstören doch wirklich jeden Satz ganz systematisch, indem Sie permanent, naja also, das spricht ja wirklich für sich selbst [1227] was Sie hier machen.

Vors.:

Herr Baader, Bitte kommen Sie zur Sache. Wir wollen sehen, ob Sie bei der Sache bleiben.

Angekl. B[aader]:

Ich stelle nochmals fest, daß das, was ich versuche, ist, darzustellen, wie die Ablehnung eines Gutachters, wie Teuns über den Begriff der Abhängigkeit im Zusammenhang des ganzen Prozeßverlaufes bzw. des Verlaufes des ganzen Verfahrens steht. Und ich würde aber sagen, erteilen Sie bitte Herrn Heldmann vorher noch einmal das Wort, weil er noch dazu etwas zu sagen hat, zu Ihrer Praxis hier. Und weil ich keine Lust habe, mich auf eine Erklärung, Sie wissen, daß es sehr schwierig ist für uns und daß ich nicht Texte ablese, sondern daß ich das frei entwickeln muß. Wenn Sie mich 20 Mal unterbrechen, dann fange ich wirklich lieber gar nicht an. Also das hat überhaupt keinen Sinn. Das ist für mich auch von der Konzentration her unmöglich. So wie Sie das bisher gehandhabt haben, bin ich nicht in der Lage, oder ist es für mich extrem schwer, die Argumentationen[w] zu entwickeln, die ich im Kopf hab, die ich entwickeln will, weil Sie mich dauernd stören dabei.

Vors.:

Herr Baader, darf ich Ihnen dazu nur noch eine Antwort geben.

Angekl. B[aader]:

Und das sind zum Teil eben komplizierte Zusammenhänge.

Vors.:

Bitte, das ist durchaus verständlich. Aber nehmen Sie zur Kenntnis, wir befinden uns noch nicht einmal im Verfahrensstadium der Personenvernehmung.[20] Wir haben noch nicht einmal uns irgend wie auch nur entfernt genähert der Einlassung zur Sache. Hier sind Ihre Redemöglichkeiten völlig unbeschränkt, wenn Sie sich in den Formen halten. Wir sind in einem Vorstadium. In diesem Vorstadium, lassen Sie mich bitte ausreden, können wir nicht Dinge, die mit dem Gegenstand, der im Augenblick zu besprechen ist, keinen Zusammenhang haben, ständig entgegen nehmen. Hier kam eine Gegenvorstellung, die zum Inhalt hatte, daß wir der falschen Auffassung seien, [1128] daß sich Herr Professor Teuns dieses Vorwort zu eigen gemacht habe. Diese Gegenvorstellung können Sie mit Ihren Ausführungen, wenn Sie dazu etwas beizutragen haben, unterstützen. Aber Sie sind jetzt nicht imstande, eine generelle Erklärung abzugeben aus Zusammenhängen, die mit denen nichts zu tun haben.

Angekl. B[aader]:

Nein, das will ich auch gar nicht. Inwiefern muß ich mich denn auf die Gegenvorstellung[x] der Verteidiger, die sich darauf bezieht, daß dieses Vorwort eben nicht von ihm ist, beziehen. Meine Gegenvorstellung bezieht sich auf etwas ganz anderes. Sie bezieht sich auf Ihren Begriff der Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit bzw. auf den Begriff von Abhängigkeit oder Unabhängigkeit, wie er in diesem Verfahren im Moment Gegenstand der Beurteilung eines Sachverständigen ist.

Vors.:

Wir haben gesagt, daß ein Sachverständiger, der sich ein Vorwort zu eigen macht, in dem selbstverständlich die Isolationsfolter unterstellt und als ein Beispiel eines Verhaltens, vergleichbar dem in Auschwitz, der Tendenz nach dargestellt wird, daß ein solcher Sachverständiger nicht mehr als unparteilich angesehen werden könnte. Das ist die[y] schlichte Aussage unseres Beschlusses, und wenn Sie dagegen gegen diese Auffassung von Parteilichkeit etwas zu sagen haben, Herr Baader, haben Sie volle Redefreiheit. Aber nicht, wenn Sie nun etwas vortragen wollen, was damit nicht im Zusammenhang steht, nur darum geht es.

Angekl. B[aader]:

Gleichzeitig, sehen Sie mal, es steht doch im Zusammenhang dieses ganzen Verfahrens. Denn die Tatsache, das kann man doch wohl gar nicht bestreiten, daß die Tatsache der Zulassung von Gutachtern in diesem Verfahren sozusagen eine strategische Funktion hat für die Bundesanwaltschaft und vermutlich auch für die Verteidigung.

Vors.:

Nein, Herr Baader, das stimmt eben nicht. Es geht jetzt darum, was ich Ihnen sagte, das ist unser Begriff von der Parteilichkeit oder von der Besorgnis der Parteilichkeit[z], dazu können Sie sich äußern. Sie müssen sich halt auf den Gegenstand beschränken. Das ist doch das einzige.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Vorsitzender, ich bitte also jetzt noch einmal, Herrn Baader [1229] zu Wort kommen zu lassen. Wenn man die Protokolle verfolgt, ist es immer das gleiche. Sie werfen Herrn Baader bereits im ersten Satz vor, er solle[aa] zur Sache kommen oder fragen ihn, wie lange er reden will. Beschränken damit unausgesprochen ihre ..., versuchen jedenfalls Redezeiten zu beschränken. Ich habe mir gerade das Protokoll, das ich gestern empfangen habe, heute nacht einmal durchgelesen. Da ist Herrn Baaders Erklärung zu meinen Gegenvorstellungen hinsichtlich des Unterbrechungsantrags. Da hat Herr Baader ganz klar gesprochen und ganz strikt zur Sache gesprochen, bis Sie dann auf den Seiten 879 bis 881 dann mit Ihren Unterbrechungen wieder massiv angefangen haben. Dann kam Herr Baader genau wieder eine Seite, auf 882, zu ganz strikt zur Sache gehörenden Ausführungen. Auf Seite 883 bis 885 dann haben Sie wieder gemeint, Herrn Baaders Ausführungen zensieren zu müssen, obgleich Sie nach dem Wortlaut des Tonbandprotokolls strikt zur Sache gehörten. Und jetzt geht das Alte von vorne los. Kaum hat Herr Baader angefangen zu sprechen, zerstören Sie den Zusammenhang, der für jedermann erkennbar ist, denn Sie selbst haben diesen Zusammenhang mit Ihrer Schlußbegründung provoziert, wo Sie Herrn Teuns vorgeworfen haben, er sei nicht als unparteiisch anzusehen und ihn[bb] deshalb abgelehnt haben, ihm dann zu Unrecht einen[cc] Text zur Last gelegt haben, für den er nicht verantwortlich ist, und nun bitte schön ist Herr Baader dran, und lassen Sie doch endlich mal den Herrn Baader aussprechen.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ich kann Ihnen nicht unerwidert solche Ausführungen hingehen lassen. Wenn ich einen[dd] Sachzusammenhang zerstören wollte, dann wäre es wahrscheinlich zweckmäßiger, wenn die Rede gerade in Gange ist, das heißt, nicht schon zu Beginn der Rede eine Unterbrechung herbeizuführen zu versuchen, einen, der abschweift, zurückzuführen auf den Sachgegenstand. Das bedeutet ja gerade, daß man ihn nicht mitten in der Rede unterbrechen will. Das zweite: Ich sage Ihnen nochmals, wir befinden uns jetzt in einem Stadium, wo es um Einzelentscheidungen geht, die erst hinführen zum eigentlichen Verhandlungsthema, nämlich zur Person und zur Sache. Im Rahmen der Sachdarstellung, der Äußerung der Angeklagten zur Sache, werden Sie unbeschränkte Möglichkeit haben. Sie werden über die Geduld des Gerichts er- [1230] staunt sein. Wobei ich Ihnen sagen darf, lesen Sie den Inhalt der Ausführung nach. Lesen Sie nach, was sich das Gericht alles sagen lassen muß. Dann werden Sie nicht behaupten können, daß wir die Geduld nicht aufbringen. Ich bin nur darauf angewiesen, daß wir jetzt in diesem Stadium endlich lernen, und ich muß es sagen, Herr Baader muß es offensichtlich lernen, daß wir, wenn wir eine Gegenvorstellung haben, in der wir einen Begriff der Fragwürdigkeit einer Unparteilichkeit darlegen durch ein Vorwort, das gesprochen worden ist, uns auf diesen Gegenstand beschränken müssen. Und jetzt nicht etwa entgegennehmen müssen Erklärungen über die angebliche Taktik, durch Auswahl von bestimmten Sachverständigen diesen ganzen Prozeß zu beeinflussen. Das ist nicht Gegenstand der Gegenvorstellung. Dieser Spruch, diese Darstellung kann Herr Baader im richtigen Zusammenhang durchaus bringen. Aber hier lassen wir uns jetzt nicht von der Entscheidung ablenken, die zu fällen ist, nämlich ob wir der richtigen Meinung waren, daß dieses Vorwort die Parteilichkeit von Herrn Dr. Teuns in Frage stellt, die Unparteilichkeit in Frage stellt. Das ist doch das Ganze, um was es geht. Und Sie verstehen es ständig so darzustellen, als würde ich, aus taktischen Gründen muß man sagen, Herrn Baader das Wort entziehen wollen. Das ist überhaupt nicht der Fall.

RA Dr. H[eldmann]:

Das ist nicht gesagt worden, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Nein, ich sage, Sie verstehen es, daß der Eindruck entsteht, durch Ihre Ausführung. Aber ich meine, das müßten Sie doch auch sehen, in welcher Situation der Vorsitzende hier ist. Ich muß Sie gerade hier um Verständnis bitten, daß ich das nicht hinnehmen kann, daß hier allgemeine Dinge eingeführt werden, wenn eine so konkrete Entscheidung zur Debatte steht. Ich bitte jetzt nochmals abschließend, wenn zu dieser Gegenvorstellung, der Begründung durch die Herrn Verteidiger gegeben worden ist, noch etwas hinzuzufügen ist, dann kann das vorgetragen werden. Es kann aber jetzt kein Vortrag gehalten werden über angebliche Taktiken bei der Auslese von Sachverständigen und dem angeblichen Versuche, dadurch dem Verfahren ein besonderes Gesicht zu geben. Herr Baader, zunächst die Frage, haben Sie zu dieser Gegenvorstellung, der Begründung, die Ihre [1231] Herrn Verteidiger vorgetragen haben, was zuzugeben.

Angekl. B[aader]:

Nein, ich würde sagen, wenn Sie sagen, Ausgangspunkt sollte sein zunächst mal die Frage, ob durch die Auswahl von Gutachtern das ganze Verfahren beeinflußt wurde. Dann würde ich sagen, das ist meiner Ansicht nach belegt.

Vors.:

Gut, das darf ja sein. Sie dürfen das ja auch ...

Angekl. B[aader]:

In Ihrer Entscheidung zu ...

Vors.:

Es tut mir leid Herr Baader, ich kann Ihnen einfach das Wort jetzt nicht mehr geben, Sie müssen sich zu diesem Thema hier äußern, sonst können Sie jederzeit in einem geeigneten Zusammenhang, das, was Sie auf dem Herzen haben, vortragen. Da wird Sie niemand behindern.

Angekl. B[aader]:

Würden Sie denn bitte einmal sagen, was Sie für einen geeigneten Zusammenhang halten.

Vors.:

Den kenne ich nicht. Ich weiß nicht, welche Gelegenheiten für Sie kommen. Aber jedenfalls hier haben wir es mit dieser Gegenvorstellung zu tun, und nur zu der können jetzt Ausführungen gemacht werden. Damit ist aber das letzte Wort von mir gesagt.

Angekl. B[aader]:

Sie verhindern, das ist doch nun wirklich einfach der Vorgang, der hier vollkommen klar im Raum steht, Sie verhindern, daß der Zusammenhang dieser Entscheidung zur Ablehnung von Teuns, die uns vollkommen klar war. Das wird auch nicht die letzte Ablehnung eines Gutachters sein. Sie verhindern, daß das hier entwickelt und öffentlich gemacht wird. Denn es ist doch, daß der Hintergrund der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft ...

Vors.:

Herr Baader, um Sie zu wiederlegen ...

Angekl. B[aader]:

... ja, der ist aber sehr umfassend. Sie müssen wissen, es sind in diesem Zusammenhang, explizit für dieses Problem in diesem [1232] Verfahren, sind Gesetze geändert worden.[21] Und Sie können natürlich immer sagen, daß Gesetze geändert worden sind, die dieses Verfahren unmittelbar beeinflussen, das ist nicht Gegenstand des Verfahrens, das ist allerdings wahr. Es gehört unmittelbar zu diesem Zusammenhang und unser Interesse muß sein, den Zusammenhang darzustellen.

Vors.:

Gut, Herr Baader.

Angekl. B[aader]:

Das muß auch, das ist zumindest nach Ihren eigenen Normen, nach den eigentlichen Normen des bürgerlichen Rechtsstaats ist das auch ein Recht der Verteidigung, d.h. der Selbstverteidigung, den[ee] Zusammenhang, d.h. den allgemeinen politischen Zusammenhang, diese Besonderheiten herzustellen.

Vors.:

Herr Baader, Sie werden diese Erklärung ...

Angekl. B[aader]:

Das ist genau das, was Sie verhindern wollen. Und Sie haben das auch wörtlich gesagt, nach dem Protokoll haben Sie selbst gesagt in irgend einem Zusammenhang, daß es nicht ginge oder nicht anginge, daß dauernd politische Erklärungen abgegeben werden in diesem Verfahren. Das ist doch der eigentliche Punkt. Daß aber dieses Verfahren, zumindest was jetzt konkret die Verfahrensfragen angeht, einen[ff] explizit politischen Aspekt hat, das können Sie wohl kaum bestreiten. Denn es sind Gesetze geändert worden und es tauchen hier permanent Besonderheiten dieses Verfahrens auf, werden auch Gegenstand der Kontroverse jetzt im Vorfeld des Verfahrens, die nur explizit politisch zu begreifen sind. Insofern sind politische Erklärungen zum Gegenstand dieser Auseinandersetzungen eine Notwendigkeit.

Vors.:

Ja, Herr Baader ...

Angekl. B[aader]:

Sie können doch nicht, so wie Sie das machen, mit dieser absoluten, naja mit dieser Kleinlichkeit, mit der Sie wirklich permanent versuchen, mit der Sie hier versuchen, sozusagen Stringenz darzustellen, jenseits dessen, was eigentlich vorgeht. Sie stellen immer nur Tatsachenbehauptungen auf. Sie belegen nie. [1233] Sie belegen argumentativ nie.

Vors.:

Herr Baader, ich muß Sie jetzt darauf hinweisen, Sie dürfen Ihre Erklärungen bei Gelegenheit loswerden, aber nicht in dem Zusammenhang. Wir haben jetzt die Entscheidung zu treffen über die Gegenvorstellung. Ich bin bereit, Sie später reden zu lassen. Ich möchte Ihnen nicht den Eindruck vermitteln, als wären Sie hier nicht in der Lage, Ihre Gedanken anzubringen. Aber in dem Zusammenhang der jetzt ...

Angekl. B[aader]:

Sie irren sich, wenn Sie davon ausgehen, das sei eine Erklärung, das ist einfach mein Interesse, den Zusammenhang darzustellen, dessen was bisher abgelaufen ist, im Zusammenhang der Frage der Gutachterbestellung bzw. der Untersuchung durch Ärzte unserer Wahl, der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft und der Qualifikation bzw. der Kriterien, nach denen die beiden Gutachter, die hier bisher aufgetaucht sind, ausgesucht worden sind. Das gehört insofern unmittelbar zum Verfahren und auch zu Ihrer Entscheidung.

Vors.:

Herr Baader, ich weiß nicht, warum ich es Ihnen nicht begreiflich machen kann. Wir versuchen ja wiederholt, daß das nun mit der Gegenvorstellung, die im Augenblick erhoben ist, in keinem Zusammenhang steht. Aber bitte, ob Sie’s vor oder nachher erklären, ich will den Kompromiß mit Ihnen schließen, aber Sie werden dadurch nur den Beweis liefern, daß ich Recht damit habe. Sprechen Sie jetzt mal das und stellen Sie nachher den Zusammenhang dar, daß der bestehen soll mit der jetzt zu treffenden und zu fällenden Entscheidung. Fangen Sie an.

Angekl. B[aader]:

Die jetzt zu treffende Entscheidung wäre die, Teuns als Gutachter zuzulassen. Das wäre die jetzt zu treffende Entscheidung, und [gg] darauf bezieht sich allerdings die Gegenvorstellung, die ich jetzt vorhab. Aber ich fang jetzt mal an.

Also während zu Henck zu sagen ist, also die beiden Gutachter, also von Rauschke ist jetzt bekannt geworden, daß er offensichtlich einen[hh] Obduktionsbericht, also daß er zum Tod von [1234] Siegfried Hausner einen[ii] Obduktionsbericht verfasst hat, und vermutlich ausgesucht worden ist, damit dieser Obduktionsbericht aussieht, der in Widerspruch steht zu den Feststellungen des Anstaltsarztes in Stuttgart-Stammheim und zu den Feststellungen der Universitätsklinik in Stockholm. Wodurch unserer Ansicht nach belegt ist, daß Professor Rauschke ein Arzt ist, der unmittelbar abhängig ist vom Staatsschutz, d.h. dessen gutachtliche Äußerung beeinflußbar ist vom Staatsschutz in diesem Zusammenhang in der Funktion, die eigentlichen Todesursachen des Siegfried Hausner zu verschleiern, nämlich die, daß er mit den Kolben von Maschinenpistolen in Stockholm tödliche Verletzungen zugefügt bekommen hat. Ich würde überhaupt sagen, die Frage nach einer korrekten medizinisch haltbaren Feststellung unserer Verhandlungsfähigkeit ist identisch mit der Frage nach Ärzten unserer Wahl. Das heißt nach Ärzten, die die Verteidigung benannt hat. Weil die Bundesanwaltschaft, der Staatsschutz und dieser Senat hier aus der für dieses Verfahren strategischen Bedeutung der Frage der Verhandlungsfähigkeit nur Gutachter zulassen werden, deren Gutachten egal, ob da untersucht wurde, oder nicht, Daten vorliegen oder nicht, schon vorher gesichert ist. Das drückt der Satz von Henck aus, Tests, d.h. diagnostische Methoden, die zuverlässiger wären als sein Blick, könnten bestenfalls seine Behauptung der Verhandlungsunfähigkeit bestätigen. Und das drückt sich aus in dem Antrag der Bundesanwaltschaft, bzw. in der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft, die eine Zwangsuntersuchung in Aussicht stellt, d.h. die Anordnung einer Zwangsuntersuchung dann möglicherweise auch in Antragsform in Aussicht stellt. Sie haben hier am letzten Verhandlungstag festgestellt oder gesagt, gegen das Recht auf eine Untersuchung durch Ärzte unserer Wahl bestünden Sicherheitsbedenken. Das war Ihre Formulierung, Ihre wörtliche. Die Wahrheit ist, daß gegen die Diagnose tatsächlich unabhängiger Ärzte, jedes von der Justiz unabhängigen Arztes, über die Sie sich vollkommen klar sind, sonst würden Sie es nicht mit allen Mitteln verhindern wollen, daß gegen die Diagnose dieser Ärzte Sicherheitsbedenken bestehen. Sicherheitsbedenken hat der Senat geltend gemacht gegen die Diagnose des Zustands von Holger. Es ist explizit die Begründung, mit der auch damals die Untersuchung durch Ärzte unserer Wahl abgelehnt worden ist. Sicherheitsbe- [1235] denken sind geltend gemacht worden gegen die Untersuchung von Kat Hammerschmidt[22] und die Verlegung Siegfried Hausners in ein Krankenhaus.[23] Ich würde sagen, in den Folgen kommt Ihr Verständnis von Sicherheit aus Ihrer Funktionalisierung für den Staatsschutz, wie das Verständnis innerer Sicherheit des Staatsschutzes[jj], aus dem Begriff: wir führen Krieg. Und ein Sicherheitsrisiko besteht, solange ein Gefangener aus der RAF lebt. Oder anders, für Staatsschutzrechtler wie Sie, bis der Teil der RAF der in Ihrer Gewalt ist, vernichtet ist. Mit der Feststellung des Zustands der Gefangenen wollen Sie der Feststellung seiner Ursache entgehen. Das ist natürlich, es gibt da auch den eigenartigen Vorgang, daß es ungefähr 50 Verfügungen des Senats gibt[kk], durch die Zeitungen angehalten werden, weil in ihnen festgestellt wird, daß Isolation Folter ist, und einer der stereotypen monotonen Begründungen ist, es würde die Bediensteten des Vollzugs bzw. des Gerichts herabwürdigen. Also damit wird die Zensur begründet. Weil in ihnen auch, wesentlich, weil in diesen Zeitungen festgestellt wird, daß Isolation Folter ist, das genügte bereits zur Zensur. Inzwischen hat ein Gericht in Köln, darauf möchte ich nochmal hinweisen, in dem Zusammenhang festgestellt, und zwar sozusagen indirekt festgestellt, daß Isolation Folter ist, und es gibt darüber von der Intention dessen her, der Isolation anordnet und auch von den subjektiven Wirkungen her, gibt es doch überhaupt keinen Zweifel, daß Isolation eine Form, eine wissenschaftlich entwickelte Form der Aussageerpressung ist. Daß sie diesem Zweck dient, und damit ist sie Folter, und damit erfüllt sie ihre korrekte Begriffsbestimmung, ist Folter. Die Feststellung der Ursachen des Zustands der Gefangenen würde auf die Verantwortung des Senats hin verweisen, der die Haftbedingungen beschlossen hat oder nicht geändert hat und der sie aufrechterhält. Und das könnte hypothetisch sage ich mal, hypothetisch die peinliche Situation entstehen, daß offenbar wird, daß das Gericht und die Bundesanwaltschaft das Verfahren durch die Maßnahmen, durch Ihre Maßnahmen gegen die Gefangenen, undurchführbar gemacht haben. Ich sage ausdrücklich, die Verhandlungsunfähigkeit infolge der Isolation. Also Folge der besonderen Haftbedingungen. Henck hat festgestellt, daß die Haftbedingungen, wie sie jetzt noch für uns [1236] bestehen, nach seiner 20 jährigen Praxis, Erfahrung als Gefängnisarzt, einzigartig sind. Ihre Wirkungen sind auch einzigartig. Und zu Henck selbst ist noch einmal zu sagen, indem man auf die Besonderheit der Haftbedingungen hier nicht eingegangen ist, weil die Ergebnisse der Isolationsforschung entweder fehlen oder er sie hier bewußt, was wahrscheinlicher ist, in seinen sonderbaren Bemühungen zu einem Gutachten zu kommen oder zu so was ähnlichem, nicht einbezogen hat, hat er seinen Mangel an Qualifikation bewiesen oder seine Befangenheit. Wahrscheinlich beides. Obwohl eben nicht sicher ist, und ich sage das noch einmal ausdrücklich, weil Henck eben eigentlich der einzige Gutachter ist, der bisher überhaupt dezidiert eingegangen ist, der überhaupt auf den Zustand der Gefangenen, und der zumindest davon ausgeht oder behauptet, Feststellungen darüber zu haben. Rauschke hat ja insofern seine Kompetenz, das war sein Begriff, abgelehnt. Also wir sind nicht sicher, daß Henck unqualifiziert ist, denn er hat über Halluzinationen und Regressionen in der Isolation bei seiner ersten Vernehmung so gesprochen, als würde er Untersuchungen von Schellisch oder Groß kennen. Ich zitiere dazu mal, was Groß über die Frage der Isolation sagt. Er sagt: Obwohl die ungesetzlichen Untersuchungs- und Strafmethoden schon eine reiche und bunte Geschichte hinter sich haben, konnte sich ihr Zeugnis nunmehr, also wie sie zum Beispiel Charschend 51, 57 erwähnt, konnte sich ihr Zeugnis nun mehr oder weniger auf autobiografisches Material der so verfolgten Personen stützen oder eventuell auf Angaben, die durch eine anamnestische Untersuchung einer größeren Menge der betroffenen Personen festgestellt wurden. Erst nach dem Zusammenbruch des deutschen Faschismus, der in den Jahren seiner Herrschaft aus den ungesetzlichen Methoden eines der Hauptmittel gemacht hat, mit denen er seine Macht erhalten hat, war es möglich, in einem größeren Umfang die Angaben der Isolierten auch durch die Untersuchung der Täter und Mittäter dieser Gewalt zu vervollkommnen und sie[ll] eventuell auch durch Untersuchungen am Tatort zu belegen. So wurde in Nürnberg[24], vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte, dem Gericht der Menschheit umfassendes Anklagematerial vorgelegt gegen derart verbrecherische Praktiken, die objektiv festgestellt und durch Fakten belegt werden konnten. Müller-Hegmann, der diese Materialen [1237] studierte und sie durch nachträgliche anamnestische Untersuchungen an jetzt noch lebenden Opfern vervollkommnet hat, konzentriert seine Aufmerksamkeit besonders auf die Bedeutung, die in diesen Methoden, die soziale Isolation und sensorische Deprivation gespielt hat, wie sie zum Beispiel die Einzelhaft darstellte.

