17. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Mittwoch, den 16. Juli 1975, um 9.05 Uhr



[1340] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Mittwoch, den 16. Juli 1975, um 9.05 Uhr.

(17. Verhandlungstag)

Gericht und. Bundesanwaltschaft erscheinen in derselben Besetzung wie an 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte waren anwesend:

Just. Ass. z. A. Clemens,

Just. Ass. z. A. Scholze

Die Angeklagten waren anwesend mit ihren Verteidigern:

RAe Schily, Becker, Dr. Heldmann, Riedel, v[on] Plottnitz, Eggler, Künzel, Schnabel, Schwarz, Schlaegel, König, Linke, Grigat.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung - wie ich sehe - in voller Besetzung fort.

Zunächst sind einige Entscheidungen bekanntzugeben:

Im Zusammenhang mit den Antrag des Angekl. Baa[der], die Sitzung für zehn Tage zu unterbrechen, um seinem Verteidiger, Herrn RA Dr. He[ldmann], die nötigen Vorgespräche zu ermöglichen und einen Überblick über die Anordnung der Akten, hat das Bundesverfassungsgericht über die Beschwerde entschieden, die erhoben worden ist gegen die ablehnende Entscheidung dieses Senats vom 11. Juni 1975.[1]

Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie unzulässig ist. Das Bundesverfassungsgericht verneint ein dringendes schutzwürdiges Interesse daran, daß über die Verfassungsmäßigkeit des Beschlusses vom 11.6.1975 - eben jener Beschluß, durch den wir die Unterbrechung abgelehnt haben - sofort entschieden werde und verweist insoweit darauf, daß Baa[der] im Falle der Verurteilung Revision einlegen könne, und daß er damit gleichzeitig die Rüge der unzulässigen Behinderung seiner Verteidigung erheben könne.

[1341] Das Bundesverfassungsgericht äußert sich dann zum Schluß zu der Frage, ob der Angekl. Baa[der] durch die Beiordnung eines Pflichtverteidigers[2] - also eines von Gericht bestellten Verteidigers[3] - ordnungsgemäß verteidigt sei, und diese Frage ist von sehr erheblicher Bedeutung für dieses Verfahren, und nachdem diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen ist, kann auch gesagt werden, daß es dem Senat bei der Ablehnung der Unterbrechung für zehn Tage ausschließlich um diese Frage gegangen ist; keineswegs darum, daß etwa eine Verzögerung von zehn Tagen vermieden werden sollte, denn diese Verzögerung wäre jederzeit zu verkraften gewesen. Diese Verzögerung ist ohnehin eingetreten durch verschiedene Unterbrechungen. Wir haben eine automatische Zehntagesfrist jetzt durch die Unterbrechung der Sitzung von Donnerstag der letzten Woche bis zum Dienstag der kommenden Woche mit Ausnahme des heutigen Tages, und wir unterbrechen nach dem vorbereiteten Sitzungsplan, an dem wir festhalten, ohnehin jeweils zehn Tage im August und September.

Diese wichtigen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts lauten wörtlich:

„Es kann dahinstehen, ob sich die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde aus einer weiteren Abwägung privater und öffentlicher Interessen sowie aus Gesichtspunkten der Prozeß- und Arbeitsökonomie herleiten ließe, wenn auf der Hand läge, daß die angegriffene Zwischenentscheidung

- das ist also unser Beschluß, durch den wir die Unterbrechung abgelehnt haben -

den Beschwerdeführer in unzulässiger Weise in seiner Verteidigung behinderte; denn hiervon kann angesichts des Umstandes, daß der Beschwerdeführer einen Pflichtverteidiger hat und damit nach den strafprozessualen Vorschriften als ordnungsgemäß verteidigt gilt, keine Rede sein.“

[1342][4] [1342a] Weil wir nun schon auf Dinge hinweisen, auf die das öffentliche Interesse besonders gelenkt worden ist in Zusammenhang mit diesem Verfahren, so legt der Senat auch großen Wert darauf, daß endlich die unrichtige Darstellung in der Öffentlichkeit, als habe Herr RA Dr. He[ldmann] die Anklageschrift nicht bekommen, als sei sie ihm verweigert worden, beseitigt wird, aus der Welt geschafft wird.

Es ist zu unterstreichen, daß Herr RA Dr. He[ldmann] an Tage seines ersten Auftritts in der Sitzung, und zwar zu Beginn der Nachmittagssitzung, die volle Anklage übergeben bekommen hat, und daß ich Herrn RA Dr. He[ldmann], nachdem er die B. Anwaltschaft zunächst nach einem Exemplar gefragt hat, sofort darauf hingewiesen habe, daß sich der Senat bemühen werde, ihm ein entsprechendes Exemplar zu beschaffen. Das ist am ersten Tage des Auftritts von Herrn Dr. He[ldmann] eingehalten worden.

Es ist nun, nachdem in der letzten Sitzung Anträge gestellt worden sind auf Änderung der Haftbedingungen ...

Frau RAin Becker?

RA’in Be[cker]:

Ich möchte einen Antrag stellen.

Vors.:

Darf ich jetzt zunächst die Entscheidung bekanntgeben, die ergangen ist und die bekanntgegeben werden muß auf die in der letzten Sitzung gestellten Anträge.

Ich bitte, die Antragstellung zurückzustellen.

RA’in Be[cker]:

Dieser Antrag betrifft unmittelbar die Vorgänge am Schluß der letzten Sitzung.

Vors.:

Das macht jetzt nichts.

Wir müssen jetzt direkt diese Entscheidung, die beschlossen ist, verkünden und dadurch zur Wirksamkeit bringen.[5]

Ich bitte Sie um Verständnis. Wir haben ...

RA Dr. He[ldmann]:

Wollen Sie nicht erst die Betroffenen dazu mal hören?

[1343] Vors.:

Zu was soll ich sie hören? Zu der Entscheidung?

RA Dr. He[ldmann]:

Zu der Stellungnahme der B. Anwaltschaft.

Vors.:

Sie hatten die Stellungnahme bekommen. Sie haben die Mitteilung erhalten, schon in der letzten Sitzung, daß Sie Gelegenheit hatten, sich zu äußern bis zum Montagabend.

RA Dr. He[ldmann]:

Sie wissen doch, daß das technisch unmöglich war.

Vors.:

Das war technisch nicht unmöglich.

RA Dr. He[ldmann]:

Wenn am Montagvormittag das Schreiben einläuft, ist es nicht möglich, von unseren Kanzleisitzen aus bis Montagabend Stellungnahmen hier abzugeben. Im übrigen haben die Angekl. selbst diese Möglichkeit auch technisch nicht besessen.

Vors.:

Herr RA., wir haben die Stellungnahme der B. Anwaltschaft - um die geht es ja wohl - mit den Ausführungen, die darin enthalten waren, am Freitag mit Eilpost auf den Weg an die Verteidiger gebracht, und es ist doch wohl auch richtig, am Freitag schon den Angekl. überschickt in die Haftanstalt. Trifft zu, am Freitag schon.

Herr Baa[der], haben Sie sie nicht bekommen?

Angekl. Baa[der]:

Ja. Uns ist nicht ... ich ... wir haben sie allerdings bekommen, aber uns ist dazugesagt worden ...

Vors.:

Darf ich fragen wann?

Angekl. Baa[der]:

Ich glaube am Montag. Aber wir haben ... bei der Stellungnahme ... bei der Stellungnahme war kein ...

Vors.:

Ich bitte, das mal zu klären, wann die Stellungnahme der B. Anwaltschaft den Angekl. am Freitag zugegangen ist.

Angekl. Baa[der]:

Oder am Montag.

[1344] Vors.:

Wir wollen’s gleich klären, Herr Baa[der].

Bis gestern ...

Angekl. Baa[der]:

Nein. Es war kein Hinweis dabei.

Vors.:

Bis gestern, das ist gesagt worden in der Sitzung.

Angekl. Baa[der]:

Da waren wir nicht hier. Da hatten Sie uns bereits aus dem Saal schmeißen lassen.[6]

Vors. sinngemäß:

Die Angeklagten seien durch die Überlassung einer Tonbandniederschrift über das in ihrer Abwesenheit Geschehene unterrichtet worden.

Angekl. Baa[der]:

Der Punkt ist doch ...

Vors.:

... das war mit der Grund, warum wir das den Angekl. auch sofort zugänglich gemacht haben ...

Angekl. Baa[der]:

Naja. Aber ich sage, daß wir ausdrücklich darauf bestehen, auf diese Stellungnahme der B. Anwaltschaft antworten zu können, denn sie enthält falsche Tatsachenbehauptungen, massenhaft; sie ist überhaupt tendenziös, und Sie haben uns insofern...

Vors.:

Herr Baa[der], Sie gehen jetzt schon wieder in Ihre Erklärung.

Bitte, Herr Baa[der], Sie haben jetzt nicht das Wort. Ich wollte das verdeutlichen.

Wir haben es Ihnen deswegen zugestellt sofort, weil wir wünschten, daß Sie über das, was in Ihrer Abwesenheit geschehen ist, vollinhaltlich unterrichtet sind.

Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß dieses Protokoll, das Ihnen zugeschickt worden ist, sämtliche Vorgänge nach Ihrem Ausschluß in der letzten Sitzung beinhaltet bis zum Schluß. Das war mit eine Ursache, warum Ihnen das Protokoll sofort zugegangen ist.

Angekl. Baa[der]:

Das ist falsch. Also ich hab hier das ...

[1345] Vors.:

Nun ist es so, ...

Angekl. Baa[der]:

Also Herr Prinzing ...

Vors.:

... die Herrn RAe müssen sich darüber an sich im Klaren sein, daß Sie, wenn Ihnen die Frist bekanntgegeben wird, als Zustellungsbevollmächtigte handeln, d. h., das ist gleichzeitig wirksam für die Angekl.[7] ... Es ist nicht so, daß das Gericht etwa deswegen, weil die Angekl. wegen Ungebühr ausgeschlossen werden müßten, nun sämtliche Prozeßvorgänge, die den Verteidigern bekannt werden, nun eigens noch den Angekl. mitteilen müßten.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Solange eine Frist z. B. gestellt wird zur Stellungnahme, muß das in der Hauptverhandlung noch nachgeholt werden ...

Vors.:

Die Fristsetzung - ich kann’s nun nochmals betonen - die Fristsetzung ist gegenüber den Anwälten geschehen.

Zur Kenntnis aller Beteiligten, die hier noch da waren:

Herr Baa[der] und die übrigen Angekl., Sie müssen eben die Konsequenzen auch tragen, wenn Sie hier durch Ungebühr ausgeschlossen werden. Sie haben Zustellungsbevollmächtigte in Gestalt Ihrer Verteidiger.

RA Dr. He[ldmann]:

Es fehlt die Frist bis Montagabend ...

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Herr Vors., die StPO kennt derartige Prozeßstrafen nicht.

Das Gesetz sieht vor ... Herr Vors., das Gesetz sieht vor, daß ein Angekl., der ausgeschlossen worden ist, nach seinem wiedererscheinen zu informieren ist über die wesentlichen ... über den wesentlichen Fortgang der Hauptverhandlung.[8] Wesentlicher Fortgang der Hauptverhandlung während der Abwesenheit der Gefangenen war die Beendigung der Stellungnahme der B. Anwaltschaft; eine kurze spontane Stellungnahme - ich glaube, von mir - zu dieser Stellungnahme und eine Fristsetzung des Vors. zur Frage weiterer Stellungnahmen.

[1346] Das sind Vorgänge ... Herr Vors., wär’s möglich, daß Sie zuhören? Das sind Vorgänge, über die haben nicht wir außerhalb der Hauptverhandlung die Mandanten zu orientieren; das hat der Vors. nachzuholen in öffentlicher Sitzung.

Vors.:

Es ist eine eigenwillige Auslegung der StPO, die Sie treffen. Sie haben überhaupt schon wiederholt dem Gericht vorgeworfen, wenn Maßnahmen, die prozessual bedingt sind, hier getroffen wurden, daß das Prozeßstrafen seien. Davon ist überhaupt keine Rede. Es ist eine logische Folge dessen, daß die Angekl. wegen Ungebühr ausgeschlossen worden sind, daß ihnen die Terminsetzung bis zum Montagabend nicht bekanntgeworden ist.

Wir wollen den Angekl., sofern es sich nicht um eine Erklärung handelt, die nun wieder einen sehr langen Zeitraum beansprucht, Gelegenheit geben, ihre Stellungnahme abzugeben, damit sie nicht das Gefühl haben, es sei ihnen in irgendeiner Weise das Recht beschnitten worden, sich dazu zu äußern.

Ich bitte aber die Herrn Anwälte in Zukunft, wenn etwa - wir können das ja nicht ganz ausschließen - wegen ungebührlichen Verhaltens wieder ein Ausschluß notwendig sein sollte, sich dessen bewußt zu sein, daß Sie Zustellungsbevollmächtigte sind, d. h., daß jede prozessuale Erklärung über Sie auch für die Angekl. wirksam wird.

Herr Baa[der], ich gebe Ihnen hiermit das Wort.

Angekl. Baa[der]:

Ja, Moment. Ich glaube ...

Vors.:

Oder wollte Frau Enss[lin] das vortragen?

Bitte Frau Enss[lin] ... Halt, das Mikrophon. Bitte nochmals.

Angekl. Meinh[of]:

Uns ist gesagt worden, durch die Anwälte, daß wir heute, am Mittwoch, dazu Stellung nehmen können in der Hauptverhandlung. Es ist also überhaupt nicht ’ne Ausnahme, die Sie hier machen, sondern es ist das, was bereits zugesagt ist.

Vors.:

Gut. Das ist mit ein Grund, warum wir Sie sprechen lassen. [1347] Aber dafür können Sie nichts.

Bitte, dann haben Sie jetzt das Wort.

Angekl. Baa[der]:

Es geht zunächst um das, was Sie an letzten Verhandlungstag verhindert haben, durch unseren Ausschluß, das rechtliche Gehör, das Sie uns nicht gewährt haben.

Angekl. Enss[lin] flüsternd:

Dieses Scheißding.

Vors.:

Es muß doch gelingen, das Mikrophon so zu benützen, daß es nicht immer so kunstvoll verknotet wird. Das verträgt’s doch nicht.

Angekl. Enss[lin]:

Zur Tatsache der Verweigerung rechtlichen Gehörs neulich zum Ausschluß:

Natürlich haben Sie entgegen Ihrer Behauptung kein rechtliches Gehör gegeben, als Sie uns am Donnerstag ausgeschlossen haben. Wenn wir jetzt diese Tatsache nochmals feststellen und auf sie zurückkommen, dann hat es nur den Grund, noch nachträglich den inszenierten Ablauf neulich zu zeigen, und unser Verhalten als einzig mögliche Antwort darauf zu erklären.

Vors.:

Entschuldigen Sie bitte. Sie sind sehr schlecht zu verstehen. Sie müssen versuchen, das Mikrophon näher zum Mund zu bringen. Ja, so. Da müssen wir mal sehen, daß wir das wieder stabilisieren; aber das kommt nur dadurch, daß Sie das zu viel hin- und herbewegen.

Angekl. Enss[lin]:

Ich darf das nochmals anfangen.

Zur Tatsache der Verweigerung des rechtlichen Gehörs neulich beim Ausschluß:

Natürlich haben Sie entgegen Ihrer Behauptung kein rechtliches Gehör gegeben, als Sie uns ausgeschlossen haben am Donnerstag, und wenn wir jetzt diese Tatsache nochmals feststellen und auf sie zurückkommen, hat das nur den Grund, noch nachträglich den inszenierten Ablauf neulich [1348] und unser Verhalten als einzig mögliche Antwort darauf zu zeigen. Unser Verhalten war die Geste, die einem nur übrigbleibt angesichts Ihrer Verhandlungsführung, deren Rahmen Ihnen die B. Anwaltschaft vorschreibt und den Sie eifrig ausführen, indem Sie uns ständig unterbrechen, indem Sie die Mikrophonanlage abstellen lassen, indem Sie mit allen Mitteln verhindern, zu verhindern versuchen, daß wir hier die Bedingungen dieses Verfahrens zeigen und erklären, daß wir die Zusammenhänge entwickeln, in denen die Vernichtungspolitik der B. Anwaltschaft gegen die Gefangenen aus der RAF, gegen Gefangene Guerillas sichtbar wird, indem Sie uns knebeln; und es war die Geste auf Ihren schon lächerlichen Versuch, zwischen den Gefangenen zu differenzieren, um sie zu spalten und gegeneinander auszuspielen, lächerlich jedenfalls hier unmittelbar im Prozeß, nachdem es der B. Anwaltschaft in ihrer seit drei Jahren verfolgten Politik nicht gelungen ist, uns zu spalten und gegeneinander auszuspielen., um so die Guerillagruppe und die kollektive Struktur der Gefangenen zu zerstören.

Soweit der Ablauf, in seinem durchsichtigen zeitlichen formalen Arrangement eine einzige Farce.

Sie hatten zu Beginn der Sitzung angekündigt, daß nur vormittags verhandelt würde, und daß noch unmittelbar vor Schluß der Sitzung die B. Anwaltschaft ihre Stellungnahme zum Antrag abgeben werde, die Haftbedingungen ... zu dem Antrag, die Haftbedingungen sofort zu ändern und die Isolation aufzuheben. Dieses Timing - also nur vormittags zu verhandeln - verdeutlicht den Zynismus Ihrer Begründung dazu, die Möglichkeit, eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit der Gefangenen, womit Sie’s begründet haben. Tatsächlich war es nur ein schmieriger Trick, um auszuschließen, daß wir zu dem propagandistischen Versuch der B. Anwaltschaft, die Isolation mit Aufzählung von Quadratmetern und dem Verlesen angeblicher Kassiber, Bücherzahlen usw., und was sich in ihr seit drei Jahren ausdrückt, die Vernichtung politischer Gefangener ... die auf Vernichtung politischer Gefangener abzielende Maßnahme der B. Anwaltschaft zu bestreiten, dazu, überhaupt Stellung nehmen zu können.

[1349] Daß Sie gleich zu Sitzungsbeginn diesen Ablauf angekündigt haben, zeigt nur, daß Sie über die Planung der B. Anwaltschaft informiert waren und sind, und zeigt in diesem Detail vor allem, das durch ... Charakteristikum des ganzen Verfahrens hier, die vollständige Abhängigkeit des Senats von den Entscheidungen, die die B. Anwaltschaft trifft.

Wir haben das schon an verschiedensten Stellen gezeigt, und wir wiederholen es hier nochmals, wo es sich erneut in diesem Teil ... Detail belegt, daß dieser Richter und dieser Senat ein Funktionär des Staatsschutzes ist, insofern er im Interesse des Staatsschutzes funktioniert, d. h. hier, sich auf Anweisung der B. Anwaltschaft oder Vorschlag, natürlich die Formeln, zu einer Verhandlungsführung bereit erklärt und eben bereit erklären muß, die von vornherein ausschließt, daß die Gefangenen oder die Verteidiger sich innerhalb der Hauptverhandlung und direkt im Anschluß an die tatsachenverfälschenden Erklärungen der B. Anwaltschaft dazu überhaupt äußern können.

Und Sie und der Senat setzen diese Sache fort, indem Sie mit der formalen Begründung, es sei nicht Gegenstand der Hauptverhandlung,[9] auch nachträglich noch zu verhindern versuchen, daß in der Öffentlichkeit hier auch dieser Versuch der B. Anwaltschaft und die zwangsläufig tatkräftige Unterstützung durch den Senat widerlegt wird einfach an den Tatsachen, die die B. Anwaltschaft in ihrem propagandistischen Versuch bestreiten will.

Der Senat setzt das Arrangement, die Inszenierung fort, indem er eine Erklärungsmöglichkeit für Verteidigung und Gefangene zeitlich so terminiert, daß dazu nur schriftlich außerhalb der Hauptverhandlung Stellung genommen werden soll und kann, nicht in der Hauptverhandlung Stellung genommen werden soll, und d. h. nichtöffentlich. Dahinter zeigt sich erneut, daß Sie versuchen, die verlogene Argumentation der B. Anwaltschaft öffentlich wirken zu lassen, und nichts anderes ist der Zweck dieser Regie.

Angekl. Enss[lin] zu dem Angekl. Baa[der]:

Red doch einfach weiter. Nimm ... ergreif einfach das Wort.

[1350] Angekl. Baa[der]:

Ja, kann ich jetzt weitermachen?

Vors.:

Ich darf zunächst darauf hinweisen, daß wir ...

Angekl. Enss[lin]:

Moment. Wir sind nicht fertig. Das war das rechtliche Gehör.

Es handelt sich jetzt im weiteren um unsere ... um das, was wir zu der Stellungnahme der B. Anwaltschaft noch zu sagen haben.

Vors.:

Schön. Sie haben eine Pause gemacht, die den Eindruck erweckte, als wären Sie am Ende. Ich war selbst etwas überrascht.

Ich darf dazwischensagen:

Sie haben also das Schreiben bekommen am Freitag, um 16.00 Uhr, nicht am Montag.

Angekl. Enss[lin]:

Es ist ja absolut Nebensache.

Vors.:

Ja bitte, fahren Sie fort, Frau Enss[lin] ...

Angekl. Baa[der]:

Ja, jetzt möcht ich gern hier ...

Vors.:

Nein. Das Wort hat jetzt Frau Enss[lin].

Angekl. Enss[lin]:

Nein, wir! Es handelt sich da um das, was wir ...

Vors.:

Frau Enss[lin], wenn Sie ...

Angekl. Enss[lin]:

... nach Abbruch und zum Abbruch und als Folge des Abbruchs hier und heute zu sagen haben.

Vors.:

Wollten Sie das vortragen oder Herr Baa[der]?

Angekl. Enss[lin]:

Ich hatte ... ich hatte übernommen, zum rechtlichen Gehör das zu sagen, was wir zu sagen haben.

Andreas wird erst sagen, was wir zur B. Anwaltschaft weiter zu sagen haben.

[1351] Vors.:

Gut. Wenn Sie Arbeitsteilung machen.

Also Sie wollen jetzt nicht mehr weitersprechen?

Angekl. Enss[lin]:

Ich will jetzt nicht weitersprechen, sondern Andreas.

Vors.:

Herr Baa[der].

Angekl. Baa[der]:

Warum nehmen Sie’s denn da so genau? Sie haben doch festgestellt das letzte Mal, beim letzten Verhandlungstag, daß ... bei der B. Anwaltschaft trennen Sie ja sozusagen die Wortmeldungen auch nicht; denn die haben ja sozusagen in Team- Arbeit - Widera und Zeis - ihren Antrag auch vorgetragen.

Aber zu dem Antrag selbst:

Das Problem ist natürlich, daß es langsam ärgerlich ist, die Tatsachen immer wieder vortragen zu müssen, also die Tatsachen der Isolation nämlich. Ich werd jetzt trotzdem mal am Antrag der B. Anwaltschaft versuchen, die Argumentation aufzulösen.

Also der Antrag fängt an:

Entgegen ihrem wiederholten Vorbringen sind die Angekl. nicht isoliert.

Ich stelle dazu fest: Entgegen dem wiederholten Vorbringen der B. Anwaltschaft sind wir isoliert, und zwar seit drei Jahren vollständig, und nicht nur wir sind isoliert, sondern außer uns sind auch noch ungefähr 40 Gefangene in der Bundesrepublik vollständig isoliert, davon im Moment vier auch akustisch im Totentrakt[10], wie ich das gesagt hab. Deutlich ist, naja, die konstruierte Dürftigkeit in den Argumentationen der B. Anwaltschaft, wenn schon mal Argumentationen kommen. Sie haben den Apparat, und sie haben die Macht, und sie haben eine durch die Presse hinter den Staatsschutz formierte Öffentlichkeit. Aber wenn man ihre Stellungnahmen untersucht, dann ist der Inhalt eigentlich nur zynische Dümmlichkeit. Die Argumentation läuft im Grunde darauf raus, daß sie sagen, wir wären nicht isoliert zunächst, weil wir über etwas größere Zellen verfügen - das ist die Formulierung, [1352] wir verfügen über Zellen - als andere Gefangene in Stuttgart-Stammheim.

Ich stelle dazu nochmals fest:

Wir waren bis auf einen ganz kurzen Zeitraum während des Hungerstreiks[11], in dem je zwei von uns ein paar Stunden am Tag miteinander sprechen konnten, in den letzten drei Jahren vollständig innerhalb der Gefängnisse isoliert:

Ulrike fast ein Jahr in einem toten Trakt,[12] also einen schalltoten Trakt innerhalb eines Gefängnisses. Dort war sie einem Gehirnwäscheprogramm durch sensorische Deprivation, nicht nur durch soziale Deprivation, sondern durch sensorische Deprivation unterworfen, das ein Psychiater geleitet hat.

