126. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Mittwoch, den 14. Juli 1976, 9.05 Uhr



[10405] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Mittwoch, den 14. Juli 1976, 9.05 Uhr.

(126. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte sind anwesend:

JOS Janetzko, JAss. z. A. Scholze.

Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]

Als Verteidiger sind anwesend:

Rechtsanwälte Schwarz, Schnabel, Künzel und Schlaegel.

Als Zeuge ist anwesend:

Gerhard Müller

- vorgeführt aus Untersuchungshaft -

mit seinem Rechtsbeistand,[2] Rechtsanwalt Huth.

Vors.:

Ich bitte, Platz zu nehmen. Wir setzen die Sitzung fort. Die Verteidigung ist gewährleistet. Zunächst muß ich mit Bedauern darauf hinweisen, die Klimaanlage funktioniert nach wie vor nicht. Es kann sein, daß sie während des Tages repariert wird. Wir müssen uns[a] also auf etwas ungünstige klimatische Bedingungen im Saale einstellen.

Rechtsanwalt Dr. Hoffmann erscheint um 9.05 Uhr im Sitzungssaal.

Vors.:

Es ist vorgesehen gewesen ... Wenn Sie freundlicherweise das Mikrofon bedienen würden, Herr Rechtsanwalt Huth.

RA Huth:

... vorsichtshalber eingangs eine Erklärung für Herrn Müller abzugeben. Und zwar ist dieser nunmehr bereit, Fragen im Zusammenhang mit den Erklärungen des Herrn Hoff vor diesem Gerichte zu beantworten.

Vors.:

Dankeschön. Wir sind noch bei der Vernehmung von Herrn Müller.

Es ist offenbar so, daß Herr Müller damit anknüpft an die gestern an ihn gerichteten Fragen seitens des Gerichts, die ich Ihnen gestellt habe. Worauf Sie sich dann auf den § 55[ StPO][3] berufen haben, was ja ein gutes Recht ist für Sie. Und Sie sind bereit, jetzt nicht [10406] mehr den [§ ]55[ StPO] geltend zu machen, sondern sich dazu zu äußern. Ist das richtig verstanden?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

Vors.:

Dann bitte ich um Verständnis, wenn ich die paar Fragen, die ich gestern gestellt habe, nun meinerseits, bevor ich dann der Bundesanwaltschaft die Gelegenheit gebe, Fragen zu stellen, an Herrn Müller richte.

Herr Müller, nochmals. Es ging ja bei diesem Fragenkomplex gestern um die Richtigkeit Ihrer Angabe, Sie hätten den „Pfirsich“[4] nie kennengelernt, Sie seien ihm nie begegnet. Wir haben nun, das hatte ich Ihnen gestern dargelegt, Anlaß zu der Annahme, daß der von Ihnen genannte „Pfirsich“ der hier gehörte Zeuge Hoff gewesen sei. Das ergibt sich[b] einmal daraus, daß er selbst und Sie dieselben Arbeiten als die seinen bezeichnen. Das ist das erste. Und das zweite, daß wir eine Schilderung der Übergabe dieses Metallrohrs haben von zwei Seiten hergesehen: einmal vom Empfänger und einmal vom Anlieferer. Sie waren auf der Anliefererseite und schildern selbst, wie Sie beteiligt waren, im Detail übereinstimmend mit Aussagen des Herrn Hoff, so daß man annehmen kann, daß Sie der Fahrer waren, den damals, oder annehmen könnte, den der Herr Hoff damals gesehen hat. Das würde dann aber bedeuten, daß die Angabe von Herrn Hoff wirksam ist. Diesen Fahrer, den er unter dem Namen „Harry“ kennengelernt hat, mehrfach gesehen zu haben, mit ihm gesprochen zu haben, von ihm Geld bekommen zu haben, ihm begegnet zu sein und diesen Fahrer auch erlebt zu haben bei der Abholung von Arbeiten die er hergestellt hat. Und daran knüpft sich jetzt die erste Frage an Sie: Ist es nicht doch so, daß möglicherweise in der Gruppe Ihr Deckname nicht „Hardy“ sondern „Harry“ gewesen oder geworden ist?

Rechtsanwalt Dr. Heldmann erscheint um 9.07 Uhr im Sitzungssaal.

Vors.:

Wollen Sie sich dazu äußern, wobei ich Sie wiederum darauf hinweise, das muß ich einfach aus Gründen der Fürsorgepflicht tun, das sind [c] natürlich Fragen, die nun unmittelbar zur Überprüfung einerseits Ihrer Glaubwürdigkeit dienen können, andererseits aber in den Bereich hineinragen, der gegen Sie selbst in Form von Beschuldigung gerichtet ist. Ich weise Sie also nach wie vor darauf hin, der § 55[ StPO] steht Ihnen immer zur Seite in solchen [10407] Fällen. Niemand zwingt einen Zeugen, sich selbst zu belasten.

Wenn Sie aber wollen, dann also bitte zunächst, dann allerdings auch wahrheitsgemäß. Denn wenn Sie Aussagen machen, müssen Sie bei der Wahrheit bleiben, als Zeuge. Ist es so, daß Sie in der Gruppe den Decknamen „Harry“ getragen haben oder bekommen haben, sei es als Abschleifung aus dem ursprünglichen Namen „Hardy“?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, ich will hier auch noch dazu sagen, daß ich angegeben hab bei meiner polizeilichen Vernehmung, daß ich „Pfirsich“ nicht kenne, weil ich für mein eigenes Verfahren,[5] das noch nicht abgeschlossen ist, befürchtet hab, daß mir da Nachteile entstehen.

Vors.:

Das beinhaltet nun in der Tat das Zugeständnis, daß Sie ihn in Wirklichkeit doch kannten und damals eben aus Zweckmäigkeitsgründen leugneten. Ist das richtig?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

Vors.:

Nun habe ich Ihnen ja vorgehalten, wie diese Begegnungen stattgefunden haben sollen. Sie werden es wahrscheinlich noch in Erinnerung haben. Entspricht das dem Erinnerungsbild, das Sie selbst haben?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, so im großen und ganzen trifft es zu. Wann sich das abgespielt haben soll, das weiß ich nicht mehr. Also ich hab nicht so ein gutes Zeitgedächtnis. Und die Treffs, die da geschildert werden, also zwischen „Harry“ und „Pfirsich“, die haben stattgefunden.

