191. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Donnerstag, den 21. April 1977 um 9.01 Uhr



[13930] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Donnerstag, den 21. April 1977 um 9.01 Uhr

191. Verhandlungstag

Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen in derselben Besetzung wie am 175. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte sind anwesend:

JustOSekr. Janetzko und

Just. Ass. Clemens

Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]

Als deren Verteidiger sind erschienen:

Rechtsanwälte Dr. Augst (als Vertreter von RA Eggler), Schnabel, Schwarz, Schlaegel und Grigat.

Vors.:

Die Sitzung wird fortgesetzt.

Ich habe zunächst festzustellen:

Herr Rechtsanwalt Eggler läßt sich für heute entschuldigen.

Er wird durch Herrn Rechtsanwalt Dr. Augst vertreten.

Sodann besteht Anlaß, auf Rückfrage - für mich, für den Senat - auf folgendes hinzuweisen, daß nämlich der Senat in der Hauptverhandlung vom 14. April 1977 die Anwesenheit der Angeklagten in der Hauptverhandlung weiterhin für nicht unerläßlich[2] erklärt hat.

Damit hat er zum Ausdruck gebracht, daß sich an der durch den Senatsbeschluß vom 30.9.1975 nach § 231a StPO eingetretenen Rechtslage[3] nichts geändert hat. Der am 31.3.1977 gestellte Antrag der Rechtsanwälte Schlaegel und Grigat, die Hauptverhandlung zu unterbrechen, bis die Ursachen für die derzeitige Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten Raspe untersucht sind, ist damit erledigt.

[13931] Es wird darauf hingewiesen, daß nach dem Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 22.10.1975 eine unterschiedliche Gewichtung der für die Verhandlungsunfähigkeit in Betracht kommenden Ursachen, nämlich Hungerstreik und Haftbedingungen, rechtlich nicht von Belang ist, zum einen, weil die Angeklagten die Haftbedingungen selbst zu vertreten haben,[4] zum anderen, weil die Angeklagten die ihnen nach den Haftbedingungen seit 1975 eingeräumten Möglichkeiten, insbesondere die Gelegenheit zu vermehrten zwischenmenschlichen Kontakten durch gemeinsamen Hofgang mit anderen Anstaltsinsassen, nicht ausgenutzt, sondern von vornherein abgelehnt haben; sie haben damit abgelehnt, was das Gericht auf Grund der Empfehlungen der Ärzte angeordnet hatte. Auch das haben die Angeklagten allein zu vertreten.

Damit sind wir in dem Stadium, daß wir mit den Schlußvorträgen der Verteidigung beginnen können.

Die Verteidiger erhalten nunmehr zu ihren Ausführungen das Wort.

Der Verteidiger des Angeklagten Baader, Rechtsanwalt Schwarz, plädiert in der Zeit von 9.04 Uhr bis 9.50 Uhr und beantragt die Einstellung des Verfahrens.

Während den Ausführungen von RA Schwarz:

Bundesanwalt Dr. Wunder verläßt in der Zeit von 9.07 Uhr bis 9.12 Uhr den Sitzungssaal.

Pause von 9.50 Uhr bis 10.01 Uhr

Bei Fortsetzung der Hauptverhandlung ist OStA Holland nicht mehr anwesend.

Sodann erhält der Verteidiger des Angeklagten Baader, Rechtsanwalt Schnabel, zu seinen Ausführungen das Wort.

Er plädiert in der Zeit von 10.01 Uhr bis 10.32 Uhr und beendet seine Ausführungen mit der Bitte, eine gerechte Entscheidung zu fällen.

[13932] Während den Ausführungen von RA Schnabel:

OStA Holland erscheint wieder um 10.06 Uhr im Sitzungssaal.

Der Verteidiger des Angeklagten Raspe, Rechtsanwalt Grigat, plädiert anschließend in der Zeit von 10.32 Uhr bis 11.07 Uhr und stellt den Antrag auf Einstellung des Verfahrens.

Der Verteidiger des Angeklagten Raspe, Rechtsanwalt Schlaegel, plädiert daraufhin in der Zeit von 11.07 Uhr bis 11.31 Uhr und stellt den Antrag, das Verfahren wegen Verfahrensmängeln einzustellen.