Alle vier Gefangenen hier - und der Gefangene, der nicht hier sitzt, weil die B. Anwaltschaft für seinen Tod gesorgt hat[13] - befinden sich in Moment in sozialer Isolation. Die B. Anwaltschaft verschweigt, was die Sache da oben im 7. Stock in Stgt.-Stammheim[14] überhaupt charakterisiert, diese Maschinerie. Daß es eben eine wissenschaftlich konzipierte Maschinerie ist, die jeden sozialen Kontakt ausschließt. Wenn Zeis dagegen anbringt gegen diese Tatsache, wir könnten - z. B. Jan und ich - durch einen 1 cm breiten Schlitz oben in der Tür über 20 m in einem Trakt Sprechkontakte, wie er sich ausdrückte, haben, also in einem geschlossenen System als einzige soziale Interaktion, als einzige soziale Wahrnehmung überhaupt über Monate nur eine Stimme, dann sagt er doch wirklich alles über sich; denn das ist das einzige, was er letztlich anzuführen hat, um zu sagen, wir wären nicht isoliert, daß die Möglichkeit besteht, durch einen 1 cm breiten Schlitz eine Stimme zu hören und um uns damit einen Satz mitzuteilen.

Dann kommt noch dazu, daß in der Situation vollkommener sozialer Isolation dieser Schlitz sozusagen offengelassen wird, um zu Informationen über die Interaktion der Gefangenen zu kommen. Ich weiß, es steht, wann immer da gesprochen wird, einer oder zwei oder drei oder fünf Sätze, steht jemand vor der Tür und schreibt mit, bzw. die Gespräche werden aufgenommen und ausgewertet.

[1353] Gudrun und Ulrike können sich auf diese Weise überhaupt nicht verständigen, weil die Verhältnisse in dem Teil des Trakts, in dem sie untergebracht sind, akustisch so sind, daß es nicht möglich ist.

Ich will sagen, das sind Haftbedingungen, wie sie in dieser Dauer und Härte nicht mal der Staatsschutz des Dritten Reiches, in dessen Tradition die B. Anwaltschaft hier sitzt und argumentiert, verfügen konnte.

Vors.:

Herr Baa[der], das geht eindeutig zu weit. Das wird nicht hingenommen. Sie mißbrauchen Ihr Recht schon wieder. Ich entziehe Ihnen hiermit das Wort.

Die B. Anwaltschaft braucht sich derartige Anwürfe nicht gefallen zu lassen. Das Gericht nimmt das nicht hin.

Herr RA?[a]

RA Dr. He[ldmann]

Ich protestiere gegen diese Wortentziehung. Es ist etwas anderes, eine Formulierung zu rügen, Herr Vors., ehe Sie Ihre geheime Umfrage zu Ende bringen, wollen Sie mich bitte anhören.

Etwas anderes ist es, eine Formulierung zu rügen, als einer Formulierung wegen, die in einem längeren Text sich findet, das Wort ganz zu entziehen. Das nenne ich Verweigerung rechtlichen Gehörs.

Vors.:

Herr RA., ich darf Ihnen nur folgendes zu bedenken geben:

Es hat sich ja gehäuft. Es begann damit, daß die B. Anwaltschaft für den Tod von Meins gesorgt habe; es kamen einige sonstigen Formulierungen hinzu. Ich hab sie hingenommen und dachte, der Herr Baa[der] würde sich wenigstens bei den gröbsten Ausfällen diesmal zurückhalten, weil er die Konsequenzen kennt. Es scheint dies nicht der Fall zu sein.

Ich möchte diese Gelegenheit, weil Sie mir immer wieder in dieser Richtung mit Formulierungen kommen, die anzudeuten scheinen, daß Sie das Recht des Vors. und die Pflicht, derartige Ausfälle nicht zu verhindern,[15] nicht akzeptieren, folgendes mitteilen, was veröffentlicht worden ist in einer Zeitung. Hier zitiert - der Verfasser, ich kann Ihnen das Zitat nachher wörtlich mitteilen - aus den USA folgende Sätze:

[1354] Angekl. Baa[der]:

Haben Sie diese Formulierungen genau gehört?

Vors. zitiert:

„Die USA sind eine der ältesten Demokratien. Ihr oberster Gerichtshof ist wegen seiner überaus liberalen Haltung bekannt. Er hat im Februar 1970 einstimmig folgende Grundsätze aufgestellt:

Für die ordnungsgemäße Durchführung von Strafverfahren ist es unbedingt notwendig, daß Würde, Ordnung und Decorum als echtes Leitprinzip für alle Prozesse in unserem Lande gelten. Die flagrante Mißachtung dieses elementaren Erfordernisses darf nicht toleriert werden. Ungebühr strafen

- so meint der oberste Gerichtshof in der USA weiter -

machten auf einen Angeklagten, der eine lange Freiheitsstrafe zu erwarten habe,

- das ist speziell auf den Fall von dort gemeint, das hat nichts mit uns zu tun; wir machen uns darüber keine Gedanken -

wenig Eindruck. Es dürfe nicht sein, daß er den Beginn des Verfahrens oder das Urteil so lange verzögern könne, bis

- beispielsweise wird das angeführt -

Zeugen verschwinden. Als äußerstes Mittel sei es deshalb zulässig, ihn so lange aus der Hauptverhandlung zu entfernen, bis er bereit sei, sich anständig aufzuführen.

Das Urteil fährt dann fort:

Es ist wenig erfreulich, daß wir erklären müssen, der Angekl. sei mit Recht aus dem Gerichtssaal verbannt worden. Aber unsere Gerichtshöfe, die das Palladium der Freiheit sind, dürfen nicht ungestraft respektlos behandelt werden.

Es kann nicht geduldet werden, daß ein Angeklagter durch Störungen für unbegrenzte Zeit die Durchführung seines Verfahrens beeinträchtigt.

Es würde unser Land und unser Gerichtssystem erniedrigen, wenn wir erlauben, daß unsere Gerichte tyrannisiert, beleidigt, erniedrigt werden und ein ordentliches Verfahren unmöglich gemacht wird.

[1355] Unsere Bundesgerichte und staatlichen Gerichte sind die Hüter der öffentlichen Wohlfahrt. Sie bemühen sich, gleiches Recht gegen Reiche und Arme anzuwenden, gegen Gute und Böse, gegen alle Menschen, ungeachtet dessen, ob sie hier oder im Ausland geboren sind oder welcher Rasse, Nationalität oder Religion sie angehören. Gewiß sind unsere Richter keine perfekten Menschen, und sie begehen selbstverständlich Irrtümer. Aber wenn unsere Gerichte Zitadellen der Gerechtigkeit bleiben sollen, als die sie von unsern Gründern, den Vätern der Verfassung etabliert worden sind, so können und dürfen ihre Verfahren nicht durch solche Vorkommnisse infiziert werden wie gemeine und beschimpfende Redensarten und übles Auftreten, womit ein Angeklagter vor dem Gericht in Illinois paradiert hat.“

Ich habe das zitiert aus Amerika, weil man hier über[b] den Vorwurf, daß es sich um keine Demokratie handle, weiß Gott, aufgrund der langen Tradition dieses Staates nicht zu unterhalten braucht. Ich weise - Herr RA Dr. He[ldmann], weil Sie schon wiederholt solche Vorwürfe erhoben haben, daß wir das Wort zu Unrecht abschneiden - darauf hin, daß Sie selbst, als die Angekl. die B. Anwaltschaft - Sie können’s im Protokoll nachlesen - als „Vernichtungsstrategen“, „Volksverhetzer“, „Zyniker“ und „Schweine“ beschimpften und das Gericht als eine „Clique von muffigen[c] Schreibtischmördern“ erklärten, das sei eine gar zu verständliche Reaktion der Angekl. ...

Ich möchte Sie also in Zukunft bitten, daß Sie, wenn Sie dem Gerichtsvors. Vorhalte machen, weil er seiner Pflicht genügt, derartige Ausfälle zu. verhindern - es ist eine Pflicht, betone ich - vielleicht auch dieser Worte eingedenk sind, die ich Ihnen eben gesagt habe.

RA Dr. He[ldmann]:

Herr Vors., ich bitte um Erwiderung.

Vors.:

Bitte sehr.

RA Dr. He[ldmann]:

1. Die Verteidigung ist sicher sehr gern damit einverstanden, wenn der Senat von nun an US-Recht hier anwenden würde; denn Sie selbst, Herr Vors., meine ich, wissen [1356] wohl am besten, daß Sie dann dieses Verfahren sofort einzustellen hätten wegen der öffentlichen Vorverurteilung, die sich durch Ihre Äußerungen hier in Gerichtssaal hinreichend dokumentiert.

Ich glaube, Herr Vors., Sie wissen, wovon ich spreche.

2. ...

Dr. Foth:[d]

Nein. Das weiß ich nicht. Das bitte ich, doch näher zu erläutern.

RA Dr. He[ldmann]:

Ist die Information richtig, Herr Vors., wo Sie mich um Konkretes bitten, daß Sie gegenüber Herrn Oestereicher aus London - einem englischen Theologen - geäußert haben, daß, wenn Sie ein Richter in USA wären, wegen des öffentlichen Klimas, das zur Vorverurteilung der Angekl. bereits geführt hat, dieses Verfahren nicht führen könnten?

Vors.:

Wollen Sie sofort eine Erwiderung haben?

Ich habe Herrn Paul Oestereicher gegenüber - ich glaube, es war zu Beginn dieses Jahres - bedauert, daß sich die öffentliche [e] Berichterstattung dieses Verfahrens in einem Maße annehme, das der ruhigen Behandlung dieser Sache nicht dienlich sein könne.

Ich habe außerdem gesagt, daß durchaus in einem Staat wie Amerika, wo solche Möglichkeiten nicht gegeben seien, wo die Presse nicht vorher über ein Verfahren derart eingehend berichten könnte, ein Richter zu einer solchen Erklärung kommen könnte, daß das aber für das deutsche Prozeßrecht nicht gelte.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich sagte also:

Die Verteidigung hätte - da Sie schon ausführlich US-Recht hier zitiert haben - beispielgebend keine Einwendung gegeben, wenn US-Recht in vollem Umfang hier angewendet werden würde; denn eines wissen wir hier alle, daß das Rechtsbewußtsein in den USA, einer gewachsenen Demokratie, Wurzeln hat, die [1357] etwa Urteile wie die des US Supreme Court zur Frage der Pentagon-Papiere ermöglicht haben, wo sich folgender bemerkenswerte Satz findet:

„Es ist die Aufgabe der Presse, den Regierten zu dienen, nicht den Regierenden.“

Ein Urteil, das nach bundesrepublikanischer Rechtsprechung kaum vorstellbar wäre oder das Urteil des US Supreme Court, wo aus der Menschenwürde der Frau das Verbot der Strafandrohung für Abtreibung hergeleitet wird.[16] Das ist US-Recht, und darum keine Einwendungen dagegen, wenn wir künftig uns nach deren Maximen orientierten, wo eine unmittelbare Übernahme nicht möglich erscheint.

2. Sie haben mir vorgehalten, ich hätte, als Herr Baa[der] die B. Anwaltschaft in gewisser Weise qualifiziert hat und dabei auch vergleichbare Qualifizierungen des Senats hier von sich gegeben hat, erklärt, diese Äußerungen seien verständlich. Wir können im Protokoll wohl nachlesen, daß ich erklärt habe, daß die Verletzungen oder daß die ...

Vors.:

Reaktion sagten Sie wörtlich, die Reaktion.

RA Dr. He[ldmann]:

... die Reaktionen des Herrn Baa[der] auch in ihrer Form verständlich erscheinen, nachdem er drei Jahre lang unter unmenschlichen Bedingungen in Isolierhaft gelebt hat.

So heißt meine ...

Vors.:

Gar zu verständlich, sagten Sie, Herr RA ... Gar zu verständlich.

RA Dr. He[ldmann]:

... und Sie haben ... Ich weiß es nicht genau. Ich sagte: verständlich.

Vors.:

Ich habs wörtlich zitiert.

RA Dr. He[ldmann]:

Wenn Sie’s wörtlich zitiert haben, bin ich sicher auch damit einverstanden, daß ich gesagt habe: gar zu verständlich.

[1358] Sie haben aber, Herr Vors., keine Rüge an die andere Seite erteilt, als die objektivste Behörde der Welt,[17] die B. Anwaltschaft, in ihrer Stellungnahme, die der Senat wortwörtlich in seinen eigenen Beschluß übernommen hat,[18] die hier Unverurteilten und damit als unschuldig zu behandelnden Angekl. qualifiziert hat als Bandenmitglieder, Rädelsführer, denen die folgenschwersten Verbrechen zur Last zu legen seien; nicht nur also die Stellungnahme der objektivsten Behörde der Welt hier in diesem Gericht - ich habe keine Rüge von Ihnen gehört -, sondern der Senat hat die wortwörtlich in seinen Beschluß übernommen, ohne auch nur noch einen Satz anzufügen, daß er von solchen Abqualifizierungen der Angekl. sich jedenfalls seiner Richterpflichten wegen zu distanzieren habe. So sieht, Herr Vors., für die Verteidigung hier das Prinzip der Waffengleichheit in diesem Prozeß aus, und daher gebe ich Ihnen kurzerhand zurück:

Bitte schön. Wenn Rügen an die Verteidigerbank, dann bei solcher Gelegenheit wie jener, von der ich eben gesprochen habe, auch an die Adresse der B. Anwaltschaft!

StA Holland verläßt um 9.40 Uhr den Sitzungssaal.

Vors.:

Herr RA Dr. He[ldmann], wir sind natürlich jetzt etwas weitergeraten, als ich das beabsichtigt habe.

Ich wollte Sie nur um Verständnis bitten, daß der Vors. die Pflicht hat, ein Verfahren in einem Stil abzuwickeln, der noch unter großzügigen Maßstäben als erträglich angesehen werden kann. Dazu gehören Beleidigungen, Diffamierungen jedenfalls nicht. Ich habe Sie schon mal versucht, zu bitten, daß Sie mit dafür Sorge tragen sollten, daß die Angekl., damit sie das volle Recht, zu reden, haben und behalten, von solchen Formulierungen ferngehalten werden. Das könnte - ich kann Sie nur darum bitten - Gegenstand einer Beratung durch die Verteidiger sein. Um mehr ging mir’s nicht. Ich wollte nur Verständnis wecken[f] dafür, was ich hier tun muß.

[1359] Wollen Sie nun die Rüge, daß ich Herrn Baa[der] das Wort entzogen habe wegen der Behauptung, die grade gegen die B. Anwaltschaft gerichtet worden ist, aufrechterhalten? Dann müßte der Senat darüber entscheiden.[19]

RA Dr. He[ldmann]:

Ich halte sie aufrecht.

RA Sch[ily]:

Herr Baa[der] möchte sich auch dazu äußern ...

Vors.:

Herr Baa[der] hat das Wort entzogen bekommen. Im Augenblick ist es ...

RA Sch[ily]:

... wenn jetzt eine Anordnung des Vors., daß ihm das Wort entzogen wird, daß er dazu auch vielleicht Stellung nehmen kann. Das ist ja ein gravierender Eingriff, was? Nicht wahr?

Vors.:

Das ist zuzugeben. Das ist ein sehr bedauerlicher Eingriff, und wir wären sehr froh, wenn diese Eingriffe nicht notwendig wären.

RA Sch[ily]:

Versteh ich; aber er möchte jetzt sich dazu vielleicht äußern, bevor der Senat einen Beschluß faßt.

Vors.:

Ich gebe dann nachher noch der B. Anwaltschaft auch Gelegenheit.

Herr Baa[der], bitte schön.

Angekl. Baa[der]:

Also ich stelle dazu fest:

Die Formulierung war - Sie hören schon gar nicht mehr zu, das ist ganz deutlich; Sie warten auf die Gelegenheit, und das ist ja auch sehr deutlich: Sie drohen ja dauernd! In Ihren ganzen Begründungen kommt das ja zum Ausdruck; Sie drohen ja dauernd mit Ausschluß, obwohl im Grunde überhaupt kein Anlaß zum Ausschluß da ist; das machen Sie schon seit zwei Verhandlungstagen - die Formulierung ist, daß die B. Anwaltschaft hier in der Tradition des Staatsschutzes des Dritten Reiches ist, und was könnte daran falsch sein? Das ist die [1360] historische Kontinuität dieser Behörde.

Vors.:

Herr Baa[der], damit ist Ihnen das Wort - es war ja der Anlaß des Entzugs - wieder entzogen. Ich bitte also, davon abzusehen.

Möchte die B. Anwaltschaft Stellung nehmen?

Bitte, Herr B. Anw. Dr. Wu[nder] ...

BA Dr. Wu[nder]:

Herr Vors., ich nehm an, nur zu diesem letzten Punkt.

Die Formulierungen, die in der Anklageschrift bereits gebraucht wurden, werden wir dann, wenn wir es für erforderlich halten, wiederholen.

Wir sind nach unseren Ermittlungen und Prüfungen dazu berechtigt und auch verpflichtet.

Vors. nach geheimer Umfrage des Senats:

Der Senat bestätigt die Entscheidung, die ich getroffen habe:

Es bleibt beim Entzug des Wortes wegen Mißbrauchs durch die Behauptung, die B. Anwaltschaft bewege sich in der Tradition des Staatsschutzes des Dritten Reiches.

Angekl. Baa[der]:

Von bewegen war nicht die Rede.

Vors.:

... oder stehe in der Tradition des Staatsschutzes des Dritten Reiches.

RA Dr. He[ldmann]:

Herr Vors., ich bitte, sagen zu dürfen, damit im Protokoll steht:

Ich protestiere gegen diese Wortentziehung; diese Wortentziehung ist nicht erfolgt wegen Ungebühr vor Gericht, sondern diese Wortentziehung bedeutet die Zensur einer politischen Meinungsäußerung, die durch Art. 5 des GG geschützt und privilegiert ist.

Vors.:

Damit könnte der Senat jetzt zur Beratung kommen.

Bitte schön? Herr Ra[spe], was wünschen Sie?

[1361] Angekl. Ra[spe]:

Ich werd die Begründung fortsetzen, die Stellungnahme.

Vors.:

Bitte halten Sie sich an das, was ich Herrn Baa[der] sagte.

Ohne Beleidigungen, dann dürfen Sie reden. Das ist selbstverständlich.

Angekl. Ra[spe]:

Ich will nur vorher kurz sagen, daß diese Formulierung ne wissenschaftlich korrekte Aussage ist und sie genauso korrekt ist wie also dieser Staat, die Bundesrepublik, schließlich in Anspruch nimmt und behauptet, Nachfolgestaat eben des - natürlich wird das nicht so deutlich genannt, daß es sich also um den Nachfolgestaat des faschistischen Staates handelt, sondern da wird nur genannt, es handelt sich um den Nachfolgestaat - des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 usw. Das ist der politische Anspruch dieses Staates; und es ist korrekt zu sagen, daß die Institutionen dieses Staates, das ist auch nur logisch, wenn Sie mal nen Moment nachdenken, daß das gleiche, was für den Staat insgesamt gilt, selbstverständlich auch für seine Institutionen gilt, und zwar vor allem dann, wenn Sie sich also das vielleicht nochmals im Protokoll ansehen, wie diese Formulierung war, wenn eine Formulierung so allgemein gehalten ist.

Vors.:

Ja. Herr Ra[spe], würden Sie jetzt zur Sache kommen? Möchten Sie die Erklärung fortsetzen?

Angekl. R[aspe]:

Naja. Das spricht auch für sich.

Einen Moment.

Also es handelt sich um Haftbedingungen in dieser Dauer und Härte, ja? und der Formulierung, die ich mir also jetzt - weil Sie dann sofort zu Ihrer Praxis schreiten, um’s Mikrophon abzuschalten - aufspare.

Es handelt sich also um Haftbedingungen, die in dieser Dauer und Härte einzigartig sind. Heinz Brandt von der IG Metall, der fünf Jahre im KZ war, hat festgestellt, daß Isolationshaft quälender ist als KZ-Haft, und daß das KZ leichter zu er- [1362] tragen ist als Isolation, wozu festzustellen ist, daß es damals sensorische Deprivation wie im toten Trakt, in dem Ulrike fast ein Jahr war, nicht gab, sondern nur die Form sozialer Deprivation, der alle Gefangenen aus der RAF zum Teil seit vier Jahren unterworfen werden. Darüber sagt die Größe der Zellen nichts aus. Es ist richtig, daß Andreas in einer Doppelzelle ist, nachdem er 2 ½ Jahre in einem fensterlosen Loch war, und vielleicht sind die Zellen von Gudrun und Ulrike etwas größer als die anderer Gefangener; aber wir haben so etwas nie verlangt. Gefangene können sich ihre Zellen nicht aussuchen, und was wir verlangen, ist nur, behandelt zu werden wie andere Gefangene, obwohl es eine völlig aussichtslose Forderung ist; denn die B. Anwaltschaft, die hier feststellt, Isolation, der Trakt, Folter, die soziale und sensorische Deprivation seien Privilegien. Die B. Anwaltschaft wird ihr Privileg, politische Gefangene zu foltern, um Aussagen von ihnen zu erpressen oder sie zu zerstören, nicht aufgeben, weil die Isolation, weil Folter zu den Methoden ihrer Countertaktik gehört.

Zeis sagt da:

Wir verfügen über - und da kommen diese ganzen Aufzählungen - nur: Warum fehlt in dieser Aufzählung, daß wir nicht nur über diese Zellen, sondern über ein ganzes Stockwerk und zum Nachteil anderer Gefangener über 6-10 Mann Bewachung verfügen? Wie hier über ein besonderes Gerichtsgebäude,[20] ein Sondergericht, über Sondergesetze[21] und besondere, nämlich Zwangsverteidiger[22]?

Außerdem über die besonders kostspielige Fürsorge, das besondere Privileg einer tausendköpfigen Polizeiarmee in Stuttgart, nur für dieses Verfahren?

Es ist Dreck diese Argumentation der B. Anwaltschaft, die rational nur wird, wenn, man das Vernichtungsinteresse dahinter erkennt: Nicht wir verfügen, sondern der Apparat verfügt über uns, und zwar mit einer wissenschaftlich geplanten und durchorganisierten Totalität, die einzigartig ist, wobei es nicht bei der physischen Verfügung über uns bleiben soll; [1363] Denn der Sinn dieser ganzen Maßnahmen - die Isolation - ist, den Willen und die Identität der Gefangenen zu brechen, also auch zu einer psychischen Verfügung über ihn zu kommen. Falsch ist, daß die Zellen fünfzehnmal am Tag geöffnet werden. Es gibt Tage, an denen sie nur viermal geöffnet werden, d. h., wir sind 23 Stunden am Tag allein eingeschlossen, und dagegen - die sozusagen Erbauung sozialer Kontakte mit den Wärtern, die es nicht gibt, weil wir kaum mit ihnen sprechen - zu behaupten, dann spricht das tatsächlich mal für sich.

Diese ganze dümmliche und zynische Produktion der B. Anwaltschaft ist darauf aus, ist darauf angelegt, die Öffentlichkeit zu täuschen. Z. B. gibt es natürlich keine Möglichkeit, Tischtennis zu spielen. Das lassen sie nur von Zeit zu Zeit veröffentlichen wie die Sache mit dem Fernsehen, weil natürlich niemand mit Tischtennis Folter assoziiert. Real war es nie möglich. Wir haben zwar in allen Zeitungen gelesen, daß wir fernsehen können; real war es in sechs Monaten einmal möglich, und da war festzustellen, daß im Gegensatz zu allen anderen Gefangenen Zeiten ausgesucht worden sind, in denen als ein neuer Zynismus der Anstalt und des Senats ausschließlich das Kinderprogramm läuft.

Der Käfig auf dem Dach ist leer, wenn wir dort sind, und wir haben das schon festgestellt, bereits sechs Monate in Stammheim, bevor wir zufällig von weitem mal einen anderen Gefangenen gesehen haben, daß er leer ist.

So und ...

Angekl. Baa[der]:

Kann ich noch was sagen?

Vors.:

So. Ich glaube, damit ist die Stellungnahme abgeschlossen.

Will die Bundesanwaltschaft ... Herr Baa[der].

Angekl. Baa[der]:

Na hören Sie mal. Hören Sie doch bitte zu.

Ich hab nochmals ... ich hab einen Antrag zu stellen.

Vors.:

Herr Baa[der], jetzt wird kein Antrag gestellt.

Wir entscheiden jetzt zunächst über diesen Antrag.

[1364] Sie hatten die Gelegenheit, rechtliches Gehör wahrzunehmen.

Will die B. Anwaltschaft sich dazu noch äußern?

OStA Ze[is]:

Ne ganz kurze Stellungnahme, Herr Vors. ...

Vors.:

Bitte sehr.

OStA Ze[is]:

Die B. Anwaltschaft bleibt bei ihrer Stellungnahme. Die Angekl. haben schon mehr Vergünstigungen[g], als unter Berücksichtigung dessen, daß sie in Mittäterschaft begangener schwerster Verbrechen dringend verdächtig sind, eigentlich verantwortet werden kann.

Ihnen geht es nur darum, noch weitere Privilegien zu erhalten, die sie gemäß eines ihrer erklärten Ziele, nämlich: politisierte Gefängnisse zur Anzettelung von Aufruhr in der JVA, benutzen wollen.

Außerdem:

Es muß hier wiederholt werden, sollen und wollen die Angekl. befreit werden.

Ich brauche nur an Stockholm[23] erinnern, und ich wiederhole, an das auffällige Engagement der Angekl. für Siegfried Hausner.[24]

Es bleibt dabei: Die Angekl. sind nicht isoliert.

Was sie insoweit und ihre Verteidiger vorgetragen haben, entspricht nicht den Tatsachen. Ich bitte daher, die Anträge auf Abänderung der Haftbedingungen zurückweisen.

Angekl. Baa[der]:

Inwiefern nicht?[h]

Vors.:

Das Gericht zieht sich zurück.

- StA Holland erscheint wieder um 9.55 Uhr.-

Nein. Sie haben jetzt keine Gelegenheit mehr.

Herr RA v[on] Pl[ottnitz], Sie haben jetzt nicht das Wort. Das Gericht zieht sich zurück. Wir werden jetzt nochmals über den Antrag entscheiden.

Was wollen Sie denn jetzt noch?

RA v[on] Pl[ottnitz] unverständlich

Vors.:

Ja, Sie können doch nicht ständig eine Replik, die hier [1365] stattfindet, wiederbenützen, um daran eine neue Erklärung ...

RA Dr. He[ldmann]:

... oder er muß zumindest mal substantiieren, inwiefern, und dann müßten wir dies richtigstellen können.

So geht das doch wohl nicht.

Vors.:

Herr RA., ...

RA Dr. He[ldmann]:

Die B. Anwaltschaft hat hier stets das letzte Wort. Dieses Wort ist diskriminierend und dann: roma locuta, causa finita[25]!

Vors.:

Herr RA., daß Sie das letzte Wort in den meisten Fällen bis jetzt gehabt haben, das werden Sie anhand des Protokolls mühelos feststellen können.

Das trifft nicht zu, was Sie sagen.

Bitte, haben Sie etwas gegen das, was vorgetragen ist, sachlich einzuwenden?

Herr RA Sch[ily], bitte.

RA Sch[ily]:

Herr Vors., wenn ich doch eines mal anregen darf:

Ich könnte mir vorstellen, daß der Senat selbst ein Interesse daran haben könnte, doch auf die konkreten Tatsachenbehauptungen einzugehen, so daß eine pauschale Erklärung von Herrn B. Anw. Zeis - das ist alles kompletter Unsinn, wenn ich das etwas berlinisch ausdrücken darf -, daß er dann vielleicht doch mal nachfragen würde, der Herr Vors., was ist denn nun falsch.

Ist alles falsch, was Herr Ra[spe] soeben vorgetragen hat an Einzelheiten? Ist das alles falsch?

Und dann wäre es doch interessant zu wissen, wie Herr Zeis eigentlich seine Ausführungen im einzelnen begründet.

Das würde ich denken, ist eigentlich ... das ... dazu brauchten wir ja eigentlich gar nicht beizutragen. Ich könnte mir vorstellen, daß der Senat selbst vielleicht ein Interesse daran haben könnte an der konkreten Auseinandersetzung, und sich nicht begnügt damit, daß er sagt: Alles, was gesagt ist, ist einfach falsch.

[1366] Vors.:

Ich danke Ihnen für die Belehrung.

RA Sch[ily]:

Und diese Anregung wollte ich doch vielleicht dem Senat geben.

Vors.:

Hat jemand etwas Sachliches gegen das vorzutragen, was eben gesagt worden ist? Der Senat befaßt sich mit den Tatsachen selbstverständlich.

Angekl. Baa[der] unverständlich.

Vors.:

Herr Baa[der], Sie haben jetzt nicht das Wort.

Herr RA Dr. He[ldmann], bitte.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich möchte das Wort für Herrn Baa[der], der hat sachlich etwas dazu zu sagen, denn er ist betroffen.

Vors.:

Ihm ist das Wort im Zusammenhang mit dem rechtlichen Gehör zu den gestellten Anträgen nicht mehr gegeben. Die B. Anwaltschaft hat erwidert. Er hat daraufhin die Gelegenheit gehabt, sich zu äußern, abgesehen davon nur deswegen, weil Sie ihn offenbar nicht richtig informiert haben über den Ablauf der Frist, ihm gesagt haben, er könne das heute tun.

RA Dr. He[ldmann]:

Nee, das hab ich ihm nicht gesagt.

Vors.:

Es wurde ja vorhin vorgetragen.

RA Dr. He[ldmann]:

Es war selbstverständlich, daß er’s heute tun würde, wo die B. Anwaltschaft in öffentlicher Verhandlung Behauptungen aufstellt, muß öffentlich erwidert werden können.

Wir haben nicht ein halböffentliches und halbgeheimes Verfahren.

Vors.:

Sie benützen das letzte Wort, das Sie sich auf diese Weise immer nehmen, immer dazu, um das nun nicht mehr sachlich irgendwie zu widerlegen, was gesagt worden ist, sondern irgendwie zu zerreden, was geschehen ist.

[1367] Wollen Sie sachlich etwas gegen das, was die B. Anwaltschaft eben vorgetragen hat, einwenden. Wir haben ja bis jetzt die Fakten gehört

a) im Antrag;

b) in der Gegendarstellung, die ja voll zur Geltung gekommen ist, nur durch Wechsel der Personen.

RA Dr. He[ldmann]:

Gut.

1. Zur sachlichen Gegendarstellung, soweit sachliche Angaben die B. Anwaltschaft gemacht hat, bitte das Wort für Herrn Baa[der];

2. fordere ich die B. Anwaltschaft auf zu sagen, inwieweit, inwiefern, womit, wodurch die Verteidigung dem Gericht falsche Tatsachenbehauptungen vorgetragen hätte;

3. beantrage ich beim Senat - was bisher nämlich bemerkenswerterweise unterblieben ist - ...

Vors.:

Ich bitte, jetzt aber keinen neuen Antrag zu stellen, Herr RA ...

RA Dr. He[ldmann]:

Nein, nein. Das gehört selbstverständlich zur Sache, sonst würde ich’s nicht sagen:

...uns doch auch die Stellungnahme der Anstalt, die doch wohl eingeholt worden ist, und die doch für die Beurteilung, der hier zu[i] [j] entscheidenden Frage wesentlich ist, und auch uns zur Kenntnis gegeben werden sollte, uns nun endlich zur Kenntnis zu geben, die Stellungnahme der Anstalt selbst zur Frage der Haftbedingungen.

Das sind meine drei Anträge an den Senat zu diesem Punkt des Verfahrens.

Vors.:

Der erste Antrag, daß Herr Baa[der] das Wort nochmals bekommt vor der Entscheidung, wird abgelehnt. Ihm ist das Wort entzogen, weil er’s mißbraucht hat. Die B. Anwaltschaft möge, ...

Angekl. Baa[der]:

Für den Rest des Verfahrens, ja?

[Vors.:]

[1368] ... wenn sie will[k], sich zu diesem Vorwurf äußern, sie hätte zu Unrecht behauptet, es seien falsche Tatsachen vorgetragen worden.

OStA Ze[is]:

Herr Vors., einer.

RA Dr. He[ldmann]:

Die Verteidigung hätte ...

OStA Ze[is]:

Herr Vors., jetzt hab ... Entschuldigen Sie, Herr RA Dr. He[ldmann].

Ich glaube, ich hab das Wort.

Vors.:

Ja.

OStA Ze[is]:

Herr Vors., ich möchte beispielsweise nur eine dieser Behauptungen - dieser Pauschalbehauptungen der Verteidigung, auf die sich meine Bemerkung bezog - hier anführen:

Herr RA Dr. He[ldmann] hat nämlich gesagt, Baa[der] sei über drei Jahre lang unter menschenunwürdigen Umständen untergebracht worden.

Das ist eine dieser Tatsachen, die ich pauschal mit meiner Bemerkung zurückgewiesen habe und nochmals nachdrücklich zurückweise. Es entspricht nicht den Tatsachen, und das wissen Sie am besten, Herr Dr. He[ldmann].

Vors.:

Zum dritten Antrag.

Herr Dr. He[ldmann], jetzt will ich aber nicht erneut eine Erwiderung haben. Es war Gelegenheit gegeben für alle Seiten. Wir müssen einmal aufhören, bevor wir zur Entscheidung kommen. Ich darf noch darauf hinweisen auf Ihren Antrag ...

Herr RA Dr. He[ldmann], es muß jetzt ein Ende haben. Ich bitte, halten Sie sich jetzt daran. Der Senat hat die Argumente jetzt von allen Seiten mehrfach angehört. Wir werden uns darüber entschließen müssen.

Im übrigen:

Wir haben von der Haftanstalt keine Stellungnahme eingeholt; wir sind selbst Haftrichter;[26] wir kennen die Bedingungen, unter denen die Angekl. sich in der Haftanstalt befinden.

[1369] RA Sch[ily] zunächst unverständlich

RA Sch[ily]:

... und ich nehme an, daß diese mündliche Stellungnahme doch Gegenstand vielleicht eines Vermerkes ist, und daß ...

Ich möchte aber doch auch was Grundsätzliches vielleicht doch nochmals zu der Frage des rechtlichen Gehörs, das ist mir nämlich ...

Vors.:

Darf ich, Herr RA, bloß eines sagen, was diese Stellungnahme anlangt:

RA Sch[ily]:

Ja, bitte.

Vors.:

Es ist richtig, daß wir mit den Herrn der Vollzugsanstalt gesprochen haben über Möglichkeiten, wie die Umschlußfrage neu geregelt werden könnte. Das ist Gegenstand des Antrags gewesen.

Eine Stellungnahme zu den Haftbedingungen ist nicht erfolgt und auch von uns nicht angefordert worden.

RA Sch[ily]:

Ich möchte nur eigentlich einmal noch etwas grundsätzlich, damit ich mich darauf einstellen kann. Das ist ja doch auch wichtig hier, auch für meine Mandantin.

Vors.:

Kann das nicht nachher gemacht werden? Wir wollen jetzt zur Entscheidung kommen.

RA Sch[ily]:

Nein, nein. Das ist grade in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung, Herr Vors. ...

Wenn ich das richtig sehe, dann haben Sie wegen einer Erklärung von Herrn Baa[der] ihm das Wort entzogen für diese ganze Thematik der Haftbedingungen.

Vors.:

Für wen sprechen Sie, Herr RA Sch[ily]?

RA Sch[ily]:

Ich spreche für Enss[lin], weil ich ja doch sie auch richtig beraten will, nicht?

[1370] Vors.:

Nein. Sie können sich die Rechtsauskünfte, wenn Sie solche haben wollen, auch außerhalb der Hauptverhandlung ...

RA Sch[ily]:

Aber das ist doch ein allgemeiner Verfahrensvorgang.

Vors.:

Nein, nein.

RA Sch[ily]:

Wie bitte?

Vors.:

Aber nicht für Herrn Baa[der]

RA Sch[ily]:

Aber selbstverständlich.

Vors.:

Herr RA Sch[ily], dafür haben Sie das Wort jetzt nicht.

Ich bitte Sie, sich dran zu halten.

RA Sch[ily]:

Aber Herr Vors., das ist doch selbstverständlich. Aber.

Vors.:

Der Senat unterbricht jetzt zur Beratung.

RA Sch[ily]:

Ja, das geht doch um wirklich nicht! Sie können doch nicht einfach ...

Der Senat zog sich um 10.09 Uhr zur Beratung zurück.

Ende von Band 51.

[1371] Die Sitzung wurde um 10.10 Uhr fortgesetzt.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, ich hin darauf hingewiesen worden, Sie hatten sich zu Wort gemeldet und hatten das Wort noch nicht erhalten. Ich möchte Ihnen also das Wort ausdrücklich erteilen.

RA v[on] P[lottnitz]:

Ja, ich wollte, da ich ja derjenige war, der den Antrag von letzter Woche gestellt hatte, noch einmal mich zur Stellungnahme, zur heutigen Stellungnahme des Herrn Zeis, äußern. Der Herr Zeis hat hier pauschal festgestellt, die Tatsachen stimmen nicht. Er hat nicht ein Wort dazu gesagt, was hier von dem Herrn Baader und von dem Herrn Raspe geäußert worden ist. Er hat weiter den Versuch unternommen, die Quadratur des Kreises zu schaffen, nämlich die Isolation von vier Gefangenen in einem besonderen Gefängnistrakt zu einem Privileg zu erklären. Das ist die Linie der Bundesanwaltschaft. Darüber hinaus geht sie nicht mit einem Wort ein auf die Frage, ob in Anbetracht der Bestimmung des Artikel 316[ EGStGB][27], die Fortdauer der Isolationshaft über 3 Jahre hinaus, nicht ein eklatanter Verstoß ist gegen das verfassungsrechtliche, gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch der Gefangenen, nicht wie Strafgefangene bestraft zu werden,[28] darstellt. Dazu hat die Bundesanwaltschaft auch sich mit keinem Wort geäußert. Sie hat gemeint, § 119 Abs. 3[ StPO][29] regele Untersuchungshaft abschließend und so getan, als ob Untersuchungshaft, Strafhaft gleichgestellt werden könne.

Vors.:

Ja, Dankeschön. Ich möchte, bevor wir uns jetzt nochmals aufgrund Ihrer Ausführungen ganz kurz zurückziehen, d. h. um zu überlegen, ob das in die Entscheidung einfließen muß, darauf hinweisen, daß heute nachmittag gesprochen werden muß noch mit den vorgesehenen Ärzten. Wir haben also fünf Ärzte ins Auge gefaßt aus allen drei Fachrichtungen. Das führt [1372] dazu, daß die Sitzung heute früh zu Ende gehen muß. Heute nachmittag wird nicht fortgesetzt.

RA R[iedel]:

Können Sie uns die mal nennen, Herr Vorsitzender?

Vors.:

Bitte?

RA R[iedel]:

Können Sie die uns mal mitteilen?

Vors.:

Nein, wir werden sie Ihnen mitteilen ... Wir sind erst im Gespräch mit ihnen. Wir kriegen heute nachmittag die Mitteilung, welche Herrn in Betracht kommen, d. h. zustimmen und bereit sind mitzumachen.

RA Dr. H[eldmann]:

Darf ich mal fragen, ganz kurz. Wie? Sollen die Betroffenen, die Angeklagten und ihre Anwälte von dieser Beratung, welche Ärzte zu wählen seien, ausgeschlossen werden.

Vors.:

Sie haben ja die gesamte Liste bekommen und konnten dazu Stellung nehmen, auch bis zum Montagabend, auch das war klar gesagt.

(RA von Plottnitz ruft dazwischen trotz abgeschaltenen Mikrophons)

RA Dr. H[eldmann]:

Wo steht denn das? Es ist keine Rede davon.

(RA von Plottnitz redet weiter)

RA v[on] P[lottnitz]:

... Sie mir bitte die Stelle auf ...

RA Dr. H[eldmann]:

Jawohl, das stimmt einfach nicht, Herr Vorsitzender, das stimmt nicht, was Sie hier sagen.

Vors.:

Ich habe gesagt, als ich Ihnen die Liste übergab, es kann dazu bis zum Montag Stellung genommen werden.

RA Dr. H[eldmann]:

Nein, das stimmt nicht. Ich bitte das Protokoll abzuspielen, das stimmt nicht.

Vors.:

Ich höre eben, daß ...

[1373] RA Sch[ily]:

... Donnerstag nicht angehen, ich will daraus nun keinen, keinen ... Es ist letzten Endes meine Sache, wenn ich am Donnerstag nicht da bin, aber ich bin auch von meinem Referendar nicht davon unterrichtet worden, der ja noch hier war am Donnerstag, der mir an sich über den Ablauf berichtet hat. Ich habe von dieser Frist, vom Montag, gehört, aber auch nicht mit dem Hinweis, daß zu dieser Ärzteliste ... sondern da hieß es nach meiner Auffassung, bis heute. Also ich bin auch darauf eingestellt, bis heute und Herr Vorsitzender, man kann ja vieles machen, also wenn Sie auch mitten in meinen Satz herausgehen und mir dadurch das Wort entziehen, also sich sozusagen meinen Ausführungen durch Flucht entziehen wollen. Ich weiß nicht, ob das also die richtige Methode ist des Wortentziehens. Ich meine, Sie haben selber uns hier heute eine interessante Entscheidung des US-Supreme Court hier mitgeteilt und ich finde, mitunter ist es ja doch auch nützlich, daß alle Verfahrensbeteiligten zu Verfahrensvorgängen Stellung nehmen.

Vors.:

Ja, Herr Rechtsanwalt, das wissen wir.

RA Sch[ily]:

Und, und dazu gehören eben doch in der Tat auch Erklärungen anderer Angeklagten. Sie können das nicht so separieren, zumal ja bei den Haftbedingungen das doch alles ineinander geht, daß Sie nun sagen, ich könnte mich also praktisch nur über die Haftbedingungen von Frau Ensslin hier äußern[30] oder über die Tatsache, wer von den Angeklagten das geäußert hat und ich meine, daß ich dazu also folgendes doch sagen muß und verpflichtet bin in meiner Aufgabe als Verteidiger, folgendes zu sagen:

Eine Wortentziehung wegen einer Formulierung ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, es geht wieder nicht um die Haftbedingungen, es geht jetzt um das Rechtsgespräch, über die Frage der Wortentziehung. Ich sage Ihnen nochmals, Sie haben das Recht sich selbstverständlich im Rahmen eines Beschlusses, den wir über Haftbedingungen zu fassen haben, zu diesen zu äußern, auch die Angeklagten.

[1374] RA Sch[ily]:

Herr Vorsitzender ...

Vors.:

Wenn im Rahmen - darf ich das noch ausführen -. Wenn im Rahmen des rechtlichen Gehörs, das im übrigen den Angeklagten nicht etwa deswegen zusteht, weil sie ausgeschlossen waren, das ist eben eine Folge, das haben die Angeklagten selbst in Kauf zu nehmen wenn sie durch Ungebühr ausgeschlossen werden müssen, sondern weil sie offensichtlich nicht richtig belehrt worden sind, darüber, daß bis Montag die Äußerung erwartet wird von Seiten des Senats. Wenn Sie also das rechtliche Gehör dazu mißbrauchen, derartige Vorwürfe zu erheben, die als Ungebühr zu betrachten sind, was wiederum zwingt, das Wort zu entziehen, dann ist im Rahmen der Anhörung dieses rechtliche Gehör abgeschnitten, und zwar solange bis der Beschluß gefaßt ist. Wir haben dieses rechtliche Gehör Herrn Raspe, als Ersatzmann sozusagen für Herrn Baader, eingeräumt. Es ist also voll zur Geltung gekommen.

RA Sch[ily]:

Herr Vorsitzender, aber genau dieser, ich meine, das meine ich, ist das Recht des Verteidigers auch zu solchen verfahrensrechtlichen Problemen sich äußern zu können.

Vors.:

Aber nicht jetzt, wo wir ohnedies über Fragen ...

RA Sch[ily]:

... jetzt geht es um die Frage ...

Vors.:

Nein, Herr Rechtsanwalt, wo wir ohnedies über Fragen verhandeln, die an sich nicht Gegenstand der Hauptverhandlung sind, die Haftbedingungen.

RA Sch[ily]:

Ja, aber Herr Vorsitzender, das geht ja nun wirklich nicht.

Ich meine, das ist ja auch mit Recht doch beanstandet worden, daß die Bundesanwaltschaft sich in der Hauptverhandlung äußert, und dann also uns hier auf das schriftliche Verfahren verwiesen werden.

Vors.:

Aber Herr Rechtsanwalt, es ist doch der Antrag von Seiten [1375] der Verteidigung in der Verhandlung gestellt worden, von der Bundesanwaltschaft ...

RA Sch[ily]:

Ja sicherlich, aber gerade wenn es um Stellungnahmen geht, dann ist es doch offenbar nicht ohne Bedeutung. Dann hätten Sie eigentlich sagen müssen, wenn es also um Vorgänge außerhalb der Hauptverhandlung, - die Bundesanwaltschaft außerhalb der Hauptverhandlung Stellung nehmen. Haben Sie ja auch ... nicht?

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, das habe ich ursprüchlich vorgeschlagen, daß Sie das außerhalb der Hauptverhandlung erledigen.

RA Sch[ily]:

Also, ich meine da, in der Richtung müßte dann ja schon gleiches Recht geschaffen werden. Aber ich meine, ich will an folgenden Vorgang erinnern ...

Vors.:

Aber bitte nicht zu der Frage des rechtlichen Gehörs, zu den Haftbedingungen, bei dem Themenkreis bleiben wir jetzt.

RA Sch[ily]:

Das hat doch ... Herr Vorsitzender, das hat ja unmittelbar mit den Haftbedingungen etwas zu tun.

Vors.:

Nein, Herr Rechtsanwalt, das hat es nicht. Es ist die Stellungnahme der Angeklagten, daß rechtliches Gehör trotz des Wortentzuges voll gewährleistet gewesen ist[l], obwohl das nicht einmal notwendig gewesen wäre, weil Herr Raspe an der Stelle weitersprechen konnte.

RA Sch[ily]:

Aber Herr Vorsitzender ...

Vors.:

Ich lasse mich jetzt auf keine Diskussion in dem Zusammenhang mehr ein, Herr Rechtsanwalt.

RA Sch[ily]:

Ja, aber Herr Vorsitzender, darauf muß ich bestehen, daß Sie mir freundlicherweise das mir zustehende Recht als Verteidiger, auch dazu Stellung nehmen zu können, gewähren, inwieweit den Betreffenden zu diesem Thema der Haftbedingung rechtliches Gehör gewährt werden muß oder nicht.

[1376] Das ist doch das ...

Vors.:

Ihre Mandantin hatte die Möglichkeit zu sprechen und Herr Baader hat die Möglichkeit genauso gehabt ...

RA Sch[ily]:

Herr Vorsitzender ...

Vors.:

Er hat sie verwirkt dadurch, Herr Rechtsanwalt, daß er ungebührliche Ausführungen gemacht hat. Herr Raspe hat fortgesetzt, es ist alles gewährleistet worden.

RA Sch[ily]:

Ja genau, dazu möchte ich mich äußern ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ich nehme dazu jetzt keine Äußerungen an. Wir werden jetzt über die Frage der Haftbedingungen entscheiden und uns dazu zurückziehen.

RA Sch[ily]:

Dann bitte ich um einen Gerichtsbeschluß, daß Sie jetzt mir das Wort dazu nicht erteilen ...

Vors.:

Gut.

RA Sch[ily]:

... verweigern mir offenbar das Wort dazu.

Vors.: (nach geheimer Umfrage)

Der Senat bestätigt das, daß Sie jetzt keine Ausführungen machen können zu der Frage, ob Herrn Baader noch rechtliches Gehör zusätzlich gewährt werden müßte.

RA R[iedel]:

... darum, der Mandantin Ulrike Meinhof das Wort zu erteilen.

Vors.:

Zu den Haftbedingungen?

RA R[iedel]:

Genau.

Vors.:

Bitte, Frau Meinhof.

Angekl. M[einhof]:

Naja, ich will das nochmal feststellen, wenn wir hier sagen, [1377] daß sich die Bundesanwaltschaft, ich zitiere das jetzt, „in der Tradition des Dritten Reiches befindet“, dann ist das nicht einmal eine politische Meinungsäußerung, sondern die Feststellung einer Tatsache, die sozusagen die Neutralität einer Jahreszahl hat, denn ich möchte mal ...

Vors.:

Frau Meinhof, ich verwarne Sie ...

Angekl. M[einhof]:

... den Bundes...

Vors.:

Augenblick, Frau Meinhof, hören Sie mir bitte zu.

Angekl. M[einhof]:

Nein, ich möchte, daß Sie mir zuhören.

Vors.:

Doch.

Nein, nein, das geht nicht Frau Meinhof, ich ...

Angekl. M[einhof]:

Ich möchte mal den Bundespräsidenten Scheel dazu zitieren.

Vors.:

Frau Meinhof, Sie können jetzt ...

Angekl. M[einhof]:

Vielleicht ...

Vors.:

... im Augenblick ... Ich bitte doch abzustellen, wenn ich sage, es geht im Augenblick nicht.

Frau Meinhof, Sie müssen sich daran gewöhnen, Sie können nicht eine solche Behauptung zur Tatsache erklären, dann machen Sie sich’s zu eigen. Wenn Sie sie zitieren, wie Sie es gemacht haben, war ja keine Einwendung, nicht? Also bitte in Ihrem Interesse, ich verwarne Sie, wiederholen Sie das nicht als eigene Behauptung,

(zu den Protokollführern) Bitte, Frau Meinhof das Wort.

Angekl. M[einhof]:

... daß der Bundespräsident Scheel zu den 30. Jahrfeiern der Kapitulation erklärt hat, „daß der Staat 1945 ja nicht zerschlagen worden war und daß es zum Selbstverständnis dieses Staates gehört, d. h. der Figuren, die sie[m] repräsentieren, daß dieser Staat sich in der Tradition des Bismarckreiches [1378] befindet, und zwar ungebrochen. Wenn Sie also daraus einen Angriff auf das Gericht machen, dann heißt das einfach, daß Sie’s nötig haben. Geschichte, eine bestimmte Geschichtsauffassung, an deren, naja die geradezu konservativ ist, die einfach ist. An der überhaupt nichts ist, was Sie angreifen müssen und was Sie aber deswegen natürlich angreifen, weil damit eine Assoziation hergestellt wird zwischen den Haftbedingungen, denen wir ausgesetzt sind, und dem konterrevolutionären Charakter, den der Faschismus allerdings hatte, und darin natürlich auch die Identität der Zwecke bei der Vernichtung vom Widerstand, vom politischen Widerstand. Ich möchte aber noch etwas anderes feststellen, was Jan neulich schon mal entwickelt hat. An dem bekannten Prozeß in Chicago ist das eben so gelaufen, daß Bobby Seale[31] Handtücher in den Mund gesteckt worden sind und der Kopf verbunden worden ist, damit er mit seiner Stimme eben das, was er sagen wollte, nicht sagen konnte. Die Bedingungen hier, dasselbe stellen Sie hier dadurch her, daß Sie die Mikrophone abschalten. Es ist aber ganz eindeutig, daß das, was Sie abwürgen, die Tatsachen sind, die wir versuchen durchzusetzen, als ... einfach weil sie wahr sind; von 3 Jahren Isolation. Und das heißt 3 Jahre Vernichtungshaft. Es ist ganz eindeutig, daß Sie das unterdrücken müssen, daß Sie in diesem Punkt manipulieren und lügen müssen, daß Sie das nicht, daß Sie nicht zulassen wollen und können - offenbar -, daß das hier im Zusammenhang dargestellt wird, eben weil, wenn die Tatsachen auf den Tisch kämen und Demagogie der Bundesanwaltschaft mal auseinandergenommen würde, wenn Sie das zulassen würden, Sie es auch nicht mehr abstreiten könnten. Das heißt, es kommt in diesen ganzen Zusammenhang natürlich raus, daß unsere Haftbedingungen ja jetzt so sind, daß sie von Ihnen angeordnet werden. Daß es Ihnen darum geht, diese Haft... also Ihre eigene Verantwortlichkeit mit der Sie, das, was die Bundesanwaltschaft uns gegenüber permanent unternimmt, durchführen, zu verschleiern und die Form der Knebelung, mit der Sie hier gegen uns vorgehen und damit die Tatsachen unter- [1379] drücken, naja die ist faschistisch. Das heißt, bzw. die Identität des Senats mit der Bundesanwaltschaft, d. h. die Abhängigkeit des Senats von der Bundesanwaltschaft, die Tatsache, daß Sie praktisch nur als Marionette der Bundesanwaltschaft fungieren, ist natürlich ohne jeden Zweifel faschistisch. Ja, Sie sind ein Faschist, wenn Sie so vorgehen, wie Sie ...

Vors.:

Schön.

Der Senat zieht sich jetzt zur Beratung zurück.

- Das Gericht zog sich von 10.25 Uhr bis 10.30 Uhr zur Beratung zurück -

Nach Wiedereintritt des Senats wurde die Hauptverhandlung wie folgt fortgesetzt:

Vors.:

Ich bitte Platz zu nehmen.

Der Beschluß des Senates lautet:

1. Die Angeklagten Baader und Raspe einerseits, Meinhof und Ensslin andererseits erhalten ab 17.7.1975 die Möglichkeit, sich zweimal wöchentlich an sitzungsfreien Tagen von 9 - 13.00 Uhr in derselben Zelle aufzuhalten (sog. Umschluß).

2. Entsprechend der bereits für die Angeklagten Meinhof und Ensslin getroffenen Regelung erhalten auch die Angeklagten Baader und Raspe eine Gelegenheit zum gemeinsamen Tischtennisspielen zu den in der Vollzugsanstalt üblichen Bedingungen.

3. Weitere Änderungen der Haftbedingungen werden nicht angeordnet.

G r ü n d e :

Die Regelung des Art. 316 Abs. 3 EGStGB (früher § 21 bzw. 22. StGB a. F.) gilt nur für Strafhaft. Strafhaft unterscheidet sich nach Zweck und Ausgestaltung grundlegend von der Untersuchungshaft. Diese ist gegenüber der Strafhaft nicht ein weniger, sondern ihrem Wesen nach etwas anderes. Des- [1380] halb gilt die von der Verteidigung in Anspruch genommene 3-Jahresfrist für Untersuchungshaft nicht. Davon abgesehen bedeutet Einzelhaft im Sinne des Art. 316[ EGStGB], daß „der Gefangene unausgesetzt von anderen Gefangenen gesondert gehalten wird“, d. h. daß der Gefangene Tag und Nacht ohne Unterbrechung allein in der Zelle verbringt (Schönke-Schröder, StGB, 17. Aufl., § 21 a. F., Randziffer 6), und auch nicht vorübergehend im Laufe des Tages Kontakt mit anderen Gefangenen hat (OLG Hamburg NJW 1965, 357).

Das trifft auf die Angeklagten nicht zu. Auch deshalb ist die 3-Jahresfrist hier ohne Bedeutung. Die Angeklagten haben untereinander Kontakt.

Bereits durch Beschluß des Ermittlungsrichters des BGH vom 5. März 1973 war den Angeklagten Rapse und Meinhof (Baader und Ensslin waren damals noch in Strafhaft[32]) - die Möglichkeit gegeben worden, für die Dauer von täglich einer Stunde mit einem anderen Untersuchungsgefangenen, der nicht zu den Mitbeschuldigten gehört, zusammengeführt zu werden. Offenbar hat keiner der Angeklagten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Angekl. B[aader]:

Offenbar, offenbar ...

Vors.:

Der Untersuchungsrichter gestattete dann durch Beschluß vom 4. Februar 1974 den Angeklagten Meinhof und Ensslin, ihre tägliche Freistunde gemeinsam zu verbringen. Durch Beschluß des Untersuchungsrichters vom 6. Mai 1974 wurde diesen beiden Angeklagten gestattet, täglich 4 Stunden zusammen zu sein und den täglichen Hofgang gemeinsam zu machen.

Raspe war schon seit dem 12.3.1974 der Hofgang mit einem kleineren Kreis der Gefangenen der Haftanstalt gestattet; er hat davon keinen Gebrauch gemacht. Ab 6.5.1974 durfte er an gemeinschaftlichen Filmvorführungen teilnehmen; der Hof- [1381] gang wurde ihm zum selben Zeitpunkt mit allen Untersuchungsgefangenen seines Hafthauses gestattet.

Am 16.8.1974 gewährte der Senat durch folgenden Beschluß eine weitere Hafterleichterung für die Angeklagte Meinhof - die Angeklagte Ensslin war zu der Zeit noch in Strafhaft, konnte in die Regelung dafür noch nicht einbezogen werden - Zitat: „Der Angeschuldigten Meinhof wird der gemeinsame Hofgang mit anderen weiblichen Untersuchungsgefangenen in der Vollzugsanstalt Stuttgart gestattet. Der gemeinsame Hofgang ist davon abhängig, daß die beteiligten Gefangenen sich vor und nach dem Hofgang mit ihrem Einverständnis körperlich durchsuchen lassen. Für die Beteiligten wird der gemeinsame Hofgang um täglich eine Viertelstunde verlängert.“

Zur Begründung speziell zu diesem Punkte in dem Beschluß ist gesagt: Den Angeklagten seien schon Vergünstigung anderer Art eingeräumt. „Gleichwohl hält es der Senat wegen der Dauer der Untersuchungshaft für erforderlich, nach Abwägung der widerstreitenden Interessen weitere Hafterleichterungen zu bewilligen. Aus diesem Grund wird der gemeinsame Hofgang mit anderen weiblichen Untersuchungsgefangenen in der Vollzugsanstalt Stuttgart zugelassen. Die Beteiligten müssen sich jedoch vor und nach dem gemeinsamen Hofgang körperlich durchsuchen lassen. Andernfalls sieht sich die Anstaltsleitung nicht in der Lage, zu verhindern, daß Fluchtpläne und -mittel geschmuggelt werden. Als Mittelspersonen erster und zweiter Hand kommen dafür in der stark belegten Anstalt zahlreiche andere Gefangene in Betracht. Der Senat kann diese Sicherheitsbedenken nicht übergehen. Er hält es jedoch für angebracht, den Hofgang mit anderen Untersuchungsgefangenen um täglich eine Viertelstunde zu verlängern, um einen Ausgleich, und für andere Gefangene auch einen Anreiz zu schaffen, sich der lästigen Durchsuchung zu unterziehen.“

Darüber hinaus ist den Angeklagten Meinhof und Ensslin im selben Beschluß die Möglichkeit eingeräumt worden, gemein- [1382] sam (später unter Hinzutritt der Strafgefangenen Carmen Roll[33]) fernzusehen und Tischtennis zu spielen.

Um die Regelung des gemeinsamen Hofgang mit den anderen weiblichen Untersuchungsgefangenen effektiv zu machen - bis dahin war es dazu nicht gekommen, weil sowohl die Angeklagten als auch die anderen Untersuchungsgefangenen kein Interesse zeigten, - ordnete der Senat am 19.12.1974 folgendes an:

„Die Durchsuchung der weiblichen Untersuchungshäftlinge, die am gemeinsamen Hofgang mit den Angeschuldigten Meinhof und Ensslin teilnehmen, wird in das Ermessen der Haftanstalt gestellt.“

Er führte dazu aus:

„Vom Fernsehen machen die Angeschuldigten Meinhof und Ensslin keinen Gebrauch. Ob sie am gemeinschaftlichen Hofgang der Mithäftlinge teilnehmen würden, ist zweifelhaft. Die Angeschuldigte Ensslin hat dies jedenfalls früher abgelehnt. Aber bis jetzt haben sich auch die anderen weiblichen Untersuchungsgefangenen zu Gemeinsamkeiten mit den Angeschuldigten nicht bereit gefunden. Um ihre Bereitschaft zu fördern, stellt der Senat ihre Durchsuchung nach dem Hofgang nunmehr in das Ermessen der Vollzugsanstalt. Sie kann besser beurteilen als das Gericht, ob die Durchsuchung im Einzelfall unerläßlich ist.“

Entsprechend der Regelung bei den weiblichen Angeklagten wurde auch den Angeklagten Raspe und Baader nach der Verlegung nach Stammheim täglicher gemeinsamer, bis zu 4 Stunden dauernder Aufenthalt in einer Zelle sowie täglicher 1-stündiger gemeinsamer Hofgang gewährt.

Durch Verfügung vom 21.1.1975 erhielten Baader und Raspe die Möglichkeit, zu den von der Anstalt festgesetzten Zeiten außerhalb ihrer Zellen zusammen fernzusehen. (Selbstverständlich muß die Anstalt bei der Festsetzung der Zeiten auf ihre Personallage und Aufsichtsmöglichkeiten Rücksicht nehmen; [1383] daher blieb und bleibt ihr die Zeitbestimmung für das Fernsehen überlassen).

All diese Maßnahmen, zu denen später noch weitere hinzukommen, dienten vor allem der Einräumung von Kontaktmöglichkeiten untereinander. Nach der Entführung des Abgeordneten Lorenz[34] wurden einige dieser Hafterleichterungen vorübergehend ausgesetzt, so auch der tägliche Umschluß und der gemeinsame Hofgang. Dieser wurde frühzeitig wieder eingeräumt.

Durch Verfügung vom 23.4.1975 sollte auch wieder Umschluß gewährt werden. 1/2 Stunde nach Wirksamkeit dieser Verfügung wurde der Stockholmer Überfall[35] bekannt, was zu sofortiger Suspendierung der Kontaktmöglichkeiten der Angeklagten untereinander zwang (die Gelegenheit zu Anwalts- und Angehörigenbesuchen blieben auch in dieser Zeit unbeschränkt).

In diese Zeit der Attentate fiel der Antrag Baaders und Raspe, zusammen Tischtennisspielen zu dürfen, dem in der damaligen Situation nicht stattgegeben werden konnte. Das Angebot des Senats, vorläufig als Ersatzlösung jeweils mit einem anderen Häftling Tischtennis zu spielen, wurde nicht einmal beantwortet. Abgelehnt wurde auch die vom Senat ins Gespräch gebrachte Möglichkeit, den Angeklagten Baader und Raspe Hofgang mit kleineren Gruppen anderer Häftlinge einzuräumen.

Angekl. B[aader]:

Das stimmt doch alles nicht.

Vors.:

Hierzu ist in der Verfügung vom 19.12.1974 folgendes ausgeführt:

„Der Senat hat schon vor Eingang des Antrags vom 6.12.1974 ... (und vor Bekanntwerden des zitierten Aufrufs) - trotz nicht zu übersehender Sicherheitsrisiken - Überlegungen angestellt, ob auch den Angeschuldigten Baader und Raspe die Möglichkeit zu gemeinsamem Hofgang mit kleineren Gruppen von anderen Untersuchungsgefangenen eingeräumt werden könnte. Schon eine entsprechende Andeutung gegenüber einem der Verteidiger hat genügt, daß die Angeschuldigten dies als „Sonderbehandlung“ und [1384] „Spitzellösung“ bezeichnet und zurückgewiesen haben. In seiner Stellungnahme vom 18.12.1974 hat Rechtsanwalt Dr. Croissant für die Angeschuldigten nochmals ausdrücklich erklärt, daß eine solche Hafterleichterung abgelehnt werden würde.“

Hingegen machten die Angeklagten schon vor der Hauptverhandlung von verschiedenen Gelegenheiten, sich zu viert zu treffen, die ihnen zum Zwecke der Erörterung besonderer Vorkommnisse eingeräumt wurden - erstmals im Zusammenhang mit den Schreiben des Alt-Bundespräsidenten Dr. Heinemann - stets Gebrauch. Dieser Zusammenschluß wurde in der Verfügung vom 18.2.1975 eigens geregelt. In den Gründen heißt es:

„Die Ordnung der Anstalt läßt es aus unabdingbaren Gründen grundsätzlich nicht zu, daß männliche und weibliche Gefangene zusammengeschlossen werden. Nach Nr. 22 Abs. 3 UVollzO[36] sind männliche und weibliche Gefangene sogar ,stets‘ streng getrennt zu halten. Der Strafprozeßordnung ist nicht zu entnehmen, daß Gefangene, die zusammen angeklagt sind, einen Anspruch darauf haben, ihre Verteidigung gemeinsam zu beraten. Der Zweck der Untersuchungshaft gebietet in der Regel das Gegenteil. Für eine umfassende Verteidigung sorgen Wahl- und Pflichtverteidiger; sie haben freien Umfang mit ihren jeweiligen Mandanten. Wenn den Angeklagten gleichwohl Gelegenheit gegeben wird, ihre Verteidigung gemeinsam zu besprechen, so geschieht dies ausnahmsweise nur deshalb, weil der Anklagestoff in diesem Verfahren außergewöhnlich umfangreich und komplex ist und die Verdunkelungsgefahr ihr Gewicht verloren hat. Diese Gelegenheit muß jedoch wegen ihres Ausnahmecharakters auf Einzelfälle beschränkt bleiben.

Im übrigen wäre sonst auch mit ernstzunehmender Unruhe unter den anderen Gefangenen zu rechnen, die keine derartige Vergünstigung erwarten können. Schon jetzt führen die den Angeklagten eingeräumten besonderen Haftbedingungen zunehmend zu Beschwerden von Gefangenen die den Grundsatz der Gleichbehandlung zu ihren Ungunsten verletzt glauben.“

Inzwischen haben[n] die Angeklagten sogar an Sitzungstagen vor [1385] Beginn der Nachmittagssitzung regelmäßig Gelegenheit, sich ca. eine ¾ Stunde gemeinsam zu treffen. (Das stellt ein wirklich einmaliges Entgegenkommen dar, dessen sich die Angeklagten freilich nicht bewußt zu sein scheinen).

Die heutige Entscheidung gibt Gelegenheit, zu überprüfen, ob die jetzt noch bestehenden, im Zusammenhang mit dem Stockholmer Attentat angeordneten Einschränkungen der früheren Haftbedingungen im jetzigen Verfahrensstadium noch aufrechterhalten werden müssen. Trotz gewisser Bedenken hat der Senat dies verneint. Er läßt ab 17.7.1975 den Umschluß und auch für Baader und Raspe das gemeinsame Tischtennisspielen in der angegebenen Form zu.

Weiterer Umgang mit anderen Gefangenen kommt nicht in Betracht. Schon die Vorstellung, es gäbe nur eine Form des Vollzugs der Untersuchungshaft, in denen mit Ausnahme der Angeklagten alle übrigen Untersuchungsgefangenen gleichmäßig integriert seien, ist falsch. Je nach der Intensität der Haftzwecke sind die Haftbedingungen, denen der einzelne Untersuchungsgefangene unterworfen ist, in vielfältiger Weise abgestuft. Die persönliche Gefährlichkeit, der Fluchtanreiz und die Unterstützung, die ein Häftling von außen erwarten kann, spielen hier für die Beurteilung eine wesentliche Rolle.

Unter diesen Gesichtspunkten ist das Sicherheitsrisiko, das die Angeklagten bieten, ungewöhnlich groß.

Es ist überflüssig, im einzelnen auf die von der Bundesanwaltschaft schon zitierten Fluchtpläne einzugehen: Baader wurde schon einmal mit[o] Waffengewalt befreit.[37] Dabei erlitt ein Mensch lebensgefährliche Schußverletzungen. Die Angeklagte Meinhof wurde wegen Beteiligung an dieser Aktion vom Schwurgericht Berlin zu 8 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.[38] Der Senat hat schon in früheren Entscheidungen immer wieder auf Befreiungspläne mittels Ausbruchs und Geiselnahme sowie auf den Fortbestand einer Organisation hingewiesen, die den [1386] Angeklagten die dazu erforderliche Unterstützung leisten kann. Gerade die Angeklagten kommen für eine gewaltsame Befreiungsaktion durch terroristische Vereinigungen vorzugsweise in Betracht. So standen sie auch auf der Befreiungsliste der Stockholmer Attentäter.

Der Senat hat schon in der Verfügung vom 19.12.1974 ausgeführt, daß die Angeklagten nicht nur im Hinblick auf Befreiungs- und Fluchtversuche ein großes Risiko mit sich bringen, sondern auch in Bezug auf Agitation und Aufruhr in der Haftanstalt. In der Verfügung heißt es dazu weiter:

„Davon war schon auszugehen aufgrund eines bei der Zellendurchsuchung vom 16.7.1973 gefundenen Papiers, in dem es heißt:

„ wichtiger ist aber, daß ihr folgendes richtig seht und entsprechend korrigiert:

die trennung zwischen politischen und kriminalisierten gefangenen wird nicht dadurch aufgehoben, daß die politischen sich entpolitisieren, sondern umgekehrt....

das komittee soll uns zu den Voraussetzungen: kommunikation und information verhelfen, damit man eines tages tatsächlich von revolten im knast sprechen kann, ... “

Unter diesen Umständen können weitere Hafterleichterungen nicht erwogen werden. Die Gesichtspunkte der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt, die auch von der Vollzugsleitung nachdrücklich vertreten werden, zwingen dazu, Häftlinge, die terroristischer Umtriebe verdächtig sind, von anderen Untersuchungshäftlingen fernzuhalten. Diese Regelung stellt keine Sonderbehandlung der RAF-Häftlinge dar, sondern entspricht den gesetzlichen Erfordernissen des § 119 Abs. 3 StPO[39], wie sie vom Bundesverfassungsgericht anerkannt und im gesamten Haftvollzug in der Bundesrepublik anzuwenden sind.

Der Senat übersieht nicht, daß die Straf- und Untersuchungshaft der Angeklagten unter den genannten Bedingungen schon lange dauert. Er hat sich daher, seit er auf die Haftbedingungen Einfluß nehmen kann, stets bemüht, über die [1387] bereits angeführten, zum Teil ungewöhnlichen Hafterleichterungen hinaus noch durch weitere Vergünstigungen einen Ausgleich schaffen, die über das Übliche weit hinausgehen, so z. B. durch vierfach so lange Zeit zum Empfang privater Besuche, als sie die UVollzO vorsieht; durch reichhaltige Handbibliotheken, die in den Zellen geduldet werden; durch eine zusätzliche Bibliothekszelle; insgesamt verfügen die Angeklagten jetzt[p] über mehr als 1800 Bücher; durch Bezug zahlreicher Zeitschriften, durch Einräumung von Benutzungsmöglichkeiten von Radio, Plattenspieler, Schreibmaschine. Dazuhin sind die Angeklagten - ausgenommen der Angeklagte Raspe, der eine normale Einzelzelle hat - in Zellen untergebracht, die sonst für mindestens 3 Häftlinge ausreichen müssen. (Der Senat erwägt nunmehr, ob es nicht anderen Untersuchungshäftlingen gegenüber billig wäre, die Angeklagten ständig zu zweit in 1 Zelle zu legen). Nach allem ist es schlechthin abwegig, von „unmenschlichen Haftbedingungen“ zu sprechen. Von einer Verarmung der Kontakte zur Außenwelt kann im Vergleich zum Schicksal anderer, oftmals sich selbst überlassener Untersuchungshäftlinge schon im Hinblick auf die ungewöhnliche häufigen Anwaltsbesuche und alle sonstigen Vergünstigungen nicht die Rede sein. Unrealistisch ist es auch, wenn die Angeklagten ihre Zellen als „Löcher“ bezeichnen; der wahre Zustand der Zellen ist der Öffentlichkeit durch Publikationen bekannt.

Was die Angeklagten im Ganzen gesehen wollen, ist, so behandelt zu werden, wie Untersuchungsgefangene, die das geringste Sicherheitsrisiko im Untersuchungshaftvollzug darstellen. Das ist mit dem Zweck der Untersuchungshaft in ihrem Falle nicht zu vereinbaren.

Das war der Beschluß, der auf den Antrag wegen der Änderung der Haftbedingungen, vom Senat gefaßt worden ist. Wir haben jetzt die Möglichkeit im Verfahren voranzukommen. Die Möglichkeit sehen wir vor allen Dingen darin, daß wir jetzt mit der Vernehmung zur Person[40] beginnen können.

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.

[1388] RA v[on] P[lottnitz]:

Herr Vorsitzender, wäre es möglich, uns eine 10-minütige Pause im Anschluß an die Verkündung dieses Beschlusses zu gewähren?

Vors.:

Machen wir, 10 Minuten.

Bitte, die Angeklagten im Saale zu lassen.

Pause von 10.50 - 11.09 Uhr

Ende Band 52

[1389] Nach Wiedereintritt des Senats um 11.09 Uhr wird, die Verhandlung wie folgt fortgesetzt.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort. Herr Rechtsanwalt Schily, bitte.

RA Sch[ily]:

Ich halte es für notwendig, daß einmal klar gemacht wird, was eigentlich heute vormittag bis zu diesem Zeitpunkt abgelaufen ist. Sie haben mir ja das Wort entzogen, einmal das Wort durch Flucht entzogen. Die Tatsache, daß ein Angeklagten etwas über Rechtsgeschichte äußert, wie immer, hat dazu geführt, daß ihm das Wort entzogen wurde zu einem Thema, was unmittelbar in seine psychische und physische Existenz eingreift, was also unmittelbar mit seinem Leben etwas zu tun hat. Es ist viel darüber gesprochen worden und es ist ja bereits der Bundespräsident zitiert worden, wie eigentlich der Übergang stattgefunden hat 1945 in die beiden deutschen Teilstaaten. Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland die Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches für sich beansprucht. Es ist auch allen Juristen eine geläufige Tatsache, daß in den juristischen Bibliotheken auch immer noch auch die juristischen Wochenschriften von 1938, 39, 40 und 41 stehen und andere. Daß überhaupt der ganze Juristenstand ziemlich nahtlos aus der Weimarer Republik übergegangen ist in das Dritte Reich und das bis in personelle Dinge hinein. Nämlich, das kann man ja im Braun-Buch[41] nachlesen, eine Tradition zumindestens auch im Bereich des Juristenstandes festzustellen ist. Oder sagen wir mal Übergänge oder wie man das immer bezeichnen will. Und wenn ein Angeklagter dazu eine Erklärung abgibt, die aus seiner Sicht die Bewertung dieses Tatbestandes darstellt und dann gesagt wird, ich entziehe Ihnen das Wort, weil das eine Beleidigung darstellt. Manchmal sind Tatsachen in der Tat vielleicht eine Beleidigung desjenigen, der dadurch vielleicht getroffen sein könnte. Das mag ja mitunter sein. Aber die Tatsachenschilderung und eine historische Bewertung, die ja auch gar nicht auf irgendeine Person hier gemünzt war. Es wurde ja nicht etwa gesagt, der Bundesanwalt soundso, der steht in der [1390] Tradition oder sonstwo, es wurde gesagt, etwas über eine Institution gesprochen. Einem Angeklagten darf nach meiner Überzeugung, - wenn wenigstens in diesem Punkt die rechtsstaatlichen Garantien wenigstens nach außen hin und für die äußere Kulisse, so die öffentliche Darstellung, wie sich das Verfahren öffentlich darstellt, zeigt sich ja der Senat, wie aus vielen Äußerungen erkennbar ist, doch sehr besorgt, - das darf unter keinen Umständen einem Angeklagten verweigert werden. Und ich muß mich sehr verwundern, daß an genau dieser Stelle, und es wird darüber zu sprechen sein, warum eigentlich an dieser Stelle, einem Angeklagten das Wort vollständig entzogen wird. Und man muß einfach auch mal, um mal so das Gegenbild herzustellen, daran erinnern, daß immerhin einem Verteidiger, der hier auf der Verteidigerbank sitzt, von der Bundesanwaltschaft der Vorwurf, ja ich könnte sagen, des versuchten Mordes gemacht worden ist. Aber nicht etwa so in der Verdachtsform, oder wie man sich so daran gewöhnt hat, sondern als feststehende Tatsache, indem erklärt wurde, der Verteidiger verfolge eine Strategie, einen[q] Richter psychisch und physisch zu vernichten.[42] Das ist ja immerhin ein gewaltiger Vorwurf, der vielleicht doch auch eine Ehrenkränkung darstellen könnte. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, daß auch nur der Senat mit einem Wort darauf eingegangen ist. Also vielleicht eine sanfte Rüge, daß man so ein Verhalten oder so einen[r] Verteidiger vielleicht nicht qualifizieren kann, geschweige denn, daß auch nur im Traum daran gedacht worden wäre, zu sagen, ja die Bundesanwaltschaft hat damit ihr Rederecht verwirkt. Das ist doch wohl ein interessanter Hinweis darauf, was eigentlich in den Köpfen derjenigen vorgeht, die hier rügen oder nicht rügen. Und man ist ja noch weitergegangen. Man hat nicht nur nicht gerügt, sondern man hat diese diffamierende und ehrabschneidende Erklärung im vollen Wortlaut, obwohl sie mit dem Sachverhalt überhaupt nichts zu tun hatte, in eine Entscheidung aufgenommen. Nun kann man denken, daß also hier einem Angeklagten das Wort abgeschnitten wird, das ist ein bloßer Zufall. Aber wenn man die Struktur sich vor Augen führt des Verhandlungsablaufes seit vergangenen Donnerstag, dann darf man wohl nicht über- [1391] sehen, daß eben nichts anderes verfolgt wird, als die Verzerrung der Tatsachen, d. h. es wird etwas, was argumentativ notwendig wäre, nämlich sich über die Tatsachen zu unterhalten, über Isolation zu unterhalten, über ihre Auswirkung, über ihre Einzelheiten, über ihre Zwecke, das wird außerhalb in einen Bereich außerhalb der Hauptverhandlung gedrängt.

Wenn hier jemand in der Hauptverhandlung dazu etwas sagt, dann wird ein Vorwand benutzt, um das Wort abzuschneiden, und dann wird eben ein Beschluß verkündet, der die äußere Darstellung und die äußere Absicherung der Darstellung vornehmen soll. Und was das für die Angeklagten heißt, dessen muß sich auch jeder bewußt sein. Es muß sich für die Angeklagten der Eindruck aufdrängen, daß hier nur beabsichtigt ist, keine Entscheidung in der Sache nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, sondern daß es nur darum geht, um eine äußere Absicherung in der Darstellungsweise einer Haftform, die auf die endliche Vernichtung des Gefangenen hinausläuft. Und das ist ja doch eine ganz bedenkliche Entwicklung, die sich hier abzeichnet und ich glaube, daß seitens der Verteidigung aller Grund dazu besteht, hier das Augenmerk der Öffentlichkeit auf diese besorgniserregende, und das ist ein sehr mildes Wort dazu, Entwicklung hinzulenken.

Vors.:

Ja, ich lasse mich in keine Diskussion darüber ein.

Es steht fest, daß die Bundesanwaltschaft kürzlich in die Nähe der Gestapo gerückt wurde. Der Senat hat es hingenommen, d. h., ich habe als Vorsitzender, weil ich da die Absicht hatte, Herr Baader mal voll demonstrieren zu lassen, wie weit er geht und ob er zur Sache kommt, nicht unterbrochen. Diesmal wird die Bundesanwaltschaft dahin gestellt, daß es heißt, sie ist in der Tradition der Staatsschützer des Dritten Reiches. Es ist Auffassungssache, Herr Rechtsanwalt, ob man das als eine geschichtliche Betrachtung ansieht oder einen anderen Sinn dahinter vermutet. Wenn Sie behaupten, daß durch Wortabschneiden, wie Sie sagen, in Wirklichkeit ist es das Recht des Vorsitzenden das Wort zu entziehen bei Mißbrauch, nichts anderes verfolgt werde, als die Verzerrung der Tatsachen, so weise[s] ich das zurück. Ich will das auch nicht qualifizieren, was ich [1392] von solch einer Behauptung halte.

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, ich bitte, aber jetzt nicht mehr dazu. Wir haben die Stellungnahme des Herrn Rechtsanwalts Schily voll angehört, obwohl sie zum Verfahren in dem Stadium, in dem wir uns befinden, an sich nicht gehört. Aber wir wollen das jetzt nicht vertiefen.

RA v[on ]P[lottnitz]:

Ja, nun wo haben Sie es zurückgewiesen?

Vors.:

Was habe ich zurückgewiesen?

RA v[on ]P[lottnitz]:

Das was gesagt worden ist, und so wie Sie’s verstanden haben von dem Kollegen Schily.

Vors.:

Die Verzerrung der Tatsachen ...

RA v[on ]P[lottnitz]:

Sie haben das als Verzerrung der Tatsachen dargestellt ...

Vors.:

Wollen Sie das jetzt bestätigt haben, daß, oder wollen Sie dafür sprechen, daß es doch so ist.

RA v[on ]P[lottnitz]:

Ich halte die Bezeichnung Verzerrung der Tatsachen für in jeder Weise unsachgemäß. Und ich bitte den Senat, doch einmal folgendes zu bedenken: Wenn es hier Widersprüche gegeben hat ...

Vors.:

Das hat doch Herr Rechtsanwalt Schily gesagt, es gehe hier um nichts anderes, als um die Verzerrung der Tatsachen durch das Wortabschneiden.

RA v[on ]P[lottnitz]:

Ja, aber Sie haben das zurückgewiesen und haben es so dargestellt, als ob das mit der realen Situation in diesem Verfahren nichts zu tun habe. Und von daher mein Hinweis darauf. In diesem Verfahren hat es Konflikte bisher immer dann gegeben, wenn die Gefangenen aus ihrer Sicht dargestellt haben und qualifiziert haben, ihre Haftbedingungen. Das begann bei der Vernehmung des Sachverständigen Henck[43] und hat sich bis in den heutigen Tag hinein fortgesetzt. Und von daher ist es durchaus berechtigt, hier nicht nur den Verdacht auszusprechen, daß es dem Senat darum geht, offensichtlich nicht nur [1393] aus seiner Sicht zu befinden, über bestimmte Anträge, die dazu gestellt werden, sondern auch die Gefangenen daran zu hindern, hier darzustellen, wie sich die Haftbedingungen real darstellen.

Vors.:

Es ist sehr betrüblich, daß Sie sich genau vor diesen Wagen spannen. Dem Senat geht es überhaupt nicht um eine Unterbindung irgendwelcher Darstellungen. Wenn Sie sich an das erinnern, was ich versuchte, mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Heldmann zu besprechen, ...

Angekl. R[aspe]:

Warum machen Sie denn hier jedesmal den Knopf weg.

Vors.:

... nämlich den Vorschlag, man möge auf die Angeklagten einwirken, daß sie sich in Formen äußern, die wir hinnehmen können, kann sachlich alles gesagt werden. Es kommt uns darauf an, daß diese Formen gewahrt werden, und darauf muß der Vorsitzende achten. Damit möchte ich aber diesen Punkt jetzt abschließen.

Wir werden jetzt fortfahren, wenn nicht ein Antrag gestellt wird. Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Baader korrigiert Sie.

Vors.:

Darf ich fragen, geht es jetzt um einen Antrag oder sonst irgend etwas. Wir wollen jetzt hier keine Debatten weiter vollziehen.

RA Dr. H[eldmann]:

Es geht um Ihre Äußerung. Sie haben geäußert, Herr Baader habe die Bundesanwaltschaft, ich habs nicht mehr genau im Gehör, entweder mit der Gestapo identifiziert oder ...

Vors.:

Nein, in die Nähe der Gestapo gerückt, ja, so habe ich mich ausgedrückt.

RA Dr. H[eldmann]:

... in die Nähe der Gestapo gerückt. Herr Baader sagt, das habe er nicht gesagt. Die Protokolle werden Aufschluß geben.

Vors.:

Ja, das mag sein. Herr Baader, Sie dürfen das berichtigen, wenn ich das falsch verstanden habe.

[1394] Angekl. B[aader]:

Ja, Moment, ich sage ja nicht nein, die Gestapo war eindeutig eine Polizeibehörde. Man kann nicht sagen, daß die Bundesanwaltschaft eine Polizeibehörde ist. Ich hab diese Äußerung auf jeden Fall nicht getan. Und ich würde sagen, ich weiß nicht, woher Sie das haben. Die kann sich auch im Protokoll nicht finden.

Vors.:

Wir werden, ja nun, das Protokoll haben Sie noch nicht ...

Angekl. B[aader]:

Aber ich bin noch nicht fertig. Ich habe eigentlich die Absicht, gegen Ihren Beschluß eine Gegenvorstellung[44] zu machen. Und insofern wollte ich Sie bitten, das zuzulassen, und mich nicht zu unterbrechen nach Möglichkeit. Und dann verstehe ich auch nicht, also ich komme darauf nochmal zurück, auf die Äußerung, die hier Anlaß war, mir das Wort zu entziehen, inwiefern sie die Form verletzt. Ich würde Sie einfach mal bitten, damit sich für mich hier Kriterien ergeben, das mir genau zu erklären. Und inwiefern die Äußerung der Bundesanwaltschaft ...

Vors.:

Wollen Sie jetzt die Gegenvorstellung erheben, Herr Baader.

Lassen Sie sich da durch Ihre Herrn Verteidiger beraten. Sie verstehen sicher, was ich damit meine.

Angekl. B[aader]:

Bitte.

Vors.:

Lassen Sie sich durch Ihren Herrn Verteidiger beraten, er versteht sicher, was ich mein. Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, es ist doch kein Grund, wenn ich Herrn Baader so etwas sage, daß Sie jetzt sofort wieder eingreifen. Lassen Sie ihn doch seine Gegenvorstellung vortragen. Ich habe Ihm das ja nur als Empfehlung gegeben, nachdem er von mir eine Definition des Begriffs der Form wünschte.

RA Dr. H[eldmann]:

Die Erfahrung hat doch gezeigt ...

Vors.:

Die können Sie ihm auch geben.

RA Dr. H[eldmann]:

Nein, die Ihre kann ich ihm nicht geben, denn Sie haben nicht [1395] wegen Ungebühr, sondern wegen einer privilegierten Äußerung des Herrn Baader, diesem das Wort entzogen, das stelle ich noch einmal fest. Und solche Rechtsbelehrungen kann ich meinem Mandanten selbstverständlich nicht geben, um so berechtigter ist seine Bitte an Sie, ihm doch vielleicht Ihr Kriterium für Redeerlaubnis in diesem Saal.

Vors.:

Herr Baader, geben Sie bitte Ihre Gegenvorstellung.

Angekl. B[aader]:

Ja, ich habe auch verschiedene Punkte richtig zu stellen in diesem Zusammenhang, in diesem ganzen Zusammenhang. Also Äußerungen, die hier in der Hauptverhandlung gefallen sind, konkret von Widera und von Zeis. Zuletzt ist Zeis noch einmal darauf zurückgekommen zu behaupten, provozierend zu behaupten, unser Interesse an Siegfried Hausner sei dadurch begründet, daß Siegfried Hausner versucht hat, uns zu befreien. Ich würde sagen, was hier am Tod Siegfried Hausner interessiert, ist, daß er nicht auf der Straße exekutiert worden ist, die Lösung, die jetzt legalisiert wird im Moment, als der sogenannte Todesschuß, weil der Bundesanwaltschaft die Probleme, die politische Gefangene so mit sich bringen, offenbar lästig werden. Das heißt, sie wird keine Gefangene mehr machen, sondern, daß er als Gefangener liquidiert[45] worden ist. Das ist es, was gemeint ist, zur Vernichtungswelle der Bundesanwaltschaft, für den bürgerliches Recht oder die Menschenrechtskonvention hier tatsächlich ein Fetzen Papier ist. Der Mord an Gefangenen hat eine grundsätzlich andere Qualität, als die Exekution auf der Straße. Das ist keine Konfrontation des Staates, egal wie das Kräfteverhältnis ist ...

Vors.:

Herr Baader, die Bundesanwaltschaft bittet um das Wort.

Sie greifen sie ja im Augenblick außerordentlich scharf an.

Angekl. B[aader]:

Ja kann ich das bitte zu Ende führen.

Vors.:

Nein, die Bundesanwaltschaft darf sich hier in dieser Phase, wo sie wieder derartige Angriffe loslassen, durchaus [1396] äußern. Bitte Herr Bundesanwalt.

OStA Z[eis]:

Herr Vorsitzender, die Bundesanwaltschaft bittet, Herrn Baader das Wort zu entziehen. Er bleibt nicht bei der Sache. Er wird unsachlich und beleidigend.

RA R[iedel]:

Er hat doch noch gar nicht angefangen.[t]

Vors.:

Es ist vollkommen gleichgültig, ob er nach Ihrer Auffassung angefangen hat oder nicht. Tatsache ist, daß es gespickt war schon mit Beleidigungen, eindeutigen Beleidigungen, und außerdem ist er bis jetzt nicht zur Sache gekommen.

Glauben Sie, daß der Mord an Gefangenen, der Vorwurf, den Sie hier erheben, nicht eine Beleidigung ist, nachdem sich einer der Verteidiger jetzt schon deswegen des Mordvorwurfes bezichtigt glaubt, weil die Bundesanwaltschaft diese Äußerung, die vorhin zitiert wurde, gemacht wurde. Herr Baader, Sie können sich in der Gegenvorstellung befassen mit dem Beschluß, gegen den Sie sich jetzt wenden wollen. Bitte beschränken Sie sich auf die Sache. Ich verwarne Sie. Ich müßte Ihnen sonst das Wort wieder entziehen, obwohl ich es nicht will.

Angekl. B[aader]:

Ich würde an Ihrer Stelle sehen, daß in der Antragsbegründung der Bundesanwaltschaft genau dieser Punkt auftaucht, insofern auch nicht zur Sache gehört, und daß Sie zugelassen haben, am letzten Verhandlungstag, daß das hier vorgetragen wurde. Also würde ich doch sagen, daß Sie mir in der Gegenvorstellung die Möglichkeit geben, auf Punkte, die, wie Sie sagen, nicht zur Sache gehören, die aber die Bundesanwaltschaft hier in die Verhandlung eingebracht hat, einzugehen. Das ist doch wohl das Mindeste.

Vors.:

Sie können jetzt auf den Beschluß eingehen, gegen den wollen Sie Gegenvorstellung erheben. Der Beschluß des Senats.

Angekl. B[aader]:

Also Sie wollen mich nicht sozusagen bestimmte Behauptungen der Bundesanwaltschaft richtigstellen lassen.

Vors.:

Nein. Es ist ja darüber bereits entschieden worden. Es ist hin und her gegangen. Gegenvorstellung, Recht auf Gehör, alles ist geltend gemacht worden. Sie haben sich geäußert. [1397] Der Beschluß des Senats ist verkündet. Wie er lautet, ist Ihnen bekannt und es ist rechtlich gar nichts anderes möglich, als daß Sie jetzt im Augenblick, wenn Sie Gegenvorstellung erheben wollen, sich gegen diesen Beschluß wenden. Etwas Anderes kommt nicht in Betracht.

Angekl. B[aader]:

Das tue ich, aber ich wollte, - das Wesentliche ist doch einfach die zynische Begründung.

Vors.:

Dann begründen Sie doch jetzt mal die Gegenvorstellung, was Sie am Beschluß des Senats auszusetzen haben. Um das gehts doch jetzt.

Angekl. B[aader]:

Schön. Der Beschluß des Senats ist als Kernpunkt der ganzen Sache. Könnte man sagen, daß das ein Todesurteil ist, das den Vorteil hat, daß Sie es nicht aussprechen müssen. Indem Sie sagen, diese Vorschrift der Begrenzung der Einzelhaft, der Isolation, und wir haben ja ausdrücklich festgestellt, daß die Isolation, die Wirkungen der Isolation, das ist wissenschaftlich erwiesen, unter Umständen kulminieren können beim Zusammenschluß von nur zwei Gefangenen. Daß die mindeste, kleinste, soziale Gruppe, bei der kein Persönlichkeitsverfall auf die Dauer erfolgt, sie mindestens 10 Mann sind. Und auch da muß innerhalb gewisser Zeiträume eine Fluktuation stattfinden. Aber Sie kennen ja die Ergebnisse. Ich sage, das ist ein Todesurteil, weil die Untersuchungshaft jetzt drei Jahre dauert und in diesen drei Jahren, da sagen Sie, war es gerechtfertigt, uns nach den Bestimmungen der Untersuchungshaft zu isolieren. Die Untersuchungshaft wird mit Sicherheit noch drei Jahre dauern. Davon kann man ausgehen. Aber dann würde sozusagen ... das wären 6 Jahre. Dann würde sozusagen überhaupt erst die Frist, die drei Jahresfrist der Strafhaft, die in der Strafhaft Gefangene isoliert werden dürfen, die würde dann erst sozusagen anfangen. Das ist nochmal dazuzuschlagen zu diesen 6 Jahren, die Sie hier in Aussicht gestellt haben. Das wären 9 Jahre Isolation. Das ist ganz sicher, und es ist auch ganz sicher nach unseren Feststellungen, daß es kein Mensch überleben kann bei Bewußtsein. Ich würde auch noch einmal wesentlich auf die Vorwürfe ein- [1398] gehen, die in dem Beschluß wieder erhoben werden. Wir würden die Aufhebung der Isolation anstreben, also dieses ganze kriminologische Verständnis der menschlichen Existenz überhaupt. Wir würden versuchen, aus der Isolation zu kommen, um Gefängnisrevolten zu provozieren, war glaube ich das Wort. Ich stelle also fest, wer provoziert, ist die Bundesanwaltschaft und wer provoziert, und wer diese Provokation übernimmt in die Begründung der Haftbedingungen, ist der Senat. Ich habe dazu noch einmal festzustellen, daß der Senat im Zusammenhang des Hungerstreiks einen Antrag auf Aufhebung der Isolation, also auf Kontakt mit anderen Gefangenen, abgelehnt hat, indem er ein Papier zur Begründung herangezogen hat, d. h. „Aufruf“, und ich werde das einmal vorlesen, das wird wahrscheinlich etwas länger dauern.

Naja, das dauert mir zu lange. Es ist jedenfalls die Tatsache, daß das ein Aufruf ist, der in der Vollzugsanstalt Stammheim auftauchte, und der in der Stuttgarter Zeitung vom 18.12.1974 veröffentlicht wurde. Das heißt, er wurde gezielt veröffentlicht zu dem Tag, an dem der Senat seine Entscheidung daraufhin, der Isolation, zu treffen hatte. Daran sieht man einfach mal, das Arrangement. Das ist ein Aufruf, der ist unterschrieben mit RAF, d. h., der ist also praktisch für uns unterzeichnet. Der Senat hat sich auf diesen Aufruf beziehend, die Aufhebung der Isolation abgelehnt. Später hat sich herausgestellt, d. h. also unmittelbar, also sofort an diesem Tag noch hat der Gefangene, der diesen Aufruf verfaßt hat und der ihn nicht mit RAF unterschrieben hat, sondern mit Aktionsausschuß oder irgend so was, Redaktion zur Information, hat eine richterliche Vernehmung beantragt, und hat gesagt, daß dieser Aufruf von ihm ist und daß die Unterschrift RAF gefälscht ist, und das ist selbstverständlich nicht beachtet worden. Dieser Aufruf ist voll übernommen worden, wörtlich in dem Beschluß des Senats, die Haftbedingungen, so wie sie sind, fortdauern zu lassen. Das würde ich als eine Provokation bezeichnen, als Beispiel. Es ist auch falsch, es ist auch sozusagen grundsätzlich falsch, es verzerrt die Tatsachen, wenn mit diesem Fetzen, den die Bundesanwaltschaft vor eineinhalb Jahren in einer Wohnung in Frankfurt beschlagnahmt hat, und der von mir sein soll, und der sich sozusagen, der inzwischen periodisch veröffentlicht [1399] worden ist, ich glaube, doch er ist periodisch veröffentlicht worden, wobei er sich also wirklich von Mal zu Mal erstaunlich verändert. Was soll er denn nun eigentlich beweisen, das ist die Frage. Was kann er denn beweisen. Es gibt keinen Gefangenen, der bei Bewußtsein ist, der sich nicht aus der Gefangenschaft befreien will. Ganz sicher nicht, wenn er unter vernichtenden Haftbedingungen gefangengehalten wird, wie wir. Der einzige Skandal und inwiefern rechtfertigt, mal vorgestellt, dieses Papier sei von mir, dies vor eineinhalb Jahren gefundene Papier sei von mir, inwiefern rechtfertigt es die Isolation von 40 Gefangenen als Beispiel. Inwiefern rechtfertigt es die Institution der Isolation in der Bundesrepublik, die Einrichtung von zahlreichen Trakten, Isolationstrakten in zahlreichen Gefängnissen, in denen die soziale und sensorische Deprivation für politische Gefangene institutionalisiert wird. Das würde ich doch wirklich gerne einmal wissen. Und inwiefern würde er nun hier in diesem Verfahren, nur hier in diesem Verfahren, die Isolation der anderen drei Gefangenen rechtfertigen. Nur mal die Voraussetzung, angenommen, er sei von mir. Aber das ist auch, glaube ich, gar nicht alles, diese ganzen Konstruktionen um die Haftbedingungen sind manipulativ. Das setzt sich tatsächlich fort in den Tatsachenbehauptungen, wo Sie sagen, wo Sie wirklich in einem Satz sagen, es besteht keine Sonderbehandlung für diese Gefangenen und gleichzeitig tatsächlich sagen, die Sonderbehandlung dauert an. Und ich bin auch der Ansicht, daß Sie überhaupt keine Möglichkeit hatten. Also, daß dieser ganze Versuch, sozusagen diesen Antrag zu stellen und hier durchzubringen, schon sinnlos war. Sie können, also der Senat, der Richter Prinzing, kann die Isolation nicht aufheben, nachdem er sie aus seiner Verfügbarkeit für das Vernichtungsinteresse der Bundesanwaltschaft, seit er in diesem Verfahren ist, und wir würden sagen, deswegen ist er in diesem Verfahren, nach ihren Argumentationen beschließt bzw. nicht aufhebt. Er kann, wie sich zeigt, nicht einmal zulassen, daß sie durch die Untersuchung der Gefangenen, das wird sich heute nachmittag zeigen, durch Wissenschaftler, die etwas über sensorische oder soziale Deprivationen wissen, festgestellt wird. In der Ablehnung des Antrags von Plottnitz hat er sie mit denselben monotonen irrationalen Konstruktionen zurückgewiesen, bestritten oder gerechtfertigt wie die Bundesan- [1400] waltschaft oder beides. Ich denke eigentlich, daß wir die Tatsachen, den Zweck und die Wirkung der Isolation, Ihr Konzept genau genug beschrieben haben. Und daß es genug wissenschaftliche Untersuchungen darüber gibt, wie sich gezeigt hat, Untersuchungen, die das Gericht kennt und die Prinzing nur auf die Idee gebracht haben, sich und der Bundesanwaltschaft die Verhandlung hier zu erleichtern, indem er die Isolation acht Wochen vor dem Prozeß perfektioniert. Das war funktional, um zu verhindern, daß die Gefangenen, daß durch die Beschlagnahmeaktionen und die Beschlagnahme, beschließt jeweils der Senat, und den Ausschluß der Verteidiger, die auf dieses Verfahren vorbereitet waren, zerstörte Projekt ihrer Verteidigung, rekonstruieren. Ich stelle dazu auch noch einmal richtig, der Satz Wideras bei der letzten Beschlagnahmeaktion, was in diesem Verfahren geredet wird, bestimmen wir, war lediglich die Antwort auf meine Frage, ob ihm klar ist, daß, wenn er die Konzeption, die schriftliche Verteidigungsvorbereitung unmittelbar drei oder vier Tage vor der Hauptverhandlung aus meiner Zelle raus trägt, daß dann keine Verteidigung mehr möglich ist. Begründet hat Prinzing die Perfektionierung der Isolation und die Disposition, die es mir in[u] drei Wochen unmöglich gemacht hat, einen Verteidiger zu finden, in der Übernahme der Konstruktion der Bundesanwaltschaft, die schon in seiner Ablehnung Croissants, Groenewold und Ströbele als Pflichtverteidiger zu bestellen,[46] auftaucht, und die später in der Verfügung, daß ihre Rechte als Verteidiger ruhen wie es heißt, die einen Ausschluß vorbereitet hat, denn es ist tatsächlich das erste Gericht ...