Ende von Band 45

[1238] Angekl. Baa[der]:

Von 100 Personen, die der Autor untersuchte, verbrachten 38 während der Gefangenschaft wenigstens ein paar Monate in Einzelhaft, von diesen 15 eine Zeit von zwei bis drei Jahren

- und dazu sage ich nun mal, daß die Gefangenen hier jetzt seit drei Jahren und zwei Monaten vollständig isoliert sind[25] -

und elf Personen die Zeit von vier bis sieben Jahren. Die Einzelhaft fiel bei der überwiegenden Mehrzahl der Gefangenen in den Zeitraum der Untersuchungshaft, die regelmäßig einige Monate bis ein Jahr, manchmal auch länger, dauerte. Diesen Zeitraum bezeichneten alle diese Befragten als die schlimmste Zeit der gesamtem Gefangenschaft, daß sich die Gestapo - und da würde ich sagen, ist hier die entsprechende Instanz die B. Anwaltschaft bzw. das B. Kriminalamt - bemühte, aus den Untersuchungshäftlingen mit allen Mitteln, die sie zur Verfügung hatte, ein Bekenntnis zu erzwingen.

Ich sage das deswegen zu Henck, weil in der forensischen Psychiatrie, die er ja herangezogen hat, die Isolation natürlich nicht auftaucht, Deprivationsschäden überhaupt nicht auftauchen, weil sie die Folge von Folter sind. So sind sie auch nicht zu subsumieren unter den Begriff der Haftpsychose, sie sind Folge eines gezielten wissenschaftlich entwickelten Programms, einer gezielt wissenschaftlich entwickelten Methode sind, mit denen der Staatsschutz versucht, politische Gefangene zu brechen. Und so sind sie auch ohne Beispiel.

Der Staatsschutz wendet sie an, um Aussagen zu erpressen, oder wie Böden gesagt hat - das ist der Leiter der Abteilung Terror oder gesagt haben soll, um sie weichzukochen, propagandistisch zu werten ... zu verwerten. Das ist ein wesentlicher Aspekt. Also nicht nur Aussagen zu erpressen, sondern sozusagen auch den gebrochenen Gefangenen vorzuführen der Öffentlichkeit als Beweis oder Indiz gegen die Politik der Gefangenen bzw. der Gruppe.

Der Haken an der Sache ist, daß die Zerstörung der Persönlichkeit, die Zerstörung des Intellekts, die Zerstörung politischer Identität, in der die ganze bewußte und unbewußte Geschichte des Gefangenen aufgehoben ist, nicht möglich ist, [1239] ohne gleichzeitig seinen Körper zu zerstören. Und so wird das Projekt des Staatsschutzes als Folter sichtbar und problematisiert. In den Momenten von Öffentlichkeit, die’s überhaupt noch gibt, in denen der Gefangene vorgeführt werden muß, wird das sichtbar wie in der Hauptverhandlung. Das heißt, eine Intention der Isolation, unsichtbare Folter zu sein, läßt sich nicht realisieren. In dem Zusammenhang steht das Gesetz, das zu diesem Verfahren verabschiedet wurde, um auch gegen verhandlungsunfähige Gefangene verhandeln zu können;[26] und sein Projekt, das Projekt dieses Gesetzes ist, als Initiative des Staatsschutzes, in Zukunft in einer nichtöffentlichen Verhandlung die Verhandlungsunfähigkeit feststellen zu lassen, natürlich die selbstverschuldete, denn nach der Argumentation der Justiz verschuldet, wie das Wort heißt, der Gefangene, was an ihm vollzogen wird.

Und das ist seit drei Jahren die monotone Behauptung von Justizministern, wir wären für den Trakt, die Langzeitisolation, d. h. die Vernichtungsstrategie des Staates gegen uns, noch in der Situation äußerster Defensive in der Isolation und ... verantwortlich. Also, das ist eine Argumentation, die die B. Anwaltschaft hier nochmals übernommen hat zu dem Mord an Holger, sie hat sie ja ausgedehnt. In ihren Stellungnahmen zu dem Ablehnungsantrag sagt sie, er nahm seinen Tod in Kauf, und da ist genau wieder das höhere Prinzip der B. Anwaltschaft und dieses Systems, der Kauf. D. h. nochmals zu dem Gesetz, das Projekt dieses Gesetzes ist die Verrechtlichung von Folter, und damit ist es tatsächlich einzigartig, wie Vogel, der Justizminister, diese Gesetze genannt hat. So ein Gesetz gibt es nur in der Bundesrepublik bisher. Es stellt dar, wie sich der Faschismus hier durchsetzt aus und im Rechtsstaat, um den Euphemismus, der hier gelegentlich benutzt wird, zu verwenden. Die Verrechtlichung von Folter, d. h. legale Voraussetzungen für die Counter-Taktik durch Folter und Folter so als institutionelle Strategie gegen eine entwickelte Stadtguerilla, und daß sie sich entwickeln wird, daß die Phase, in der die Guerilla der Hase und der Staat der Igel als Igel immer schon da ist, daß diese Phase vorbei ist, in der mit [1240] einem Kern unsere Politik erstickt werden könnte mit der Verhaftung eines Kerns, darüber ist sich die Regierung vollkommen klar und die B. Anwaltschaft natürlich auch.

In der Funktion dieses Gesetzes für dieses Verfahren bildet sich die vollständige Rechtlosigkeit der Gefangenen ab. Daran kommt die Presse - mir ist das aufgefallen, ich glaube, Kühnert hat das geschrieben - zu der absurden Umkehrung, wir würden als eine besondere Tücke unserer Taktik auf Rechten beharren, um darzustellen, daß wir rechtlos sind; oder anders, um die Beliebigkeit dieser Rechte zu vermitteln, die staatliche Willkür.

Das ist falsch. Das ist so nicht unser Problem. Wir kämpfen um diese Rechte, und hier ist es das Recht der Wahl eines Arztes in der Menschenrechtskonvention und in dieser UNO-Deklaration[27], die schon ein paarmal zitiert worden ist, festgelegt - und außerdem hier geltendes Recht[28] noch -.

Wir kämpfen um diese Rechte aus dem einfachen Bewußtsein und der Erfahrung, daß für die B. Anwaltschaft der Mord an politischen Gefangenen eine technische Frage ist und die Methode nur eine Frage des Opportunitätskalküls ...

Reg. Dir. Wi[dera]:

Herr Vors., die Bundesanwaltschaft bittet um das Wort.

Vors.:

Herr B. Anw., wir wollten grade mal jetzt reden lassen. Ich möchte Herrn Baa[der] die Gelegenheit geben, einmal ungekürzt zu sprechen. Ich beabsichtige damit, durchaus Erkenntnisse zu gewinnen für die Zukunft, wie man das handhaben kann.

Wir sollten’s tun lassen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dafür Verständnis hätten und jetzt Herrn Baa[der] zu Ende reden lassen.

Angekl. Baa[der]:

Daran ist nichts übertrieben.

Ich habe also gesagt, um darauf nochmals zurückzukommen:

Nach dem einfachen Grund ... Aus dem einfachen Bewußtsein und der Erfahrung, daß für die B. Anwaltschaft der Mord an politischen Gefangenen nur eine technische Frage und die Methode [1241] nur eine Frage des Opportunitätskalküls ist. Daran ist nichts übertrieben. Aus der Rechtlosigkeit der Gefangenen, d. h. hier explizit, weil ihnen trotz zahlloser Rechtsmittel, wie die Sache heißt, der Anwälte das Recht auf einen Arzt eigener Wahl genommen worden ist, sind in den letzten acht Monaten drei Gefangene aus der RAF vom Vollzug exekutiert worden, und ich weiß von mindestens zehn Gefangenen, die durch die Isolation gesundheitlich so zerstört sind, daß wir davon ausgehen, daß sie sich nicht mehr erholen werden.

Das ist die Dimension der Arztfrage hier, und das Gericht weiß das. Was Sie hier zu retten versuchen oder was der Senat hier zu retten versucht um jeden Preis, ist die Konstruktion der Vernichtungshaft, in der die vom Vollzug abhängigen Ärzte bzw. die von der B. Anwaltschaft ausgesuchten vorinformierten konditionierten Gutachter eine zentrale Rolle spielen.

Sie haben neulich gesagt, Herr Prinzing, zu der Forderung nach einem Arzt eigener Wahl:

Da steckt doch was dahinter.

Ich sage nochmals, was dahintersteckt, sind niemals die Menschenrechte für Gefangene; was dahintersteckt, ist die Tatsache, daß die Vollzugsärzte in ihrer Diagnose und schließlichen Veranlassung, die nie Therapie ist sondern zwangsläufig immer Vollzug, von staatlichem Druck bestimmt werden und kaum von medizinischen Kriterien. Das ist in München immerhin - der staatliche Druck auf der Konferenz [mm] dieser Vollzugsärzte - zum erstenmal thematisiert worden explizit als die, die Situation von Vollzugsärzten bestimmende Sache, der staatliche Druck.

Henck als Vollzugsarzt stellt hier in der letzten Befragung eine Analogie her zwischen Deprivation und deren Wirkungen und einem psychoseähnlichem Zustand. Ich würde sagen, das ist ein Versuch, die Tatsachen, die er kennt - das ist wichtig -, die er kennt, in einem Bezugssystem zu verlagern, indem er dann mit Bezug auf Psychiatrieliteratur, die er sich auch noch dazu grade vorher erst offenbar angeschafft hat, seine Be- [1242] hauptung genereller Verhandlungsfähigkeit in der Befragungssituation aufstellt und so dem Interesse des Senats entspricht. Es ist ein Trick; denn Herr Henck erhofft sich von dieser Konstruktion, die Frage, ob es eine partielle Verhandlungsfähigkeit, ein Begriff, den wir übrigens nie benutzt haben sondern das Gericht gibt, und dann, ob sie hier vorliegt, verneinen zu können, indem er behauptet, selbst ein Psychotiker ist außerhalb des Bereichs seiner Psychose verhandlungsfähig, erklärt er indirekt, das meint er, daß wir außerhalb des Bereichs der Isolation, d. h., sowie wir den Trakt verlassen haben, verhandlungsfähig sind, und ich würde sagen, damit gibt er sich aber doch selbst als Psychotiker zu erkennen, also Henck. Wenn man nur einen Moment nachdenkt, ist das auch nur logisch:

Jeder Gefängnisarzt muß ein Psychotiker sein, vorausgesetzt, es handelt sich um einen Arzt, der die Intention hat, Arzt sein zu wollen. Er muß eine Paranoia entwickeln, weil die Knastadministration ihn verfolgt, unter Druck setzt gegen von medizinischen bestimmten ... medizinischen Kriterien bestimmten Veranlassungen, und bei Henck ganz konkret besteht nicht nur Druck seitens der Anstalt und des Justizministeriums, sondern es ist also auch eindeutig der Versuch gemacht worden, von der B. Anwaltschaft ihn unter Druck zu setzen. Das ist vielleicht nicht aufgefallen. Das war dieser Antrag, ihn zu verteidigen hier.[29] Das ist von ihm vermutlich auch subjektiv als Drohung empfunden worden. Er hat dazu auch, glaube ich, schon einen Satz gesagt.

Aber mit dieser Konstruktion, also mit der Konstruktion, die ich grade darstelle, bestätigt Henck nur die Tatsache, die wir erklärt haben und immerzu erklären, nämlich die Erklärung der Isolation und ihrer Folgen, und er bestätigt auch seine Einschätzung, die er uns gegenüber dazu abgegeben hat, die Einschätzung, daß diese Isolation unmenschlich ist, daß sie zerstörerisch wirkt usw. Es ist sein Versuch, sich aus der Klemme zu ziehen. Die Alternative, die er selbst sieht, ist Verhandlungsunfähigkeit [1243] erst dann gegeben, wenn vitale Gefährdung vorliegt, d. h. unmittelbare Lebensgefahr vorliegt. Damit hat er das Problem auf die Ebene der unmittelbar physischen Krankheit geschoben; denn klar ist - obwohl er Psychiater ist -, daß es für ihn natürlich keinen Zustand vitaler Gefährdung darstellt, wenn sich der Gefangene nicht verteidigen kann, weil er aufgrund der Haftbedingungen - Isolation - nicht mehr dazu in der Lage ist.

Sein Begriffsapparat als Psychiater und der Begriffsapparat der Justiz, also des Senats, sind da identisch: Beide kennen den Menschen nur als Objekt, dadurch bestimmen sie sich.

Aber wenn Henck behauptet - und da auch nur wieder die Anweisungen des Senats nachformuliert -, daß er die Bedingungen, die fiktiv zu einer Verhandlungsunfähigkeit führen könnten, der Trakt, die Isolation durch die Tatsache der Verhandlung selbst aufgehoben sind, beweist er ja nicht nur nochmals eine partielle Psychose, wenn er auf dem Stuhle hier sitzt jedenfalls, sondern er verschärft den Widerspruch. Henck trägt zur Verhandlungsunfähigkeit bei; denn die Verhandlung bringt die Verhandlungsunfähigkeit faktisch erst voll zutage. Durch die Verhandlung kumulieren die Folgen der Isolation, und die Verhandlungsunfähigkeit wird im Verlaufe dieser Verhandlung immer deutlicher zutage treten,

und Sie stoßen eigentlich dann auf jeden eindeutig auf ihre Ursachen in drei Jahren Vernichtungshaft, in drei Jahren Isolation.

Ich wollte Ihnen dazu auch vorschlagen, den Versuch, den Sie hier eigentlich am Anfang jedes Verhandlungstages machen, mit einer wirklich - ich würde schon sagen, ziemlich infamen Penetranz - eine Idylle hier wieder aufzurichten, die nicht besteht, diesen Versuch zu lassen. Sie haben am letzten Verhandlungstag die absurde Behauptung aufgestellt - am vorletzten -, es hätte zeitweise so etwas wie Vertrauen zu Henck gegeben. Das Verhältnis zu Henck ist ein Zwangsverhältnis, d. h. er hat unter - wie es heißt nach Ihren [1244] Beschlüssen, nach Ihren eigenen Beschlüssen - Anwendung urmittelbaren Zwangs durch 6 Vollzugsbeamte die Zwangsernährung - oder wie ein anderer Vollzugsarzt, typischer Sadist, sagt, die Schlauchorgie - in Stammheim während des Hungerstreiks durchgeführt, zuletzt so, wie ich das hier erklärt habe, daß es physische Folter war; darin besteht das Verhältnis zu Henck. Daß er als Psychiater - und das ist eine Disziplin, über die wir durch die Psychoanalyse eine ganze Menge wissen - nicht drumrum kam, auch die Wirkungen der Isolation festzustellen als zerstörerisch, weil er mit ihnen konfrontiert war. Das charakterisiert das Verhältnis allerdings auch. Er hat sie festgestellt als vernichtend, aber er kann und konnte sie nicht ändern aus seiner Position als Arzt, weil ein Arzt in Vollzug vor allen Dingen dem Vollzug dient. Was Henck als Arzt für richtig hält oder für notwendig, das hat sich immer gezeigt, das hat sich in den ganzen Jahren gezeigt, ist vollkommen belanglos. Er hat - das ist das Schicksal seiner gesamten Initiative, die Haftbedingungen zu ändern, als Resultat seiner Feststellungen als Psychiater - er hat sie - ich habe hier ein paar wörtliche Zitate - er hat sie zerstörerisch genannt; er hat sie unmenschlich genannt; er hat sie unverantwortlich genannt, diese Isolation. Das sind alles wörtliche Formulierungen.

Nachdem Sie Zwangsuntersuchungen und Zwangsernährung angeordnet haben hier, war Henck der Mann in Stammheim, der dafür zuständig war, und die Sache war damit sein Problem. Aus seinem Job als Anstaltsarzt hätte er sie gar nicht ablehnen können, ohne diesen Job zu verlieren.

Und genauso ist es hier: Wenn er die Verhandlungsfähigkeit, von der er ausgeht - da bin ich eigentlich ziemlich sicher, daß er davon ausgeht, zumindest zeitweise; denn er hat ja immerhin die Formel geprägt, wir seien sozusagen verhandlungsfähig unter der Voraussetzung von Pausen; das würde ich eigentlich sagen, entspricht dem, was der Senat dann schließlich oder was der Senat zunächst als partielle Verhandlungsfähigkeit oder zeitweise ... oder zeitlich eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit dargestellt hat - wenn er die hier feststellen [1245] würde offen, dann würde sich Henck - das ist mal ganz sicher - um seine Existenz bringen.

Vors.:

Herr Baa[der], Sie haben jetzt 20 Minuten lang den Beweis erbracht, daß das, was Sie auszuführen haben, in der Tat mit der Entscheidung, die zur Debatte steht, nichts zu tun hat. Ich gebe Ihnen jetzt noch zwei Minuten. Wenn Sie in diesen zwei Minuten - d. h. bis halb zwölf -. Wenn Sie bis dahin nicht zur Sache gekommen sind, entziehe ich Ihnen das Wort wegen Mißbrauchs. Es kam nicht darauf an, Ihnen diese Verunglimpfungen hier ungetadelt abzunehmen, sondern wir wollten Ihnen bloß selbst den Beweis liefern, wie weit Sie von der Sache abschweifen durch Ihre Ausführungen.

Bitte kommen Sie jetzt zur Sache. Zwei Minuten noch.

Angekl. Baa[der]:

Ich würde vorschlagen, Sie lassen mir zehn Minuten. Ich werde zu dem Problem der Isolation bzw. Folter in dieser Verhandlung ...

Vors.:

Es war von 15 Minuten die Rede. Wir haben Ihnen jetzt 20 Minuten Zeit gelassen, und Sie sprechen seit Minuten nur von Herrn Dr. Henck in einer Weise, die ohnehin nicht statthaft ist. Es ist eine Pflicht des Gerichtsvors., derartige Verunglimpfungen zurückzuweisen; aber ich habe andere Gründe gehabt, warum ich das hingenommen hab.

