6. Verhandlungstag

Fortsetzung der Verhandlung am Mittwoch, den 18. Juni 1975, 9.05 Uhr



[541] Fortsetzung der Verhandlung am Mittwoch, den 18. Juni 1975, 9.05 Uhr.

(6. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte waren anwesend:

Just. Ass. z. A. Clemens,

Just. Ass. z. A. Scholze.

Die Angeklagten waren anwesend mit ihren Verteidigern:

Rechtsanwälte Becker, Riedel, v. Plottnitz, Eggler, Künzel, Schnabel, Schwarz, König, Linke, Grigat.

Vors.:

Bevor ich die Sitzung heute eröffne, ist noch ein technischer Hinweis zu geben.

Dem Senat ist durch Äußerungen von Rechtsanwalt Schily[1] und durch Presseveröffentlichungen aufgefallen, daß von Seiten der Verteidigung die Schaltung der Mikrophonanlage in Zweifel gezogen wird. Hierzu ist zu sagen:

Die hier eingebaute Anlage verträgt höchstens drei bis vier gleichzeitig eingeschaltete Mikrophone, sonst ist ihr Funktionieren nicht gewährleistet. Da erfahrungsgemäß Mikrophone oft versehentlich eingeschaltet bleiben, ist es erforderlich, am Schaltpult des Protokollführers eine eigene Möglichkeit der Abschaltung für jedes Mikrophon zu haben. Das gilt besonders angesichts der über 20 Mikrophone im Bereich der Verteidigung, wobei zu bedenken ist, daß bei der Planung von einer viel größeren Zahl der Verteidiger auszugehen war, als sie jetzt hier tatsächlich auftreten. Das erkennende Gericht hat die Mikrophonanlage nicht entworfen. Es hat lediglich die Forderung gestellt, jedenfalls der Vorsitzende, am besten sämtliche Richter, müßten sich selbst einschalten können. Hier sei auch gewähr- [542] leistet, daß diese wenigen Mikrophone jeweils vom Benutzer abgeschaltet werden würden. Beim Vorsitzenden ergibt sich die Notwendigkeit, daß er sich einschalten kann, ganz selbstverständlich aus der Pflicht zur Verhandlungsleitung. Seitens der zuständigen Techniker wurden daraufhin - offenbar der Einfachheit halber - sämtliche Mikrophone der obenliegenden halbkreisförmig angebrachten Tischreihe - also Protokollführer, Richter und Bundesanwaltschaft - so geschaltet, daß am Schaltpult kein eigener Ein- und Abschaltknopf vorhanden ist. Durch völliges Zurückdrehen der Lautstärkeregler können freilich auch diese Mikrophone auf Null gebracht werden.

Mit einer Benachteiligung der Verteidigung oder Bevorzugung der Bundesanwaltschaft hat dies alles nicht das Mindeste zu tun. Es ist auch nicht ersichtlich, daß durch diese Schaltung bisher die Verteidigung irgendwie benachteiligt worden wäre. Wer hier den Prozeß beobachtet hat, weiß, daß einer Flut von Wortmeldungen und auch schlichten Wortergreifungen der Verteidiger eine verschwindend geringe Zahl von Wortmeldungen der Bundesanwaltschaft gegenübersteht. Um trotzdem auch den leisesten Zweifel auszuräumen, hat das Gericht gleichwohl die Anlage inzwischen ändern lassen. Auch die Mikrophone der Bundesanwaltschaft sind jetzt vom Schaltpult des Urkundsbeamten aus zu bedienen.

Ich darf nun zunächst feststellen, daß die Sitzung eröffnet wird.

Rechtsanwalt Schlaegel ist entschuldigt. (siehe Bl. 543) Herr Rechtsanwalt Schily fehlt. Er hat mitteilen lassen, daß er verspätet mit dem Flugzeug hier angekommen ist; er wird noch im Laufe des Vormittags erscheinen.

Herr Rechtsanwalt Heldmann ist nicht da. Ich weiß nicht, ist ...

Herr Rechtsanwalt v[on] Plottnitz.

RA v[on] Plottnitz:

Ich hab etwas dazu zu sagen.

[543][2] [544] Ich weiß nicht, ob den Senat unsere Mitteilung nebst Bitte erreicht hat, zu warten, bis der Kollege Schily eintrifft. Bei dem Kollegen Schily kann die Verspätung nur unerheblich sein, und zwar deshalb, weil er erst heute früh in Berlin abfliegen konnte. Er war gestern beteiligt an einem Streitgespräch, glaube, ich mit Herrn Justizminister Posser. Er kommt an auf dem Flughafen in Stuttgart um 8.30 Uhr oder 8.35 Uhr, ist also grade auf dem Weg schon hierher. Falls der Senat in Kenntnis unserer Bitte begonnen hat, wiederhole ich hiermit den Antrag:

zu unterbrechen, bis der Kollege Schily eingetroffen ist.

Was den Kollegen Heldmann angeht.

Wir kennen ihn als überaus pünktlichen und zuverlässigen Kollegen. Wir hatten uns mit ihm heute früh hier um 8.00 Uhr verabredet. Wenn er bis jetzt nicht eingetroffen ist, muß das auch auf höhere Gewalt, etwa Verkehrsstauung oder Unfälle, zurückzuführen sein.

Insoweit gilt auch das gleiche; auch insoweit wird von uns beantragt:

zu unterbrechen, bis der Kollege Heldmann eingetroffen ist.

Vors.:

Dem Senat ist das, was Sie sagen, zur Kenntnis gelangt, jedenfalls, was Herrn Rechtsanwalt Schily betrifft. Wir haben ja im Augenblick nur Dinge vor, die jetzt z. B. durch die Unterrichtung der Angeklagten über das Geschehen in der letzten Sitzung[3] Herrn Rechtsanwalt Schily durchaus bekannt sind. Es besteht kein Grund, deswegen zuzuwarten. Wir hoffen, daß bis zu dem Zeitpunkt, wo es wieder zu Entscheidungen kommt oder Anträgen, die für Herrn Rechtsanwalt Schily neu sind, bzw. an denen er mitbeteiligt ist, daß er bis dahin auftreten kann.

[545] RA v[on] Pl[ottnitz]:

Ich bin sicher, der Kollege Schily hätte sich ebenso wie der Kollege Heldmann z. B. schon brennend für das interessiert, was Sie heute zur Frage der Mikrophonanlage etwa gesagt haben.

Also falls der Senat fortzufahren gedenkt, dann werde ich - Sie selbst sind ja offensichtlich nicht bereit zu unterbrechen - das beanstanden, um eine Senatsentscheidung bitten ...

Vors.:

Ich darf darauf hinweisen, daß der Senat sich um möglichste Pünktlichkeit bemüht, im Interesse aller Beteiligten, grundsätzlich.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Herr Vorsitzender, das ist doch ... das wäre doch nicht die erste Hauptverhandlung, in der aus plausiblen Gründen ein Verfahrensbeteiligter sich einmal verspätet.

Vors.: (einwerfend)

Nein. Da haben Sie vollkommen recht.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Nicht. Es ist deutsche Gerichtsübung, in solchen Fällen zu warten.

Wir hätten ja auch keine Bedenken zu warten, wenn etwa auf Seiten der Bundesanwaltschaft einmal eine Verspätung eintritt.

Vors.:

Es ist keine deutsche Gerichtsübung dort, wo so viele Beteiligte vorhanden sind, wie hier in diesem Verfahren, zu warten, wenn ein Beteiligter sich mal, sei es auch aus zwingenden Gründen, verspäten muß.

Ich darf jetzt ...

[546] RA v[on] Pl[ottnitz]:

Herr Vorsitzender, bei einem Verfahren, das auf längere Zeitdauer angelegt ist, ...

Vors.: (wirft ein):

Herr Rechtsanwalt v[on] Plottnitz, ich habe Ihre ...

RA v[on] Pl[ottnitz]:

... dann kann es doch keine Rolle spielen, ob man mal 15 Minuten wartet, weil ein Kollege auf dem Weg vorn Flughafen hierher entsprechende Zeit sich verspätet.

Vors.:

Ich habe im Augenblick Ihnen ja schon erkennbar gemacht, daß ich nicht bereit bin, mit der Verhandlung zu warten, bis Herr Rechtsanwalt Schily eintrifft.

Wenn Sie diese Maßnahme beanstanden wollen ...

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Das habe ich bereits erklärt, daß ich die Maßnahme beanstande und um eine Entscheidung des Senats bitte.

Vors.: (Nach geheimer Umfrage):

Der Senat hat beschlossen:

Im Hinblick auf die große Zahl der Beteiligten kann im Einzelfall nicht unterbrochen bzw. zugewartet werden, wenn sich ein einzelner Beteiligter verspätet.

Der Antrag wird abgelehnt.

Zunächst sind nunmehr die Angeklagten zu unterrichten über das, was geschehen ist während ihrer Abwesenheit am letzten Sitzungstag.

[547] Zunächst hat Herr Rechtsanwalt Künzel den Antrag auf Anhörung eines ihm benannten Sachverständigen beantragt, der bestätigen können sollte, daß Sie tatsächlich verhandlungsunfähig[4] sind. Nachforschungen nach der Person dieses benannten Sachverständigen haben ergeben, daß es ihn jedenfalls bei dem Institut, für das er zu sprechen vorgab, nicht gibt. Er hatte auch von diesem Institut keinen Auftrag.

Sodann hat die Bundesanwaltschaft Stellung genommen, einmal zu dem Ablehnungsantrag, der gegen den Sachverständigen Dr. Henck gestellt worden war und zum andern zu dem Antrag auf Einstellung des Verfahrens und Entlassung der Angeklagten.

Diese Stellungnahme besagt kurz zusammengefaßt folgendes:

Was die Befangenheit des Herrn Dr. Henck anlangt, die[a] ja u. a. auch damit begründet worden war, daß seine Sachkunde nicht ausreiche, und er sich trotzdem ein Urteil anmaße. Dies[b] sei unrichtig. Diese Behauptung, die Sachkunde fehle, sei durch nichts belegt. Der Sachverständige habe seine Sachkunde in einer jedem verständlichen Weise dargetan.

Zu dem Antrag, das Verfahren einzustellen, die Angeklagten zu entlassen, führte die Bundesanwaltschaft aus, daß die Angeklagten verhandlungsfällig seien; sie könnten ihre Interessen in vernünftiger Weise wahrnehmen und seien in der Lage, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen. Darauf käme es allein in diesem Zusammenhang an. Die Bundesanwaltschaft vertritt die Auffassung, es wirke geradezu lächerlich und berühre die Grenzen des Zumutbaren, wenn angesichts des heute, also am letzten Verhandlungstag, gezeigten Verhaltens der Angeklagten, insbesondere aber der des Angeklagten Baader, die Frage nach der Verhandlungsfähigkeit überhaupt gestellt werde. Bei der offensichtlich vorhandenen Verhandlungsfähigkeit erübrige es sich, weitere Sachverständige zu hören.

Die Ausführungen von Frau Rechtsanwältin Becker, die im ...

(RA Heldmann ist um 9.15 Uhr erschienen)

[548] Guten Tag, Herr Rechtsanwalt,

... die im Antrag vorgetragen worden seien, lägen generell neben der Sache und wo das nicht zutreffe, so stellten sie nur Polemik und auf Publikumswirkung bedachte Agitation dar. Das wurde von der Bundesanwaltschaft auch belegt durch den Antrag, den Herr Rechtsanwalt Heldmann eingangs gestellt hatte. Hier führt die Bundesanwaltschaft aus:

Die von Herrn Rechtsanwalt Heldmann geforderte Prozeßunterbrechung von zehn Tagen möge zwar auf den ersten Blick maßvoll klingen; dem aufmerksamen Zuhörer sei aber wohl nicht entgangen, daß diese zehn Tage lediglich der Vorbereitung des Verteidigungsverhältnisses dienen könnte - nicht so, wie es weitgehend aufgefaßt worden ist: der Einarbeitung in die Akten -, und wörtlich sagt die Bundesanwaltschaft:

Hätte der Senat dem Antrag stattgegeben, wäre Rechtsanwalt Heldmann mit Sicherheit mit weiteren Unterbrechungs- oder gar Aussetzungsanträgen gekommen. Und dieses den Prozeß um Monate hinausschiebende Spiel, hätte durch Beauftragung weiterer Verteidiger, durch Niederlegung bereits gewählter Verteidiger und durch Bestellung wiederum neuer Verteidiger endlos fortgesetzt werden können, um den Prozeß scheitern zu lassen.

Das waren die Ausführungen der Bundesanwaltschaft zu der Entscheidung, die der Senat noch zu treffen haben wird. Ich darf nun zunächst aber noch darauf hinweisen, Herr Baader, daß Sie beim letzten Auszug das Mikrophon benutzt haben, um damit Krawall zu machen. Ich kann Sie nur in Ihrem eigenen Interesse davor warnen, das zu wiederholen. Das Mikrophon hat’s zwar überstanden. Wir haben natürlich das Mikrophon, als die Techniker hier waren, um neu umzuschalten, auch gleichzeitig untersuchen lassen. Die Techniker meinten: Einen weiteren solchen Schlag, wie Sie hier ausgeführt haben, würde es nicht überstehen; mit anderen Worten: Das, was Sie von vornherein schon beanstandet haben, daß man Ihnen das Wort entzöge, würden Sie sich durch Abschalten des Mikrophons bei der Wiederholung selbst zuziehen.

[549] Das Gericht kommt ...

Ja. Das ist noch zu erwähnen, daß das Ablehnungsgesuch gegen Herrn Dr. Henck vom Senat abgelehnt worden ist.

Das Gericht kommt damit zur Verkündung des Beschlusses über den Einstellungsantrag. Insoweit allerdings möchten wir die Pause einlegen, um Herrn Rechtsanwalt Schily Gelegenheit zu geben, bei dieser Verkündung mitanwesend zu sein.

Damit wird unterbrochen.

Ich bitte, mir sofort zu melden, wenn Herr Rechtsanwalt Schily kommt.

Die Angeklagten können im Saale bleiben.

(Pause von 9.20 Uhr - 9.45 Uhr)

[550] Fortsetzung um 9.45 Uhr.

Rechtsanwalt Künzel ist nicht mehr anwesend[c].

Rechtsanwalt Schily ist nunmehr auch anwesend.

Vors.:

Ich stelle fest, daß Rechtsanwalt Schily anwesend ist.

Weiterhin weise ich darauf hin, daß bei der großen Zahl der Prozeßbeteiligten bei Verhinderung eines Prozeßbeteiligten keine Rücksicht genommen werden kann. Eine Ausnahme ist heute wegen den bekannten Verhinderungsgründen von Rechtsanwalt Schily gemacht worden.

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, bitte

RA v[on ]Pl[ottnitz]:

Ich bitte[d] den Gefangenen, also in meinem Fall dem Herrn Raspe, Gelegenheit zu geben, zur Vernehmung des Herrn Sachverständigen Dr. Henck[5] nach § 257 StPO,[6] der nicht abgeschafft ist, das ist hier manchmal mißverständlich dargestellt worden, § 257a[ StPO], der abgeschafft wurde,[7] eine Erklärung abzugeben.

Vors.:

Erklärungen[e], das habe ich jetzt schon wiederholt betont, sind in diesem Verfahrensstadium ... Ja nun, es ist ein Freibeweis[8]. An sich gilt da der [§ ]257[ StPO] überhaupt nicht in diesen Rahmen[9]. Ist die Erklärung länger, Herr Raspe?

Ich glaube, Herr Baader gibt mir jetzt darauf Antwort, wie lang’ der Vortrag etwa dauern würde.

[551] Angekl. B[aader]:

Ich mache die Erklärung. Aber ...

Vors.:

Dauert die Erklärung länger, Herr Baader

Angekl. B[aader]:

... ich kann das jetzt nicht sagen, wie lang sie dauert, weil es davon abhängt, was mir einfällt. Aber ...

Vors.:

Es würde mich für die Entscheidung, ob Sie die Erklärung abgeben können, durchaus interessieren, wie lang Sie zeitlich einplanen dafür.

Angekl. B[aader]:

Vielleicht 20 Minuten.

Vors.:

20.

Gut, das sei Ihnen genehmigt.

Angekl. B[aader]:

Aber zunächst war doch der Antrag zu stellen, daß Henck, der ja als Gutachter nach wie vor hier in diesem Verfahren ist, nochmals vernommen werden kann, denn wir haben noch Fragen an Henck, und wir haben ein paar ... uns sind noch ein paar Tatsachen bekannt geworden in der Zwischenzeit, die seine Glaubwürdigkeit oder seine Integrität als Gutachter hier nochmal in Zweifel ziehen.

Vors.:

Sie wollen die Erklärung abgeben. Ich darf Ihnen aber voraussagen, Herr Baader: Sie werden mit Herr angeredet, und ich glaube, es ist nicht zu viel verlangt, wenn Sie diese übliche Höflichkeitsformen auch im Umgang mit anderen Menschen anwenden würden.

[552] Also zumindest den „Herrn Henck“ könnten Sie aus dem Sachverständigen machen.

Nun, bitte, beginnen Sie zunächst mit Ihrer Erklärung.

Angekl. B[aader]:(am Anfang schwer zu verstehen)

... können Sie nicht zunächst ... Also, dann formulier ich es als Antrag.

Zunächst beantrage ich die Möglichkeit, die Vernehmung von Henck als Gutachter..., der noch als Gutachter in diesem Verfahren ist, fortsetzen zu können, d. h. Fragen an ihn stellen zu können. Ich bitte darüber einen Gerichtsbeschluß.

Vors.:

Dann geben Sie doch eine Begründung, warum Sie’s beantragen.

Angek. B[aader]:

Na ja, ich sagte doch, es sind Tatsachen bekanntgeworden, die seine Glaubwürdigkeit als Gutachter nochmal in Zweifel ziehen lassen.

Vors.:

Welche Tatsachen sollen das sein.

Angekl. B[aader]:

Ja, das wird ... Das läßt sich besser in der Verfragung entwickeln. Die muß ich Ihnen jetzt nicht mitteilen.

Vors.:

Dann ist Ihr Antrag nicht begründet, wenn Sie ihn nicht begründen wollen. Die bloße Behauptung, daß Sie Tatsachen in[f] dieser Richtung sehen, ist keine Begründung.

Wir würden uns schon dafür interessieren, sonst haben wir keine Beurteilungsgrundlage.

Ich gehe davon aus, Herr Rechtsanwalt Heldmann...

Sie wollen das Wort haben, bitte.

[553] RA H[eldmann]:

Erlauben Sie, daß ich[g] für Herrn Baader weiterspreche und diesen Antrag, den ich ebenfalls für Herrn Baader stelle, damit begründe, daß zunächst Tatsachen bekannt geworden sind, die die Sachkunde des Herrn Henck in Frage stellen.

2. ... der Herr Henck hier herausgekommen ist, nachdem er dem Gericht angegeben hatte, er kenne die Fachliteraturen und zwar die medizinisch empirische Fachliteratur über die Folgen langdauernder Isolierung, auf Befragen dann aber zugeben mußte, daß er nicht ein einziges Stück aus der Fachliteratur gelesen hat. Es wären ihm also Vorhalte aus der Fachliteratur selbst zu machen, die die Sachkunde des Herrn Henck, als er uns jene Fragen beantwortet hatte, nun demonstrieren sollen. Das ist die Begründung für ... die doppelte Begründung für den Antrag, Herrn Henck als Sachverständigen erneut hier zu hören.

Vors.:

Darf ich die Bundesanwaltschaft um eine Stellungnahme bitten?

BA Dr. W[under]:

Herr Vorsitzender, die Bundesanwaltschaft hat die Erklärungen zu den Bekundungen des Sachverständigen abgegeben; sie bleibt dabei.

Vors.:

Wir werden uns über diesen ...

Verzeihung, Herr Rechtsanwalt Heldmann.