Vors.:

Herr Baader kommen Sie zur Sache zurück.

Angekl. B[aader]:

Es ist die Sache.

Vors.:

Es geht um die Haftbedingungen.

Angekl. B[aader]:

Ja, es ist die Sache, es ist die Sache ...

Vors.:

Nicht um den Ausschluß geht es hier.

Angekl. B[aader]:

Sie konzedieren doch der Bundesanwaltschaft permanent, daß [1401] sie solche Zusammenhänge herstellt, verzerrende. Dann erlauben Sie doch mir bitte mal, auch den ganzen Zusammenhang der Haftbedingungen herzustellen in diesem Fall. Und ihre Entscheidung jetzt, die Haftbedingungen nicht grundsätzlich zu ändern. Ich sage also, Sie haben Sie erstens begründet mit der Konstruktion der Fortdauer der kriminellen Vereinigung in der Haft, und das ist glaube ich grundsätzlich wichtig für dieses Verfahren, daß das einmal geklärt wird, daß mal von uns dazu etwas gesagt wird zu dieser Konstruktion. Das heißt, die Fortdauer der kriminellen Vereinigung aus der Isolation. Das ist eine zentrale Linie, der Vorverurteilungskampagne der Bundesanwaltschaft und der Regierung. Das ist eine zentrale Linie zur Rechtfertigung der Isolation und des Mordes von Gefangenen und das ist eine zentrale Linie zur Kriminalisierung der Verteidiger[47] für das Interesse der Bundesanwaltschaft und des Senats, die Verteidigung zu zerschlagen, benutzt worden. Ich würde sagen, daß es durch keine anderen Tatsachen zu begründen ist, im Zusammenhang der Anwälte, als solche paar Pressekonferenzen, wie sie dann auch schließlich ...

Vors.:

Herr Baader zur Sache. Es geht nicht um den Ausschluß ...

Angekl. B[aader]:

Lassen Sie mich doch ...

Vors.:

... es geht um die Haftbedingungen.

Angekl. B[aader]:

Ja. Sie haben die Haftbedingungen abgelehnt, letztlich mit dieser Begründung, also Sie haben sie permanent, haben Sie die Haftbedingungen beschlossen, so wie sie sind mit der Begründung. Sie haben zwei Begründungen gehabt. Eine davon ist die Fortdauer der kriminellen Vereinigung. Ich hab ein Interesse daran, daß endlich einmal aufzulösen von unserem Standpunkt aus. Ich würde doch sagen, also es gibt keine andere Begründung für diese Behauptung, die die Anwälte dazu in Beziehung setzt als ein paar Pressekonferenzen. Also der Versuch einer ohnehin brüchigen Gegenöffentlichkeit für das verfassungswidrige Engagement dieses Verfahrens. Und in den Beschlüssen des Senats aus dieser Zeit tauchen auch Tatsachen nie auf. Ich könnte das belegen hier. Von einer willkürlichen Interpretation und [1402] die Behauptungen der Hetzkampanien. Ich denke, daß die Konstruktion der kriminellen Vereinigung aus der Isolation nur faßbar ist über ihren Zweck. Sie soll die Vernichtungsmaßnahmen gegen Gefangene legitimieren, indem der Bruch, die objektive Legalisierung, durch die Verhaftung bestritten wird. Sie rechtfertigt den Mord an Gefangenen und natürlich jede Maßnahme gegen ihn, seine Anwälte, sein Recht sich zu verteidigen usw. Man wird wirklich müde, das aufzuzählen mit den Methoden, die sich so anbieten. Isolation, die Verweigerung von Ärzten, die Psychiatrisierung. Sie haben Ärzte verweigert, wo Sie gesagt haben, es bestünden Sicherheitsbedenken, also Ärzte unserer Wahl. Unmittelbarer Zwang, Zwangsnarkosen zu Ermittlungszwecken, Szintigrafie usw. Dazu ist wichtig, daß diese ganze Konstruktion der Fortdauer der kriminellen Vereinigung aus der Haft entwickelt worden ist, sich sozusagen entwickelt hat, am Widerstand der Gefangenen gegen die Isolation, gegen die Haftbedingungen. Sie taucht zum ersten Mal in den Beschlüssen, in der Argumentation der Regierung zu den Sondergesetzen und den Kampagnen in den Medien nach dem Mord an Holger,[48] auf. Der Situation, in der Maihofer Akten zu diesem Prozeß veröffentlichen ließ[49] aus einem übergesetzlichen Notstand,[50] das ist wichtig. Durch eine Guerillaaktion, ein bewaffneter Angriff, ein Aufstand wurde als übergesetzlicher Notstand bestimmt, sondern ein Hungerstreik von Gefangenen. Übergesetzlicher Notstand bedeutet nichts Anderes als gesetzloser Zustand. Das ist der offene Bruch und der willkürliche Bruch mit der Ideologie des Rechtsstaats. Ich sage es noch mal, gegen Gefangene und Gefangene die physisch total in der Gewalt des Staates waren. In dieser Formel, Fortführung der kriminellen Vereinigung usw., die dann aufgeblasen wurde bis zu dieser irrsinnigen Story, die Gefangenen würden den gesummten europäischen Untergrund aus der Zelle steuern. Steuern war das Wort, und das taucht ja auch bei der Bundesanwaltschaft dauernd auf, geht es letztlich darum, staatsgefährdende Delinquenz bis in die Riemenkonstruktion, in der sie am Schluß bis zu fünf Stunden am Tag bewegungslos gefesselt waren, zu behaupten. Und zuletzt erscheint die Existenz des Gefangenen selbst staatsgefährdend. Das heißt, es ergibt sich der Rechtsfertigungszusammenhang eines Mordes, der Lösung [1403] von der wir sagen, daß Buback[51] sie im Auge hat. Aber auch der tote Gefangene ist noch staatsgefährdend. Straub, der Filmer Straub, durfte in seinem Film, Holger nicht erwähnen.[52] Also er durfte den toten Gefangenen nicht erwähnen. Der Vorspann ist zensiert worden auf massiven politischem Druck. Also auch der tote Gefangene ist noch staatsgefährdend. Jede Spur seiner Existenz, seines Widerstands, seines Kampfes muß getilgt werden. Das ist das Wort, das Schmidt, der Bundeskanzler, in seiner Regierungserklärung benutzt hat, „getilgt“. Was ich an Ihnen sozusagen, und das ist die positive Seite der Sache, für uns eine absolute Grenze der Strategie, der totalen Verstaatlichung der Gesellschaft vermittelt hat, an seinem Widerstand. Und damit auch die Möglichkeit einer Strategie radikaler Negation des Systems. Zweitens, die zweite Formel des Senats war, die Behauptung der Steuerung oder des Zusammenhangs mit Stockholm und Lorenz. Obwohl, ich glaube, daß der Senat Anhaltspunkte hatte, daß ein direkter Zusammenhang nicht bestehen kann. Ich sage dazu noch einmal, es besteht kein direkter Zusammenhang. Wir wußten vorher nichts. Und inzwischen haben wir auch erfahren, daß die Gefangenen in Hamburg[53] ihre Information aus dem Radio hatten, bevor[v] es ihnen weggenommen wurde. Diese Konstruktion ist letztlich noch deutlicher, Sie haben sie ja vor einer halben Stunde noch einmal gebracht hier in voller Breite. Die Gefangenen bekommen den Status von Geiseln. Bisher, wenn was ist, nachdem wir in drei Jahren herausgefunden haben, daß wir weder Untersuchungsgefangene sind, noch Strafgefangene, noch Kriegsgefangene. Es ist also tatsächlich so, daß für den Versuch ihrer Befreiung, die Gefangenen bestraft werden, die Folter verschärft wird, obwohl das Sinn eigentlich nur hat als Rache des Apparats. Oder anders rational auch wieder nur werden kann, in der Absicht mit den politischen Gefangenen, endlich eine Ursache des Angriffs, obwohl sie nur der Anlaß sind eine Unterscheidung, die das kriminologische Geschichtsverständnis des Staatsschutz natürlich nicht faßt, zu tilgen. Der frühere OLG-Präsident Schmid hat geschrieben, das Klima um dieses Verfahren erinnert an die Machtergreifung 33. Ich würde übrigens sagen, daß das eine wesentlichere ungebührlichere Äußerung ist, als die,[w] die ich vorhin gemacht hab. Das ist so, weil es Folge und Ausdruck einer Machtergreifung ist, der des Faschismus als insti- [1404] tutionelle Strategie. Was hier abläuft, ist kein Auswuchs, wie so Apologeten der Einheitswirklichkeit, wie Augstein rausfinden. Der bürgerliche Rechtsstaat leidet hier auch nicht, sondern er kommt in seiner Transformation zum Faschismus auf den Begriff. Es ist eine faschistische Machtübernahme aus den Institutionen. Der Faschismus erobert nicht den Staat, sondern er verstaatlicht die Gesellschaft. Als Reaktion ...

Vors.:

Herr Baader, zur Sache bitte, Haftbedingungen. Bitte halten Sie sich das Thema immer wieder vor Augen.

Angekl. B[aader]:

Also ich würde schon sagen, daß das eine Erklärung ist, die für das weitere Verfahren von Bedeutung sein kann. Und das kann auch sein.

Vors.:

Und es geht jetzt nicht um das weitere Verfahren im Augenblick, sondern um die Haftbedingungen.

Angekl. B[aader]:

Ich lege Ihnen das einfach mal an Ihr Herz, Herr Prinzing, Sie werden, wenn Sie so fortfahren ...

Vors.:

Ich werde es bewegen mit dem Herzen, aber bitte Sie sollten zur Sache kommen.

Angekl. B[aader]:

Hören Sie bitte zu. Wenn Sie so fortfahren wie heute, wenn Sie also diese Zensurpraxis, diese Praxis uns zu knebeln, fortsetzen, dann werden wir an dieser Verhandlung nicht mehr teilnehmen.

Vors.:

Herr Baader, ich will eines feststellen. Es hat noch, ich bin jetzt lange genug in diesem Milieu tätig und es werden auch andere Verteidiger hier wahrscheinlich sein. Ich bin überzeugt, es gab noch keinen Angeklagten, dem man die Möglichkeit gegeben hat, so viel neben der Sache zu reden, wie Sie das tun. Und man tut das ganz absichtlich. Es ist keine Rede von einer Zensurpraxis. Es ist nur der Zwang, Sie gelegentlich wieder daran zu erinnern, daß wir hier eine Sachverhandlung haben und nicht ein Forum für Ihre politischen Vorstellungen.

Angekl. B[aader]:

Sie haben sich an die Presse und an die Öffentlichkeit im Zusammen- [1405] hang dieses Verfahrens schon öfter gewandt. Das heißt, Sie kommentieren sozusagen öffentliche Vorgänge um dieses Verfahren, eigentlich sehr oft in diesem Verfahren. Warum sollten wir grundsätzlich nicht die Möglichkeit haben, das auch mal auf den Begriff zu bringen. Ich würde sagen, das ist eine Möglichkeit, die Sie uns geben müssen.

Vors.:

Herr Baader, ich sage es Ihnen jetzt zum letzten Mal. Bei der Sacherklärung, wenn wir zur Sache kommen, dürfen Sie reden. Seien Sie versichert. Aber bedenken Sie, wir haben es jetzt mit der Entscheidung des Senats, zu den Haftbedingungen, zu tun. Sie haben erklärt, Sie wollten eine Gegenvorstellung machen. Jetzt kommt wieder eine Sacherklärung.

Angekl. B[aader]:

Ja. Sie können mich natürlich damit nie ... Der Punkt ist einfach, daß ich die Bedingungen darzustellen habe, in dem in diesem Verfahren Entscheidungen getroffen werden.

Vors.:

Ich versuche Sie ja nur auf den Kern der Sache zu bringen. Im übrigen sehe ich mich veranlaßt, in diesem Zusammenhang Sie nochmals darauf hinzuweisen, das gilt für alle vier Angeklagten, Sie sind nicht verpflichtet, zur Sache Angaben zu machen. Ich habe das schon einmal getan. Das, was Sie hier an Erklärungen bringen, beinhaltet zum Teil so vieles, was zur Sache gehört, daß ich es schon deswegen nicht zulassen dürfte, weil ich Ihnen die formelle Belehrung, die vorgeschrieben ist noch nicht geben konnte.[54]

Angekl. B[aader]:

Ja, das haben wir zur Kenntnis genommen.

Vors.:

Ich betone es ausdrücklich, nachdem ich Ihnen die Belehrung gebe, daß unter Umständen auch Sacherklärungen, die jetzt in diesem Stadium von Ihnen abgegeben werden, gegen Sie verwandt werden könnten. Und dazu sind Sie nicht verpflichtet.

Sie wissen, Sie dürfen zur Sache schweigen. Sie brauchen sich auf die Anklage nicht einzulassen.

RA Sch[ily]:

Vielleicht kanns auch für Sie verwendet werden.

Vors.:

Ja, vielleicht kanns. Ich sage bloß, es kann auch etwas drinnen [1406] sein, was dagegen ist. Die Bemerkung, Herr Rechtsanwalt, naja.

RA Sch[ily]:

... die Bemerkung war doch wohl ganz angemessen, Herr Vorsitzender. Wenn Sie sagen, verwertet, ich hätte nichts überhaupt gesagt, wenn sie gesagt hätten, es kann verwertet werden. Aber da Sie sagen, gegen Sie, das stört mich. Verwertet gegen oder für.

Vors.:

Herr Baader bitte.

Angekl. B[aader]:

Ja, ich versuche einmal das weiter zu entwickeln. Also ich hab gesagt, das ist eine Machtübernahme aus den Institutionen. Nicht der Staat wird erobert, sondern die Gesellschaft wird verstaatlicht, als Reaktion und Strategie des Kapitals gegen die Tendenz zum Sozialismus, die die Vergesellschaftung der Produktion entwickelt. Das ist, wie Sie’s auch drehen, wie es auch gedreht wird um dieses Verfahren und in der gesamten psychologischen Kriegsführung die Tendenz aus der die Gruppe entstanden ist, die RAF entstanden ist und kämpft und in der sie sich bestimmt. Und es ist genau dieser Antagonismus, den der Kampf der Guerilla vermittelt, gegen die dreckige Schliche der psychologischen Kriegsführung, gegen die Offensivkonzepte, gegen die Konzepte, der offensiven Information, wie die Strategen der Volksverhetzung. Und das ist nicht mein Begriff, der Begriff der Volksverhetzung, weil Sie ihn vorhin gerügt haben als mein Begriff, sondern das hat ein Parlamentarier so genannt. Ich glaube ein FDP-Parlamentarier hat das Offensivkonzept, gegen[x] das sogenannte Offensivkonzept, gegen den Terrorismus, als Volksverhetzung bezeichnet. Und auch gegen den Versuch, also es ist auch gegen den Versuch, die Tatsachen hier in dieser ziemlich unwichtigen und kaum öffentlichen Verhandlung zu unterdrücken. Ich sage, dieser kaum öffentlichen Verhandlung zu unterdrücken. Die Apparate des totalen Staates und ihre Funktionäre, hier das Gericht, reagieren auf diesen Antagonismus mit Krieg. Das aber sein Konzept in dem die Konstitutionalität des bürgerlichen Rechtsstaats aufgegeben werden muß. Die Form des Rechtsstaats bedeutet, daß die Norm seines Rechts nach ihrem Inhalt als rechtliche Regulierung der Kapitalrevolution für alle gelten müssen. Für uns und gegen [1407] uns aber soll überhaupt kein Recht gelten. Wir sollen vernichtet werden. Also nicht einmal Kriegsrecht[55] und in diesem Verfahren wird sogar noch das Sonderrecht, das für die Bundesanwaltschaft und ihr Gericht hier geschaffen worden ist,[56] gebrochen. Ich hab da eine Menge Beispiele und es ist in allen Verfahren gegen die RAF deutlich als Gesetzlosigkeit. Ich glaube der grundsätzliche, strategische Widerspruch in diesem Verfahren ist, und deswegen die plumpe Repression, daß sie öffentlich gesetzlos abgewickelt, die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats beweisen soll. Ja. Das hat natürlich eine Dialektik das Ganze. Die der Polarisierung für uns, und das wird sie haben. Und ich glaube, daß aus diesem Widerspruch auch der Richter Prinzing, der jetzt schon von der konservativen Presse angegriffen wird und so erscheint es manchmal, als säßen Sie auch da wie auf Salz, obwohl Sie sich vom Staatsschutz geführt nach den Ruinen des Rechtsstaats nicht einmal umgedreht haben. Sie werden zerrieben, glaube ich, zwischen dem Interesse der Klasse, den Faschismus als Verrechtlichung aller gesellschaftlichen Beziehungen durchzusetzen ...

OStA Z[eis]:

Die Bundesanwaltschaft bittet ums Wort. Ich weiß nicht, was diese Richterbeschimpfung noch mit dieser Sache zu tun hat. Ich beantrage nochmals, dem Angeklagten Baader das Wort zu entziehen, er mißbraucht es fortwährend, ohne jede gesetzliche Grundlage hierfür.

Vors.:

Herr Bundesanwalt, ich kann Ihnen noch nicht mal wiedersprechen. Es ist ein Mißbrauch des Wortes, das der Angeklagte hier hat. Das betone ich ausdrücklich. Aber wir meinen, wir sollten ihm die Gelegenheit geben, seine Erklärung zu Ende zu bringen. Es gibt viele Gründe dafür, warum man das tut. Die Beschimpfungen haben sich persönlich gegen mich im Augenblick gerichtet, und ich möchte also nicht den Eindruck erwecken, als sei ich nicht imstande, oder die Feststellungen, daß ich durch die Presse und auch die Konservative angegriffen werde, das trifft mich. Ich habe also in diesem Zusammenhang ...

Angekl. B[aader]:

Ist das eine Beschimpfung, diese Feststellung der Tatsache?

Vors.:

Nein, die Feststellung trifft mich, und ich habe nicht die Absicht, [1408] mich zu scheuen, daß so etwas in der Öffentlichkeit ausgesprochen wird. Ich bitte also um Verständnis, wenn wir ihn zu Ende reden lassen. Aber Herr Baader ich muß jetzt ...

Angekl. B[aader]:

Aber ich glaube der Widerspruch ...

Vors.:

Herr Baader, hören Sie zu. Es ist richtig gesagt, daß Sie das Wort mißbrauchen. Es hätte längst Anlaß geben können, wegen völligen Abschweifens vom Sachgegenstand, Ihnen das Wort zu entziehen. Es ist Ihnen heute schon mal entzogen worden. Sie können, wenn Sie sich kurz fassen, zur Sache kommen. Aber ich kann Ihnen nur sagen, Sie müssen sich jetzt wirklich zur Sache äußern.

Angekl. B[aader]:

Ich kann mich in einem so komplexen Zusammenhang nicht kurz fassen.

Vors.:

Sie haben jetzt in Rahmen der Haftbedingungen nicht die komplexen Zusammenhänge aufzudecken, sondern sich mit dem Beschluß des Senats zu befassen. Das ist die Möglichkeit Ihrer Gegenvorstellung, nichts anderes.

Angekl. B[aader]:

Sie sehen doch, daß ganz bestimmte ...

Vors.:

Wieviel Seiten haben Sie denn noch vor sich, Herr Baader, wenn ich fragen darf.

Angekl. B[aader]:

Das ist keine Frage der Seiten.

Vors.:

Sondern.

Angekl. B[aader]:

Ich würde sagen, ich habe noch vor mir 20 Minuten, wenn Sie mich reden lassen.

Vors.:

Oh, Herr Baader für die Gegenvorstellung. Also wenn Sie, ich gebe Ihnen jetzt, wie beim letzten Mal, noch bis 12 Uhr Zeit, sich zu beweisen, daß Sie zur Sache kommen. Wenn es bis dahin nicht geschieht, wird Ihnen der Senat die Möglichkeit nicht mehr geben können, bzw. zunächst ich auf [1409] jeden Fall.

Oberstaatsanwalt Zeis und Regierungsdirektor Widera verlassen um 11.55 Uhr den Sitzungssaal.

Angekl. B[aader]:

Ja, ich würde sagen, ich halte das, was Sie machen, für sehr ungeschickt. Denn das wird Ihre einzige Möglichkeit bleiben, zu einer ganz bestimmten Hintergrundinformation, zu ganz bestimmten grundsätzlichen Bestimmungen von uns zu kommen.

Vors.:

Sparen Sie sich das, was Sie sagen wollen auf ...

Angekl. B[aader]:

Das ist nicht die Frage, ob ich mir das spare ...

Vors.:

Herr Baader sparen Sie sich’s auf bis zur Sachanhörung. Sie können hier Erklärungen abgeben, wirklich in aller epischen Breite. Aber nicht, wenn Sie eine Gegenvorstellung gegen einen soeben verkündeten Beschluß des Senates als Vorwand benützen, nun Ihre grundsätzlichen Erwägungen vorzubringen. Das geht nicht. Das müssen Sie noch lernen in diesem Verfahren, wenn Sie’s nicht glauben. Die Zeit geht jetzt bis 12 Uhr rum, Herr Baader hat noch das Wort. Ich bitte Sie Herr Baader kommen Sie bis 12 Uhr ...

Angekl. B[aader]:

Ja, lassen Sie doch die Rechtsanwälte, wenn die Rechtsanwälte dazu was sagen wollen, dann hängen Sie fünf Minuten wieder dran.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily ist nicht Ihr Verteidiger. Er wird wohl schwerlich im Augenblick etwas sagen können für Ihre Wortmeldung, Herr Baader.

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. H[eldmann]:

Wenn Sie heute einmal auf Punkt 12 Uhr bestehen, dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, als Herrn Baader am nächsten Verhandlungstag seine Gegenvorstellung fortsetzen zu lassen.

Vors.:

Herr ...

RA Dr. H[eldmann]:

Wenn Sie erlauben, da ich gerade am Sprechen bin. Darf ich [1410] davon ausgehen, daß Sie jetzt künftig keine Einwendungen mehr haben werden. daß die Verteidiger ihre Plätze räumen, wenn Ihnen die Ausführungen der Bundesanwaltschaft nicht gefallen.

Vors.:

Herr RA. Dr. Heldmann zu Punkt 2. Mit Ausnahme von Ihnen, und Ihr Antrag liegt ja vor und wird demnächst sicher beschieden werden, sind alle übrigen Herrn Pflichtverteidiger, Sie sind also unerläßlich und müssen dableiben.[57] Das ist die Antwort darauf. Ich habe keinen Einfluß auf das Bedürfnis der Anwälte hier anwesend zu sein. Es genügt ein Bundesanwalt um die prozeßordnungsgemäße Besetzung des Gremiums hier zu gewährleisten.

Angekl. B[aader]:

Das ist doch aber ein Versuch, uns unter Druck zu setzen.

Vors.:

Zu Punkt 2. Es ist ein grundsätzlicher ... Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, darf ich Sie noch bitten, da noch geschwind zuzuhören. Ja, ich glaube also hier hat nun, wenn ich schon das Wort habe, das zum Vorrang. Es ist ein grundsätzlicher Irrtum, zu glauben, daß Herr Baader unterbrochen worden sei, weil wir etwa um Punkt 12 abbrechen wollten. Er wird unterbrochen, weil er nicht zur Sache kommt. Das gilt natürlich auch, wenn er das fortsetzen wollte und nicht zur Sache kommt. Das heißt, es hat mit Ihnen gar nichts zu tun. Das war nur die Frist die ihm gesetzt wird.

Angekl. B[aader]:

... Sie können natürlich formal folgendes sagen, hier versucht jemand eine relativ komplexe Darstellung, also so das Verfahren auf den Begriff zu bringen, das hier die Öffentlichkeit, die Presse beschäftigt und das wohl auch Sie beschäftigt ...

Vors.:

Herr Baader ...

Angekl. B[aader]:

Sie können nicht sagen, Sie haben noch fünf Minuten.

Vors.:

Herr Baader, wenn Sie zur Sache kommen, dann haben Sie, wenn Sie zur Sache kommen, immer Zeit und Gelegenheit, ausgiebigst zu reden. Aber Sie müssen zur Sache kommen. Um das gehts doch nur. Ich bitte jetzt, Herrn Baader weiterhin das Wort zu belassen.

[1411] Angekl. B[aader]:

Ich sage noch einmal. Die Sache, über die ich rede, ist wesentlich, dieses Verfahren gegen mich bzw. gegen uns alle hier. Und der Versuch, der hier gemacht wird, und da bin ich einfach darauf angewiesen, daß Sie mich nicht unterbrechen, es ist einfach zu entwickeln, wie die Entscheidungen zustande kommen und wie überhaupt unser ganzes Verständnis dieses Verfahrens ist.

Vors.:

Schön. Das gehört nicht zur Sache. Es hat keinen Sinn, Sie jetzt weiter reden zu lassen. Es geht um die Haftbedingungen.

Angekl. B[aader]:

Es ist insofern unmittelbar eine Frage der Haftbedingung ...

RA Dr. H[eldmann]:

... um Ihre Entscheidung.

Vors.:

Ach ja, Herr Dr. Heldmann. Das ist doch leicht dahingesagt. Bis jetzt ist doch tatsächlich so, daß er sagt, er will entwickeln, wie das Verfahren hier gelaufen ist und ihn betrifft.

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, Herr Baader hat das Wort.

Er soll zur Sache kommen.

RA v[on ]P[lottnitz]:

Nein, aber ich habs Gefühl, daß Herr Baader in Gefahr ist, von Ihnen weiter unterbrochen zu werden, wenn hier nicht mal Klarheit über folgendes hergestellt wird ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz ...

RA v[on ]P[lottnitz]:

Sie haben dem Herrn Baader, Entschuldigung, ich bitte mir jetzt einmal zuzuhören.

Vors.:

Ich bitte, Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, Sie haben jetzt nicht das Wort.

RA v[on ]P[lottnitz]:

... ohne Mikrofon gesprochen, was soll denn diese Abstellerei.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz. Ich weiße Sie darauf hin, nein, ich weiße Sie darauf hin, daß Sie sich hier der Prozeßleitungsbefugnis des Vorsitzenden zu fügen haben, nach Ihren Pflichten als Anwalt.

[1412] RA v[on ]P[lottnitz]:

Dann stelle ich den Antrag, mir das Wort zu erteilen.

Vors.:

Sie kriegen das Wort nicht, weil es der Herr Baader im Augenblick hat und Sie nicht sein Verteidiger sind.

RA v[on] P[lottnitz]:

Dann beantrage ich, darüber einen Senatsbeschluß herbeizuführen.

Der Vorsitzende verkündet nach geheimer Beratung den Beschluß:

Wird vom Senat bestätigt.

Vors.:

Herr Baader ...

RA v[on] P[lottnitz]:

Dann stelle ich einen weiteren Antrag, dann stelle ich den Antrag, mir in Zukunft in dieser Hauptverhandlung grundsätzlich zu gestatten, Anträge auch zur Prozeßsituation zu stellen, die den Herrn Raspe nicht allein betreffen. Und da kann man zur Begründung nur eins zu sagen: Dieses Verfahren ist ein verbundenes Verfahren.[58] Hier können Sie nicht so tun, als ob das Verfahren etwa nur gegen Herrn Raspe oder Herrn Baader allein geführt wird. Verbunden deshalb, weil das, was in diesem Verfahren relevant ist, für den einen relevant ist, auch für den anderen.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz. Das ist ein unzulässiger Antrag. Selbstverständlich gibts die Möglichkeit im Gesetz gar nicht, und außerdem, es ist ja nun die Erfahrung gewesen, daß jedes Mal sämtliche Verteidiger versuchen, sich in das Gespräch einzuschalten. Wir werden sehr darauf achten müssen, daß der Angeklagte und der Verteidiger, der den Angeklagten verteidigt, hier die Interessen vertritt, die im Augenblick zur Sprache kommen. Das ist im Moment Herr Baader. Herr Baader, ich habe es Ihnen gesagt, Sie haben keine Möglichkeit jetzt zu entwickeln, wie es zu dem Verfahren gekommen ist. Sie haben die Möglichkeit ...

Angekl. B[aader]:

Nein, das habe ich nicht vor. Ich hab nur vor, wie es in diesen Verfahren zu Entscheidungen kommt und zwar zu Entscheidungen, die unmittelbar unsere Existenz betreffen, wie die Entscheidungen der Haftbedingungen. Das ist der Punkt. Das ist der Zusammenhang.

Vors.:

Dann bitte ich Sie aber jetzt ganz konzentriert erkennen zu lassen, [1413] daß Sie wirklich auf diesen Punkt kommen. Wenn Sie diesen Zusammenhang wahren, dann kann man Sie reden lassen.

Angekl. B[aader]:

Ich glaube, wie es irgendwo hieß bei der rechtspolitischen Bedeutung dieses Verfahrens, naja, daß eine Möglichkeit sein muß, den gesamten Zusammenhang, die gesamten Einflüsse auf die Einflüsse, unter denen hier rechtswidrig verfahren wird, darzustellen. Ich hab gesagt, ich glaube, daß Sie zerrieben werden, die Figur dieses Richters Prinzing zwischen dem Interesse der Klasse oder daß das tendenziell so sein könnte, zwischen dem Interesse der Klasse, den Faschismus als Verrechtlichung aller gesellschaftlichen Beziehungen durchzusetzen, also mittels und durch den Rechtsstaat und dem offenen Rechtsbruch zu dem ihn die Bundesanwaltschaft zwingt, zwingen kann ...

Vors.:

Jetzt sind Sie nicht zur Sache gekommen. Außerdem ist das, was Sie vorgetragen haben, nun wieder beleidigenden Inhalts, sowohl gegen die Figur des Vorsitzenden, wie Sie sie bezeichnen und außerdem den offenen Rechtsbruch, den Sie im Augenblick wieder der Bundesanwaltschaft vorwerfen. Ich entziehe Ihnen hiermit das Wort.

Will die Bundesanwaltschaft sich zur Gegenvorstellung äußern.

BA Dr. W[under]:

Ja, ich möchte das tun. Ich beantrage die Gegenvorstellungen zurückzuweisen. Vorweg, die Bundesanwaltschaft ist vertreten. Sie wird noch öfter durch nur zwei oder drei Kollegen vertreten sein. Herrn Baader kommt die Rolle sich zum Gequälten und zum Richter über die Justizorgane aufzuschwingen, nicht zu. Er sollte nicht vergessen, daß man ihn des mehrfachen Mordes angeklagt hat. Ob er in der Verhandlung überführt wird, werden die Sitzungen ergeben. Die Bundesanwaltschaft ist davon überzeugt. Gleichwohl merkt aber auch Herr Baader, daß die Bundesanwaltschaft in jeder Sitzungsstunde, ebenso wie das Gericht, um besondere Objektivität bemüht ist.

- Gelächter der Angeklagten -

Man muß sich fragen, was an halbwegs Verantwortbarem, Herr Baader eigentlich noch verlangt. Es ist eben ein Beschluß verkündet worden, mit dem er guten Gewissens zufrieden sein könnte, wenn es ihm tatsächlich um Hafterleichterung geht. Irgendwo sind [1414] aber Grenzen, die auch für ihn erkennbar sind. Und im übrigen gibt es, trotz der Unschuldsvermutung, Herr Baader, für die Bundesanwaltschaft nicht die Pflicht, Sie etwa mit Glacéhandschuhen anzufassen

- Beifall im Saal -

Vors.:

Bitte, bitte, hören Sie im Saal auf. Sie können das nicht machen. Es würde dazu zwingen, daß ich auch Maßnahmen im Saale noch treffe. Das wäre also noch das Schönste.

- Nach geheimer Umfrage -

Vors.:

Der Senat hat beschlossen, die Gegenvorstellung gibt keinen Anlaß, den verkündeten Beschluß abzuändern. Fortsetzung der Sitzung am kommenden Dienstag um 9.00 Uhr.

Ende der Sitzung um 12.05 Uhr

Ende von Band 53


[1] Nachdem Andreas Baader zu Beginn der Hauptverhandlung ohne Verteidiger/in seines Vertrauens dastand (s. hierzu S. 838 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 11. Verhandlungstag), übernahm ab dem 4. Verhandlungstag Rechtsanwalt Dr. Heldmann die Verteidigung Baaders. Hierzu beantragte er eine zehntägige Verhandlungsunterbrechung, um sich in die umfangreichen Akten des Verfahrens einzuarbeiten (S. 274 des Protokolls der Hauptverhandlung, 4. Verhandlungstag). Der Antrag wurde abgelehnt (S. 292 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung; s. auch die hiergegen gerichtete Gegenvorstellung des Rechtsanwalts Dr. Heldmann auf S. 837 ff., 11. Verhandlungstag).

[2] In den Fällen der notwendigen Verteidigung ist die Mitwirkung eines Verteidigers oder einer Verteidigerin gesetzlich vorgeschrieben (§ 141 StPO a.F.; seit dem 13.12.2019 [Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019, BGBl. I, S. 2128] ist die Bestellung in manchen Fällen von einem Antrag des/der Beschuldigten abhängig, § 141 Abs. 1 StPO). Die notwendige Verteidigung ergab sich in diesem Verfahren daraus, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht stattfand (§ 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO) und dem Vorwurf eines Verbrechens (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO; ein Verbrechen liegt vor bei einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr, § 1 Abs. 1 StGB a.F.; heute: § 12 Abs. 1 StGB), sowie der Inhaftierung der Beschuldigten für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO a.F.; heute ist die zeitliche Vorgabe entfallen). Auch zuvor gewählte Verteidiger/innen können als Pflichtverteidiger/innen bestellt werden. Für einige der sog. Vertrauensverteidiger/innen war dies geschehen; die dem Angeklagten Baader beigeordneten Vertrauensverteidiger wurden allerdings noch vor Beginn der Hauptverhandlung von der Mitwirkung im Verfahren ausgeschlossen worden (Dr. Croissant, Ströbele und Groenewold) oder waren untergetaucht (Haag).

[3] Den Angeklagten wurden je zwei Verteidiger (gegen ihren Willen) durch das Gericht als Pflichtverteidiger zur Sicherung des Verfahrens beigeordnet. Zwischen der Vertrauensverteidigung und dem Senat bestand allerdings Uneinigkeit darüber, ob die Verteidigung durch sie auch ordnungsgemäß sei (s. dazu bereits die Diskussionen am 1. Verhandlungstag, S. 90 ff., sowie den Entpflichtungsantrag der Rechtsanwältin Becker in Anlage 1 zum Protokoll vom 10.06.1975, S. 184 ff., 3. Verhandlungstag). Die Angeklagten lehnten die von ihnen sog. Zwangsverteidiger vehement ab und weigerten sich, mit ihnen zu reden. Ulrike Meinhof führte am 1. Verhandlungstag aus: „Es handelt sich bei diesen Verteidigern um Zwangsverteidiger, die als Instrumente der B. Anwaltschaft ohne jede Kompetenz, abhängige Staatsschutzverteidiger sind, d. h. ihrer Funktion in diesem Prozeß nach Vertreter der Anklagebehörden und der Staatsschutzabteilung“ (S. 85 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[4] Anlage 1 zum Protokoll vom 16.07.1975: BVerfG, Beschl. v. 10.7.1975 - Az.: 2 BvR 548/75 (Nichtannahmebeschluss).

[5] Entscheidungen im Strafverfahren sind den betroffenen Personen gegenüber bekanntzumachen. Das geschieht bei einer Entscheidung, die in Anwesenheit der Betroffenen ergeht, durch Verkündung (§ 35 Abs. 1 StPO), bei Entscheidungen in Abwesenheit der Betroffenen durch Zustellung (§ 35 Abs. 2 Satz 1 StPO); in Fällen, in denen durch die Bekanntmachung keine Frist in Gang gesetzt wird, genügt aber auch die formlose Mitteilung (§ 35 Abs. 2 Satz 2 StPO).

[6] Die Angeklagten wurden während des vorigen Verhandlungstages wegen fortgesetzter Störung der Verhandlung nach § 177 GVG i.V.m. § 231b Abs. 1 StPO von dieser ausgeschlossen (S. 1325 des Protokolls der Hauptverhandlung, 16. Verhandlungstag).

[7] Verteidiger/innen sind gem. § 145a StPO zustellungsbevollmächtigt für die jeweils von ihnen verteidigten Beschuldigten. Zustellungen an sie wirken daher unmittelbar für und gegen die verteidigten Beschuldigten.

[8] Nach §§ 231b Abs. 2, 231a Abs. 2 StPO sind Angeklagte, wenn sie zuvor wegen ordnungswidrigen Verhaltens nach § 177 GVG i.V.m. § 231b StPO ausgeschlossen waren, bei ihrer Rückkehr durch über den wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was in ihrer Abwesenheit verhandelt worden ist.

[9] Notwendigerweise Gegenstand der Hauptverhandlung ist alles, was der Beantwortung der Schuld- und Straffrage dient, d.h. der Tathergang, die Schuld der/des Angeklagten sowie die Höhe der Strafe, da nur solche Tatsachen zur Begründung des Urteils herangezogen werden dürfen, die (prozessordnungsgemäß) in die Hauptverhandlung eingeführt wurden (§ 261 StPO).

[10] Mit „Toter Trakt“ bezeichnen die Angeklagten einen (akustisch und räumlich) isolierten Trakt innerhalb einer JVA.

[11] Von September 1974 bis Februar 1975 führten insgesamt 40 Gefangene, darunter die Angeklagten, den insgesamt dritten und längsten Hungerstreik durch, um gegen die Haftbedingungen zu protestieren, die sie als Isolationsfolter bezeichneten (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 117; die Hungerstreikerklärung ist abgedruckt in Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD, Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, S. 14 ff.; s. zu den Haftbedingungen Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97 ff., insbesondere 103 ff. zum Vorwurf der Isolationsfolter; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 270 ff.).

[12] Ulrike Meinhof saß nach ihrer Verhaftung am 15. Juni 1972 zunächst in Köln-Ossendorf in Untersuchungshaft, bevor sie im April 1974 nach Stuttgart-Stammheim verlegt wurde. In Ossendorf befand sich der von den Angeklagten so bezeichnete „Tote Trakt“, ein vom regulären JVA-Betrieb isolierter Bereich in der psychiatrischen Frauenabteilung der JVA (s. zu den dortigen Haftbedingungen Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 95 ff.). Dort war Ulrike Meinhof für ca. 8 Monate untergebracht, bevor sie zunächst in eine andere Abteilung und später nach Stuttgart-Stammheim verlegt wurde (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97 ff.). Meinhof beschrieb den Zustand im Trakt mit den Worten: „Das Gefühl, es explodiert einem der Kopf (das Gefühl, die Schädeldecke müsste eigentlich zerreißen, abplatzen) - das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepresst [...]. das Gefühl, die Zelle fährt [...] rasende Aggressivität, für die es kein Ventil gibt. Das ist das Schlimmste. Klares Bewußtsein, daß man keine Überlebenschance hat [...]“ (Erklärung von Ulrike Meinhof, abgedruckt in Stuberger, „In der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a.“, 5. Aufl. 2014, S. 103 ff.; s. auch die Ausführungen im Antrag der Angeklagten am 5. Verhandlungstag, Anlage 1 zum Protokoll vom 12.6.1975, insbes. die S. 425 ff. des Protokolls bzw. 20 ff. der Anlage).

[13] Holger Meins war ursprünglich Mitangeschuldigter im Stammheim-Prozess, starb aber noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) am 9. November 1974 in Untersuchungshaft in Wittlich an den Folgen des dritten Hungerstreiks. Für seinen Tod machten die Angeklagten staatliche Akteure, u.a. den Vorsitzenden Dr. Prinzing sowie die Bundesanwaltschaft verantwortlich (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 117 ff.).

[14] Im siebten Stock der JVA Stuttgart-Stammheim befanden sich die Haftzellen der Angeklagten (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 127 ff.).

[15] Der/Die Vorsitzende leitet die Hauptverhandlung (§ 238 Abs. 1 StPO). Davon umfasst ist auch die Entziehung des Wortes im Falle des Missbrauchs der Worterteilung (Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 238 Rn. 5).

[16] Roe v. Wade ist eine Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1973, in welcher der US Supreme Court entschied, dass das Recht, eine Schwangerschaft abzubrechen, grundsätzlich vom right of privacy umfasst sei. Dem stehe allerdings das Recht und die Pflicht des Staates entgegen, das „ungeborene Leben“ zu schützen. Dabei erstarke das Interesse des Staates Abtreibungen zu regulieren mit fortlaufender Schwangerschaft, weshalb das Recht des Staates, Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe zu stellen, ab dem Moment der Lebensfähigkeit des Fötus’ (damals: 28. Schwangerschaftswoche) angenommen wurde (Roe v. Wade, 410 U.S. 113 [1973]).

[17] Die Staatsanwaltschaft hat nach § 160 Abs. 2 StPO „nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln“. Sie wird daher - häufig ironisch - die „objektivste Behörde der Welt“ genannt. Diese Formulierung geht auf ein Zitat von Franz von Liszt aus dem Jahr 1901 zurück: „Durch die Aufstellung des Legalitätsprinzips, durch die dem Staatsanwalt auferlegte Verpflichtung, in gleicher Weise Entlastungs- wie Belastungsmomente zu prüfen, durch das ihm eingeräumte Recht, Rechtsmittel zu Gunsten des Beschuldigten einzulegen, u.s.w. könnte ein bloßer Civiljurist zu der Annahme verleitet werden, als wäre die Staatsanwaltschaft nicht Partei, sondern die objektivste Behörde der Welt. Ein Blick in das Gesetz reicht aber aus, um diese Entgleisung als solche zu erkennen. Es genügt der Hinweis auf § 147 GVG: ‚Die Beamten der Staatsanwaltschaft sind verpflichtet, den dienstlichen Anweisungen ihrer Vorgesetzten nachzukommen.‘“ (aus einem Vortrag vor dem Berliner Anwaltsverein, DJZ1901, S. 179, 180).

[18] Rechtsanwalt Dr. Heldmann bezieht sich auf einen Beschluss, mit dem die Ablehnung des Vorsitzenden Dr. Prinzing wegen Besorgnis der Befangenheit zurückgewiesen wurde (Anlage 2 zum Protokoll vom 20. Juni 1975, S. 712 ff. des Protokolls, 8. Verhandlungstag). S. hierzu auch die Ausführungen von Rechtsanwalt von Plottnitz am selben Verhandlungstag, S. 733 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung.

[19] Sachleitungsbezogene Anordnungen des/der Vorsitzenden können als unzulässig beanstandet werden (§ 238 Abs. 2 StPO). Über die Beanstandung entscheidet sodann das Gericht, in diesem Fall der Senat in voller Besetzung.

[20] Die Hauptverhandlung fand in dem sog. Mehrzweckgebäude (auch „Mehrzweckhalle“) statt, einem Gerichtsgebäude aus Stahl und Beton, das in Vorbereitung auf den Prozess unmittelbar neben dem Gefängnis für etwa 12 Millionen DM errichtet wurde (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 69; krit. hierzu auch Tenfelde, Die Rote Armee Fraktion und die Strafjustiz, 2009, S. 100 f.).

[21] Am 1. Januar 1975 traten das Erste Strafverfahrensreformgesetz vom 9. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3393) sowie das Ergänzungsgesetz hierzu vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) in Kraft. Hierdurch wurden u.a. die Möglichkeit des Verteidiger/innenausschlusses (§ 138a StPO), die Beschränkung auf drei Wahlverteidiger/innen pro Beschuldigte/n (§ 137 Abs. 1 S. 2 StPO), das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO), sowie die Möglichkeit, den Prozess im Falle vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführter Verhandlungsunfähigkeit bis zum Abschluss der Vernehmung der Angeklagten zur Sache auch in ihrer Abwesenheit durchzuführen (§ 231a StPO), eingeführt. Durch diese und weitere Reformen während der Hauptverhandlung wurden die Rechte der Angeklagten sowie der Verteidigung erheblich eingeschränkt (Tenfelde, Die Rote Armee Fraktion und die Strafjustiz, 2009, S. 72 ff.). Da viele der Vorschriften im Hinblick auf das anstehende Stammheimer Verfahren beschlossen wurden, wurden sie u.a. als „lex RAF“ kritisiert. (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 132 ff.). Sie sind überwiegend noch heute in Kraft.

[22] S. bereits Fn. 3.

[23] Am 24. April 1975 überfiel das RAF-Kommando „Holger Meins“ die deutsche Botschaft in Stockholm und forderte die Freilassung von 26 inhaftierten RAF-Mitgliedern, darunter von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Dem Kommando gehörten Karl-Heinz Dellwo, Siegfried Hausner, Hanna Krabbe, Bernhard Rössner, Lutz Taufer und Ulrich Wessel an. Zur Durchsetzung ihrer Forderungen nahmen sie zwölf Geiseln, von denen sie zwei erschossen. Anders als zwei Monate zuvor bei der Lorenz-Entführung durch die Bewegung 2. Juni lehnte die Bundesregierung nun Verhandlungen mit den Geiselnehmer/innen ab. Ihr Ende fand die Geiselnahme durch eine nicht geklärte Sprengstoffexplosion im Inneren des Botschaftsgebäudes, die sich noch vor dem Zugriff schwedischer Sicherheitskräfte ereignete. Bei der Explosion wurde Ulrich Wessel tödlich verletzt. Siegfried Hausner erlag seinen Verletzungen Anfang Mai 1975 in der JVA-Stammheim. Die übrigen vier Geiselnehmer/innen wurden verhaftet und am 20. Juli 1977 zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt (Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 361 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 69).

[24] Trotz schwerster Brandverletzungen, die Siegfried Hausner bei der ungeklärten Explosion im Rahmen des Stockholm-Attentats erlitt, wurde er wenige Tage später in die Bundesrepublik ausgeliefert und auf die Intensivstation der JVA Stammheim verlegt, wo er wenige Tage später verstarb (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 512. 515 f.; Forsbach, Die 68er und die Medizin, 2011, S. 95 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 766 Anm. 80). Den Tod Hausners bezeichneten die Angeklagten als Mord (Ulrike Meinhof am 19. Verhandlungstag, S. 1544 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[25] Der Grundsatz „roma locuta, causa finita“ hat seinen Ursprung im Kirchenrecht und bedeutet: „Rom hat gesprochen, die Sache ist entschieden“. Das kirchliche Gesetzbuch (Codex Iuris Canonici - CIC) regelt in can. 211 § 1: „Was die geistlichen Hirten in Stellvertretung Christi als Lehrer des Glaubens erklären oder als Leiter der Kirche bestimmen, haben die Gläubigen im Bewußtsein ihrer eigenen Verantwortung in christlichem Gehorsam zu befolgen“ (Tillmanns, NJW 2001, S. 873).

[26] Ab dem Zeitpunkt der Erhebung der öffentlichen Klage ist das Gericht der Hauptsache zuständig für den Vollzug der Untersuchungshaft und damit auch für Entscheidungen über die Haftbedingungen (§ 126 Abs. 2 StPO).

[27] Nach Art. 316 Abs. 3 Satz 2 EGStGB a.F. durfte Einzelhaft - bezogen allerdings auf die Strafhaft, nicht auf Untersuchungshaft - ohne Einwilligung der inhaftierten Person die Dauer von insgesamt drei Jahren nicht übersteigen.

[28] Für den Vollzug von Untersuchungshaft und Strafhaft gelten unterschiedliche Vorschriften (Untersuchungshaft: zum damaligen Zeitpunkt § 119 Abs. 3 StPO a.F. i.V.m. der Untersuchungshaftvollzugsordnung; heute: Landesgesetze; Strafhaft: damals noch geregelt durch die Dienst- und Vollzugsordnung von 1961, die durch das Bundesverfassungsgericht allerdings nicht als ausreichende Rechtsgrundlage angesehen wurde [BVerfG, Beschl. v. 14.3.1972 - Az.: 2 BvR 41/71, BVerfGE 33, S. 1]; ab dem 1.1.1977 daher: Strafvollzugsgesetz; seit der Föderalismusreform 2006 zu einem großen Teil ersetzt durch Landesgesetze). Im Unterschied zur Strafhaft gibt es bei der Untersuchungshaft gerade noch kein rechtskräftiges Urteil, sodass weiterhin die Unschuldsvermutung gilt. Aus diesem Grund ist die Anordnung von Untersuchungshaft als Ausnahmeregelung an strenge Voraussetzungen geknüpft und muss stets mit dem Zweck der Sicherung des Strafverfahrens abgewogen werden (BVerfG, Beschl. v. 15.12.1965 - Az.: 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, S. 342, 347; Kühne, Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2015, Rn. 425 ff.).

[29] § 119 Abs. 3 StPO a.F. lautete: „Dem Verhafteten dürfen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordert.“ Zweck der Untersuchungshaft ist die Sicherung des Verfahrens, sodass alle Maßnahmen der Untersuchungshaft hieran auszurichten sind (BVerfG, Beschl. v. 15.12.1965 - Az.: 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, S. 342, 347).

[30] Während bis zum 31.12.1974 die sog. Blockverteidigung - die kollektive Verteidigung mehrerer Angeklagter bei gleicher Interessenlage - zulässig war, wurde durch das Ergänzungsgesetz zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) mit Wirkung zum 1.1.1975 das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) eingeführt. Jede/r Verteidiger/in durfte fortan nur noch eine/n Angeklagte/n vertreten, mithin auch nur im Namen des/der jeweiligen Angeklagten sprechen. Auf die Einhaltung dieser Vorgaben achtete der Vorsitzende Dr. Prinzing in der Regel sehr genau (s. dazu etwa die Diskussion am 4. Verhandlungstag, S. 279 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, sowie am 12. Verhandlungstag, S. 928 f. des Protokolls).

[31] Bobby Seale gründete gemeinsam mit Huey Newton 1966 in Oakland (Kalifornien) die Black Panther Party for Self-Defense (BBP), eine militante Gruppierung innerhalb der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Seale war einer der „Chicago Eight“, die 1969 vor Gericht standen, weil sie entgegen der Bestimmungen des Civil Rights Acts von 1968 Staatsgrenzen überschritten hatten, um an der Democratic National Convention in Chicago teilzunehmen. Während des Prozesses wurde Seale nach mehrmaligen Wutausbrüchen im Gerichtssaal gefesselt und geknebelt und schließlich wegen Missachtung des Gerichts zu vier Jahren Haft verurteilt (Weidman, in Levy[Hrsg.], The Civil Rights Movement in America, 2015, S. 293 ff.).

[32] Andreas Baader saß noch bis zum 1. November 1974, Gudrun Ensslin bis zum 1. August 1974 in Strafhaft. Sie verbüßten jeweils den Rest einer dreijährigen Haftstrafe, zu der sie im sog. Frankfurter Kaufhausbrandstiftungsprozess verurteilt wurden (s. S. 2378 des Protokolls der Hauptverhandlung, 29. Verhandlungstag). Am 2. April 1968 verübten sie zusammen mit Thorwald Proll und Horst Söhnlein Brandanschläge auf Kaufhäuser in Frankfurt am Main, bei denen zwar erhebliche Sachschäden entstanden, aber keine Menschen verletzt wurden. Die Kaufhausbrandstiftungen zählen zu den ersten politischen Gewalttaten von Baader und Ensslin vor Gründung der RAF. Motiviert wurden sie durch eine Kampagne der Kommune I, die eine Brandtragödie mit mehr als 200 Toten in einem Brüsseler Kaufhaus im Jahr 1967 für Kritik am Vietnamkrieg nutzte. Im Oktober 1968 begann der Prozess am Landgericht Frankfurt gegen Baader, Ensslin, Proll und Söhnlein. Mit Urteil vom 31.10.1968 wurden sie jeweils zu Haftstrafen in Höhe von drei Jahren verurteilt. Da der BGH auch im Juni 1969 noch nicht über die Revision entschieden hatte, das Urteil also noch nicht rechtskräftig war, und die in der Zwischenzeit in Untersuchungshaft verbrachte Zeit einer ausgeurteilten Haftstrafe angerechnet werden würde, hob das LG Frankfurt den Haftbefehl am 13. Juni 1969 vorläufig auf. Nachdem der BGH die Revision schließlich im November 1969 zurückgewiesen hatte, tauchten Baader, Ensslin und Proll unter (s. die Beiträge von Bressan/Jander und Hakemi/Hecken, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 398, 407 ff. und S. 316 f., 322 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 27 ff.).

[33] Carmen Roll war Teil des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK). Nach einem Schusswechsel mit der Polizei infolge einer Verkehrskontrolle bei Heidelberg und den anschließenden verstärkten Ermittlungen der Polizei gegen das SPK ging sie in die Illegalität zur RAF. Am 2. März 1972 wurde sie in Augsburg wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verhaftet und am 19. Juli 1973 zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 80 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 761 f. Anm. 60).

[34] Der CDU-Politiker und Spitzenkandidat bei der Wahl um das Berliner Abgeordnetenhaus Peter Lorenz wurde am 27. Februar 1975 von der Bewegung 2. Juni entführt und in einem „Volksgefängnis“ in Berlin-Kreuzberg festgehalten. Im Austausch gegen Lorenz wurde die Freilassung von sechs Gefangenen gefordert: Verena Becker, Rolf Heißler, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Horst Mahler, Rolf Pohle und Ingrid Siepmann. Die Bundesregierung unter Kanzler Schmidt ging auf die Forderungen ein: Bis auf Horst Mahler, der das Angebot ablehnte, bestiegen am 3. März 1975 die anderen fünf Inhaftierten mit dem ehemaligen West-Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz als Vermittler eine Maschine der Lufthansa nach Aden im Jemen. Nach der erfolgreichen Ankunft wurde Lorenz am 4. März freigelassen (Dahlke, in Hürter/Rusconi [Hrsg.], Die bleiernen Jahre, 2010, S. 31, 36 ff.; Korndörfer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 37, 250 ff.). Die Bewegung 2. Juni benannte sich nach dem Todestag des Studenten Benno Ohnesorg, der am 2.6.1967 bei einer Demonstration der Studentenbewegung gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien durch einen Polizisten erschossen wurde (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 21 f.).

[35] S. Fn. 23.

[36] Bei der Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) handelt es sich nicht um ein förmliches Gesetz, sondern um eine Verwaltungsvorschrift des Bundes zur Ausgestaltung der Untersuchungshaft, die sich an die Leitungen der Haftanstalten richtet. Für Gerichte ist sie nicht bindend (BVerfG, Beschl. v. 19.2.1963 - Az.: 1 BvR 610/62, BVerfGE 15, S. 288, 294). Trotz der spätestens nach der Grundsatzentscheidung des BVerfG zur Strafhaft (BVerfG, Beschl. v. 14.3.1972 - Az.: 2 BvR 41/71, BVerfGE 33, S. 1) aufkommenden Zweifel an einer zureichenden rechtsstaatlichen (nämlich gesetzlichen) Grundlage scheiterten alle Bemühungen um ein Bundesuntersuchungshaftvollzugsgesetz. Erst nachdem mit der Föderalismusreform 2006 die Gesetzgebungskompetenz auf die Länder überging, machten diese diese sämtlich von ihrer Ersetzungskompetenz (Art. 125a Abs. 1 GG) Gebrauch und erließen entsprechende Landesgesetze (Höflich/Schriever/Bartmeier, Grundriss Vollzugsrecht, 4. Auf. 2014, S. 229 f.; Laubenthal, Strafvollzug, 6. Aufl. 2011, Rn. 929, 933).

[37] Nachdem Andreas Baader Anfang April 1970 bei einer Verkehrskontrolle in Berlin verhaftet worden war, gelang es einer Gruppe um Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Irene Goergens und Ingrid Schubert, ihn am 14. Mai 1970 zu befreien. Als Ort der Aktion diente die Bibliothek Zentralinstituts für Soziale Fragen in Berlin-Dahlem, wo Baader unter Bewachung von zwei Vollzugsbeamten ein Gespräch mit Ulrike Meinhof für ein Buchgespräch zugestanden worden war. Während der Aktion wurde ein Schuss auf einen unbeteiligten Bibliotheksmitarbeiter abgegeben, der schwer verletzt wurde. Die gewaltsame Befreiung Baaders aus der Haft wird auch als „Geburtsstunde der RAF“ bezeichnet. Auch Ulrike Meinhof lebte von nun an in der Illegalität (Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 177 ff.; Wieland, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, 2006, S. 332, 343).

[38] Ab dem 29.1.1976 wurde die Freiheitsstrafe schließlich vollstreckt (s. den entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden Dr. Prinzing am 71. Verhandlungstag, S. 6396 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[39] S. Fn. 29.

[40] Die Hauptverhandlung beginnt nach dem Aufruf der Sache und Feststellung der Anwesenheit mit der Vernehmung der Angeklagten zur Person, an die sich die Verlesung der Anklage (heute außerdem: Mitteilung über ggf. stattgefundene Erörterungen) sowie die Vernehmung der Angeklagten zur Sache anschließen. Hierauf folgt die Beweisaufnahme (§§ 243, 244 StPO). Aufgrund vorrangiger Anträge fand die Vernehmung zur Person sowie die Verlesung der Anklageschrift erst am 26. Verhandlungstag statt.

[41] 1965 erschien in der DDR das „Braunbuch: Kriegs- und Naziverbrecher der Bundesrepublik und West-Berlin“, das in insgesamt 6 Broschüren erschien. Es enthielt Listen mit Daten westdeutscher öffentlicher Personen, die tatsächlich oder vermeintlich weit mit dem nationalsozialistischen Regime verstrickt waren. Herausgegeben wurde es von dem Politbüro-Mitglied Albert Norden. Die Listen wurden in der Bundesrepublik weitestgehend als Propaganda eingestuft, trugen jedoch auch einen Teil zur strafrechtlichen Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen bei (Törmer, „Selbstamnestierung der Justiz“, in Fischer/Lorenz [Hrsg.], Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland, 3. Aufl. 2015, S. 104 ff.).

[42] Am 7. Verhandlungstag trug Rechtsanwalt Schily im Namen seiner Mandantin Gudrun Ensslin eine Ablehnung des Vorsitzenden Dr. Prinzing wegen Besorgnis der Befangenheit vor (S. 640 bis 694 des Protokolls der Hauptverhandlung). Die Ablehnung stützte sich auf die Umstände, unter denen der frühere Mitbeschuldigte Holger Meins in der Untersuchungshaft verstorben war. Da der Senat ab Erhebung der öffentlichen Klage für Entscheidungen über die Haftbedingungen zuständig war (§ 126 Abs. 2 StPO), warfen die Angeklagten dem Senat, insbesondere aber dem Vorsitzenden Dr. Prinzing vor, Holger Meins ermordet zu haben. Die Bundesanwaltschaft wiederum warf Schily in ihrer Stellungnahme vor, an der „psychische[n] und physische[n] Vernichtung eines Richters“ mitzuwirken (S. 694 des Protokolls der Hauptverhandlung, 7. Verhandlungstag).

[43] Dr. Henck war während des Prozesses als Anstaltsarzt in Stuttgart-Stammheim tätig. Er wurde als erster Sachverständiger zur Frage der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten angehört. Zur Vernehmung des Herrn Dr. Henck s. S. 357 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (5. Verhandlungstag), S. 937 ff. (12. Verhandlungstag) und S. 1725 ff. (21. Verhandlungstag).

[44] Eine Gegenvorstellung ist ein Rechtsbehelf, der zwar nicht in der Strafprozessordnung vorgesehen, allerdings in Rechtsprechung und Literatur überwiegend anerkannt ist. Sie beinhaltet die formlose Aufforderung, über eine getroffene Entscheidung erneut zu befinden und die Entscheidung aufzuheben oder abzuändern (Hoch, in Satzger/Schluckebier/Widmaier [Hrsg.], Strafprozessordnung, 4. Aufl. 2020, Vor §§ 296 ff. Rn. 39 ff.).

[45] S. bereits Fn. 24.

[46] Noch bevor die drei früheren Verteidiger Baaders, die Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele, auf Grundlage des neu geschaffenen § 138a StPO wegen des Verdachtes der Tatbeteiligung - Unterstützung der kriminellen Vereinigung RAF - von der Mitwirkung im Verfahren ausgeschlossen wurden (s. dazu Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 156 ff.), hatte der Vorsitzende Dr. Prinzing ihre Bestellung als Pflichtverteidiger für Andreas Baader mit Verfügung vom 3.2.1975 aufgehoben, da „nicht ausschließen [sei], daß sie von den Bestimmungen über den Ausschluß von Verteidigern im Strafverfahren betroffen werden könnten“ (so der Vorsitzende Dr. Prinzing am 3. Verhandlungstag, S. 235 f.). Die hiergegen erhobenen Verfassungsbeschwerden wurden mit Beschluss vom 8.4.1975 (Az.: 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, S. 238) verworfen.

[47] Den Rechtsanwälten Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele wurde die Unterstützung der kriminellen Vereinigung RAF, die die Inhaftierten auch aus der Haft heraus fortführen würden, vorgeworfen. Gegen sie wurden entsprechende Ermittlungsverfahren wegen der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB eingeleitet. Am 23. Juni 1975 wurden die Kanzleiräume der Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele sowie der Rechtsanwältin Becker durchsucht. Rechtsanwältin Becker wurde einen halben Tag festgehalten und schließlich wieder entlassen, Dr. Croissant und Ströbele wurden verhaftet (s. hierzu die Ausführungen des Rechtsanwalts Dr. Heldmann am 9. Verhandlungstag, S. 748 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, und der Rechtsanwältin Becker, S. 754 f. des Protokolls). Rechtsanwalt Dr. Croissant wurde am 16.2.1979 vom LG Stuttgart zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten, Rechtsanwalt Groenewold am 10.7.1978 vom OLG Hamburg zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung und Rechtsanwalt Ströbele am 24.3.1982 vom LG Berlin zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten auf Bewährung verurteilt. Gegen Rechtsanwalt Dr. Croissant wurde ein vierjähriges Berufsverbot verhängt (Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 52), gegen Rechtsanwalt Groenewold ein Teilberufsverbot für Strafsachen für die Dauer von fünf Jahren, wovon zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits vier durch ein vorläufiges Berufsverbot abgegolten waren (Interview mit K. Groenewold, in Diewald-Kerkman/Holtey [Hrsg.], Zwischen den Fronten, 2013, S. 49, 70 f.).

[48] Da zum Zeitpunkt des Todes von Holger Meins (s. Fn. 13) der Senat als Gericht der Hauptsache zuständig für den Vollzug der Untersuchungshaft und damit auch für Entscheidungen über die Haftbedingungen (§ 126 Abs. 2 StPO) war, machten die Angeklagten insbesondere den Vorsitzenden Dr. Prinzing unmittelbar hierfür verantwortlich. Gegen ihn (und weitere) erstattete Rechtsanwalt von Plottnitz im Namen von Meins’ Angehörigen sowie im eigenen Namen Strafanzeige wegen Mordes (Auszüge der Strafanzeige sind abgedruckt in Stuberger, „In der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a.“, 5. Aufl. 2014, S. 195 f.; vollständig, aber schlecht lesbar, befindet sich die Strafanzeige auch im Anhang zu Anlage 1 zum Protokoll vom 19. Juni 1975, 7. Verhandlungstag, S. 644 ff.). Eine auf die Ereignisse um den Tod Holger Meins’ gestützte Ablehnung des Vorsitzenden Dr. Prinzing durch die Angeklagte Ensslin findet sich in Anlage 1 zum Protokoll vom 19. Juni 1975 (7. Verhandlungstag, S. 620 ff.). Die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden Dr. Prinzing befindet sich auf S. 677 ff. (ebenfalls 7. Verhandlungstag).

[49] Werner Maihofer (FDP) war von 1974 bis 1978 Bundesminister des Innern. Das Bundesinnenministerium veröffentlichte im Dezember 1974 unter seiner Leitung eine 165-Seiten-lange Dokumentation, die u.a. amtliche und für das Stammheim-Verfahren relevante Dokumente enthielt, die überwiegend bei verschiedenen Zellendurchsuchungen aufgefunden worden waren (s. zur sog. Maihofer-Dokumentation Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 124 ff.).

[50] Die Veröffentlichung solcher Bestandteile eines Strafverfahrens ist strafbar gem. § 353d Nr. 3 StGB, solange diese noch nicht Bestandteil einer öffentlichen Verhandlung waren oder das Verfahren abgeschlossen ist. Ein entsprechendes Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft aber laut Rechtsanwalt Schily unter Heranziehung des übergesetzlichen Notstands ein (s. seine Ausführungen auf S. 2287 des Protokolls der Hauptverhandlung, 28. Verhandlungstag). „Übergesetzlich“ wurde dieser Rechtfertigungsgrund deshalb genannt, weil er in der Rechtsprechung entwickelt wurde und gesetzlich (noch) nicht geregelt war. Erst durch das Zweite Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969 (BGBl. I, S. 717) wurden die so entwickelten Grundsätze im Zuge einer Neustrukturierung des Allgemeinen Teils des StGB mit Wirkung zum 1.1.1975 in § 34 StGB („Rechtfertigender Notstand“) konkretisiert. Nicht rechtswidrig handelt demnach, „[w]er in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden [...], wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“ Ob und in welchem Umfang dieser Rechtfertigungsgrund auf hoheitliche Handlungen anwendbar ist, ist umstritten. Die Anwendbarkeit wird jedenfalls verneint, soweit bestimmte Interessenkollisionen zwischen Staat und Bürger/in in Form von staatlichen Eingriffsbefugnissen bereits durch speziellere Normen geregelt sind. Fehlen entsprechende Eingriffsbefugnisse, oder sind die vorhandenen als nicht abschließend einzustufen, wird ein Rückgriff hierauf überwiegend nicht ausgeschlossen (BGH, Beschl. v. 23.9.1977 - Az.: 1 BJs 80/77 - StB 215/77, BGHSt 27, S. 260, 262 f.; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil Band 1, 5. Aufl. 2020, § 16 Rn. 103 f; a.A. Zieschang, in Hohn/Rönnau/Zieschang [Hrsg.], Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 3, 13. Aufl. 2019, § 34 Rn. 7 ff.).

[51] Siegfried Buback war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung Generalbundesanwalt und damit Leiter der Strafverfolgungsbehörde „Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof“, welche das Amt der Staatsanwaltschaft beim BGH (§ 142 Nr. 1 GVG), sowie in den zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug gehörenden Strafsachen (§ 120 Abs. 1 und 2 GVG) ausübt (§ 142a Abs. 1 GVG).

[52] Baader bezieht sich hier auf den Film „Moses und Aron“ des Filmemacherpaares Jean-Marie Straub und Danièle Huillet. Ihrem Film stellten die beiden eine Widmung an Holger Meins voran, die jedoch der Zensur durch die ARD-Programmdirektoren zum Opfer fiel, die fürchteten, eine solche Widmung könne als politische Demonstration missverstanden werden (DER SPIEGEL, Ausgabe 13/1975 vom 24.3.1975, S. 140).

[53] Seit ihrer Festnahme am 4. Februar 1974 warteten fast ein Dutzend RAF-Mitglieder auf die Eröffnung der Hauptverhandlung in Hamburg: Ilse Stachowiak wurde zusammen mit Christa Eckes, Helmut Pohl und Eberhard Becker in Hamburg festgenommen. Kay-Werner Allnach und Wolfgang Beer wurden mit Margrit Schiller in Frankfurt/Main aufgegriffen. Axel Achterrath und Ekkehard Blenck wurden in Amsterdam verhaftet (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 116). Die Gefangenen wurden am 28. September 1976 vom Landgericht Hamburg zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 122; Stuberger, Die Akte RAF, 2008, S. 263; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 54. f.). Ebenfalls in Hamburg inhaftiert waren Irmgard Möller und Gerhard Müller, deren Hauptverhandlung vor dem LG Hamburg am 30. Juni 1975 begann. Möller saß bereits seit ihrer Festnahme am 8. Juli 1972 in der JVA Hamburg (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 111). Während ihrer Inhaftierung in der JVA Hamburg waren einige Häftlinge wie Margrit Schiller und Wolfgang Grundmann besonders strengen Haftbedingungen ausgesetzt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 285).

[54] § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO a.F. (heute: Abs. 5 Satz 1) schreibt vor, dass Angeklagte vor der Vernehmung zur Sache darauf hingewiesen werden müssen, dass es ihnen freistehe, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Unterbleibt diese Belehrung, so kann das Urteil mit dem Rechtsmittel der Revision angegriffen werden. Das Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler, welches für eine erfolgreiche Revision erforderlich ist (§ 337 Abs. 1 StPO), ist aber ausgeschlossen, wenn sicher ist, dass die/der Angeklagte diese Rechte bereits kannte (Arnoldi, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 243 Rn. 99).

[55] Für die Behandlung von Kriegsgefangenen gelten nach dem humanitären Völkerrecht (welches im internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt anwendbar ist) besondere Bestimmungen. Diese sind im Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen (III. Genfer Konvention) von 1949, sowie in den beiden Zusatzprotokollen von 1977 niedergelegt. Danach sind Kriegsgefangene jederzeit mit Menschlichkeit zu behandeln (Art. 13 der III. Genfer Konvention), sie haben unter allen Umständen Anspruch auf Achtung ihrer Person und ihrer Würde (Art. 14 der III. Genfer Konvention). In Art. 13 heißt es außerdem: „Jede unerlaubte Handlung oder Unterlassung seitens des Gewahrsamsstaates, die den Tod oder eine schwere Gefährdung der Gesundheit eines in ihrem Gewahrsam befindlichen Kriegsgefangenen zur Folge hat, ist verboten und als schwere Verletzung des vorliegenden Abkommens zu betrachten.“ Am 65. Verhandlungstag reklamierte Prof. Dr. Azzola, Verteidiger von Ulrike Meinhof, für die Angeklagten den Status von Kriegsgefangenen und beantragte, die Angeklagten in Kriegsgefangenschaft zu überführen (S. 5673 ff. des Protokolls).

[56] Am 1. Januar 1975 traten das Erste Strafverfahrensreformgesetz vom 9. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3393) sowie das Ergänzungsgesetz hierzu vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) in Kraft. Hierdurch wurden u.a. die Möglichkeit des Verteidiger/innenausschlusses (§ 138a StPO), die Beschränkung auf drei Wahlverteidiger/innen pro Beschuldigte/n (§ 137 Abs. 1 S. 2 StPO), das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO), sowie die Möglichkeit, den Prozess im Falle vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführter Verhandlungsunfähigkeit bis zum Abschluss der Vernehmung der Angeklagten zur Sache auch in ihrer Abwesenheit durchzuführen (§ 231a StPO), eingeführt. Durch diese und weitere Reformen während der Hauptverhandlung wurden die Rechte der Angeklagten sowie der Verteidigung erheblich eingeschränkt (Tenfelde, Die Rote Armee Fraktion und die Strafjustiz, 2009, S. 72 ff.). Da viele der Vorschriften im Hinblick auf das anstehende Stammheimer Verfahren beschlossen wurden, wurden sie u.a. als „lex RAF“ kritisiert. (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 132 ff.). Sie sind überwiegend noch heute in Kraft.

[57] Da die Beiordnung als Pflichtverteidiger/in dem öffentlichen Interesse dient, dafür zu sorgen, dass Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhalten und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfG, Beschl. v. 8.4.1975 - Az.: 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, S. 238, 242), gehen mit ihr besondere Pflichten einher. Darunter fällt auch die Anwesenheitspflicht während der Hauptverhandlung, und zwar unabhängig davon, ob weitere (Pflicht-)Verteidiger/innen anwesend sind (OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2015 - Az: 2 Ws 203/15, NStZ 2017, S. 436, 437 f.).

[58] Zusammenhängende Strafsachen, die einzeln zur Zuständigkeit von Gerichten verschiedener Ordnung (Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht, Bundesgerichtshof) gehören, können nach § 2 Abs. 1 Satz 1 StPO verbunden werden und so gemeinsam bei dem Gericht der höheren Ordnung anhängig gemacht werden. Daraus wird der Schluss gezogen, dass dies erst recht möglich sein muss, wenn die zusammenhängenden Strafsachen zur Zuständigkeit von Gerichten gleicher Ordnung gehören (Börner, in Satzger/Schluckebier/Widmaier [Hrsg.], Strafprozessordnung, 4. Aufl. 2020, § 2 Rn. 8). Ein Zusammenhang ist nach § 3 StPO etwa gegeben, wenn eine Person mehrerer Straftaten beschuldigt wird oder wenn bei einer Tat mehrere Personen als Täter/in oder Teilnehmer/in beschuldigt werden. In diesem Verfahren liegen beide Fälle vor: Die Angeklagten werden einzeln mehrerer Taten beschuldigt, zudem wird ihnen bei den meisten dieser Taten eine gemeinschaftliche Begehung als Mittäter/innen vorgeworfen.


[a] Maschinell eingefügt: Herr RA.?

[b] Handschriftlich eingefügt: über

[c] Handschriftlich eingefügt: muffigen

[d] Handschriftlich ersetzt: V.: durch Dr. Foth:

[e] Maschinell durchgestrichen: Berichtliche

[f] Maschinell eingefügt: wecken

[g] Handschriftlich ersetzt: Begünstigungen durch Vergünstigungen

[h] Maschinell eingefügt: Angekl. Baa.: Inwiefern nicht?

[i] Handschriftlich durchgestrichen: zur

[j] Maschinell durchgestrichen: Entscheidung i

[k] Handschriftlich ersetzt: wolle durch will

[l] Handschriftlich eingefügt: ist

[m] Handschriftlich ersetzt: ihr durch sie

[n] Handschriftlich ersetzt: hat durch haben

[o] Handschriftlich eingefügt: mit

[p] Maschinell eingefügt: jetzt

[q] Handschriftlich ergänzt: einen

[r] Handschriftlich ergänzt: einen

[s] Handschriftlich ersetzt: weiß durch weise

[t] Maschinell eingefügt: RA.R.: Er hat doch noch gar nicht angefangen.

[u] Handschriftlich eingefügt: in

[v] Maschinell eingefügt: bevor

[w] Maschinell eingefügt: die,

[x] Maschinell eingefügt: gegen