Vors.:

Und die Treffs zwischen „Harry“ und „Pfirsich“ bedeuteten im Klartext Treffs zwischen Müller und Hoff?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

Vors.:

Ich hab dazu keine weiteren Fragen mehr. Seitens des Gerichts?

Ich sehe nicht. Dann darf ich jetzt der Bundesanwaltschaft das Wort zu den Fragen an den Herrn Zeugen erteilen. Bitte, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder?

BA Dr. W[under]:

Herr Müller, sagen Sie bitte zunächst dem Gericht, ob Sie in den letzten zwei oder drei Jahren ein Gespräch mit einem der hier anwesenden Sitzungsvertreter der Bundesanwaltschaft hatten.

Zeuge Mül[ler]:

Ja, mit Herrn Wunder.

BA Dr. W[under]:

Ich glaube, Herr Müller, ich hab eingegrenzt zwei bis drei Jahren. Na gut, führen Sie Ihre Aussage weiter.

Zeuge Mül[ler]:

Ja, das war 1973 im April. Das sind drei Jahre.

BA Dr. W[under]:

Ja, da hatte ich Sie in Köln-Ossendorf, wie andere Häftlinge auch, aufgesucht. Damals waren Sie aber noch oder fühlten sich noch als Soldat der Weltrevolution. Wurde damals schon ein [10408] Gespräch über eventuelle Aussagen, wie Sie sie jetzt gemacht haben, geführt?

Zeuge M[üller]:

Ja, soweit ich mich erinnere, haben Sie versucht, Kontakt mit mir herzustellen. Zu dem ist es aber nicht gekommen, weil ich das abgelehnt hab.

BA Dr. W[under]:

Jawohl, dankeschön.

Herr Müller, dann zunächst einige Fragen zu dem Attentat in Hamburg.[6] Sie sagten, die Frau Meinhof konnte ihre Ideen wegen des Anschlages in Hamburg in der Gruppe durchsetzen. Diese Formulierung könnte den Verdacht oder die Vermutung aufkommen lassen, daß sich die anderen, denen sie diesen Vorschlag unterbreitet hatte, sträubten. Wäre diese Vermutung richtig?

Zeuge Mül[ler]:

Nein. In zweierlei Hinsicht könnte ein falscher Eindruck entstehen. Also bei der Gruppe, wenn man so will, handelt es sich eben um die Leute in der Inheidnerstraße, um den inneren Kern, also Raspe, Meins, Baader, Ensslin. Von sträuben insoweit nicht, einfach daß sie sagt, daß sie das machen will und daß sie sich eben dafür die Genehmigung holt.

BA Dr. W[under]:

Ja. Herr Müller, wer hat nun im Rahmen dieser Diskussion alles dieser Frau Meinhof das Plazet oder[d] die Erlaubnis erteilt. War das lediglich ein ja des Herrn Baader oder haben die anderen Beteiligten mitgesprochen? Haben die eventuell eigene Vorschläge mit reingebracht? Oder wie lief das ab. Wenn Sie vielleicht diese Diskussion doch ein bißchen breiter schildern würden, als Sie es gestern getan hatten.

Zeuge Mül[ler]:

Ja das kann ich nicht. Also ich hab es nicht mehr in Erinnerung. Es besteht auch die Möglichkeit, daß ich gar nicht dabei war. Ich weiß nur vom Resultat, daß dann eben die Sachen für Hamburg vorbereitet wurden. Also daß sie was sie machen wollte, machen konnte.

BA Dr. W[under]:

Gut. Wissen Sie, ob bei diesen Gesprächen schon über die Zahl der in Hamburg abzulegenden Bomben gesprochen wurde?

Zeuge Mül[ler]:

Nein, was das Technische anbetrifft, also in Bezug auf den Anschlag, das war ja alles dann ihre Sache. Also das war ihre Entscheidung, ob sie alles, was sie mitnimmt, bei Springer verwendet. Wie sie das verwendet, wie sie das organisiert. Das war eine Sache, die nicht mehr in Frankfurt zu besprechen war und ich weiß auch nichts, daß da was besprochen wurde.

[10409] BA Dr. W[under]:

Ja, danke. Nun, Herr Müller, eine weitere Frage. Sie sagten, die Frau Meinhof erhielt diese Bomben. Erhielt sie die von jemand, bzw. in welchem Auftrag erhielt sie diese Bomben?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, wie soll ich das verstehen, in wessen Auftrag.

BA Dr. W[under]:

Nun, wir wissen, daß in Hamburg Bomben abgelegt wurden. Nach Ihrer Aussage war Frau Meinhof hierdran mit beteiligt. Wie kamen jetzt diese Bomben nach Hamburg. Wer hat sie dort hingebracht, wer hat sie an sich genommen und wo wurden sie dann in Hamburg hingebracht?

Zeuge Mü[ller]:

Gleichzeitig während ihres Besuchs in Frankfurt. Also die Bomben waren ja zumindestens zum Teil fertig. Es sind in Frankfurt die Bomben fertig gemacht worden, also nicht ganz fertig, also nur mit unterbrochenen Zündstromkreisen und dann hat sie die mitgenommen, als sie wieder weggefahren ist. Welchen Begleiter sie hatte, das weiß ich jetzt nicht mehr.

BA Dr. Wu[nder]:

Herr Müller, wissen Sie, wie diese Bomben transportiert worden sind? In Autos? In Tragtaschen?

Zeuge Mü[ller]:

In Pkw’s.

BA Dr. Wu[nder]:

Herr Müller, eine weitere Frage in dem Zusammenhang. Was wissen Sie über die Rollenverteilung bei diesem Anschlag in Hamburg. Sie haben verschiedene Namen schon genannt, Meinhof, Jünschke[7], Hausner[8], Stachowiak[9]. Wissen Sie Einzelheiten darüber, wer nun in dem Verlagshaus in Hamburg tätig geworden ist, d.h., wer Bomben abgelegt hat. Wer eventuell außerhalb geblieben ist. Und wie hier im einzelnen die Rollen der Beteiligten verteilt waren?

