18. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 22. Juli 1975 um 9.03 Uhr



[1415] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 22. Juli 1975 um 9.03 Uhr.

(18. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte waren anwesend:

Just. Ass. z. A. Clemens,

Just. Ass. z. A. Scholze.

Die Angeklagten waren anwesend mit ihren Verteidigern:

Rechtsanwälte Becker, Dr. Heldmann, Riedel, v[on] Plottnitz, Eggler, Schnabel, Schwarz, Schlaegel, König, Linke, und Grigat.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort. Mit Ausnahme der Herren RAe Künzel und Schily scheint mir alles dazusein.

Ja, Frau RAin?

RA’in Be[cker]:

RA Schily kommt[a] in zehn Minuten.

Vors.:

Danke schön.

Herr RA Dr. He[ldmann] - nunmehr als Pflichtverteidiger[1] von Andreas Baa[der] - Sie haben die entsprechende Verfügung erhalten?

RA Dr. He[ldmann]:

Ja. Ich habe sie erhalten.

Vors.:

Es beginnt heute der 3. Verhandlungsmonat. Nach § 243 der StPO folgt auf den Aufruf der Sache - der Feststellung der Anwesenheit der Prozeßbeteiligten und eventueller Zeugen - normalerweise die Vernehmung der Angekl. zur Person.

[1416] Wir sind in 2 Monaten Verhandlung, ohne daß das Gericht daran etwas ändern konnte, nicht so weit gediehen, wie sonst Strafverfahren meist in wenigen Minuten. Wir bewegen uns sozusagen noch in einem Zwischenraum zwischen dem Aufruf der Sache und der Personenvernehmung, der in der StPO noch nicht einmal geregelt ist, und es wäre nun sehr zu begrüßen, wenn wir diese Prozeßphase abschließen und nunmehr zur Personenvernehmung gelangen könnten.

Herr RA Dr. He[ldmann].

RA Dr. He[ldmann]:

Herr Vors., die Ereignisse außerhalb der Hauptverhandlung, die hier schon einmal Gegenstand ausführlicher Erörterungen gewesen sind, machen es notwendig, heute einen Antrag zu stellen, und zwar:

Ich beantrage für Herrn Baa[der],

die Hauptverhandlung zu unterbrechen.

Mit Beschluß vom 18.7.1975 hat das AG Berlin den Haftbefehl gegen RA Ströbele mangels Tatverdachts aufgehoben.

Das ist 1. durch Pressemitteilungen allgemein bekannt; vorsorglich aber berufe ich mich hierfür auf die anwaltliche Versicherung des Kollegen Schily, der den Kollegen Ströbele in jenem Verfahren vertritt und auch in dem Haftprüfungstermin am Freitag zugegen war.

Zur Begründung dieses Antrags:

Herr Ströbele ist Verteidiger des Herrn Baa[der] in diesem Verfahren. Er ist durch Beschluß vom 13.5.1975 des OLG Stgt., 1. Strafsenat, von der Verteidigung seines Mandanten Baa[der] ausgeschlossen worden nach § 138a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3[ StPO], nämlich,

weil er dringend verdächtig sei, an der Tat, die den Gegenstand der Untersuchung in diesem Verfahren bildet, beteiligt zu sein

- das ist Abs. 1 -,

[1417] und Abs. 2 Ziff. 1,

weil er dringend verdächtig sei, daß er den Verkehr mit dem nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten, also seinem Mandanten Baa[der], dazu mißbraucht, Straftaten, die im Höchstmaß so und so bedroht sind, zu begehen.

Im Sachverhalt und in der rechtlichen Würdigung war der dringende Tatverdacht im Ausschließungsbeschluß mit dem im Haftbefehl identisch. § 138a Abs.[b] 3 StPO - und das ist der Anknüpfungspunkt für diesen Antrag - bestimmt:

„Die Ausschließung ist aufzuheben, sobald ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.“

Nach der Aufhebung des Haftbefehls gegen Kollegen Ströbele, und zwar ausdrücklich mangels Tatverdachts, liegen die Voraussetzungen auch für Herrn Ströbeles Ausschließung von der Verteidigung seines Mandanten Baa[der] nicht mehr vor.

Zweitens:

§ 138a Abs.[c] 3[ StPO] dieser eben zitierten Gesetzesbestimmung ist Befehl des Gesetzgebers, nämlich:

Die Ausschließung ist aufzuheben.

Den Verfahrensweg hierfür zeigt, und zwar mangels einer besonderen Regelung in diesem neugeschaffenen § 138a[ StPO] folgende[2], der § 138c StPO auf. Danach hat dieser Senat dem nach § 138c[ StPO] zuständigen 1. Senat[3] die Akten vorzulegen, und sogleich mit der Vorlage die Hauptverhandlung bis zur Entscheidung durch den zuständigen 1. Senat zu unterbrechen oder auszusetzen[d].

Ich füge ein, ich habe lediglich Unterbrechung[4] beantragt. Drittens:

Das Gericht hat so im übrigen - wie ich es hier beantragt habe - von Amts wegen zu handeln.

Das Gericht meint - der 1. Senat nach § 138a Abs. 3[ StPO] -: dieser Senat per Mitwirkungspflicht jenem die dringend gebotene Entscheidung alsbald zu ermöglichen, diese also zu fördern.

RA Künzel erscheint um 9.09 Uhr.