Ich sag’s Ihnen jetzt zum letztenmal:

Sie haben noch wenige Minuten Zeit, zur Sache zu kommen.

Angekl. Ra[spe]:

Zitate sind das.

Angekl. Baa[der]:

Wie ist das? Das gehört eben insofern zur Sache, als Sie Henck als Gutachter anerkannt haben; Sie haben ihn faktisch drei-, vier-, fünfmal gepriesen als einen außerordentlich zuverlässigen und unabhängigen Arzt; und Teuns haben Sie als abhängig abgelehnt.

Insofern gehört das, was ich hier über Henck zu sagen habe, zur Sache, und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß wörtliche Zitate von Henck zur Isolation, ja, daß die sozusagen [1246] unzulässig sein sollen, die hier in die Verhandlung einzuführen. Das kann ich mir nicht vorstellen.

Also ich sagte, er würde sich um seine Existenz bringen, und daran kann ja niemand zweifeln, der die Schiebung und den Druck der B. Anwaltschaft und des Justizministeriums Baden-Württemberg im Zusammenhang mit dem Hungerstreik kennengelernt hat. Wir haben da eine ganze Menge Beobachtungen. Aber, ich wollte nochmals sagen, Folter und ihre Folgen. Uns ist es inzwischen eher lästig, hierüber zu reden, und es ist auch ziemlich ermüdend geworden.

Folter und Vernichtungshaft sind Bedingungen dieser Auseinandersetzung. Und überall, wo kein Krieg geführt wird, wird gefoltert. Folter ist ein Mittel der Informationsbeschaffung, der Counter-Strategie der Repression ...

Vors.:

Es ist jetzt halb zwölf. Sie sind nicht zur Sache gekommen. Ich entziehe Ihnen hiermit das Wort.

Wir werden die Sitzung um 14.00 Uhr fortsetzen. Wenn Die B. Anwaltschaft nochmals Stellung nehmen will zur Gegenvorstellung? Sonst würden wir um 14.00 Uhr die Entscheidung verkünden.

BA Dr. Wu[nder]:

Herr Vors., ich möchte Sie nur bitten, aus dem Vortrag des Herrn Baa[der] auch die Konsequenz zu ziehen, daß er nicht an Konzentrationsschwäche leidet.

Beifall im Saal.

Vors.:

Bitte, das ist nicht zulässig im Saal.

Ich muß Sie um Verständnis bitten. Unterlassen Sie Beifalls- oder Mißfallenskundgebungen.

Wir setzen um 14.00 Uhr mit der Entscheidung fort.

Der Senat zog sich um 11.30 Uhr zur Beratung zurück.

Ende von Band 46.

[1247] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 14.05 Uhr. in derselben Besetzung wie heute morgen, mit Ausnahme von RA Schily, der nicht mehr anwesend ist.[nn]

Die zusätzliche Erklärung des RA Dr. Heldmann wird als Anl. 1 zum Protokoll genommen.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort.

Ich kann feststellen, daß die Verteidigung gewährleistet ist. Ich glaube, außer Herrn RA Sch[ily] sind alle Verteidiger anwesend; alle übrigen Prozeßbeteiligten auch.

Es ist zunächst der Beschluß bekanntzugeben, den der Senat auf die Gegenvorstellung hin erlassen hat. Er lautet:

„Die Gegenvorstellung gegen die Entscheidung des Senats, Herrn Prof. Teuns nicht als Sachverständigen beizuziehen, wird zurückgewiesen.“

Gründe:

Da im Kursbuch Nr. 32 auf S. 118 zunächst der Name des Vortragenden, Prof. Teuns, dann der Titel des Vortrages „Isolation, sensorische Deprivation, die programmierte Folter“, dann die Vorbemerkung des Solidaritätskommitees, anschließend der Text des Vortrags wiedergegeben wird, kann unbedenklich davon ausgegangen werden, Prof. Teuns habe diese Anordnung gebilligt und gehe von den hier wiedergegebenen Umständen aus. Weitere Aufklärung bedarf das nicht; denn allein der Umstand, daß Prof. Teuns es hinnimmt, seinen Vortrag unter diesen Umständen veröffentlicht zu sehen, setzt ihn als Sachverständigen Zweifeln hinsichtlich seiner Unvoreingenommenheit aus.

Das gilt auch, wie in der dem Senat zugegangenen zusätzlichen Erklärung des RA Dr. He[ldmann] ausgeführt wird, die Verbindung dieses Aufrufs mit seinem Beitrag nicht selbst veranlaßt hat, sondern seinen Beitrag einer Vereinigung zur [1248][30] [1249] freien Verwertung überläßt, deren Vorstellung in eben dieser Vorbemerkung sehr deutlich wird.

In übrigen ist darauf hinzuweisen, daß nach den Vorschriften zur StPO das Gericht in der Auswahl eines Sachverst. frei und an keine Anträge gebunden ist - § 73 der StPO. Ich darf nun diese zusätzliche Erklärung von Herrn RA Dr. He[ldmann] als Anl. zum Protokoll übergeben.

Ich kann jetzt - wenn keine Anträge gestellt werden - wie ich sehe, soll das geschehen, Herr RA Dr. He[ldmann], bitte.

RA’in Be[cker]:

Ich wollte Herrn Sch[ily] noch entschuldigen. Er ist wegen auswärtiger Termine heute nachmittag verhindert und morgen.

Vors.:

Danke schön.

RA Dr. He[ldmann]:

Aufgrund der gestrigen Aussage des Herrn Prof. Rauschke als Sachverst. beantrage ich für Herrn Baa[der],

die Hauptverhandlung zu unterbrechen, bis dem Gericht die Untersuchungsergebnisse der nunmehr einzusetzenden Ärztekommission vorliegen.

Ich stelle vorsorglich den Hilfsantrag,

bis zu dem von mir genannten Zeitpunkt, nämlich bis zum Vorliegen der medizinischen Ergebnisse der Ärztekommission die wöchentliche Verhandlungsdauer auf zwei Verhandlungstage zu beschränken.

Zur Begründung:

Es bestehen spätestens seit der gestrigen Sachverständigenaussage des Herrn Prof. Rauschke begründete Zweifel an unbeschränkter Verhandlungsfähigkeit der Angekl., wobei ich prozessual gehalten bin, hier für Herrn Baa[der] zu sprechen,[31] nämlich:

Herr Prof. Rauschke hat nach meinen handschriftlichen Aufzeichnungen in seiner Vernehmung gesagt:

1. Sicher kann ich sagen, die Angekl. sind nicht voll verhandlungsunfähig;

[1250] 2. hat er gesagt:

Ich habe nicht gesagt, die Angekl. sind verhandlungsfähig. Ich habe nur gesagt: Aus meinen bisherigen Beobachtungen kann ich keine Verhandlungsunfähigkeit schließen;

3. hat er gesagt:

Jedenfalls sind Untersuchungen notwendig, um zu einem Ergebnis über die Verhandlungsfähigkeit zu kommen. Dazu hat er insbesondere gesagt, daß wegen der nicht auszuschließenden sog. Deprivationsschäden für dieses Ärztegremium auch ein Sachverst. für sog. Isolationsforschung heranzuziehen sei. Er hat sogar wörtlich gesagt, dies sei notwendig.

Zu der notwendigen Untersuchung kurz die folgenden Zwischenbemerkungen:

Ich stelle in Frage, ob dies - wie Herr Prof. R[auschke] meinte - ein Thema zunächst für den Psychiater sei.

Ich meine, das sei nicht so.

Zweitens:

Ich komme auf die Anregungen des Herrn. B. Anw. Wu[nder] zurück, die Untersuchungen über § 81a der StPO vornehmen zu lassen, d. h. also, gegen den Willen der Angekl. durch - wie Herr Wu[nder] meint - Anstaltsärzte vornehmen zu lassen.

Ich halte das - wie ich heute morgen schon in einer ganz kurzen Erwiderung erwähnte - für rechtlich unzulässig; ich halte es nach wie vor für rechtlich unzulässig. Ich sagte Ihnen ja schon - auch auf Vorhalt des Herrn Vors. habe ich’s spezifiziert -: Das ist ein Gesetz aus der NS-Zeit vom 24.11.33. Das brauche ich nicht zu wiederholen. Jedoch bitte ich Sie, darauf hinzuweisen, wie die amtliche Begründung zu jenem Gesetz - es ist ein Teilstück aus dem Gesetz gegen Gewohnheitsverbrecher - lautete und die heißt - erlauben Sie, daß ich zitiere die Gesetzesmotivation? -:

„Die körperliche Untersuchung des Beschuldigten und die Vornahme von körperlichen Eingriffen zu Untersuchungszwecken werden in den Verfahren,

- in den Verfahren -

[1251] die die Unterbringung des Beschuldigten in einer Heil- oder Pflegeanstalt, einer Trinkerheilanstalt oder Entziehungsanstalt oder seine Entmannung zum Gegenstand haben, öfters notwendig sein.“

In § 81a[ StPO] werden hierüber Vorschriften gegeben.

Sie sollen die bisher über die Zulässigkeit derartiger Untersuchungsmaßnahmen bestehenden Maßnahmen beseitigen; sie haben auch Bedeutung für andere Strafverfahren, wenn z. B. festgestellt werden soll, ob aus der Beschaffenheit des Körpers, auf die Begehung einer strafbaren Handlung oder aus dem Ergebnis einer Blutuntersuchung auf einen Rauschzustand des Beschuldigten geschlossen werden kann.

Das ist die amtliche Begründung für die Einführung des § 81a[ StPO] im November 1933 durch den NS-Staat. Aus der amtlichen Begründung bereits mag man ersehen, daß § 81a[ StPO] für eine zwangsweise Untersuchung der Angekl. über ihre Verhandlungsfähigkeit grundsätzlich jedenfalls von der Ratio des Gesetzes, von der Gesetzesbegründung her, nicht in Betracht kommen darf.

Zusätzlich aber - und dieses Argument mag heute gewichtiger erscheinen - zusätzlich aber weise ich darauf hin, daß die Anwendung des § 81a[ StPO] unter dem verfassungsmäßigen Grundsatz steht, und der zeigt die absoluten Grenzen auf der Verhältnismäßigkeit,[32] der Notwendigkeit. § 81a[ StPO] ist nach der ständigen Rechtsprechung des B. Verfassungsgerichts im Strafverfahren nur dann anzuwenden, wenn - um zu dem Verfahrenszweck zu gelangen - geringere Mittel auszuschließen sind, nicht in Betracht kommen, nicht möglich sind. D. h. auf unseren Fall übertragen:

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - Rechtssatz mit Verfassungsrang aus dem Rechtsstaatsprinzip unseres Grundgesetzes[33] - verbietet es hier, § 81a[ StPO] anzuwenden-, wo das mildere Mittel, nämlich der Verzicht auf den Zwang durch die freiwillige Untersuchung der Angekl. durch Ärzte ihres Vertrauens möglich ist.

Darum - diesen Exkurs zu heute morgen - kommt § 81a[ StPO] für diese Untersuchung nicht in Betracht.

[1252] Viertens:

hat Herr Prof. R[auschke] gestern - und das war gegenüber der Aussage des Herrn Dr. Henck nun eine Erhellung, obgleich sie ja auch selbst für den Nichtmediziner auf der Hand lag - gesagt:

Es gibt die Abstufung der Verhandlungsfähigkeit; es gibt insbesondere die zeitlich begrenzte, zeitlich beschränkte Verhandlungsfähigkeit, und er hat die Verhandlungsfähigkeit hier definiert als eine Species von Leistungsfähigkeiten. Wie wir alle wissen, daß Leistungsfähigkeiten nach Konstitution oder nach Zeitpunkt verschieden sind, so gilt dies auch für die Verhandlungsfähigkeit, und nur darum geht es der Verteidigung mit diesem Antrag, die zeitlich begrenzte Verhandlungsfähigkeit der Angekl. angemessen zu berücksichtigen.

Herr Prof. R[auschke] hat insbesondere wörtlich gesprochen im Hinblick auf die Angekl., von einem so vermehrten Erschöpfungszustand.

Was - verzeihen Sie meine kurze Rückblende - auch gegen die rechtlich bereits unzulässige Anwendung von § 81a[ StPO] für die erforderlichen Untersuchungen spricht; es ist doch folgendes:

Eine psychiatrische oder neurologische Untersuchung etwa ist ohne die Mitwirkung des Patienten ausgeschlossen, nicht? Die psychiatrische Untersuchung insbesondere hängt ab von der Exploration, und wo der Patient nicht mitarbeitet, ist sie ausgeschlossen.

Das gleiche gilt aber auch für den Internisten. Die innere Medizin geht heute - herrschende Meinung - geht heute von dem psychosomatischen Krankheitsbild aus, d. h., der Internist wird sich nicht begnügen mit rein körperlichen Untersuchungen wie etwa Blutuntersuchungen, Kreislaufuntersuchungen, Herz usw. usw., sondern das Krankheitsbild der inneren Medizin heute ist ein psychosomatisches Krankheitsbild, und daraus folgt wiederum, daß der Internist für seine internistischen Untersuchungen ebenfalls auf die Zusammenarbeit mit dem Patienten angewiesen ist, was einfach schon von der Praxis her die Anwendung etwa des § 81a[ StPO] - wie heute morgen ja angetragen - ausschließt.

[1253] Punkt 2:

Ich bin eben ausgegangen von den Äußerungen des Herrn Prof. R[auschke] als Sachverst. gestern, und aus diesen Äußerungen habe ich die Folgerungen gezogen:

Über die Verhandlungsfähigkeit - jedenfalls die volle Verhandlungsfähigkeit - kann Herr Prof. R[auschke] nichts sagen.

Das hat er ausdrücklich gesagt. Ich wiederhole noch einmal. Das einzige, was er sicher sagen konnte:

Sie sind nicht voll verhandlungsunfähig.

Das aber hat die Verteidigung nie behauptet, die Angekl. seien voll verhandlungsunfähig, sondern wir hatten immer nur gesagt:

Mit dem Terminplan des Gerichts, drei aneinanderhängende Sitzungstage in der Woche sind sie körperlich überfordert.

Punkt 2:

Wir haben ganz handfeste Symptome, die die beschränkte Verhandlungsfähigkeit i. S. einer zeitlich begrenzten Verhandlungsfähigkeit für den Mediziner wie für den Nichtmediziner indizieren, und ich rufe in Erinnerung

1. 22 Kilogramm Untergewicht bei meinem Mandanten;

2. abnormes Eßbedürfnis, trotz einer qualifizierten Aufbauernährung, die die Angekl. erhalten und ohne, daß dieses erschreckende Untergewicht dadurch beseitigt worden wäre - und bei dieser Gelegenheit erinnere ich ein weiteres Mal daran, daß der Hungerstreik vor über 6 Monaten beendet worden ist -;

3. ein abnormes Schlafbedürfnis;

4. das Ohrensausen, Ohrenpfeifen, Schwindelgefühl, wovon wir gestern ausführlicher im Beisein von Prof. R[auschke] gesprochen haben;

5. die von den Angekl. wiederholt bezeugten Schwächen wie Konzentrationsunfähigkeit bis hin zu völliger Arbeitsunfähigkeit - gestern zuletzt hat Herr Ra[spe] das sehr ausführlich geschildert.

Dazu erinnere ich an die Aussage des Herrn Dr. Henck, daß diese Angaben der Angekl. als zutreffend anzunehmen seien; denn er, Dr. Henck, könne ausschließen - so sagt er wörtlich sie simulieren nichts.

[1254] Punkt 4:

Ich habe gestern und vorher schon darauf hingewiesen, daß die Angekl. alle vier mit dem Medikament Monotrean gefüttert werden, und zwar - wie ich gestern schon erwähnt habe - mit einer überdurchschnittlichen Dosis. Die Indikationen, nämlich vasomotorische und speziell kapilarmotorische Disfunktionen die gleichen denen, die das Deprivationssyndrom ausmachen. Herr Prof. R[auschke] als Sachverst. hat es mit diesem sehr allgemeinen medizinischen Begriff vegetative Dystonie umschrieben, von welchem kein Mediziner genau eigentlich angeben kann, was er exakt zum Inhalt habe. Aber eines, das wissen Mediziner nicht ... und Nichtmediziner, das ist eine Disfunktion der körperlichen und psychischen ... Disfunktion der körperlichen und psychischen Kräfte, die die Leistungsfähigkeit bis hin zum Krankheitsbild heruntersetzen. Sie sind identisch, wie wir wissen, mit wesentlichen Partien des sog. Deprivationssyndroms.

Es fällt auf, daß - wo hier die Normaldosis mit dreimal täglich ein Dragee angegeben ist - die Angekl. alle eine Überdosis, nämlich vier Dragees pro Tag bekommen, und daran schließt sich auch - ich gehe immer davon aus, daß der Senat zu berücksichtigen habe, ob begründete Zweifel an der vollen Verhandlungsfähigkeit vorliegen - und daran schließt sich auch für den Nichtmediziner die Frage, ob ohne diese Medikamentierung, ob ohne diese Medikamentierung überhaupt eine Verhandlungsfähigkeit - wie wir sie heute an den Angekl. noch meinen, erkennen zu können - vorhanden ist.

Dabei bitte einen winzigen Exkurs.

Wo Sie, Herr B. Anw. Wu[nder], heute sich das letzte Wort genommen hatten, bevor diese Sitzung dann abgebrochen worden ist, meinten Sie, Sie hätten gesehen ... gehört, wie Herr Baa[der] doch offenbar voll konzentrations- und arbeitsfähig sei, an seinem zusammenhängenden Vortrag. Ich habe gesehen, daß Herr Baa[der] zumindest die zusammenhängenden Partien seines Vortrags von einem Manuskript abgelesen hat, und die Verteidigung hat niemals behauptet, daß die Lesefähigkeit eines Angekl. vermindert gewesen wäre.

[1255] Zum Schluß die juristische Würdigung:

Verhandlungsunfähigkeit, die jedenfalls - es war notwendig darauf hinzuweisen - wer Herrn Henck gehört hat, jedenfalls mit Zurechnungsfähigkeit gar nichts zu tun hat, liegt dann vor, wenn der Angekl. aufgrund seiner psychischen und physischen Verfassung nicht in der Lage ist, der Verhandlung ausreichend zu folgen und sich hinreichend sachgemäß zu verteidigen. Selbstverständlich wird auch in der Jurispondenz anders als von den Herrn Dr. Henck anerkannt, daß es beschränkte Verhandlungsfähigkeit gibt, und diese beschränkte Verhandlungsfähigkeit - ich zitiere hier aus Löwe-Rosenberg, letzte Aufl. S. 121 in dem einleitenden Kap. 10 unter B 6, Fußnote 70 -:

„Beschränkte Verhandlungsfähigkeit erfordert, daß jeweils bei Erschöpfungszuständen die Verhandlung unterbrochen werden muß. Verhandlungsfähigkeit ist Verfahrensvoraussetzung. Sie ist von Amts wegen zu prüfen. Liegt Verhandlungsfähigkeit nicht vor, darf nicht verhandelt werden, für die weitere prozessuale Behandlung eines solchen Falles gibt zumindest § 205 der Strafprozeßordnung[34] den Weg. Ist die Verhandlungsfähigkeit beschränkt, dann ist dementsprechend zu verfahren, nämlich durch Abkürzung der Verhandlungsdauer…“

oder wie ich in meinem Hilfsantrag gesagt habe:

Beschränkung der Verhandlungsdauer auf zwei Verhandlungstage pro Woche.

Und schließlich gilt grade für die Frage der Verhandlungsfähigkeit der Grundsatz in dubio pro reo. Ich sagte:

Begründete Zweifel muß das Gericht zur Kenntnis nehmen.

Ihnen nachzugehen ist Richterpflicht, und wo die Aufklärung nicht vollends heute schon vorliegt - und sie wird vorläufig vollends vorliegen, wenn wir die medizinischen Gutachten haben - dann gebietet hier der Rechtssatz im Zweifel für den Angekl. auch bei dieser Frage eines etwaigen Verfahrenshindernisses die positive Entscheidung, die ich in meinem Antrag ... in meinem Hauptantrag und hilfsweise in meinem Nachantrag [1256] ausgesprochen habe, nämlich:

entweder unterbrechen bis Vorliegen der ärztlichen Untersuchungen oder Beschränkung auf zwei Prozeßtage in der Woche. Sollten Zweifel auftauchen, ob zu der Frage der Verfahrensvoraussetzungen - so Verhandlungsfähigkeit - dieser Satz in dubio pro reo Geltung habe,[35] dann darf ich wiederum hinweisen hier auch nicht nur auf den Großkommentar zum StGB[36] in den Kommentierungen etwa zu [§ ]205[ StPO] und [§ ]206a[ StPO] in der Einleitung in Kap. 10, in der Einleitung Kap. 7, sondern auch auf die herrschende Meinung, die in den von mir angegebenen Fundstellen wiedergegeben ist.

Danke.

Vors.:

Herr RA, eine Frage nur:

Gesetzt den Fall, der Senat würde an so eine Möglichkeit denken - die Beteiligten werden sich ja noch dazu äußern - erschiene es Ihnen nicht zweckmäßiger, statt an zwei vollen Verhandlungstagen an drei Vormittagen zu verhandeln?

RA Dr. He[ldmann]:

Darf ich Sie bitten, diese Frage an die Betroffenen, also an die Angekl., zu richten.