Zeuge Mü[ller]:

Ja also ich hab schon gesagt, daß sich das Gespräch über den Anschlag in Hamburg, das hatte sich eigentlich an dem Thema Hausner entzündet und es war nicht eigentlich ein Gespräch über den Anschlag und deswegen weiß ich auch relativ wenig darüber. Das was mir Ulrike Meinhof sagte, dem konnte ich eben entnehmen, daß also am Anschlag und beim Bombenlegen eben sie und Jünschke und Hausner beteiligt gewesen sein. Und mehr nicht. Ich hab ja vorhin auch gesagt, daß sich eben zu dieser Zeit z.B. nur Stachowiak dort in Hamburg befunden hätte. Ob sie aber mit dran beteiligt gewesen wäre, das weiß ich nicht.

BA Dr. Wu[nder]:

Ja, dankeschön. Herr Müller, der Angeklagte Baader soll unmittelbar nach dem Anschlag ein Telefongespräch mit Frau Meinhof geführt haben.

Rechtsanwalt Schily erscheint um 9.16 Uhr im Sitzungssaal.

[10410] BA Dr. W[under]:

Wurde bei diesem Telefongespräch auch über die angeblich an den Springerverlag per Telefon gegangene Warnung und über den Zeitpunkt dieser Warnung gesprochen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, das Telefongespräch, das Andreas Baader mit Ulrike Meinhof führte, bezog sich u.a. eben darauf, daß die Erklärung in dem Sinne abgegeben werden sollte, daß eben noch ein paar Minuten hinzugeschwindelt werden, um dem Gegenargument, daß eben eine zu kurze Warnzeit dagewesen sei, entgegenzuwirken. Und daß eben dann die Verletzten und so als nicht gewollt bedauert werden.

BA Dr. W[under]:

Von wem wissen Sie das, Herr Müller?

Zeuge Mü[ller]:

Ja ich war ja bei diesem Telefongespräch anwesend. Es war reiner Zufall, daß ich den auf der Straße traf und ich war da auch unheimlich sauer. Und da sagte er zu mir, also komm man mit, ich ruf die eh’ an.

BA Dr. W[under]:

Gut, dankeschön. Herr Müller, gestern wurden Ihnen verschiedene Asservate vorgelegt, u.a. zwei Schalter, zwei on/off-Schalter. Können Sie sich daran erinnern?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, also solche Schalter habe ich in Frankfurt gekauft.

BA Dr. W[under]:

Die Sie gekauft haben. Einer dieser Schalter, der verwendet worden war, hatte einen verkürzten Griff. Wissen Sie, warum der verkürzt wurde und wer ihn verkürzt hat?

Zeuge Mü[ller]:

Soweit ich mich entsinne, ist in diesem Sinne an den Bomben in Frankfurt keine Arbeit gemacht worden. Das letzte Produkt wurde in Hamburg fertig gemacht, also Verpackung usw. Und die Verkürzung des Schalters, das ist jetzt eine Vermutung von mir, ist eine Sache, die mit der Verpackung wahrscheinlich zusammenhängt.

BA Dr. W[under]:

Ja, dankeschön. Herr Müller, wer hat die in Hamburg tätigen Leute in den Zündmechanismus eingewiesen?

Zeuge Mü[ller]:

Dazu verweigere ich die Aussage.

BA Dr. Wu[nder]:

Dankeschön. Eine weitere Frage. Sie sprachen davon, daß in Frankfurt ein Blumenstrauß mit dieser Bombe abgelegt wurde. Wir wissen aus anderen Zusammenhängen, daß auch einmal ein Scharlachbergkarton zum Verbringen einer Bombe in ein Gebäude verwendet wurde. Hatte man sich in der Gruppe ganz allgemein Gedanken darüber gemacht und Überlegungen angestellt, wie man unauffällig vertrauenerweckend in diese Objekte, in diese Grundstücke kommen kann. Oder war das den einzelnen Personen überlassen?

[10411] Zeuge Mül[ler]:

Ich würde sagen, teils, teils. Aber ich weiß es zum Teil auch nicht. Also, wie soll man es als Beispiel bringen. Im Falle des Frankfurter Anschlags,[10] da war es die Sache der einzelnen Leute. Es hat da in dem Sinne keine allgemeine Besprechung stattgefunden. In Hamburg, da kann ich das z.B. nicht sagen.

BA Dr. W[under]:

Herr Müller, ich will Sie nur das fragen und Sie sollen nur das beantworten, was Sie wissen können. Ich meine, hat es einmal eine allgemeine Diskussion über diese Frage gegeben.

Ja oder nein?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

BA Dr. W[under]:

Dankeschön.

Herr Müller, kennen Sie den Herrn Henning, damals aus Bad Homburg?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

BA Dr. W[under]:

Kennen Sie ihn persönlich?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

BA Dr. W[under]:

Wie weit war er in diese Vorgänge der angemieteten Wohnung eingeweiht?

Zeuge Mül[ler]:

Ja in diese Vorgänge also war er voll eingeweiht, weil ich einmal, ich habe Herrn Henning gesehen in dieser Wohnung in Bad Homburg. Eigentlich war es ja ein Zusammentreffen mit Gudrun Ensslin. Ich war da dabei. Dann nach der Verhaftung einiger Leute habe ich Herrn Henning mindestens einmal in einer Wohngemeinschaft in Hamburg aufgesucht und mit ihm Fragen wegen dieser Wohnung besprochen.

BA Dr. W[under]:

Dankeschön. Herr Müller, eine weitere Frage. Hatte sich Ihnen gegenüber die Frau Meinhof darüber ausgelassen, geäußert, ob sie selbst die in jenem Kassiber enthaltenen Befehle der Frau Ensslin ausführen würde und hat sie das, was da niedergeschrieben war, selbst als Befehl anerkannt. Was hat sie dazu gesagt?

Zeuge Mül[ler]:

Also als Befehl anerkannt in dem Sinne, daß eben ein Befehl gegeben wird und der befolgt wird, das hat sie nicht gemacht.

Also sie hielt es für undurchführbar, was die da jetzt ihr sagte.