[1418] Die am 1.1.1975 in Kraft getretene neue Bestimmung im § 138[a Abs.] 3 StPO ist dem § 120 Abs. 1 S. 1, 1. Halbs.[ StPO] nachgebildet, nämlich:

Der Haftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen.

Keine Frage, daß dort das Gericht dem Befehl des Gesetzgebers von Amts wegen zu folgen hat; keine Frage auch, daß nach § 138a Abs. 3[ StPO] das Gericht auch hier von Amts wegen zu handeln hat, nämlich:

Die Ausschließung ist aufzuheben.

Mein Antrag entspricht dem Antrag vom 21.5.1975 der B. Anwaltschaft, nämlich:

die Akten nach § 138c Abs. 2 S. 2 StPO dem zuständigen Strafsenat des OLG Stuttgart vorzulegen, damit jener gem. § 138a Abs. 3[ StPO] die Ausschließung des RA Ströbele von der Vertretung des Angekl. Baa[der] aufhebe und bis zu jener Entscheidung die Hauptverhandlung hier zu unterbrechen.

Viertens:

Wo von Amts wegen zu handeln ist, kommt es insoweit auf eigene Ansprüche des Angekl. nicht an ... auf eigene prozessuale Ansprüche des Angekl. nicht an.

Gesetzliche Handlungspflichten des Gerichts hängen nicht ab von Privatinitiativen, wo nämlich - wie hier - ein eindeutiger Befehl des Gesetzgebers normative Fixierung gefunden hat.

Gleichwohl hebe ich aber hier besonders hervor:

Herr Baa[der] hat den Anspruch auf die hier beantragte Unterbrechung:

a) Sein Verteidiger Ströbele ist zur heutigen Verhandlung nicht geladen - ich verweise auf die §§ 217 und 218 StPO[5] -, und somit kann nach dem Gesetzestext des § 217 2 i. V. m. § 218 S. 2[ StPO] der Angekl. bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache die Aussetzung der Verhandlung verlangen;

b) Herr Baa[der] hat den Anspruch auf den Verteidiger seines Vertrauens hier um so mehr, als RA Strö[bele] auf seine - Baa[ders] - Verteidigung in diesem Verfahren seit langem [1419] sorgfältig vorbereitet ist. Diesen Anspruch genau hat dieser Senat ausdrücklich anerkannt, nämlich in seinem Beschluß vom 11.6.1975 - und mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich einen kurzen Passus von Bl. 292 des Protokolls - nämlich:

„Das Recht auf den Anwalt des Vertrauens wird weder vom Senat noch sonst irgendwo bestritten und in keiner Weise angezweifelt. Dieses Recht ist auch Herrn Baa[der] nicht streitig gemacht worden.

Es ist aber selbstverständlich, daß sich dieses Recht auf den Anwalt des Vertrauens nur auf solche Anwälte beziehen kann, die nach der geltenden Rechtsordnung imstande sind, in einem Verfahren auch aufzutreten.“

Ende dieses Zitats aus Ihrem Senatsbeschluß vom 11.6.75 auf Bl. 292 des Protokolls. Zuletzt hieß es:

„... die nach der geltenden Rechtsordnung imstande sind, in einem Verfahren auch aufzutreten.“

Herr Strö[bele] ist nach geltendem Recht imstande, in diesem Verfahren aufzutreten - das sagt eindeutig § 138a[ StPO] in seinem Abs. 3;

c) Herr Baa[der] hat den Anspruch auf diese Unterbrechung auch aus § 265 [Abs. ]4 StPO[6]. War ihm - wie hier - zu Unrecht, wie sich jetzt herausgestellt hat, der Verteidiger seines Vertrauens durch Gerichtsentscheidung entzogen worden, so gebietet Gerechtigkeit, prozessuale Gerechtigkeit, Essentiale des Rechtsstaatsprinzips, ohne Gesetzeszwang diese Rechtsbeschränkung auch nur einen einzigen Tag länger währen zu lassen, um so stärker sein - Herrn Baa[ders]-Anspruch aus § 265 [Abs. ]4 StPO, welcher die prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts besonders intensiv fixiert.

Am Rande nur allerdings gleichwohl wiederholt der Hinweis auch auf § 338 Nr. 8 StPO: Revisionsgrund; hier: die Möglichkeit des absoluten Revisionsgrunds.[7]

[1420] d) Ich bitte den Senat, hierfür - für diese Entscheidung, die von mir beantragt wird - besonders auch in Betracht zu ziehen, daß so, wie Herrn Baader den Anspruch darauf hat - ich zitiere aus Bundesverfassungsgericht 16 aus Bl. 217 - „... den Anspruch darauf hat, von einem Anwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden ...“[8]

- Ende des Zitats -,

- RA Schily erscheint um 9.14 Uhr.-

so auch der zu weiterer Verteidigung des Herrn Baa[der] bereite RA Ströbele eigenen Anspruch und aus dem bestehenden Mandatsverhältnis auch Verpflichtung, ich wiederhole: aus dem bestehenden Mandatsverhältnis auch Verpflichtung hat, seinen Mandanten ...

RA Sch[ily]:

Herr Vors., darf ich einen Moment unterbrechen?

Ich habe festgestellt, daß noch eine Reihe von Plätzen frei sind. Es sind drei Kollegen aus Paris hier erschienen, die keinen Einlaß finden, u. a. die Frau Kollegin Doumbois, ihre Schwester und ein französischer Kollege, dessen Namen ich jetzt im Moment nicht präsent habe, haben mich draußen angesprochen.