RA H[eldmann]:

Dann erlauben Sie mir aber, auch die Herren der Bundesanwaltschaft noch einmal daran zu erinnern: Herr Dr. Henck als Sachverständiger hat zu der Frage - obgleich sie wiederholt worden war - zu einer etwaigen parziellen, also nur zeitlichen Verhandlungsunfähigkeit zu einer zeitlich beschränkten Verhandlungs- [554] fähigkeit, keine ausdrückliche Stellung genommen.

Vors.:

Wir werden uns über den Antrag kurz beraten.

Rechtsanwalt Künzel [h] erscheint wieder um 9.50 Uhr [i] im Sitzungssaal.

Das Gericht zieht sich um 9.50 Uhr zur Beratung zurück. Nach Wiedereintritt um 9.55 Uhr wurde folgendes verkündet:

Vors.:

Der Senat hat beschlossen:

Der Antrag auf erneute Anhörung des Sachverständigen Dr. Henck wird abgelehnt.

Gründe:

Der Sachverständige ist hier zu den einschlägigen Fragen eingehend gehört worden. Die Prozeßbeteiligten hatten ausreichende Gelegenheit, den Sachverständigen zu befragen. Neue Tatsachen, die eine nochmalige Anhörung des Sachverständigen erforderten, sind nicht dargetan.

Herr Baader, Sie haben Gelegenheit, jetzt Ihre Äußerung abzugeben.

Angekl. B[aader]:

Ich im Moment nicht, aber vielleicht Herr Heldmann.

RA H[eldmann]:

Dann bitte ich den Senat, einen neuen Sachverständigen, der sachverständig ist, und den wir dem Gericht noch benennen möchten, wegen mangelnder Sachkunde des Herrn Henck - das hat mit dem Befangenheitsantrag ja nichts zu tun - und der überlegenen Sachkunde des von uns zu benennenden neuen Sachverständigen, dann auf unseren Antrag hin zu benennen.

[555] Vors.:

Bitte, ja, dann müßten Sie ihn zunächst mal benennen.

RA H[eldmann]:

Ich habe den Namen im Moment nicht parat. Ich kündige diesen Antrag hiermit schon an.

Vors.:

Dieser Antrag kann ja erst dann gestellt werden, wenn das Beweismittel benannt wird.

Damit bitte ich jetzt Herrn Baader, seine Erklärung abzugeben.

Angekl. B[aader]:

Sie meinen ... Sie meinen, ich soll jetzt die Erklärung abgeben, oder Sie raumen mir jetzt die Möglichkeit ein, die Erklärung jetzt abzugeben zu dem gesamten[j] Komplex, zu der Vernehmung von Henck.

Vors.:

Es war beantragt, daß Herr Raspe eine Erklärung abgibt.

Angekl. B[aader]:

Nein, nein, es war beantragt, daß ich eine abgebe.

Vors.:

Was wollen ... Ich denke, Sie wollen jetzt zur Anhörung des Sachverständigen eine Erklärung abgeben.

Angekl. B[aader]:

Ja, zu der Frage ...

Vors.:

Also, dann verstehen wir uns richtig.

[556] Angekl. B[aader]:

... und zu dem Antrag, d. h. zu diesem ganzen Komplex Folter, Verhandlungsunfähigkeit durch Folter.

Dazu ist zu sagen, daß wir sicher nicht mit der Folterungsmeditation, wie Sie in dem Antrag entwickelt ist, identifiziert werden wollen. D. h., wir machen uns nicht zu dem Objekt. Sie versuchen den Gefolterten zum Begriff der Folter zu kommen, ist nicht mehr ambivalent[k] (?), es ist auch unmöglich, weil es sich hier nur folgenlos auf das Entsetzen eines liberalen Staatsverständnisses über eine Entwicklung beziehen kann, die zwangsläufig ist, weil sie durch die repressive staatliche Counterbewegung in den Widersprüchen bedingt ist, die die Kapitalbewegung selbst hervorbringt. Sie wird durch die Empörung des verkommenen bürgerlichen Antifaschismus nur verschleiert. Er ist schon so schwach und in seiner Kopierung in der Sozialdemokratie oder in Revisionismus gefesselt, daß sie sie nicht einmal mehr relevant artikulieren kann. Das alte Elend, wie er sich dem Staat angedient hat, in der Hoffnung, ihn zu verändern, hat ihn der Staat verändert. Instrumentalisiert, solang es opportun war, um einer Radikalisierung zu entgehen und schließlich liquidiert, mit seinem Ausdruck der tradierten bürgerlichen Ideologie, bürgerlichen Humanismus, bürgerliche Freiheiten, die in erweitertem Reproduktionsprozesses des Kapitals im Bereich der ideologischen Staatsapparate stört.

Vors.:

Herr Baader, es scheint Verständigungsschwierigkeiten zu geben. Die Bundesanwaltschaft hat um Unterbrechung kurz gebeten. Sie werden nichts dagegen haben, wenn wir fragen. Um was geht’s dabei, Herr ...?

[557] Reg. Dir. Widera:

Ich bitte, diese Erklärung nicht entgegenzunehmen. Sie hat mit dem Verfahrensstand überhaupt nichts zu tun, soweit ich es hier verstehen konnte.

- Es wurde Beifall geklatscht. -

Vors.:

Ich darf zunächst im Saal nochmals bitten, weder Beifalls- noch Mißfallenskundgebungen ... Es geht nur darum, daß Sie hier zuhören können, mehr Rechte sind den Zuhörern nicht eingeräumt.

Wir wollen die Erklärung doch entgegennehmen. Aus der Sicht der Angeklagten geht es wohl darum, darzutun, daß Sie durch die Haftbedingungen, den Sie unterworfen waren, heute nicht verhandlungsfähig wären. Das darzutun im Anschluß an die Darstellungen des Sachverständigen ist dem Angeklagten wohl genehmigt.

Reg. Dir. W[idera]:

(der Anfang ist nicht zu verstehen) ... äußern und nicht von ganz anderen Dingen sprechen.

Vors.:

Herr Baader, fahren Sie fort.

Angekl. B[aader]:

Über Folter ist nur zu sprechen, mit den Inhalten und der Strategie, die sie abschaffen wird, revolutionäre Politik. Vom Standpunkt des bürgerlichen Antifaschismus aus wird das Gerede darüber zur Klage, die den Gefolterten dementiert. Sicher, Revolution ist Folter. Wie sie der, der ihr ausgesetzt wird, erlebt, ist ein sehr langsamer und ein zu reflektierbarer Prozeß, der Zerstörung revolutionären Intensität [558] fürchterlicher, als jeder physische Schmerz, mit dem wir einige Erfahrung haben. Politisches Bewußtsein ist im Fall der wahren Gesellschaft der Fall aus Produktion und Konsum, mit ihren komplexen kulturellen, psychologischen Vermittlungen, gegen die sich Identität nur entwickeln kann, immer ein Prozeß, der erkämpft wird.

In der Agonie der Isolation soll der Prozeß gebrochen werden und revidiert.

Vors.:

Herr Baader, es ist in der Tat so, daß Sie sich immer weiter von dem Ihnen doch wohl selbst gestellten Thema entfernen.

Angekl. B[aader]:

Ich bezweifle ... Ich erkläre, was Isolation ist im Moment, und ich bezweifle ... Anscheinend können Sie nicht folgen.

Vors.:

Ist es richtig, wenn ich Sie so verstehe, daß Sie dartun wollen, daß Sie isoliert und durch die Isolation jetzt in einen Zustand gebracht worden wären, der Sie nicht mehr verhandlungsfähig macht?

Angekl. B[aader]:

Ich rede im Moment über das, was sich an der Tatsache, daß in der Bundesrepublik Gefangene durch Isolation gebrochen werden sollen, entwickelt hat.

Und ich rede ... Hören Sie doch zu. Und ich rede ... Im Moment rede ich über den Begriff der Isolation, d. h., ich versuche den Begriff zu entwickeln.

Vors.:

Herr Baader, es kommt drauf an, daß Sie uns klarmachen, ob Sie selbst durch die Isolation, wie Sie das bezeichnen, [559] glauben Gründe zu haben, ihre Verhandlungsfähigkeit zu bezweifeln.

Angekl. B[aader]:

Dazu komme ich. Dazu rede ich im Moment. Ich rede im Moment über Isolation.

Vors.:

Im Augenblick sind Sie, wie Sie selbst erklären ...

Angekl. B[aader]:

Da ich seit 3 Jahren, wie alle anderen 3 Gefangenen, hier isoliert bin, betrifft das unmittelbar den Gang der Verhandlung.

Vors.:

Gut, dann erzählen Sie, wenn Sie wollen, das Schicksal, das Sie erlebt haben. Aber Sie sind hier nicht dazu da, jetzt mit Erklärungen die grundsätzliche Situation aller Gefangenen, die aus Ihrem Kreise stammen, d.h. also aus dem ... politischen Überzeugung, aus dem Kreise stammt, nun das Schicksal uns darzulegen. Das hat mit Ihrem konkreten Fall, der sich hier nur um die Verhandlungsunfähigkeit dreht, nichts zu tun.

Angekl. B[aader]:

Dann lassen Sie mich doch mal bitte erklären, was Isolation ist zunächst, dann werde ich zu den Folgen kommen.

Vors.:

Herr Baader, über die Isolation ist viel geredet worden, lang geredet worden. Wenn Sie uns Ihr persönliches Schicksal schildern wollen, dazu haben Sie das Recht.

Angekl. B[aader]:

Aber Moment mal, die Isolation ist mein persönliches Schicksal [560] im Moment.

Vors.:

Dann wollen Sie bitte Ihre Erklärung aber auch so fassen, daß der Bezug auf Sie, d. h. auf die hier sitzenden 4 Angeklagten immer deutlich erkennbar bleibt, sonst muß ich Ihnen in der Tat das Wort entziehen.

Angekl. B[aader]:

Zu diesem ... Zu dem Bezug einer Erklärung oder ein Begriffsentwicklung, zur Isolation, zu diesen 4 Gefangenen ist der, daß sie isoliert sind und daß dadurch, wie gesagt worden ist, ihre Verhandlungsfähigkeit eingeschränkt ist.

Vors.:

Ich fürchte, Sie haben sich hier eine Erklärung vorbereitet und kommen jetzt von dem Text nicht mehr los. Vielleicht können Sie sich ...

Angekl. B[aader]:

Also ich würde sagen, überlassen Sie das mir.

Vors.:

Nein, da täuschen Sie sich vollkommen. Sie müssen sich zu Ihrer Sache äußern und nicht generelle theoretische[l] Erklärungen abgeben wollen.

Angekl. B[aader]:

Ja habe ich’s Ihnen nicht erklärt, inwiefern Isolation meine Sache ist. Sie ist dadurch meine Sache, daß ich isoliert bin.

Vors.:

Dann gehen Sie von Ihrem persönlichen Schicksal aus. Das ist Ihnen genehmigt darzustellen.

Bitte tun Sie das.

[561] Angekl. B[aader]:

Das ist doch offensichtlich der Fall. Also kurz.

RA Sch[ily]:

Also Herr Vorsitzender, ... (ist nicht zu verstehen), diesen Streit versteh ich nicht ganz.

Ich meine nur, damit wir uns nachher ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, haben Sie im Augenblick das Wort erteilt bekommen, oder wie ist es jetzt gedacht?

RA Sch[ily]:

Ich versuche mich, mit „diesem hier“, durch Gesten bemerkbar zu machen.

Vors.:

Mit „diesem hier“, ja.

„Diesen hier“ habe ich nicht bemerkt. Bitte, Sie haben das Wort.

RA Schi[ly]:

Ich meine, daß man das doch nicht trennen kann, wenn man also Wirkung beschreiben will, dann wird man die Ursachen schildern müssen, und damit beschäftigt sich Herr Baader zur Zeit und wenn er also den Begriff der Isolation entwickelt, dann gehört das genau in den sachlichen Zusammenhang. Das ist doch eigentlich für jedermann ... muß das doch verständlich sein.

Vors.:

Das ist eine offene Türe, gegen die Sie rennen. In der Tat, ich teile Ihre Auffassung. Das habe ich ja grade im Gegensatz zur Auffassung der Bundesanwaltschaft bestätigt. Aber ...

[562] RA Sch[ily]:

Dann kann er doch jetzt den Begriff der Isolation entwickeln und dazu den Begriff der Isolation, gehört möglicherweise auch seine Zweckbestimmung.

Vors.:

Es kommt uns darauf an, daß sich Herr Baader im Rahmen dessen hält, was ihn selbst betrifft und nicht das Schicksal, das er hier erzählt, von irgendwelchen Gefangenen, die er im Auge hat, die wir wahrscheinlich nicht kennen, möglicherweise nicht kennen und deren einzelne Bedingungen wir auch nicht beurteilen können.

RA Sch[ily]:

Verzeihen Sie, aber er entwickelt den Begriff Isolation und daß der Begriff der Isolation möglicherweise weitergeht als nur sein persönliches Schicksal, das ist ja nun häufig so. Nehmen Sie mal den Begriff der Einzelhaft, der ja da ’ne gewisse Nähe dazu hat, dann werden Sie sicherlich nicht deshalb jemanden das Wort abschneiden können, weil er sagt, die Einzelhaft hat ganz generell die und die Zweckbestimmung und die und die Wirkung. Das ist doch eigentlich selbstverständlich, daß immer ein Begriff auch eine allgemeine und nicht eine besondere Seite hat.

Vors.:

Solange der Bezug erkennbar bleibt, zur besonderen Seite[m]! Und diesen Bezug möchte ich sehen.

RA Sch[ily]:

Der Bezug besteht darin, daß, wie Herr Baader das meiner Meinung nach treffend erklärt hatte, eben über Jahre hinaus isoliert war. Das ist der klare Bezug, klarer kann’s man nicht [563] ausdrücken.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, das letzte Wort, was ich jetzt meinerseits [n] dazu sage, dann soll Herr Baader möglichst fortfahren: Es ging darum gerade das Schicksal anderer Gefangenen zu erzählen. Mit denen können wir nichts anfangen. Wir kennen das Schicksal im einzelnen nicht. Wir können nur das beurteilen, was Herr Baader selbst erlebt hat.

Herr Baader, bitte fahren Sie fort.

Angekl. B[aader]:

Das ist gar nicht richtig, was Sie sagen.

Also ich hab ... Ich begreife nicht, wie Sie auf die Idee kommen, daß ich über das Schicksal anderer Gefangener spreche. Ich habe über Isolation gesprochen. Und Isolation ist unmittelbar mein Schicksal im Moment, wenn Sie so wollen.

Vors.:

Begründen Sie es mit Ihrem Schicksal, dann läßt sich das anhören.

Angekl. B[aader]:

Wenn ich zum Begriff der Isolation kommen will, dann ist das nach meiner Ansicht nun oder ist es überhaupt möglich für mich, in dem ich die Bedingung, in denen sie sich entwickelt hat und ihre Zwecke darstellt, d. h. den politischen Zusammenhang herstelle.

Vors.:

Wir wollen Sie mal weiterhören.

Angekl. B[aader]:

Nochmals.

Also politisches Bewußtsein ist in der[o] Falle der wahren Gesellschaft, [564] der Falle aus Produktion und Konsum mit ihren komplexen, kulturellen und psychologischen Vermittlungen, gegen die sich Identität nur entwickeln kann, immer ein Prozeß, der erkämpft wird. In der Agonie der Isolation soll dieser Prozeß gebrochen und revidiert werden, durch den Entzug seiner Bedingung, Praxis bewußter sozialer Interaktion wird den Gefangenen seine Geschichte genommen, seine Geschichte, insofern sie seine bewußte, seine politische Geschichte ist.

Das ist auch das Ende seiner Persönlichkeit. Insofern Geschichte der Prozeß, der und in dem sich Persönlichkeit konstituiert ist, verliert er sie. Nicht weil er sein Gedächtnis verliert, obwohl das auch eine Erscheinung ist, sondern weil die Fähigkeit, sie nachzuvollziehen, sie zu reflektieren, sie wiederzuerkennen, zerstört ist. Er regrediert und zappelt sich zu Tode zwischen den Mystikationen bürgerlicher Sozialisation, die ihn eingeholt haben und ihn, wie er ist, allein, als zutage feindliche, unbegreifliche Macht belagern. Es wird weiß, wie wir gesagt haben, Opfer. Und so wird er vielleicht auch unschuldig. In dem Moment, in dem er aufhört, zu kämpfen, in dem Moment, in dem er nicht mehr kämpfen kann. Wobei das Wesen dieses Elends ist, daß er diesen Moment lange kommen sieht und weiß, daß Isolation über Jahre so eindeutig ist, wie ein Schuß, nur unvorstellbar. Und auch das ist ein wesentlicher Aspekt, die Unvorstellbarkeit viel qualvoller. Wir selbst haben lange gebraucht, in den Trakten, um die Methode und die Absicht der Isolation zu erkennen. Die Maßnahme hat ihre Logik in der Perspektive des ganzen Systems. Den Widerspruch, den es hervorbringt, vernichten zu müssen, weil es in ihm seine endliche Vernichtung begreift, denn was umerzogen werden könnte, zerstört der Trakt. Er ist kein Projekt zur Zwangssozialisation, obwohl auch die das Problem, das sie ist, im Gefangenen nicht anders lösen kann, als durch seine Zerstörung. Der Versuch, das Ding und eine Tortur da drin so zu verstehen und zu rechtfertigen, kommt von Klug, inzwischen Justizsenator in Hamburg. Also Begriff der Umerziehung. Ganz natürliche, weil das eine kopierte liberale Maske ist, ein Liberaler, [565] die ihren dreckigen Job mit der Illusion von Werten, die auch Umerziehung verlangen würde, verklärt, über die diese Gesellschaft eben nicht mehr verfügt.

Vors.:

Herr Baader, ich muß Sie nochmals unterbrechen.

Angekl. B[aader]:

Ich bin immer noch ...

Vors.:

Das macht nichts aus.

Angekl. B[aader]:

Unterbrechen Sie mich nicht.

Vors.:

Herr Baader, Sie haben die Möglichkeit, im Rahmen dieser Anhörung des Sachverständigen Erklärungen abzugeben, die sich beziehen auf die Frage Ihrer Verhandlungsunfähigkeit. Der Zusammenhang, den Sie herstellen, ist so weit hergeholt, daß das, was Sie hier abgeben, eine allgemeine Erklärung ist, die aber nichts mit der Frage mehr zu tun hat, warum Sie jetzt im Augenblick verhandlungsunfähig sein sollen.

Zunächst mal müssen wir uns darüber unterhalten, ob Sie weiter fortfahren können. Wenn die Erklärung in diesem Stile weitergeht und nicht Bezug hat auf Ihr persönliches Schicksal, dann können Sie diese Erklärung nicht fortsetzen.

- Angekl. Baader spricht unverständlich dazwischen -

Vors.:

Bitte, dazu Mikrophon. Diese Erklärung hätte ich gern ...

[566] Angekl. B[aader]:

Naja, das ist doch sehr einfach.

Die Haftbedingungen dieser Gefangenen hier sind von wesentlichen[p] Repräsentanten der Justiz, nämlich dem Justizsenator Klug, bezeichnet worden, als ... also mit ... oder begründet worden, als eine Umerziehungsmaßnahme, d. h. eine Umerziehungsmaßnahme, die mich unmittelbar betrifft in meinen Haftbedingungen.

Vors.:

Gut, wenn Sie diesen Zusammenhang immer ... machen, dann gibts keine Schwierigkeiten.

Angekl. B[aader]:

Aber wenn Sie nicht in der Lage sind, ’ner differenzierten Argumentation zu folgen, d. h. im Zusammenhang zu sehen, der wirklich dauernd hergestellt wird, dann zerhacken Sie doch die Erklärung nach Möglichkeit nicht dadurch, daß Sie mich jedesmal dazu zwingen, Ihnen das nochmals zu erklären!

Folgen Sie dann dem Protokoll meinetwegen.