BA Dr. W[under]:

Herr Müller, noch eine weitere Frage. Sie sollen einmal nach Hamburg zur Frau Meinhof gefahren sein, wo sie sich mit Ihnen über die Bildung einer eigenen Gruppe mitgeteilt haben will. Diese Frage haben Sie selbst schon angeschnitten. Können Sie dazu noch konkreteres sagen, vor allem, ob diese Gedanken der Bildung einer eigenen Gruppe dann wieder fallengelassen wurden?

[10412] Zeuge Mül[ler]:

Ja, das ist schon ein bißchen zu viel gesagt. Eine eigene Gruppe zu bilden. Man könnte es so formulieren. Es lag ihr immer was an ... Also es ist ja erst mal Bedingung dafür, wenn sie eine eigene Gruppe bilden will, daß sie auch die entsprechenden Leute hat. Und unter den gegebenen Bedingungen hieße das zuerst mal, eine Fraktionierung und dann eventuell eben eine Abspaltung unter ihrer eigenen Regie. Und Anzeichen dafür hat es mehrere gegeben, außer diesem Vorfall, den Sie jetzt erwähnen, war das gerade im Bezug auf den Kassiber so, daß sie eben sich nicht an den hielt. Der Kassiber sagte ja in dem Sinne, daß sie nach Süddeutschland solle wegen der Wohnung und wegen der Sympathisanten. Sie wollte aber eben in Hamburg bzw. Norddeutschland bleiben und hatte da, das ergab sich aus Gesprächen, ganz schlicht und einfach die Tendenz jetzt, wenn man es so nennen will, eine Meinhof-RAF[e] aufzubauen und dann in dem Sinne groß rauszukommen. Das war aber damit nicht beendet. Nach der Verhaftung auch von ihr und mir, da hat es dann über die Diskussion im INFO, hat es dann eben Tendenzen gegeben, wo sie z.B. versucht hat, Meins und mich auf ihre Seite zu ziehen und dann erst mal eben eine Fraktionierung zu erzielen. Also diese Versuche haben in dieser Hinsicht nie nachgelassen, soweit ich mich erinnere und soweit ich eben in dem Zusammenhang drin war.

BA Dr. W[under]:

Ja, danke. Herr Müller, noch zwei Fragen. Was für Ihren Absprung von der Gruppe als Motiv in Betracht kam, haben Sie gestern hier schon genannt, ich meine recht summarisch. Wenn Sie das nicht weiter präzisieren könnten, wenn ja, wäre ich dankbar dafür. Wenn das aber nicht möglich wäre, dann erbitte ich Antwort auf nur eine Frage. Hatte Sie der Selbstmord der Frau Meinhof in Ihrer Absicht, der Gruppe den Rücken zu kehren, bestärkt oder hätten Sie, wenn mit Ihren Vernehmungen noch nicht begonnen worden wäre, dann mit Ihren Aussagen gezögert?

RA Schi[ly]:

Ich beanstande die Frage. Die Frage unterstellt, daß Frau Meinhof Selbstmord begangen hat. Es steht bisher nicht fest, die Todesursache des Ablebens von Frau Meinhof.[11]

Vors.:

Es ist zwar für das Gericht etwas schwer diesem Gedankengang zu folgen, den Sie da eben andeuten. Es ist aber die Voraussetzung, vielleicht die Frage, ob Herr Müller den Tod von Frau Meinhof als Selbstmord begreift. Unter dieser Voraussetzung ist die Frage zu- [10413] lässig, weil sie die Glaubwürdigkeit darstellen soll.

BA Dr. W[under]:

Herr Vorsitzender, die Frage läßt sich anders stellen, obwohl ich es für ungeheuerlich finde, daß heute noch an der Tatsache ernstlich gezweifelt wird.

Herr Müller, verstehen Sie meine Frage bitte so, daß wir ausgehen lediglich vom Tod der Frau Meinhof.

Zeuge Mül[ler]:

Also die Frage soll ich so verstehen, ob der Tod von Ulrike Meinhof meine Aussagebereitschaft beeinflußt hätte?

BA Dr. W[under]:

Ja, ja.

Zeuge Mül[ler]:

Da muß ich sagen, nein.

BA Dr. W[under]:

Dankeschön. Und nun eine letzte Frage, Herr Müller. Sie haben gestern schon die Entwicklung der Kommunikation unter den Inhaftierten geschildert. Mich selbst interessiert vorbehaltlich weiterer Fragen durch meine Kollegen, wie speziell bei Ihnen verfahren wurde. Also nicht das, was Sie gehört oder erzählt bekommen haben, sondern was Sie selbst erlebt haben. Ob also auch Ihnen in Handakten Briefe mitgebracht, in die Haftanstalt geschmuggelt wurden. Ob auch Ihnen, speziell Ihnen, über Kassettenrekorder Mitteilungen von anderen Häftlingen zugegangen sind?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, das habe ich ja bereits gesagt.

BA Dr. W[under]:

Haben Sie in diesem Zusammenhang alles gesagt, was Sie wissen, Herr Müller, oder wäre das noch zu ergänzen?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, achso. Bei den Kassetten war es so. Also einmal ist mir eine Kassette abgespielt worden, die von Andreas Baader besprochen worden war und die in gewisser Weise im Zusammenhang mit der bereits erwähnten Fraktionierungsversuchen von Ulrike Meinhof stand. Und dann gab es allerdings noch eine zweite Kassette, die ich besprochen hab in einer Haftanstalt. Das war in der Anwesenheit von Rechtsanwalt Becker.

BA Dr. W[under]:

Die Beteiligten, die in Betracht kommen, die haben Sie alle genannt?

Zeuge Mül[ler]:

Nein, nein. Frau Rechtsanwältin Becker[12], die war ja auch auf[f] dem Sektor aktiv ... Ich versteh das nicht ganz.

BA Dr. W[under]:

Ich habe keine weitere Frage. Ich gebe das Fragerecht an den Kollegen Zeis weiter.

Vors.:

Darf ich bloß nachholen, daß sich die Rechtsanwälte Eggler und Grigat für die ersten Stunden heute entschuldigt haben. Sie fehlen also nicht unentschuldigt. Herr Bundesanwalt Zeis, bittesehr.

[10414] OStA Zeis:

Herr Müller, wenn ich am Donnerstag und gestern richtig mitgezählt habe, dann waren das etwa 15 sogenannte konspirative Wohnungen, die Sie benannt haben. Es kommt auf die eine oder andere mehr oder weniger nicht an. Der beisitzende Richter Dr. Breucker hat Sie gestern schon gefragt, mit was denn die bezahlt worden seien, mit welchem Geld. Und da haben Sie gesagt, das Geld stammt aus Banküberfällen. Meine Frage jetzt, aus was für Banküberfällen. Wissen Sie etwas darüber? Keine Einzelheiten, sondern wenn Sie etwas darüber wissen, will ich nur wissen, wo Banküberfälle stattgefunden haben und wann etwa und was Sie darüber wissen.

Zeuge Mül[ler]:

Ja, für den ganzen Zeitraum oder speziell für die Frankfurter Wohnung oder wie ist das zu verstehen?

OStA Zeis:

Frankfurter Wohnungen. Sie haben doch gestern, Herr Müller, um das noch einmal zu verdeutlichen, auf die Frage von Herrn Dr. Breucker gesagt, das Geld habe aus Banküberfällen bestanden und zum geringen Teil auch von Sympathisanten. Jetzt meine Frage, aus was für Banküberfällen stammte das Geld. Wissen Sie etwas über Banküberfälle?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, ich müßte dann über alle Banküberfälle zitieren, weil ...

OStA Zeis:

Dann will ich Sie präziser fragen. Wissen Sie etwas über einen Banküberfall in Kaiserslautern und einen in Ludwigshafen die Ende 1971, Anfang 1972 begangen worden sein sollen?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, die wurden von der RAF ausgeführt.

OStA Zeis:

Nun war es ja, Herr Müller, nicht ganz einfach, wenn man bei Banküberfällen Geld erbeutet, das ja zum Teil also auch noch Notenfrisch ist, dieses Geld umzutauschen. Ist Ihnen da noch irgend etwas in Erinnerung, wie man diesem Problem Herr geworden ist? Daß man bankfrisches Geld hatte, was natürlich aufgefallen wäre, wenn man größere Mengen solch bankfrisches Geld irgendwo unter die Leute gebracht hätte.

Zeuge Mül[ler]:

Ja, gerade zum Umtausch bankfrischer Noten, die zum Teil gebündelt waren und so, da wurden Sympathisanten und auch Mitglieder der RAF eingesetzt. So weiß ich eben, daß die Ingeborg Barz[13] unterwegs war, zumindestens im Hamburger Raum, um Noten umzutauschen. Dann weiß ich, also die „Hoftante“ Renate Asmus die war in dieser Hinsicht unterwegs und hat Geldnoten umgetauscht.

OStA Zeis:

Herr Müller, wie hat man denn dieses druckfrische Geld in etwas griffiges, normales Geld „verwandelt“. Können Sie uns darüber vielleicht etwas sagen?

[10415] Zeuge Mül[ler]:

Ja, das wurde absichtlich beschmutzt. Das wurde in der Wohnung rumgestreut und da wurde eben darauf herumgelaufen. Dann wurde es auch zwischen schmutzigen Händen gerollt und gerieben, so daß es eben ein gebrauchtes Aussehen erhielt. Einmal war das allerdings scheins zuviel, da hat sich die Hoftante beschwert, daß man fast nicht mehr erkennen könnte, was für ein Geldschein das ist.

OStA Zeis:

Sie haben gestern, Herr Müller, von der KV Dietigheimerstraße in Bad Homburg gesprochen. Daß Sie dort auch mehrmals gewesen seien. Haben Sie bei einem Ihrer Besuche dort auch mal Sprengstoff gesehen?

Zeuge Mül[ler]:

In der Inheidnerstraße?

OStA Zeis:

Nein, Dietigheimerstraße in Bad Homburg?

Zeuge Mül[ler]:

Ach, in Bad Homburg. Dorthin habe ich meiner Meinung nach militärischen, also Plastiksprengstoff hingebracht, den ich in Frankfurt vom „kleinen Dicken“ bekommen habe.

OStA Zeis:

Ist es dieser, oder könnte es sein, daß es sich um olivgrünen Plastiksprengstoff in Plattenform gehandelt hat?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, es waren mehrere Kilos.

OStA Zeis:

Eine weitere Frage, Herr Müller. Sie haben gestern hier geschildert, wie es zur Übergabe dieses Kassibers[14] in Hamburg kam. Sie haben auch gesagt, daß der „kleine Dicke“, von dem Sie meinen, es sei Wilfried Böse[15], diesen Kassiber ausgehändigt hätte. Meine Frage, hat Herr Böse bei der Aushändigung des Kassibers etwa noch von anderen zwischenzeitlich festgenommen solche Schreiben angekündigt?

Zeuge Mül[ler]:

Er hat ein Schreiben von Andreas Baader angekündigt.

OStA Zeis:

Weitere Frage, Herr Müller. Sie haben gestern ausgesagt, daß der „kleine Dicke“ bei der Übergabe gesagt hat, daß dieses Schreiben ihm von einem Berliner Rechtsanwalt übergeben worden sei. Sie haben gestern ferner gesagt, der „kleine Dicke“ hätte den Namen dieses Anwalts nicht genannt. Meine Frage jetzt, stand für Sie, Herr Müller, fest, daß es sich nur um Rechtsanwalt Schily handeln konnte - erster Teil der Frage -, Wenn ja, aufgrund welcher Überlegungen etwa, weil Herr Rechtsanwalt Schily der einzige gewesen war, der zwischen der Festnahme von Frau Ensslin und der Festnahme von Frau Meinhof unkontrolliert Frau Ensslin besuchen konnte?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, ich möchte hier nochmal betonen ...

RA Dr. H[eldmann]:

Ich beanstande die Frage und beanstande den Vorhalt. Der Vorhalt ist unrichtig. Der Zeuge hat nicht ausgesagt, daß ein [10416] Berliner Rechtsanwalt etwas übergeben hätte.

Vors.:

Das ist auch nicht der Sinn der Frage gewesen. Aber ich möchte darauf hinweisen, im ersten Teil der Frage ist es eine Wiederholung, die hier erwartet wird. Ich muß bitten, damit auch bei weiteren Vernehmungen Wiederholungen möglichst vermieden werden können, insoweit einzuschränken. Soweit ein neuer Hinweis gegeben worden ist, ob das mit eine Veranlassung für Herrn Müller gewesen[g] war, anzunehmen, es handle sich um einen bestimmten Anwalt, insoweit ist die Frage zulässig und kann die Beanstandung nicht anerkannt werden. Es geht also um den Teil der Frage, ob wegen des alleinigen Kontaktes des Rechtsanwaltes Schily mit Frau Ensslin, ob das auch bei Ihren Erwägungen, er sei es gewesen, eine Rolle gespielt habe?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

Vors.:

Bitte, die Frage stammt nicht von mir. Ich bitte, es Herrn Bundesanwalt Zeis zu beantworten.

Zeuge Mül[ler]:

Ja, nein. Also ich will aber nochmal betonen, daß explizit der Name Schily nicht gefallen ist und dass ich von der Voraussetzung ausgegangen bin, daß es sich dabei um Schily handelt, weil eben z.B., mir ist klar, daß die Geschichte mit dem Fernglas und diesem großen Buchstaben auf dem Papier, daß die eben nicht stimmte. Daß die extra ausgesucht worden war für den Zweck.

OStA Zeis:

Dann möchte ich Ihnen einen Vorhalt aus Ihrer polizeilichen Vernehmung machen, Blatt 95. Da steht der Satz: „Für mich stand aber fest, daß es sich nur um den Herrn Rechtsanwalt Schily handeln konnte.“ Jetzt nochmals meine Frage, aufgrund von welchen Überlegungen?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, das habe ich jetzt bereits gesagt. Indem, das kommt aus den Gesprächen, die ich unter anderem mit Rechtsanwalt Ströbele[16] in dieser Hinsicht geführt habe, wo eben nach Gründen gesucht wurde, um Herrn Schily zu entlasten. Und wovon ich eben wußte, daß dieser und jener Grund eben nicht stimmte.

OStA Zeis:

Gut, zu einer weiteren Frage. Herr Müller, wo waren Sie zum Zeitpunkt der Festnahme von Herrn Baader, Raspe und Meins? Das war damals am 1.6.1972, Hofeckweg?

Zeuge Mül[ler]:

Ich war mit der Gudrun Ensslin in der Wohnung Inheidner Straße.

OStA Zeis:

Ist Ihnen irgend etwas über die Festnahme, und gegebenenfalls [10417] dann wann, bekannt geworden?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, wenige Stunden danach durch die Nachrichten.

OStA Zeis:

Was war allgemein die Reaktion? Oder gab es eine Reaktion war es Bestürzung und dergleichen?

Zeuge Mül[ler]:

Die Reaktion bei Gudrun Ensslin das war einfach Hysterie.

Ja also sie packte dann, sie rannte durch die Wohnung und packte irgendwelche unmögliche Dinge zusammen, um dann eben aus der Wohnung zu gehen und hat überhaupt also sehr wenig kontrolliert reagiert.

OStA Zeis:

Herr Müller, Sie haben gestern gesagt, daß Herr Hausner oben in Hamburg gewesen sei und auch bei dem Sprengstoffanschlag auf das Axel Springer Verlagshaus beteiligt gewesen sei. Wie kam denn Herr Hausner zur RAF? Ist es richtig, daß Herr Hausner ursprünglich dem SPK[17] angehörte?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

OStA Zeis:

Wie kam denn der Herr Hausner zur RAF. Können Sie uns darüber etwas Näheres vielleicht sagen?

Zeuge Mül[ler]:

Ja ich erinnere mich, daß Hausner einmal in Hamburg war in einer RAF-Wohnung. Das war bereits im Sommer 1971. Und soweit ich das jetzt noch im Kopf habe, ist er ja danach verhaftet worden, war im Gefängnis und nach seiner Entlassung ist er über das Büro Croissant-Lang[18] wieder zur RAF gestoßen.

OStA Zeis:

Können Sie uns da noch etwas Näheres sagen, über diese Verbindung nun Hausner - Rechtsanwalt Dr. Croissant?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, viel nicht. Ich weiß von Croissant, daß der Hausner eben nach seiner Entlassung ... Der wäre dann gleich in das Büro von, was mir Croissant erzählt hat, gleich in Croissant’s Büro gekommen und hätte da eben Akten studiert. Und der Croissant hätte sich davon eben ganz begeistert gezeigt, weil er eben erwartet hätte, daß, wenn jemand erst mal aus dem Gefängnis kommt, daß er erst mal Urlaub macht. Und dann gab es in Stuttgart eben Kontakte u.a. zwischen Ensslin und Möller[19], zwischen Lang bzw. Croissant. Und aufgrund dieser Kontakte wurde ich[h] über Hausner befragt, weil ich ihn ja auch vom SPK her kenne, was ich über Hausner wüßte, wie ich ihn einschätze usw.

OStA Zeis:

Es ist also richtig, daß Siegfried Hausner über Rechtsanwalt Dr. Croissant zur RAF kam?

Zeuge Mül[ler]:

Naja, das kann ich explizit nicht sagen, Croissant-Lang.

[10418] OStA Zeis:

Über Herrn Lang?

Zeuge Mül[ler]:

Das kann ich auch nicht sagen.

OStA Zeis:

Ich frag deswegen, weil in Ihrer polizeilichen Vernehmung auf Blatt 87 es heißt: „Nach seiner Verhaftung und seiner Freilassung kam Hausner über den Rechtsanwalt Croissant im Frühjahr 1972 zur RAF.“ Da geht es noch weiter: „Zwischen Baader, Ensslin, möglicherweise auch Möller einerseits und Hausner andererseits kam es in Stuttgart zu den ersten Treffs, bei denen Hausner abgecheckt wurde. Ich erinnere mich daran, weil ich von Baader und Ensslin um meine Meinung über Hausner befragt wurde.“ Letzter Satz: „Ergebnis dieser Recherchen war, daß Hausner in die RAF aufgenommen wurde.“

Zeuge Mül[ler]:

Ja, wenn da steht, daß explizit es Croissant war, dann ist es richtig.

OStA Zeis:

Weitere Frage, Herr Müller. Sind Ihnen über das INFO[20] oder etwa über einen anderen Weg etwas über Befreiungsaktionen oder ist Ihnen etwas über Befreiungsaktionen bekannt geworden?