Wäre es möglich, daß diese drei Kollegen doch noch Einlaß finden?

Vors.:

Sind die drei Kollegen in der Reihenfolge jetzt die nächsten, die zugelassen werden müßten?

RA Sch[ily]:

Das kann ich nicht sagen.

Vors.:

Wir haben um halb zehn - das ist ja die endgültige Regelung - die Möglichkeit gegeben, die nichtbelegten Presseplätze auch für das Publikum, mit Ausnahme einer bestimmten Anzahl, freizugeben, und diese Regelung gilt auch für die Damen und Herrn, die draußen sind.

RA Sch[ily]:

Da sind ja noch hinten auch Plätze frei, seh ich grade.

[1421] Vors.:

Dann Bitte ich, sofort dafür zu sorgen, wenn das der Fall ist, daß weiteres Publikum, das noch draußen wartet, zugelassen wird. Es ist selbstverständlich, daß niemand draußen warten muß oder warten darf, solange noch Plätze im Saale frei sind.

Bitte?

Vors. auf Zuruf:

Alle belegt.

RA Sch[ily]:

Ja, aber da hinten sind doch noch Plätze, seh ich doch da.

Vors.:

Das sind Presseplätze.

RA Schi[ly]:

Was, hinten an der Mauer?

Vors.:

Ja sicher.

RA Sch[ily]:

An der Mauer?

Vors.:

Ja.

Herr RA v[on] Plottnitz bitte.

RA v[on ]Pl[ottnitz]:

Ich dachte, die Presseplätze seien die hier vorne.

Vors.:

Nein, nein. Wir haben 80 Presseplätze. Davon sind etwa 60 vorne und die weiteren 20 sind rückwärts.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Herr Vors., der Verteidigung ist in diesem Zusammenhang zur Kenntnis gelangt - ein Vorgang, der an und für sich erfreulich ist -, und zwar soll der Senat einem Vertreter der Association Internationale des Jeunes Avocats den Status eines offiziellen Beobachters zugestanden haben, und zwar dergestalt, daß der Kollege, der als Beobachter in der heutigen Sitzung anwesend ist, Gelegenheit erhalten hat, nicht durch die Zuhörer... den normalen Zuhörereingang, sondern durch den Eingang für Prozeßbeteiligte zum Prozeß- [1422] gebäude zu gelangen und auch auf offiziell reservierten Plätzen anwesend gewesen ist. Sie erinnern sich, daß wir vor 2, 3 Wochen bereits einmal gebeten haben, französische Kollegen, die im Auftrag der Internationalen Liga für Menschenrechte diesen Prozeß beobachten wollten - also auch im Auftrag einer großen internationalen Organisation - und daß dieser Antrag abgelehnt worden ist mit dem Hinweis darauf, daß es den Status von Prozeßbeobachtern zu diesem Prozeß nach dem Willen des Senats nicht geben soll.

Darf ich um Aufklärung bitten, nach welchen Maximen Prozeßbeobachter zugelassen werden und nach welchen Maximen nicht?

Vors.:

Ich weiß nicht, ob es sehr sinnvoll ist, daß wir den Antrag von Herrn RA Dr. Heldmann nun so zerpflücken.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Gut. Ich stelle die Frage zurück.

Vors.:

Ich kann Ihnen ganz einfach sagen, der Straßburger Kollege - er ist anwesend; ich sehe ihn hier sitzen - hat, als ich mit ihm gesprochen habe, mir erklärt, daß seine Vereinigung für französische Verhältnisse den Status vergleichbar mit unserer Anwaltskammer wahrnehme. Die Anwaltskammer bekommt bei uns selbstverständlich auch als eine dienstliche Veranlassung die Möglichkeit, solche Dienstsitze[e] in Anspruch zu nehmen.

Das ist der Unterschied gewesen zu den andern Fällen.

Wie gesagt:

Sofern Besucher noch da sind und Plätze, diese[f] bitte freigeben, um halb zehn selbstverständlich. Wenn die betreffenden Damen und Herrn dann an der Reihe sind, haben sie Zutritt zu den offenen Presseplätzen.

Herr RA Dr. Heldmann, bitte schön.

RA Dr. He[ldmann]:

Es war sicher wichtig, diese Unterbrechung, da es hier um das Prinzip der Öffentlichkeit[9] geht; gleichwohl tut es mir leid, daß Ihre Spannung, meinen Antrag zu Ende zu hören, unterbrochen worden ist.

Ich fasse also den letzten Abschnitt zusammen:

[1423] Unter Punkt 4 habe ich in drei verschiedenen Punkten die eigenen prozessualen Ansprüche des Herrn Baader, die dieses Aussetzungsgesuch begründen, dargelegt und bin dann unter Ziff. d, dem letzten Punkt, auf folgendes noch übergegangen, und ich wiederhole:

Ich bitte den Senat, für seine Entscheidung, die ich hier begehre, besonders auch in Betracht zu ziehen, daß so, wie Herr Baader, den Anspruch - und jetzt Zitat aus Bundesverfassungsgericht 16 auf S. 217 - „... den Anspruch darauf hat, von einem Anwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden ...“

so auch der zu weiterer Verteidigung des Herrn Baader bereite RA Ströbele eigenen Anspruch und auch aus dem bestehenden Mandatsverhältnis ja eine eigene Verpflichtung hat, seinen Mandanten hier und heute zu verteidigen, nachdem gesetzliche Voraussetzung für seine Ausschließung nicht mehr vorliegt. Dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anspruch des Angeklagten auf den Verteidiger seines Vertrauens korrespondiert das durch Art. 12 des GG[10] geschützte Verteidigerrecht, wo gesetzliche Einschränkung nicht - oder wie hier: nicht mehr - vorliegt.