Vors.:

Ich möchte Sie veranlassen, daß Sie zu Wort kommen und zwar in einem unbeanstandeten Maße. Sie müssen dazu sich aber an die Ratschläge halten, daß Sie nämlich zu Ihrer Sache zu reden haben, nicht allgemeine Erklärungen, jedenfalls in diesem Stadium.[10] Ob Sie später Erklärung allgemeinen Inhalts abgeben können, ist ’ne ganz andere Frage.

Bitte fahren Sie jetzt fort.

Angekl. B[aader]:

Das ist doch ’ne Methode, was Sie hier machen. Das ist doch ganz klar, ich habe jetzt dreimal erklärt, Sie haben mich dreimal unterbrochen. Ich habe dreimal erklärt und ich habe belegt, daß das in einem unmittelbaren Zusammenhang steht zu meiner Situation.

[567] Vors.:

Wenn Sie glauben, daß durch die Unterbrechung die Sache verständlicher oder unverständlicher werden würde, Sie irren sich.

Angekl. B[aader]:

Zwangsläufig wird sie unverständlicher.

Angekl. E[nsslin]:

Sie stellen durch die Unterbrechung das her, was Sie hier kaputtmachen wollen.

Vors.:[q]

Herr Baader, fahren Sie bitte fort.

Angekl. B[aader]:

Also ich hab gesagt, daß Klug, weil er ein Liberaler ist, seinen Job mit der Illusion von Werten, der auch das Projekt der Umerziehung verlangen würde, verklärt, über die diese Gesellschaft nicht mehr verfügt.

Das Grundproblem ist auch in diesem Detail des Antagonismus, daß Umerziehung oder Gehirnwäsche als Projekt Legitimation vom Apparat verlangt, d. h., um es zu unterwerfen, muß der Apparat das Subjekt konstituieren können. Sache zwischen repressivem Staatsapparat und gefangenem Revolutionär ist aber, daß beide wissen, daß sie in ihrer Unversöhnlichkeit, wie ihre Beziehung, Ausdruck der Reife der Entwicklung sind, in der der Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnis antagonistisch wird, zur letzten Krise des Kapitals und damit Ausdruck der Tendenz, in der die Legitimation des bürgerlichen Staates zerfallen ist. Posser[11] als Sozialdemokrat sieht das oder er erfuhr es, konkret an der Wirkungslosigkeit seiner panischen Dementis. Er war gar nicht erst auf Umerziehung aus, sondern auf die Zerstörung Ulrikes und [568] die reibungslose propagandistische Verwertung des zerstörten Gefangenen im Prozeß, die ihn das Geständnis verschaffen sollte, den Zusammenbruch. Als Figur der staatstragenden Partei ist er da pragmatischer. Das reibungslose Ritual der Macht ist der Inhalt, den er vermitteln will, und als Reibungen auftraten, weil der Sache die Diskretion, die sie noch braucht, durch die Mobilisierung der Anwälte entrissen war, verfiel er so etwa Analog der Wahrheit der SPD, der Sozialdemokratie, ihrer Käuflichkeit. Schließlich ist die ganze Parteispitze Brandt, Schuhmacher, 45 vom amerikanischen Kapital gegen das deutsche Proletariat gekauft worden, darauf aus,[r] dem Staat einen Zeugen zu kaufen.

Vors.:

Herr Baader, es ist die Möglichkeit nicht gegeben, daß Sie jetzt fortfahren. Ihre Erklärung muß sich auf ... Herr Baader, die Erklärung muß sich zu der hier anstehenden Frage äußern. Ich kann nicht zulassen, daß Sie jetzt allgemeine Erklärungen abgeben. Dazu ist vielleicht später Raum, jetzt nicht. Ich sehe im Augenblick keinen Zusammenhang mehr zu dem Thema, von[s] dem wir sprechen. Ich erteile Ihnen damit das Wort nicht mehr. Herr Rechtsanwalt Heldmann, als Verteidiger, die Frage an Sie. Ich weiß nicht, kennen Sie den Inhalt der Erklärung?

RA H[eldmann]:

Nur soweit, wie Sie[t] bisher vorgetragen werden ist. Und da hab ich es mit großem Interesse vernommen, daß mein Mandant, Herr Baader, generell von der Erscheinung Isolierung, von ihren Ursachen und auch von ihren Folgen und auch von ihren Folgen für sie selbst gesprochen hat, daß hier und da etwas in den[u] Satz einfließt, was Sie möglicherweise nicht gern hier hören, beeinträchtigt jedoch nicht den Umstand, daß Herr Baader exakt zum Thema spricht. Das bitte ich zu berücksichtigen.

[569] Vors.:

Herr Rechtsanwalt, die Formulierung „was wir nicht gern hier hören“, ist natürlich vollkommen unkorrekt. Wir hören uns hier alles an, und ich möchte Herrn Baader auch das Gefühl geben, daß er hier zu Wort kommt. Aber er sollte zumindest den Rat berücksichtigen, weil ich ihm sonst das Wort nicht geben kann, daß er sich zur Sache äußern muß. Es gibt keinen Grund, jetzt Dinge, die überhaupt nichts mit dazu ... anstehenden Entscheidung zu tun haben, erörtern zu lassen. Vorwürfe gegen einzelne Politiker, dieses jetzt hier anzubringen, hat nichts mit der Frage zu tun, ob er verhandlungsfähig ist, ob er isoliert worden ist, ob die Isolation einen Einfluß auf seine Verteidigungsmöglichkeit hat.

Herr Baader, Sie haben jetzt das Wort nicht. Ich bin gerne bereit, Ihnen die Gelegenheit zu geben, mit Herrn RA Heldmann die Erklärung ganz kurz durchzusprechen. Wir machen auch dafür eine Pause, aber sie muß dann konzentriert auf das sein, was hier ansteht. So wie sie jetzt gehalten ist, kann die Erklärung nicht vorgetragen werden. Das wird Ihnen auch als Verteidiger durchaus einsichtig sein.

RA Dr. H[eldmann]:

Es schien Ihnen nicht ... Es schien Ihnen nicht, da Sie mich gerade gefragt haben ... schien Ihnen nicht sehr erheblich zu sein, daß Herr Baader auch gezeigt hat, wie etwa die maßgeblichen Politiker, Posser und Klug, sich zu dem Phänomen, von dem wir hier sprechen, gestellt haben, wie sie es begründet haben, wie sie es toleriert haben und sie es vertuscht haben?

Vors.:

Nein, es scheint mir gar nicht wichtig zu sein, daß derartige Behauptungen und Vorwürfe hier erhoben zu werden. Es kommt darauf an, festzustellen, ob bestimmte Ursachen vorhanden waren, die Wirkungen haben auf die Frage der Verhandlungsfähigkeit. Weiter geht es nicht, und weiter kann sich Herr [570] Baader im Augenblick nicht erklären. Ich möchte darüber nicht mehr viel Zeit verlieren.

Frage: Sind Sie bereit, mit ihm die Erklärung durchzugehen und sie vielleicht zu ...

RA H[eldmann]:

Ich bin bereit.

Vors.:

Dann machen wir dafür eine kurze Unterbrechung.

- RA Schily erklärt, er wolle jetzt das Wort nehmen -

Herr Rechtsanwalt, das Wort „nehmen“ ist gut, das Wort „nehmen“ ist gut, es entspricht der Wirklichkeit.

Ich war im Augenblick noch nicht mit Herrn Rechtsanwalt Heldmann zu Ende. Ich wollte ihn bitten, diese Pause dazu zu benützen, daß man die Sache in einen Sachbezug zu der anstehenden Frage bringt.

Wie lange, glauben Sie, dazu zu benötigen?

RA H[eldmann]:

Ich weiß nicht, ich ...

- Angekl. Meinhof spricht dazwischen -

Vors.:

Frau Meinhof, Sie sind im Augenblick nicht gefragt. Sie sind nicht gefragt. Frau Meinhof, Sie sind nichts gefragt.

Angekl. M[einhof]:

Wir verlangen natürlich, daß Sie uns einfach mal zuhören, und daß Sie vielleicht mal den Versuch machen ...

Vors.:

Sie haben hier nichts in dieser Richtung zu verlangen. Wir tun das ohnehin.

Frau Meinhof, ich will es nicht weiter ausführen.

Herr Rechtsanwalt Schily, ich glaube, ich bin noch nicht am [571] Ende mit Herrn Rechtsanwalt Heldmann.

Wie lange wird’s dauern?

RA H[eldmann]:

Bitte schön, 20 Minuten.

Vors.:

Schon wieder 20 Minuten.

Herr Rechtsanwalt, ich habe jetzt nicht verstanden. Bitte das Wort für Herrn Rechtsanwalt Schily.

RA Sch[ily]:

Ich halte es für unzumutbar, und es würde zu den vielen grellen Scheinwerfern, die sich auf dieses Verfahren richten, noch ein weiteren hinzufügen.

Ich halte es für unzumutbar und unzulässig, daß etwa das Gericht darüber bestimmt, was der Begründung eines Antrages dient oder nicht. Das ist ureigenste Sache der Verteidigung und Ratschlage werden da von den Verteidigern erteilt, wie es jetzt ... auch mein Kollege Heldmann in[v] einer Pause noch tun wird, aber nicht vom Gericht.

Es ist ... versteht sich von selber in einem politischen Prozeß, um den es sich hier handelt, daß Sachverhalte, wie es beispielsweise die Isolation darstellt, in einen größeren politischen Zusammenhang gehören, und das ist hier ein Faktum, an dem sich das Gericht - entschuldigen Sie den harten Ausdruck - nicht vorbeimogeln kann, daß ja hier diese Dinge, Isolation, Sonderbehandlung politischer Gefangener an höchster Stelle koordiniert, unter bestimmten Zwecken entschieden werden. Und wenn Herr Baader diesen Zusammenhang darstellt, der ja von solchen Isolationsmaßnahmen nun in einer Härte betroffen war, wie Sie sicher in dem großen Antrag gehört haben, dann ist das genau das Recht des Angeklagten, wenn ihm nicht das Wort verboten werden soll. Allerdings, wie gesagt, wenn Sie ihm das Wort dazu verbieten, wiederum, dann liefern Sie eine [572] weitere Beurteilungsgrundlage, für das, mit dem, was hier in dem Verfahren zu tun haben.

- Zwischenruf von Reg. Dir. Widera und OStA Zeis, für wen RA Schily spreche. -

Vors.:

Ich darf Ihnen zunächst antworten:

Es ist ganz selbstverständlich, daß die Frage, die hier angeschnitten worden ist, sich auf alle Angeklagten bezieht, nämlich die Frage des politischen Prozesses und welche Äußerungsmöglichkeit man habe. Insofern hat Herr Rechtsanwalt Schily das Recht, hier das Wort zu ergreifen. - (zu RA Schily): Sie mögen sich durch gewisse Scheinwerfer, von denen Sie reden, ermutigt sehen zu solchen Ausführungen, sachlich richtig sind sie nicht. Sie könnten vielleicht in der Prozeßordnung nochmals nachlesen, daß der Vorsitzende angehalten ist, ungeeignete Ausführungen zurückzuweisen,[12] im Interesse der Konzentration eines Prozesses; bei dem war ich eben. Ich möchte vermeiden, daß diese Ausführungen, wie sie Herr Baader hier zusammengestellt hat, nun in seinen Augen völlig untergehen, deswegen gebe ich Herrn Rechtsanwalt Heldmann die Gelegenheit, sich mit ihm kurz darüber zu unterhalten.

Ich würde dazu vorschlagen, wir machen dazu eine viertel Stunde Pause, die hiermit eintritt.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

(nicht zu verstehen)

Vors.:

Zu welcher Frage wollen Sie jetzt rechtliches Gehör haben?

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Zu der Frage, zu der sich etwa auch der Kollege Schily jetzt geäußert hat, zu der Frage, zu der sich auch Kollege Schily geäußert hat.

Vors.:

Ja, zu was wollen Sie denn rechtliches Gehör, wenn ich mit Herrn Baader über die Frage der Zulässigkeit von Ausführungen [573] unterhalte.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Sie haben dem Regierungsdirektor Widera sehr[w] richtig gerade kundgetan, daß diese Frage, nämlich in welcher Weise hier Erklärungen nach Sachverständigen- oder Zeugenvernehmung von den Gefangenen abgegeben werden, daß die in der Tat für jeden einzelnen Gefangenen hier und für jeden Verteidiger dieser Gefangenen relevant ist.

Von da[x] her bitte ich, mir auch Gelegenheit zu geben ...

Vors.: (unterbricht)

Das ist doch was Anderes.

Sie können um’s Wort bitten, aber doch kein rechtliches Gehör, das ist doch ’ne ganz andere Frage.

Bitten, wenn Sie etwas wissen wollen.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Ich möchte auch dem Senat bei allem gebotenen Respekt zu bedenken geben, ob er nicht in Gefahr ist, unter dem Vorwand, Herr Baader äußere sich hier nicht zu dem Thema, zu dem sich der Sachverständige Dr. Henck geäußert habe, so etwas wie eine politische Zensur, eine inhaltliche Zensur von Erklärung, die nach § 257[ StPO] hier abgegeben werden, zu praktizieren. Tatsache ist, daß der Sachverständige Dr. Henck erklärt hat, daß natürlich zum Nachteil aller Gefangenen hier die Isolation in der Vergangenheit betrieben wurde und noch betrieben wird. Herr Baader hat sehr wohl auch in seiner Erklärung, wenn man genau zuhört, in einem entsprechenden politischen Interpretationsrahmen dargestellt, Tatsachen, die von unmittelbarer Bedeutung sind für die Verhandlungsfähigkeit aller Gefangenen hier. Wenn er etwa von der Zerstörung Sozialer in der Aktion spricht, dann ist das ein Faktum, das für die Verhandlungsfähigkeit von großer Bedeutung ist, wenn ...

[574] Vors.: (unterbricht)

Sprechen Sie eigentlich für Herrn Baader oder sprechen Sie in dem Sinne, wie ich vorhin Herrn Schily das Wort gegeben habe.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Ich spreche in dem Sinne, in dem Sie vorhin dem Herrn Schily das Wort gegeben haben.

Vors.:

Ja, aber Sie sprechen immer nur von Herrn Baader. Ich denke, es geht um das Schicksal Ihres Angeklagten im Augenblick. Herr Rechtsanwalt, wissen Sie ... wissen Sie, das seh ich inzwischen auch, daß hinter jeder Ausführung, die ein Verteidiger macht, dann so und so viel andere Ausführungen noch angehängt werden, die immer wieder dasselbe betreffen und dann doch diese Blockverteidiger[13] letztlich darstellen. Wenn Sie uns eine zusätzliche Erklärung geben wollen, dann muß sie für Ihren Mandanten Raspe abgegeben sein.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Diese Erklärung wird für Herrn Raspe abgegeben.

Vors.:

Diese Erklärung ... Das mag schon sein, daß Sie das jetzt erklären, aber der Inhalt ließ das nicht erkennen.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Herr Vorsitzender, ist das klar, daß ich ... Ich sprech’ für Herrn Raspe hier. Aber ...

Vors.: (unterbricht):

Nein, das war mir nicht klar. Das wollte ich gerade wissen.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Die Betroffenheit Ihrer Intervention gegenüber Herrn Baader [575] liegt natürlich auch bei Herrn Raspe, das ist doch offenkundig. Herr Raspe hat ja schließlich auch hier noch die Absicht, Erklärungen abzugeben. Im übrigen ...

RA H[eldmann]:

Es geht darum ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, Sie haben das Wort.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Ich habe gesagt, daß z. B. die Frage sozialer Interaktion, wenn man einen Angeklagten tatsächlich als ein Subjekt, nicht als Objekt, eines Strafprozesses ansehen will, daß die ganz erheblich ist, etwa für die Frage der Verhandlungsfähigkeit ... die Tatsache, daß Herr Baader hier einen politischen Interpretationsrahmen zur Darstellung seines Schicksals und zu seinem Schicksal gehört natürlich auch politisches Bewußtsein, das auch, wie er hier vorgetragen hat, durch die Isolation in Frage gestellt werden soll. Wenn er dazu etwas sagt, dann kann das nicht zensiert werden, da mag man anderer Auffassung darüber sein, wenn man etwa als[y] Vorsitzender dieses Senats tätig ist, dann darf man aber hier nichts dagegen intervenieren und unmöglich machen, daß Herr Baader solche Erklärungen abgibt, genausowenig wie[z] Sie zu irgendeinem anderen Gefangenen, etwa dem Herrn Raspe, gegenüber tun dürften.

Vors.:

Wollen Sie dem Vorsitzenden das Recht, „ungeeignete Ausführungen zurückzuweisen“, absprechen? Das ist in der Prozeßordnung verbrieft.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Ich wollte den Vorsitzenden darauf aufmerksam machen, daß er ohne irgendeine sachliche und tatsächliche Begründetheit in diesem Fall Ausführungen[aa], die in jeder Beziehung zur Sache gehören, zurückweisen wollte.

[576] Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily, Sie wollten ... wollten Sie noch außerdem dazu...

RA Sch[ily]:

(Anfang unverständlich) ... kurz bemerken, daß es ja nicht darum geht, dieses Recht zu bestreiten, sondern daß es um die Frage geht, was ist geeignet und was ist nicht geeignet, und daß Sie da nicht den Rahmen so eng stecken können, daß Sie sozusagen Ihre Auffassung von bestimmten Sachverhalten dem Gefangenen vorzuschreiben. Das geht nicht.

Vors.:

Wir treten jetzt in die Pause ein, eine viertel Stunde.

Um ¾ 11 Uhr treffen wir uns wieder.

- Pause um 10.25 bis 10.45 Uhr -

- Ende dieses Bandes -

[577] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 10.45 Uhr in der gleichen Besetzung.

Vors.:

Wir setzen fort.

Bevor Herr Baader beginnt, muß ich noch darauf hinweisen: Es geht hier natürlich nicht darum, daß wir den Angeklagten in irgendeiner Beziehung das Wort abschneiden wollten, auch wenn Sie die Dinge aus Ihrer Sicht sehen. Dieser Vorfall hier hat nur dadurch seine Rechtfertigung, daß es darum geht, den Angeklagten den Hinweis zu geben, daß, wenn Sie sich von der Sache allzuweit entfernen, daß dann ein Gericht verpflichtet ist, einzugreifen. Das soll möglichst für die Zukunft wirken.

Ich bitte jetzt, daß die Erklärung weiter vorgetragen wird. Herr Rechtsanwalt Heldmann, bitte sehr.

RA H[eldmann]:

Die Verteidigung hat sich also vergewissert:

1. Daß Herrn Baader’s Erklärung zur Sache gehört.

2. Daß hingegen Versuche, Sie zu zensieren, wenigstens in einzelnen Passagen, vom Thema allerdings ablenken.

Vors.:

Bitte, Herr Baader.

Angekl. B[aader]:

Ja, ich wollte Sie noch fragen, ob Sie sowas nicht belegen müssen?

Vors.:

Sie sollen jetzt vortragen und sollen nicht mich fragen.

Angekl. B[aader]:

Also wir haben ... Sie haben dauernd ... naja, Sie haben hier ... Ja, aber ich möcht’s aber vermeiden, daß also wenn ich hier ... wenn ich mich da ...

Vors.:

Herr Baader, Sie haben jetzt die Gelegenheit vorzutragen...

Angekl. B[aader]:

... da reinreden in dieses Thema, daß Sie es mir zerhacken, weil Sie müssen mal sehen, daß wenn wir hier sprechen ...

[578] Vors.:

Herr Baader, bitte tragen Sie Ihre Erklärung jetzt weiter vor.

Angekl. B[aader]:

Kann ich ... kann ich ausreden, ja?

Vors.:

Nein. Sie können jetzt vortragen. Sie haben jetzt Gelegenheit, Erklärungen abzugeben, und zwar die, um die es sich handelt.

Angekl. B[aader]:

Wie kommen Sie denn dazu, hier öffentlich festzustellen, Sie würden mir das Wort nicht geben, und Sie es mir permanent nehmen. Sie können ...

Vors.:

Herr Baader, wenn Sie jetzt das Wort nicht dazu benützen, daß Sie weiter vortragen, dann entziehe ich Ihnen das Wort und wir fahren fort.

Angekl. B[aader]:

Na ich sehe, da? Sie also wirklich alles unternehmen, um Erklärungen, in diesem Prozeß ...

Vors.:

Ist es auch eine Erklärung, die Sie jetzt eben abgeben wollen?

Angekl. B[aader]:

... zu unterbinden, bzw. zu zerhacken, unverständlich zu machen.

Vors.:

Schön. Tragen Sie jetzt Ihre Erklärung bitte vor.

Angekl. B[aader]:

Na, ich war bei der Eskalation, in der Konzeption Possers, der damit angefangen hat, daß er den Trakt[14] eingerichtet hat, etabliert hat, öffentlich gerechtfertigt hat, und als der Trakt seine Ziele nicht erreichte, in Köln-Ossendorf, dann kam das Projekt der Bundesanwaltschaft, Ulrike den Kopf aufzumachen,[15] um festzustellen, vermutlich, woher die Gedanken der Menschen kommen. Um dadurch einen Zusammenbruch zu erreichen, weil das ein ganz entscheidender körperlicher und psychischer Eingriff ist, eine ... Und als sich dagegen Widerstand entwickelte, verfiel Posser auf den Kronzeugen.[16] Insofern besteht ein unmittelbarer Zusammenhang, weil das alles Maßnahmen sind, in deren Zusammenhang die Gefangenen [579] hier, in ihrer Verhandlungsfähigkeit eingeschränkt sind, d. h. in ihrer Fähigkeit, sich zu verteidigen und ihre Politik zu artikulieren, eingeschränkt worden sind, in diesen drei Jahren. Der Zusammenbruch, als ... also Posser als Figur der staatstragenden Partei, also der pragmatische, das reibungslose Ritual der Macht, ist der Inhalt, den er vermitteln will. Als Reibungen auftraten bei dem Trakt, der Sache, die Diskretion entrissen war, die sie noch braucht durch die Mobilisierung der Anwälte, verführt das etwa analog der Wahl der SPD ihre Käuflichkeit. Schließlich ist die ganze Parteispitze, ich sage das nochmal, 1945 vom amerikanischen Kapital gegen das deutsche Proletariat gekauft worden, darauf dem Staat einen Zeugen zu kaufen. Natürlich auf Regierungsebene. Gegen das deutsche Proletariat vielleicht nicht genau genug. Die Funktion der Sozialdemokratie ist die Initiative des Kapitals, vermittelt über die Klassenorganisation des Proletariats in der Krise zu sichern. Also den Kronzeugen, den Staatszeugen, der als Institution der Verfassung, die Verfassung des ganzen ideologischen Begründungszusammenhangs „Rechtsstaat“, allerdings bezeugt. Und sicher für unsere Politik, auch wenn er nur ein beiläufiger Ausdruck des Bruchs ist, in dem unsere Bestimmung, der staatlichen Reaktion, auf bewaffnete Politik zu begreifen ist. Denn die strategische Bestimmung der Stadt-Guerilla ist in dieser Phase, die Krise des Kapitals und die ökonomische Krise des Staates, deren politische Interpretation jede Guerilla-Aktion ist, durch die Kontinuität des Angriffs in einem sicher langen und widersprüchlichen Prozeß, in die endliche politische Krise des Staats zu verwandeln, den Bruch. Darüber werden wir hier noch reden, später.

Ich kann auch nicht mit den Gefolterten reden. Ich würde sagen, an ihnen beweist sich nur, nur in der endlich offenen Liquidierung der Sektion des Subjektstatus, des objektstaatlicher Repression, daß die Werte bürgerlicher Rechtsideologie für den imperialistischen Staat lästige Antiquitäten sind, wenn sie den Verwertungsbedingungen des Kapitals nicht mehr entsprechen. Zu reden wäre viel mehr über den Prozeß[bb] der Folter. Das heißt über den Prozeß, in dem der Staat die staatliche ... Strategie [580] auf Folter angewiesen ist und sich entsprechend der Entwicklung des neuen Faschismus im Staatsapparat, die Technologie, die Apparate und dem etwas hinterherhinkenden Gesetze und schließlich die Struktur, strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen in der Massenkommunikation, die die Reflexe neutralisiert, schafft, die Folter ermöglicht. Ganz kurzes Beispiel ist das, was Krumm von der Frankfurter Rundschau macht. In dem er also buchstäblich jeden Satz, der hier gesagt wird, so verzerrt, daß der Eindruck entstehen muß, es hätte ihn ein Geisteskranker gesagt. So also dann zum Beispiel aus dem Satz von mir, ich weiß darauf nochmals hin: „natürlich akzeptieren wir die Gesetze des bürgerlichen Staates nicht. Wenn Sie aber damit Fußball spielen. Wer soll Sie dann überhaupt noch ernst nehmen“. Aus dem Satz, da läßt er genau das „nicht“ weg, d. h. er publiziert das genaue Gegenteil dessen, was hier gesagt ist und nimmt ihm damit natürlich auch jeden Sinn. Und das läßt sich also wirklich in der ganzen Berichterstattung, dieses Restes liberaler Presse verfolgen, aber geschenkt.

Wir sagen nochmal, Folter ist kein revolutionärer Kampfbegriff, wie wir das immer gesagt haben. Auch die Folter hat eine Schutzfunktion, aber die Mobilisierung, die sie braucht, muß sich gegen die Politik wenden, auf die der Staat mit Folter reagiert und damit zuletzt gegen die Gefangenen selbst, solange das Vehikel ihrer Politik, der moralische Reflex derer ist, die in diesem Staat noch zu Hause sind, und sei es, weil sie ihn als Revisionisten übernehmen wollen. Wenn sie nicht mit der Propaganda bewaffneter Politik vermittelt ist, ihre Moralstrategie propagiert, d. h. selbst zur bewaffneten Aktion kommt. Mehr habe ich jetzt nicht zu sagen.

Das heißt, um es vielleicht, um es noch zu illustrieren, sicher ist, das hat die Diskussion ergeben, solange sie möglich war, daß der Zustand der isolierten Gefangenen über den Genossen zu entwickeln, die im Kampf für den Kommunismus auf den Straßen erschossen worden sind und erschossen werden.

[581] Vors.:

Die Erklärung scheint zu[cc] Ende zu sein. Zunächst, Herr Rechtsanwalt Heldmann, ich hatte mich auf Ihre Zusage verlassen, daß alles zur Sache gehört und deswegen auch nicht mehr eingegriffen. Könnten Sie uns verdeutlichen, was das im Zusammenhang mit der Frage, ob es noch notwendig ist, Herr Rechtsanwalt ... den Sachverständigen nochmals hierzuhaben, was beantragt war, oder ein Obergutachten zu bringen, zu tun hatte.

RA H[eldmann]:

Es ist die identische Frage, die wir[dd] in der letzten ... am letzten Verhandlungstag bereits hier erörtert haben. Welche Wirkungen hat jahrelange Isolierung auf die Gefangenen.

Was Herr Baader dazu in seiner persönlichen Erklärung heute beigetragen hat, ist die darüber hinaus greifende und ebenso wesentliche Frage: welches Interesse hat dieser Staat, hat diese Strafverfolgungsmaschine, einen Gefangenen nach dreijähriger Isolation, mit all den Folgen, die aus der medizinischen Literatur bekannt sind, hier einer Öffentlichkeit zu präsentieren und kühl über die Einwendungen einer nur beschränkten Verhandlungsfähigkeit hinwegzugehen.

Vors.:

So haben Sie es verstanden, die Ausführungen; Sie kannten sie von vorher.

Herr Rechtsanwalt Riedel, bitte.

RA R[iedel]:

Herr Vorsitzender, meine Mandantin möchte in diesem Zusammenhang[ee] noch ein paar Fragen stellen.

Vors.:

Zunächst wäre zu fragen, Herr Rechtsanwalt Heldmann, Sie hatten ja den Antrag auf Obergutachten gestellt. Ist Ihnen schon der Name inzwischen geläufig?

RA H[eldmann]:

Ich habe ihn[ff], Herr Vorsitzender, angekündigt, weil ich den Namen noch nicht nennen konnte.

Vors.:

So daß also gegenwärtig über den Antrag nicht beschieden zu werden brauchen.

RA H[eldmann]:

Im Moment nicht.

[582] Vors.:

Bitte.

Dann bitte ich Frau Meinhof.

Angekl. M[einhof]:

Naja, ich erkläre, daß ich verhandlungsunfähig bin. Also daß ich hier maximal, das war sehr hochgegriffen, dem was hier abläuft, folgen kann. Und daß ich natürlich fast überhaupt nicht in der Lage bin, in dem Moment, an der Stelle, wo unbedingt was zu sagen wäre, ich was sagen will, sprechen könnte. Selbst wenn es dazu käme, an das Mikrophon ’rankäme. Daß die Zwecke, die mit der Isolation verfolgt werden, natürlich überhaupt nicht wirkungslos geblieben sind und daß das, womit wir zu kämpfen haben an Konstruktionsschwierigkeiten - Assoziationsschwierigkeiten, natürlich ungeheuer ist. Völlig absurd, völlig absurd zu glauben diese drei Jahre wären ... wären ... hätten an irgendeinem von uns spurlos vorbeigehen können. Ich beantrage also, einfach weil es notwendig und nötig ist, für mich und jeden von uns hier, eine ärztliche Untersuchung und zwar von dem Arzt von draußen.

Das kann doch gar nicht anders sein, als ein Arzt von draußen, weil nach den Erfahrungen, die wir mit den Ärzten haben, diesen Gefängnisärzten natürlich nicht jene sein können, die das, was gelaufen ist, aufklären.

Also maximal 2 - 3 Stunden am Tag und ich beantrage für uns eine ärztliche Untersuchung von draußen, die das feststellen.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Riedel.

RA R[iedel]:

Diesen Antrag möchte ich ergänzen, daß die maximale Verhandlungsdauer meiner Mandantin, wie sie sagt, zwischen ... auf den Zeitraum von zwei allenfalls drei Stunden täglich beschränkt. Wobei das also das zu erstellende ärztliche Gutachten Auskunft darüber geben müßte, wie diese Stunden zu verteilen sind. Also wieviel Pausen dazwischen eingelegt und wie lange die Pausen sein müssen. Daß die Ärzte, die darüber als Gutachter in Frage kommen, gehört werden sollen, sind diejenigen, die schon namhaft gemacht worden sind, in dem Beweisantrag der Kollegin Becker, der gestellt worden ist am 12.6.75, glaube ich, und der [583] auch ja schriftlich zu den Akten gelangt[gg] ist.

Vors.:

Will die Bundesanwaltschaft eine Erklärung dazu abgeben, bzw. Stellung nehmen?

BA Dr. W[under]:

Sowohl Herr Baader, als auch Frau Meinhof haben durch ihre Vorträge nicht erkennen lassen, daß schwere körperliche oder seelische Mängel vorliegen, oder gar Krankheiten (Angeklagter Baader ruft etwas dazwischen). Nur darauf kommt es bei der Prüfung der Frage der Verhandlungsfähigkeit an. Dies zu beurteilen, war der Sachverständige Dr. Henck in der Lage. Die Bundesanwaltschaft tritt dem Antrag auf Zuziehung eines weiteren Arztes entgegen.

Vors.:

Herr Baader, ich weise Sie darauf hin, wenn Sie weiterhin in dieser Form sich äußern und[hh] glauben jedesmal mit Zwischenrufen zu kommen - ich meine gerade seien auch wieder beleidigende Ausdrücke gefallen - daß das die Folge haben wird, daß Sie den Saal verlassen müssen.

Herr Rechtsanwalt Schily, bitte.

RA Sch[ily]:

Ich wollte zu den Ausführungen von Bundesanwalt Dr. Wunder etwas erklären. Herr Dr. Henck, und das muß Ihnen doch in Erinnerung geblieben sein, hat sich ja überhaupt zu einer Frage der beschränkten Verhandlungsunfähigkeit gar nicht geäußert. Herr Dr. Henck hat auch den Zeitraum genannt, seit dem das letzte Mal Frau Meinhof gesehen hat und die übrigen, auch meine Mandantin gesehen hat. Also abgesehen von der fachlichen Inkompetenz von Herrn Dr. Henck, seiner Befangenheit, die wir hier eingehend dargestellt haben und über die [ii] der Senat bedauerlicherweise hinweggegangen ist, ist auch schon kein[jj], wenn wir uns mit den übrigen Grundlagen beschäftigen, dieses sogenannten Gutachtens, schon von daher überhaupt keine Auskunft diesen Erklärungen von Herrn Dr. Henck entnehmen, wie weit denn die Verhandlungsfähigkeit reicht. Und es ist ja so, der Herr Dr. Henck, wenn ich das noch richtig im Ohr habe, der hat[kk] von der Mimik und Gestik gesprochen. Ich hätte gerne nochmal gewußt, wir dürfen hier ja jetzt nicht [584] befragen, vielleicht ist der Hubschrauber zu teuer, welche Mimik und Gestik er eigentlich zum Beispiel ganz konkret bei Ulrike Meinhof beobachtet hat, von der er dann meint, daraus ergibt sich nun die vollständige Verhandlungsfähigkeit. Ich meine solche Oberflächengutachten, wie gesagt sogenannte Gutachten, die sind doch wohl keine verläßliche Grundlage, um Ihnen ... also sicherzustellen, daß hier wirklich eine Verhandlungsfähigkeit in unbeschränkter Form vorhanden ist.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Heldmann, Sie haben Ihren Antrag erst angekündigt. Nun beabsichtigt der Senat über den schon kürzlich gestellten Antrag auf Einstellung des Verfahrens wegen Verhandlungsunfähigkeit demnächst zu entscheiden. Wir werden uns jetzt nochmals zurückziehen, beraten. Es müßte also in dieser Richtung von Ihrer Seite schon etwas geschehen, wenn Sie Wert darauf legen, daß das vor unserer Entscheidung käme.

RA H[eldmann]:

Ich bin im Begriff es zu tun, wenn Sie mir erlauben.

Vors.:

Bitte.

RA H[eldmann]:

Herr Vorsitzender, ich benenne mit der Bitte, ihn mit dem Sachverständigengutachten zu beauftragen, Herr Prof. Dr. med. Sjef Teuns, Blaricum/Holland, Torenlaan 39. Die genaue Adresse ist in dem Antrag der Kollegin Becker, auf Seite 2 oben enthalten. Mit der Begründung, die ich schon vorher gegeben habe:

1. Der als Sachverständige gehörte Gefängnisarzt Henck hat sich hier hinreichend als inkompetent erwiesen, und

2. er hat insbesondere über die ihm wiederholt gestellte Frage, ob volle Verhandlungsfähigkeit oder nur eine zeitlich beschränkte anzunehmen sei, sich nicht geäußert, sich mit dieser Frage überhaupt nicht befasst, weder hier in seiner Vernehmung, noch offensichtlich vorher.

3. Er hat angegeben, über die medizinischen Folgen der Umstände von langdauernder Isolierung, wie wir sie bei [585] diesen Angeklagten hier haben, informiert zu sein, durch Lektüre, wie er einmal sogar sagte, eigene Forschungen. Durch Lektüre jedenfalls der einschlägigen medizinischepirische Literatur und mußte nachher auf Befragen angeben, daß er nicht ein Stück davon gelesen hat. Er gab uns hier Titel an wie Moser, repressive Kriminalpsychiatrie. Hat damit überhaupt nichts zu tun, Moser - Gespräche mit Eingeschlossenen, Menninger - Strafe als Verbrechen - hat mit unserem Thema gar nichts zu tun, so daß ich bezweifeln muß, daß er selbst die mit dem Thema nicht verwandten Schriften, die er hier zitiert hat, daß er selbst jene nicht gelesen hat. Er hat also, ich wiederhole das, mit dieser Behauptung, er sei kompetent und er habe studiert zu diesem Thema, das Gericht und die Verfahrensbeteiligten getäuscht. Folglich um so mehr ist mein Antrag begründet, einen kompetenten Obergutachter von Gerichtswegen zu bestellen, damit das Gericht hier hinsichtlich der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten, eine der wichtigsten prozessualen Fragen im Moment, auch voll seiner Fürsorgepflicht für die Gefangenen, für die Angeklagten nachkommen kann.

Vors.:

Danke. Herr Rechtsanwalt Riedel ...

RA H[eldmann]:

Bitte, Herr Baader möchte ...

Vors.:

Darf ich Herrn Rechtsanwalt Riedel zunächst mal das Wort lassen.

RA R[iedel]:

Herr Vorsitzender, zur Ergänzung der Begründung des Antrags meiner Mandantin noch einmal ... sei noch einmal in die Erinnerung des Gerichts gerufen, daß der Herr Sachverständige Henck uns gesagt hat, die Tatsache, daß also eine Verhandlungsfähigkeit vorliegt, schließe ich unter anderem auch daraus, so sind meine Prognosen und die Mittel, die ich habe, Prognosen zu stellen, daß nämlich Gespräche stattgefunden haben zwischen 20 Minuten und auch länger, er sagt bis zu 40 Minuten. Nun hat aber die Mandantin hier dargetan, das ist etwas ganz Neues, daß die Verhandlungsfähigkeit ihrer Meinung nach, nämlich ihre persönliche Verhandlungsfähigkeit, ihrer Meinung nach zeitlich so begrenzt ist, wie [586] sie sagte, nämlich 2 - 3 Stunden. Der Sachverständige Henck war nicht in der Lage, aufgrund seiner Prognosemöglichkeiten Auskunft darüber[ll] zu geben, hat natürlich auch keine Auskunft darüber gegeben, ob unter Umständen über die Dauer von zwei Stunden drei Stunden hinaus, eine Verhandlungsfähigkeit vorliegt. Ich meine also, daß tatsächlich durch die Aussagen der Mandantin eine Situation eingetreten ist, über die der Sachverständige bis jetzt Auskunft nicht geben konnte, weil er dazu die Gelegenheit nicht wahrgenommen hat und Auskunft nicht geben kann, weil dazu seine Prognosemöglichkeiten, die er uns dargetan hat, nicht ausreichen, nicht wahr. Wir wissen also nicht, wie es darum bestellt ist, wenn die Verhandlung länger als der genannte Zeitraum dauert. Und darüber meine ich, hat das Gericht auf jeden Fall sich Klarheit zu verschaffen, indem dem Beweisantrag, wie er gestellt worden ist, mit den genannten Beweismitteln, nachgegangen wird, also die Ärzte gehört werden, die in dem Beweisantrag der Kollegin Becker genannt worden sind.

Vors.:

Herr Baader.

Angekl. B[aader]:

Ich sage nochmal, das ist eine Notwendigkeit, daß ein Arzt, ein unabhängiger Gutachter überhaupt die einzige Möglichkeit ist, hier zu einer objektiven Einschätzung zu kommen. Denn was die Funktion von Henck, die Funktion der Gefängnismedizin überhaupt - und es ist ja vollkommen klargeworden, im Ablauf oder in der Entwicklung diesen Verfahrens zum Beispiel an der Ermordung von Holger,[17] d.h. wir werfen Ihnen ja ganz konkret vor, Prinzing, daß Sie die Untersuchung, als Holger schon schwerkrank war, im Sterben lag, durch einen unabhängigen Arzt verhindert, bzw. abgelehnt haben, damit er den Zustand nicht feststellen kann und daß in der Folge dieser Entwicklung unter der Aufsicht des Gefängnisarztes Holger gestorben ist. Eine ähnliche Entsprechung, der zweite Fall in diesem Zusammenhang und in diesem Bundesland, ist der Fall von Siegfried Hausner,[18] wo Widura sozusagen hier am letzten Verhandlungstag eine Art Geständnis abgelegt hat, als er gesagt hat, er war nicht transport- [587] fähig,[19] obwohl Widura die Behörde vertritt, die den Transport angeordnet hat und zwar in eine Institution, die für die Behandlung dieser speziellen Verletzung nicht geeignet war. Nämlich die Krankenstation hier in Stammheim, die nicht mal ein Krankenhaus ist. Das heißt, da wird das Komplott zwischen dem Gefängnisarzt und der Behörde (verbessert sich) und der Bundesanwaltschaft um die Verlegung der Gefangenen klar, und da wird auch die Absicht darin klar, die bis jetzt zweimal immerhin zum Erfolg im Sinne der Bundesanwaltschaft geführt hat, nämlich zum Tod des Gefangenen.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.

RA v[on] P[lottnitz]:

Ich möchte in Ergänzung dessen, was bereits vorgetragen worden ist, noch einen weiteren Obergutachter beantragen. Und zwar beantrage ich, mit der Erstattung eines weiteren Gutachtens den Herrn Prof. Dr. Schmid-Vogt, Leiter des Kreiskrankenhauses in Bad-Soden, die nähere Anschrift ist aus dem Antrag der Kollegin Becker ersichtlich, zu beauftragen. Zur Begründung: Offenbar löst dieser Antrag Heiterkeit dadrüben bei den Herrn Bundesanwälten aus.

Zur Begründung folgendes:

Der Herr Dr. Henck hat ja zu keiner Zeit eine Untersuchung der Gefangenen durchgeführt, die so etwas wie einen organischen Befund hätte ergeben können. Eine solche Untersuchung ist aber zur Feststellung der Frage, ob überhaupt und falls ja, in welchem Umfang die Gefangenen verhandlungsfähig sind, vonnöten. Der jetzt benannte Sachverständige verfügt über besondere Erfahrung, in der Untersuchung und Beurteilung des gesundheitlichen Zustandes isolierter Gefangener. Er ist als Gutachter im Frankfurter Verfahren gegen Astrid Proll[20] aufgetreten und aufgrund seiner Expertise hat das Gericht beschlossen, das Verfahren einzustellen, weil die Angeklagte Astrid Proll nicht verhandlungs- und nicht haftfähig war, das ist ... bzw. das Verfahren auszusetzen und die Angeklagte Proll zunächst mal aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Das ist es ... das was ich zur Begründung dieses Antrags zu sagen hätte.

[588] Vors.:

Will die Bundesanwaltschaft erneut Stellung nehmen?

Bitte.

BA Dr. W[under]:

Dem Antrag wird widersprochen und die Bundesanwaltschaft wiederholt ihre Stellungnahme auf Ablehnung der Zuziehung eines weiteren Arztes.

Vors.:

Wir treten jetzt in die Beratung ein. Die Entscheidung soll noch ergehen, vor der Mittagspause, ich kann natürlich nicht voraussagen, wann das genau sein wird. Die Angeklagten sind in die Vorführzellen zurückzubringen.

RA v[on] P[lottnitz]:

(nicht verständlich, weil es nicht über die Mikrophonanlage geht)

Vors.:

Nein, jetzt ist die Pause. Ich hatte genügend Gelegenheit gegeben, Anträge zu stellen.

RA v[on] P[lottnitz]:

Es geht um die Frage, ob die Angeklagten Umschluß haben können.

Vors.:

Nein. Sie sind in die Vorführzellen zurückzubringen.

- Das Gericht zog sich um 11.10 Uhr zur Beratung zurück -

Ende Band 20

[589] Nach Wiedereintritt um 11.50 Uhr wurde folgendes verkündet:

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort. Es ist folgender Beschluß des Senats zu verkünden:

1. Der Antrag, das Verfahren wegen Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten einzustellen, wird als unbegründet abgelehnt.

2. Damit sind auch die Anträge auf Einholung weiterer Gutachten und ärztlicher Untersuchungen abgelehnt.

Zur Begründung:

Für die strafgerichtliche Verhandlungsfähigkeit kommt es nur darauf an, daß ein Angeklagter sich im Zeitpunkt der Hauptverhandlung in einem solchen Zustand geistiger Klarheit und Freiheit befindet, daß mit ihm strafgerichtlich verhandelt werden kann. Der Angeklagte muß dazu imstande sein, anderen das verständlich zu machen, was er vorbringen will und das in sich aufzunehmen und zu verstehen, was andere erklären; so der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung. Um ein einprägsames Beispiel zu nennen: Selbst gegen Geisteskranke oder Taubstumme oder sonstige Unzurechnungsfähige kann und muß verhandelt werden, solange eine vernünftige Verständigung mit ihnen möglich ist. Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Senat keine Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit dieser Angeklagten. Er hat an mehreren Verhandlungstagen Gelegenheit gehabt, die Angeklagten in ihren Reaktionen, Äußerungen und in ihrem übrigen Verhalten zu beobachten. Das hierbei gewonnene Bild unterscheidet sich nicht von dem Eindruck, den die Mitglieder des Senats in zahlreichen anderen Verfahren von Angeklagten gewonnen haben, deren Verhandlungsfähigkeit außer Frage stand. Diese Auffassung hat der Sachverständige Dr. Henck überzeugend bestätigt. Bei ihm handelt es sich um einen dem Gericht bekannten, bei der Beurteilung der Haft- und Verhandlungsfähigkeit besonders erfahrenen, gewissenhaften und in seinem Urteil unabhängigen Facharzt. Er hat die Angeklagten, seit sie sich in Stammheim befinden, also seit vielen Monaten, ärztlich betreut und sich dabei ständig mit ihnen befaßt. Also nicht nur bei gelegentlichen Gesprächen Kontakt mit ihnen gehabt. Er verfügte deshalb über eine ausreichende Beurteilungsgrundlage. Die Haftbedingungen, denen die Angeklagten unterworfen sind oder waren, hat er bei seiner Beurteilung berücksichtigt. Die Angeklagten haben es ihm allerdings verwehrt, sie körperlich zu untersuchen. Der Sachverständige hat jedoch ein- [590] leuchtend dargetan, daß er wegen des Fehlens jeglicher Anhaltspunkte für eine Verhandlungsunfähigkeit auch ohne derartige Untersuchungen zu einem abschließenden Urteil gelangen konnte. Bei dieser Sachlage kommt es auf eine körperliche Untersuchung nicht an. Daher bedarf es der Hinzuziehung weiterer Ärzte und sonstiger Sachverständiger nicht, auch nicht derjenigen, die heute nochmals benannt worden sind. Auch der Antrag der Angeklagten Meinhof hat über die bloße Behauptung einer beschränkten Verhandlungsfähigkeit hinaus keine Tatsachen aufgezeigt. Da der Sachverständige keinerlei Anhaltspunkte für eine Verhandlungsunfähigkeit gefunden hat, hatte er keinen Anlaß, sich zu der Frage einer beschränkten Verhandlungsfähigkeit zu äußern. Mit der Ablehnung der Einstellung des Verfahrens erledigt sich zugleich der daran geknüpfte Antrag auf Haftentlassung. Anhaltspunkte für eine Haftunfähigkeit liegen nicht vor. Die dafür vorgetragenen Tatsachen sind dieselben, die schon früher zur Stützung des Vorwurfs der sogenannten Isolationsfolter gedient haben. Es braucht nicht im einzelnen begründet zu werden, daß dieser Vorwurf unberechtigt ist. Die Angeklagten sind nie gefoltert worden. Das ist nicht nur im Zusammenhang mit dem Sartre-Besuch[21] in der Öffentlichkeit hinreichend bekannt geworden, sondern auch in zahlreichen Entscheidungen der Gerichte bestätigt worden. Daß der Vorwurf der Isolationsfolter unbegründet ist, hat zuletzt die Europäische Kommission für Menschenrechte in Straßburg bestätigt.[22] Sie hat vor wenigen Tagen die Beschwerden von Baader und Meinhof, die weitgehend auf das gleiche Material gestützt waren, das jetzt im Antrag wiedererscheint, als unbegründet zurückgewiesen.

Der Senat versagt es sich, den Gründen nachzugehen, warum diese wesentliche Tatsache im Antrag verschwiegen wird.

Wir haben jetzt 12 Uhr und werden die Verhandlung um 14 Uhr fortsetzen, sofern jetzt nicht irgendwelche Äußerungen oder Anträge gestellt werden sollen.

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.

RA v[on ]P[lottnitz]:

Herr Vorsitzender, ist es möglich, eine schriftliche Ausfertigung des Beschlusses zu erhalten, der soeben verlesen wurde.

Vors.:

Sobald das Protokoll abgeschrieben ist. Das wird also zu Beginn der nächsten Woche wahrscheinlich dann in Ihren Händen sein.

RA v[on ]P[lottnitz]:

Also vor der Mittagspause ist es ...

Vors.:

Auf keinen Fall, das ist handschriftlich skizziert, mehr nicht.

[591] Gut. 14 Uhr Fortsetzung ...

RA Sch[ily]:

... daß die Gefangenen jetzt hier im Hause ein Umschluß haben.

Vors.:

Es ist so, Herr Rechtsanwalt, wir haben uns mit dieser Frage befaßt, weil es angekündigt war, daß ein Antrag kommen würde, generell hier die Mittagspause durchzuführen zwecks Umschlußgelegenheit. Das hängt noch von der Stellungnahme der Haftanstalt ab und zwar deswegen, weil wir hier nur eine Schicht von Aufsichtsbeamten haben, die müssen ja ihre Mittagspause haben. Wenn die hier bleiben müßten, kämen Sie nicht zum Essen. Wie sich das im einzelnen regeln läßt, welche Zeit notwendig ist, damit die Aufsichtsbeamten ihre geordnete Mittagspause haben und ob es sich dann rentiert für die Angeklagten, deswegen die ganze Zeit in den hiesigen Zellen zu bleiben, das ist eine Frage, die muß zuerst abgeklärt werden. Wir sind an sich nicht dagegen, wenn die Mittagspause im Anschluß dann an das Essen dazu verwendet werden kann. Das ist etwas ganz Anderes, das liegt in den jeweiligen Einzelpausen hier.

RA Sch[ily]:

Wobei ich doch noch mal darauf hinweisen darf, daß ja während der Verhandlungstage die Gefangenen noch nicht einmal einen Freigang haben.

Vors.:

Zeitlich, Herr Rechtsanwalt Schily nichtwahr, das ist ...

RA Sch[ily]:

Ja nun, gut. Also, ich meine zeitlich, aber wenigstens da ein gewisser Ausgleich dann geschaffen würde, nicht.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, der Ausgleich wird natürlich schon dadurch geschaffen, jedenfalls so, wie der bisherige Verhandlungsrhythmus war, daß immer wieder Gelegenheit war, sich hier zu unterhalten, über die Fragen der Verteidigung; das gibt die Verhandlung ja her.

RA Sch[ily]:

Ob das einen Sinn hat, soll ja an sich sich auf die Verhandlung auch konzentrieren. Nicht, das ist ja doch ein Unterschied.

[592] Vors.:

Herr Rechtsanwalt, es ist damit nicht gesagt, daß man’s nicht machen kann. Wie gesagt, es muß noch abgeklärt werden, welche Zeit die Herrn vom Aufsichtsdienst benötigen, um ihre geordnete Mittagspause zu haben und ob den Angeklagten dann wegen der verbleibenden restlichen Zeit noch daran gelegen ist, ihre ganze Mittagspause hier zuzubringen. Das ist das, was uns interessiert. Aber das müßte eigentlich im Gespräch zwischen der Haftanstalt und den Angeklagten vorgeklärt werden. Ich bitte uns dann darüber zu unterrichten, was das Gespräch für Ergebnisse hat.

RA Sch[ily]:

Ja, aber ich meine, bisher war’s doch möglich, Herr Vorsitzender, daß dieser Umschluß mittags stattfand. Das verstehe ich nicht.

Vors.:

Das ist auch heute noch möglich. Bloß glaube ich, war’s doch bislang so, daß Sie zurückgebracht wurden zum Essen und dann wieder zurückkamen.

RA Sch[ily]:

Ja.

Vors.:

Und die restliche Zeit bis zum Beginn der Sitzung hier zusammen. Dagegen ist nichts einzuwenden in der Mittagspause.

RA Sch[ily]:

Ja, dann bitte ich diese Anordnung für heute erst mal zu treffen.

Vors.:

Wird für heute nachmittag gestattet. Aber es geht mir jetzt im Augenblick drum, mal eine generelle Regelung zu haben.

RA Sch[ily]:

Das wäre natürlich noch vorzuziehen.

Vors.:

Damit wir nicht ständig dieses [mm] haben, bevor wir in die Beratungspause gehen. Also heute nachmittag ist die Möglichkeit, nach geordnetem Mittagessen der Herrn vorn Aufsichtsdienst, gegeben, daß Sie sich noch vor Beginn der Sitzung draußen treffen.

Frau Meinhof, das habe ich nicht verstanden.

[593] Beamter der Vollzugsanstalt:

Es ist so geregelt worden, daß ab heute die Gefangenen hier essen.

RA Sch[ily]:

Dann können sie doch anschließend oder während des Essens schon zusammengeschlossen sein. Das verstehe ich nicht.

Vors.:

Und wie ist es mit Ihnen, mit dem Mittagessen.

Beamte der Vollzugsanstalt:

Der Umschluß wäre möglich ab 13 Uhr hier im Haus.

Vors.:

Gut. Ist es mit Ihrer Pause, die Ihnen zusteht, verträglich?

Beamte der Vollzugsanstalt:

Ja.

Vors.:

Gut, also, dann ist es in dieser Form genehmigt und bevor kein Widerruf erfolgt, wollen wir das während der Verhandlungstage in dieser Form lassen. Ob das nun 13, 13.15 Uhr ist, ist wieder was ganz anderes. Das muß nicht unbedingt an dieser Zeit festhaken. Sie sollen Ihre Mittagspause auch haben, um das geht’s uns. Gut. 14 Uhr.

Pause von 12 Uhr - 14.05 Uhr

Ende von Band 21

[594] Fortsetzung um 14.05 Uhr

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort.

Nach unseren Vorstellungen müßte[nn] man jetzt zur Vernehmung zur Person[23] gelangen können.

Herr Rechtsanwalt Riedel, bitte schön.

RA Riedel:

Meine Mandantin möchte gern zu dem Beschluß des Gerichts, der vorher verkündet worden ist, noch eine Erklärung abgeben.

Vors.:

Frau Meinhof, bitte.

Angekl. Meinhof:

Wir stellen fest, daß Prinzing weiß, daß wir verhandlungsunfähig sind, und daß er deswegen keine weiteren Gutachter zuläßt, weil er weiß, daß jeder unabhängige Gutachter das feststellen würde. Er will die Offenlegung unserer Verhandlungsunfähigkeit mit allen Mitteln verhindern, weil sich aus ihr die Frage aufdrängen würde, wie wir in diesen Zustand der Verhandlungsunfähigkeit gekommen sind. Die Offenlegung also der Haftbedingungen, die Vernichtungshaft sind.

Wir stellen fest, daß der einzige Arzt, den er zugelassen hat, Henck ist, der

a) nicht qualifiziert ist;

b) für die zerstörerischen Haftbedingungen in Stammheim mitverantwortlich ist - er selbst hat sie uns gegenüber unmenschlich genannt -;

[595] c) aus seiner Funktion im Vollzug den Mord an Hausner, die Tatsachen und Verhandlungsunfähigkeit durch die Haftbedingungen unterschlagen muß.

Unter welchem Druck dieser Arzt steht, wird daran deutlich, daß er gezwungen werden konnte, wie er zugegeben hat - nicht uns gegenüber -, daß er die Todesursache von Siegfried Hausner,

Schädelbrüche durch Kolbenschläge von Maschinenpistolen

auf Druck der Regierung und des Innenministeriums revidiert hat.[24]

Wir stellen fest,

1. daß das der Arzt ist, den das Gericht als einzigen anerkennt,

2. daß aber die Forderung dieses Arztes, einen unabhängigen Gutachter zuzuziehen, auch abgelehnt worden ist.

Das Gericht - das ist eindeutig - fürchtet die Ergebnisse eines ärztlichen Gutachtens. Es will, um diesen Prozeß nach seinem Plan durchzuziehen, daß hier gegen verhandlungsunfähige Gefangene verhandelt wird. Gefangene, die nicht in der Lage sind, die Erklärung zum Fragerecht tatsächlich wahrzunehmen.

Wenn[oo] meine Erklärung heute vormittag, daß ich maximal 2 - 3 Stunden am Tag der Verhandlung nur folgen kann, keine neuen Gesichtspunkte gebracht hat, dann, weil Sie sich weigern, einen unabhängigen Arzt zuzulassen.

Wir beantragen,

daß Henck nochmals geladen wird.

[596] Vors.:

Frau Meinhof, sachlich möchte ich nicht erwidern.

Bloß auf einen Irrtum weiße ich Sie hin: Dieser Senat besteht aus fünf Richtern. Diese törichte Anrede „Prinzing“ habe das oder das gemacht, verkennt die Situation; wir bestehen aus fünf Richtern, die sich jeweils beraten und danach die Beschlüsse fassen. Das ist das eine.

Das zweite ...

Angekl. Baader:

Sagen wir, ’s sind zwei, Herr Prinzing, Sie und Herr Foth, ne. Das haben wir doch festgestellt bei den Anhörungsterminen.

Vors.:

Sie müssens wissen, Herr Baader.

Das zweite, Frau Meinhof, wenn Sie die Behauptung, daß Sie beschränkt verhandlungsfällig seien, uns durch irgendwelche greifbaren Symptome belegen, indem Sie uns schildern, welche Zustände Sie haben und dergl. und so fort, ist das eine völlig andere Sache.

Heute früh ging es um den Antrag, das Verfahren einzustellen wegen der Verhandlungsunfähigkeit der Gefangenen.

Dieser Antrag ist abgelehnt worden.

Angekl. Ba[ader]:

Moment, laß mich mal.

Aber das haben wir zweimal erklärt, Herr Prinzing.

Vors.:

Herr Baader, Sie haben im Augenblick ... Bitte Baader nicht Mikrophon. Er hat keine Wortmeldung und hat auch das Wort nicht erteilt bekommen.

Herr Rechtsanwalt Riedel, bitte.

[597] RA Riedel:

Herr Vorsitzender, als Verteidiger muß ich darauf hinweisen, daß heute morgen von meiner Mandantin und von mir der Antrag gestellt worden ist, und er ging natürlich darüber hinaus über das, was die Kollegin Becker am letzten Verhandlungstag in der letzten Woche beantragt hatte, nämlich die Frage der Verhandlungs- und Haftfähigkeit zu prüfen.

Er ging insofern darüber hinaus, als getrennt nochmals beantragt worden ist, speziell für Ulrike Meinhof festzustellen, und zwar im Wege der Beweismittel, die benannt worden sind, festzustellen, inwieweit, in welchem Umfang die Verhandlungsfähigkeit gegeben ist. Auch nach dem Beschluß, den das Gericht vorhin verkündet hat, bleibt für die Verteidigung die Frage, in welcher Weise Verhandlungsfähigkeit vorliegt bzw. in welcher Weise sie eingeschränkt ist, akut; und für die Verteidigung - für mich - stellt es tatsächlich eine Form von menschenverachtender Brutalität dar, wenn das Gericht immer wieder darauf beharrt und verlangt, daß hier Beweise auf den Tisch gelegt werden, die irgendwelche Schlüsse darauf zulassen, daß die Verhandlungsfähigkeit eingeschränkt wäre oder sein könnte. Verlangt das Gericht etwa, daß hier ein Zustand bei der Mandantin eintreten soll, der die Behandlung durch einen Notarzt erst notwendig macht, damit für alle Augen und für Sie auch dann offenkundig wird, daß die Verhandlungsfähigkeit, wie behauptet, eingeschränkt ist? Bis jetzt kenne ich aus Gerichtsverfahren nur die Art und Weise:

rechtmäßig vorzugehen, daß nämlich, wenn der Mandant sagt ... wenn der Angeklagte sagt, ich kann nicht mehr folgen uneingeschränkt, daß dann das Gericht dies als Anlaß nimmt, durch die Art und Weise, wie es das Gesetz vorschreibt, das ärztlich überprüfen zu lassen; und nichts mehr und nichts weniger ist verlangt worden.

Und für die Verteidigung ist es tatsächlich so, daß hier wiederum sich die Gefahr abzeichnet, daß Situationen eintreten, für die dann wiederum keiner, auch das Gericht, die Verantwortung nicht übernehmen will.

[598] Vors.:

Herr Rechtsanwalt, Sie kennen den Unterschied zwischen einem Beweisantrag und einem Beweisermittlungsantrag[25] offenbar nicht.

Die bloße Behauptung, es sei das und das eingetreten, ist noch nie ein Beweisantrag gewesen. Es kommt darauf an, daß Sie uns anhand von Fakten, die auch für einen Laien schilderbar sind und greifbar sind, Dinge an die Hand geben, die eine Beurteilungsgrundlage abgeben. In diesem Sinne ist auch heute früh gesagt worden, über die Behauptung hinaus seien keine Tatsachen benannt.

Damit glaube ich, ist aber jetzt dieses Thema abgeschlossen. Wir haben entschieden, ...

Herr Rechtsanwalt Schily, bitte sehr.

RA Schily (Schi.):

Ich habe zwei Dinge dazu zu sagen:

Zunächst einmal gibt mir die ...

Vors.: (Anfragend)

... Antrag stellen oder ... Erklärungen oder Gegenvorstellungen[26]?

RA Schi[ly]:

Nein. Ein Antrag, ein Antrag.

Zunächst mal habe ich eine Frage an das Gericht hinsichtlich der Interpretation.

Soll die heute zu Beginn der Nachmittagssitzung abgegebene Erklärung des Herrn Vorsitzenden bedeuten, daß Sie nur über die Frage der Einstellung des Verfahrens entschieden haben und noch nicht über den zumindest inzidenter gestellten Antrag auf Hinzuziehung von Ärzten, die also nicht in der Anstalt tätig sind. Das ist ja in dem Antrag enthalten, daß man hier Ärzte hinzuzieht, die die Gefangenen untersuchen, und daß dann deren Ergebnisse eine Grundlage bilden sollen.

Das ist also zunächst mal die Frage an das Gericht, wie dieser Beschluß zu verstehen ist.

[599] Vors.:

Herr Rechtsanwalt, sollten irgendwelche konkrete Umstände darauf hindeuten, daß die Behauptungen, die aufgestellt worden sind, die dem Gericht bis jetzt in keiner Weise begründet erscheinen, zuträfen, ist das Gericht selbstverständlich nicht nur willens, sondern kraft Gesetzes gehalten ...

RA Schi[ly]:

Ja, Herr Vorsitzender, Sie wissen doch, Sie werden ja sicherlich wissen, daß es Bestimmungen darüber gibt, daß ein Gefangener das Recht hat - und das ist ja auch zitiert worden die UNO-Mindestbestimmung für den Vollzug von ... der Untersuchungshaft -, daß der Gefangene ganz unabhängig von der Frage der Haft- und Verhandlungsunfähigkeit das Recht hat, einen Arzt seines Vertrauens hinzuzuziehen.[27]

Abgesehen davon, glaube ich, weil Sie dieses Wort aufgegriffen haben. Das ist ja ein bekannt und sehr bekannter und weitverbreiteter Irrtum, daß Beweisermittlungsanträge eo ibso, also von vornherein unzulässig seien. Das ist ja nicht der Fall. Im Gegenteil: Das Gericht hat ja eine Fürsorgepflicht; und diese Fürsorgepflicht hat u. a. zum Inhalt, gerade sich um die Aufklärung zu bemühen, wenn es um die Frage der Haft- und Verhandlungsfähigkeit geht; und eigentlich habe ich insofern Ihre Gegenerklärung zu den Ausführungen des Kollegen Riedel überhaupt nicht verstanden.

Natürlich mag das ein Beweisermittlungsantrag sein. Aber gerade im Rahmen der dem Gericht obliegenden Fürsorgepflicht wäre es eben notwendig, solche Beweise dann zu ermitteln. Und das ist ja gerade der Kern! Wir sind auch alle medizinische Laien, das sollte man ja vielleicht auch auf dem Gebiet mal hier nochmals in Erinnerung zurückrufen. Und wie eigentlich das Gericht hier aus der Entfernung zu Diagnosen kommen will, das ist für mich also eine ... eine ... ein Geheimnis, wie das eigentlich ... nach welchen objektiv nachprüfbaren Kriterien Sie dann eigentlich urteilen wollen bei der Beurteilung einer solchen Frage.

[600] Also, da kommen Sie doch gar nicht drum herum, daß Sie diese, wenn es eine Beweisermittlung ist, dann eben diese Beweisermittlung vornehmen.

Vors.:

Ist das auch ’ne Frage?

RA Schi[ly]:

Nein, nein. Das war eine Erklärung und eine Wiederholung des Antrags sozusagen auf Hinzuziehung der Ärzte, die in dem Antrag der Kollegin Becker benannt worden sind, und vielleicht ist es nicht untergegangen: Auch Ulrike Meinhof hat einen Antrag gestellt, also nicht nur eine Erklärung abgegeben.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Heldmann, bitte sehr.

RA Heldmann:

Ich hake meinem Kollegen Riedel entschieden nach.

Unrichtig, Herr Vorsitzender, ist Ihre Behauptung, die Gefangenen hätten keine Daten angegeben, aus denen sich Schlüsse herleiten ließen auf den Grad ihrer Verhandlungsfähigkeit.

Sie haben nämlich exakt gesagt:

So, Herr Baader, alle hätten 15 Kilogramm Untergewicht und so - zumindest Frau Meinhof und Herr Baader - ihre Konzentrationsfähigkeit sei derart eingeschränkt, daß sie der Verhandlung nicht länger als zwei bis drei Stunden am Tag folgen könnten.

Damit haben wir hinreichend ... haben die Gefangenen selbst hinreichend deutliche Daten gegeben, die für die Mediziner eigentlich das Bild eröffnen müßten, den Nichtmediziner aber zumindest stutzig machen müßten und veranlassen müßten, nunmehr die bisher unterbliebene medizinische Untersuchung nachzuholen.

[601] Vors.:

Wenn ich’s recht sehe, haben wir jetzt zwei ... Augenblick, Frau Meinhof, haben wir jetzt zwei Anträge vorliegen, Herr Rechtsanwalt Schily:

einerseits von ...

Bitte schön, Frau Meinhof.

Angekl. Me[inhof]:

Sie haben die Wahl:

Wollen Sie Ihre Politik, mit der Sie Holger Meins ermordet haben, hier öffentlich fortsetzen: Mißachtung der Menschenrechte, U.-Haft-Vollzugsordnung usw., oder lassen Sie einen Arzt zu. Das ist die Alternative.

Vors.:

Frau Meinhof, über diese Behauptung, Holger Meins sei von mir ermordet worden, da laß ich mich mit Ihnen nicht aus. Das ist ein so abwegiges Argument, was Sie hier vorbringen, daß es sich nicht rentiert, sich damit auseinanderzusetzen.

Angekl. Me[inhof] (Unterbricht):

... kein unmittel... Wollen Sie etwa behaupten, daß es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Tod von Holger gibt und der Tatsache, daß Sie keinen unabhängigen Arzt zugelassen haben zwei Monate lang?

Vors.:

Frau Meinhof, an sich würde ich nicht erwidern.

Aber es ist so:

Wenn Sie das in der Öffentlichkeit behaupten ...

Angekl. Me[inhof] (Wirft ein):

Es ist so. Es ist so, daß Sie keinen Arzt zugelassen haben.

Vors.:

Ich habe ...

[602] Angekl. Me[inhof]:

Es ist so. Es ist kein Arzt zugelassen worden, und Sie haben das verhindert.

Vors.:

Ich habe von dem Zustand Meins, und zwar ein ...

Angekl. Me[inhof]:

Sie sind über den Zustand von Holger ganz genau informiert ge...

Vors.:

Lassen Sie mich bitte mal erwähnen, was geschehen ist in Wirklichkeit:

Ich habe an dem Tage, an dem Meins gestorben ist, mittags um 13.00 Uhr den berühmten und bekanntgewordenen Anruf[28] erhalten, worauf ich darauf hingewiesen wurde. Das war unüberprüfbar ...

(Angekl. Baader unverständlich im Hintergrund)

Vors.:

Herr Baader, ... es ...

Angekl. Ba[ader]: (Wiederholt unverständlich):

... um Untersuchung von einem Arzt seiner Wahl ...

Vors.:

Sie werden nicht behaupten wollen, daß er ...

(Angeklagter Baader unverständlich fortfahrend)

Vors.:

Sie werden doch nicht behaupten wollen, Herr Baader!

(Fortwährendes Dazwischenreden des Angekl. Baader)

[603] Vors.:

Herr Baader, ich habe mich eben mit der Frau Meinhof auseinandergesetzt. Sie haben kein Recht, sich einzumischen. Ich verwarne Sie! Wenn Sie weiterhin sich so aufführen, werden Sie aus dem Saal entfernt werden müssen.

Ich wollte Ihnen lediglich sagen:

Der Zustand von Meins, der bis dahin für das Gericht vollkommen unbedenklich erschienen ist, ist mir am Todestag um 13.00 Uhr in einer völlig unüberprüfbaren Form mitgeteilt worden mit dem Antrag,

Herrn Rechtsanwalt Haag Zugang zu verschaffen.

Das ist geschehen.

Als es dann geheißen hat, er läge im Sterben, war er bereits tot. Das ist die Wahrheit.

Vorher war überhaupt kein Grund gegeben für mich, in irgendeiner Form an eine solche Entwicklung zu denken, auch nicht für den Senat.

Angekl. Ensslin:

(zunächst völlig unverständlich) ... Wochen, nachdem Sie den Antrag abgelehnt hatten. Sie waren vollständig immer auf dem laufenden, genau ... (Weiteres blieb unverständlich)

Vors.:

Will die Bundesanwaltschaft bezüglich des Aufführens der Angeklagten irgendwelche Anträge stellen oder nehmen wir das hin?

OStA Zeis:

Der Bundesanwalt hat beantragt:

Wenn sich die Zwischenrufe fortsetzen sollten, den Ausschluß für den heutigen Tag.

Vors.:

Sie haben das gehört. Es ist darauf hinzuweisen, daß das Gericht genötigt sein würde, wenn Sie sich weiterhin so ungeordnet benehmen wie bisher ...

[604] (Angekl. Ensslin ruft unverständlich dazwischen)

Vors.:

Das hat mit Tatsachen nichts zu tun. Wir können so nicht verhandeln.

Ich darf jetzt feststellen, daß wir zwei Anträge vorliegen haben.

Der eine Antrag, Herr Rechtsanwalt Riedel, war von Ihnen nochmals, Wiederholung,

daß Herr Dr. Henck hier zu hören sei;

und Herr Rechtsanwalt Schily, wenn ich’s recht verstanden habe,

Sie wünschen oder beantragen,

daß nun doch die Ärzte, die in dem Antrag benannt sind, gehört werden.

RA Schi[ly]:

Daß die erst mal Gelegenheit haben, die Gefangenen zu untersuchen.

Ich darf nochmals unterstreichen, daß Herr Dr. Henck das hier auch in der Hauptverhandlung unterstützt hat. Er hat erklärt, er würde das unterstützen, diese Forderung. Und das ist ja vielleicht noch der letzte Restbestand an ärztlicher Verantwortung, den er hier noch sich bewahrt hat, wenn er das unterstützt; denn das ist ja wohl notwendig, daß ein Gefangener, der also hier nun jahrelang und monatelang in verschärfter Form in der Isolation sitzt, daß der wenigstens mal ärztlich untersucht wird.

Das ist doch wohl das ... (unterbricht sich) Also ich weiß nicht, daß man sich überhaupt über so was unterhalten muß. Streitig ...

Vors.:

Sagen Sie, haben Sie Ihren Mandanten eigentlich zu Zeiten, als sie von einem Arzt betreut wurden, nämlich von Herrn Dr. Henck, jemals die Empfehlung gegeben, sich untersuchen zu lassen?

[605] Angekl. Enss[lin]:

Weil wir uns nicht vom Staatsschutz untersuchen lassen, ganz einfach!

Vors.:

Frau Ensslin, ich verwarne Sie nochmals.

Angekl. Enss[lin] (Dazwischenrufend):

Das nützt nichts ... Ihrem Reden.

RA Schi[ly]:

Herr Dr. Prinzing, ich weiß eigentlich wirklich nicht, was solche Fragen sollen.

Seit wann sind wir hier etwa in irgendeiner Weise von Ihnen zu befragen über das, was wir mit unseren Mandanten besprechen? Das ist doch wohl das Allerneueste, daß Sie sozusagen uns fragen. Ich habe mich auch gewundert, daß Sie z.B. den Kollegen Heldmann fragen, ob er die Erklärung kennt oder nicht kennt.

Ich weiß nicht, ob Sie so ’n Begriff kennen wie Anwaltsgeheimnis oder ob der ...

Vors.:

Ist das ein Anwaltsgeheimnis, wenn Sie eben hier hinstehen und sagen: Selbstverständlich habe jedermann das Recht, untersucht zu werden. Er ist ständig in ärztlicher Betreuung ...

RA Schi[ly]:

Nein. Aber sein Anwaltsgeheimnis, was ich meiner Mandantin empfehle oder nicht. Und da werden Sie mich nicht durch keinerlei Fragen dazu bewegen, sei sie noch so provokatorisch gestellt, daß ich dieses Anwaltsgeheimnis verletze.

Vors.:

Sie siedeln sich, um Ihre eigene Ausdrucksweise zu benützen, wieder hoch an.

[606] Es ist doch überhaupt kein Grund gewesen, jetzt irgendwo ein Eingriff in das Anwaltsgeheimnis zu vermuten. Sie ...

RA Schi[ly]:

Herr Dr. Prinzing, was haben Sie mich gefragt?

Sie haben mich gefragt:

Was habe ich meiner Mandantin ...? Haben Sie das und das empfohlen?

Wenn das nicht ... also wenn das nicht das Anwaltsgespräch berührt, dann weiß ich es nicht.

Vors.:

Ich weiß nicht, wenn Sie behaupten, daß eine ärztliche Betreuung der Untersuchungshaftanstalt nicht gegeben ist, ob sich das mit Ihren Pflichten hier verträgt.

RA Schi[ly]:

Die war gegeben.

Vors.:

Sie ist allerdings nicht ausgenützt worden, weil sich die Angeklagten laufend geweigert haben, sich jemals der Untersuchung durch Dr. Henck zu stellen.

RA Schi[ly]:

Herr Dr. Prinzing, ich weise mit Entschiedenheit zurück, hier irgendeine ... eine eine eine Beurteilung, was in meinen anwaltlichen Verpflichtungen liegt oder nicht. Das können Sie gar nicht beurteilen ...

Vors.:

Und ich weise es ...

RA Schi[ly]:

Das können Sie nicht beurteilen.

Und wenn hier nach den Erkenntnissen, die wir nach der Anhörung von Herrn Dr. Henck gewonnen haben - und ich habe ja nun [607] die Gelegenheit gehabt, das erste Mal hier ausführliche Erfahrungen zu machen, wie sich Herr Dr. Henck verhält, dann muß ich Ihnen sagen, hab’ ich jegliches Verständnis dafür, daß ein Gefangener sagt: „Naja. Also da möcht’ ich doch lieber den Arzt meines Vertrauens, der mich untersucht“, unabhängig von der Frage, daß ohnehin durch die Institutionalisierung ... - wir haben ja einen Arzt, der in zweierlei Verantwortung steckt, der ja, und hier, ja, wenn man so will, in einer einseitigen Verantwortung. Aber wenn’s ganz neutral gesehen würde, dann vielleicht zumindest in der zweiseitigen Verantwortung. Und das ist ja auch das alte Problem, das Sie ja vielleicht auch kennen, daß die Ärzte es mit ihrer Verschwiegenheitspflicht nicht mal ernst nehmen.

Ist hier Herr Dr. Henck irgendwie mal gefragt worden, ob er eigentlich von der Verschwiegenheit entbunden ist? Wenn er der Arzt ist? Ist da überhaupt ein Wort darüber gesprochen worden? Nichts, nichts! Und wenn er wirklich der Arzt wäre in seinem persönlichen Verständnis, dann wäre seine erste Erklärung hier gewesen: „Bin ich von der Verschwiegenheit entbunden?“.

Das hat er aber gar nicht gefragt, und das ist auch richtig, weil er eben nicht der Arzt ist!

Vors.:

Das hat jeder Arzt selbst zu beurteilen.

Im übrigen weise ich es mit derselben Entschiedenheit ...

RA Schi[ly]:

Nee, nee! Aber das ist ... nein!

Darüber kann man eben nicht so einfach hinweggehen.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily, ich weise es mit derselben Entschiedenheit zurück, wie wenn Sie tun, als ob den Untersuchungsgefangenen hier in Stammheim keine ärztliche Betreuung zugänglich gewesen wäre. Nur um das geht es.

[608] RA Schi[ly]:

Es wird ihnen keine ärztliche Betreuung zuteil, und Herr Dr. Prinzing, ...

Vors.:

Das ist Ihre Behauptung.

RA Schi[ly]:

... ich gehe doch davon aus, daß Ihnen die Bestimmungen bekannt sind, auch diese UNO-Bestimmung über die Mindestbedingungen des Vollzuges der Untersuchungshaft, die zwingen.[29] Wie gesagt: Das sind ja Mindestbestimmungen; das sind ja nicht irgendwelche Privilegien. Das sind Mindestbestimmungen, und diese Mindestbestimmungen werden diesen Gefangenen verweigert. Das ist das Faktum, und darüber können Sie mit den schönsten Worten nicht hinweggehen!

Vors.:

Werden Sie bitte mal diese Bestimmungen beim Namen nennen?

RA Schi[ly]:

Ja. Ziffer 91, daß der Gefangene das Recht hat, wenn er die Kosten dafür aufbringen kann, von den Ärzten seines Vertrauens untersucht zu werden.

Können Sie nachlesen. Steht in dem Grunau, Untersuchungshaft Vollzugsordnung, in Heimanns-Verlag erschienen. Im Anhang ist es abgedruckt. Dort können Sie’s nachlesen, wenn Sie wollen.

Vors.:

Ich bitte zu den vorliegenden beiden Anträgen die Bundesanwaltschaft, Stellung zu nehmen, nochmals also der Antrag

a) Herrn Dr. Henck zu hören und

b) die Ärzte, die benannt sind, zur Untersuchung zuzulassen.

[609] BA Dr. Wunder:

Aus dem heute morgen bereits mehrfach Ausgeführten

treten wir beiden Anträgen entgegen.

Es sind unserer Auffassung nach keine Gesichtspunkte für Verhandlungsunfähigkeit dargetan, die nicht am vergangenen Sitzungstag bereits erörtert und inzwischen auch beschieden wurden.

Vors.:

Wir werden uns über diese Anträge beraten. Ich bitte ... Bitte sehr, Herr von Plottnitz. Ich denke, Sie wollten das Wort haben?

RA v[on ]Plottnitz:

Ja. Falls Herr Baader das Wort zuvor wünscht, dann ...

aber er gibt es an mich zurück.

Ja. Ich hab’ folgende Frage, Herr Vorsitzender, Sie haben heute früh einen Beschluß verkündet, ein Beschluß, der betraf den Antrag der Kollegin Becker, zu den Bedingungen der Untersuchungshaft und zur Frage der ärztlichen Untersuchung der Gefangenen.

In diesem Antrag war u. a. explizit ausgeführt die soeben von dem Kollegen Schily nochmals zitierte Nr. 91 der Mindestbedingung. Der Senat hat jetzt seinen Beschluß gefaßt.

Er sagt jetzt, er wolle dem nachgehen und das überprüfen durch den Vorsitzenden. Ist dieser Beschluß eigentlich zustande gekommen, ohne daß diese Bestimmung, die jetzt nochmals zur Debatte gestellt wurde, überhaupt überprüft wurde?

Vors.:

Was ist offenkundig?

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Offensichtlich ...

[610] (Angekl. Baader redet unverständlich dazwischen)

Vors.:

Wir haben ganz genau nach den Regeln, die üblich sind, wenn man über die Verhandlungsfähigkeit sich unterhält, entschieden. Wir haben festgestellt, ob hier Gründe dafür vorliegen, eine Verhandlungsfähigkeit anzunehmen oder nicht. Um die Frage der Untersuchung durch diese Ärzte ist es überhaupt nicht gegangen in dem Moment, wo dieser Antrag abzulehnen war.

Angekl. Baader:

Ja, Ich hab hier ’nen Antrag zu stellen.

Vors.:

Das steht ausdrücklich in der Entscheidung drin.

Herr Baader, es sind jetzt Anträge genug gestellt.

Wir ziehen uns, nachdem alles dazu Stellung genommen hat, zurück. Sie können Ihren Antrag nachher stellen.

(Das Gericht zog sich um 14.30 Uhr zur Beratung zurück.)

[611] Fortsetzung um 14.45 Uhr.

Rechtsanwalt Schnabel ist nicht mehr anwesend[pp].

Nach Wiedereintritt wurde folgendes verkündet.

Vors.:

Der Senat hat folgenden Beschluß gefaßt:

1. Der Antrag den Sachverständigen Dr. Henck neu zu hören wird abgelehnt, weil sich nach dem heute früh zum[qq] gleichlautenden Antrag ergangenen Beschluß keine neuen Gesichtspunkte ergeben haben.

2. Der Antrag, die von den Angeklagten benannten Ärzte zur Untersuchung zuzulassen, wird abgelehnt, da an der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten keine Zweifel bestehen. Nummer 91 der zitierten UNO Grundsätze, die im wesentlichen der Nummer 56 der Untersuchungshaftvollzugsordnung entspricht, setzt einen begründeten Antrag voraus. Solange jede Untersuchung durch den Anstaltsarzt abgelehnt wird, vermag sich der Senat kein Urteil über die Begründetheit des Antrags zu bilden.

Herr Rechtsanwalt Heldmann.

RA H[eldmann]:

Herr Vorsitzender, meine Herrn des Senats.

Natürlich, und ich meine, das sei bisher hinreichend deutlich geworden, haben die Angeklagten und hatten sie hinreichende Gründe, Untersuchungen durch den Gefängnisarzt abzulehnen. Darüber ist auch hinreichend gesprochen worden und ich vermisse nur, daß Sie faktisch Gehör gewährt haben. Insbesondere aber erlauben Sie mir, Sie auf folgenden Gesichtspunkt noch hinzuweisen. Mein Mandant, Herr Baader berichtet mir, daß Auszüge aus seiner Krankenakte aus der Anstalt Schwalmstadt[30] abschriftlich mit folgendem Vermerk „Nachricht Bundeskriminalamt Abteilung Staatsschutz“ dem Bundeskriminalamt zugeleitet worden sind, und somit bestätigt sich abermals, was wir heute schon vorgetragen haben, daß diese Ärzte sich nicht als Ärzte in erster Linie verstehen, wo überhaupt, sondern als Organe eben dieser Justiz, die durch Ihre Maßnahmen den beklagenswerten Zustand dieser Angeklagten herbeigeführt hat. Somit ist es eine Zumutung, diesen [612] Angeklagten vorzuwerfen, Sie hätten ihre eigene Behandlung vereitelt, wo Sie keine andere Wahl ließen, als eben diesen Anstaltsarzt, diesem Herrn aus dem Justizvollzug.

Vors.:

Will sich die Bundesanwaltschaft zu dieser Erklärung äußern. Keine Äußerung. Dann fahren wir im Verfahren fort, Herr Rechtsanwalt Schily bitte.

RA Sch[ily]:

Ich habe einen längeren Antrag zu stellen. Bevor ich aber diesen Antrag verlese, scheint es mir erforderlich zu sein, auf einen Umstand hinzuweisen, der doch wiederum einiges deutlich macht über das Verfahren, das hier in diesem Gebäude stattfindet. Sie haben mich soeben in einem kleinen Disput, Herr Vorsitzender, danach gefragt, wo das steht mit den UNO-Mindestbedingungen und mit der Hinzuziehung des Arztes des Vertrauens. Nun steht das unter anderem auf Seite 4 des Schriftsatzes, den Frau Kollegin Becker in den vorigen Verhandlungsterminen verlesen hat. Und es scheint mir außerordentlich bezeichnend zu sein für die Art und Weise, wie mit Anträgen der Verteidigung umgegangen wird, daß nämlich die Begründungen offenbar gar nicht gelesen werden. Denn sonst wär ja die Frage des Herr Vorsitzenden, wo das steht, vollkommen überflüssig gewesen. Und wie gesagt, da es sich jetzt um einen längeren Antrag handelt, den ich zu verlesen habe, schien mir diese Vorbemerkung notwendig zu sein.

Ich habe folgenden Antrag zu stellen:

In der Strafsache gegen Andreas Baader u.a., hier: Gudrun Ensslin, folgt das Aktenzeichen, lehnt die Angeklagte Gudrun Ensslin den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Prinzing wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Zur Begründung wird Namens der Angeklagten Ensslin folgendes vorgetragen:

Im Zusammenhang mit dem Tode von Holger Meins, der am 9. November 1974 nach zweieinhalbjähriger Untersuchungshaft in der Strafanstalt Wittlich verstorben ist, hat der abgelehnte Richter durch sein Verhalten offenbart, daß er sich den Direktiven der Staatsschutzbehörden hinsichtlich aller Maßnahmen, die den Vollzug der Untersuchungshaft be- [613] treffen, unterordnet und angeblichen Sicherheitsinteressen, die seitens der Staatsschutzbehörden geltend gemacht werden, den unbedingten Vorrang vor allen anderen Rechtsgütern ...

An dieser Stelle wurde das Tonband angehalten.

Rechtsanwalt Schily verliest weiter aus dem Antrag Anlage 1 zum Protokoll vom 19.6.1975.

Während der Verlesung des Antrags erscheint Rechtsanwalt Schnabel um 15.00 Uhr wieder im Sitzungssaal.

Vors. (als RA Schily die Verlesung unterbricht und frei spricht):

Verzeihen Sie, Herr Rechtsanwalt, Herr Rechtsanwalt, entschuldigen Sie bitte, Ich habe den Eindruck, daß das nicht in dem schriftlichen Text steht, was Sie gerade gesagt haben.

RA Sch[ily]:

Diese Zwischenbemerkung nicht.

Vors.:

Nun haben wir hier das Band abgestellt, weil wir dachten, Sie würden das schriftlich übergeben. Wollen Sie das nochmals ins Band reingeben.

RA Sch[ily]:

Na, das wird ja so doch aufgenommen worden sein. Es muß nicht jedes Wort von mir ...

Vors.:

Können wir jetzt davon ausgehen, daß wir das Protokoll nicht mitlaufen lassen müssen, d.h. das Band.

RA Sch[ily]:

Nein. Das kann durchaus sein, daß ich mal eine Zwischenbemerkung mache. Also es wäre vielleicht doch sinnvoller dann, im Protokoll das mit festzuhalten. Aber ich kann dann das gerne, wenn das Mikrofon jetzt eingeschaltet ist, dann kann ich das vielleicht doch noch einmal wiederholen.

Es ist interessant, als bei dem Werk Kallweit ja auch ein Hungerstreik die Betriebsratsmitglieder veranstaltet haben, dann von der Gegenseite das Argument kam, das sei eine Erpressung und der Vorsitzende, ich glaube der Aufsichtsratsvorsitzende war es, der dann gesagt hat, hier, wir lassen uns nicht erpressen. Der Gleichklang der Argumentationsweisen ist unverkennbar. Dieser propagandistische Aufwand im Zusammenhang mit dem Hungerstreik der Gefangenen aus der Roten Armee Fraktion diente nicht der Erhaltung der Staats- [614] sicherheit, weil das Machtgefühl ja eines Staates durch einen Hungerstreik, einer gewaltlosen und legitimen Widerstandsform in keiner Weise in Frage gestellt werden kann.

Rechtsanwalt Schily verliest weiter den Antrag Anlage 1 zum Protokoll vom 19. Juni 1975, bis Seite 21.

RA R[iedel] (unterbricht die Verlesung):

Herr Vorsitzender, ich möchte an dieser Stelle für meine Mandantin erklären, daß sie nicht mehr in der Lage ist, dem Vortrag zu folgen. Es ist zu befürchten, daß ein Zustand eintritt, der unter Umständen eine ärztliche Behandlung notwendig macht. Ich bitte deshalb, hier zu unterbrechen.

RA H[eldmann]:

Ich schließe mich dem an für meinen Mandanten, Herrn Baader.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Heldmann. Ich fühle mich ohnehin nicht imstande, nachdem ich abgelehnt bin, über Ihre Anträge irgendwie zu befinden.

RA Sch[ily]:

Unaufschiebbare Handlungen dürfen Sie, das steht in der Strafprozeßordnung.[31] Also Pausen sind ja bekanntlich unaufschiebbare Handlungen.

Also ich darf darauf hinweisen, daß der Schriftsatz noch ...

Ich bin auf Seite 21 und zähle die Anlagen nicht mit, zum Teil muß ich die auch verlesen und er umfaßt insgesamt 48 Seiten der Antrag. Es sind aber ein Teil auch noch der Anträge zu verlesen. Ich bin auf Seite 21. Es sind also noch 27 Seiten.

Vors.:

Darf ich zunächst die Bundesanwaltschaft um Stellungnahme bitten.

BA Dr. Wunder:

Herr Vorsitzender, wir würden anregen, eine Pause von vielleicht 10 Minuten oder einer viertel Stunde einzulegen und dann zu beobachten, ob die weitere Verhandlung möglich sein wird.

RA Sch[ily]:

Herr Dr. Wunder, nach dem normalen Verhandlungsablauf soll [615] doch um 16 Uhr Schluß sein und ich finde nicht, daß dann nun auf diese Weise eine Verlängerung noch eintritt, wobei ja dann die Anstrengung noch größer wird.

BA Dr. W[under]:

Herr Rechtsanwalt, wenn Sie dann noch weitere 10 Seiten vorlesen können, dann gewinnen wir doch wenigstens am heutigen Tage einen gewissen Abschluß in dieser Geschichte.

RA Sch[ily]:

Das glaube ich nicht.

BA Dr. W[under]:

Und ich glaube, beim Vorlesen dieser Seiten muß Ihre Mandantin auch nicht überanstrengt zuhören.

RA Sch[ily]:

Ja, das scheint doch für die Angeklagten von Interesse, was ich hier vortrage.

RA R[iedel]:

... sicher sein zu können, daß hier alle Verfahrensbeteiligten, auf die es ankommt, uneingeschränkt folgen können, nichtwahr. Aber ich meine, der Zustand ist doch nun hinreichend beschrieben worden, ist hinreichend darauf hingewiesen worden, was hier der Fall ist und was hier zu befürchten ist, so daß es also wirklich müßig ist, jetzt wiederum zu streiten, ob nun 10 Minuten gewonnen werden oder nicht.

Vors.:

Wir werden jetzt eine kurze Pause einlegen und uns über andere Maßnahmen noch unterhalten. Wir werden in 10 Minuten wieder zusammenkommen und werden sehen, ob es der Frau Meinhof möglich ist, durch diese Zeit sich so weit zu erholen - wenn es notwendig sein sollte -, daß Sie dem Antrag für die Zeit, die dann noch zur Verfügung steht, weiterfolgen kann. 10 Minuten Pause.

Pause von 15.40 Uhr bis 16.05 Uhr.

Vors. (nach Wiedereintritt des Gerichts):

Wir wollen auf den Antrag, wegen Verhandlungsunfähigkeit zu unterbrechen, deswegen nicht eingehen, weil wir im Hinblick auf die vorgerückte Zeit und dem Umfang des noch [616] Vorzutragenden, den Vorschlag machen wollen, doch jetzt bis morgen früh 9.00 Uhr zu unterbrechen.

Will die Bundesanwaltschaft dazu Stellung nehmen?

OStA Zeis:

Herr Vorsitzender, die Bundesanwaltschaft ist mit dem Vorgeschlagenen einverstanden, wünscht aber, zu dem bisher Vorgetragenen eine ganz kurze Erklärung abzugeben.

RA Sch[ily]:

Dem widerspreche ich. Es geht ja nun nicht, daß die Bundesanwaltschaft sozusagen zu einem Teilstück eines Ablehnungsgesuches bereits Stellung nimmt, das ist ja wohl nicht möglich.

OStA Z[eis]:

Herr Rechtsanwalt Schily, Sie haben hier so ungeheuerliche Dinge behauptet, daß die Bundesanwaltschaft wünscht, nicht aus dem Saal zu gehen, bevor wenigstens eine kurze Erklärung daraufhin abgegeben wird.

RA Sch[ily]:

Herr Bundesanwalt Zeis, das ist eine unmögliche Verfahrensweise, daß Sie sozusagen von einem Teilstück, aber das spricht für Ihre Haltung, oder gegen Ihre Haltung eigentlich.

Vors.:

Darf ich folgendes sagen. Ich habe in der Tat den Eindruck, daß schon Stellung genommen werden soll, zu dem Inhalt des Teilvortrages. Ich glaube auch, daß das etwas ist, was wir der Verteidigung auch verwehrt haben. Ich sehe mich also nicht in der Lage, Ihrer Bitte stattzugeben. Ich bitte dafür um Verständnis. Wir setzen morgen früh um 9.00 Uhr fort.

Ende der Sitzung 16.10 Uhr

Ende von Band 23


[1] Rechtsanwalt Schily äußerte am 5. Verhandlungstag die Vermutung, die Bundesanwaltschaft verfüge - anders als die Verteidigung - über eine selbstständige Mikrofonanlage, mit welcher sie die eigenen Mikrofone selbsttätig einschalten könnten (S. 404 des Protokolls der Hauptverhandlung, 5. Verhandlungstag).

[2] Anlage 1 zum Protokoll vom 18.06.1975: Mitteilung des Rechtsanwalts Schlaegel.

[3] Die Angeklagten wurden während des vorigen Verhandlungstages wegen fortgesetzter Störung der Hauptverhandlung nach § 177 GVG i.V.m. § 231b Abs. 1 StPO von dieser ausgeschlossen, s. S. 527 des Protokolls der Hauptverhandlung (5. Verhandlungstag). Nach §§ 231b Abs. 2, 231a Abs. 2 StPO sind die Angeklagten bei ihrer Rückkehr von dem wesentlichen Inhalt dessen, was in ihrer Abwesenheit verhandelt wurde, zu unterrichten.

[4] Verhandlungsfähigkeit ist die Fähigkeit „in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen“ (BGH, Beschl. v. 8.2.1995 - Az.: 5 StR 434/94, BGHSt 41, S. 16, 18). Die Verhandlungsunfähigkeit bildet ein vorübergehendes oder dauerndes Verfahrenshindernis (§§ 205, 206a StPO). Eingeschränkter Verhandlungsfähigkeit kann durch die Anordnung besonderer Maßnahmen (ärztliche Unterstützung, Einlegung von Erholungspausen o.ä.) begegnet werden (s. dazu auch Rechtsanwalt Dr. Heldmann auf S. 1255 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 15. Verhandlungstag). Bei vorsätzlicher und schuldhafter Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit kann die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten durchgeführt werden (§ 231a StPO).

[5] Zur Vernehmung des Herrn Dr. Henck s. S. 357 ff. (5. Verhandlungstag).

[6] § 257 Abs. 1 StPO a.F. lautete: „Nach der Vernehmung eines jeden Zeugen, Sachverständigen oder Mitangeklagten sowie nach der Verlesung eines jeden Schriftstücks (heute: nach der Vernehmung eines jeden Mitangeklagten und nach jeder einzelnen Beweiserhebung) soll der Angeklagte befragt werden, ob er dazu etwas zu erklären habe.“

[7] § 257 StPO wurde durch das Ergänzungsgesetz zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz vom 20.12.1974 (BGBl. I, S. 3686) neu gefasst. Die zuvor in § 257a StPO enthaltene Vorschrift gab der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft dem Wortlaut nach ein zeitlich und inhaltlich unbeschränktes Erklärungsrecht. Vereinzelt wurde zwar vertreten, dass die Einschränkung des § 257 StPO a.F., welcher das Erklärungsrecht von Angeklagten zumindest zeitlich an vorangegangene Beweismittel knüpfte, auf das Erklärungsrecht nach § 257a StPO übertragen werden müsse; überwiegend wurde dies aber aufgrund des unbeschränkten Wortlautes abgelehnt (s. dazu Gollwitzer, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 2, 22. Aufl. 1973, § 257a Anm. 1 ff.). Mit der Neufassung wurden die Erklärungsrechte sowohl der Angeklagten, als auch der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft, inhaltlich und zeitlich auf vorangegangene Beweismittel beschränkt.

[8] Das Freibeweisverfahren findet Anwendung zum Beweis von Tatsachen, die nicht die Straf- oder Schuldfrage, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, betreffen. Im Unterschied zum dort anzuwendenden Strengbeweisverfahren ist das Gericht im Freibeweisverfahren nicht auf die Wahl bestimmter Beweismittel beschränkt, sondern kann grundsätzlich alle verfügbaren Erkenntnisquellen nutzen (BGH, Urt. v. 28.6.1961 - Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166).

[9] Das Gericht ist im Freibeweisverfahren grundsätzlich nicht an die Förmlichkeiten des Strengbeweisverfahrens (§§ 244 ff. StPO) gebunden. Allerdings muss auch hier der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gewahrt werden; sodass den Prozessbeteiligten die Möglichkeit eingeräumt werden muss, sich zu den Ergebnissen zu äußern. Auch die Frage- und Erklärungsrechte (§§ 240, 257 StPO) sind in diesem Zusammenhang zu gewähren (Becker, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 6, 27. Aufl. 2019, § 244 Rn. 37; Trüg/Habetha, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 244 Rn. 45 f.).

[10] Die Hauptverhandlung befindet sich in diesem Zeitpunkt im Stadium zwischen der Feststellung der Anwesenheit und der Vernehmung der Angeklagten zur Person (§ 243 Abs. 1 und 2 StPO). Erklärungen der Angeklagten sind erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen, nämlich zum einen bei ihrer Vernehmung zur Sache (§ 243 Abs. 4 StPO a.F.; heute: § 243 Abs. 5 StPO), zum anderen im Stadium der Beweisaufnahme (§ 244 StPO), für die § 257 Abs. 1 StPO beweismittelbezogene Erklärungsrechte vorsieht.

[11] Diether Posser (SPD) war von 1972 bis 1978 Justizminister in Nordrhein-Westfalen. Als solcher war er auch zuständig für die JVA Köln-Ossendorf, in der Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Astrid Proll zwischen 1971 und 1973 für unterschiedlich lange Zeiträume in Einzelhaft untergebracht waren. Die dortigen besonders harten Haftbedingungen wurden von Rechtsanwalt Ulrich Preuß als einem der ersten als „Folter“ bezeichnet. Anfang 1973 erstattete Preuß Strafanzeige gegen Posser (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 103 f.; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 96 f., 103 ff.).