Ferner wird beantragt, den Angeklagten Raspe wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes bei seiner Festnahme nicht zu bestrafen.

Im übrigen stellt RA Schlaegel keine Anträge.

Während den Ausführungen von RA Schlaegel:

Bundesanwalt Dr. Wunder verläßt in der Zeit von 11.09 Uhr bis 11.16 Uhr den Sitzungssaal.

Vors.:

Ich will noch bekanntgeben, daß mir während der Sitzung ein Telegramm von Herrn Rechtsanwalt Künzel überreicht wurde, welches lautet:

Der Vorsitzende verliest daraufhin das Telegramm des Rechtsanwalts Künzel vom 21. April 1977, welches als Anlage 1 zu Protokoll genommen wird.

Das erklärt auch, warum Herr Rechtsanwalt Künzel in der Sitzung nicht anwesend ist.

Es wäre dann an Sie, Herr Rechtsanwalt Dr. Augst, die Frage zu richten, ob Sie bereit sind, ...

RA Dr. Augst:

Ich bitte um eine Pause bis ¼ vor 12 Uhr.

Vors.:

Dann werden wir 11.45 Uhr mit der Verhandlung fortfahren.

Pause von 11.32 Uhr bis 11.45 Uhr

[13933] Sodann erhält der Verteidiger der Angeklagten Ensslin, Rechtsanwalt Dr. Augst (als Vertreter von RA Eggler) zu seinen Ausführungen das Wort.

Es plädiert bis 11.49 Uhr und beendet seine Ausführungen mit dem Antrag, das Verfahren einzustellen.

Vors.:

Werden seitens der Verteidiger sonst noch Wortmeldungen gewünscht? Nicht.

Will seitens der Bundesanwaltschaft erwidert werden?

BA Dr. Wunder:

Die Bundesanwaltschaft sieht von einer Replik ab.

Vors.:

Danke.

Nach der Prozeßordnung kommt dann das letzte Wort der Angeklagten. Der Senat wird, obwohl er die Anwesenheit der Angeklagten auch hierzu nicht für unerläßlich hält, dennoch die Angeklagten benachrichtigen lassen, daß sie die Gelegenheit zum letzten Wort haben.

Der Senat wird die Angeklagten hierbei befragen lassen, ob sie diese Gelegenheit zum letzten Wort nutzen wollen.

Wir werden hierzu eine Pause einlegen und werden die Verhandlung 12.15 Uhr fortsetzen.

Ich hoffe, daß bis dahin eine Willensäußerung der Angeklagten vorliegt, ob sie die Gelegenheit zum letzten Wort wahrnehmen wollen.

Ich unterbreche daher jetzt. Fortsetzung 12.15 Uhr.

Pause von 11.50 Uhr bis 12.22 Uhr.

Vors.:[a]

Ich habe, wie vorhin im Sitzungssaal bekanntgegeben, folgende Verfügung erlassen:

Der Vorsitzende verliest nunmehr die Verfügung vom 21.4.1977, welche als Anlage 2 dem Protokoll beigefügt wird.

Es ist mir dann folgender Aktenvermerk wieder zugegangen.

Daraufhin gibt der Vorsitzende den Inhalt des Aktenvermerks bekannt, welcher ebenfalls als Anlage 2 dem Protokoll beigefügt ist.

[13934][5] [13935][6] [13936] Vors.:

Im Hinblick auf diese Erklärung schließe ich für heute die Verhandlung.

Fortsetzung wird sein am

Donnerstag, den 28. April 1977, 9.00 Uhr.

Die Fortsetzung kann in der Verkündung eines Urteils bestehen. Ich bitte die Beteiligten, sich aber auch darauf einzurichten, daß möglicherweise erst am Freitag, dem 29.4.1977, 9.00 Uhr oder am Montag, dem 2. Mai 1977 fortgesetzt werden wird.

Das würde rechtzeitig mitgeteilt werden.