Aus diesen tatsächlichen Gründen, die nach meiner Auffassung so und nicht anders rechtlich zu würdigen sind, bitte ich, meinem Unterbrechungsantrag stattzugeben und - wie ich es ausdrücklich im Antrag gesagt habe - die Akten nach § 138c [Abs. ]2 S. 2[ StPO] dem zuständigen Strafsenat des OLGs vorzulegen, damit jener gem. § 138a Abs. 3[ StPO] die Ausschließung des RA Ströbele von der Verteidigung des Angeklagten Baader aufhebe.

Vors.:

Herr Dr. Heldmann, haben Sie diesen Antrag schriftlich vorliegen?

RA Dr. He[ldmann]:

Ich habe ihn in Form handschriftlicher Notizen.

Vors.:

Es ist nicht dringend notwendig, aber es wäre uns doch wünschenswert, wenn Sie uns freundlicherweise die Notizen[g] überlassen könnten.

[1424] RA Dr. He[ldmann]:

Jawohl, selbstverständlich.

Vors.:

Dann werden wir ’ne Fotokopie herstellen, und Sie bekommen dann den Antrag sofort wieder zurück. Danke schön.

RA Dr. Heldmann übergibt dem Senat seinen handschriftlichen Antrag, um diesen fotokopieren zu lassen.

Die Fotokopie des Antrags wird dem Protokoll als Anl. 1 beigefügt.

Vors.:

Für den Senat wäre es natürlich wichtig, daß er genau erfahren könnte, wie die Situation in Berlin ist.

Muß die B. Anwaltschaft dazu irgendwelche Recherchen anstellen oder sind Sie imstande ...

BA Dr. Wu[nder]:

Herr Vors., vorab möchte ich sofort nur erklären, daß die mit dem Verfahren gegen Herrn RA Ströbele befaßte Staatsanwaltschaft gegen die zitierte Entscheidung des Berliner Richters Beschwerde eingelegt hat.

Zur Aussetzung oder Unterbrechung des Verfahrens besteht deshalb derzeit kein Anlaß.

Wegen der mit dem Antrag verbundenen Rechtsfragen - auch Zuständigkeitsfragen meine ich - wär ich jedoch für eine kurze Pause sehr dankbar. Wir würden diese Pause auch dazu nützen, in Berlin ’rückzufragen, ob nicht eventuell über diese Beschwerde gar schon entschieden ist.

Vors.:

Herr RA Schily, bitte.

RA Sch[ily]:

Ich möchte zur Unterrichtung des Gerichts sagen, daß wir den Antrag gestellt haben, über die Beschwerde, die in der Tat eingelegt worden ist, noch am selben Tage der Verkündung der Entscheidung des Amtsgerichts, wir beantragt haben, im Beschwerdeverfahren mündlich zu verhandeln, also über die Beschwerde mündlich zu verhandeln, wie’s im Gesetz ja auch vorgesehen ist. Und bisher ist selbst darüber noch nicht entschieden, ob [1425-1430][11] [1431] diese mündliche Verhandlung stattfinden soll.

Die von der Staatsanwaltschaft in Berlin angekündigte Beschwerdebegründung, zu der wir auch noch Stellung nehmen wollen, ist uns bisher noch nicht zugegangen. Herr Ströbele hat gestern den Vorsitzenden der Strafkammer aufgesucht, um sich zu vergewissern, ob schon eine Beschwerdebegründung vorliegt; die lag also bis gestern noch nicht vor, und ich nehme an, daß also dann erst eine Abstimmung der Termine stattfinden muß, denn ich kann ja nun auch nicht hier wegbleiben. Es müßte also eine Abstimmung der Termine dann stattfinden mit der Beschwerdekammer, wann die mündliche Verhandlung ohne Beeinträchtigung dieser hiesigen Verhandlung stattfinden kann.

Vors.:

Gut.

Herr RA Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Die Beschwerde hat ja keinen Suspensiveffekt.[12]

Vors.:

Es muß trotzdem Klarheit geschaffen werden, wie die Dinge liegen.

Reicht Ihnen die Pause bis 10.00 Uhr, um die Fragen alle zu klären, die notwendig sind?

Ja nun. Ich möchte bloß, daß die Prozeßbeteiligten wissen, mit welchen Zeiträumen sie zu rechnen haben.

BA Dr. Wu[nder]:

Bis zehn Uhr jedenfalls.

Sollten wir dann noch nicht fertig sein, würde ich Bescheid geben.

Vors.:

Dann bitte ich also die Beteiligten, um zehn Uhr wieder hier zu sein.

Die Angeklagten sind zurückzubringen; Sie können zu viert sich unterhalten. Bei Anwaltsbesuchen Einzelbesuche.

Pause von 9.24 Uhr bis 10.28 Uhr.

Ende von Band 54.

[1432] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 10.28 Uhr

Vors.:

Wir sind, wie ich sehe, vollzählig. Frau Rechtsanwältin Becker ist auch jetzt beteiligt, so daß wir die Sitzung fortsetzen können. Ich darf der Bundesanwaltschaft das Wort erteilen.

BA Dr. W[under]:

Ich beantrage, die Anträge auf Vorlage der Akten an den I. Strafsenat und Unterbrechung der Hauptverhandlung zurückzuweisen. Der I. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat nach sorgfältiger Prüfung und dem Ergebnis der nach mündlicher Verhandlung erhobenen Beweise Rechtsanwalt Ströbele als Verteidiger in diesem Verfahren ausgeschlossen. Zur Begründung hat er ausgeführt, daß die vorgelegten Beweismittel den dringenden Tatverdacht begründen, daß Rechtsanwalt Ströbele die kriminelle Vereinigung des Angeklagten Baader u. a., die Rote Armeefraktion, jedenfalls nach dessen Festnahme mindestens unterstützt hat. An dieser Beweislage hat sich nichts geändert. Der Haftrichter des Amtsgerichts Tiergarten hat zwar in anderer rechtlicher Würdigung den dringenden Tatverdacht, nicht den Tatverdacht schlechthin,[13] wie vorhin vorgetragen wurde, verneint. Er hat in seinem Beschluß jedoch unzweifelhaft zu erkennen gegeben, daß auch er einen hinreichenden Tatverdacht weiterhin für vorliegend erachtet. Selbst wenn man dieser fehlerhaften und deshalb sofort angefochtenen rechtlichen Würdigung folgte, wäre der Ausschluß aufrecht zu erhalten, da selbst dann eine Ausschlußvoraussetzung, nämlich hinreichender Tatverdacht gem. § 138a Abs. [1] StPO, bestehen bliebe. Ergänzend bleibt festzustellen, daß auch der III. Strafsenat des Bundesgerichtshofs das Verhalten des Rechtsanwalts Ströbele in verschiedenen Beschlüssen nicht anders, als der I. Strafsenat in Stuttgart, gewertet hat. Da mithin keine neuen Tatsachen vorgebracht wurden und oder erkennbar sind, besteht für das Prozeßgericht kein Anlaß, die Akten dem I. Strafsenat vorzulegen und die Hauptverhandlung zu unterbrechen.

[1433] Vors.:

Danke. Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Sch[ily]:

Ich habe, nur vielleicht zur Information, ich weiß nicht, ob Herr Bundesanwalt Dr. Wunder, ich habe mich ja ein bißchen verspätet heute morgen, ich weiß auch nicht, ob der Kollege Dr. Heldmann das hier vorgetragen hat. Aber zur Information Herr Bundesanwalt Dr. Wunder. Herr Kollege Ströbele hat sich in dem Verfahren, in dem Haftprüfungsverfahren, ausgiebig zur Sache geäußert. Und ich würde doch denken, daß diese Äußerung zur Sache sicherlich ein Element der Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten war und insofern auch eine neue Tatsache. Es ist nämlich nicht nur, wie Sie sagen, eine andere rechtliche Würdigung, sondern es ist eben eine ausgiebige, ausführliche Erklärung des Kollegen Ströbele zur Sache und es hat ja auch da eine Auseinandersetzung gegeben zwischen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung und Herrn Kollegen Ströbele, darüber was nun eigentlich konkret vorgeworfen wird. Ich darf Ihnen das vielleicht einmal erläutern. In dem Haftbefehl gegen den Kollegen Ströbele stand unter anderem, daß der Tatverdacht darauf gestützt werde, daß sich Herr Kollege Ströbele angeblich in zahlreichen Erklärungen mit den Auffassungen seiner Mandanten identifiziert habe. Daraufhin hat der Kollege Ströbele Veranlassung gesehen, dem Haftrichter die Frage zu stellen, dem früheren Haftrichter, also dem Urlaubsvertreter, der diesen Haftbefehl erlassen hatte, welche Erklärung er denn damit meine. Und da brach das große Schweigen leider aus, bei diesem Richter. Und schließlich hat er sich darauf zurückgezogen, der Kollege Ströbele habe doch einmal von Justizterror gesprochen. Daraufhin hat der Kollege Ströbele gefragt, wann er denn von Justizterror gesprochen habe. Darauf wußte auch dieser Richter keine Antwort und schließlich gab er dann zu Protokoll, der Kollege Ströbele habe erklärt, das Ziel der Justizbehörden sei die psychische und physische Vernichtung der Gefangenen. Und meinte damit offenbar eine Erklärung, die der Kollege Ströbele bei einer Pressekonferenz im Zusammenhang mit dem Tode von Holger Meins[14] abgegeben habe. Es stellte sich somit heraus, daß dieser [1434] frühere Richter aus praktisch nur einem Extrakt der Zeitungslektüre, so hat er nämlich sich auch ausgedrückt, ich hab doch Zeitung gelesen, praktisch nur ein Extrakt der Zeitungslektüre, den er aber nicht irgendwie konkretisieren konnte, quasi als Tatsache dann wieder reproduziert hat und auf eine solche psychische Grundhaltung dann ein Haftbefehl gestützt hat. Diese Verfahrensweise hat der jetzt zuständige, und wieder aus dem Urlaub zurückgekehrte Richter nicht mitgemacht, sondern er hat den Staatsanwalt gefragt, auf welche konkreten Tatsachen denn nun eigentlich der Verdacht gestützt werden solle, daß sich der Kollege Ströbele in irgendeiner Weise strafbar gemacht habe und da sind dann auch einige Schreiben diskutiert worden. Das kann man in den Protokollen nachlesen, die sämtlich eher entlastend sind, geschweige denn belastend. Und ich würde also dem Senat, obwohl es jetzt nicht mein Mandat ist, mit dem es also unmittelbar zu tun hat, aber doch dringend empfehlen, die Akten beizuziehen, aus denen sich auch diese Auseinandersetzung ergeben. Die Akten aus denen also auch gerade sich die Einlassung des Kollegen Ströbele ergibt. Ich glaube für die Entscheidung des Senats ist es dringend erforderlich, um sich ein Bild zu verschaffen, was denn eigentlich nun hier als neue Tatsache zu qualifizieren ist oder nicht.

Vors.:

Sie haben nicht zufällig dieses Protokoll bei sich.

RA Sch[ily]:

Nein, leider nicht.

Vors.:

Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.

RA Sch[ily]:

Aber ich könnte es kurzfristig beschaffen, das wäre keine Schwierigkeit.

Vors.:

Was bedeutete kurzfristig?

RA Sch[ily]:

Ich müßte mein Büro anrufen und per Eilboten ...

Vors.:

Das könnten wir dann selbst besorgen, also wenn Sie’s ohnedies nur aus Berlin her holen könnten.

[1435] RA Sch[ily]:

Nein, ich habs jetzt leider nicht dabei.

Vors.:

Danke. Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.

BA Dr. W[under]:

Die uns bekannte Einlassung des Herrn Rechtsanwalt Ströbele gipfelt im wesentlichen darin, daß er sich für sein Verhalten für berechtigt hält. Er hat, um es kurz zu sagen, von den maßgeblichen Vorwürfen nichts bestritten.

RA Sch[ily]:

Herr Kollege Dr. Wunder, das ist einfach falsch, dann haben Sie die Einlassung nicht gelesen.

Vors.:

Wir werden uns in dieser Richtung dann auch Klarheit verschaffen. Der Senat wird die Sitzung heute nachmittag 14.15 Uhr fortsetzen. Es wird möglicherweise einige Zeit in Anspruch nehmen, bis wir uns über verschiedene Dinge klar werden können.

14.15 Uhr Fortsetzung.

RA Sch[ily]:

Soll ich mich noch bemühen um das Protokoll?

Vors.:

Danke nein, wir machen es selbst.

Der Senat zog sich um 10.36 Uhr zur Beratung zurück.

Ende von Band 55

[1436] Nach Wiedereintritt des Senats um 14.17 Uhr wurde die Sitzung wie folgt fortgesetzt.

Reg. Dir. Widera und Staatsanwalt Holland waren nicht mehr[h] anwesend.

Als Sachverständiger war Prof. Dr. Ehrhardt anwesend.

Vors.:

Ich bitte Platz zu behalten.

Wir setzen die Sitzung fort, wie ich sehe in voller Besetzung. Es ist auch noch anwesend Herr Prof. Dr. Ehrhardt - wir danken Ihnen, daß Sie erschienen sind - Direktor des Instituts für forensische und soziale Psychiatrie der Universität Marburg. Herr Prof. Dr. Ehrhardt ist, wie ja schon durch den Beschluß vom 18.7. bekanntgegeben worden ist, vom Senat aus dem Fachbereich „Psychiatrie“ bestellt worden, als Sachverständiger. Der Senat ist damit dem Vorschlag der zuständigen deutschen medizinischen Gesellschaft gefolgt.

Wir haben nun unsere Überlegungen zu dem heute früh gestellten Antrag bekanntzugeben.

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, die Mittagspause wurde dazu benützt, die Unterlagen von Berlin zu beschaffen.

Es handelt sich um eine Vernehmung von Herrn Rechtsanwalt Ströbele, die sich über 3 Tage erstreckte. Das ist ein Material, das über 40 Seiten umfaßt, dazu eine ganz kurze Vernehmung, die der Aufhebung des Haftbefehls vorrausging. Da wir diese Unterlagen mit, d. h. also diese Vernehmung mit zum Gegenstand unserer Entscheidung über Ihren Unterbrechungsantrag machen müssen, werden wir Ihnen diese Unterlagen hiermit übergeben und Sie haben Gelegenheit, sich dazu zu äußern bis morgen um 15.00 Uhr.

Mit Rücksicht darauf, daß diese Frist gesetzt ist, wird die Sitzung bis zum Donnerstag, den 24.7.1975, 9.00 Uhr, [1437] das heißt, die Sitzung wird am Donnerstag, 9.00 Uhr, fortgesetzt.

Sämtliche Beteiligten werden hiermit dazu geladen. Bis dahin ist die Sitzung beendet.

Rechtsanwalt Dr. Heldmann wurden Fotokopien der Vernehmungsniederschriften des AG Berlin-Tiergarten vom 2.4. und 7.7.1975 sowie das fernschriftlich mitgeteilte Haftprüfungsprotokoll desselben Gerichts vom 18.7.1975 übergeben.