[12] Die Befugnis des/der Vorsitzenden, unzulässige oder weitschweifige Ausführungen einzuschränken, leitet sich aus der Zuweisung der Verhandlungsleitung (§ 238 Abs. 1 StPO) ab (Becker, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 6, 27. Aufl. 2019, § 238 Rn. 3).

[13] Während bis zum 31.12.1974 die sog. Blockverteidigung - die kollektive Verteidigung mehrerer Angeklagter bei gleicher Interessenlage - zulässig war, wurde durch das Ergänzungsgesetz zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) mit Wirkung zum 1.1.1975 das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) eingeführt. Jede/r Verteidiger/in durfte fortan nur noch eine/n Angeklagte/n vertreten, mithin auch nur für eine/n Angeklagte/n anwaltlich tätig werden.

[14] Mit „Trakt“, auch „Toter Trakt“, bezeichneten die Angeklagten einen isolierten Trakt innerhalb einer JVA. In der JVA Köln-Ossendorf befand sich ein solcher Trakt in der psychiatrischen Frauenabteilung, in der zunächst Astrid Proll untergebracht war, später auch Ulrike Meinhof, bevor sie im April 1974 nach Stuttgart-Stammheim verlegt wurde. Im Februar 1974 wurde auch Gudrun Ensslin für zwei Monate nach Köln-Ossendorf verlegt (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97 ff.). Meinhof beschrieb den Zustand im Trakt mit den Worten: „Das Gefühl, es explodiert einem der Kopf (das Gefühl, die Schädeldecke müsste eigentlich zerreißen, abplatzen) - das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepresst [...]. das Gefühl, die Zelle fährt [...] rasende Aggressivität, für die es kein Ventil gibt. Das ist das Schlimmste. Klares Bewußtsein, daß man keine Überlebenschance hat [...]“ (Erklärung von Ulrike Meinhof, abgedruckt in Stuberger, „In der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a.“, 5. Aufl. 2014, S. 103 ff.; s. auch die Ausführungen im Antrag der Angeklagten am 5. Verhandlungstag, Anlage 1 zum Protokoll vom 12.6.1975, insbes. die S. 425 ff. des Protokolls bzw. 20 ff. der Anlage; s. zu den Haftbedingungen in Köln-Ossendorf aber auch Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 95 ff.).

[15] Mit Beschluss vom 13.7.1973 gab der Untersuchungsrichter am BGH Knoblich dem Antrag der Bundesanwaltschaft statt, Ulrike Meinhof - notfalls gegen ihren Willen unter Anwendung von Narkose - auf ihre Zurechnungsfähigkeit während der Tatzeit untersuchen zu lassen. Hintergrund war, dass sie sich 1962 aufgrund eines gutartigen Tumors einer Gehirnoperation unterziehen musste, sodass der Verdacht einer Beeinträchtigung durch einen Tumor aufkam. Zu den genehmigten Behandlungen zählten Röntgenaufnahmen und eine Szintigraphie des Gehirns. In einem offenen Brief wandten sich 70 Ärzte und Medizinalassistenten direkt an den Richter am BGH Knoblich mit der Aufforderung, diesen Beschluss aufzuheben (der Brief ist abgedruckt in Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD, Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, S. 133 f.). Dies geschah schließlich auch auf Antrag der Bundesanwaltschaft, allerdings mit der Begründung, die Untersuchung sei aufgrund neuer Erkenntnisse überflüssig geworden (so Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 115 f.; s. dazu auch Ulrike Meinhof am 19. Verhandlungstag, S. 1541 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[16] Die Schaffung einer speziellen gesetzlichen Kronzeugenregelung wurde zum damaligen Zeitpunkt zwar diskutiert, erfolgte aber zunächst nicht. Während bereits mit Gesetz vom 28.7.1981 (BGBl. I, S. 681) eine Kronzeugenregelung für Betäubungsmitteldelikte geschaffen wurde (§ 31 BtMG), geschah dies erst 1989 auch für terroristische Straftaten (BGBl. I, S. 1059, 1061). Diese Regelung trat jedoch zum 1.12.1999 wieder außer Kraft. Erst seit dem 1.9.2009 gibt es im deutschen Strafrecht mit § 46b StGB eine allgemeine Kronzeugenregelung (eingeführt durch das 43. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29.7.2009, BGBl. I, S. 2288).

[17] Holger Meins, ursprünglich Mitangeschuldigter im Stammheim-Prozess, starb noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) am 9. November 1974 in Untersuchungshaft in Wittlich an den Folgen des dritten Hungerstreiks. Da zu diesem Zeitpunkt der Senat als Gericht der Hauptsache zuständig für den Vollzug der Untersuchungshaft und damit auch für Entscheidungen über die Haftbedingungen war (§ 126 Abs. 2 StPO), machten die Angeklagten den Senat, insbesondere den Vorsitzenden Dr. Prinzing, unmittelbar verantwortlich für den Tod von Holger Meins. Gegen ihn (und weitere) erstattete Rechtsanwalt von Plottnitz im Namen von Meins’ Angehörigen sowie im eigenen Namen Strafanzeige wegen Mordes (Auszüge der Strafanzeige sind abgedruckt in Stuberger, „In der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a.“, 5. Aufl. 2014, S. 195 f.; vollständig, aber schlecht lesbar, befindet sich die Strafanzeige auch im Anhang zu Anlage 1 zum Protokoll vom 19. Juni 1975, 7. Verhandlungstag, S. 644 ff.). Eine auf die Ereignisse um den Tod Holger Meins’ gestützte Ablehnung des Vorsitzenden Dr. Prinzing wegen Besorgnis der Befangenheit durch die Angeklagte Ensslin findet sich in Anlage 1 zum Protokoll vom 19. Juni 1975 (7. Verhandlungstag, S. 620 ff.). Die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden Dr. Prinzing befindet sich auf S. 677 ff. (ebenfalls 7. Verhandlungstag).

[18] Siegfried Hausner war Mitglied der RAF und Teil des „Kommando Holger Meins“, das am 24. April 1975 bei dem Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm zwölf Geiseln nahm, zwei Menschen tötete und die Freilassung von 26 Gefangenen, darunter der Angeklagten Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof, forderte. Aus weiterhin unbekannten Gründen explodierte kurz vor der Stürmung des Gebäudes durch schwedische Spezialkräfte im Inneren der Botschaft ein Sprengsatz, infolgedessen Hausner schwer verletzt wurde. Trotz dieser Verletzungen wurde Hausner wenige Tage später in die Bundesrepublik ausgeliefert und auf die Intensivstation der JVA Stammheim verlegt, wo er Anfang Mai 1975 verstarb (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 512, 515 f.; Forsbach, Die 68er und die Medizin, 2011, S. 95 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 766 Anm. 80).

[19] Andreas Baader bezieht sich wohl auf eine Bemerkung des Regierungsdirektors Widera am 5. Verhandlungstag (S. 505 des Protokolls der Hauptverhandlung), in der dieser allerdings lediglich eine Aussage des befragten Anstaltsarztes Dr. Henck zusammenfasste: „Aber der Sachverständige hat bereits gesagt, er hat Hausner nicht nur für haftunfähig sondern auch für transportunfähig gehalten. Und wenn jemand für transportunfähig gehalten wird, dann ist die Frage von Herrn Baader meines Erachtens beantwortet“.

[20] Die Fotografin Astrid Proll hatte bereits im Oktober 1967 im Zuge der Vietnam-Demonstration versucht, mit Baader einen Sprengstoff-Anschlag auf das Berliner Amerikahaus durchzuführen, der jedoch scheiterte. Zusammen mit Baader und Ensslin ging sie 1969 in den Untergrund. Anfang Mai 1971 wurde sie in Hamburg verhaftet. Während ihrer Einzelhaft in der JVA Köln-Ossendorf verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand, sodass das Verfahren gegen sie vor dem LG Frankfurt im Herbst 1973 unterbrochen und sie im Februar 1974 schließlich wegen Haftunfähigkeit entlassen werden musste. Anschließend tauchte sie unter. Im September 1978 wurde sie schließlich in London verhaftet und im Sommer 1979 in die Bundesrepublik ausgeliefert, wo sie zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von fünfeinhalb Jahren verurteilt wurde. Da Proll bereits längere Zeit in Untersuchungshaft gesessen hatte, wurde ihr diese Zeit angerechnet und sie wurde auf Bewährung entlassen (Edschmid, Frau mit Waffe, 3. Aufl. 2014, S. 171 f.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 41; Kraushaar, Die blinden Flecken der RAF, 2017, S. 47, 150; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 125 f.).

[21] Während des dritten Hungerstreiks in Stammheim besuchte der französische Philosoph Jean-Paul Sartre am 4. Dezember 1974 Andreas Baader in der Haftanstalt. Über ihren Anwalt Klaus Croissant hatten die RAF-Mitglieder zuvor Kontakt zu Sartre aufgenommen, damit dieser persönlich die von ihnen als „Isolationsfolter“ bezeichneten Haftbedingungen bezeugen konnte. In einer anschließenden Pressekonferenz bestätigte Sartre diese Angaben. Allerdings ist mittlerweile bekannt, dass Sartre während des relativ kurzen und für beide Seiten enttäuschenden Gesprächs mit Baader zu keiner Zeit Zugang zu dessen oder anderen Zellen hatte, um sich ein eigenes Bild zu machen. Nichtsdestotrotz rief Sartre auf der Konferenz zur Gründung eines internationalen Komitees zum Schutz der politischen Gefangenen in der BRD auf (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 254 ff.; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 275 ff.).

[22] Mit Entscheidung vom 30. Mai 1975 wies die Europäische Menschenrechtskommission eine Beschwerde der Inhaftierten Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Holger Meins und Wolfgang Grundmann, die sich auf die ihrer Ansicht nach menschenrechtswidrigen Haftbedingungen stützte, als offensichtlich unbegründet zurück. Die inhaftierten Mitglieder der RAF seien schon keine politischen Gefangenen, da sie sich nicht aufgrund ihrer politischen Überzeugungen, sondern aufgrund des Verdachts schwerer, gemeingefährlicher Straftaten, in Haft befänden. Angesichts der Gefährlichkeit der Beschwerdeführer/innen, die sich u.a. in der gewaltsamen Befreiung Andreas Baaders’ gezeigt habe, seien die angeordneten Maßnahmen als zulässig zu erachten (EKMR, M.B. v. The Federal Republic Of Germany, Nr. 5874/72, Entsch. v. 30.5.1975, EuGRZ 1975, S. 455, 458 ff.).

[23] Die Hauptverhandlung beginnt nach dem Aufruf der Sache und Feststellung der Anwesenheit mit der Vernehmung der Angeklagten zur Person, an die sich die Verlesung der Anklage (heute außerdem: Mitteilung über ggf. stattgefundene Erörterungen) sowie die Vernehmung der Angeklagten zur Sache anschließen. Hierauf folgt die Beweisaufnahme (§§ 243, 244 StPO). Das Verfahrensstadium zwischen dem Aufruf der Sache und der Vernehmung zur Person nimmt üblicherweise nur wenig Raum ein. In diesem Verfahren allerdings fand die Vernehmung zur Person sowie die Verlesung der Anklageschrift aufgrund vorrangiger Anträge erst am 26. Verhandlungstag statt.

[24] Noch im Stockholmer Krankenhaus soll eine Schädelfraktur bei Siegfried Hausner festgestellt worden sein, angeblich entstanden durch Polizeigewalt während der Verhaftung Hausners (s. die Ausführungen von Andreas Baader auf S. 1233 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 15. Verhandlungstag). Auch der Anstaltsarzt Dr. Henck soll diese Verletzung in Stuttgart-Stammheim attestiert haben. Bei der späteren Obduktion durch Herrn Prof. Rauschke soll sie hingegen nicht entdeckt worden sein, was durch die Angeklagten als „Unterschlagung“ gewertet wurde; den Tod Hausners bezeichneten sie als Mord (Ulrike Meinhof am 19. Verhandlungstag, S. 1544 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[25] Ein Beweisantrag erfordert grundsätzlich die hinreichende Konkretisierung sowohl der zu beweisenden Tatsache, als auch des Beweismittels (früher bereits ständige Rechtsprechung, s. etwa BGH, Urt. v. 23.1.1951 - Az.: 1 StR 37/50, BGHSt 1, S. 29, 31; BGH, Urt. v. 7.5.1954 - Az.: 2 StR 27/54, BGHSt 6, S. 128, 129; BGH, Urt. v. 12.8.1960 - Az.: 4 StR 48/60, NJW 1960, S. 2156, 2157; heute definiert in § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO). Ein Beweisermittlungsantrag liegt hingegen vor, wenn entweder die Beweistatsache oder das Beweismittel nicht hinreichend konkretisiert ist. Die Unterscheidung ist deshalb von Bedeutung, da § 244 Abs. 3-6 StPO begrenzte und abschließende Ablehnungsgründe für Beweisanträge enthält. Liegt keiner dieser Ablehnungsgründe vor, ist dem Beweisantrag zu entsprechen. Beweisermittlungsanträge berücksichtigt das Gericht hingegen nur nach § 244 Abs. 2 StPO im Rahmen seiner allgemeinen Aufklärungspflicht, die Ablehnung eines Beweisermittlungsantrags ist nicht auf die Gründe des § 244 Abs. 3-6 StPO beschränkt. § 244 Abs. 3 StPO bezieht sich jedoch auf das sog. Strengbeweisverfahren. Im hier anzuwendenden Freibeweis (zum Anwendungsbereich s. bereits Fn. 8) entscheidet das Gericht über den Umfang der Beweisaufnahme nach pflichtgemäßem Ermessen (Krehl, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 244 Rn. 17), sodass die Unterscheidung zwischen Beweis- und Beweisermittlungsantrag letztlich ohne Bedeutung ist (s. auch Trüg/Habetha, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 244 Rn. 46, wonach Beweisanträgen im Freibeweis lediglich die Qualität einer Beweisanregung zukomme).

[26] Eine Gegenvorstellung ist ein Rechtsbehelf, der zwar nicht in der Strafprozessordnung vorgesehen, allerdings in Rechtsprechung und Literatur überwiegend anerkannt ist. Sie beinhaltet die formlose Aufforderung, über eine getroffene Entscheidung erneut zu befinden und die Entscheidung aufzuheben oder abzuändern (Hoch, in Satzger/Schluckebier/Widmaier [Hrsg.], Strafprozessordnung, 4. Aufl. 2020, Vor §§ 296 ff. Rn. 39 ff.).

[27] Die „Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen“ der Vereinten Nationen von 19757/77 sehen in Nr. 91 vor: „Untersuchungsgefangenen ist auf begründeten Antrag zu gestatten, sich von ihrem eigenen Arzt oder Zahnarzt besuchen und behandeln zu lassen, wenn sie die anfallenden Kosten tragen können.“ Dieser Grundsatz ist auch in der revidierten Fassung von 2015 (sog. Mandela-Rules) in Nr. 118 enthalten. Verbindlich sind diese Resolutionen der VN-Generalversammlung nicht, da diese lediglich Empfehlungen aussprechen kann (Art. 9 ff. der Charta der Vereinten Nationen). In der Nr. 56 Abs. 1 der UVollzO findet sich eine entsprechende Vorschrift, die als Verwaltungsvorschrift jedoch für die Gerichte ebenfalls nicht bindend ist (BVerfG, Beschl. v. 19.2.1963 - Az.: 1 BvR 610/62, BVerfGE 15, S. 288, 294). Mittlerweile kommt dieser Verwaltungsvorschrift des Bundes keine Bedeutung mehr zu, seit durch das Föderalismusreformgesetz vom 28.8.2006 die Gesetzgebungskompetenz für die Untersuchungshaft den Ländern übertragen wurde und diese sämtlich von ihrer Ersetzungskompetenz (Art. 125a Abs. 1 GG) Gebrauch gemacht haben.

[28] Unstreitig ist, dass Rechtsanwalt Dr. Croissant den Vorsitzenden Dr. Prinzing am 9. November 1974 anrief und ihn auf den kritischen Gesundheitszustand von Holger Meins hinwies. Der genaue Inhalt des Gesprächs wird von den Beteiligten unterschiedlich dargestellt. Dr. Prinzing gab an, hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes der Schilderung skeptisch gewesen zu sein. Die Hinzuziehung eines Arztes unterblieb letztlich - aus welchen Gründen ist unklar. Die Justizvollzugsanstalt in Wittlich soll Dr. Prinzing auf Nachfrage versichert haben, der Zustand von Holger Meins sei nicht so dramatisch, wie von Rechtsanwalt Dr. Croissant dargestellt. Gegen 17 Uhr am selben Tag verstarb Holger Meins (s. zu den unterschiedlichen Schilderungen der Ereignisse die hierauf gestützte Ablehnung des Vorsitzenden durch Rechtsanwalt Schily, Anlage 1 zum Protokoll vom 19. Juni 1975, S. 620 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 7. Verhandlungstag, sowie die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden Dr. Prinzing, S. 677 ff., ebenfalls 7. Verhandlungstag).

[29] Zur fehlenden Rechtsverbindlichkeit der Mindestgrundsätze s. bereits Fn. 27.

[30] Nach seiner Verhaftung im Juni 1972 war Andreas Baader bis zu seiner Verlegung nach Stuttgart-Stammheim im November 1974 in der JVA Schwalmstadt untergebracht (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97).

[31] Eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit hatte nach damaliger Rechtslage zur Folge, dass der/die abgelehnte Richter/in vorläufig amtsunfähig wurde und damit ab dem Zeitpunkt der Ablehnung nicht mehr an Entscheidungen mitwirken durfte; eine Ausnahme galt nur für unaufschiebbare Handlungen (§ 29 StPO a.F.). Unaufschiebbar ist eine Handlung dann, wenn sie wegen ihrer Dringlichkeit nicht aufgeschoben werden kann, bis ein/e Ersatzrichter/in eintritt (BGH, Beschl. v. 3.4.2003 - Az.: 4 StR 506/02, BGHSt 48, S. 264, 265; BGH, Urt. v. 14.2.2002 - Az.: 4 StR 272/01, NStZ 2002, S. 429, 430). Nachdem zwischenzeitliche Gesetzesänderungen weitere Mitwirkungsmöglichkeiten u.a. bei in der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungen ermöglichten, wurde das Verfahren nach einer Ablehnung durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 (BGBl. I, S. 2121) grundlegend neu geregelt. Nach § 29 Abs. 1 StPO sind zwar weiterhin nur unaufschiebbare Handlungen gestattet; die Hauptverhandlung wird aber nach § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO gesetzlich als unaufschiebbar eingeordnet. Bis zur Entscheidung über die Ablehnung (Frist: zwei Wochen, Abs. 3) findet diese nun unter Mitwirkung des/der abgelehnten Richter/in statt. Wird die Ablehnung für begründet erklärt, ist der seit Anbringung des Ablehnungsgesuchs durchgeführte Teil der Hauptverhandlung zu wiederholen, es sei denn, dies ist nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand möglich (Abs. 4).


[a] Handschriftlich ersetzt: wie durch die

[b] Handschriftlich ersetzt: Es durch Dies

[c] Maschinell ersetzt: war bis jetzt noch nicht erschienen durch ist nicht mehr anwesend.

[d] Handschriftlich ersetzt: ... durch Ich bitte

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[l] Handschriftlich ersetzt: generellhermetische durch generelle theoretische

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[ff] Handschriftlich durchgestrichen: ihnen

[gg] Maschinell ergänzt: gelangt

[hh] Maschinell eingefügt: und

[ii] Maschinell durchgestrichen: wir

[jj] Handschriftlich ersetzt: rein durch kein

[kk] Handschriftlich eingefügt: hat

[ll] Maschinell eingefügt: darüber

[mm] Handschriftlich durchgestrichen: Arkodo

[nn] Handschriftlich ersetzt: mute durch müßte

[oo] Maschinell ersetzt: In durch Wenn

[pp] Maschinell ersetzt: war bisher noch nicht erschienen durch ist nicht mehr anwesend

[qq] Handschriftlich eingefügt: zum