Zeuge Mül[ler]:

Ja ich habe ungefähr, mit Becker habe ich darüber gesprochen. Da ging es eben darum, daß draußen eine Gruppe aufgebaut wird, die dann auch Befreiungsaktionen unternehmen soll. Später habe ich dann übers INFO polizeiliche Akten über diese Sache bekommen. Dann hat im Herbst 75 ungefähr Rechtsanwalt Groenewold[21] mir gegenüber also gesagt, daß eine Befreiungsaktion stattfinden würde, hat die aber nicht genau bezeichnet, also vorbereitet würde. Das hing damit zusammen, ich hatte damals eine flaue Stimmung und da haben wir deswegen darüber gesprochen. Es ging da um die Zukunftsaussichten und so.

OStA Zeis:

Weitere Frage. Hatten nach Ihrer Kenntnis einzelne Rechtsanwälte Decknamen, Herr Müller?

Vors.:

Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich folgenden Hinweis gebe.

Es ist wohl im Zusammenhang mit dem § 129[ StGB][22] der Gründung, der Aufbau, den Zusammenhalt der Gruppe ein Fragenkreis, den man nicht als nicht zur Sache gehörend ansehen kann. Insofern also kein Eingriff. Aber ich wäre dankbar, wenn man die Beweisthemen, die Fragen, möglichst auf das konzentriert, was unmittelbar diesem Verfahren dienlich ist. Ich kann nicht absehen im Augenblick, Herr Bundesanwalt Zeis, wohin diese Fragen dann im ganzen gehen. Aber ich darf also diese Bitte am Rande jetzt aussprechen, damit wir nicht ausufern und hier Dinge aufklären, die der Zeuge Müller möglicherweise [10419] zweckmäßigerweise in anderen Verfahren bekanntgeben sollte.

OStA Zeis:

Herr Vorsitzender, ich meine, die Frage sei notwendig, um die Fortsetzung der kriminiellen Vereinigung und die Einzelheiten, die dazu es ermöglicht haben, hier aufzuzeigen.

Vors.:

Ja, ich habe es schon angedeutet, daß ich also keinen Grund sehe, anzunehmen bis jetzt, die Frage sei nicht sachdienlich zulässig. Bloß sie ist so im Randbezirk, daß ich also bitte, wenn das nicht konzentriert auf die Mitte des Verfahrens zugeht, möglichst die Fragen in dieser Richtung nicht auszudehnen. Dankeschön.

OStA Zeis:

Herr Vorsitzender, ich kann gern die Frage präzisieren. Ist Ihnen, Herr Müller, etwas darüber bekannt, ob Rechtsanwalt Ströbele einen Decknamen hatten?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, er wurde „Langer“ genannt.

OStA Zeis:

Gut, danke. Herr Müller, Sie haben uns gestern über die Aufgaben des INFO’s etwas erzählt. Frage, gehörte zu den Aufgaben des INFO auch das Auffinden und Übersetzen von Texten anderer terroristischer Gruppen?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

OStA Zeis:

Weitere Frage zum INFO. Bestand, gegebenenfalls von wem, Anweisung darüber, was mit den INFO-Papieren, nachdem sie gelesen waren, zu geschehen hatte?

Zeuge Mül[ler]:

Die INFO-Papiere sollten archiviert werden. Aus Sicherheitsgründen sollten die doppelt archiviert werden. Und soweit ich mich erinnere, kam die Anweisung aus Stuttgart. Entweder war es Baader oder Ensslin oder Baader und Ensslin. Das habe ich nicht mehr genau in Erinnerung.

OStA Zeis:

Zusatzfrage, Herr Müller. Was sollte denn möglicherweise mit den INFO’s geschehen, die sich in der Zelle befanden. Zwischenzeitlich war ja bekannt geworden, daß ab und zu mal eine Zellendurchsuchung stattfinden könnte, stattgefunden hat?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, die sollten vernichtet werden, also verbrannt werden oder wieder rausgegeben werden oder wieder rausgeschickt werden.

OStA Zeis:

Hat sich irgend jemand da besonders um seine INFO’s da gekümmert, daß die verbrannt werden sollten?

Zeuge Mül[ler]:

Ja also ich hab leider einige verbrannt.

OStA Zeis:

Nein. Ob irgend ein Bandenangehöriger sich besonders darum gekümmert hat, daß speziell seine INFO’s verbrannt werden?

Zeuge Mül[ler]:

Ach ja. Es gab natürlich dann noch mal, zusätzlich gab es dann auf den INFO’s oben eben Anweisung, nach dem Lesen sofort vernichten. [10420] Unter anderem gab es solche von Andreas Baader.

OStA Zeis:

Eine weitere Frage zu dem INFO. Hätte anfürsich jemand, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht Bandenmitglied gewesen ist, sich anhand des INFO’s zum Bandenmitglied praktisch ausbilden können, aufgrund der Themen, die in diesen INFO’s besprochen worden sind?

Zeuge Mül[ler]:

Ausbilden ist vielleicht nicht ein richtiger Begriff, sondern werden können. Aber halt im Rahmen dessen, im Rahmen der Situation im Gefängnis.

OStA Zeis:

Dann möchte ich Ihnen einen kurzen Vorhalt machen aus Blatt 108 Ihrer Vernehmung. Da haben Sie in etwa zu diesem Thema gesagt, sollen gesagt haben: „Allgemein ist zu dem Inhalt der INFO’s noch zu sagen, daß ich sehr viele Beiträge mit konstruktiver Kritik an Gewaltaktionen befaßten. Dies bedeutete, daß ständig Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der Ausführung und der Ziele gebracht wurden. Weiter war ein permanentes Grundthema der INFO’s die Planung und Organisierung von gewalttätigen Aktionen.“ Haben Sie damals solche Aussagen gemacht?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

OStA Zeis:

Treffen diese Aussagen zu, Herr Müller?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

OStA Zeis:

Dann zu einem etwas anderen Thema, zum Hungerstreik. Herr Müller, wir wissen ja zwischenzeitlich, daß von der RAF seit Ihrer Festnahme einzelne Mitglieder mehrere Hungerstreiks[23] durchgeführt worden sind. Was war denn eigentlich der Zweck dieser Hungerstreiks?