Vors.:

Sie stellen den Antrag, und Sie haben ja wiederholt darauf hingewiesen, daß das Problem der Verhandlungsunfähigkeit - nach Ihrer Kenntnis und den Schilderungen, die Sie haben - überhaupt erst nachmittags auftreten.

RA Dr. He[ldmann]:

Ja, bis zu dem Zeitpunkt. Herr Baa[der] hat heute morgen wie auch schon gestern gegenüber Herrn Prof. R[auschke] gesagt:

Nach drei Verhandlungstagen sind sie absolut fertig.

Vors.:

Von drei Vormittagen ist im Augenblick die Rede, ob das nicht der bessere Weg wäre, statt zwei volle[oo] Verhandlungstage, wo doch immer nachmittags die Konzentrationsfähigkeit besonders eingeschränkt dargestellt wird.

[1257] RA Dr. He[ldmann]:

Herr Baa[der] hatte sich gestern so ausgedrückt, daß drei zusammenhängende Tage zuviel sind. Aber noch einmal:

Nicht ich mache Verhandlungsunfähigkeit für mich geltend. Darum wäre wohl richtig, diese Frage an die Angekl selbst zu adressieren.

Vors.:

Ich denke immer, das müßte eigentlich derjenige, der den Antrag stellt, klären, ob nicht diese Möglichkeit für die Mandanten die günstigere Möglichkeit ist.

Wenn Sie diese Frage noch klären wollen; aber sonst lassen wir es dahingestellt.

RA Dr. He[ldmann]:

Wollen Sie uns eine Pause geben, um diese Frage mit den Mandanten zu klären?

Vors.:

Das sollte eigentlich eine Anregung sein. Wir werden natürlich im Rahmen der Antragsformen - Unterbrechung bzw. zwei Tage - auch die Überlegung anstellen müssen, ob dann nicht der bessere Weg diese drei Vormittage wären. Aber ich möchte die B. Anwaltschaft jetzt zunächst fragen:

Wollen Sie sofort Stellung dazu nehmen?

Jetzt darf, nachdem der Antrag gestellt ist, die B. Anwaltschaft sich dazu äußern.

Dann allerdings können Sie natürlich Ihre eigenen Anträge bringen. Es wäre ganz wünschenswert, wenn Sie dabei diese Frage der drei Vormittage miteinbeziehen würden in Ihre Überlegungen.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Ich hab mich da zunächst mit Herrn Ra[spe], zu unterbrechen bzw. dem gestellten Hilfsantrag anzuschließen.

Ich möchte aber zunächst mal zu dem Hauptantrag noch unterstützend folgendes sagen:

Entscheidend ist ja, daß dem Senat spätestens seit der Vernehmung des Prof. R[auschke] konkrete Hinweise dafür vorliegen, daß der gegenwärtige Sitzungsrhythmus den gesundheitlichen [1258] Zustand der Gefangenen überfordert.

Ich meine, daß die Unterbrechung, wie sie beantragt ist im Hauptantrag, auch unter folgenden Gesichtspunkt geboten ist: Niemand kann hier ausschließen, daß die Ärzte, die vom Senat in Aussicht genommen sind, nach einer Untersuchung der Gefangenen zu dem Ergebnis bzw. zu der Empfehlung an den Senat kommen, zunächst mal auch für kürzere, mittlere oder längere Zeit - darüber können wir natürlich nichts sagen - zu unterbrechen, und den Gefangenen Gelegenheit zu geben, sich im Rahmen einer Pause unter der Voraussetzung, daß der gegenwärtige Sitzungsrhythmus sie überfordert hat, zu regenerieren, um dann unter einem veränderten Sitzungsrhythmus fortzusetzen. Das meine ich, ist ein tatsächlicher Gesichtspunkt, der hier ganz vorrangig auch bei der Würdigung dessen ist, was wir beantragen.

RA Rie[del]:

Herr Vors., ich schließe mich ebenfalls dem gestellten Antrag und auch den Hilfsantrag an und weise für die Mandantin Me[inhof] darauf hin, daß hier das diagnostische Material, das dem Prof. R[auschke] zur Verfügung stand, ja noch viel dünner ist als bei den anderen Mitangekl., da er ja ausdrücklich betont hat, daß er kein einziges Mal gehört hat, daß Frau Me[inhof] ein Wort geäußert hat, so daß er also noch viel weniger in der Lage ist, etwas zur Verhandlungsfähigkeit bzw. Verhandlungsunfähigkeit Verwertbares zu äußern, und die Frage im Zusammenhang mit dem Hilfsantrag, ob drei Vormittage oder der dritte Tag zweckmäßigerweise wegfallen sollte, weil dann die Verhandlungsfähigkeit zu sehr eingeschränkt ist, kann nur entschieden werden im Zusammenhang damit, daß die Voraussetzungen für das Wiederherstellen bzw. Aufrechterhalten eines Minimums an Verhandlungsfähigkeit geklärt und geändert werden, d.h., daß das Gericht überdenkt, in welcher Art und Weise die jeweilige Vorbereitung, d. h. eben auch der Umschluß geboten ist und gewährt wird, und in welcher Art und Weise überhaupt die Untersuchungshaft weiterhin vollzogen wird. Dazu werden wir aber noch Ausführungen machen.

[1259] Vors.:

Frau RAin Becker.

RA’in Be[cker]:

Ich schließ mich für Frau Enss[lin] dem Antrag an.

Vors.:

Herr Dr. He[ldmann].

RA Dr. He[ldmann]:

Ich habe die Bitte, daß, nachdem die B. Anwaltschaft ihre Stellungnahme abgegeben hat, wir vielleicht eine Pause von zehn Minuten bekommen, um mit unseren Mandanten darüber zu sprechen, was sie ... Ihre Anregung ist also hier angekommen, ob nicht für sie die glücklichere Lösung ist, die Sie vorgeschlagen haben, ja?

Vors.:

Gut. Ich meine aber, die Äußerung könnte dann vielleicht durch eine kurze Notiz uns in das Beratungszimmer reingegeben werden. Die bedarf ja keiner größeren Änderungen mehr, bloß was Ihnen vom gesundheitlichen Standpunkt der Angekl. aus als das Sympathischere erschiene. Ich glaube, das kann man uns dann nachher ...

Dann darf ich bitten, Herr B. Anw. Dr. Wu[nder].

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Herr Vors., es wäre ja wohl eine Ergänzung des Antrags nach Rücksprache mit den Mandanten eine Konkretisierung des gestellten Hilfsantrages ...

Vors.:

Das muß ja nicht in der Hauptverhandlung geschehen. Das kann ja auch außerhalb der Hauptverhandlung uns bekanntgemacht werden.

RA Dr. He[ldmann]:

Es kann aber doch ein ganz neuer Antrag rauskommen.

Es kann aufgrund der Mandantenbesprechung jetzt ein ganz neuer Antrag rauskommen.

Vors.:

Vor dem sind wir natürlich nicht gefeit. Aber wir haben ja diese dritte Möglichkeit jetzt als Alternative noch vorgeschlagen. Wenn Sie dafür irgendeine Vorliebe entwickeln [1260] würden, dann wäre eine kurze Notiz in dieser Form selbstverständlich möglich. Sonst muß der Antrag eben erneut gestellt werden. Wir werden dann nur über die zwei Punkte uns unterhalten.

RA Dr. He[ldmann]:

In Ordnung.

Vors.:

Herr B. Anw. Dr. Wu[nder]:

Ich beantrage

die Ablehnung des Antrags

und des Hilfsantrags

mit einer gewissen Einschränkung:

Herr Prof. R[auschke] hat ausgeführt, daß in der Gegenwart und bis in etwa drei Wochen vorhersehbar eine Beeinträchtigung der Verhandlungsfähigkeit ausgeräumt erscheint. Auch insoweit decken sich damit die Bekundungen des Arztes Dr. Henck, der im übrigen die Angekl. als Anstaltsarzt auch in dieser Zeit beobachten kann und wird. Sollten nach Ablauf von drei Wochen noch keine entsprechenden Befunde vorliegen, ist die B. Anwaltschaft bereit, diese Stellungnahme zu überprüfen.

Dies ist die Einschränkung, die zu machen, ich verantworten kann. Ich halte es auch für vertretbar, in diesen Wochen die Verhandlungsdauer nicht über 16.00 Uhr auszudehnen. Maßgeblich und entscheidend - und darauf möchte ich nochmals hinweisen - ist aber, daß schwere körperliche, seelische Mängel oder Krankheiten vorliegen müssen.

Im übrigen möchte ich noch darauf hinweisen, daß ohnedies in der nächsten Woche nur ein Sitzungstag angesetzt ist. Ergänzend darf ich bemerken, daß § 81a StPO zur Untersuchung der Verhandlungsfähigkeit selbstverständlich angewendet werden könnte. Doch geht es hier um Modalitäten, über die zu sprechen meiner Meinung nach heute zu früh ist.

Vors.:

Dann werden wir uns jetzt in den Antrag in der gestellten Form unterhalten.

Herr Baa[der], wollen Sie den Antrag ergänzen oder was hinzufügen?

[1261] Angekl. Baa[der]:

Ich habe dazu zunächst zu sagen, daß die Tatsachenfeststellung von Wu[nder] falsch ist. Rauschke hat hier ausdrücklich gesagt,

er würde nie sagen, daß die Gefangenen verhandlungsfähig sind.

Das ist seine wörtliche Formulierung:

Ich würde nie sagen, daß die Gefangenen verhandlungsfähig sind. Also insofern kann er gar nicht behauptet haben, daß wir in den nächsten drei Wochen verhandlungsfähig sein sollen. Das ist unmöglich. Das ist ein Antagonismus.

Vors.:

Ja.

Angekl. Baa[der]:

Moment. Ich bin noch nicht fertig.

Und zu der Feststellung von Wunder, daß selbstverständlich Zwang gegen die Gefangenen angewendet werden kann, naja, das ist sozusagen Tautologie; denn Sie wenden permanent seit drei Jahren Zwang gegen die Gefangenen an, und es wird seit drei Jahren Zwang gegen die Gefangenen angewendet nach Anträgen oder aufgrund von Anträgen der B. Anwaltschaft. Es sind auch in diesem Zusammenhang Zwangsuntersuchungen ... haben schon stattgefunden. Es hat jede Form von Zwang, von physischem Zwang, in diesen drei Jahren stattgefunden. Insofern ist das ein bißchen lächerlich festzustellen, daß Zwang angewendet werden kann; denn das weiß jeder, daß Sie jede Form und jede Art von Zwang anwenden können und daß Sie die Macht dazu haben.

Vors.:

Wir werden uns über den Antrag jetzt unterhalten.

Fortsetzung wird so sein, daß die Angekl. im Saale bleiben können. Wir hoffen, daß wir nicht so lange brauchen, bis eine Entscheidung bekanntgegeben wird.

Um 14.35 Uhr zog sich das Gericht zur Beratung zurück.

[1262] Nach Wiedereintritt des Senats um 15.15 Uhr wurde die Verhandlung wie folgt fortgesetzt.

Vors.:

Der Senat hat auf den Antrag wie folgt entschieden:

Der Antrag auf Unterbrechung der Verhandlung wird abgelehnt.

Über eine Beschränkung der wöchentlichen Sitzungsdauer wird von Fall zu Fall entschieden.

Begründung:

Anlaß zur Unterbrechung besteht nach beiden medizinischen Gutachten nicht.

Dr. Henck bejaht volle Verhandlungsfähigkeit mit der Einschränkung, daß Pausen erforderlich werden könnten.

Prof. Dr. R[auschke], hat sich dahin geäußert, daß eine auf drei Tage in der Woche verteilte Verhandlungsdauer von 15 Stunden, die der Senat bisher noch nie einhalten konnte, ohnehin dem entspricht, was im Falle einer zeitlich begrenzten Verhandlungsfähigkeit ärztlich empfohlen werden würde.

Danach besteht jetzt kein Anlaß, die Verhandlungsdauer grundsätzlich festzulegen. Dies um so weniger, als in der kommenden Woche sowieso nur ein Sitzungstag vorgesehen ist; in der übernächsten Woche kann man weitersehen.

Deshalb ist es auch nicht nötig, über den schriftlich gestellten Antrag des RA König, zwischen dem 2. und 3. Verhandlungstag einen Tag Pause einzulegen, jetzt zu befinden. Ich übergebe diesen Antrag als Anl. zum Protokoll.

Vors. gibt den Antrag des RA König als Anl. 2 zum Protokoll.

Vors.:

Damit könnten wir die kurze Zeit noch nützen, um zur Vernehmung zur Person zu kommen.

Herr RA v[on] Pl[ottnitz].

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Herr Vors., ich bitte, zunächst noch einen Antrag zu stellen, einen Antrag, der dem Komplex, den Inhalten zuzuordnen ist, die heute bereits debattiert wurden, und zwar habe ich folgenden Antrag zu stellen - es ist ein Antrag, der nur teil- [1263][37] [1264] weise schriftlich vorbereitet ist -, und deshalb bitte ich, das Band laufen zu lassen.

Vors.:

Es kommt voll aufs Protokoll, jawohl.

RA v[on] P[lottnitz]:

...[pp] die Isolationshaft der Gefangenen - hier des Gefangenen Raspe - mit sofortiger Wirkung aufzuheben,

die Gefangenen allen übrigen Untersuchungsgefangenen in der Justizvollzugsanstalt in Stammheim gleichzustellen

und sie in den normalen Vollzug für Untersuchungsgefangene in der Justizvollzugsanstalt zu integrieren.

Im einzelnen beantrage ich, folgendes zu verfügen:

1. Den Gefangenen wird gestattet, am gemeinschaftlichen Hofgang für Untersuchungsgefangene in der Justizvollzugsanstalt teilzunehmen.

2. Ihnen wird ferner gestattet, an allen in der Justizvollzugsanstalt für Untersuchungsgefangene vorgesehenen Gemeinschaftsveranstaltungen - sei es, daß sie der Fortbildung dienen, sei es, daß sie der Freizeitgestaltung dienen - teilzunehmen.

3. Den Gefangenen wird auch die Teilnahme am gemeinschaftlichen sonntäglichen Kirchgang gestattet.

- Unruhe im Saal. -

Vors.:

Ich bitte im Saal nochmals und wiederholt um Ruhe.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Soweit die im einzelnen zu stellenden Anträge.

Der Antrag stützt sich als Rechtsgrundlage auf Art. 316 Abs. 3 S. 3 des EinführungsG zum StGB vom 2.3.1974. Diese Vorschrift entspricht dem § 21 Abs. 3 S. 3 des StGB a. F.[38] Sie bestimmt, sie bestimmt, daß - und zwar für Strafgefangene -, daß Einzelhaft Einzelhaft insgesamt die Dauer von drei Jahren nicht übersteigen darf.

[1265] Vors.:

Darf ich eine Zwischenfrage stellen?

Sie betonten Strafgefangene.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Ja. Aber ich …

Vors.:

Gut. Dann haben wir das richtig verstanden.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Soweit der Gesetzgeber zur Haft, zur Strafhaft für Strafgefangene.

Die Tatsache, daß der Gesetzgeber für Strafgefangene die Dauer der Einzelhaft insgesamt, d. h. also auch bei Berücksichtigung von etwaigen Unterbrechungen, auf drei Jahre beschränkt hat, gesetzlich beschränkt hat, signalisiert seinen Willen ... bei richtigem Verständnis seinen Willen, daß die Einzelhaft von Gefangenen - natürlich auch von Untersuchungsgefangenen, wenn man berücksichtigt, daß Untersuchungshaft nie als Strafhaft vollstreckt werden darf[39] -, daß die Einzelhaft von Gefangenen also ohne Rücksicht darauf, ob sie Strafhaft oder Untersuchungshaft verbüßen, insgesamt die Dauer von drei Jahren nicht übersteigen darf.

Ich glaube, irgendwelche Entscheidungsnachweise dafür, daß in der Bundesrepublik Untersuchungshaft in keinem Fall als Strafhaft vollzogen werden darf, als Strafe vollzogen werden darf, die brauchen nicht nachgeliefert zu werden.

In der Hauptverhandlung ist ja die Frage der Haftbedingungen bereits des öfteren hier debattiert worden. Ich meine, daß man zur Frage, wie es tatsächlich derzeit um die Untersu... um die Haftbedingungen der Gefangenen bestellt ist, eigentlich nochmals wiederholen sollte, was hier der Herr Dr. Henck gesagt hatte, die Äußerung des Dr. Hencks nämlich:

Haftbedingungen, wie sie in der JVA Stammheim bestehen und wie sie für die Untersuchungsgefangenen hier bestehen, hat er in seiner 20jährigen Laufbahn als Gefängnisarzt noch nicht erlebt.

[1266] Vom Senat wurde ja immer wieder bestritten, vom Senat wird immer wieder bestritten, daß den Gefangenen gegenüber die Isolationshaft bestritten ... praktiziert wird, zumindest wird es bestritten für die Zeit der Zuständigkeit des Senates.[40] Tatsächlich sieht die Situation derzeit so aus:[41]

Die Gefangenen sind, die Gefangenen Baa[der] und Ra[spe] sind im 7. Stock der JVA untergebracht in einem besonderen Trakt, in den außer ihnen beiden keine anderen Gefangenen untergebracht sind. Der Trakt besteht, wenn ich’s jetzt richtig in Erinnerung hab, aus 6 bis ... aus 6 Zellen. Von diesen 8 Zellen sind lediglich 2 Zellen belegt, nämlich von den Gefangenen Baa[der] und Ra[spe]. Gleiches gilt für die Bedingungen der Gefangenen Enss[lin] und Me[inhof], wobei dort die Situation wohl so ist, daß man auch aus Gründen, die ich als kosmetische bezeichnen würde, wohl dort noch ganz wenige andere weibliche Untersuchungsgefangene untergebracht hat. Diese - Augenblick,

RA v[on] Pl[ottnitz] spricht zu den Angekl.[qq]

also das kannst Du ja später dann gesagt werden.

Angekl. Ra[spe]:

Die haben wir noch nie gesehen.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Der Trakt, von dem grade die Rede war, der Trakt, von dem die Rede war, ist vom ... von den übrigen ... vom übrigen Gefängnisbereich hermetisch abgeriegelt. Das sieht dann tatsächlich so aus, daß etwa Herr Baa[der] und Herr Ra[spe] genauso wie Frau Me[inhof] und Frau Enss[lin] andere Gefangene der JVA überhaupt nicht zu Gesicht kriegen, es sei denn aus einer Entfernung von 40 m oder weiter, wenn Hofgang ist oder einmal im Jahr. Also, da würde ich doch bitten ...

RA v[on] Pl[ottnitz] wiederum zu den Angekl.:

Also, Ihr könnt doch zu den Einzelheiten später was sagen. So hatten wir es auch …

Im übrigen sieht es so aus, daß die Haftbedingungen seit der Zeit der Lorenzentführung[42], seit der Zeit der Lorenzentführung sogar noch im Sinne der Verschärfung von Isolation praktiziert wurden, nicht gemildert wurden. Das muß auch in Erinnerung gerufen werden. Bis zur Zeit der Lorenzentführung war [1267] es so, daß die Gefangenen Baa[der] und Ra[spe] ebenso, wie die Gefangenen Me[inhof] und Enss[lin] die Gelegenheit hatten, sich für eine bestimmte Zeit täglich zu sehen.

Außerdem war ihnen bis zur Zeit der Lorenzentführung auch ein gemeinsamer Hofgang gestattet.

Die Regelung, sich täglich zu sehen in der Zelle, ist nach der Lorenzentführung abgeschafft worden und seitdem auch nicht wiedereingeführt worden. Die Regelung des gemeinschaftlichen Hofgangs wurde für sehr lange Zeit unterbrochen und wurde erst mit Beginn der Hauptverhandlung hier wieder eingeführt.

Weitere Beschränkungen bestehen in einer sehr ... zeitweise sehr minutiösen Zensur von Zeitungen und Presseorganen in der Tatsache, daß die Gefangenen, im Gegensatz zu den übrigen Untersuchungsgefangenen, nicht die Möglichkeit haben, sich des Informationsmittels Fernsehen zu bedienen. Die Möglichkeit, die sie haben, ist zeitlich so gestaltet, daß von Information nicht die Rede sein kann.

Ich glaube, die Gefangenen haben die Möglichkeit am Samstag oder am Sonntag je eine Stunde Sendungen zu sehen, Sendungen, die natürlich zu dieser Zeit allenfalls Unterhaltungs-, nicht aber Informationscharakter haben. Offensichtlich handelt es sich ums Kinderprogramm, wie ich grade höre.

RA v[on] Pl[ottnitz] spricht zu den Angekl.:

... Hör mal, es ist wirklich schwierig, hier was vorzutragen, wenn dauernd von hinten irgendwelche Einwürfe kommen.

Es mag verwundern, daß ein SonderG das etwa für Beschuldigte, die gegen die Vorwürfe im Sinne des § 129StGB[43] erhoben werden, nicht hier etwa mit den übrigen ErgänzungsG vom 20. Dezember1974[44] - daran könnte man denken - erlassen worden ist. Tatsache ist aber: Ein solches Gesetz gibt es nicht derzeit. Der gesetzliche Zustand ist so, daß die Gefangenen nunmehr, nachdem sie alle über drei Jahre sich in Haft befinden und alle über drei Jahre in einer Haft, die mit Einzelhaft noch einigermaßen euphemistisch beschrieben ist, wie ich grade darzustellen versuchte, daß sie nunmehr [1268] voll zu integrieren sind in den normalen Vollzug für Untersuchungsgefangene. Das bedeutet, daß ihnen die Teilnahme an allen Gemeinschaftsveranstaltungen, die in der JVA bestehen für Untersuchungsgefangene, einzuräumen ist, daß die hermetische Abriegelung in einen besonderen Trakt aufzuheben ist und von daher auch die Voraussetzungen in Zusammenhang mit der hier viel debattierten Frage der Einschränkung der Verhandlungsfähigkeit so geändert werden, daß in Zukunft die gesundheitlichen Bedingungen, unter denen hier verhandelt werden kann, sich auch verbessern.

Ich bitte aber jetzt, den Herrn Ra[spe] zu ... Gelegenheit zu geben, noch zu den Einzelheiten etwas zu sagen. Da hat es ja offensichtlich noch Wüsche gegeben.

Vors.:

Herr Ra[spe], bitte schön.

Angekl. Ra[spe]:

Ja. Ich will noch einige zusätzliche Sachen dazu sagen, und zwar kurz darzustellen, wie das in diesem Trakt tatsächlich aussieht, und zwar nicht nur, wie es aussieht, sondern wie es aussieht aufgrund von Beschlüssen, die der Senat angeordnet hat, und die der Senat hier in der Hauptverhandlung propagandistisch als nichtvorhandene Isolation darzustellen versucht werden, daß es tatsächlich seit der Lorenzentführung so ist, daß die Haftbedingungen verschärft worden sind. Also, es ist tatsächlich so, daß in einem 20 m langen Trakt zwei Gefangene in zwei Löchern hocken, und daß durch die Beschränkungen, die seit Ende Februar ungefähr durch die Senatsbeschlüsse durchgesetzt worden sind, daß durch diese Beschränkungen immerhin eine Situation entstanden ist, in der nur noch zugelassen war der gemeinsame Hofgang, während also die vorherige Möglichkeit eines Umschlusses vollkommen gestrichen worden ist mit den üblichen absurden Begründungen, in denen der Senat also offensichtlich sowohl eigene Interessen, nämlich die Vorbereitung der Verteidigung zu verhindern, als auch dem Druck der B. Anwaltschaft und den Kampagnen der Springerpresse und den Medien folgend innerhalb des Trakts sozusagen nochmals die Isolation verdoppelt hat, indem er eine Situation her- [1269] gestellt hat, in der sich nun schließlich tatsächlich nur noch zwei Stimmen gegenüber ... ja, nur noch zwei Stimmen existieren, die also wirklich im Verlauf der Wochen, wo also systematisch verhindert worden ist, daß wir uns überhaupt also nur ein einziges Mal sehen können, und daß genau und präzise, also ’n präzises Peinigen genau in der Zeit, in der Buback und die B. Anwaltschaft und natürlich Senat - 1. und 2. Senat - die Ausschlüsse und Kriminalisierung der Verteidiger von Andreas durchgezogen haben.[45] Genau in der Zeit ist es also dann auch so gewesen, daß sie die Isolation wirklich perfektioniert haben zu diesem Punkt hin, daß ja im Trakt zwei Stimmen noch sozusagen gegenüber-ja-stehen. Das war wirklich der Rest von dem, was an Sozialem überhaupt noch vorhanden war. Also d. h., das waren die vier bis sechs Wochen unmittelbar vor dem Prozeßbeginn, in denen der Senat also auch noch den gemeinsamen Hofgang gestrichen hat. Sie haben ... Naja es steht im Protokoll, neulich S. achthundert ... Moment. Ja. Da haben Sie erklärt - S. 893 hier - da haben Sie erklärt, daß zwar immer wieder von den unmenschlichen Einzelhaftbedingungen - also, das ist ein Zitat, und zwar haben Sie das erklärt gegenüber RA He[ldmann] -, daß Sie zwar immer wieder von den unmenschlichen Einzelhaftbedingungen sprechen, die offenbar bis zum heutigen Zeitraum, auch für die Zeit gelten sollen, in der der Senat die Haftbedingungen festgelegt hat.

Darüber haben wir andere Vorstellungen. Darüber wird sicher auch noch eines Tages Gelegenheit sein, ein korrigierendes Wort zu sprechen. Naja. Genau darum handelt es sich hier, um diese korrigierenden Worte; denn das ist natürlich eben ein Beispiel für die Art und Weise, in der der Senat also wirklich die Öffentlichkeit täuscht, nämlich[rr] Tatsachen behauptet werden, die keine sind, und in dem er so - das kann man also an den Beschlüssen zu den verschärften Bedingungen im 7. Stock ablesen - indem diese Beschlüsse [1270] begründet werden mit vollkommen vagen Hinweisen, Verdachtskonstruktionen. Aber nirgends, an keiner einzigen Stelle, werden sie mit irgendwelchen Tatsachen begründet.

Also, das nimmt sogar solche Formen an, daß die Anstalt - um also auch beispielsweise noch diese Isolation auf dem Hof zu perfektionieren - dann einen Anschlag anbringen läßt, wozu man sagen muß, daß das also sowieso kein Hof ist, sondern ein Käfig von 15 oder 25 m, überdacht, Beton, und an den Seiten vergittert, und wo man also z. B., also wenn’s überhaupt Sonne gibt, dann ist das ein 1,50 m breiter Streifen entlang der einen Seite. An diesem Ding hat also die Anstalt, natürlich auf Anweisung offensichtlich, einen Wisch anbringen lassen, in dem also gesagt wird, daß ein Einzelfall - und zwar waren gemeint wir: Andreas und ich -, daß ein Einzelfall Anlaß gebe zu einer Anordnung, nämlich zu verhindern, daß der Hofgang dazu mißbraucht wird, daß ein Gefangener dem anderen Gefangenen irgendwelche Texte diktiert und der andere Gefangene die aufschreibt.

Das war also erstens noch nicht der Fall, weil es sich also nur darum gehandelt hat, daß wir also ne Bücherbestellung und Schallplattenbestellung gemacht haben und die also festgehalten haben, was dann einer Kolportage und wie das dann so läuft, zu einer konspirativen Tätigkeit geworden ist, und diese Begründung, daß wir also dort einmal oben ein paar Sätze aufgeschrieben haben - Schallplattenbestellungen - diese Begründung hat die Anstalt in einer Stellungnahme auf den Antrag, den Umschluß, den Zweierumschluß wieder zuzulassen, verwertet, indem sie also gesagt hat:

Wenn die Gefangenen schon während des gemeinsamen Hofgangs, der ja immerhin noch überwacht wird, wenn wir also schon während des gemeinsamen Hofgangs diese konspirative Tätigkeit betreiben, indem ein Gefangener das aufschreibt, was ein anderer Gefangener vielleicht gesagt hat, dann würde natürlich der Konspiration Tür und Tor geöffnet, wenn man also zulassen würde, daß die sich also unüberwacht da ... daß sie unüberwacht in eine Zelle zusammengeschlossen würde; deswegen hat die Anstalt den Umschluß abgelehnt bzw. verlangt, daß der Senat den Umschluß ablehnt, und der Senat hat bisher - soviel [1271] ich weiß - darüber noch nicht entschieden. Das ist ja auch so ’ne Methode, ne Entscheidung eben nicht zu treffen bzw. eine Entscheidung abzulehnen.

Angekl. Baa[der]:

Kann ich dazu noch was sagen?

Vors.:

Im Augenblick scheint es so zu sein, daß der Antrag von Herrn Ra[spe] gestellt ist.

Angekl. Baa[der]:

Ich möchte mich dem Antrag anschließen,

und ich möchte auch noch dazu Einiges ... Ich möchte dazu noch ein paar Sachen sagen:

Also, ich halte das für ziemlich wesentlich, der Aspekt, der deutlich wird, in dem, was Jan beschrieben hat, naja, diese wahnsinnige oder diese unmenschliche, die grade undenkbare Konstruktion der kriminellen Vereinigung - also man muß das Wort der kriminellen Vereinigung mal sehen - von Menschen, die vollständig isoliert sind, vollständig von jeder sozialen Beziehung ausgeschlossen sind seit drei Jahren. Von diesen Menschen wird behauptet, d. h. von diesen Gefangenen wird behauptet, daß sie eine kriminelle Vereinigung bilden würden. Das muß man sich mal wirklich überlegen, was da drinsteckt, also, was da für ... Das läßt sich nur auf den Begriff ... Das läßt sich letzten Endes wirklich nur auf den Begriff bringen zu sagen:

Die Existenz dieser Gefangenen, was ja immer wieder in den Begründungen und Stellungnahmen der B. Anwaltschaft auftaucht, allein schon die Existenz dieser Gefangenen ist sozusagen illegal, ist, ja ist ne konspirative Tatsache; denn weiter kann man eigentlich menschliche Existenz nicht reduzieren, als sie in diesen Haftbedingungen reduziert ist, weil in ihnen tatsächlich jedes Moment, was ja eigentlich überhaupt, naja, was den Menschen eigentlich erst komplettiert sind ja schließlich soziale Beziehungen. Aber jedes Element sozialer Beziehung ist ja ganz systematisch und wissenschaftlich geplant und ausgeschaltet. Man muß das mal sehen.

[1272] Dieses System da oben - das ist vielleicht nicht klar genug geworden - dieses System da oben, und das ist eben nur ein System von inzwischen 15, die es in bundesdeutschen Gefängnissen gibt, das ist eine wissenschaftlich konzipierte Situation, die da entsteht, die eigentlich nur vergleichbar ist mit ner Astronautensituation oder mit der Situation eines wissenschaftlichen Experiments, d. h., man könnte sagen:

Es gibt die Möglichkeit, es sind also zwei Gefangene innerhalb dieses ... , also das ganze Stockwerk ist geräumt von anderen Gefangenen. Es gibt überhaupt keine anderen Gefangenen in diesem ganzen Stockwerk in Stammheim als uns, und ich weiß nicht, glaub die Frauen, wobei aber auch noch z. B. wichtig ist, daß Ulrike und Gudrun in dem Stockwerk sitzen seit anderthalb Jahren, aber die anderen Frauen überhaupt noch nicht gesehen haben. Das muß man sich mal überlegen. Sie haben sie noch nicht gesehen, und wir, ja, wir haben in diesem einen Jahr, in dem wir in Stammheim sind, habe ich ein einziges Mal zufällig einen Gefangenen gesehen. Sonst gibt es überhaupt gar keinen Sichtkontakt mit anderen Gefangenen. Man sieht sie nicht; man weiß überhaupt nicht, daß andere Gefangene in dieser Anstalt sind oder überhaupt andere Menschen außer den Uniformierten, die sozusagen die Tür aufmachen, um das Essen reinzuschieben dreimal am Tag. Man weiß es nicht, daß andere Menschen überhaupt existieren in diesem Zusammenhang. Aber es gibt also in diesem Trakt zwei Zellen. Eine ist ganz vorn und eine ist ganz hinten, und da sitzt also jeweils ein Mensch drin, und innerhalb dieses Systems gibt es also sozusagen den regelmäßigen Ablauf, daß die Tür etwas - im allgemeinen viermal am Tag - aufgeschlossen wird: dreimal, um das Essen reinzuschieben und einmal, um die Gefangenen in diesen Käfig auf dem Dach zu bringen - das sind 16 Schritte genau -. D. h. die gesamte Lebensäußerung, die gesamte Möglichkeit der Existenz sozusagen ist beschränkt, wenn die Isolation auch innerhalb des Trakts besteht, auf eine Bewegung von einer Zelle in einen Käfig mit 16 Schritten. Und tatsächlich, das konnte bisher nicht unterbunden werden und sollte wohl auch nicht unterbunden werden bisher, die Möglichkeit, daß die Gefangenen sich ab und zu ein paar Sätze zubrüllen.

[1273] Aber das wird natürlich aus einem ganz einfachen Grund nicht überwunden ... unterbunden, weil Interesse daran besteht, das, was die Gefangenen sich mitzuteilen haben, abzuhören. Dazu gibt es verschiedene Feststellungen gibt es, daß z. B. daß der Versuch gemacht worden ist von Leuten des L. Kriminalamts und des B. Kriminalamts, übrigens ein Versuch, der akustisch unmöglich ist, also d. h. also es ist akustisch unmöglich, sich, also außen von außen an der Hauswand sich zu verständigen. Da ist der Versuch gemacht worden dennoch vom B.- und L.-Kriminalamt, Gefangene anzuwerben, die sozusagen, falls da gesprochen würde, das, was da gesprochen wird, kolportieren.

Wir haben außerdem die definitive Information, wir können das belegen. Also man kann das durch Deduktion relativ leicht rausfinden, daß es wirklich keinen Moment von Kommunikation gegeben hat zwischen jeweils zwei Gefangenen in diesem System, das nicht überwacht war. Also es findet eine permanente akustische Überwachung statt durch Mikrophone, es sind eingebaute auch Mikrophone unmittelbar an der Tür, also an der Rufanlage, die von außen so geschaltet werden können, daß man also wirklich jedes Geräusch in der Zelle abhören kann, und wir wissen also definitiv, daß Gespräche, die stattgefunden haben, keine Ahnung wo oder durch wen, aber vermutlich durch Leute des B. Kriminalamts oder L. Kriminalamts protokolliert worden sind. Dazu ist wichtig, daß es ein neues Referat gibt in der Abteilung Terror des B. Kriminalamts, das sich ausschließlich mit der Überwachung von Gefangenen befaßt, d. h. ’s gibt also eine Abteilung einer Polizeiorganisation, eine Staatsschutzorganisation, die dafür eingerichtet worden ist, um sozusagen, naja, die Lebensäußerungen von Gefangenen in diesem total isolierten System zu überwachen, auszuwerten und dann natürlich auch wissenschaftlich auszuwerten, um sozusagen das System, das offensichtlich in diesen drei Jahren noch nicht genug begriffen hat, um Menschen zu vernichten, d. h. das System der Folter wissenschaftlich perfektionieren zu können, um sich dafür also Hintergrundinformationen zu verschaffen. Denn der Vorwurf - das ist also in diesem Zusammenhang ein wesentlicher Aspekt - der Vorwurf [1274] der Konspiration ist natürlich absurd. Der Kampf der Gefangenen ist legal. Es gibt tatsächlich eigentlich niemanden, der mehr legalisiert ist als Gefangene aus der RAF, weil sie objektiv in einem Zustand totaler Legalität sind, weil jede Lebensäußerung, jede ihrer Lebensäußerungen, jede Bewegung, jeder Satz, jede Information, jeder Eindruck, jeder Austausch, der sie erreicht, und auch - ich würde sagen - auch die Verarbeitung dann z. B. auf Papier durch die Produktion von Texten ist total kontrolliert. Ich erkläre dazu z. B. nochmals, daß die B. Anwaltschaft nach unserer definitiven Information die Besuchszellen für Anwälte seit Sommer 73 abhört, daß sie also auch die Besprechungen - und sie kontrolliert natürlich auch die Verteidigerpost -. Sie kontrolliert akustisch die Besprechungen der Gefangenen untereinander und das nochmals zu sagen.

Vors.:

Herr Baa[der], wenn Sie solche Unterlagen haben, bitte Roß und Reiter nennen.

Angekl. Baa[der]:

Ich hab Ihnen glaube ich mal erklärt in dem Telefongespräch, daß das absolut unmöglich ist, denn wir haben ... naja, schön.

Vors.:

Also Sie haben keine Unterlagen?

Angekl. Baa[der]:

Es ist absolut unmöglich, Unterlagen zu kriegen. Aber ich kann Ihnen sagen, daß es ne relativ einfache Methode gibt, durch Deduktion rauszukriegen, ob etwas überwacht wird.

Vors.:

Tun Sie das. Wie haben Sie’s rausgekriegt?

Nehmen Sie mal ein Beispiel, was Sie deduziert haben.

Angekl. Baa[der]:

Naja, z. B. die Möglichkeiten, den Ermittlungsbehörden ganz gezielt sozusagen in seinem Gespräch was zu entwickeln, was den Ermittlungsbehörden Veranlassung gibt zu bestimmten Aktionen ...

Vors.:

Ganz bestimmte Umstände, Herr Baa[der]. Wissen Sie, es geht darum, daß ich Ihnen das Wort nicht entziehen möchte. Aber ich [1275] kann solche Dinge nicht im Raum stehen lassen, da Sie das einfach behaupten. Ich meine, daß ist ein so schwerwiegender Vorwurf. Dann müssen Sie ein bißchen mehr dazu sagen.

Angekl. Baa[der]:

Interessant wäre doch, ob es bestritten wird.

Vors.:

Bitte?

Angekl. Baa[der]:

Interessant wäre doch, ob es bestritten wird, Herr Prinzing, von der B. Anwaltschaft.

Vors.:

Herr Baa[der], bitte. Dazu werden wir gleich die B. Anwaltschaft hören.

Herr B. Anwalt Dr. Wu[nder], wie steht’s mit den Vorwurf, der hier erhoben wird.

Angekl. Baa[der]:

Aber ich kann nochmal ... ich kann ...

Vors.:

Lassen Sie’s. Sie sagten.

Ende von Band 47.

[1276] BA Dr. W[under]:

Herr Vorsitzender, ich kann für die Bundesanwaltschaft erklären, daß aber auch nicht ein Wort wahr ist von der Behauptung des Herrn Baader.

Angekl. B[aader]:

Daß Sie abhören, daß Sie Anwaltszellen abhören?

BA Dr. W[under]:

Ja, genau das.[46]

Vors.:

Das ist wohl verständlich ... jetzt dürfen Sie fortfahren.

Angekl. B[aader]:

Und Sie können sich auch nicht vorstellen, Herr Wunder, Sie können sich auch nicht vorstellen, es kann ja sein, daß Sie davon nichts wissen, obwohl das uns ja unwahrscheinlich vorkommt.

BA Dr. W[under]:

Herr Baader, dann hätte es doch gar keinen Sinn, Sie abzuhören.

Angekl. B[aader]:

Es gibt doch die Möglichkeit, daß sozusagen, befreundete Dienststellen, wie das glaube ich heißt, also die Herrn von der Abteilung Terror oder früher die Sonderkommision oder die Sicherungsgruppe[47]. Ich kann ... vielleicht werde ich es im Verlauf der Verhandlung noch belegen, das läßt sich belegen, das läßt sich sicherlich belegen.

Vors.:

Gut, also wir haben festgestellt, Herr Baader, kein Beleg in, gegenwärtigen Zeitpunkt vorhanden, fahren Sie jetzt bitte fort.

Angekl. B[aader]:

Nein, das ist nicht falsch ... das ist nicht ganz richtig. Es sind Belege vorhanden. Ich habe ..., es nur außerordentlich schwierig, sie hier Ihnen sozusagen zu überlassen, weil damit, naja schön.

Ich erkläre also nochmal, also ich glaube ... ich könnte mir vorstellen, daß im Verlauf dieser Verhandlung, daß wir das [1277] noch beweisen wenden, den Vorwurf. Aber ich meine abgesehen davon, was nicht zu bestreiten ist von der Bundesanwaltschaft, ist die Tatsache, daß sie in regelmäßigen immer kürzer werdenden Abständen, sich Informationen verschafft hat über Vorbereitung der Verteidigung, über Korrespondenz mit den Verteidigern, über die schriftlichen, schriftlich niedergelegten, über den schriftlich niedergelegten Theoriebildungsprozeß zwischen den Gefangenen. Das ist absolut nicht beschreitender, bestreitender ... die Unterlagen der jeweiligen Beschlagnahmeaktion. Ich wollte also nochmal sagen, daß die Gefangenen leben, in einem System, in einem wissenschaftlich perfektionierten System der totalen technischen Überwachung. Allein für die ... also z. B. hier allein für die Kontrolle, also für die sichtbar, für unsichtbare Kontrolle von Jan und mir in einem, also in diesem geschlossenen Trakt, in dem keine anderen Gefangenen sind, sind am Tag sechs bzw. vier und vier Beamte eingesetzt. Die also nichts anderes zu tun haben, als sozusagen vor diesem Trakt zu sitzen, in einem Glaskasten und bzw. das Essen reinzugeben. Das ist also schon mal, also das ist das, was für uns unsichtbar ist und das ist gleichzeitig natürlich auch, das sind die einzigen anderen Menschen, die man sozusagen sieht. Ich würde sagen, daß das mörderische an diesem System, totale Erfassung ist. Also es ja wirklich die totale Erfassung. Seine wissenschaftliche Perfektionierung ist, um jede Möglichkeit soziale Interaktion auszuschalten, denn der Kontakt, auch mal vorausgesetzt, Sie hätten ihn nicht unterbunden, den Kontakt zwischen Jan und mir, auch der Kontakt zwischen nur zwei Menschen ist über nur, nur mehrere Wochen glaube ich, das haben die Isolationsforschungen bewiesen. Die Isolationsforschung, die Sie im Übrigen kennen, denn Sie haben, was ich wirklich sehr erstaunlich finde, Sie haben also hier sozusagen öffentlich dargelegt, daß Sie das Kursbuch und die darin niedergelegten wissenschaftlichen Ausarbeitungen, die Folgen der Isolation, daß Sie sie kennen. Das wirft also sozusagen auf Ihre Anordnung und wiederum Ver- [1278] schärfung dieser Isolation ganz bezeichnendes Licht. Sie kennen also definitiv die Folgen, Sie haben wissenschaftliche Unterlagen über die Folgen und dennoch haben Sie, hat das Ihrer Anordnung, dieser Haftbedingungen nie in Frage gestellt. Das ist schon sehr erstaunlich. Im Gegenteil, Sie haben sie verschärft sozusagen. Also ich wollte sagen, daß ... also der Kontakt von zwei Menschen nach den Forschungen, also nach der Isolationsforschung, diesen Prozeß und das hat ... Henck hat das natürlich bestätigt, Henck hat es also immer wieder gesagt, diesen Zerstörungsprozeß nicht aufhalten kann, sondern daß er eher in einem Kontakt von zwei Menschen kulminiert, wenn nicht wirklich eine ziemlich unvorstellbare für jeden anderen, da ist die Situation sowieso unvorstellbar, durch eine unvorstellbare Disziplin aufgehalten wird.