Zunächst also als neuer Termin, als Fortsetzung der Hauptverhandlung,

Donnerstag, 28. April 1977, 9.00 Uhr.

Damit ist die Sitzung für heute geschlossen.

Ende des 191. Verhandlungstages um 12.24 Uhr.

- Ende von Band 825 -


[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 – Az.: 1 StE 1/74 – StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).

[2] Voraussetzung für die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten nach § 231a StPO (vorsätzliche und schuldhafte Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit) ist, dass das Gericht ihre Anwesenheit nicht für unerlässlich hält.

[3] Da die vollständige Verhandlungsfähigkeit – d.h. die Fähigkeit, „in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen“ (BGH, Beschl. v. 8.2.1995 – Az.: 5 StR 434/94, BGHSt 41, S. 16, 18) – der Angeklagten durch die Verteidigung seit Beginn der Hauptverhandlung immer wieder bestritten wurde, beauftragte das Gericht mit Beschluss vom 18.7.1975 eine Kommission aus Sachverständigen verschiedener Fachrichtungen mit der Begutachtung der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten (der Beschluss selbst ist nicht im Protokoll enthalten, vgl. aber den ergänzenden Beschluss in Anlage 2 zum Protokoll vom 29.7.1975, S. 1570 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 20. Verhandlungstag; zur Chronologie der Beauftragungen der verschiedenen Gutachter s. die Ausführungen des Rechtsanwalts von Plottnitz am 26. Verhandlungstag, S. 2093 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Die abschließenden Gutachten, die am 39. Verhandlungstag bekannt gegeben wurden, legten eine zeitlich beschränkte Verhandlungsfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit nahe. Die Gutachten sind im Protokoll nicht enthalten. Auszüge finden sich in Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 207 ff., sowie Stuberger, „In der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a.“, 5. Aufl. 2014, S. 117 ff. Dem lässt sich entnehmen, dass die Internisten Prof. Dr. Müller und Prof. Dr. Schröder von einer eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit von drei Stunden pro Tag ausgingen, wobei kürzere Pausen nicht mit einzubeziehen seien (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 208). Zur Behandlungsmöglichkeit führte der Sachverständige Prof. Dr. Rasch aus: „[D]ie Durchführung einer Behandlung dürfte während der Dauer der Hauptverhandlung und bei Beibehaltung der jetzt gegebenen Haftbedingungen nicht möglich sein“ (so die Wiedergabe des früheren Vorsitzenden Dr. Prinzing auf S. 3112 des Protokolls der Hauptverhandlung, 39. Verhandlungstag). Am 40. Verhandlungstag verkündete der Vorsitzende Dr. Prinzing schließlich den Senatsbeschluss, wonach die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten fortgesetzt werde. Der BGH bestätigte diese Entscheidung mit Beschluss vom 22.10.1975, wies allerdings darauf hin, dass die Angeklagten nicht davon abgehalten werden dürften, freiwillig weiter an der Hauptverhandlung teilzunehmen (Fn. 1).

[4] Dass die Angeklagten ihren Zustand selbst verschuldet hätten, stützte der Senat auf zwei Aspekte: Zum einen seien die Hungerstreiks mitursächlich für ihren Zustand, insofern hätten die Angeklagten diesen vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführt (S. 3128 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag). Zum anderen seien auch die Haftbedingungen, die einer Besserung des Zustandes nach Auffassung etwa des Sachverständigen Prof. Dr. Rasch entgegenstünden, dem Verantwortlichkeitsbereich der Angeklagten zuzuordnen. Sie hätten gewusst, dass die Beeinträchtigungen des Hungerstreiks unter den bekannten Haftbedingungen nicht zu beheben seien; zudem verweigerten sie sich der Behandlung (S. 3138 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag).

[5] Anlage 1 zum Protokoll vom 21. April 1977: Telegramm des Rechtsanwalts Künzel vom 21. April 1977.

[6] Anlage 2 zum Protokoll vom 21. April 1977: Verfügung des Vorsitzenden Dr. Foth vom 21. April 1977 (Mitteilung an die Angeklagten: Möglichkeit des letzten Wortes).


[a] Handschriftlich eingefügt: V.: