143. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 14. September 1976 um 9.05 Uhr



[11498] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 14. September 1976 um 9.05 Uhr.

(143. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft - mit Ausnahme von OStA Zeis - erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte sind anwesend:

Just. Ass. Clemens

Just. Ass. z. A. Scholze

Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]

Als deren Verteidiger sind erschienen

Rechtsanwälte Künzel, Schnabel, Schwarz, Schlaegel und Grigat.

Als Zeugin ist erschienen:

Ingeborg Müller

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort. Herr Rechtsanwalt Eggler läßt sich oder hat sich für heute früh entschuldigt, er wird durch Herrn Rechtsanwalt Dr. Augst vertreten. Die Vertretung wird genehmigt, Herr Dr. Augst kommt ja bekanntermaßen etwas später.

Zunächst ist für heute vorgesehen die Vernehmung von Frau Müller als Zeugin.

Die Zeugin wird gemäß §§ 57 und 55 StPO[2] belehrt.

Während der Belehrung der Zeugin Müller: RA Dr. Heldmann und RA Oberwinder erscheinen um 9.07 Uhr im Sitzungssaal.

Die Zeugin ist mit der Aufnahme ihrer Aussage auf das Gerichtstonband nicht einverstanden.[3]

In der Folge wird das Tonbandgerät ausgeschaltet, solange sich die Zeugin äußert.

[11499] Vors.:

Herr Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich habe eine Bitte, vielleicht eine kurze Pause zu machen bis Herr Schily hier ist, der den Beweisantrag gestellt hat. Es war ihm aus terminlichen Gründen nicht möglich, gestern abend schon von Berlin herzufliegen, also kann er erst mit der ersten Maschine heute kommen und wird da so in einer guten Viertelstunde hier sein.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, ich bedaure. Ich meine, diese Situation ist ja nun hinlänglich bekannt, wir beginnen die Sitzung um 9.00 Uhr, und ein Verteidiger, zumal dann, wenn er Pflichtverteidiger[4] ist, hätte die Pflicht, pünktlichst um 9.00 Uhr hier zu sein.[5] Wir haben die Erfahrung gemacht, daß das grundsätzlich nicht der Fall ist am Dienstagmorgen; wir können darauf keine Rücksicht nehmen. Ich muß das also ablehnen.

Frau Müller, der Antrag von Herrn Rechtsanwalt Schily lautet: Sie sollen bekunden können - das heißt, ich muß Sie zunächst noch um Ihre Personalien bitten.

Die Zeugin Müller macht folgende Angaben zur Person:

Ingeborg Müller

46 Jahre alt, Arbeiterin,

Hochdorf bei Nagold.

Mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert;

wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.

Vors.:

Nochmals also, das Beweisthema lautet: Sie sollen bekunden können, daß Ihrem Sohn von Ermittlungsbeamten für den Fall, daß er Aussagen mache, in Aussicht gestellt worden sei, daß die von ihm zu erwartende Strafe auf die Hälfte ermäßigt werde, daß er groß rauskommen werde und daß ihm Pressekontakte und entsprechende Honorare vermittelt werden würden.

Das ist etwas verwickelt, der Text. Haben Sie’s verstanden? Soll ich’s Ihnen näher erläutern?

Zeugin Mü[ller]:

Ja, es wäre besser.

Vors.:

Wäre besser. Sie wissen, daß Ihr Sohn im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen Mitglieder der sogenannten „RAF“ Aussagen gemacht hat.[6] Trifft es zu, daß im Zusammenhang mit Bemühungen der Ermittlungsbehörden, Ihren Sohn zu vernehmen, Ermittlungsbeamte auch zu Ihnen gekommen sind, um mit Ihnen darüber zu sprechen?

[11500] Zeugin Mü[ller]:

Mit mir?

Vors.:

Ja.

Zeugin Mü[ller]:

Nein.

RA Dr. Augst, als Vertreter von RA Eggler, erscheint um 9.11 Uhr im Sitzungssaal.

Vors.:

Es ist bereits, Herr Dr. Augst, mitgeteilt worden, daß Ihre Vertretung[a] genehmigt ist.

(Zu der Zeugin): Haben Sie überhaupt keinen Besuch von Ermittlungsbeamten, etwa in Hochdorf, gehabt oder bei Gelegenheit des Besuchs Ihres Sohnes?

Zeugin Mü[ller]:

Ich weiß nicht, wie ich das beantworten soll. Daß sie bei mir waren in der Wohnung?

Vors.:

Beispielsweise.

Zeugin Mü[ller]:

Ja, während der Verhandlung da in Stuttgart oder?

Vors.:

Nein.

Zeugin Mü[ller]:

Vorher?

Vors.:

Überhaupt. Es könnte ja sein, und so sieht es die Verteidigung an, daß Ihr Sohn ursprünglich keine Aussagen machen wollte, daß man aber bemüht war, ihn zu Aussagen zu bewegen und sich dabei auch an Sie, die Eltern oder an die Mutter gewandt hat, um etwa darauf hinzuwirken, daß Sie dem Sohne dann sagen, es ist besser für dich, wenn du hier Angaben machst.

Zeugin Mü[ller]:

Das war gleich am Anfang, als er verhaftet worden ist wie wir da hochbestellt wurden; und dadurch wollten sie ja erreichen, daß er irgendwie aussagt.

Vors.:

Ihr Sohn ist verhaftet worden am 15. Juni 1972 ...

Zeugin Mü[ller]:

Ja, wissen Sie, ich bin ja jetzt viel zu aufgeregt, mir ist sowieso ganz schlecht.

Vors.:

Wollen Sie eine Pause haben, wenn Ihnen jetzt gerade nicht gut ist. Sie können sich ...

Zeugin Mü[ller]:

Mir ist sowieso nicht gut ...

Vors.:

Wir haben notfalls auch irgendeinen Sanitäter hier, der Ihnen ein Stärkungsmittel gibt, wenn Sie es für notwendig hielten.

Zeugin Mü[ller]:

Ja.

Vors.:

Wäre Ihnen das wichtig? Ja? Fühlen Sie sich im Augenblick nicht im Stande?

Zeugin Mü[ller]:

Mir ist gar nicht gut.

[11501] Vors.:

Frau Müller, dann machen wir jetzt mit Rücksicht auf Sie diese Pause.

Entschuldigung, es könnte sein, daß wir diese Zeit, die Frau abwesend ist, doch zu anderen Zwecken benützen könnten. Ich sehe eine Wortmeldung der Bundesanwaltschaft. Dann darf ich also zunächst mal die Unterbrechung der Vernehmung der Zeugin anordnen. Und wir wollen sehen, ob die Bundesanwaltschaft jetzt etwas vorzubringen hat.

Die Vernehmung der Zeugin Müller wird um 9.13 Uhr unterbrochen.

Die Zeugin verläßt den Sitzungssaal.

BA Dr. Wu[nder]:

Herr Vorsitzender, ich würde gerne die Pause nützen, beziehungsweise die Zeit bis zur Pause, um noch eine kurze Erklärung abzugeben. In der letzten Sitzung hat Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann im Rahmen eines Beweisantrages die Behauptung aufgestellt, daß die Polizei anläßlich der Festnahme des Angeklagten Baader in Frankfurt, Hofeckweg,[7] mit Dum-Dum-Munition geschossen habe. Wie sich schon aus einem im Sonderordner 91, Blatt 413 folgende enthaltenen schriftlichen Gutachten ergibt, ist dies unrichtig und ich kann diese Behauptung nicht im Raume stehen lassen. Ich habe hier die Hülse der verschossenen Patrone, und scharfe[b] Vergleichsmunition des Kalibers 7,62 x 51. Daraus ergibt sich nun einwandfrei, daß es sich bei dem am 1. Juni 72 verwendeten Geschoß um ein reguläres Vollmantelgeschoß und nicht um Hohlspitz-, Dum-Dum- oder ähnliche Munition handelt. Ich stelle dies dem Gericht und der Verteidigung zur Verfügung. Sollte der Antrag der Verteidigung aufrecht erhalten bleiben,

beantrage ich zum Beweis meiner Behauptung, daß am 1.6.72 reguläre Munition zur Verwendung gekommen ist, Kriminalhauptmeister Feiler von der Kriminalpolizei in Frankfurt, Kommissariat 61, als sachverständigen Zeugen[8] zu vernehmen.

Vors.:

Danke. Das Gericht will auf diese Beweisstücke, die auch nicht im weiteren Sinne verifiziert sind, nicht zurückgreifen.

Wenn der Herr Verteidiger davon Gebrauch machen will, um sich zu überzeugen, bitte, es steht Ihnen frei. Sie sind ja darauf angesprochen, ob Sie Ihren Antrag aufrechterhalten.

[11502] RA Dr. He[ldmann]:

Ich kann mit dem Metallstück, das Sie, Herr Bundesanwalt, hier anbieten, nichts anfangen. Ich bin nicht Sachverständiger für Geschoße, auch nicht für Schußwaffen. Ich halte meinen Antrag voll aufrecht und weise den Herrn Bundesanwalt darauf hin, daß ich von einem einzigen Schuß gesprochen habe in meinem Beweisantrag, nämlich von demjenigen Schuß, welcher den Herrn Baader getroffen hat, von keinem anderen Schuß.

BA Dr. Wu[nder]:

Und eben den meinte ich, Herr Rechtsanwalt.

RA Dr. He[ldmann]:

Wie bitte?

BA Dr. Wu[nder]:

Eben den meinte ich.

RA Dr. He[ldmann]:

Ah, ja.

Vors.:

Die Ausführungen[c], Herr Bundesanwalt Dr. Wunder, veranlassen zu der Frage, wie sich die Bundesanwaltschaft zu der Frage stellt, ob es auf diese Beweiserhebung rechtlich ankommt.

BA Dr. Wu[nder]:

Ich möchte dazu keine weitere Erklärung abgeben. Ich habe während meiner Ausführung gesagt, daß ich als Staatsanwalt diese Behauptung nicht im Raume stehen lassen möchte. Ich beschränke mich[d] hierauf.

Vors.:

Will sich sonst jemand noch zu diesem Thema äußern?

Ich sehe nicht. Dann können wir wenigstens noch während der Pause einige Entscheidungen bekanntgeben, die ohnedies heute noch bekanntgegeben werden müßten.

Zunächst die Frage an Sie, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann. Wir haben ja, wie Sie bereits wissen, feststellen müssen, daß es den Zeugen Manfred Nollak, den Sie benannt haben, jedenfalls dort, wo er sein soll nach Ihrem Beweisantrag, nicht gibt. Haben Sie dazu Neues zu sagen?

RA Dr. He[ldmann]:

Ja. Ich habe gestern Nachmittag, und zwar kurz nach 17.00 Uhr, den korrigierten Namen feststellen können, es ist Manfred Dollak, [Anschrift] in Hamburg-60.

Vors.:

Ist also auf freiem Fuße jetzt.

RA Dr. He[ldmann]:

Ist auf freiem Fuß, ja.

Vors.:

Ist der Zeuge durch diese Nachforschungen davon unterrichtet, daß er damit rechnen muß, demnächst hierher - oder müßte - unter Umständen hier als Zeuge aussagen zu sollen?

RA Dr. He[ldmann]:

Meines Wissens nicht, und ich sehe auch, kann auch keine Umstände erkennen, durch welche dem Zeugen bekannt geworden sein könnte durch diese Nachforschungen, daß er hier als Zeuge vernommen werden soll.

[11503] Vors.:

Es wäre ja denkbar, daß Sie mit ihm gesprochen hätten. Das wäre durchaus zulässig.

RA Dr. He[ldmann]:

Nein ...

RA Schily erscheint um 9.18 Uhr im Sitzungssaal.

RA Dr. He[ldmann]:

Sicher, dann würde ich es Ihnen auch gerne sagen, aber ich habe nicht mit ihm gesprochen, sondern ich habe gestern zu der Uhrzeit, die ich Ihnen genannt habe, durch eine dritte Person seine Identität, das heißt seinen Namen und seine Adresse feststellen können.

Vors.:

Ja.

Zunächst wird ein Beschluß des Senats bekanntgegeben, der nur klarstellende Punktion hat.

Der Beschluß lautet:

Von einem weiteren Versuch, Herrn Klaus Jünschke als Zeugen zu hören, wird abgesehen.

Gründe: Der Zeuge Jünschke wurde auf Antrag von Rechtsanwalt Dr. Heldmann in die Hauptverhandlung am 28.7.76 geladen und aus der Justizvollzugsanstalt Zweibrücken, wo er sich in Untersuchungshaft befindet, unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen mittels Hubschrauber zu der Hauptverhandlung an diesem Tage nach Stuttgart gebracht. Er machte zur Sache keine Angaben. Er erklärte sich zwar „generell“ bereit, als Zeuge auszusagen, machte das aber davon abhängig, daß ihm zunächst die bei der Polizei und hier in der Hauptverhandlung bei der Vernehmung des Zeugen Gerhard Müller angefallenen Protokolle ausgehändigt würden, daß er dann 8 bis 14 Tage lang Gelegenheit hätte, diese Protokolle durchzulesen, und daß er anschließend drei Stunden lang mit Andreas Baader und den anderen hier angeklagten Personen sprechen könne; anschließend würde er aussagen.

Nachdem auch Rechtsanwalt Dr. Heldmann keine Fragen zur Sache gestellt hat - eine andere Zeugin, die zu den gleichen Beweisthemen von Dr. Heldmann benannt worden war, hatte dem Gericht gegenüber zunächst auch jede Auskunft verweigert, hatte aber nach Aufforderung durch Dr. Heldmann sich zu den Beweisthemen geäußert und Fragen der Verteidiger beantwortet -, [11504] wurde der Zeuge entlassen und nach Zweibrücken zurückgeführt.

Mit Beschluß vom 3.8.76 ordnete der Senat die Vernehmung des Zeugen Jünschke durch das hierum ersuchte Amtsgericht in Zweibrücken an.[9] Der Senat wollte nichts unversucht lassen, trotz der mit Beharrlichkeit gestellten Bedingungen doch noch zu einer Aussage des Zeugen zu gelangen. Ob die bei dem ersuchten Richter gemachte Aussage - wenn es zu sachlicher Äußerung kam - gem. § 251 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO[10] durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen oder ob die nochmalige Anhörung des Zeugen in der Hauptverhandlung geboten gewesen wäre, sollte nach Vorliegen der Vernehmungsniederschriften entschieden werden.

Der Zeuge hat sich am 13.8.76 vor dem ersuchten Richter in Zweibrücken geweigert, Angaben zu machen. Er hat weiter erklärt:

„Ich bin bereit, Angaben zu machen, aber nicht hier. Ich bin bereit, Angaben zu machen beim erkennenden Gericht in Stammheim.“

Gleichzeitig bezog er sich auf eine dem ersuchten Richter übergebene schriftliche Erklärung, in der er unter anderem darauf hinwies, er habe sich auch am 28.7.76 in Stammheim zur Aussage bereit erklärt; das war eben jene Erklärung, in der der Zeuge seine Aussage von der Erfüllung der eingangs erwähnten drei Bedingungen abhängig gemacht hatte.

Bei dieser Sachlage bestand einerseits eine gewisse Aussicht, der Zeuge Jünschke werde in der Hauptverhandlung doch aussagen, andererseits nach wie vor die beträchtliche Befürchtung, der Transport nach Stuttgart werde wieder vergeblich sein.

Deshalb ließ der Senat den Zeugen durch die Anstaltsleitung in Zweibrücken befragen, ob er ohne die genannten oder sonstige Bedingungen zur Aussage bereit sei. Das wurde vom Zeugen bejaht.

Gleichwohl leitete der Zeuge Jünschke in der Hauptverhandlung vom 25.8.76 seine Vernehmung mit dem Satz ein:

„Ja, und bevor ich vielleicht hier überhaupt Fragen oder irgendwas beantworten werde, verlange ich, daß Manfred Grashof nochmal reinkann ...“

[11505] Trotz Belehrung, daß der Abschluß der Vernehmung des Zeugen Grashof nicht seine Sache sei, blieb der Zeuge bei seiner Aussageverweigerung. Er sagte:

„Und hier läuft überhaupt nichts, bevor er nicht ...“

„Dann läuft hier nichts mehr, das ist ganz einfach.“

„Ich werde jetzt gehen, da hier nichts mehr läuft mit uns.“

Eindringliche Ermahnungen durch den Vorsitzenden und die Verhängung eines Ordnungsgeldes nach § 70 Abs. 1 StPO[11] fruchteten nichts; der Zeuge war zur Aussage nicht zu bewegen.

Der Senat zieht aus alledem den Schluß, daß Herr Jünschke nicht willens ist, in der vom Gesetz vorgesehenen Weise Zeugnis abzulegen. Würde er - zu einem 4. Vernehmungsversuch - nochmals zur Hauptverhandlung vorgeführt, so hätte das nur zur Folge, daß der Zeuge erneut Bedingungen stellen würde, die vom Senat nicht erfüllt werden könnten, und daraufhin das Zeugnis erneut verweigern würde.

Unter diesen Umständen gebietet [e] die Aufklärungspflicht es nicht, einen weiteren Vernehmungsversuch zu unternehmen. Hierbei zieht der Senat in Betracht, daß der Zeuge Jünschke eine von 13 zu denselben Beweisthemen benannten Beweispersonen ist und daß von diesen 13 Zeugen bisher 12 vernommen wurden, die sich nach ihren Aussagen sämtlich als Angehörige der „RAF“ verstehen und in ihre Aussagen weitgehend übereinstimmten, nicht nur in Gliederung und Gehalt, sondern oft bis in die Einzelheiten des Ausdrucks. Dafür, daß der Zeuge Jünschke, der nach seinen Äußerungen, seinem Verhalten und der gegen ihn erhobenen Anklage der Zugehörigkeit zu derselben Vereinigung verdächtig ist, über ein von diesen Aussagen abweichendes Wissen verfügen könnte, besteht kein Anhalt.

Gegen den seit langem in Untersuchungshaft befindlichen und schwerer Straftaten angeklagten Zeugen Jünschke Zwangshaft nach § 70 Abs. 2 StPO anzuwenden, erschien nicht erfolgversprechend.

[11506] Rechtsanwalt Dr. Heldmann, der den Zeugen Jünschke benannt hat, ist in der Hauptverhandlung vom 25.8.76 vom Vorsitzenden darauf angesprochen worden, seinerseits auf den Zeugen einzuwirken, Aussagen zu machen. Dies geschah im Hinblick auf die erwähnte Beobachtung, daß Rechtsanwalt Dr. Heldmanns Aufforderung eine andere von ihm benannte, dem Gericht gegenüber aussageunwillige Zeugin zur Aussage veranlaßt hatte. Rechtsanwalt Dr. Heldmann antwortete dem Vorsitzenden jedoch lediglich:

„Wenn der Zeuge hier sagt, daß[f] er nicht auszusagen bereit ist, gleich unter welchen Kautelen, habe ich dem nichts hinzuzufügen.“

- Ende des Beschlusses -

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Schi[ly]:

Ich weiß nicht, wie lange die Pause dauert, sonst würde ich die dazu benutzen, noch zwei Anträge zu verlesen.

Vors.:

Ich würde vorschlagen, das zu tun. Ich glaube, es könnte sich noch hinziehen. Bitte.

RA Schi[ly]:

Also ich habe zwei Anträge zu verlesen. Der erste Antrag - die liegen beide schriftlich vor.

RA Schily verliest nunmehr den aus Anlage 1 des Sitzungsprotokolls ersichtlichen Antrag, der anschließend übergeben und dem Protokoll beigefügt wird.

Vors.:

Was war mit 1 bis 37? Also das Fernschreiben, das der Senat an den Generalbundesanwalt gerichtet hat, ist hier in der Hauptverhandlung verlesen worden.

RA Schi[ly]:

Ja ja, das ist die[g] Nummer, wohl Nummer 38. Und es bezieht sich, aus Gründen der Logik gehen wir davon aus, daß auch Fernschreiben Nr. 1 bis 37 vorhanden sind und würden uns für deren Inhalt interessieren.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily, ich glaube, dieser Antrag läßt sich leicht erledigen. Die Fernschreibstelle ist beim Oberlandesgericht und hat vermutlich eine laufende Nummerierung, die aber mit dem Senat nichts zu tun hat. Wir rutschten eben in die Nr. 38 rein, ich darf Ihnen versichern, außer der Nummer 38, das heißt, außer dem hier verlesenen Schreiben, hat kein Schriftwechsel, auch nicht fernschriftlicher Art, mit dem Generalbundesanwalt stattgefunden. Ich glaube, damit wäre der Antrag erledigt oder täusche ich mich?

[11507] RA Schi[ly]:

Wie bitte?

Vors.:

Ist damit der Antrag erledigt?

RA Schi[ly]:

Der Antrag ist damit erledigt.

Vors.:

Danke.

RA Schi[ly]:

Dann habe ich ferner weiteren Antrag zu verlesen:

RA Schily verliest nunmehr den aus Anlage 2 des Sitzungsprotokolls ersichtlichen Antrag der anschließend übergeben und dem Protokoll beigefügt wird.

Vors.:

Bitte, Herr Rechtsanwalt Oberwinder.

RA Ob[erwinder]:

Herr Vorsitzender, ich möchte diesen Antrag um einen Punkt ergänzen, der Zeuge Pohle wird weiter bekunden, daß ihm der Ort, an dem die Waffe, mit der der Zeuge Gerhard Müller den Polizeibeamten Schmid erschossen hat,[12] daß ihm dieser Ort kundgetan worden ist, und er weiß, wo sich diese Waffe befindet.

Vors.:

Ist diese Ergänzung auch schriftlich vorhanden?

RA Ob[erwinder]:

Nein, ist mündlich.

Vors.:

Nicht. Und ist der Ort Ihnen bekannt?

RA Ob[erwinder]:

Der Ort ist mir nicht bekannt.

Vors.:

Will sonst jemand sich ...

RA Schi[ly]:

Ich stelle neuerdings fest, daß Sie häufiger dazu übergehen, diese Art Befragung von Verteidigern vorzunehmen. Ich finde diese Art der Prozeßführung äußerst ungewöhnlich. Seit wann ist es üblich in einem Strafprozeß, daß Sie Anwälte, Verteidiger, die Verteidigungsaufgaben wahrnehmen, über ihre Kenntnis und über ihr Wissen befragen? Das ist doch wohl nichts eigentlich, gehört doch wohl eigentlich nicht zu den Gepflogenheiten eines Strafprozeßes.

Vors.:

Ich habe Gründe gehabt zu fragen zur Aufklärung. Wenn ein Verteidiger glaubt, daß damit in seine Pflichten eingegriffen wird, hat er die Möglichkeit, unter Bezugnahme darauf zu sagen: Ich gebe keine Antwort. Ich halte es für ungewöhnlich, daß Sie daraus eine so aufsehenerregende Sache machen wollen. Bitte, Herr Rechtsanwalt Schily, weitere Anträge?

RA Schi[ly]:

Keine weiteren Anträge.

Vors.:

Keine. Sonstige Anträge? Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, haben Sie irgendwelche Anträge noch zu stellen?

Keine Anträge.

[11508][13] [11509][14] [11510] Vors.:

Herr Bietz, wissen wir, wie es bei der Frau Zeugin steht?

Gerichtswachtmeister:

Sie wird behandelt von Herrn Dr. Henck.

Vors.:

Ärztlich behandelt, so daß wir also nicht voraussehen können, wie lange Zeit das in Anspruch nimmt. Wir treten jetzt in eine Pause ein. Ich würde vorschlagen, um eine Sicherheitsgrenze zu haben, 10.00 Uhr Fortsetzung.

Pause von 9.30 Uhr bis 10.05 Uhr.

Ende von Band 672.

[11511] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 10.05 Uhr.

Die Zeugin Müller ist wieder anwesend.

Vors.:

Herr Dr. Henck, wenn Sie hier vorne Platz nehmen wollen für den Fall, daß irgendeine Unterstützung für die Frau Zeugin notwendig sein sollte, bitte.

Der im Sitzungssaal anwesende Herr Dr. Henck nimmt an einem Tisch bei der Zeugin Platz.

Frau Müller, jetzt können wir die Vernehmung fortsetzen. Wir hoffen, daß es Ihnen körperlich möglich ist.

Es war die Frage gewesen, Sie sagten, daß gleich zu Beginn, d.h. als Ihr Sohn verhaftet worden war, die Polizei sich bemüht hat, Ihnen gegenüber sich so ... oder Sie mit einzuspannen in die Bemühungen, Ihren Sohn zu Aussagen zu bewegen. Ist das richtig?

Zeugin Mül[ler]:

Ja.

Vors.:

Könnten Sie das sagen, wie das ungefähr verlaufen ist?

Zeugin Mül[ler]:

Nein, das kann ich nicht mehr so genau sagen. Es ist ja schon so lange her. Da kann ich das im Einzelnen nicht mehr so sagen.

Vors.:

Das war also ganz am Anfang. Ist die Polizei später nochmals bei Ihnen gewesen?

Zeugin Mül[ler]:

Die sind öfters bei uns gewesen.

Vors.:

Zu welchem Zwecke?

Zeugin Mül[ler]:

Die haben uns Beweismittel vorgezeigt - Schuhe, Taschen, Bücher -, ob die meinem Sohn gehörten. Sie haben uns Tonbänder vorgespielt und wollten wissen, ob mein Sohn darauf ist.

[11512] Vors.:

Ob Sie die Stimme Ihres Sohnes erkennen darauf?

Zeugin Mül[ler]:

Ja.

Vors.:

Aber ist die Polizei nach diesem ersten Ereignis, von dem Sie schilderten, auch nochmals bei Ihnen vorstellig geworden, damit Sie möglicherweise auf Ihren Sohn einwirken, Aussagen zu machen, im Verlauf dieser Jahre?

Zeugin Mül[ler]:

Das weiß ich nicht.

Vors.:

Könnten Sie sich noch irgendwie daran erinnern, wie das damals am Anfang gewesen ist, als die Polizei Sie gebeten hat, doch mitzuwirken, daß Ihr Sohn den Mund aufmacht? -

Ich meine, mehr als Sie wissen, können Sie nicht sagen.

Aber das, was Sie wissen, sollten Sie sagen.

Zeugin Mül[ler]:

Ich möchte da nichts Falsches sagen.

Vors.:

Bedeutet das mit anderen Worten, daß Sie an diese ganzen Vorgänge so eine unsichere Erinnerung bloß noch haben, daß Sie heute gar nicht mehr wissen, ob das, was Sie sich möglicherweise vorstellen, stimmt?

Zeugin Mül[ler]:

Ja, Sie müssen schon entschuldigen. Ich war genauso aufgeregt, wie heute auch, vielleicht noch schlimmer.

Vors.:

Sie wissen heute nicht mehr, wie da geredet worden ist? Wissen Sie vielleicht, ob damals Ihnen gegenüber Versprechungen gemacht worden sind: Wenn Ihr Sohn den Mund aufmacht, dann kriegt er das oder jenes, oder dann wird das und das zu seinen Gunsten eintreten?

Zeugin Mül[ler]:

Ich kann es nicht sagen.

Vors.:

Sie wissen es also nicht mehr heute?

Zeugin Mül[ler]:

Nein.

Vors.:

Ich hab Ihnen mitgeteilt, daß die Verteidigung in ihrem Beweisantrag davon ausgeht, Ihnen gegenüber hätten die Polizeibeamten bestimmte Versprechungen gemacht, angedeutet, daß es Ihrem Sohn besser ginge, wenn er den Mund aufmache.

Zeugin Mül[ler]:

Ich weiß es nicht. Da müssen Sie schon meinen Mann fragen. Der hat ein besseres Gedächtnis.

Vors.:

Ist er zu Hause?

Zeugin Mül[ler]:

Mein Mann ist da.

[11513] Vors.:

Hier im Saale?

Zeugin Mül[ler]:

Ja.

Vors.:

Herr Müller, darf ich Sie bitten, den Saal zu verlassen. Sie kommen dann heute noch als Zeuge in Betracht. -

Herr Müller (im Zuschauerraum):

Ja.

Vors.:

Ich darf Sie bitten, daß Sie vielleicht gleich draußen im Zeugenzimmer Platz nehmen. Wir werden dann nachher wahrscheinlich Sie auch noch zu dieser Frage hören. - Wir werden Sie dann rufen, sobald eine Entscheidung darüber ergangen ist.

Der im Zuschauerraum anwesende Ehemann der Zeugin Müller wird um 10.09 Uhr in Abstand verwiesen.

Vors.:

Haben Sie, Frau Müller, mit Ihrem Sohn gesprochen drüber und ihm auch angeraten vielleicht, daß er besser täte zu reden als zu schweigen?

Zeugin Mül[ler]:

Das erste Mal?

Vors.:

In der ganzen Zeit.

Zeugin Mül[ler]:

Daß es besser wäre, zu reden. Das habe ich gesagt, das weiß ich noch.

Vors.:

Hat er da irgendwelche Erwartungen dann damit verknüpft, daß er zu Ihnen sagte: Ich würde schon den Mund aufmachen, wenn die mir das und das dagegen geben, beispielsweise.

Zeugin Mül[ler]:

Nein; er hat gar nichts gesagt.

Vors.:

Ist es öfters gewesen, daß Sie mit ihm über diesen Punkt, sprachen?

Zeugin Mül[ler]:

Nein, das war nur das erste Mal, wo er verhaftet worden ist; sonst durften wir nicht über dieses Thema reden.

Vors.:

Nun, Sie wissen nicht mehr, daß Ihnen gegenüber ... oder was Ihnen gegenüber die Polizisten sagten, als sie Sie gebeten haben, auf Ihren Sohn einzuwirken.

Können Sie heute aus der Erinnerung noch sagen, ob die Polizisten Ihnen massiv gekommen sind, ob Sie die unter Druck gesetzt haben oder sonst; oder ob die bloß gesagt haben: Es wäre schon besser, wenn Sie Ihrem Sohn sagen würden, er soll reden. Können Sie das wenigstens heute noch unterscheiden und mitteilen?

Zeugin Mül[ler]:

Das habe ich herausgehört, daß sie wollten, daß er redet. Aber so wörtlich kann ich mich nicht mehr erinnern.

[11514] Vors.:

Haben Sie das Gefühl gehabt, man hat nun Druck auf Sie ausüben wollen, mit irgendwelchen Versprechungen oder mit ...?

Zeugin Mül[ler]:

Nein, Versprechungen gerade nicht. Die wollten halt, daß er weich würde, irgendwie, daß die Mutter sagt: „Komm’, sag wie es ist!“.

Vors.:

Jetzt gerade, das würde interessieren. Was waren die Ausführungen, mit denen Sie weichgemacht werden sollten, um auf Ihren Sohn dann einzuwirken? - Wenn Sie daran noch eine Erinnerung haben, ganz allgemein, was ...

RA Schi[ly]:

Herr Vorsitzender, ich glaube, Sie haben das[h] insofern mißverstanden. Die Zeugin hat gesagt, der Herr Müller sollte durch seine Mutter weichgemacht werden. So hatte sich die Zeugin ausgedrückt.

Vors.:

Nein, die Mutter sollte weichgemacht werden, ...

RA Schi[ly]:

Nein, nein ...

Vors.:

... damit sie auf den Sohn dann einwirkt.

RA Schi[ly]:

Nein, nein. Die Zeugin hat gesagt, ...

Zeugin Mül[ler]:

Daß ich auf den Sohn einwirk’, ja das stimmt, was Sie sagen.

Vors.:

Was ich sage, stimmt?

Zeugin Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Ja, dann bitte ich das Tonband nochmal zurückzuspielen, denn die Zeugin hat soeben gesagt ...

Vors.:

Es gibt kein Tonband.

RA Schi[ly]:

Es gibt kein Tonband?

Vors.:

Die Frau Zeugin war nicht damit einverstanden.

RA Schi[ly]:

Ach so, Entschuldigung, das weiß ich nicht.

Aber Sie hat jedenfalls gesagt, daß er - der Zeuge Müller - durch seine Mutter weichgemacht werden sollte.

Vors.:

Also das Gericht hat’s anders verstanden. Ich höre auch von Seiten meiner Herrn Kollegen, daß, so wie ich es gesagt habe, es verstanden worden ist. Aber wir können ja Frau Müller nochmals fragen.

Also Sie haben gehört. Es ist jetzt in Zweifel geraten, was Sie gesagt haben, ob Sie sagten: Sie sollten von der Polizei aus Ihren Sohn weichmachen oder ob Sie gesagt haben, ich sollte weichgemacht werden, damit ich auf meinen Sohn einwirke, zu reden?

[11515] Zeugin Mül[ler]:

Was Sie zuerst gesagt haben ist richtig.

Vors.:

Wiederholen Sie es vielleicht mit Ihren Worten nochmals, Frau Müller; das ist am einfachsten. Auf wen bezog sich das Weichmachen, auf Sie oder auf den Sohn?

Zeugin Mül[ler]:

Daß ich meinen Sohn dadurch weichmache.

Vors.:

Sie sollten Ihren Sohn weichmachen.

Zeugin Mül[ler]:

Ja.

Vors.:

Ja, also auf Ihren Sohn einwirken. Und was hat die Polizei Ihnen gegenüber für Ausführungen gemacht, damit Sie dazu bereit sind? Was hat sie Ihnen gesagt, warum Sie das tun sollten, zu welchem Zwecke?

Zeugin Mül[ler]:

Ich kann das nicht mehr wörtlich sagen. Ich kann ja nur sagen, was stimmt.

Vors.:

Da haben Sie recht. Aber Sie könnten uns vielleicht andeuten, in welche Richtung das ging, ob das nun Ihnen gegenüber irgendwelche Versprechungen waren, in Aussichtstellen von Vergünstigungen für Ihren Sohn, andeuten, daß das Ihrem Sohne ... für Ihren Sohn besser wäre usw. Wenn Sie das so ganz allgemein mal charakterisieren könnten?

Zeugin Mül[ler]:

Es ging darum, daß irgendwo noch eine Bombe oder ein Anschlag sein sollte. Das Haus, in welchem sich die Bombe befindet, sollte ich von meinem Sohn herausbekommen. Er hat darüber nicht gesprochen.

Vors.:

Frau Müller, bedeutet das, daß die Polizei von Ihnen nur dieses wollte, daß Sie eben mit verhindern helfen, daß da irgendwas noch mit Bomben geschieht, oder wollte die Polizei ganz allgemein, daß Ihr Sohn redet? Können Sie das unterscheiden?

Zeugin Mül[ler]:

Das weiß ich auch nicht so.

Vors.:

Wenn Sie es nicht mehr können, müssen Sie sagen: Es tut mir leid, das weiß ich heute nicht mehr.

Zeugin Mül[ler]:

Ja.

Vors.:

Sie müssen unsere Fragen nicht als irgendwie für Sie bedrückend oder belastend empfinden. Wir wollen halt versuchen, durch die Fragen möglichst viel zu erfahren, was Sie vielleicht doch noch wissen, ohne sich darüber im Augenblick klar zu sein.

Ging’s also jetzt nur speziell um die Frage der Verhinderung weiterer Bombenexplosionen, oder wollte die Polizei von Ihnen, daß Sie ganz allgemein Ihren Sohn veranlassen, über die ganze [11516] Geschichte zu sprechen.

Zeugin Mül[ler]:

Nein, es ging um die Bomben.

Vors.:

Ging speziell um die Bomben. Und haben Sie aus dem, was die Polizisten Ihnen erklärt haben, herausgehört, daß die Polizei befürchtete, es würden demnächst noch Bomben hochgehen?

Zeugin Mül[ler]:

So könnte es sein, ja.

Vors.:

Und jetzt nochmals die Frage: Nichtwahr, Frau Müller, wenn ich von Ihnen etwas will, dann werden Sie mir sagen, warum soll ich das tun. Und so könnten Sie auch die Polizisten gefragt haben: Warum soll ich das tun? Was hab ich davon? Deswegen die Frage: Hat Ihnen die Polizei irgendwie erklärt, was Sie dann davon hätten, Sie oder Ihr Sohn, wenn er redet?

Zeugin Mül[ler]:

Das weiß ich nicht.

Vors.:

Wissen Sie heute nicht mehr. Und Sie sagen also, nach diesem anfänglichen Gespräch in dieser Richtung hat’s später keine solche Gespräche mehr mit Polizisten gegeben. Hab ich das recht verstanden, daß also das nur einmal war?

Zeugin Mül[ler]:

Ich weiß es nicht, das kann ich jetzt nicht sagen, ob ich ihn selber nochmals besucht habe; ich kann es nicht sagen.

Vors.:

Ganz konkret: Können Sie sich noch erinnern, ob Ihnen oder Ihrem Sohne durch Äußerung der Polizei Geldversprechen gemacht worden sind - ganz konkret -, daß er Geld bekommen würde?

Zeugin Mül[ler]:

Nein.

Vors.:

Daß sein Verfahren anders durchgeführt werden würde, daß man ihm also den Mordvorwurf z.B. ersparen würde und ihn nur milder behandeln würde. Ist in der Richtung irgendwie geredet worden?

Zeugin Mül[ler]:

Nein, das weiß ich nicht.

Vors.:

Wissen Sie nicht. Ist irgendetwas gesprochen worden davon, daß man Ihrem Sohn eventuell helfen würde, wenn er dann in der Zukunft wieder auf freiem Fuße wäre?

Zeugin Mül[ler]:

Ich kann auch dazu nichts sagen.

Vors.:

Jetzt die Frage, Frau Müller: Wissen Sie das nicht, erinnern Sie sich nicht, kann es gewesen sein, daß das gesagt worden ist oder ...

[11517] Zeugin Mül[ler]:

Ich erinnere mich nicht.

Vors.:

... oder wollen Sie dazu gar nichts sagen?

Zeugin Mül[ler]:

Ich will gar nichts darauf sagen. Ich kann mich nicht daran erinnern. Wo war das, in Stammheim?

Vors.:

Nein, überhaupt. Es sind ja 4 Jahre, die wir jetzt überblicken, von 72 an bis zum Jahr 76, bis zur heutigen Zeit.

Wenn also in diesem Zeitraum irgendetwas derartiges mal zugesagt worden ist, dann sollten Sie uns das mitteilen.

Zeugin Mül[ler]:

Ich wüßte es nicht. Es wurde nie bei Besuchen über dieses Thema gesprochen. Wenn mein Sohn anfing, darüber zu reden, hat der Kriminalbeamte gesagt, wir sollen davon nicht reden, anderenfalls müssen wir hinaus.

Vors.:

Sind weitere Fragen seitens des Gerichts? Ich sehe nicht. Die Herren der Bundesanwaltschaft? Auch nicht.

Fragen an die Frau Zeugin, Herr Rechtsanwalt Schily?

RA Schi[ly]:

Frau Zeugin, dieses erste Gespräch, in dem es darum ging, daß Sie Ihren Sohn dazu bewegen sollten, eine Aussage zu machen, wo hat das stattgefunden? Wissen Sie das noch?

Zeugin Mül[ler]:

Ich kann es nicht sagen.

RA Schi[ly]:

Ja, können Sie es vielleicht insofern eingrenzen, daß Sie uns den Ort noch sagen? Haben Sie da eine Reise angetreten?

Zeugin Mül[ler]:

Ja, wir sind da hingefahren.

RA Schi[ly]:

Wissen Sie nicht mehr?

Zeugin Mül[ler]:

Mein Mann weiß es; fragen Sie meinen Mann.

RA Schi[ly]:

Ich weiß nicht, ob ... also solche Begebenheiten sind doch nicht so vielleicht gewöhnlich oder alltäglicher Natur, daß Sie vielleicht dann doch noch den Ort in Erinnerung haben. Wenn ich das richtig verstehe, sind Sie ja nicht allein gereist, sondern mit Ihrem Herrn Gemahl?

Zeugin Mül[ler]:

Ja, wir sind mit dem Auto dort hingefahren.

RA Schi[ly]:

Sind noch weitere Familienangehörige mitgefahren?

Zeugin Mül[ler]:

Ja, ja.

RA Schi[ly]:

Wer denn?

Zeugin Mül[ler]:

Meine Kinder. Kann ich mich nicht mehr erinnern.

RA Schi[ly]:

Wie bitte?

Zeugin Mül[ler]:

Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich will jetzt auch nicht mehr.

RA Schi[ly]:

Wenn es Ihnen nicht gut ist. Ich meine, es tut mir leid, daß ich Ihnen diese Vernehmung nicht ersparen kann.

Zeugin Mül[ler]:

Warum muß ich da befragt werden und da?

[11518] RA Schi[ly]:

Frau Zeugin, wenn heute Ihr Zustand es Ihnen nicht erlaubt, dann würde ich beantragen,

die Vernehmung zu unterbrechen und an einem anderen Tage fortzusetzen.

Ich will Sie wirklich hier nicht in Bedrängnis bringen. Wenn Sie die Pause benötigen, bitte.

Zeugin Mül[ler]:

Ja, ich kann morgen nicht wieder kommen.

Vors.:

Ja, Frau Müller, wir wollen ja die Vernehmung auch heute durchführen. Wenn Sie jetzt glauben, wieder nicht im Stande zu sein, obwohl also ich keinen unmittelbaren Anlaß dafür sehe, dann machen wir wieder eine Pause. Wir können in der Zwischenzeit dann mit der Vernehmung evtl. Ihres Mannes beginnen. Es ist das gute Recht aller Verfahrensbeteiligten, es ist sogar die Pflicht der Verfahrensbeteiligten ...

Zeugin Mül[ler]:

Ja, fragen Sie meinen Mann und lassen mich in Ruhe.

Vors.:

Das kann man nicht, Frau Müller.

Zeugin Mül[ler]:

Warum nicht.

Vors.:

Als Zeuge muß man allen Verfahrensbeteiligten zur Verfügung stehen.

Zeugin Mül[ler]:

Ja, aber ich muß ja nicht.

Vors.:

Im Einzelfall, wenn Sie glauben, durch die Beantwortung einer Frage Ihrem Sohn zu schaden oder sich selbst zu schaden, dann können Sie sagen, ich will keine Auskunft darauf geben. Aber wenn das nicht der Fall ist, wenn Sie nicht glauben, daß Sie Ihrem Sohn schaden, dann müssen Sie als Zeuge aussagen.

RA Schi[ly]:

Herr Vorsitzender, die Belehrung ist unrichtig. Es geht nicht darum, ob durch eine Aussage dem Zeugen oder der Frau Zeugin geschadet wird, sondern es geht ausschließlich darum nach der Bestimmung in § 55 StPO[15], ob durch die Beantwortung einer einzelnen Frage der Zeuge, der Sohn ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, das wissen wir doch selbst. Sie waren doch bei der Belehrung nicht anwesend.

RA Schi[ly]:

Nein, offenbar wissen Sie’s nicht, denn Sie haben eine unrichtige Belehrung vorgenommen, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Nein, die Belehrung ist richtig ...

RA Schi[ly]:

Jetzt lassen Sie mich doch freundlicherweise mal aussprechen.

[11519] Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily, ...

RA Schi[ly]:

Ich habe Ihre Belehrung beanstandet und begründe diese Beanstandung mit Ihrer Erlaubnis.

Vors.:

Sie ist richtig belehrt worden, und Sie waren[i] nicht anwesend.

RA Schi[ly]:

Sie ist falsch belehrt worden, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Nein, nicht jetzt. Sie waren doch heute früh nicht da. Ich habe jetzt ...

RA Schi[ly]:

Ja, aber jetzt ist sie soeben falsch belehrt worden.

Vors.:

Ja, sie ist erinnert ...

RA Schi[ly]:

Und wenn Sie heute Morgen richtig belehrt haben, dann gibt Ihnen das nicht das Recht, heute jetzt um ½ 11, kurz vor ½ 11, die Belehrung falsch vorzunehmen.

Vors.:

Ich versuchte mit einfachen Worten an das zu erinnern, was die Frau Zeugin heute früh bereits erfahren und wohl auch verstanden hat.

RA Schi[ly]:

Die einfache Belehrung ...

Vors.:

Das war die Kurzfassung.

RA Schi[ly]:

Die einfache Belehrung, Herr Vorsitzender, ist falsch.

Vors.:

Wie der § 55[ StPO] lautet, Herr Rechtsanwalt, wissen wir auch.

RA Schi[ly]:

Also ich bitte Sie, eine korrekte Belehrung vorzunehmen.

Der Vorsitzende belehrt die Zeugin erneut nach § 55 StPO.

Vors.:

Das ist der Sinn des § 55[StPO]. Und daran wollte ich Sie mit diesen einfacheren Worten nochmals erinnert haben.

Jetzt können Sie erklären, Frau Zeugin: Sind Sie bereit, weitere Fragen im Augenblick zu beantworten (Die Zeugin nickt mit dem Kopf)[j] oder können Sie körperlich nicht?

Ja gut, damit wir die Vernehmung zu Ende bringen.

Bitte, Herr Rechtsanwalt.

RA Schi[ly]:

Ja, Frau Zeugin, können Sie noch sagen, also wer an Familienangehörigen zu diesem Gespräch Sie begleitet hat? Also Ihr Mann und die Geschwister Ihres Sohnes, ja?

Zeugin Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Und fällt Ihnen jetzt vielleicht auch noch ein, an welchem Ort das stattgefunden hat?

[11520] Zeugin Mül[ler]:

Das könnte Köln gewesen sein.

RA Schi[ly]:

Können Sie vielleicht noch insofern Ihr Gedächtnis etwas bemühen. Hat das Gespräch in einem Untersuchungsgefängnis oder in anderen Räumen stattgefunden?

Zeugin Mül[ler]:

Ich glaube, es war ein anderer Raum.

RA Schi[ly]:

Wer war denn, also da nehm ich an, war Ihr Sohn dann zugegen, Ihr Mann und die Geschwister und Sie. Und wer war denn nun noch ...?

Zeugin Mül[ler]:

Mein Mann und ich waren nur zugegen. Die Kinder, die anderen Geschwister, durften nicht hinein.

RA Schi[ly]:

Ja, und wer war denn nun an weiteren Personen zugegen? Waren da mehrere Beamte?

Zeugin Mül[ler]:

Es könnten 2 oder 3 gewesen sein. 2 Beamte auf jeden Fall.

RA Schi[ly]:

Kennen Sie die Namen noch?

Zeugin Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Haben die sich Ihnen vorgestellt?

Zeugin Mül[ler]:

Ich weiß es nicht mehr.

RA Schi[ly]:

Ja und wie lange - was würden Sie denken heute - wie lange hat das Gespräch etwa gedauert?

Zeugin Mül[ler]:

Ziemlich lange.

RA Schi[ly]:

Waren Sie damals auch in einem ähnlichen aufgeregten Zustand wie heute, Frau Zeugin? - Ich mein’, das ist kein Vorwurf.

Zeugin Mül[ler]:

Ja, ja.

Vors.:

Hat die Zeugin bereits bestätigt.

RA Schi[ly]:

Ja. Und sind da nun, auch von den Beamten, die da anwesend waren, Äußerungen gemacht worden oder verlief das Gespräch ausschließlich zwischen Ihnen und Ihrem Sohn?

Zeugin Mül[ler]:

Nein, es wurde durcheinander gesprochen.

Vors.:

Verzeihung, Sie gehen hier von der Voraussetzung aus, daß der Herr Müller, also der Sohn, anwesend gewesen sei. Ist das bereits geklärt.

Zeugin Mül[ler]:

Mein Sohn war anwesend.

RA Schi[ly]:

Das hab ich so verstanden, also.

Ja, ist da auch über die Frage gesprochen worden, was denn nun auf Ihren Sohn zukommen könnte?

[11521] Zeugin Mül[ler]:

Nein, ich weiß es nicht.

RA Schi[ly]:

„Nein“ oder ich weiß es nicht, Frau Zeugin?

Zeugin Mül[ler]:

Ich weiß es nicht.

RA Schi[ly]:

Sie wissen es nicht. Ja hat man Ihnen in etwa gesagt, es könnte seine Chancen verbessern, wenn er jetzt eine Aussage macht?

Zeugin Mül[ler]:

Ich weiß es nicht.

RA Schi[ly]:

Haben Sie an überhaupt keine Äußerung mehr dieser Beamten eine Erinnerung?

Zeugin Mül[ler]:

Das, was ich vorhin schon mal gesagt habe.

RA Schi[ly]:

Frau Zeugin, sind Sie eigentlich in der letzten Zeit mal von Kriminalbeamten aufgesucht worden?

Zeugin Mül[ler]:

Wie bitte?

RA Schi[ly]:

In der letzten Zeit?

Zeugin Mül[ler]:

Jetzt?

RA Schi[ly]:

Jetzt vor Ihrer Vernehmung mal von Kriminalbeamten aufgesucht worden?

Zeugin Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Wann?

Zeugin Mül[ler]:

Vorige Woche.

RA Schi[ly]:

Was wollten die Kriminalbeamten denn von Ihnen?

Zeugin Mül[ler]:

Meine Tochter war nur zu Hause. Mir wurde gesagt, ich sollte nach Stammheim als Zeuge kommen.

Vors.:

Darf ich darauf hinweisen: Ich habe seinerzeit ...

RA Schi[ly]:

Nein, Herr Vorsitzender, ich bin jetzt bei der Befragung. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich ...

Vors.:

Gut. Ich dachte, ich könnte es Ihnen erleichtern.

RA Schi[ly]:

Nein, das können Sie mir nicht erleichtern, vielen Dank. Ja, können Sie mal weiter berichten, Frau Zeugin, was die Kriminalbeamten wollten?

Zeugin Mül[ler]:

Das was ich gesagt habe. Ich war nicht zu Hause. Meine Tochter hat mir hinterlassen, daß ich als Zeuge nach Stammheim kommen soll.

RA Schi[ly]:

Wieviel Kriminalbeamten waren dann ... sind denn[k] da[l] gekommen?

Zeugin Mül[ler]:

Zwei.

RA Schi[ly]:

Und haben die mit Ihrer Tochter auch gesprochen?

Zeugin Mül[ler]:

Das was ich gesagt habe. Mehr nicht.

[11522] RA Schi[ly]:

Nur die Mitteilung, daß Sie als Zeugin erscheinen sollen?

Zeugin Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Oder sind noch weitere Äußerungen gefallen?

Zeugin Mül[ler]:

Meine Tochter ist 13.

RA Schi[ly]:

Ich würde Ihre Tochter doch nicht etwa als Zeugin benennen, Frau Müller. Da haben Sie keine Besorgnis. Haben Sie dann nochmal telefoniert mit der Kriminalpolizei.

Zeugin Mül[ler]:

Zu was auch?

RA Schi[ly]:

Ich weiß nicht, ich frage nur.

Zeugin Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Also nur diese schlichte Mitteilung, daß Sie hier als Zeugin vernommen werden sollen, ist da erfolgt. Ja?

Vors.:

Das ist jetzt zum viertel Mal mit „Ja“ beantwortet worden. Ich bitte, die Frage nicht ständig zu wiederholen.

RA Schi[ly]:

Herr Vorsitzender, Sie haben auch eine ganze Reihe von Fragen wiederholt, wenn es Ihnen in Erinnerung sein sollte. Also ich würde doch da nicht diese Pedanterie an den Tag legen, die Sie jetzt an den Tag legen.

Vors.:

Fahren Sie bitte fort, Herr Rechtsanwalt.

RA Schi[ly]:

Frau Zeugin, haben Sie sich mit Ihrem Mann eigentlich mal unterhalten über das, was hier möglicherweise Gegenstand der Befragung sein könnte?

Zeugin Mül[ler]:

Ja, wie ist das jetzt gemeint?

RA Schi[ly]:

Ob Sie mit Ihrem Mann sich mal unterhalten haben[m] über die Beweisfragen, die hier vielleicht an Sie gestellt werden?

Zeugin Mül[ler]:

Man hat ja nicht gewußt, um was es geht.

RA Schi[ly]:

Ach so, Sie haben nicht gewußt, um was es geht.

Zeugin Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Insofern konnten Sie das gar nicht.

Ja dann kommen wir nochmal auf dieses Gespräch zurück in Gegenwart Ihres Sohnes und Ihres Mannes mit den Ermittlungsbeamten. Wenn Sie sich mal die ganze Situation wieder versuchen zu vergegenwärtigen. Sie fahren mit Ihren Kindern, Ihrem Mann, ...

Zeugin Mül[ler] (weinend):

Ich möchte nicht mehr daran erinnert werden. Lassen Sie mich doch in Ruhe.

Vors.:

Ich glaube, Frau Müller, wir machen nochmals eine Pause. Aber bitte, es besteht doch kein Grund, sich aufzuregen.

[11523] Die Fragen werden doch höflich an Sie gerichtet.

Wir machen eine Pause. - Herr Dr. Henck, Sie geben uns Bescheid, wann die Frau Zeugin wieder soweit ist.

Ich würde aber doch vorschlagen, daß wir jetzt den Ehemann als Zeugen dann bitten.

Das Gericht beabsichtigt, den Herrn Müller als Zeugen zum selben Thema zu hören.

RA Schi[ly]:

Herrn Müller, nein.

Die Vernehmung der Zeugin Müller wird unterbrochen.

Die Zeugin verlässt um 10.32 Uhr den Sitzungssaal zusammen mit Herrn Dr. Henck.

Vors.:

Sie sind gegen die Vernehmung des Herrn Zeugen Müller oder gegen die Vernehmung im jetzigen Zeitpunkt? (zu RA Schily)

RA Schi[ly]:

2 Minuten Pause, bitte.

Vors.:

Solange bleiben wir hier sitzen. Dann können Sie mal darüber sprechen.

RA Schi[ly] (nach einer kurzen Besprechung):

Ich verzichte auf eine weitere Befragung von Frau Müller. Ich glaube, es hat wenig Zweck.

Vors.:

Danke. Dann Frage: Von den übrigen Prozeßbeteiligten werden weitere Fragen an die Frau Zeugin gerichtet? Ich sehe nicht mehr.

Wir werden dann die Frau Zeugin vereidigen müssen,[16] wollen ihr aber jetzt die Erholungspause geben, damit sie dann den Eid auch in Kenntnis der Bedeutung dieser Handlung ablegt. Frage jetzt, Herr Rechtsanwalt Schily: Sie haben angedeutet, daß Sie den Ehemann nicht gehört wissen wollten?

RA Schi[ly]:

Das war nur im Falle einer Unterbrechung, daß ich widersprochen habe.

Vors.:

Dann werden wir jetzt den Ehemann als Zeugen bitten. Das Gericht beabsichtigt ihn zum selben Thema zu hören und beide Zeugen abschließend dann vereidigen, sofern keine Hinderungsgründe bestehen sollten.

[11524] Der Zeuge Müller erscheint um 10.34 Uhr im Sitzungssaal.

Der Zeuge Müller wird gemäß §§ 57 und 55 StPO belehrt.

Vors.:

Wir haben für Gerichtszwecke ein Tonbandgerät eingeschaltet. Sind Sie damit einverstanden, daß Ihre Aussage mitprotokolliert wird?

Zeuge Mü[ller]:

Nein.

In der Folge wird das Tonbandgerät ausgeschaltet, solange sich der Zeuge äußert.

Der Zeuge Müller macht folgende Angaben zur Person:

Ernst Müller, 55 Jahre alt,

Arbeiter (Materialbereitsteller)

wohnhaft in Hochdorf bei Nagold

mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert,

wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.

Dem Zeugen werden die von der Verteidigung benannten Beweisthemen (Bl. 11466 des Protokolls) bekanntgegeben.

Vors.:

Wenn Sie dazu etwas angeben können; bitte schildern Sie das jetzt zunächstmal im Zusammenhang ohne weitere Fragen.

Zeuge Mü[ller]:

Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.

Vors.:

Sie müssen’s selbst wissen. Sie wissen ja vielleicht noch, sonst helf ich Ihnen dabei, wann Ihr Sohn verhaftet worden ist.

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

Vors.:

Er ist im Sommer 1972 verhaftet worden.

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

Vors.:

Frage: Sind in der Folgezeit - bis heute - Ermittlungsbeamte an Sie herangetreten, daß Sie Ihren Sohn zu Aussagen veranlassen, und daß Sie ihm übermitteln, wenn er aussagen würde, [11525] dann würden bestimmte Vorteile auf ihn warten?

Zeuge Mül[ler]:

Davon ist mir nichts bekannt.

Vors.:

Nichts bekannt. Ist ganz am Anfang der Verhaftungszeit, der Haftzeit Ihres Sohnes irgendein Gespräch gewesen mit Ermittlungsbeamten zu der Frage, ob Ihr Sohn Aussagen machen sollte oder nicht? Also kurz nach der Verhaftung Ihres Sohnes?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

Vors.:

In den folgenden Tagen?

Zeuge Mül[ler]:

Gespräche sind geführt worden.

Vors.:

Wenn Sie uns schildern können, was Sie davon noch im Gedächtnis haben?

Zeuge Mül[ler]:

Zunächst sind wir von Herrn Wolf nach Bad-Godesberg eingeladen worden, zum Bundeskriminalamt. Da wurde die erste Vernehmung meines Sohnes durchgeführt, Gegenüberstellung kann man auch sagen. Mein Sohn hat sich nicht geäußert.

Vors.:

Wenn ich das vielleicht einflechten darf. Nach Ihrer Aussage war Ihr Sohn dabei?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

Vors.:

Sie sind ihm begegnet in Anwesenheit dieser Beamten?

Zeuge Mül[ler]:

Ja. Der Herr vom BKA hat uns auch gesagt, wir sollten, damit dieser Terror aufgehört, unseren Sohn dazu bewegen, eine Aussage zu machen. Das hat aber keinen Zweck gehabt.

Vors.:

Es wäre wichtig, wenn Sie in diesem Zusammenhang sich erinnern, ob das verbunden worden ist mit Zusagen, wenn Ihr Sohn aussage, daß dann die und die Vorteile auf ihn warteten, oder daß es allgemein nützlich sei aus bestimmten Gründen? Wenn Sie daran irgendwie noch eine Erinnerung haben, sollten Sie das jetzt erwähnen.

Zeuge Mül[ler]:

Ja, man hat lediglich gesagt, daß es sich vielleicht auf das Strafmaß günstiger auswirken könnte.

Vors.:

Herr Müller, schildern Sie bitte vollends den weiteren Ablauf, sei es dieses Gespräches oder später folgender Gespräche mit gleichem oder ähnlichem Inhalt.

Zeuge Mül[ler]:

Später ist dann dieser Herr vom Bundeskriminalamt nochmal zu uns nach Hochdorf gekommen. Aber das Gespräch hat sich mehr darum gedreht, ob wir irgendwas von der Verbindung unseres Sohnes mit der RAF gewußt haben. Das war nicht der Fall. [11526] Wir hatten seit Ostern 1971 keinen Kontakt mehr zu unserem Sohn. Deshalb konnten wir also gar nichts sagen.

Vors.:

Noch Gespräche, die geführt worden sind, insbesondere eben mit dem Inhalt, daß Sie auf Ihren Sohn einwirken sollen, Aussagen zu machen, sind solche Gespräche später noch durchgeführt worden?

Zeuge Mül[ler]:

Nein, später nicht mehr.

Vors.:

Also nur am Anfang?

Zeuge Mül[ler]:

Das war nur am Anfang, ja.

Vors.:

Wenn man Sie jetzt ganz konkret danach fragt, ob damals Versprechungen gemacht worden sind, etwa daß Ihr Sohn für Aussagen Geld bekommen würde, daß die Anklage gegen ihn anders aussehen würde, günstiger? Nicht das Strafmaß, das ist eine andere Frage, ob sich’s auf die Strafe günstiger auswirkt, sondern daß die ganze Anklage günstiger für ihn gestaltet werden würde, daß er bei der Presse dann einen entsprechenden Widerhall finden würde, der gut bezahlt werden würde. Sind in dieser Richtung damals Versprechungen gemacht worden?

Zeuge Mül[ler]:

Nein, also wegen Geld sind keine Versprechungen gemacht worden.

Vors.:

Ist von Presse die Rede gewesen, daß er mittelbar dadurch, daß er dann die Presse unterrichten dürfe, Geld bekommen könne?

Zeuge Mül[ler]:

Davon ist mir nichts bekannt, weil er da nichts gesagt hat. Er hat wohl mit der Presse in Verbindung gestanden. Ich weiß aber nicht, wie diese Verbindung zustande gekommen ist.

Vors.:

Ob Sie darüber etwas wissen, daß solche Kontakte zur Presse ihm zugesagt worden sind?

Zeuge Mül[ler]:

Ich weiß nichts.

Vors.:

Und der letzte Punkt: Ist damals davon geredet worden, naja, also wenn Ihr Sohn Aussagen macht, dann könnte man ja die Anklage etwas milder gestalten, z.B. statt Mord bloß ein geringeres Delikt?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

Vors.:

Ist Ihnen auch nicht bekannt.

Weitere Fragen an den Herrn Zeugen seitens des Gerichts? Keine Fragen beim Gericht. Die Herren der Bundesanwaltschaft? Nicht. Die Herrn Verteidiger? Herr Rechtsanwalt Schily, bitte.

[11527] RA Schi[ly]:

Herr Müller, können Sie dieses ... haben Sie[n] dieses Gespräch in Bad-Godesberg noch so gut in Erinnerung, daß Sie - das ist ja immerhin 4 Jahre her - daß Sie noch alle Äußerungen der Beamten, die an dem Gespräch teilgenommen haben, in Erinnerung haben?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, so genau kann ich das natürlich nicht sagen.

RA Schi[ly]:

Muß man sich das so vorstellen, daß da verschiedene Beamten das Wort genommen haben?

Zeuge Mül[ler]:

Nein, es war in der Hauptsache der Herr Wolf.

RA Schi[ly]:

Herr Wolf. Aber was der im Einzelnen gesagt hat, das ... könnten Sie das heute noch ... Wie lange hat denn das Gespräch gedauert?

Zeuge Mül[ler]:

Ich weiß es nicht mehr so genau; vielleicht eine ¾-Stunde.

RA Schi[ly]:

Und wer war bei dem Gespräch zugegen?

Zeuge Mül[ler]:

Bitte?

RA Schi[ly]:

Wer war bei dem Gespräch zugegen? Also Ihr Sohn war zugegen, Sie waren zugegen, Ihre Frau war zugegen ...

Zeuge Mül[ler]:

Ja,[o] und die Kinder auch noch.

RA Schi[ly]:

Und die Kinder auch noch. Hat Ihre Frau geweint?

Zeuge Mül[ler]:

Das läßt sich denken.

RA Schi[ly]:

Herr Müller, es ist sicherlich keine angenehme Befragung. Aber ich bitte um Ihr Verständnis, daß es[p] auch möglicherweise auf solche Details ankommt. Kann man sagen, daß Ihr Sohn sozusagen von Ihrer Frau und Ihnen beschworen worden ist, eine Aussage zu machen?

Zeuge Mül[ler]:

Würden Sie das nochmals wiederholen?

RA Schi[ly]:

Kann man die Situation vielleicht so zusammenfassen, daß Ihr Sohn von Ihnen und Ihrer Frau beschworen worden ist, eine Aussage zu machen?

Zeuge Mül[ler]:

Also da möchte ich mich nicht äußern.

Vors.:

Herr Müller, an sich ist nicht ohne weiteres ersichtlich, daß Sie, wenn Sie diese Frage wahrheitsgemäß beantworten, Sorge haben müßten, irgendetwas zu offenbaren, was Ihnen oder einem Angehörigen den Vorwurf, einen strafrechtlichen Vorwurf eintragen könnte.

RA Schi[ly]:

Herr Vorsitzender, damit wir es vereinfachen. Wenn der Zeuge das nicht beantworten will, nehm’[q] ich die Frage zurück.

[11528] Vors.:

Es könnte natürlich sein, Herr Rechtsanwalt, daß er an einem bestimmten Ausdruck Ihrer Frage festhält. Wenn Sie die Frage ...

RA Schi[ly]:

Ich nehm’ die Frage zurück; wir wollen uns nicht da ...

Vors.:

Dann bitte ich fortzufahren.

RA Schi[ly]:

Ist denn überhaupt über die Frage, wie Ihr Sohn strafrechtlich sich zu verantworten hätte, gesprochen worden?

Zeuge Mül[ler]:

Wie war das gleich?

Vors.:

Herr Müller, wenn Sie die Fragen nicht verstehen, lassen Sie sie ruhig nochmals erläutern, (zu RA Schily)[r] vielleicht auch mit neuen und anderen, vielleicht auch einfacheren Worten.

RA Schi[ly]:

Ja gut. Ist denn überhaupt darüber gesprochen worden, wegen welcher Straftat womöglich Ihr Sohn[s] ein Verfahren bekommen könnte?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, damals oder?

RA Schi[ly]:

Damals, ja. Es geht mir nur um das Gespräch in Bad-Godesberg, Herr Müller.

Zeuge Mül[ler]:

Nein, da ist nicht geredet worden.

RA Schi[ly]:

Nicht gesprochen worden. Aber trotzdem ist eine Strafmilderung erörtert worden. Sie sagten doch, es könnte sich vielleicht günstig auf das Strafmaß auswirken?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, das habe ich gesagt.

RA Schi[ly]:

Ja, ich meine, ist das von Beamten gesagt worden? Ich hatte Sie so verstanden, daß das von Beamten gesagt ...

Zeuge Mül[ler]:

Man hat schon gesagt, wegen Teilnahme an einer kriminellen Vereinigung.

RA Schi[ly]:

Sonst wegen anderer, sind da auch andere Straftatbestände erörtert worden oder andere Strafvorschriften?

Zeuge Mül[ler]:

Davon ist nichts gesagt worden.

RA Schi[ly]:

Nichts gesagt worden. Und über Presse, meinen Sie, da ist überhaupt in der Richtung gar nichts erörtert worden oder wissen Sie’s nicht mehr?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, wie ich das schon gesagt habe, ich weiß davon nichts. Er hat jedoch später mit der Presse in Verbindung gestanden. Es sind verschiedene Artikel erschienen.

RA Schi[ly]:

Keine Fragen mehr an Herrn Müller.

Vors.:

Sonstige Fragen? Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, bitte.

[11529] RA Dr. He[ldmann]:

Herr Müller, hatten Sie mit Ihrem Sohn auch unüberwachte Gespräche?

Zeuge Mü[ller]:

Bitte?

RA Dr. He[ldmann]:

Hatten Sie mit Ihrem Sohne auch unüberwachte Gespräche oder ein unüberwachtes Gespräch?

Vors. (zum Zeugen)[t]:

Ohne daß Beamte dabeigewesen wären, daß Sie also unter 4 Augen mit Ihrem Sohn gesprochen hätten.

Zeuge Mül[ler]:

Nein, das ist nicht möglich gewesen seit der Verhaftung.

RA Dr. He[ldmann]:

Hat nicht in den ersten Wochen nach seiner Verhaftung Ihr Sohn Aussagen gemacht, Ihnen gegenüber, in Gegenwart von Beamten?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Dr. He[ldmann]:

Ihr Sohn soll einmal geschrieben haben, 12.7.74: „Das war in den allerersten Wochen, daß ich gegenüber meinem Alten und so auch den Bullen die Aktionen der RAF denunziert habe.“ Hilft Ihnen das weiter zur Beantwortung meiner vorangegangenen Frage?

Zeuge Mül[ler]:

Nein, das hilft mir nicht weiter.

RA Dr. He[ldmann]:

Kennen Sie Herrn Ruch?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, den kenne ich.

RA Dr. He[ldmann]:

Hat er Sie besucht?

Zeuge Mül[ler]:

Der hat mich verschiedentlich aufgesucht.

RA Dr. He[ldmann]:

Können Sie auch sagen wie oft?

Zeuge Mül[ler]:

Vielleicht 3 mal.

RA Dr. He[ldmann]:

Haben Sie erfahren, daß Herr Ruch für Ihren Sohn einen Rechtsanwalt besorgt hatte?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, das ist mir bekannt.

RA Dr. He[ldmann]:

Warum hat Herr Ruch das getan, hat er Ihnen darüber etwas gesagt, warum er das getan hat?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, er hat sich geäußert. Mein Sohn wollte Herrn Rechtsanwalt Ströbele haben. Und da hat er gemeint, daß diese Rechtanwälte[u] ja sowieso so halb von der RAF angehaucht sind. Dies wären offenbar nicht die richtigen Verteidiger für meinen Sohn.

RA Dr. He[ldmann]:

Hat Herr Ruch zu Ihnen gesagt, warum er sich für den richtigen ... um den richtigen Rechtsanwalt für Ihren Sohn kümmerte?

Zeuge Mül[ler]:

Bitte?

RA Dr. He[ldmann]:

Wie hat Herr Ruch Ihnen gegenüber begründet, warum er sich um einen Rechtsanwalt für Ihren Sohn gekümmert hat?

[11530] Zeuge Mül[ler]:

Ja, das habe ich doch gerade gesagt.

RA Dr. He[ldmann]:

Hat er das aus Wohlwollen für Ihren Sohn getan?

Zeuge Mül[ler]:

Ja was heißt „Wohlwollen“?

RA Dr. He[ldmann]:

Kennen Sie den Namen jenes Rechtsanwalts?

Zeuge Mül[ler]:

Das war ein Dr. Lipperts von München.

RA Dr. He[ldmann]:

Hat Herr Ruch nicht gesagt, ... Herr Ruch ist ein Journalist, ja? Das wissen sie.

Zeuge Mül[ler]:

Bitte?

RA Dr. He[ldmann]:

Ist Herr Ruch ein Journalist?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, so hat er sich mir vorgestellt.

RA Dr. He[ldmann]:

Wissen Sie, ob er etwas anderes von Beruf ist?

Zeuge Mül[ler]:

Davon ist mir nichts bekannt.

RA Dr. He[ldmann]:

Haben Sie gehört, er übte eine andere Tätigkeit als die eines Journalisten aus?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Dr. He[ldmann]:

Und warum war nun so Herr Ruch besorgt um Ihren Sohn, daß dieser einen rechten Verteidiger erhalte?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, vielleicht fragen Sie ihn mal selber.

RA Dr. He[ldmann]:

Es wäre[v] mit dem Herrn Ruch ein wenig schwierig. Hat Herr Ruch Ihnen ... Wissen Sie, was Herr Ruch über Ihren Sohn in der Zeitung geschrieben hat?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Dr. He[ldmann]:

Hat Herr Ruch Ihnen einmal erzählt, Ihr Sohn hätte der Bundesanwaltschaft ein Geschäft vorgeschlagen?

Zeuge Mül[ler]:

Nein, davon ist mir nichts bekannt.

RA Dr. He[ldmann]:

Hat Herr Ruch einmal Einzelheiten genannt, etwa Ihr Sohn wollte freies Geleit, einen neuen Namen, Geld und neue Personalpapiere, um ins Ausland gehen zu können, und dann würde er Aussagen machen?

Zeuge Mül[ler]:

Davon ist mir nichts bekannt.

RA Dr. He[ldmann]:

Können Sie sich erinnern, daß Ihr Sohn Ihnen über den Herrn Ruch einmal einen Brief geschrieben hat?

Zeuge Mül[ler]:

Daß mein Sohn Herrn Ruch ...?

RA Dr. He[ldmann]:

... einen Brief an Sie[w] geschrieben hat, in welchem er über den Herrn Ruch gesprochen hat?

Zeuge Mül[ler]:

Bitte, was hat er da gesagt?

RA Dr. He[ldmann]:

In welchem er zu Ihnen über den Herrn Ruch geschrieben [11531] hat.

Vors.:

Ob Ihr Sohn Ihnen gegenüber brieflich mal über Herrn Ruch berichtet hat.

Zeuge Mül[ler]:

Ja, er hat mal geschrieben, daß er mit ihm nichts zu tun haben wolle.

RA Dr. He[ldmann]:

Hat Ihr Sohn sich bei Ihnen beklagt darüber, daß er in seiner Untersuchungshaft schlecht behandelt worden wäre?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, das hat er behauptet.

RA Dr. He[ldmann]:

Hat er Ihnen gesagt, er sei mit Schlagstöcken zu Gegenüberstellungen geprügelt worden?

Zeuge Mül[ler]:

Wo soll das gewesen sein?

RA Dr. He[ldmann]:

In der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf.

Zeuge Mül[ler]:

Nein, das ist mir nicht bekannt.

RA Dr. He[ldmann]:

Er hat Ihnen davon nichts gesagt?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Dr. He[ldmann]:

Eine letzte Frage, bitte. Wann haben Sie Ihren Sohn zum letzten Mal gesprochen?

Zeuge Mül[ler]:

Hier in Stammheim.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich meinte nicht wo, wann?

Zeuge Mül[ler]:

Das war in der Zeit, wo er als Zeuge vorgeladen war.

RA Dr. He[ldmann]:

Das heißt also danach nicht mehr.

Zeuge Mül[ler]:

Das weiß ich jetzt auch nicht so genau, ob das zuvor war oder danach.

RA Dr. He[ldmann]:

Keine Fragen mehr.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Oberwinder.

RA Oberw[inder]:

Herr Müller, wann haben Sie dann das erste Mal erfahren, daß Ihr Sohn eine Anklage wegen Mordes zu erwarten hatte?

Vors.:

Augenblick. Ist in der Richtung bis jetzt schon eine Vorfrage gestellt worden, Herr Rechtsanwalt, ob der Herr Zeuge das je erfahren hatte.

RA Dr. He[ldmann]:

Das stand ja in allen Zeitungen.

Vors.:

Ja, aber ich würde doch vielleicht den Aufbau in dieser Richtung erbitten.

RA Oberw[inder]:

Also ich bin auch gern bereit, die Frage so zu formulieren: Haben Sie gehört, daß Ihr Sohn wegen Mordes angeklagt worden ist?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, durch die Zeitung.

RA Oberw[inder]:

Wann haben Sie zum ersten Mal davon ... Haben Sie schon vorher [11532] davon erfahren, bevor das Verfahren eröffnet wurde, daß Ihr Sohn eine solche Anklage zu erwarten hatte?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Oberw[inder]:

Der Vorwurf ist Ihnen erst aus der Zeitung bekanntgeworden?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Oberw[inder]:

Bei Gesprächen mit Kriminalbeamten, wann auch immer, ist darüber nie gesprochen worden?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Oberw[inder]:

Was hat man Ihnen denn gesagt zu dem Zeitpunkt, als Sie in Bad-Godesberg waren, was Ihrem Sohn vorgeworfen wird?

Zeuge Mül[ler]:

Das habe ich gesagt: Es sei um die kriminelle Vereinigung gegangen.

Vors.:

Die Frage ist beantwortet: es sei um die kriminelle Vereinigung gegangen.

RA Oberw[inder]:

Ich hab’ keine weiteren Fragen.

Vors.:

Sonstige Fragen an den Herrn Zeugen? Sehe ich nicht.

Dann bitte ich Frau Müller zwecks Vereidigung hierher zu bitten. Werden Einwendungen gegen die Vereidigung der beiden Zeugen erhoben, - es ist kein Hinderungsgrund gesetzlicher Art gegeben. Ich sehe keine Einwendungen.

Die Zeugin Ingeborg Müller erscheint um 10.58 Uhr wieder im Sitzungssaal.[x]

Die Zeugen Ingeborg und Ernst Müller werden einzeln vorschriftsmäßig vereidigt und im allseitigen Einvernehmen um 10.59 Uhr entlassen.

Ende des Bandes 673

[11533] Vors.:

Wir kommen dann noch zur Bekanntgabe einiger Beschlüsse. Zunächst aber der Hinweis, daß der Zeuge Dollak vorgeladen wird auf den kommenden Donnerstag, 9.30 Uhr. Der Sitzungsbeginn muß aber trotzdem um 9.00 Uhr zunächstmal vorbehalten bleiben.

Dann ist folgender Beschluß zu verkünden:

Der von Rechtsanwalt Dr. Heldmann unter Anschluß von Rechtsanwalt Schily gestellte Antrag, Herrn Kriminalhauptkommissar Opitz aus Hamburg als Zeuge zu vernehmen, wird

abgelehnt.

Gründe:

Herr Hauptkommissar Opitz hat von der zuständigen vorgesetzten Behörde keine Aussagegenehmigung[17] erhalten und kann deshalb nicht vernommen werden (§ 54 StPO). - Ende des Beschlusses -

Vors.:

Entsprechender Hinweis ist den Herrn Verteidigern schon früher gegeben worden.

- - -

Ferner ist der Beschluß zu verkünden:

Der von Rechtsanwalt Dr. Heldmann unter Anschluß von Rechtsanwalt Schily gestellte Antrag, Herrn Dr. Degenhardt aus Kassel als sachverständigen Zeugen und als Sachverständigen zu hören, wird

abgelehnt.

Gründe:

Ein Beweisantrag im Sinne von § 244 Abs. 3 StPO[18] liegt nur vor, wenn der Antrag die Schuld- oder Straffrage[19] betrifft. Davon kann hier nicht gesprochen werden. Ob und mit wessen Wissen dem Angeklagten Baader während des Hungerstreiks das Trinkwasser entzogen wurde und welche Folgen solcher Entzug haben kann, berührt weder Schuld- noch Straffrage im anhängigen Verfahren und ist daher für die hier zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung.

Soweit der gestellte Antrag Trinkwasserentzug und Verhandlungsunfähigkeit ursächlich verknüpft, berührt er Fragen, die im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Fortsetzung der Ver- [11534] handlung in Abwesenheit der Angeklagten[20] eine Rolle spielten; sie sind entschieden. Da die Weigerung der Angeklagten, andere Getränke als reines Wasser (Milch, Fruchtsäfte und dergl.) zu sich zu nehmen, Teil ihres Hungerstreiks war, kann der gestellte Antrag nur dahin verstanden werden, die Rechtsanwälte Dr. Heldmann und Schily stimmten jetzt dem Senat und dem Bundesgerichtshof dahin bei, die Hungerstreiks seien für die Verhandlungsunfähigkeit ursächlich.[21] Dr. Heldmann hat auf entsprechende Frage des Vorsitzenden ausdrücklich nicht behauptet, es seien auch sonstige Getränke wie Milch, Obstsäfte und dergleichen verweigert worden; er beschränkte sich auf den Entzug des Wassers.

- - -

Ferner ist der Beschluß bekanntzugeben:

Der von Rechtsanwalt Dr. Heldmann unter Anschluß von Rechtsanwalt Schily gestellte Antrag, Herrn Dr. Kahnamui aus Düsseldorf als sachverständigen Zeugen zu hören, wird ebenso

abgelehnt

wie der Antrag der Bundesanwaltschaft, Herrn Kriminalbeamten Feiler als Zeugen zu vernehmen.

Gründe:

Ein Beweisantrag im Sinne von § 244 Abs. 3 StPO liegt nur vor, wenn der Antrag die Schuld- oder Straffrage betrifft. Das hier nicht der Fall. Durch welche Art Geschoss der Angeklagte Baader vor seiner Festnahme verletzt wurde und ob die Verletzung in der Nähe einer Hauptschlagader erfolgte - daß die Schlagader beschädigt worden sei, wird nicht behauptet - berührt im anhängigen Verfahren weder Schuld- noch Straffrage und ist daher für die hier zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung. Das gilt auch für den Gegenbeweis, den die Bundesanwaltschaft mit dem Zeugen Feiler führen will. Die ganz andere Frage, ob der Angeklagte Baader vor seiner Festnahme eine Schußverletzung erlitt und welcher Art diese Verletzung war, ist durch die Vernehmung des sachverständigen Zeugen Prof. Dr. Hirsch geklärt. Er hat die eingetretene Verletzung in jeder Hinsicht geschildert.

- - -

[11535] Und schließlich ein letzter Beschluß heute früh:

Der von Rechtsanwalt Dr. Heldmann unter Anschluß von Rechtsanwalt Schily gestellte Antrag, Frau Krabbe sowie die Herren Dellwo, Roesner und Taufer als Zeugen zu hören, wird

abgelehnt.

Gründe:

Die genannten Personen werden als Zeugen dafür benannt, daß

„die Aussage des Zeugen Gerhard Müller, Siegfried Hausner[22] sei über Rechtsanwalt Croissant zur RAF gekommen, unwahr ist.“

Der Zeuge Gerhard Müller hat bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung am 14.7.1976 bei Befragung durch die Bundesanwaltschaft ausgesagt:

Frage: Wie kam denn der Herr Hausner zur RAF? Können Sie uns darüber etwas näheres vielleicht sagen?

Antwort: Ja, ich erinnere mich, daß Hausner einmal in Hamburg war in einer RAF-Wohnung. Das war bereits im Sommer 1971. Und soweit ich das jetzt noch im Kopf habe, ist er ja danach verhaftet worden, war im Gefängnis, und nach seiner Entlassung ist er über das Büro Croissant-Lang wieder zur RAF gestoßen.

Frage: Können Sie uns da noch etwas näheres sagen, über diese Verbindung nun Hausner - RA Dr. Croissant?

Antwort: Ja, viel nicht. Ich weiß von Croissant, daß der Hausner eben nach seiner Entlassung ... Der wäre dann gleich in das Büro von, was mir Croissant erzählt hat, gleich in Croissants Büro gekommen und hätte da eben Akten studiert. Und der Croissant hätte sich davon eben ganz begeistert gezeigt, weil er eben erwartet hätte, daß, wenn jemand erstmal aus dem Gefängnis kommt, daß er erstmal Urlaub macht. Und dann gab es eben in Stuttgart Kontakte u. a. zwischen Ensslin und Möller, zwischen Lang bzw. Croissant. Und aufgrund dieser Kontakte wurde [11536] ich über Hausner befragt, weil ich ihn ja auch vom SPK[23] her kenne, was ich über Hausner wüßte, wie ich ihn einschätze usw.

Frage: Ist es also richtig, daß Siegfried Hausner über RA Dr. Croissant zur RAF kam?

Antwort: Naja, das kann ich explizit nicht sagen, Croissant-Lang.

Frage: Über Herrn Lang?

Antwort: Das kann ich auch nicht sagen.

Frage: Ich frage deswegen, weil in Ihrer polizeilichen Vernehmung auf Blatt 87 es heißt: „Nach seiner Verhaftung und seiner Freilassung kam Hausner über den RA Dr. Croissant im Frühjahr 1972 zur RAF.“ Da geht es noch weiter: „Zwischen Baader, Ensslin, möglicherweise auch Möller einerseits und Hausner andererseits kam es in Stuttgart zu den ersten Treffs, bei denen Hausner abgecheckt wurde. Ich erinnere mich daran, weil ich von Baader und Ensslin um meine Meinung über Hausner befragt wurde.“ Letzter Satz: „Ergebnis dieser Recherchen war, daß Hausner in die RAF aufgenommen wurde.“

Antwort: Ja, wenn da steht, daß explizit es Croissant war, dann ist es richtig.

Die eingangs aufgeführte Beweisbehauptung wird so behandelt, als wäre sie wahr (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO).[24] Im Hinblick darauf, daß schon der Zeuge Gerhard Müller, wie seine wörtlich wiedergegebene Vernehmung zeigt, seine Aussage jedenfalls zunächst mit gewissen Unsicherheitsvorbehalten versah, ist nicht zu erwarten, daß eine weitere Beweisaufnahme, auch nicht die beantragte Zeugenvernehmung, die als wahr unterstellte Beweisbehauptung im anhängigen Verfahren zu widerlegen geeignet sein könnte (vgl. Gollwitzer bei Löwe-Rosenberg 22. Aufl., IV 7 c zu § 244 StPO[25]).

- - -

Damit sind wir mit den Beschlüssen zu Ende.

Werden irgendwelche Erklärungen abgegeben?

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

[11537] RA Dr. He[ldmann]:

Die Vermutung des Senats in seinem soeben an zweiter Stelle verkündeten Beschluß, die Rechtsanwälte Schily und Heldmann hätten sich mit ihrem Antrag, Herrn Dr. Degenhardt, jenen Gefängnisarzt, der aus, wie ich gehört habe, therapeutischen Gründen bis zur letalen Grenze Trinkwasser entzieht, jenen Herrn Degenhardt als Zeugen zu laden, zu diesem Beschluß die Vermutung des Senats, die antragsstellenden Anwälte Schily und Heldmann hätten sich der Auffassung des Senats und des Bundesgerichtshofes angeschlossen, der Hungerstreik sei für die Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten hier ursächlich, ist handgreiflich irrig. Soweit diese Erklärung.

Zum ersten Beschluß, den Kriminalhauptkommissar Opitz zu laden, stelle ich den Antrag

die Verhandlung, die Hauptverhandlung auf 10 Tage zu unterbrechen mit folgender Begründung:

Der Beweisantrag, Herrn Opitz als Zeugen zu vernehmen, dient ausschließlich dem ganz einfachen Beweisthema, daß der Zeuge Gerhard Müller Andreas Baader beschuldigt hat, Ingeborg Barz[26] getötet zu haben und daß der Zeuge weiß, daß die diesbezüglichen Angaben des Zeugen Müller als unwahr erkannt worden sind. Die vorgesetzte Behörde dieses Zeugen Opitz, des Leiters der Abteilung K 4 im Kriminalamt der Hansestadt Hamburg, nämlich der Polizeipräsident Dr. Redding, hat die Aussageerlaubnis verweigert mit der Begründung, weil die Aussage zu diesem Beweisthema dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten, und außerdem die Erfüllung öffentlicher Aufgaben erheblich erschweren würde.

Um es zunächst vielleicht illustrativ auszudrücken, nach dieser Methode, die uns ja hier nicht das erste Mal begegnet, sind alle Tatsachen, die etwas Licht hinter die Zeugenaussage Gerhard Müller bringen, dem Wohle des Bundes abträglich. Langsam habe ich gewisse Verdachtsmomente, daß das wirklich so sei, daß wirklich die Reputation des Bundes auf dem Spiel stünde, wenn man Licht brächte hinter die Aussagen des Zeugen Müllers. Gutgläubig jedoch gehe ich nach wie vor davon aus, daß das nicht sein kann und gebe dem Senat dafür zu erwägen: Ich werde die Klage erheben beim Verwaltungsgericht Hamburg, verbunden mit einem Antrag nach § 123 Verwaltungsgerichtordnung[y], nämlich auf einstweilige Anordnung gegen die [11538] Hansestadt Hamburg, vertreten durch ihren Polizeipräsidenten, auf Erteilung dieser Aussagegenehmigung zu diesem schlichten Beweisthema.[27]

Für meinen hier soeben gestellten Antrag gebe ich dem Senat zu erwägen, daß die Aussageerlaubnis zu erteilen oder zu verweigern oder zu beschränken eine Ermessensentscheidung ist, die als Ermessensentscheidung der Verwaltungsgerichtskontrolle[28] unterliegt. Wo zu einem derart schlichten Beweisthema aber die vorgesetzte Behörde mit solcher Begründung, „dem Wohle des Bundes Nachteil bereiten“, die Wahrheitsfindung zu verhindern sucht, so liegt handgreiflich für jeden Hörer und Betrachter ein Ermessensmißbrauch vor und ich möchte annehmen, daß das beim Verwaltungsgericht Hamburg Gehör mit rechtlicher Wirkung auch finden wird.

Für dieses Gericht aber, und es geht wieder um meinen hier gestellten Antrag, gilt es hier zu bedenken, daß mit solcher Methode die Exekutive in die Justiz hinein regiert, die Exekutive ermessensmißbräuchlich den Gegenstand und den Umfang der Beweisaufnahme mitbestimmt, daß sie damit die Gewaltentrennung - eher ein unantastbarer Grundsatz unserer Verfassung - suspendiert, und daß dem jedenfalls, wo nicht der verfassungsrechtliche Zwang da jedenfalls das prozessuale Gebot der Aufklärungsverpflichtung zwingt, einem solchen Unternehmen mit solcher Lehrformel der Beweisaufnahme, der Wahrheitsfindung in diesem Prozeß entgegenzutreten durch Hinweis auf die Aufklärungspflicht und durch ein Tätigwerden gegenüber jener Behörde, die hier versucht, die Beweisaufnahme zu bestimmen oder versucht, bestimmte Beweisaufnahmen zu verhindern. Ich meine also, verfassungsrechtliche Gesichtspunkte, die Abwehr einer verfassungsfremden Intervention der Exekutive in einen schwebenden Strafprozeß, in ein justizielles Verfahren und die Aufklärungspflicht des Gerichts, hier geht es nämlich um nicht mehr und nicht weniger als komplett um die Glaubwürdigkeit oder die totale Unglaubwürdigkeit des von der Anklage benannten Zeugen Gerhard Müller.

Darum mein Antrag, bis zu einer - im Wege des § 123[ VwGO] - Verfahrens - innerhalb von etwa 10 Tagen erfahrungsgemäß zu erwartenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg, die Hauptverhandlung für 10 Tage zu unterbrechen.

Eine kurze Anmerkung lediglich. Sicher hätte ich diesen Antrag, zu unterbrechen nicht gestellt, wenn ich die Ausgangssituation [11539] als völlig identisch erkannt hätte mit derjenigen für den Unterbrechungsantrag des Kollegen Schily aus der vorvorigen[z] Woche, sondern ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß hier Beweisantrag, Beweisthema und das Aussageverbot des Polizeipräsidenten in Hamburg in ihrem Verhältnis zueinander das letztere handgreiflich als ermessensmißbräuchlich erkennen lassen. Das ist die Modifizierung der Ausgangsposition für diesen Antrag gegenüber jenem aus der vorigen oder vorvorigen Woche.

Vors.:

Nur die Frage, warum Aussetzung? Ich meine, es müßte ja wohl wiederrum in dem Sinne verstanden werden, nicht abzuschließen.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich hätte auf Unterbrechung für 10 Tage[29] ...

Vors.:

Ja, Unterbrechung ...

RA Dr. He[ldmann]:

... weil innerhalb dieser 10 Tage erfahrungsgemäß eine Entscheidung, die nach [§ ]123[ VwGO] ...

Vors.:

Ja, warum soll beispielsweise, wenn wir Ihren Zeugen Dollack am Donnerstag bekommen können, da nicht verhandelt werden? Die Frage läuft ja unabhängig, die läuft ja nicht davon. Ich meine, es geht bloß darum, damit wir den Antrag richtig abgrenzen, geht es auch wieder, wie beim Antrag von Herrn Rechtsanwalt Schily, darum, die Beweisaufnahme nicht abzuschließen oder jedenfalls keine, keinen Abschluß des Verfahrens ins Auge zu fassen, bevor nicht noch die Möglichkeit besteht, aufgrund entsprechender Entscheidungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Zeugen zu hören, wenn es positiv ausfiele. So ist es doch wohl zu verstehen?

RA Dr. He[ldmann]:

Ja, diese beiden Zeugenaussagen a) Opitz b) Dollak habe ich absichtlich in einer Reihenfolge gestellt, weil ich aus Gründen der, nennen wir es hier einmal Wahrheitserforschung, davon ausgegangen bin, daß in dieser Reihenfolge die Zeugen auch gehört werden würden, und ich Wert darauf gelegt habe, die Aussage des Zeugen Opitz als erste, also an der Spitze dieser 5 Beweisanträge zu hören. Rein vorsorglich jedoch stelle ich anheim, meinen Antrag als Antrag zu behandeln, die Beweisaufnahme nicht zu schließen, bevor nicht die angestrebte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg im Anordnungsverfahren ergangen ist.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Schi[ly]:

Ich schließe mich dem Antrag an und auch der Begründung, wobei ich allerdings der Meinung bin, daß auch mein früherer Antrag, den ich in[aa] gleicher Richtung gestellt habe, begründet ist, da ich ja die Rechtsauffassung des Senats zu meinem früher gestellten Antrag hinsichtlich der Zeugenvernehmung von Herrn Generalbundesanwalt [11540] Buback die Auffassung des Senats kennengelernt habe. In Grundzügen möchte ich schon prophylaktisch auf folgenden Gesichtspunkt hinweisen: Ich bin der Auffassung, daß das Argument des Senats in dem Beschluß, den ich meine, es könne ja dann, wenn eine Aussagegenehmigung im Verwaltungsstreitverfahren erwirkt werden könne und dann der Zeuge zur Aussage zur Verfügung stehe, dann möglicherweise ein[bb] Wiederaufnahmeverfahren in Betracht kommen[cc], dieses Argument halte ich für nicht stichhaltig. Der Senat wird sich erinnern, daß hier das Beschleunigungsargument[30] bemüht worden ist, und ich, glaube, man kann sich ja wohl[dd] keine makabere Situation vorstellen als die, daß dann im Verwaltungsstreitverfahren die Aussagegenehmigung erwirkt wird, hier das Verfahren möglicherweise rechtskräftig abgeschlossen[31] und dann im Wege eines Wiederaufnahmeverfahrens[32] neu aufgerollt werden müßte, daß das jeglichem Beschleunigungsgrundsatz hohnsprechen würde. Ich glaube, das wird man bei unvoreingenommener Betrachtungsweise wohl zu[ee] verkennen vermögen. Ich habe den Senat auf die Entscheidungen[ff] des Verwaltungsgerichts Berlin hingewiesen, in denen festgestellt worden ist, daß eine solche Entscheidung über die Aussagegenehmigung vorgreiflich für das Verfahren ist[gg], in dem die Aussagegenehmigung benötigt wird;[33] aber auch in der Kommentierung zu § 62 des[hh] Bundesbeamtengesetzes wird die Auffassung vertreten, daß selbstverständlich dann in dem Verfahren, in dem diese Aussagegenehmigung erforderlich ist, um einen Zeugen zu befragen, eine Aussetzung bzw. Unterbrechung erforderlich ist und zunächst abzuwarten ist, was mit dem Verwaltungsstreitverfahren wird, in dem es um diese Erteilung der Aussagegenehmigung geht. Wie das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln beweist, ist es durchaus möglich und[ii] praktikabel, relativ schnell Entscheidungen herbeizuführen. Wie es allerdings für die mögliche zweite Instanz aussieht, da lässt sich keine Vorhersage treffen. Aber in jedem Falle sind die Nachteile, die dann eintreten, weitaus geringer zu veranschlagen, als die bei einer Wiederaufnahme.

Im übrigen kann sich die Frage auch in anderer Konstellation ja stellen, wenn es gar nicht um eine Aussagegenehmigung geht, sondern um vielleicht die Tatsache, daß innerhalb einer Unterbrechungsfrist ein Zeuge, der eine wichtige Aussage zu machen hat, nicht in der Lage ist, zu kommen oder daß durch Ausfall von Prozeßbeteiligten ein Verfahren nicht durchgeführt werden kann. Es gibt ja eine Reihe von Gründen, durch die eine Aussetzung einer Hauptver- [11541] handlung notwendig wird. Immer hat Vorrang der Grundsatz der Wahrheitserforschung, und da die Bundesanwaltschaft ja den „Kronzeugen“[34] hier meinte, bemühen zu müssen, ist es selbstverständlich dann auch notwendig, zu überprüfen, wie diese Aussagen dieses „Kronzeugen“ zustandegekommen sind.

Zu dem ersten Beschluß - oder war es der zweite - betreffend den Herrn Dr. Degenhardt, halte ich auch die Feststellung zu Protokoll für geboten, daß doch der Senat Versuche von vornherein als aussichtslos ansehen sollte, vermittels von Beschlußbegründungen die Auffassung der Verteidigung ins Gegenteil zu verkehren.

Vors.:

Sonstige Äußerungen seitens der Herrn Verteidiger? Sehe ich nicht. Die Bundesanwaltschaft?

Bitte, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.

BA Dr. Wu[nder]:

Nur eine kurze Erklärung, Herr Vorsitzender.

Ich möchte dazu lediglich feststellen, daß der Generalbundesanwalt Buback unter anderem ja zum gleichen Thema, Behauptungen Müllers zu[jj] der Erschießung Barz durch Baader, vom Bundesjustizminister keine Aussagegenehmigung bekommen hat, und daß in jenem Schreiben des Bundesministers der Justiz auch ausgeführt ist, warum insoweit die Aussagegenehmigung nicht erteilt wird.

Zum Antrag auf Unterbrechung bzw. Nicht-Schließen der Beweisaufnahme glaube ich, jetzt noch keine Stellungnahme abgeben zu müssen. Es müsste ersteinmal das Verfahren in Hamburg in Gang gebracht werden. Im übrigen aber, und das kann jetzt schon gesagt werden, gilt meiner Meinung nach genau das, was der Senat kürzlich in dem anderen am letzten Sitzungstag verkündeten Beschluß ausgeführt hat; die Argumente der Herrn Verteidiger, die eben vorgetragen worden sind, überzeugen mich nicht.

Vors.:

Ich bitte noch einen Augenblick um Geduld. Ich bin gerade bemüht zu erfahren, ob wir mit dem Zeugen Dollak bereits Kontakt aufgenommen haben. Wir werden uns so lange ganz kurz zurückziehen. Ich würde bitten, nicht allzulange fernzubleiben, in spätestens 10 Minuten können wir uns hier wieder treffen.

Pause von 11.24 Uhr bis 11.47 Uhr

Bei Fortsetzung der Hauptverhandlung ist OStA Holland nicht mehr[kk] anwesend.

[11542] Vors.:

Die Verzögerung ist dadurch bedingt gewesen, daß wir versucht haben, gleich eine Bestätigung seitens des Zeugen Dollak zu bekommen. Sie ist nicht zu erreichen gewesen. Der Zeuge Dollak ist nicht zuhause. Aber es ist immerhin festgestellt, daß es ihn gibt und daß er[ll] unter der angegebenen Adresse wohnt.

Es ist kein Anlaß, wegen der Ankündigung des Verwaltungsgerichtswegs im Hinblick auf die Aussagegenehmigung des Zeugen Opitz die beabsichtigte Vernehmung des Zeugen Dollak am kommenden Donnerstag nicht durchzuführen.

Wir setzen die Sitzung am Donnerstag fort um 9.00 Uhr.

Wir werden bis dahin den Zeugen Dollak geladen haben.

Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Schi[ly]:

Ich habe dann die Bitte, falls, also ich kann es ja nicht beurteilen, aber falls wider Erwarten irgendwelche Hinderungsgründe dazu führen, daß der Herr Dollak am Donnerstag nicht zur Verfügung steht, daß man dann vielleicht doch also dann schon uns nicht hier erst herbittet, sondern vielleicht dann vorweg dann irgendwie eine andere Regelung findet, falls nicht der Senat noch andere Beweisthemen dann in die Verhandlung einführen will.

Und die zweite Frage, die sich an die Bundesanwaltschaft an sich richtet. Ich habe in der Zeitung gelesen, daß die Begründung der Strafanträge fertiggestellt sei, allerdings ...

Vors.:

Darf ich aber bitten, das außerhalb der Hauptverhandlung mit der Bundesanwaltschaft zu besprechen.

RA Schi[ly]:

Nein, ich glaube, daß es, Herr Vorsitzender, doch auch für den Senat von großem Interesse sein sollte, daß ...

Vors.:

Wir haben es auch gelesen, aber ...

RA Schi[ly]:

... das doch einigermaßen ungewöhnlich ist, daß vor Schluß der Beweisaufnahme die Begründung von Strafanträgen fertiggestellt ist.

Vors.:

Ich bitte also darüber jetzt ...

RA Schi[ly]:

Nein, Herr Vorsitzender, ...

Vors.:

... keine weiteren Ausführungen ...

RA Schi[ly]:

Herr Vorsitzender, ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily, darf ich jetzt folgenden Hinweis geben. Wenn etwa sich zeigen sollte, daß wir den Zeugen Dollak nicht bekommen und nicht sonstige Gründe für die Durchführung der Hauptverhandlung am Donnerstag sprächen, wird selbstverständlich entsprochen. Sie würden dann die Nachricht bekommen, kurzfristig. Ich muß mir das in der Tat, nachdem wir von der Hand in den Mund zur Zeit leben, vorbehalten; das würde natürlich möglichst [11543] rasch geschehen. Ich hoffe ... ich kann es allerdings erst morgen zusagen, denn die Verbindung zu dem Zeugen Dollak wird nach den bisherigen Feststellungen erst heute abend möglich sein. Wir setzen damit die Sitzung fort ...

RA Schi[ly]:

Herr Vorsitzender, es geht aber um die Terminierung bei diesen, vielleicht darf ich das noch ergänzen, ...

Vors.:

Gut, Terminierung, das ist etwas, was ...

RA Schi[ly]:

... denn diese Meldung verbindet sich auch mit der Mitteilung, daß die Bundesanwaltschaft der Meinung ist oder die Erklärung abgegeben hat, daß diese Begründung der Strafanträge man erst in zwei Monaten abliefern, also gerechnet von dieser Veröffentlichung, die erst etwa 10 Tage zurückliegt.

Vors.:

Was hat das mit der Terminierung zu tun, Herr Rechtsanwalt?

RA Schi[ly]:

Ja, doch, wenn vielleicht die Bundesanwaltschaft über Erkenntnisse verfügt, daß die Plädoyers erst in zwei Monaten hier gehalten werden sollen, dann wäre ich dankbar, wenn auch die Verteidigung über diese Erkenntnisse unterrichtet würde.

Vors.:

Das hängt von Ihnen ab. Erkenntnisse über den Beginn der Plädoyers sind hier nicht vorhanden. Ich vermute auch bei der Bundesanwaltschaft nicht. Ich kann es nur vermuten insoweit. Aber so viel ist sicher, wenn es jemand weiß, dann die Herren Verteidiger.

RA Schi[ly]:

Wir wissen es, aha, das ist interessant.

Vors.:

Sie müssen wissen, was Sie noch für ein Programm haben an Anträgen.

RA Schi[ly]:

Aha, naja, das ...

Vors.:

Das ist allein Ihre Sache. Wir könnten ohne Ihre Anträge, wie Sie wissen, gegen die bisher überhaupt nichts eingewendet worden ist, sie sind prozeßordnungsgemäß beschieden, angenommen, gestellt worden. Wir wissen nicht, was dazu noch kommt. Ohne diese Anträge könnte wahrscheinlich mit den Plädoyers, wie schon früher mal angekündigt, begonnen worden sein inzwischen. Also es liegt in Ihrer Hand, nicht in der Hand wohl der Bundesanwaltschaft.

Ich bitte also am kommenden Donnerstag, 9.00 Uhr, wieder hier zu sein, bis dann wird ...

[11544] RA Schi[ly]:

Ich glaube, Herr Dr. Wunder würde gerne dazu vielleicht sich äußern, auf die Begründung der Strafanträge.

Vors.:

Wollen Sie sich dazu äußern?

Bitte, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.

BA Dr. Wu[nder]:

Herr Vorsitzender, ein Wort sage ich ganz gerne dazu. Die Formulierung „die Strafanträge seien jetzt fertiggestellt“ stammt mit Sicherheit nicht von der Bundesanwaltschaft.

Vors.:

Fortsetzung am Donnerstag, 9.00 Uhr, es sei denn auf Widerruf, dann würde der neue Termin auf[mm] kommenden Dienstag bekanntgegeben.

Ende der Hauptverhandlung um 11.52 Uhr

Ende Band 674


[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 - Az.: 1 StE 1/74 - StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).

[2] § 57 StPO a.F. schrieb für die Belehrung von Zeug/innen vor: „Vor der Vernehmung sind Zeugen zur Wahrheit zu Ermahnen und darauf hinzuweisen, daß sie ihre Aussage zu beeidigen haben, wenn keine im Gesetz bestimmte oder zugelassene Ausnahme vorliegt. Hierbei sind sie über die Bedeutung des Eides, die Möglichkeit der Wahl zwischen dem Eid mit religiöser oder ohne religiöse Beteuerung sowie über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage zu belehren.“ Nach § 55 Abs. 1 StPO steht Zeug/innen ein Auskunftsverweigerungsrecht zu, wenn sie sich selbst oder ihre Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) durch die Beantwortung einer Frage der Gefahr aussetzen würden, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.

[3] Zu den Besonderheiten dieses Verfahrens gehörte es, dass sich die Prozessbeteiligten darauf einigten, ein gerichtliches Wortprotokoll als Arbeitsgrundlage anzufertigen (s. dazu S. 4 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag). Gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich ein sog. Ergebnisprotokoll, in welchem der Gang und die wesentlichen Ergebnisse der Hauptverhandlung sowie die wesentlichen Förmlichkeiten festgehalten werden (§§ 272, 273 StPO). Die wörtliche Protokollierung ist nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO nur dann vorgesehen, wenn es auf die Feststellung des Wortlauts einer Aussage oder Äußerung ankommt. Nach der damaligen Rechtsprechung bedurfte die Tonbandaufnahme in der Hauptverhandlung stets der Zustimmung der Beteiligten (BGH, Urt. v. 4.2.1964 - Az.: 1 StR 510/63, NJW 1964, S. 602 f.; OLG Schleswig, Beschl. v. 6.5.1992 - Az.: 2 Ws 128/92, NStZ 1992, S. 339). Heute wird die gerichtliche Tonbandaufnahme z.T. auch ohne Zustimmung der Beteiligten für zulässig erachtet (Kulhanek, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/2, 1. Aufl. 2018, § 169 GVG Rn. 35; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 169 GVG Rn. 13).

[4] In den Fällen der notwendigen Verteidigung ist die Mitwirkung eines Verteidigers oder einer Verteidigerin gesetzlich vorgeschrieben (§ 141 StPO a.F.; seit dem 13.12.2019 [Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019, BGBl. I, S. 2128] ist die Bestellung in manchen Fällen von einem Antrag des/der Beschuldigten abhängig, § 141 Abs. 1 StPO). Die notwendige Verteidigung ergab sich in diesem Verfahren daraus, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht stattfand (§ 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO) und dem Vorwurf eines Verbrechens (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO; ein Verbrechen liegt vor bei einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr, § 1 Abs. 1 StGB a.F.; heute: § 12 Abs. 1 StGB), sowie der Inhaftierung der Beschuldigten für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO a.F.; heute ist die zeitliche Vorgabe entfallen). Auch zuvor gewählte Verteidiger/innen können als Pflichtverteidiger/innen bestellt werden, was zu diesem Zeitpunkt noch auf die Rechtsanwälte Dr. Heldmann (für den Angeklagten Baader) und Schily (für die Angeklagte Ensslin) zutraf. Da den Angeklagten neben ihren Vertrauensverteidiger/innen je zwei weitere Verteidiger zur Sicherung des Verfahrens (gegen ihren Willen) beigeordnet worden waren, konnte die Hauptverhandlung stets fortgeführt werden, auch wenn die Vertrauensverteidigung nicht anwesend war. Die Angeklagten weigerten sich jedoch, mit den von ihnen sog. Zwangsverteidigern zu reden. Ulrike Meinhof führte am 1. Verhandlungstag aus: „Es handelt sich bei diesen Verteidigern um Zwangsverteidiger, die als Instrumente der B. Anwaltschaft ohne jede Kompetenz, abhängige Staatsschutzverteidiger sind, d. h. ihrer Funktion in diesem Prozeß nach Vertreter der Anklagebehörden und der Staatsschutzabteilung“ (S. 85 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[5] Die Beiordnung als Pflichtverteidiger/in dient dem öffentlichen Interesse, dafür zu sorgen, dass Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhalten und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfG, Beschl. v. 8.4.1975 - Az.: 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, S. 238, 242). Daher gehen mit ihr besondere Pflichten einher, darunter die Anwesenheitspflicht während der Hauptverhandlung, und zwar unabhängig davon, ob weitere (Pflicht-)Verteidiger/innen anwesend sind (OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2015 - Az: 2 Ws 203/15, NStZ 2017, S. 436, 437 f.).

[6] Gerhard Müller war ein ehemaliges Mitglied der RAF und einer der Hauptbelastungszeugen in diesem sowie in weiteren Verfahren gegen Mitglieder der RAF. Er wurde ab dem 124. Verhandlungstag als Zeuge vernommen.

[7] Am 1.6.1972 wurden die Angeklagten Andreas Baader und Jan-Carl Raspe, sowie der frühere Mitangeschuldigte Holger Meins nach einem Schusswechsel in Frankfurt a.M. verhaftet. Ihnen wurde in diesem Zusammenhang versuchter Mord vorgeworfen. Dieser Vorgang war ab dem 43. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[8] Die Aufgabe von Zeug/innen ist es, eine persönliche Wahrnehmung über einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang zu bekunden (BGH, Urt. v. 12.3.1969 - Az.: 2 StR 33/69, BGHSt 22, S. 347, 348), wobei es nur auf Tatsachen ankommt. Dazu gehören auch sog. innere Tatsachen, wie die eigene Überzeugung und bestimmte Motive (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, Vor § 48 Rn. 2). Im Unterschied dazu vermitteln Sachverständige Sachkunde oder wenden diese bei der Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts an. Bei der Bekundung von Tatsachen ist zu unterscheiden: Wurde die bekundete Tatsache im Rahmen eines behördlichen Auftrages aufgrund der besonderen Sachkunde wahrgenommen, fällt auch die Tatsachenbekundung in den Aufgabenbereich der Sachverständigen. Wurde die Tatsache hingegen ohne Auftrag, aber dennoch aufgrund einer gewissen Sachkunde wahrgenommen, sind die Regeln für den Zeugenbeweis anwendbar (sog. sachverständiger Zeuge, § 85 StPO; s. zur Abgrenzung Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 85 Rn. 2 f.).

[9] § 223 StPO ermöglicht die Vernehmung durch eine/n ersuchte/n oder beauftragte/n Richter/in, wenn dem Erscheinen von Zeug/innen in der Hauptverhandlung nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen, oder ihnen das Erscheinen wegen großer Entfernungen nicht zugemutet werden kann.

[10] Nach § 250 Satz 2 StPO darf die Vernehmung einer Person über Tatsachen, die sie wahrgenommen hat, grundsätzlich nicht durch die Verlesung einer früheren Vernehmung oder einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden Die §§ 251 ff. StPO enthalten aber enge Ausnahmen von diesem Grundsatz. So ist die Verlesung der Niederschrift über eine frühere richterliche Vernehmung etwa nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO a.F. (heute: § 251 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO) zulässig, wenn dem Erscheinen des/der Zeug/in für eine längere Zeit nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen, oder ihm/ihr das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung der Aussage nicht zugemutet werden kann. Auf diesem Weg können auch die Vernehmungen durch beauftragte bzw. ersuchte Richter/innen (Fn. 9) in die Hauptverhandlung eingebracht werden.

[11] Zeug/innen sind grundsätzlich zur Aussage vor Gericht verpflichtet (seit 2009 explizit in § 48 Abs. 1 Satz 2 StPO geregelt; zuvor war dies bereits als allgemeine staatsbürgerliche Pflicht angesehen, vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.10.1978 - 2 BvL 3/78, BVerfGE 49, S. 280, 284). Nach § 70 Abs. 1 StPO können den Zeug/innen, die sich ohne gesetzlichen Grund weigern auszusagen, die hierdurch verursachten Kosten auferlegt werden, außerdem wird ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, gegen sie festgesetzt. Nach § 70 Abs. 2 StPO kann zur Erzwingung des Zeugnisses auch die Haft von bis zu 6 Monaten angeordnet werden.

[12] Der Polizeibeamte Norbert Schmid wurde bei einem Festnahmeversuch des RAF-Mitglieds Margrit Schiller erschossen. Er war das erste Todesopfer der RAF. Der genaue Tatvorgang, insbesondere die Täterschaft, konnte bis heute nicht aufgeklärt werden. Schiller selbst belastete Gerhard Müller schwer, der mit Urteil vom 16.3.1976 vom LG Hamburg zwar für andere Taten, darunter Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Beihilfe zum Mord, nicht aber für den Mord an Schmid verurteilt wurde (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 113 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29). Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass der Freispruch Müllers in Bezug auf den Mord an Norbert Schmid Teil einer unzulässigen Absprache mit den Strafverfolgungsbehörden gewesen sei (s. dazu etwa die Beweisanträge in den Anlagen 8 und 12 zum Protokoll vom 20.7.1976, S. 10649 f., 10659 des Protokolls der Hauptverhandlung, 128. Verhandlungstag).

[13] Anlage 1 zum Protokoll vom 14.9.1976: Antrag des Rechtsanwalts Schily auf Einsichtnahme in den Schriftwechsel zwischen dem Vorsitzenden Dr. Prinzing und dem Generalbundesanwalt Buback.

[14] Anlage 2 zum Protokoll vom 14.9.1976: Antrag des Rechtsanwalts Schily, Rolf Pohle als Zeugen in Griechenland vernehmen zu lassen.

[15] Der von § 55 StPO umfasste „Schaden“, der durch Verweigerung der Auskunft abgewendet werden können soll, ist die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit.

[16] Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung sah § 59 StPO a.F. die Vereidigung von Zeug/innen noch als Regelfall vor, wenn nicht ein Vereidigungsverbot (§ 60 StPO a.F.) vorlag. Nach § 61 StPO a.F. konnte das Gericht zudem in Ausnahmefällen von der Vereidigung absehen. Im Unterschied dazu bestimmt der heutige § 59 Abs. 1 Satz 1 StPO, dass eine Vereidigung nur dann erfolgt, wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage nach seinem Ermessen für notwendig hält.

[17] Landes- und Bundesbeamt/innen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet bezüglich aller Angelegenheiten, die ihnen im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit bekanntgeworden sind. Aussagen vor Gericht hierüber sind nur nach und im Umfang der Genehmigung durch den jeweiligen Dienstherrn gestattet (heute geregelt in § 37 Abs. 1 und 3 BeamtStG für Landesbeamt/innen und in § 67 Abs. 1 und 3 BBG für Bundesbeamt/innen; für den Stand 1975 galten für Landesbeamt/innen noch Landesgesetze, die sich allerdings an § 39 des Beamtenrechtsrahmengesetzes vom 1.7.1957 orientieren mussten; für Bundesbeamt/innen galt § 61 BBG a.F.). § 54 Abs. 1 StPO stellt sicher, dass die Verschwiegenheitspflicht auch im Falle einer Vernehmung als Zeug/in in einem Strafprozess fortbesteht.

[18] Die Voraussetzungen eines Beweisantrages wurden erst durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 (BGBl. I, S. 2121) gesetzlich normiert. Nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO liegt ein Beweisantrag nunmehr vor, „wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll.“ Damit wurden die Anforderungen, die sich bereits in der Rechtsprechung entwickelt hatten, weitestgehend übernommen (s. etwa BGH, Urt. v. 23.1.1951 - Az.: 1 StR 37/50, BGHSt 1, S. 29, 31; BGH, Urt. v. 7.5.1954 - Az.: 2 StR 27/54, BGHSt 6, S. 128, 129; BGH, Urt. v. 12.8.1960 - Az.: 4 StR 48/60, NJW 1960, S. 2156, 2157).

[19] Die §§ 244 bis 256 StPO enthalten Vorgaben für das sog. Strengbeweisverfahren, welches zum Beweis von Tatsachen Anwendung findet, die die Schuld- oder Straffrage betreffen.

[20] Voraussetzung für die Fortsetzung der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ist ihre selbst vorsätzlich und schuldhafte herbeigeführte Verhandlungsunfähigkeit (s. bereits Fn. 1).

[21] Dass die Angeklagten ihren Zustand selbst verschuldet hätten, stützte der Senat auf zwei Aspekte: Zum einen seien die Hungerstreiks mitursächlich für ihren Zustand, insofern hätten die Angeklagten diesen vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführt (S. 3128 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag). Zum anderen seien auch die Haftbedingungen, die einer Besserung des Zustandes nach Auffassung etwa des Sachverständigen Prof. Rasch entgegenstünden, dem Verantwortlichkeitsbereich der Angeklagten zuzuordnen. Sie hätten gewusst, dass die Beeinträchtigungen des Hungerstreiks unter den bekannten Haftbedingungen nicht zu beheben seien; zudem verweigerten sie sich der Behandlung (S. 3138 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag).

[22] Siegfried Hausner war als Mitglied des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK) im Juni 1971 nach einer Verkehrskontrolle in eine Schießerei mit der Polizei verwickelt, weshalb er zu einer Jugendstrafe verurteilt wurde. Nach seiner Entlassung schloss er sich der RAF an. Er war Teil des „Kommando Holger Meins“, das am 24. April 1975 bei dem Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm zwölf Geiseln nahm, zwei Menschen tötete und die Freilassung von 26 RAF-Gefangenen, darunter der Angeklagten Baader, Ensslin und der früheren Angeklagten Meinhof, forderte. Aus weiterhin unbekannten Gründen explodierte kurz vor der Stürmung des Gebäudes durch schwedische Spezialkräfte im Inneren der Botschaft ein Sprengsatz, infolgedessen Hausner schwer verletzt wurde. Trotz dieser Verletzungen wurde Hausner wenige Tage später in die Bundesrepublik ausgeliefert und auf die Intensivstation der JVA Stammheim verlegt. Hausner starb dort Anfang Mai 1975 (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 512. 515 f.; Forsbach, Die 68er und die Medizin, 2011, S. 95 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 766 Anm. 80).

[23] Das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) war eine 1970 gegründete Gruppe von Patient/innen des Heidelberger Arztes Wolfgang Huber. Das SPK übte Kritik an zeitgenössischen Psychiatrieformen und einer als krankmachend empfundenen kapitalistischen Gesellschaft. Dagegen setzte die Gruppe auf antiautoritäre Therapien und Forderungen nach einer revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft. Im Sommer 1971 wurden acht Mitglieder des SPK unter dem Verdacht der RAF-Unterstützung und der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verhaftet. Ab November 1972 folgten Prozesse u.a. wegen Sprengstoffherstellung und Urkundenfälschung. Besondere Bekanntheit erlangte das SPK darüber hinaus durch den Übertritt einiger seiner Mitglieder in die Reihen der RAF (Brink, in Weinhauer/Requate/Haupt [Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 134, 137 f.; Forsbach, Die 68er und die Medizin, 2011, S. 90 ff.).

[24] § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO a.F. (heute: § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO) ermöglicht die Wahrunterstellung für erhebliche Tatsachen, die zur Entlastung der Angeklagten bewiesen werden sollen.

[25] Die genannte Fundstelle bezieht sich auf Beweisermittlungsanträge. Gemeint sein dürfte stattdessen Gollwitzer a.a.O. Anm. V 7 lit. c. Dort wird für die Möglichkeit, einen Beweisantrag im Wege der Wahrunterstellung abzulehnen ausgeführt: „Das Gericht darf von der Wahrunterstellung nur Gebrauch machen, wenn dies ohne Verletzung seiner Pflicht, die Wahrheit zu erforschen, möglich ist. Es muß daher feststehen, daß die Beweisaufnahme nicht mehr zu einem Ergebnis führen kann, welches die wahr unterstellte Behauptung zu widerlegen geeignet ist“ (Hervorh. im Original).

[26] Ingeborg Barz war ein frühes Mitglied der RAF. Zuvor war sie Teil der Hilfsorganisation Schwarze Hilfe und bildete u.a. gemeinsam mit Angela Luther, Inge Viett, Verena Becker und Waltraud Siepert eine feministische Gruppe namens Die schwarze Braut. Über Barz’ Position in der RAF ist nicht viel bekannt. 1971 soll sie beim Überfall auf eine Bank in Kaiserslautern mitgewirkt haben. Von der Verhaftungswelle 1972 war Barz nicht betroffen, gilt aber wie Angela Luther seitdem als verschwunden. Über ihren Verbleib existieren nur Spekulationen. Unter anderem stand der Verdacht im Raum, dass sie als Spitzel des Verfassungsschutzes enttarnt und von Baader erschossen worden sei (Kraushaar, Verena Becker und der Verfassungsschutz, 2010, S. 31 ff., 37 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S 299, 820). Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass die Behauptung, Baader habe Barz erschossen, von Gerhard Müller aufgestellt worden sei, um Baader wahrheitswidrig zu belasten (s. den Beweisantrag des Rechtsanwalts Dr. Heldmann am 142. Verhandlungstag, S. 11467 des Protokolls der Hauptverhandlung). Durch den Beweis der Unwahrheit dieser Tatsache sollte die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen Müller insgesamt erschüttert werden (s. dazu etwa die Diskussion um den am 147. Verhandlungstag gestellten Beweisantrag, S. 11684 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Zu den Angaben, die Müller über in diesem Zusammenhang gemacht haben soll, s. auch die Ausführungen des Vernehmungsbeamten KHK Opitz am 152. Verhandlungstag (S. 11855 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung).

[27] Wird die Erteilung einer Aussagegenehmigung abgelehnt, so steht den Prozessbeteiligten hiergegen der Verwaltungsrechtsweg offen (BVerwG, Urt. v. 24.6.1982 - Az.: 2 C 91/81, BVerwGE 66, S. 39, 41). Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit kommt neben einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aussagegenehmigung zudem ein Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO in Betracht.

[28] Behördliche Ermessensentscheidungen sind gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar (§ 114 VwGO). Anerkannt ist die Überprüfung im Hinblick auf die folgenden Fehler bei Ausübung des Ermessens: Ermessensausfall, Ermessensüberschreitung, Ermessensdefizit sowie Ermessensfehlgebrauch (Redeker, in Redeker/Oertzen [Begr.], Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Auflage 2014, § 114 Rn. 12, 15). Die Entscheidung über die Erteilung oder Verweigerung der Aussagegenehmigung (§§ 67 Abs. 3, 68 BBG n.F., § 61 Abs. 2, 62 BBG a.F.) stellt jedoch keine solche Ermessensentscheidung, sondern eine sogenannte gebundene Entscheidung dar, die gerichtlich voll überprüfbar ist (BVerwG, Beschl. v. 03.10.1974 - Az.: I WB 1/74, BVerwGE 46, S. 303, 307; BVerwG Urt. v. 24.6.1982 - C 91.81, BVerwGE 66, S. 39, 42).

[29] Die Strafprozessordnung unterscheidet zwischen (kürzeren) Unterbrechungen und der Aussetzung des Verfahrens. Während die Unterbrechung der Hauptverhandlung für einen kürzeren Zeitraum (§ 229 Abs. 1 StPO a.F.: bis zu zehn Tage; heute: 3 Wochen) durch den/die Vorsitzende/n angeordnet werden kann (§ 228 Abs. 1 Satz 2 StPO), ist für die Entscheidung über die Aussetzung sowie über für bestimmte Situationen vorgesehene längere Unterbrechungen (z.B. nach § 229 Abs. 2 StPO) das Gericht - hier wäre das der Senat in voller Besetzung - zuständig (§ 228 Abs. 1 Satz 1 StPO). Eine Aussetzung hat stets die Folge, dass mit der Hauptverhandlung von neuem zu beginnen ist; gleiches gilt für eine die Frist des § 229 Abs. 1 StPO überschreitende Unterbrechung (§ 229 Abs. 3 Satz 1 StPO a.F.; heute Abs. 4 Satz 1 StPO; s. zu den grundlegenden Unterschieden zwischen Aussetzung und Unterbrechung auch Arnoldi, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 228 Rn. 3 ff.).

[30] Art. 6 EMRK enthält das Recht auf ein faires Verfahren. Dazu gehört u.a. der Anspruch, dass eine Strafanklage innerhalb angemessener Frist verhandelt wird (Abs. 1 Satz 1). Hierdurch soll erreicht werden, dass das Strafverfahren ohne vermeidbare Verzögerungen durchgeführt wird, damit Angeklagte den belastenden Auswirkungen eines gegen sie gerichteten Strafverfahrens nicht unnötig lang ausgesetzt werden. Befindet sich eine Person in Untersuchungshaft, erlangt der Beschleunigungsgrundsatz eine noch größere Bedeutung (Gaede, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/2, 1. Aufl. 2018, Art. 6 EMRK Rn. 361 f.).

[31] Ein gerichtliches Urteil erwächst in (formeller) Rechtskraft, wenn kein Rechtsmittel mehr dagegen erhoben werden kann, es also im selben Verfahren unanfechtbar geworden ist. Dies ist der Fall, wenn die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels abgelaufen ist, oder wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind und eine letztinstanzliche Entscheidung ergangen ist. Mit der Rechtskraft entfaltet die Entscheidung auch ihre dauerhafte Wirkung, die nur in Ausnahmefällen wieder durchbrochen werden kann (Nestler, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3.1, 1. Aufl. 2019, § 449 Rn. 27).

[32] Die §§ 359 ff. StPO enthalten eng begrenzte Wiederaufnahmemöglichkeiten. So ist zugunsten des/der Beschuldigten eine Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO zulässig, „wenn neue Tataschen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung [...] zu begründen geeignet sind.“

[33] Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes (§ 123 VwGO) kann grundsätzlich nur eine vorläufige Entscheidung erreicht werden; eine endgültige Entscheidung erfolgt erst in dem Verfahren der Hauptsache. Daher ist es im einstweiligen Rechtsschutzverfahren in der Regel nicht möglich, eine Entscheidung zu erreichen, die die Hauptsache unwiderruflich vorwegnehmen würde. Eine solche endgültige Vorwegnahme ist allerdings in Ausnahmefällen zulässig, wenn die Hauptsache nach einem strengen Maßstab erkennbar Erfolg haben wird, eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rechtzeitig erwirkt werden kann und dem/der Antragssteller/in hieraus unzumutbare Nachteile entstehen würden. Im Falle einer beantragten Aussagegenehmigung für einen Untersuchungsausschuss bejahte das Bundesverwaltungsgericht diese unzumutbaren Nachteile, die durch eine Beendigung des Untersuchungsverfahrens vor Entscheidung in der Hauptsache eintreten würden (BVerwG, Beschl. v. 13.8.1999 - Az.: 2 VR 1/99, BVerwGE 109, S. 258, 262 f.).

[34] Die Schaffung einer speziellen gesetzlichen Kronzeugenregelung wurde zum damaligen Zeitpunkt zwar diskutiert, erfolgte aber zunächst nicht. Während bereits mit Gesetz vom 28.7.1981 (BGBl. I, S. 681) eine Kronzeugenregelung für Betäubungsmitteldelikte geschaffen wurde (§ 31 BtMG), geschah dies erst 1989 auch für terroristische Straftaten (BGBl. I, S. 1059, S. 1061). Diese Regelung trat jedoch zum 1.12.1999 wieder außer Kraft. Erst seit dem 1.9.2009 gibt es im deutschen Strafrecht mit § 46b StGB eine allgemeine Kronzeugenregelung (eingeführt durch das 43. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29.7.2009, BGBl. I, S. 2288).


[a] Handschriftlich ersetzt: Vernehmung durch Vertretung

[b] Handschriftlich ersetzt: unscharfe durch und scharfe

[c] Handschriftlich ergänzt: Ausführungen

[d] Handschriftlich ersetzt: mir durch mich

[e] Maschinell durchgestrichen: sich

[f] Handschriftlich ersetzt: der durch dass

[g] Handschriftlich ersetzt: das durch die

[h] Maschinell eingefügt: das

[i] Handschriftlich eingefügt: waren

[j] Maschinell eingefügt: (Die Zeugin nickt mit dem Kopf)

[k] Handschriftlich ersetzt: dann durch denn

[l] Maschinell eingefügt: da

[m] Maschinell eingefügt: haben

[n] Maschinell eingefügt: Sie

[o] Maschinell eingefügt: Ja,

[p] Maschinell eingefügt: es

[q] Handschriftlich ersetzt: nimm durch nehm’

[r] Handschriftlich eingefügt: (zu RA Schily)

[s] Maschinell eingefügt: Ihr Sohn

[t] Handschriftlich eingefügt: (zum Zeugen)

[u] Maschinell eingefügt: Rechtanwälte

[v] Maschinell ersetzt: war durch wäre

[w] Maschinell eingefügt: an Sie

[x] Maschinell eingefügt: Die Zeugin Ingeborg Müller erscheint um 10.58 Uhr wieder im Sitzungssaal.

[y] Maschinell ergänzt: Verwaltungsgerichtordnung

[z] Maschinell ergänzt: vorvorigen

[aa] Maschinell eingefügt: in

[bb] Handschriftlich durchgestrichen: eine

[cc] Handschriftlich ergänzt: kommen

[dd] Maschinell ersetzt: also durch ja wohl

[ee] Maschinell eingefügt: zu

[ff] Handschriftlich ergänzt: Entscheidungen

[gg] Maschinell eingefügt: ist

[hh] Maschinell eingefügt: des

[ii] Maschinell eingefügt: und

[jj] Handschriftlich eingefügt: zu

[kk] Maschinell eingefügt: mehr

[ll] Handschriftlich eingefügt: er

[mm] Handschriftlich ersetzt: am durch auf