Ich finde es sehr wichtig, daß das endlich mal öffentlich wird, zumindest der Versuch gemacht wird in diesem Minimum, in dieser eigenartigen Konditionierung von der Öffentlichkeit her stattfindet in dieser Verhandlung, das öffentlich klar zu machen, denn das ist natürlich auch so grundsätzlich, daß wir darum zu kämpfen haben, daß wir darum zu kämpfen haben, daß für die Gefangenen aus der RAF, für die weder die Bestimmungen der Untersuchungshaft, noch der Strafhaft, noch die Bestimmungen der Behandlung von Kriegsgefangenen[48] gelten. Die ja eigentlich objektiv vielleicht noch am ehesten sind, also ich meine objektiv durch die objektiven Umstände dessen, was an ihnen vollzogen wird. Sie können das jetzt natürlich noch bezweifeln, diese Kategorie der Kriegsgefangenen, aber in ein paar Jahren werden Sie es ziemlich sicher zur Kenntnis nehmen müssen, also daß darum zu kämpfen ist, daß ein Minimalkatalog sozusagen oder der Minimalkatalog der Menschenrechte für uns anerkannt wird. Das ist einfach genau unser Interesse, wenn wir hier Folter thematisieren und wenn Sie mir jetzt Gelegenheit geben, noch mehr dazu zu sagen, wenn ... Das ist natürlich eigentlich so, daß wir über Folter, naja daß wir sie tatsächlich ermüdend finden, inzwischen darüber zu reden und das ist auch natürlich einem, [ss] eine [1279] bestimmte Ambivalenz hat. Folter und Vernichtungshaft sind, wie ich gesagt hab, Bedingungen der Auseinandersetzung und das ist eigentlich bekannt genug, daß die Bundesrepublik eines der Länder ist, die Foltertechnologien entwickelt und in die Dritte Welt exportiert.

Das ist glaube ich inzwischen bekannt genug.

Vors.:

Ja, Herr Baader, jetzt wird es langsam wieder kritisch ...

Angekl. B[aader]:

Ich komme zurück, ja ich komme zurück zum Thema. Ich wollte nur sagen ...

Vors.:

... und ich darf Sie darauf hinweisen ... Augenblick lassen Sie mich jetzt noch was anderes sagen, wir wollen Sie ja nicht überstrapazieren. Wir haben ausdrücklich uns wohl dahin geeinigt, nach Möglichkeit um 16.00 Uhr das Ende zu finden. Also wenn das in dem Stile weitergeht, befürchte ich, daß Sie Ihre eigenen Mitschicksalsgenossen und Genossinnen hier überstrapazieren.

Angekl. B[aader]:

Hören Sie, das ist nur ein scheinbarer Widerspruch, was Wunder heute morgen auch hier gebracht hat. Der Widerspruch unseres Zustands, unseres tatsächlich desolaten Zustands und der Bemühung, diesen Prozeß politisch zu führen, das ist tatsächlich nur[tt] ein scheinbarer Widerspruch. Wir versuchen es natürlich, die Frage ist, wie lang wir’s können. Und die Frage ist auch, in welchem Maß wir es können, und da haben Sie tatsächlich keine Relation, zu der Leistungsfähigkeit wie sie war oder wie sie normal wäre und zu dem intellektuellen und argumentativen Niveau, wie es normal ist für uns oder wie es ... und dem was wir tatsächlich machen können. Aber mir einfach daran, daß einfach nochmal grundsätzlich darzustellen, welche Rolle der Kampf gegen die Haftbedingungen und welcher Bestimmungen wir überhaupt unserer Situation in diesem ganzen Zusammenhang geben. Danach werde ich mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr sprechen, weil uns das doch zum Hals raushängt. Ich habe gesagt, Sie sind ... diese Situation [1280] ist Bedingung der Auseinandersetzung und ich habe auch gesagt, daß wir uns klar darüber waren, daß die Foltertechnologien, die[uu] in der Bundesrepublik entwickelt werden, dazu gibt es das Kamera-Silens-Projekt[49] als Beispiel, dazu gibt es die Tatsache permanenten Austauschs von Fachleuten des Bundeskriminalamts mit reaktionären Regimes der Dritten Welt usw. Wir wußten, daß sie früher oder später auch gegen uns, früher oder später sage ich, auch gegen uns angewendet würden. Sie sind Bedingungen dieses Kampfes, die wir mit dem Entschluß, zu kämpfen, akzeptiert haben. Das wissen allerdings und vor allen Dingen auch die konkrete sinnliche Erfahrung, daß dieses System dieser Staat zu jeder Unmenschlichkeit fähig ist und bereit ist. Das gehört zu den Bedingungen dieses Entschlusses. Wir beklagen uns also nicht und das ist wichtig und wir klagen auch etwa nicht an. Das wäre banal, weil es tatsächlich keine Instanz und keinen Konsensus gibt,[vv] an den sich diese Klage richten könnte. Es geht uns wirklich zuletzt um die Darstellung von Leiden. Der Kontrast geschundener Gefangener überhaupt ist wirkungslos. Er ist ... ich würde sagen, er ist eine Erscheinung und er ist auch deutlich. Also wir glauben, wenigstens manchmal, daß er deutlich, daß er deutlich sein kann. Aber als Operator revolutionärer Politik ist er unmöglich, ist er ambivalent, weil er determiniert ist von der Reaktion, von der reaktionären Seite des Widerspruchs, d. h. der Repression. Er hat aber die befreienden Inhalte revolutionärer Strategie, die hier verurteilt werden soll, z. B. wenig zu sagen. Und daß die Argumentation der Anwälte, eben die Argumentation von Verteidigern und die ... hier sind sie ... hier sind sie sicher mehr Verteidiger minimaler Menschenrechte, Bürger oder Bürgerrechte, bzw. wie Herr Heldmann gesagt hat, Verteidiger der Verfassungsreste, als unsere Verteidiger.

Oberstaatsanwalt Dr. Zeis verläßt von 15.50 Uhr bis 15.53 Uhr den Sitzungssaal.

Angekl. B[aader]:

Daß also die Verteidiger hier das Elend der Gefangene problematisieren, sich am Beispiel dieses Elends fest- [1281] halten in ihrer Argumentation, das ist zwangsläufig, denn es ist bestimmt von dem Kräfteverhältnis, wie es jetzt ist und wie es noch ist. Ich sage nochmal, daß es uns nicht um die Darstellung von Leiden geht, obwohl, obwohl die Funktion der Besitzlosigkeit, und niemand ist besitzloser als wir, niemand hat weniger als wir, als der Prozeß revolutionärer Identität. Ich meine, daß das da sozusagen Besitzlosigkeit einer geradezu absoluter Kategorie bedeutet, in der Situation der Isolation vervollständigen, aus der dieser Kampf geführt wird, nur geführt werden kann. Und das ist eine Erfahrung, die eigentlich jeder von uns hat, nur entsteht aus Kämpfen und Leiden, also ich meine, daß die Lernprozesse[ww], die uns auch hierher gebracht haben, jedes einzelnen und der Gruppe und der Bewegung radikaler Negation des Systems, die unsere Politik entwickelt, auch erlitten werden müssen. Aber es geht eben nie um die Darstellung, nie, es kann nie um die Darstellung von Leiden gehen. Worum es hier gehen kann und das ist genau auch das, was Sie eigentlich versuchen zu verhindern oder bisher zumindest versucht haben, zu verhindern, es diesem geschlossenen System Staatsschutz, Justiz und die Medien, d. h. die für diese Strategie, Vernichtungsstrategie voll instrumentalisierten Medien, als Teil wie ... sagt, der ideologischen Staatsapparate. Die Tatsachen in diesem System, die Tatsachen der Vernichtungshaft, die Tatsachen dessen, was wirklich vorgeht, also was möglich ist in diesem System sozusagen exemplarisch an dem, was um uns passiert, ihnen[xx] diese Tatsachen abzuringen und das ist tatsächlich schon so wie unmöglich geworden aus der Zensur und Selbstzensur der Presse. Und das wiederum ist wichtig für uns, damit das, was um die politischen Gefangenen abläuft, in seiner Dialektik wenigstens als Beispiel sichtbar wird und damit der Kampf der Gefangenen gegen ihre Vernichtung, den sie verlieren werden, darüber sind wir uns schon klar, Kampf werden kann oder Kampf wird, der Kampf erzeugt. So ist die Thematisierung von Folter und ihre Darstellung ein Lehrstück und nicht die ambivalente Darstellung gequälter Gefangener, und darum kämpfen wir. Das ist [1282] ganz richtig begriffen und dagegen kämpfen mit allen Mitteln, auch offen illegalen Mitteln, also denn die Illegalisierung, die Kriminalisierung der Verteidiger, das ist ... von Croissant und Ströbele ist ein illegaler Akt, innerhalb der Legalität natürlich. Kämpfen Bundesanwaltschaft und auch der Senat hier um genaue Aufklärungen, Lernprozesse, Mobilisierung und Organisation gegen diesen Apparat an dem Widerspruch dieses Verfahrens, um den Zustand der Gefangenen zu verhindern. Ja, das ist erstmal alles.

Vors.:

Will die Bundesanwaltschaft Stellung nahmen?

RA R[iedel]:

Herr Vorsitzender, ... möchte ...

Vors.:

Nein, jetzt habe ich im Augenblick die Bundesanwaltschaft gefragt ...

RA R[iedel]:

Ja, Herr Vorsitzender, ich möchte mit dem Antrag ...

BA Dr. W[under]:

Herr Vorsitzender, hierzu nicht; ob Sie eine Stellungnahme zu dem Antrag als solchen erwarten?

Vors.:

Nein, nein, ich wollte nur gefragt haben, ob Sie Stellung nehmen wollen.

Herr Rechtsanwalt Riedel.

RA R[iedel]:

Ich wollte mich dem gestellten Antrag des Kollegen anschließen und meine das, was insbesondere die Mandanten ausgeführt haben, ja in eindringlichster Weise dem Senat auch vor Augen geführt hat, worum es geht und welche Problematik hier im Raume steht, wenn beantragt wird, die Haftbedingungen zu ändern. Für die Verteidigung ist es auf jedenfall unerläßlich und darauf ist noch einmal hinzuweisen, daß eine Regelung, die nur Umschluß an Sitzungstagen gewährt, für die Vorbereitung der Verteidigung insgesamt absolut unzulänglich ist, da die, wie wir ja alle wissen, die Anklage, die ja leider aufgrund von Verzögerungen, die jeden- [1283] falls die Verteidigen nicht zu vertreten haben, bisher nicht verlesen werden konnte,[50] davon ausgeht, daß hier Angeklagte als Gruppe sitzen und Angeklagte als Gruppe und deswegen natürlich auch eine sinnvolle Verteidigung nur immer gewährleistet werden kann, wenn sie sich auch vorbereiten können und dazu reichen die Umschlüsse an den Sitzungstagen natürlich aus. Zu der rechtlichen Ausführung ist hinzuzufügen, daß das, was hier dargelegt worden ist, für die Strafgefangenen natürlich selbstverständlich erst recht für Untersuchungsgefangene zu gelten hat, denn für die gilt die gesetzliche Unschuldsvermutung und für sie kann nicht ein Status in Frage kommen, der weniger vorsieht und weniger gewährt, als er für Strafgefangene gibt. Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, daß die Diskussion des Gesetzgebers um ein neues Strafvollzugsgesetz davon ausgeht, daß ... oder daran gedacht hat in der Diskussion, jedenfalls eine Rolle gespielt hat, sich zu überlegen, ob nicht 3 Monate an Einzelhaft genug sind für Untersuchungsgefangene.[51] Das mag auch der Senat berücksichtigen. Ferner weise ich darauf hin, daß der von dem Kollegen König gestellte Antrag gegen den Willen der Mandantin Meinhof gestellt worden ist, sowohl die Tatsache allein, daß er gestellt wurde, als auch inhaltlich nicht mit ihrem Willen übereinstimmt.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Baader hat für sich selbst sich dem Antrag seines Mitangeklagten Raspe angeschlossen. Ich möchte weniges zur Begründung für diesen Antrag sagen.

1. Sie haben Herrn von Plottnitz vorhin darauf hingewiesen, daß die von ihm angezogenen Gesetzesbestimmungen lediglich Strafhaft beträfen. Das kann aber nicht ..., vielleicht habe Ihren Hinweis falsch verstanden, jedenfalls durfte er, darf er nicht so verstanden werden, als ob nicht identisches auch für die Untersuchungshaft gelte, im Gegenteil erst recht für die Untersuchungshaft, denn die Untersuchungshaftdauer ist [1284] ja von unserer Strafprozeßordnung Grundsatz mit maximal 6 Monaten[52] angenommen worden und wir alle wissen, daß diese Maximalgrenze, Grundsatzgrenze des Gesetzgebers häufig überschritten wird. Es haben jedoch der europäischen Menschenrechtskommission in verschiedenen Fällen Fragen der Überdauer von Untersuchungshaft vorgelegen[yy] und es sind mir, ohne daß ich das hier habe überprüfen können, jedenfalls zwei Entscheidungen in Erinnerung. Die eine, die etwa 6 Jahre alt ist:[53] in diesem jenen Fall, ist eine dreieinhalb jährige Untersuchungshaft, unabhängig von der Schwere des strafrechtlichen Vorwurfs für unangemessen im Sinne nämlich von Artikel 5 Abs. 3 der Menschenrechtskonvention[54] erachtet worden und in einem anderen Fall, dem Wemhoff-Fall[55] aus Berlin, ist eine vierjährige Untersuchungshaft bereits als unzulässig nach der Menschenrechtskonvention anerkannt worden. Selbstverständlich haben wir uns nicht über die Dauer der Haft unterhalten, sondern hier geht es um die Bedingungen der Haft. Wo aber bereits die Einzelhaft im Strafvollzug auf drei Jahre begrenzt ist, da ist mir diesen zeitlichen Beschränkungen, absoluten zeitlichen Beschränkung für Untersuchungshaft mit Sicherheit der Schluß gerechtfertigt, daß um so weniger Einzelhaft in Untersuchungshaft fortgeführt, während der Untersuchungshaft fortgeführt werden darf. Ferner die wichtige Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts im 19. Band zu Bedingungen, zur Grunddauer und Bedingungen der Untersuchungshaft, die sich auch gerade auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abstellt, hat für Gesetzgeber und Justiz verbindlich gesagt: Die Untersuchungshaft ist sowohl nach Grund, als auch nach ihrer Dauer, also auch nach den Haftbedingungen, nur dann und nur insoweit zulässig, als sie notwendig ist. Dauer, Anlaß, Bedingungen, notwendig ist ein rechtsstaatliches Strafverfahren zu sichern und den Strafanspruch, dem Strafanspruch der Gesellschaft zur Geltung zu verhelfen. Das ist eine der wesentlichen Entscheidungen, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch gerade für unser Thema, nämlich Haft- [1285] bedingungen ausspricht und schließlich darf Untersuchungshaft, jedenfalls durch ihre Dauer, und insbesondere das ist unser heutiges Thema, durch die Haftbedingungen nicht dazu führen, daß in den Untersuchungshäftling, entweder beschränken oder unfähig machen, sich in eine künftig zu erwartenden oder wie wir es haben, in einer jetzt endlich stattfindenden Hauptverhandlung angemessen und voll verteidigen zu können. Darum unterstütze ich voll, für den Angeklagten Baader, den Antrag, die Haftbedingungen zu normalisieren, mehr wollen wir nicht, normale Untersuchungshaftbedingungen, jetzt jedoch keinen Untersuchungshaftausnahmezustand für die Angeklagten in diesem Verfahren.

Speziell für meinen Mandanten noch einen weiteren Antrag, nämlich,

Vors.:

Hängt das zusammen mit Haftbedingungen?

RA Dr. H[eldmann]:

Es gehört zu den Haftbedingungen, deswegen füge ich ihn ja ein.

Nämlich,

ihn, zusammen mit seinen Mitangeklagten an den sitzungsfreien Tagen je einen zweistündigen Umschluß zu gestatten und dieser Antrag ist jedenfalls wie folgt zu begründen:

Es stehen in diesen Tagen, die Vernehmungen der Angeklagten zur Person an. Dazu sind, werden die Angeklagten, dann in die Situation kommen, sich auf die Anklage einzulassen. Die Anklage, datiert vom 26.9.1974, sie ist eine kollektive Anklage, d. h. …

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, verzeihen Sie, einen Hinweis. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche. Wir beabsichtigten uns zu diesen Haftbedingungen zu äußern, in Form der Bekanntgabe der Entscheidung, auch in der Öffentlichkeit, nur daß wir wahrscheinlich einige Zeit in Anspruch nehmen, daß wir ja auch noch Stellungnahmen der Anstalt usw. dazu einholen müssen und das, was Sie jetzt wünschen und zu- [1286] beantragen, sollte nun den korrekten, den normalen Weg gehen, außerhalb der Hauptverhandlung. An sich sind ja diese Dinge, die wir hier besprechen, gar nicht Gegenstand einer Hauptverhandlung.[56] Wir haben sie nur, um nicht den Eindruck zu erwecken, als würde man das beschneiden wollen, was hier gesagt wird, hier vortragen lassen. Das ist eine Eilentscheidung, die muß rascher getroffen werden. Ich bitte, sie schriftlich zu übergeben, so daß wir sie normal, wie sonst üblich, außerhalb der Hauptverhandlung treffen können, die Entscheidung.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Vorsitzender, da habe ich wie meine Kollegen immer die Schwierigkeit, daß es mir nicht gelungen ist, mein Büro mit nach Stammheim zu bringen. Das heißt also, ich habe keine andere Möglichkeiten, als Ihnen handgeschriebenen Zettelchen zu schreiben, die weder Ihnen noch mir besondere Freude bereitet.

Vors.:

Doch, wir können Ihre Schrift gut lesen. Das kann ich Ihnen bestätigen.

RA Dr. H[eldmann]:

Ich meine aber, daß dieser Antrag, sowohl dieser, als auch dieser spezielle in die Hauptverhandlung deswegen gehört, weil er nämlich die ordnungsgemäße Verteidigung der Angeklagten betrifft.

Vors.:

Es geht jetzt hier um die Frage des Umschlusses, des Zusammenschlusses zwecks Vorbereitung von irgendwelchen Verteidigungsgesprächen oder Erklärungen. Das sind keine Sachen, die wir hier in der Hauptverhandlung erörtern müßten. Wie gesagt, wir wollen uns auf das Notwendigste beschränkten. Es war jetzt viel Gelegenheit gegeben, den ursprünglichen, den ersten Hauptantrag gründlich zu ...

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Vorsitzender, die gesamte Begründung meines Antrags, an den sitzungsfreien Tagen, je zwei Stunden Umschluß zu erlauben, besteht darin, und zwar die gesamte Begründung, [1287] die Verteidigung zu ermöglichen. Es geht also[zz] eine ordnungsgemäße Verteidigung und das ist nun mit Sicherheit den ... der Hauptverhandlung und zwar einer öffentlichen Hauptverhandlung.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ich möchte jetzt nicht wieder Zeit verlieren durch endlose Debatten. Ich hoffe, daß die Debatte, jedenfalls Ihr Vortrag kürzer werden würde, als die Debatte, die ich jetzt zu erwarten hätte; bitte tragen Sie weiter vor.

RA Dr. H[eldmann]:

Die wären zu Ende. Die Anklage, so sagte ich im vorletzten Satz, datiert vom 26.9.1974, sie ist[aaa] eine kollektive Anklage, das bedeutet, daß die Tatvorwürfe in jener Anklage nicht individualisiert sind, auf die Angeklagten in diesem Verfahren. Folglich ist es notwendig, daß die Angeklagten zu ihrer gemeinsamen Verteidigung gegenüber einer Kollektivanklage sich gemeinsam besprechen. Einlassung zur Anklage ist bereits die Einlassung in die Vernehmung zur Person.

Der § 146, der neuen Strafprozeßordnung ...

Richter am OLG Dr. Foth:

Herr Heldmann, darf ich Sie unterbrechen. Ich meine nach der Strafprozeßordnung kommt ja erst die Einlassung zur Person, dann die Verlesung zur Anklage und dann die Stellungnahme zu Anklage, oder verstehen Sie davon ...

RA Dr. H[eldmann]:

Im technischen Sinne, sind Sie völlig im Recht, nicht. Zunächst einmal ...

Vors.:

Nein, im rechtlichen Sinne ist Herr Dr. Foth im Recht.

RA Dr. H[eldmann]:

... jedoch in diesem Prozeß, mit Sicherheit wird die Vernehmung zur Person zugleich Einlassung zur Anklage selbst sein. Das haben die Angeklagten Ihnen im Übrigen bereits, und zwar durch Herrn Raspe, in einem Schreiben vom 3.7.1975 schon mitgeteilt.