- Die Sitzung wurde um 14.21 Uhr beendet -

Ende Band 56


[1] Nachdem Andreas Baader zu Beginn der Hauptverhandlung ohne Verteidiger/in seines Vertrauens dastand (s. hierzu S. 838 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 11. Verhandlungstag), legitimierte sich am 4. Verhandlungstag Rechtsanwalt Dr. Heldmann als sein Wahlverteidiger (§§ 137 Abs. 1 Satz 1, 138 StPO). In den Fällen der notwendigen Verteidigung kann ein/e Wahlverteidiger/in beantragen, dem/der Beschuldigten als Pflichtverteidiger/in beigeordnet zu werden (§ 141 StPO). Die notwendige Verteidigung ergab sich in diesem Verfahren daraus, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht stattfand (§ 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO) und dem Vorwurf eines Verbrechens (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO; ein Verbrechen liegt vor bei einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr, § 1 Abs. 1 StGB a.F.; heute: § 12 Abs. 1 StGB), sowie der Inhaftierung der Beschuldigten für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO a.F.; heute ist die zeitliche Vorgabe entfallen). Da die Beiordnung dem öffentlichen Interesse dient, dafür zu sorgen, dass Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhalten und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfG, Beschl. v. 8.4.1975 - Az.: 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, S. 238, 242), hat sie u.a. zur Folge, dass der/die beigeordnete Verteidiger/in einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse erhält (damals § 97 BRAGO, inzwischen ersetzt durch § 45 Abs. 3 RVG). Dies ist bei Wahlverteidiger/innen nicht der Fall, weshalb aufwendige und lang andauernde Prozesse gegen mittellose Mandant/innen mit einem Wahlmandat kaum zu bewältigen sind.

[2] Die Vorschriften über den Ausschluss von Verteidiger/innen (§§ 138a ff. StPO) wurden, wie zahlreiche weitere Reformen, durch welche die Rechte der Beschuldigten und der Verteidigung eingeschränkt wurden, erst wenige Monate vor Beginn der Hauptverhandlung durch das Erste Strafverfahrensreformgesetz vom 9. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3393) sowie das Ergänzungsgesetz hierzu vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) eingeführt (Tenfelde, Die Rote Armee Fraktion und die Strafjustiz, 2009, S. 72 ff.) Sie waren erforderlich geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht den vorigen Ausschluss des Rechtsanwalts Schily mangels Rechtsgrundlage für verfassungswidrig erklärt hatte (BVerfG, Beschl. v. 14.2.1973 - Az.: 2 BvR 667/72, BVerfGE 34, S. 293 ff.). Die neu eingeführte Vorschrift § 138a StPO hatte vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand (BVerfG, Vorprüfungsausschuss, Beschl. v. 4.7.1975 - Az.: 2 BvR 482/75, NJW 1975, S. 2341). Zum Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens s. die Ausführungen des Rechtsanwalts Dr. Heldmann am 11. Verhandlungstag, S. 837 f. des Protokolls der Hauptverhandlung.

[3] Nach § 138c Abs. 1 Satz 1 StPO liegt die Zuständigkeit für die Ausschließung sowie ihre Aufhebung grundsätzlich beim Oberlandesgericht. Ist das Verfahren, wie hier, bereits vor einem Senat eines Oberlandesgerichts anhängig, so entscheidet über die Ausschließung ein anderer Senat des Oberlandesgerichts (§ 138c Abs. 1 Satz 3 StPO).

[4] Die Strafprozessordnung unterscheidet zwischen (kürzeren) Unterbrechungen und der Aussetzung des Verfahrens. Während die Unterbrechung der Hauptverhandlung für einen kürzeren Zeitraum (§ 229 Abs. 1 StPO a.F.: zehn Tage; heute: drei Wochen) durch den/die Vorsitzende/n angeordnet werden kann (§ 228 Abs. 1 Satz 2 StPO), ist für die Entscheidung über die Aussetzung sowie über für bestimmte Situationen vorgesehene längere Unterbrechungen (z.B. nach § 229 Abs. 2 StPO) das Gericht - hier wäre das der Senat in voller Besetzung - zuständig (§ 228 Abs. 1 Satz 1 StPO). Eine Aussetzung hat stets die Folge, dass mit der Hauptverhandlung von neuem zu beginnen ist; gleiches gilt für eine die Frist des § 229 Abs. 1 StPO überschreitende Unterbrechung (§ 229 Abs. 3 Satz 1 StPO a.F.; heute Abs. 4 Satz 1 StPO; s. zu den grundlegenden Unterschieden zwischen Aussetzung und Unterbrechung auch Arnoldi, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 228 Rn. 3 ff.).

[5] Nach § 217 Abs. 1 StPO beträgt die Ladungsfrist für Verteidiger/innen mindestens eine Woche; für gewählte Verteidiger/innen gilt die Frist nur, wenn die Wahl dem Gericht angezeigt wurde (§ 218 StPO). Ist die Frist nicht eingehalten (und verzichtet der/die Angeklagte nicht auf die Einhaltung), kann der/die Angeklagte bis zum Beginn der Vernehmung zur Sache die Aussetzung der Hauptverhandlung verlangen (§ 217 Abs. 2 und 3 StPO).

[6] § 265 Abs. 4 StPO bestimmt, dass „das Gericht auf Antrag oder von Amtswegen die Hauptverhandlung auszusetzten [hat], falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.“

[7] Die Revision ist ein Rechtsmittel gegen Urteile, mit welchem Rechtsfehler, d.h. die Nicht- oder Falschanwendung einer Rechtsnorm, gerügt werden können (§ 337 StPO). In der Regel muss zudem dargelegt werden, dass das Urteil gerade auf diesem Rechtsfehler beruht („relative Revisionsgründe“), dass also nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei korrekter Anwendung der Rechtsnorm eine andere Entscheidung ergangen wäre (Gericke, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 337 Rn. 33 ff.). Anders ist dies bei den absoluten Revisionsgründen, die in § 338 StPO aufgezählt sind. Die dort genannten Fehler gelten als so schwerwiegend, dass das Urteil stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist. Nach § 338 Nr. 8 StPO liegt ein solcher Revisionsgrund vor, „wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.“ Ob dieser Revisionsgrund angesichts der Formulierung „in einem für die Entscheidung wesentlichen Grund“ tatsächlich als absoluter Revisionsgrund einzuordnen ist, wird allerdings bezweifelt (s. dazu Gericke, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 338 Rn. 101 m.w.N.). Eine erfolgreiche Revision hat die (ggf. auch Teil-) Aufhebung des Urteils zur Folge (§ 353 StPO).

[8] BVerfG, Beschl. v. 11.6.1963 - Az.: 1 BvR 156/63, BVerfGE 16, S. 214, 217.

[9] § 169 Satz 1 GVG normiert für die ordentliche Gerichtsbarkeit den Grundsatz, dass die Verhandlungen öffentlich sind. Dieser Grundsatz ist auch Bestandteil des Rechtsstaats- sowie des Demokratieprinzips, womit ihm Verfassungsrang zukommt. Die Öffentlichkeit soll zum einen dem Schutz der Angeklagten dienen, indem die öffentliche Kontrolle der Verfahren einer Geheimjustiz entgegenwirkt. Zum anderen trägt sie dem Interesse der Bürger/innen Rechnung, von dem gerichtlichen Geschehen Kenntnis zu erlangen. Die Öffentlichkeit wird nicht unbegrenzt gewährleistet. Ihr gegenüber stehen andere gewichtige Interessen, die miteinander abgewogen werden müssen, insbesondere die Persönlichkeitsrechte der am Verfahren Beteiligten, das Recht der Angeklagten auf ein faires Verfahren, sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege (BVerfG, Urt. v. 24.01.2001 - Az.: 1 BvR 2623/95, BVerfGE 103, S. 44, 63 f.).

[10] Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet das Grundrecht auf freie Berufsausübung.

[11] Anlage 1 zum Protokoll vom 22.07.1975: Antrag des Rechtsanwalts Dr. Heldmann auf Unterbrechung der Hauptverhandlung.

[12] Hat ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung, bedeutet dies, dass die Wirkung der angefochtenen Entscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gehemmt wird. Für die Beschwerde ist dies nach § 307 Abs. 1 StPO nicht der Fall, was zur Folge hat, dass die angefochtene Entscheidung trotz Einlegung der Beschwerde ihre volle Rechtswirkung entfaltet.

[13] Die Strafprozessordnung kennt verschiedene Verdachtsstufen. Während für den Erlass eines Haftbefehls ein sog. dringender Tatverdacht erforderlich ist (§§ 112 Abs. 1 Satz 1, 114 StPO), genügt für die Eröffnung eines Hauptverfahrens ein hinreichender Tatverdacht (§ 203 StPO). Die beiden Verdachtsstufen unterscheiden sich zum einen im Grad der Wahrscheinlichkeit, mit welcher nach Beurteilung der Sach- und Rechtslage eine Verurteilung zu erwarten ist, zum anderem in dem Zeitpunkt in welchem diese Prognose erstellt wird. Für die Eröffnung des Hauptverfahrens (hinreichender Tatverdacht) genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung zum Zeitpunkt des Abschlusses der Ermittlungen. Der dringende Tatverdacht erfordert eine große Wahrscheinlichkeit zum jeweiligen Beurteilungszeitpunkt (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 112, Rn. 6). Für den Ausschluss nach § 138a StPO reichen ausdrücklich beide Verdachtsstufen aus („wenn er dringend oder in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grade verdächtig ist“, § 138a Abs. 1 StPO); umstritten ist, ob für einen hinreichenden Tatverdacht iSd § 138a StPO ausnahmsweise der Abschluss eines Ermittlungsverfahren entbehrlich sein könnte, was zur Folge hätte, dass sich hinreichender und dringender Tatverdacht im Rahmen des § 138a StPO nur im Grad der Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung unterscheiden würden (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 138a Rn. 14). Die Rechtsprechung bejahte das Erfordernis einer „anklagereifen“ Ermittlung zunächst, bevor der BGH mit Beschluss vom 3.3.1989 (Az.: 2 ARs 54/89, NStZ 1990, S 91) von dieser Linie ausdrücklich abrückte.

[14] Holger Meins war ursprünglich Mitangeschuldigter im Stammheim-Prozess, starb aber noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) am 9. November 1974 in Untersuchungshaft in Wittlich an den Folgen des dritten Hungerstreiks. Für seinen Tod machten die Angeklagten staatliche Akteure, u.a. den Vorsitzenden Dr. Prinzing sowie die Bundesanwaltschaft verantwortlich (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 117 ff.).


[a] Handschriftlich ersetzt: Die kommen durch RA Schily kommt

[b] Handschriftlich eingefügt: a Abs.

[c] Handschriftlich eingefügt: a Abs.

[d] Handschriftlich ersetzt: auszuschließen durch auszusetzen

[e] Handschriftlich ersetzt: Dienste durch Dienstsitze

[f] Handschriftlich eingefügt: diese

[g] Handschriftlich eingefügt: Notizen

[h] Maschinell eingefügt: mehr