Vors.:

Aber Herr Dr. Heldmann, ich muß darauf hinweisen, daß vor- [1288] dem die Belehrung erfolgen kann, daß zur Anklage keine Äußerungen notwendig sind, daß also der Angeklagte schweigen kann, und diese Erklärung kann nun wiederum gesetzlich erst nach Verlesung der Anklageschrift erfolgen, kann ich keine Einlassung zu Sache zulassen.[57]

RA Dr. H[eldmann]:

Ich sprach ... Ich habe nicht angekündigt, daß die Angeklagten beabsichtigten bei ihrer Vernehmung zur Person bereits zur Sache zu sprechen, aber die Eigenart dieser Anklage mag es notwendig erscheinen lassen, Erklärungen zur Person abzugeben.

Vors.:

Das verstehe ich nicht, also entweder wird zur Person ... aber bitte tragen Sie es vollends vor.

RA Dr. H[eldmann]:

Kurz, Endsatz. Da die Vernehmungen zur Person nunmehr anstehen, bitte ich den Angeklagten, hier spreche ich für den Angeklagten Baader, zu gemeinsamen Verteidigungsgesprächen täglich einen ... an den Tagen außerhalb der Sitzungstage, zweistündigen Umschluß zu gewähren.

Vors.:

Frau Rechtsanwältin Becker.

RA’in B[ecker]:

Ich schließe mich dem Antrag,

die Isolation aufzuheben und für die Frau Ensslin auch die normalen Haftbedingungen herzustellen, an.

Vors.:

Ja, wir werden uns also zu diesem Antrag, wie gesagt, in der Sitzung äußern und dabei ... Die Bundesanwaltschaft höre ich gerade - entschuldigen Sie, ich habe es nicht gesehen - bittesehr.

BA Dr. W[under]:

Ja, Herr Vorsitzender, ich hätte mich gemeldet, wenn Sie uns übersehen hätten.

Herr Vorsitzender, zu den Anträgen die gestellt wurden, müssen wir natürlich eingehende, umfangreiche Auskünfte von der Haftanstalt einholen. Sie haben selber bereits darauf hingewiesen. [1289] Wir sind bestrebt eine Stellungnahme morgen im Laufe des Vormittags, wenn es irgendwie geht, abzugeben. Ich kann das aber nicht verbindlich zusichern. Ich meine, daß dennoch aber weiter verhandelt werden könnte. Wir sind bestrebt, das so schnell wie möglich abzuwickeln.

Vors.:

Ja, wir beabsichtigen auch nicht die Entscheidung so zu forcieren. Wann die nun öffentlich verkündigt wird, sie ist ja wie gesagt, eine Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung, wird sich zeigen. Wir werden dann bei der Entscheidung mit zu berücksichtigen haben, daß die Menschenrechtskommission, vielleicht können die Gründe dieser Entscheidung von der Bundesanwaltschaft bis dahin beschafft werden, also die höchste internationale Instanz, die sich mit den Haftbedingungen der Angeklagten zu befassen hatte, die diesbezügliche Beschwerde jüngst verworfen hat.

Damit ist die Sitzung beendet, Fortsetzung um 9.00 Uhr morgen früh.

- Die Sitzung wurde um 16.05 Uhr beendet -

Rechtsanwalt von Plottnitz übergibt nach der Sitzung seinen Antrag als Anlage 3 zum Protokoll.

Ende Band 48

[1290-1291][58]


[1] § 137 Abs. 1 StPO lautet: „Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen. Die Zahl der gewählten Verteidiger darf drei nicht übersteigen“.

[2] In den Fällen der notwendigen Verteidigung ist die Mitwirkung eines Verteidigers oder einer Verteidigerin gesetzlich vorgeschrieben (§ 141 StPO a.F.; seit dem 13.12.2019 [Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019, BGBl. I, S. 2128] ist die Bestellung in manchen Fällen von einem Antrag des/der Beschuldigten abhängig). Die notwendige Verteidigung ergab sich in diesem Verfahren daraus, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht stattfand (§ 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO) und dem Vorwurf eines Verbrechens (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO; ein Verbrechen liegt vor bei einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr, § 1 Abs. 1 StGB a.F.; heute: § 12 Abs. 1 StGB), sowie der Inhaftierung der Beschuldigten für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO a.F.; heute ist die zeitliche Vorgabe entfallen). Auch zuvor gewählte Verteidiger/innen können als Pflichtverteidiger/innen bestellt werden.

[3] Da die Beiordnung dem öffentlichen Interesse dient, dafür zu sorgen, dass Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhalten und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfG, Beschl. v. 8.4.1975 - Az.: 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, S. 238, 242), hat sie u.a. zur Folge, dass der/die beigeordnete Verteidiger/in einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse erhält (damals § 97 BRAGO, inzwischen ersetzt durch § 45 Abs. 3 RVG).

[4] Verhandlungsfähigkeit ist die Fähigkeit „in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen“ (BGH, Beschl. v. 8.2.1995 - Az.: 5 StR 434/94, BGHSt 41, S. 16, 18). Die Verhandlungsunfähigkeit bildet ein vorübergehendes oder dauerndes Verfahrenshindernis (§§ 205, 206a StPO). Eingeschränkter Verhandlungsfähigkeit kann durch die Anordnung besonderer Maßnahmen (ärztliche Unterstützung, Einlegung von Erholungspausen o.ä.) begegnet werden (s. dazu auch Rechtsanwalt Dr. Heldmann auf S. 1255 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 15. Verhandlungstag). Bei vorsätzlicher und schuldhafter Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit kann die Hauptverhandlung in Abwesenheit des/der Angeklagten durchgeführt werden (§ 231a StPO).

[5] Von September 1974 bis Februar 1975 führten insgesamt 40 Gefangene, darunter die Angeklagten, den insgesamt dritten und längsten Hungerstreik durch, um gegen die Haftbedingungen zu protestieren, die sie als Isolationsfolter bezeichneten (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 117; die Hungerstreikerklärung ist abgedruckt in Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD, Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, S. 14 ff.; s. zu den Haftbedingungen Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97 ff., insbesondere 103 ff. zum Vorwurf der Isolationsfolter; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 270 ff.).

[6] Die Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) enthält Verwaltungsvorschriften des Bundes über die Ausgestaltung der Untersuchungshaft. Nr. 56 Abs. 1 UVollzO lautet: „Der Gefangene wird vom Anstaltsarzt gesundheitlich betreut. Mit Zustimmung des Richters und nach Anhören des Anstaltsarztes kann dem Gefangenen gestattet werden, auf eigene Kosten einen beratenden Arzt hinzuzuziehen.“ Bundesanwalt Dr. Wunder bezieht sich hier auf die Ausführungen des Vorsitzenden Dr. Prinzing am 14. Verhandlungstag, der die Auffassung vertrat, für einen begründeten Antrag auf Hinzuziehung gewählter Ärzt/innen hätten zuvor bereits andere Untersuchungen stattfinden müssen (S. 1120 f. des Protokolls der Hauptverhandlung). Bei der Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) handelt es sich nicht um ein förmliches Gesetz, sondern um eine Verwaltungsvorschrift des Bundes zur Ausgestaltung der Untersuchungshaft, die sich an die Leitungen der Haftanstalten richtet. Für Gerichte ist sie nicht bindend (BVerfG, Beschl. v. 19.2.1963 - Az.: 1 BvR 610/62, BVerfGE 15, S. 288, 294). Ihr kommt mittlerweile keine Bedeutung mehr zu, seit durch das Föderalismusreformgesetz vom 28.8.2006 (BGBl. I, S. 2034) die Gesetzgebungskompetenz für den Untersuchungshaftvollzug den Ländern übertragen wurde und diese sämtlich von ihrer Ersetzungskompetenz (Art. 125a Abs. 1 GG) Gebrauch gemacht haben.

[7] Prof. Dr. Rauschke war Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am Gesundheitsamt der Stadt Stuttgart und beauftragt worden, zur Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten Stellung zu nehmen. Zur Vernehmung des Prof. Dr. Rauschke s. S. 1102 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (14. Verhandlungstag). Eine Untersuchung durch ihn, ebenso wie eine durch den Anstaltsarzt Dr. Henck, lehnten die Angeklagten ab.

[8] Dr. Henck war während des Prozesses als Anstaltsarzt in Stuttgart-Stammheim tätig. Er wurde als erster Sachverständiger zur Frage der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten angehört. Zur Vernehmung des Herrn Dr. Henck s. S. 357 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (5. Verhandlungstag), S. 937 ff. (12. Verhandlungstag) und S. 1725 ff. (21. Verhandlungstag).

 [9] § 81a StPO erlaubt dem Gericht, die körperliche Untersuchung von Beschuldigten auch gegen deren Willen anzuordnen.

[10] Gemeint ist das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 (RGBl. I, S. 995). § 81a StPO wurde durch das begleitende Ausführungsgesetz hierzu (RGBl. I, S. 1000) in die Strafprozessordnung eingeführt. Das „Gewohnheitsverbrechergesetz“ vom 24.11.1933, das auf kriminalpolitischen Konzeptionen der „modernen Strafrechtsschule“, insbesondere Franz v. Liszts „Marburger Programm“, aufbaute, gleichwohl aber auch nationalsozialistisches Gedankengut beinhaltete, führte täterstrafrechtliche Elemente in das Strafrecht ein. § 20a a.F. ordnete bei einer dritten Verurteilung Zuchthaus an, wenn „die Gesamtwürdigung der Taten“ ergibt, dass der/die Täter/in „ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“ ist. Zugleich ermöglichte § 42e a.F. die Anordnung der Sicherungsverwahrung, sofern die „öffentliche Sicherheit“ dies erfordere. Die so eingeführte „Zweispurigkeit“ des Strafrechts hat nach wie vor Bestand. Näher zum Gewohnheitsverbrechergesetz s. Dessecker, in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen [Hrsg.], Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 66 Rn. 1; Pollähne, in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen [Hrsg.], Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 61 Rn. 2; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, 5. Aufl. 2020, § 6 Rn. 8. Ausführlich: Müller, Das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933, 1997).

[11] Manfred Grashof war Mitglied der RAF. Bei seiner Festnahme am 2. März 1972 wurde er im Rahmen eines Schusswechsels, bei dem er einen Polizeibeamten erschoss, selbst schwer verletzt. Mit der „Zwangsuntersuchung“ bezieht sich Baader wohl auf eine Untersuchung seiner Verhandlungsfähigkeit (s. dazu Baader auf S. 1557 des Protokolls der Hauptverhandlung, 19. Verhandlungstag).

[12] Mit Beschluss vom 13.7.1973 gab der Untersuchungsrichter am BGH Knoblich dem Antrag der Bundesanwaltschaft statt, Ulrike Meinhof - notfalls gegen ihren Willen unter Anwendung von Narkose - auf ihre Zurechnungsfähigkeit während der Tatzeit untersuchen zu lassen. Hintergrund war, dass sie sich 1962 aufgrund eines gutartigen Tumors einer Gehirnoperation unterziehen musste, sodass der Verdacht einer Beeinträchtigung durch einen Tumor aufkam. Zu den genehmigten Behandlungen zählten Röntgenaufnahmen und eine Szintigraphie des Gehirns. In einem offenen Brief wandten sich 70 Ärzte und Medizinalassistenten direkt an den Richter am BGH Knoblich mit der Aufforderung, diesen Beschluss aufzuheben (der Brief ist abgedruckt in Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD, Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, S. 133 f.). Dies geschah schließlich auch auf Antrag der Bundesanwaltschaft, allerdings mit der Begründung, die Untersuchung sei aufgrund neuer Erkenntnisse überflüssig geworden (so Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 115 f.; s. dazu auch Ulrike Meinhof am 19. Verhandlungstag, S. 1541 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[13] Ab dem Zeitpunkt der Erhebung der öffentlichen Klage ist das Gericht der Hauptsache zuständig den Vollzug der Untersuchungshaft und damit auch für Entscheidungen über die Haftbedingungen (§ 126 Abs. 2 StPO).

[14] Das im August 1973 erschienene Kursbuch 32, herausgegeben von Enzensberger und Michel, trägt den Titel: „Folter in der BRD. Zur Situation der politischen Gefangenen“ und enthält u.a. verschiedene gerichtliche Entscheidungen in Haftsachen, thematische Abhandlungen, sowie Berichte und Erklärungen von Gefangenen. Der Beitrag von Sjef Teuns befindet sich auf S. 118 ff.

[15] Eine Gegenvorstellung ist ein Rechtsbehelf, der zwar nicht in der Strafprozessordnung vorgesehen, allerdings in Rechtsprechung und Literatur überwiegend anerkannt ist. Sie beinhaltet die formlose Aufforderung, über eine getroffene Entscheidung erneut zu befinden und die Entscheidung aufzuheben oder abzuändern (Hoch, in Satzger/Schluckebier/Widmaier [Hrsg.], Strafprozessordnung, 4. Aufl. 2020, Vor §§ 296 ff. Rn. 39 ff.).

[16] Das Freibeweisverfahren findet Anwendung zum Beweis von Tatsachen, die nicht die Straf- oder Schuldfrage, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, betreffen. Im Unterschied zum dort anzuwendenden Strengbeweisverfahren ist das Gericht im Freibeweisverfahren nicht auf die Wahl bestimmter Beweismittel beschränkt, sondern kann grundsätzlich alle verfügbaren Erkenntnisquellen nutzen; auch an die im Strengbeweisverfahren vorgeschriebene Form ist es nicht gebunden (BGH, Urt. v. 28.6.1961 - Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166).

[17] Siegfried Hausner war Mitglied der RAF und Teil des „Kommando Holger Meins“, das am 24. April 1975 bei dem Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm zwölf Geiseln nahm, zwei Menschen tötete und die Freilassung von 26 Gefangenen, darunter der Angeklagten Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof, forderte. Aus weiterhin unbekannten Gründen explodierte kurz vor der Stürmung des Gebäudes durch schwedische Spezialkräfte im Inneren der Botschaft ein Sprengsatz, infolgedessen Hausner schwer verletzt wurde. Trotz dieser Verletzungen wurde Hausner wenige Tage später in die Bundesrepublik ausgeliefert und auf die Intensivstation der JVA Stammheim verlegt, wo er Anfang Mai 1975 verstarb (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 512, 515 f.; Forsbach, Die 68er und die Medizin, 2011, S. 95 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 766 Anm. 80).

[18] Holger Meins war ursprünglich Mitangeschuldigter im Stammheim-Prozess, starb aber noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) am 9. November 1974 in Untersuchungshaft in Wittlich an den Folgen des dritten Hungerstreiks. Für seinen Tod machten die Angeklagten staatliche Akteure, u.a. den Vorsitzenden Dr. Prinzing sowie die Bundesanwaltschaft verantwortlich (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 117 ff.).

[19] Die Befugnis des/der Vorsitzenden, unzulässige oder weitschweifige Ausführungen einzuschränken, leitet sich aus der Zuweisung der Verhandlungsleitung (§ 238 Abs. 1 StPO) ab (Becker, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 6, 27. Aufl. 2019, § 238 Rn. 3). Sachleitungsbezogene Anordnungen des/der Vorsitzenden können als unzulässig beanstandet werden (§ 238 Abs. 2 StPO). Über die Beanstandung entscheidet sodann das Gericht, in diesem Fall der Senat in voller Besetzung.

[20] Die Hauptverhandlung beginnt nach dem Aufruf der Sache und Feststellung der Anwesenheit mit der Vernehmung der Angeklagten zur Person, an die sich die Verlesung der Anklage (heute außerdem: Mitteilung über ggf. stattgefundene Erörterungen) sowie die Vernehmung der Angeklagten zur Sache anschließen. Hierauf folgt die Beweisaufnahme (§§ 243, 244 StPO). Aufgrund vorrangiger Anträge fand die Vernehmung zur Person sowie die Verlesung der Anklageschrift erst am 26. Verhandlungstag statt.

[21] Am 1. Januar 1975 traten das Erste Strafverfahrensreformgesetz vom 9. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3393) sowie das Ergänzungsgesetz hierzu vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) in Kraft. Hierdurch wurden u.a. die Möglichkeit des Verteidiger/innenausschlusses (§ 138a StPO), die Beschränkung auf drei Wahlverteidiger/innen pro Beschuldigte/n (§ 137 Abs. 1 Satz 2 StPO), das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO), sowie die Möglichkeit, den Prozess im Falle vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführter Verhandlungsunfähigkeit bis zum Abschluss der Vernehmung der Angeklagten zur Sache auch in ihrer Abwesenheit durchzuführen (§ 231a StPO), eingeführt. Durch diese und weitere Reformen während der Hauptverhandlung wurden die Rechte der Angeklagten sowie der Verteidigung erheblich eingeschränkt (Tenfelde, Die Rote Armee Fraktion und die Strafjustiz, 2009, S. 72 ff.). Da viele der Vorschriften im Hinblick auf das anstehende Stammheimer Verfahren beschlossen wurden, wurden sie u.a. als „lex RAF“ kritisiert. (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 132 ff.). Sie sind überwiegend noch heute in Kraft.

[22] Katharina Hammerschmidt unterstützte die RAF mit Kurierdiensten und der Bereitstellung illegaler Wohnungen, war aber an keinen Gewalttaten beteiligt. Im Juni 1972 stellte sie sich der Polizei und wurde entgegen den Erwartungen ihres Anwalts Schily in Berlin inhaftiert. Dort traten schon bald erste Symptome einer Krebserkrankung auf. Die von Hammerschmidt geäußerten gesundheitlichen Probleme wurden von den Gefängnisärzten aber nur unzureichend untersucht, weshalb der Tumor lange Zeit unerkannt blieb. Noch während ihres Strafprozesses wurde Hammerschmidt aufgrund der fortschreitenden Erkrankung im Januar 1974 entlassen. Sie starb Ende Juni 1975 in West-Berlin (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 135 ff.; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 329; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 196 ff.).

[23] Trotz schwerster Brandverletzungen wurde Hausner in die JVA Stuttgart-Stammheim verlegt, wo die medizinische Ausrüstung wohl nicht zur Behandlung ausreichte (so Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 515 f.).

[24] In Nürnberg fand nach dem Zweiten Weltkrieg der sog. Hauptkriegsverbrecherprozess vor dem von den vier Siegermächten errichteten Internationalen Militärgerichtshof statt, in welchem führende Vertreter des nationalsozialistischen Regimes für die begangenen Verbrechen (u.a. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit) verurteilt wurden. Nach dem Hauptkriegsverbrecherprozess führten amerikanische Ankläger ohne Beteiligung der anderen Alliierten zwölf weitere Verfahren, die sog. Nürnberger Nachfolgeprozesse, gegen bestimmte Funktionseliten des NS-Regimes durch (Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl. 2020, Rn. 17 ff.).

[25] Die Angeklagten wurden bereits im Juni 1972 festgenommen. Seither befanden sie sich in Haft, zunächst allerdings in unterschiedlichen Haftanstalten, bevor sie im Laufe des Jahres 1974 schließlich nach Stuttgart-Stammheim verlegt wurden (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 127 ff.).

[26] Nach § 231a StPO kann die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten fortgeführt werden, wenn diese noch nicht zur Anklage vernommen wurden, sie sich vorsätzlich und schuldhaft in den Zustand der Verhandlungsunfähigkeit versetzt haben und das Gericht ihre Anwesenheit nicht für unerlässlich hält. Die Norm wurde durch das Gesetz zur Ergänzung des Ersten Strafverfahrensreformgesetzes vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) eingeführt. Bereits vor dem Inkrafttreten der neuen Norm war eine solche Vorgehensweise zumindest für den Zeitraum nach Vernehmung der Angeklagten zur Sache (§ 243 Abs. 4 StPO a.F.; heute: Abs. 5) zulässig, da das eigenmächtige Versetzen in den Zustand der Verhandlungsunfähigkeit mit dem eigenmächtigen Entfernen der Angeklagten aus der Hauptverhandlung gleichgesetzt wurde (so BGH, Urt. v. 22.4.1952 - Az.: 1 StR 622/51, BGHSt 2, S. 300, 304). Für diesen Fall galt schon damals § 231 Abs. 2 StPO, der die Fortsetzung der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglichte. Die Einführung des § 231a StPO führte nur insofern zu einer Verschärfung der Rechtslage, als dass die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten nun bereits vor Abschluss der Vernehmung zur Sache möglich wurde. Für die Zeit danach ist auch heute noch § 231 Abs. 2 StPO anwendbar (Becker, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 6, 27. Aufl. 2019, § 231 Rn. 16 und § 231a Rn. 1 f., 10; Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 231 Rn. 17 ff.).

[27] Die „Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen“ der Vereinten Nationen von 19757/77 sehen in Nr. 91 vor: „Untersuchungsgefangenen ist auf begründeten Antrag zu gestatten, sich von ihrem eigenen Arzt oder Zahnarzt besuchen und behandeln zu lassen, wenn sie die anfallenden Kosten tragen können.“ Dieser Grundsatz ist auch in der revidierten Fassung von 2015 (sog. Mandela-Rules) in Nr. 118 enthalten. Verbindlich sind diese Resolutionen der VN-Generalversammlung nicht, da diese lediglich Empfehlungen aussprechen kann (Art. 9 ff. der Charta der Vereinten Nationen).

[28] In Nr. 56 Abs. 1 UVollzO findet sich eine entsprechende Vorschrift, die als Verwaltungsvorschrift jedoch für die Gerichte ebenfalls nicht bindend ist (s. bereits Fn. 6).

[29] Dies beantragte die Bundesanwaltschaft am 12. Verhandlungstag im Hinblick auf die Aussagen, die Dr. Henck als Zeuge gemacht hatte (S. 1023 des Protokolls der Hauptverhandlung ). Zwar war die Vereidigung von Zeug/innen, anders als heute, nach § 57 StPO a.F. noch der Regelfall; diese Vorschrift bezieht sich aber auf das sog. Strengbeweisverfahren (auch „förmliche Beweisaufnahme“), das in den §§ 244 bis 256 StPO geregelt ist und Anwendung findet zum Beweis aller Tatsachen, die die Straf- und Schuldfrage betreffen, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe. Über die Frage der Verhandlungsfähigkeit wird im sog. Freibeweis (s. dazu bereits Fn. 16) entschieden. Über Vereidigungen von Zeug/innen und Sachverständigen entscheidet das Gericht hier nach freiem Ermessen (Krehl, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 244 Rn. 16).

[30] Anlage 1 zum Protokoll vom 9.7.1975: Anwaltliche Erklärung des Rechtsanwalts Dr. Heldmann.

[31] Während bis zum 31.12.1974 die sog. Blockverteidigung - die kollektive Verteidigung mehrerer Angeklagter bei gleicher Interessenlage - zulässig war, wurde durch das Ergänzungsgesetz zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) mit Wirkung zum 1.1.1975 das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) eingeführt. Jede/r Verteidiger/in durfte fortan nur noch eine/n Angeklagte/n vertreten, mithin auch nur im Namen des/der jeweiligen Angeklagten sprechen. Auf die Einhaltung dieser Vorgaben achtete der Vorsitzende Dr. Prinzing in der Regel sehr genau (s. dazu etwa die Diskussion am 4. Verhandlungstag, S. 279 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, sowie am 12. Verhandlungstag, S. 928 f. des Protokolls).

[32] Staatliche Zwangsmaßnahmen dürfen nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angeordnet werden. Für eine zwangsweise durchgeführte Untersuchung nach § 81a StPO, die in die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) eingreift, bedeutet dies, dass „die Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zweckes geeignet und erforderlich“ sein muss „und der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts“ stehen darf (BVerfG, Beschl. v. 14.11.1969 - Az.: 1 BvR 253/69, BVerfGE 27, S. 211, 219). An der Erforderlichkeit der Maßnahme fehlt es, wenn auf ein milderes, aber gleich geeignetes Mittel zurückgegriffen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 18.12.1968 - Az.: 1 Bvl. 5, 14/64, 5, 11, 12/65, BVerfGE 25, S. 1, 18).

[33] Der Verfassungsrang des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist unstreitig, allerdings wird die Frage nach der Rechtsgrundlage unterschiedlich beantwortet. Neben dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG werden u.a. auch die Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG, die Wesensgehaltsgarantie aus Art. 19 Abs. 2 GG, oder die Grundrechte selbst herangezogen (für einen Überblick s. Grzeszick, in Maunz/Dürig [Begr.], Grundgesetz Kommentar, 90. Ergänzungslieferung 2020, Art. 20 Rn. 108).

[34] § 205 StPO lautet: „Steht der Hauptverhandlung für längere Zeit die Abwesenheit des Angeschuldigten oder ein anderes in seiner Person liegendes Hindernis entgegen, so kann das Gericht das Verfahren durch Beschluß vorläufig einstellen. Der Vorsitzende sichert, soweit nötig, die Beweise.“

[35] Bis 1963 ging die Rechtsprechung davon aus, der Grundsatz „in dubio pro reo“ gelte nicht bei der Prüfung von Verfahrensvoraussetzungen, sondern nur bei der Beantwortung der Schuld- und Tatfrage. In einem Beschluss vom 19.2.1963 - Az.: 1 StR 318/62, BGHSt 18, S. 274, 277, stellte der BGH allerdings klar, dass dies nicht für alle Verfahrensvoraussetzungen oder -hindernisse „schablonenhaft“ beantwortet werden könne. Stattdessen sei eine Entscheidung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls zu treffen. Seit 2009 nimmt der BGH für Verfahrensvoraussetzungen grundsätzlich an, dass sie nicht erfüllt seien, wenn Zweifel an ihrem Vorliegen bestünden (und entsprechend ein Verfahrenshindernis immer dann schon anzunehmen sei, wenn es möglicherweise vorliege). Dabei bleibt offen, ob dies durch Anwendung des Zweifelssatzes oder durch die Einordnung der Verfahrensvoraussetzungen als Bedingung für die Zulässigkeit eines Sachurteils erfolgt (BGH, Urt. vom 30.7.2009 - Az.: 3 StR 273/09, NStZ 2010, S. 160 f.; s. auch Kühne, Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2015, Rn. 964 ff.).

[36] Gemeint ist wohl die Strafprozessordnung (StPO). In der genannten Kommentarstelle zu § 206a StPO heißt es: „Ein Verfahrenshindernis stellt sich heraus, wenn ein begründeter Zweifel am Gegebensein einer Prozeßvoraussetzung Platz greift und nicht überwunden werden kann. Der Grundsatz, daß im Zweifel zugunsten des Beschuldigten (Hervorh. im Original) entschieden werden muß, wird auch hier bedeutsam“ (Kohlhaas, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 1, 22. Aufl. 1971, § 206a Anm. 3).

[37] Anlage 2 zum Protokoll vom 9.7.1975: Antrag des Rechtsanwalts König auf Änderung des Verhandlungsrhythmus.

[38] Die Dreijahresfrist nach § 21 StGB a.F. wurde durch das Zweite Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969 (BGBl. I, S. 717) mit Wirkung zum 1.1.1975 im Rahmen einer Neustrukturierung des Allgemeinen Teils des StGB aus diesem gestrichen. Eine wortgleiche Regelung befand sich allerdings noch bis zum 31. Dezember 1976 in Art. 316 Abs. 3 Satz 3 EGStGB a.F., bevor dieser mit Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) vom 20. März 1976 (BGBl. I, S. 581) mit Wirkung zum 1.1.1977 aufgehoben wurde.“

[39] Für den Vollzug von Untersuchungshaft und Strafhaft gelten unterschiedliche Vorschriften (Untersuchungshaft: zum damaligen Zeitpunkt § 119 Abs. 3 StPO a.F. i.V.m. der Untersuchungshaftvollzugsordnung; heute: Landesgesetze; Strafhaft: damals noch geregelt durch die Dienst- und Vollzugsordnung von 1961, die durch das Bundesverfassungsgericht allerdings nicht als ausreichende Rechtsgrundlage angesehen wurde [BVerfG, Beschl. v. 14.3.1972 - Az.: 2 BvR 41/71, BVerfGE 33, S. 1]; ab dem 1.1.1977 daher: Strafvollzugsgesetz; seit der Föderalismusreform 2006 zu einem großen Teil ersetzt durch Landesgesetze). Im Unterschied zur Strafhaft gibt es bei der Untersuchungshaft gerade noch kein rechtskräftiges Urteil, sodass weiterhin die Unschuldsvermutung gilt. Aus diesem Grund ist die Anordnung von Untersuchungshaft als Ausnahmeregelung an strenge Voraussetzungen geknüpft und muss stets mit dem Zweck der Sicherung des Strafverfahrens abgewogen werden (BVerfG, Beschl. v. 15.12.1965 - Az.: 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, S. 342, 347; Kühne, Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2015, Rn. 425 ff.).

[40] S. bereits Fn. 13.

[41] Zu den Haftbedingungen in Stuttgart-Stammheim s. auch Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 127 ff.; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, 270 ff.

[42] Der CDU-Politiker und Spitzenkandidat bei der Wahl um das Berliner Abgeordnetenhaus Peter Lorenz wurde am 27. Februar 1975 von der Bewegung 2. Juni entführt und in einem „Volksgefängnis“ in Berlin-Kreuzberg festgehalten. Im Austausch gegen Lorenz wurde die Freilassung von sechs Gefangenen gefordert: Verena Becker, Rolf Heißler, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Horst Mahler, Rolf Pohle und Ingrid Siepmann. Die Bundesregierung unter Kanzler Schmidt ging auf die Forderungen ein: Bis auf Horst Mahler, der das Angebot ablehnte, bestiegen am 3. März 1975 die anderen fünf Inhaftierten mit dem ehemaligen West-Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz als Vermittler eine Maschine der Lufthansa nach Aden im Jemen. Nach der erfolgreichen Ankunft wurde Lorenz am 4. März freigelassen (Dahlke, in Hürter/Rusconi [Hrsg.], Die bleiernen Jahre, 2010, S. 31, 36 ff.; Korndörfer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 37, 250 ff.). Die Bewegung 2. Juni benannte sich nach dem Todestag des Studenten Benno Ohnesorg, der am 2.6.1967 bei einer Demonstration der Studentenbewegung gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien durch einen Polizisten erschossen wurde (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 21 f.).

[43] § 129 StGB enthält den Straftatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen, der allen Angeklagten in unterschiedlicher Ausgestaltung vorgeworfen wurde (den Angeklagten Baader, Ensslin und Meinhof die Gründung und Beteiligung als Rädelsführer, dem Angeklagten Raspe die Beteiligung an der kriminellen Vereinigung als Mitglied).

[44] S. dazu bereits die Fn. 21.

[45] Zwischen dem 22. April und dem 13. Mai 1975 und damit kurz vor Beginn der Hauptverhandlung wurden die Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele, zu diesem Zeitpunkt allesamt Verteidiger von Andreas Baader, auf Grundlage des erst am 1.1.1975 in Kraft getretenen § 138a StPO wegen des Verdachts der Tatbeteiligung (Unterstützung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB) von der Mitwirkung im Verfahren ausgeschlossen; zudem wurden strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 156 ff., S. 537 ff.; s. auch die angehängte Chronik in Dreßen [Hrsg.], Politische Prozesse ohne Verteidigung?, 1976, S. 104 f.). Am 23. Juni 1975 wurden die Kanzleiräume der Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele sowie der Rechtsanwältin Becker durchsucht. Rechtsanwältin Becker wurde einen halben Tag festgehalten und schließlich wieder entlassen, Dr. Croissant und Ströbele wurden verhaftet (s. hierzu die Ausführungen des Rechtsanwalts Dr. Heldmann am 9. Verhandlungstag, S. 748 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, und der Rechtsanwältin Becker, S. 754 f. des Protokolls). Der vierte Vertrauensverteidiger Baaders, Rechtsanwalt Siegfried Haag, wurde wenige Tage vor Beginn der Hauptverhandlung vorläufig festgenommen, seine Kanzlei- und Wohnräume wurden durchsucht. Der beim Bundesgerichtshof beantragte Haftbefehl wurde zunächst abgelehnt. Als er im Beschwerdeverfahren schließlich erteilt wurde, war Haag bereits untergetaucht und hatte sich der RAF angeschlossen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 212 f.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 69; s. auch die Presseerklärung Haags in Anlage 1 zum Protokoll vom 21.5.1975, S. 12 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag).

[46] Am 185. Verhandlungstag wurde bekannt, dass vertrauliche Verteidigungsgespräche in der Haftanstalt Stuttgart-Stammheim abgehört worden waren. Die Vertrauensverteidigung wirkte fortan nicht mehr an der Hauptverhandlung mit. Rechtsanwalt Schily erklärte dazu: „Was hier stattfindet in diesem Verfahren, das kann man nicht anders benennen als die systematische Zerstörung aller rechtsstaatlichen Garantien. Insofern hat das Verfahren für den Zustand dieser Republik in politischen Verfahren [...] seine exemplarische Bedeutung. Die Verteidigung kann es unter keinen Umständen verantworten, hier auch nur eine Minute länger in dem Verfahren mitzuwirken, um hier noch vielleicht als eine Art Alibi aufzutreten, daß es noch so etwas gebe wie eine Verteidigung“ (S. 13712 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 185. Verhandlungstag).

[47] Die Sicherungsgruppe ist eine Abteilung des Bundeskriminalamtes. Die SoKo B/M (Sonderkommission Baader/Meinhof) wurde 1971 als Teil der Sicherungsgruppe für Ermittlungen betreffend die RAF eingerichtet (Klaus, Sie nannten mich Familienbulle, 2008, S. 23).

[48] Für die Behandlung von Kriegsgefangenen gelten nach dem humanitären Völkerrecht (welches im internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt anwendbar ist) besondere Bestimmungen. Diese sind im Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen (III. Genfer Konvention) von 1949, sowie in den beiden Zusatzprotokollen von 1977 niedergelegt. Danach sind Kriegsgefangene jederzeit mit Menschlichkeit zu behandeln (Art. 13 der III. Genfer Konvention), sie haben unter allen Umständen Anspruch auf Achtung ihrer Person und ihrer Würde (Art. 14 der III. Genfer Konvention). In Art. 13 heißt es außerdem: „Jede unerlaubte Handlung oder Unterlassung seitens des Gewahrsamsstaates, die den Tod oder eine schwere Gefährdung der Gesundheit eines in ihrem Gewahrsam befindlichen Kriegsgefangenen zur Folge hat, ist verboten und als schwere Verletzung des vorliegenden Abkommens zu betrachten.“

[49] Als „Camera silens“ werden vollständig reizlose Räume bezeichnet. Während der 1960er Jahre intensivierte sich die Forschung zu den Wirkungen von Reizentzügen (sensorische Deprivation). U.a. forschte der tschechische Psychiater Jan Gross auf diesem Gebiet, der in der psychiatrischen Klinik Hamburg-Eppendorf seine Forschungen mit der dort vorhandenen „Camera silens“ verknüpfte. Im Zuge der Debatte um die gegen RAF-Mitglieder angewandte „Isolationsfolter“ wurden diese Forschungen von Unterstützer/innen sowie der RAF als Mittel staatlicher Vernichtungspläne propagandistisch umgedeutet (Koenen, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 2, 2006, S. 994 ff.; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 99, 112).

[50] Bevor die Anklage verlesen werden kann hat zunächst die Vernehmung zur Person zu erfolgen (§ 243 StPO). Hierzu kam es aufgrund vorrangiger Anträge erst am 26. Verhandlungstag.

[51] Das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) wurde schließlich am 16.3.1976 verkündet und trat am 1.1.1977 in Kraft (BGBl. I, S. 581). Der neu eingeführte § 89 Abs. 2 StVollzG enthält, anders als der zeitgleich aufgehobene Art. 316 Abs. 3 Satz 3 EGStGB a.F. (s. dazu bereits Fn. 38) keine Obergrenze mehr für Einzelhaft: „Einzelhaft von mehr als drei Monaten Gesamtdauer in einem Jahr bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Diese Frist wird nicht dadurch unterbrochen, daß der Gefangene am Gottesdienst oder an der Freistunde teilnimmt.“ Der Anwendungsbereich des StVollzG wurde allerdings auf Vollzug von Strafhaft sowie von freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung beschränkt (§ 1 StVollzG). Die Vollstreckung der Untersuchungshaft richtete sich weiterhin nach § 119 Abs. 3 StPO a.F. i.V.m. der Untersuchungshaftvollzugsordnung, die jedoch kein förmliches Gesetz, sondern lediglich eine Verwaltungsvorschrift war. Trotz den spätestens nach der Grundsatzentscheidung des BVerfG zur Strafhaft (BVerfG, Beschl. v. 14.3.1972 - Az.: 2 BvR 41/71, BVerfGE 33, S. 1) aufkommenden Zweifeln an einer zureichenden rechtsstaatlichen (nämlich gesetzlichen) Grundlage scheiterten alle Bemühungen um ein Bundesuntersuchungshaftvollzugsgesetz. Erst nachdem mit der Föderalismusreform 2006 die Gesetzgebungskompetenz auf die Länder überging, erließen diese entsprechende Landesgesetze (Höflich/Schriever/Bartmeier, Grundriss Vollzugsrecht, 4. Auf. 2014, S. 229 f.; Laubenthal, Strafvollzug, 6. Aufl. 2011, Rn. 929, 933).

[52] § 121 Abs. 1 StPO lautet: „Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.“

[53] Gemeint sein könnte der Fall Neumeister v. Österreich, in dem die Europäische Kommission für Menschenrechte eine zeitliche Periode von zwei Jahren, zwei Monaten und vier Tagen nicht mehr als „angemessene Frist“ i.S.v. Art. 5 Abs. 3 EMRK (Fn. 54) ansah. Die Entscheidung wurde später bestätigt durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, Neumeister v. Autriche, Urt. v. 27. Juni 1968, Nr. 1936/63).

[54] Nach Art. 5 Abs. 3 EMRK haben Untersuchungsgefangene „Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung während des Verfahrens“.

[55] Der Finanzmakler Karl-Heinz Wemhoff stand im Verdacht, Angestellte der August-Thyssen-Bank zu einer Veruntreuung von Beträgen in Millionenhöhe angestiftet zu haben. Nach seiner Festnahme im November 1961 in Berlin verbrachte er die Zeit bis zu seiner Verurteilung, insgesamt vier Jahre und einen Monat, in Untersuchungshaft. Dies stellte nach Auffassung der zunächst damit befassten Europäischen Kommission für Menschenrechte eine Verletzung des Art. 5 Abs. 3 EMRK dar, nicht aber nach Auffassung des hierüber schließlich entscheidenden Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der eine Verletzung der EMRK insgesamt verneinte (EGMR, Wemhoff v. Germany, Urt. v. 27.6.1968, Nr. 2122/64).

[56] Notwendigerweise Gegenstand der Hauptverhandlung ist alles, was der Beantwortung der Schuld- und Straffrage dient, d.h. der Tathergang, die Schuld der/des Angeklagten sowie die Höhe der Strafe, da nur solche Tatsachen zur Begründung des Urteils herangezogen werden dürfen, die (prozessordnungsgemäß) in die Hauptverhandlung eingeführt wurden (§ 261 StPO). Für den Vollzug der Untersuchungshaft und damit auch für die Haftmodalitäten liegt die gerichtliche Zuständigkeit zwar auch beim Gericht der Hauptsache (§ 126 Abs. 2 StPO); allerdings erfolgt eine Erörterung der Fragen üblicherweise außerhalb der Hauptverhandlung, weil sie zur Beantwortung der Schuld- und Straffrage nicht von Belang sind.

[57] Zum Gang der Hauptverhandlung s. bereits Fn. 20. § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO a.F. (heute: Abs. 5 Satz 1) schreibt vor, dass Angeklagte vor der Vernehmung zur Sache darauf hingewiesen werden müssen, dass es ihnen freistehe, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Unterbleibt diese Belehrung, so kann das Urteil mit dem Rechtsmittel der Revision angegriffen werden. Das Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler, welches für eine erfolgreiche Revision erforderlich ist (§ 337 Abs. 1 StPO), ist aber ausgeschlossen, wenn sicher ist, dass die/der Angeklagte diese Rechte bereits kannte (Arnoldi, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 243 Rn. 99).

[58] Anlage 3 zum Protokoll vom 9.07.1975: Antrag auf Aufhebung der Isolationshaft für den Angeklagten Raspe.


[a] Handschriftlich eingefügt: auf

[b] Handschriftlich eingefügt: kennt

[c] Handschriftlich eingefügt: Es

[d] Handschriftlich eingefügt: in

[e] Handschriftlich eingefügt: nach

[f] Handschriftlich ersetzt: nicht durch wünscht

[g] Handschriftlich durchgestrichen: sich

[h] Handschriftlich eingefügt: er

[i] Handschriftlich ersetzt: die sich durch wie die

[j] Handschriftlich durchgestrichen: ich würde und

[k] Handschriftlich durchgestrichen: sie

[l] Handschriftlich durchgestrichen: sie

[m] Handschriftlich eingefügt: in

[n] Maschinell durchgestrichen: in seiner

[o] Handschriftlich ersetzt: Safe durch Sjef

[p] Handschriftlich durchgestrichen: der

[q] Handschriftlich durchgestrichen: nicht

[r] Handschriftlich ersetzt: der durch die

[s] Handschriftlich durchgestrichen: daß

[t] Handschriftlich durchgestrichen: ganz

[u] Handschriftlich durchgestrichen: verhindere

[v] Handschriftlich ergänzt: einen

[w] Maschinell ergänzt: Argumentationen

[x] Maschinell durchgestrichen: Gegenvorstellungen

[y] Handschriftlich ersetzt: das durch die

[z] Handschriftlich durchgestrichen: Parteilichkeiten

[aa] Handschriftlich durchgestrichen: sollte

[bb] Maschinell eingefügt: ihn

[cc] Handschriftlich ergänzt: einen

[dd] Handschriftlich ergänzt: einen

[ee] Handschriftlich ersetzt: der durch den

[ff] Handschriftlich ergänzt: einen

[gg] Handschriftlich durchgestrichen: das

[hh] Handschriftlich ergänzt: einen

[ii] Handschriftlich ergänzt: einen

[jj] Handschriftlich ergänzt: Staatsschutzes

[kk] Handschriftlich ersetzt: hat durch gibt

[ll] Maschinell eingefügt: sie

[mm] Handschriftlich durchgestrichen: Druck

[nn] Maschinell ersetzt: der bis jetzt nicht durch nicht mehr anwesend ist.

[oo] Maschinell eingefügt: volle

[pp] Handschriftlich eingefügt: RA. v. P.: ...

[qq] Maschinell eingefügt: RA. v. Pl. spricht zu den Angekl.

[rr] Maschinell eingefügt: Öffentlichkeit täuscht, nämlich

[ss] Maschinell durchgestrichen: in

[tt] Maschinell eingefügt: nur

[uu] Maschinell eingefügt: die

[vv] Handschriftlich eingefügt: gibt,

[ww] Handschriftlich ersetzt: Lärmprozesse durch Lernprozesse

[xx] Handschriftlich ergänzt: ihnen

[yy] Maschinell ergänzt: vorgelegen

[zz] Maschinell eingefügt: also

[aaa] Handschriftlich eingefügt: ist