Zeuge Mül[ler]:

Der eigentliche Zweck der Hungerstreiks war eben, den Wiederaufbau der RAF draußen und die Leute draußen dazu zu bringen, was zu machen für die, die im Gefängnis sitzen, bis hin zu den Befreiungsaktionen. Und eben, wenn man so will, den Terrorismus in der Bundesrepublik zu installieren.

OStA Zeis:

Zu was, Herr Müller? Das letzte habe ich akustisch nicht verstanden?

Vors.:

Den Terrorismus in der Bundesrepublik zu installieren.

OStA Zeis:

Sie sollen bei Ihrer polizeilichen Vernehmung gesagt haben zu diesem Thema. „Ich glaubte damals, Baader wollte mit dieser Aktion ein Auseinanderfallen der Gruppe verhindern.“ Deckt sich das mit dem, was Sie inetwa jetzt sagen wollten. Daß also eine [10421] Art Disziplinierungsmaßnahme auch gewesen sein könnte?

Zeuge Mül[ler]:

In diesen Sinne nicht. Das heißt, in dem Moment, wenn die Gruppe, also wenn da nix läuft, wenn draußen nix läuft und die sind da alle so still vor sich hin im Knast und so. Und da hat man natürlich auch eigene Überlegungen, die auch woanders hingehen. Das muß man so verstehen, daß eben, wenn jetzt ein Hungerstreik stattfindet, der wird dann quasi als Aktion propagiert und durchgeführt. Und dann findet ja auch ein Kampf von seiten der Vollzugsanstalten und vielleicht auch Presse und was weiß ich, ein Kampf dagegen statt. Und das bringt dann eben die Leute wieder dazu, zu einer Geschlossenheit.

OStA Zeis:

Haben Sie möglicherweise noch eine andere Auffassung, zu welchem Zweck der Hungerstreik gedient haben könnte? Aus Ihrer heutigen Sicht?

Zeuge Mül[ler]:

Als Auffassung, ich sag auch gleich, daß das eine Auffassung ist, also daß ich da nichts drüber konkret weiß, hat der Hungerstreik ganz klar der Vorbereitung der Geiselnahme in Stockholm[24] gedient.

OStA Zeis:

War man sich eigentlich unter den Gruppenangehörigen der Gefährlichkeit des Hungerstreiks bewußt?

Zeuge Mül[ler]:

Teils, teils.

OStA Zeis:

Waren Sie sich der Gefährlichkeit bewußt, Herr Müller?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, ich hab ja verschiedene Hungerstreikerfahrungen gemacht oder gehabt.

Ende von Band 602

[10422] OStA Zeis.:

Ist von irgendjemand der Verlauf des Hungerstreiks überwacht worden, gegebenenfalls von wem? Sagen wir mal in punkto Gewicht und so weiter, in der Richtung, Herr Müller?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, wie soll ich das verstehen?

OStA Zeis:

War irgendjemand da, der den Hungerstreik koordiniert hat?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, also der Hungerstreik ging also von hier, von Stuttgart aus, also speziell von Andreas Baader und Gudrun Ensslin, die da mehr so die Rolle einer[i] psychologischen Einpeitscherin spielte und in dem Sinne wurde also alles, was den Hungerstreik anging wurde natürlich hier von Andreas Baader angewiesen. Er hatte in dem Sinne natürlich auch versucht über die Lage der Einzelnen umfassende Information zu bekommen, sodaß er auch eine Kontrolle über die Leute hat und dafür hat er unter anderem nicht nur die Info-Schreiben, sondern auch Anwälte eingesetzt. Und ich weiß also, daß bei mir einmal Rechtsanwalt Haag[25] auftauchte, der hier eben die neueste Hungerstreikstrategie, wenn man das so nennen will, von Andreas Baader also mir gegenüber erklärt hat, und zu erreichen versucht hat, daß ich die akzeptiere. Also er wollte die, wenn man das so richtig sagen will, bei mir durchsetzen. Und inhaltlich handelte es sich darum, daß Siegfried Haag behauptete, damals, also das war ungefähr im November 1974, hier in Stuttgart befänden sich alle Angeklagten am Rande des Todes und jetzt ginge es eben darum, daß die anderen auch so weit kommen würden.

OStA Zeis:

Bei der Polizei, das muß ich Ihnen vorhalten, Herr Müller, sollen Sie zu diesem Thema folgendes gesagt haben, also eben auch[j] die Schilderung des Besuchs von Herrn Rechtsanwalt Haag, daß er Ihnen dann die neue Hungerstrategie Baaders auseinandergesetzt hat und jetzt kommt der Vorhalt: „Sie beinhaltete, daß alle Hungerstreikenden auf gleiches physisches Niveau gebracht werden sollten, indem eine Kippreaktion immer möglich sei. Unter Kippreaktion war zu verstehen, daß sich die kleinsten unvorhergesehensten Faktoren der Tod hätte eintreten können.“ Haben Sie damals solche Angaben gemacht?

[10423] Vors.:

Bitte die Seitenzahl?

OStA Zeis:

125.

Vors.:

Danke.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, das ist ja mit dem identisch, was ich jetzt gesagt habe.

OStA Zeis:

Wurden Sie in dem Zusammenhang auch mal von Rechtsanwalt Dr. Croissant besucht?

Zeuge Mü[ller]:

Da habe ich jetzt nichts in Erinnerung. Da müssen Sie mir mal einen Vorhalt machen.

OStA Zeis:

Letzte Frage zum Hungerstreik. Wenn Sie sich gerade nochmal diese beiden letzten Sätze von Ihnen ins Gedächtnis rufen wollen. War für Sie, Herr Müller, unter diesem Aspekt, der Tod von Herrn Meins[26] eine Überraschung?

Zeuge Mü[ller]:

Also im ersten Moment ja und dann aber später nicht mehr.

OStA Zeis:

Nochmal zu den „Infos“, Herr Müller, ganz kurz, wäre nach Ihrer persönlichen Meinung es möglich gewesen, die Gruppe zusammenzuhalten ohne „Info“?

Zeuge Mü[ller]:

Wenn Sie in das „Info“ Anwaltsbesuche mit einbeziehen, dann wäre das nicht möglich gewesen.

OStA Zeis:

Ich darf Ihnen gerade in dem Zusammenhang einen Vorhalt machen aus Bl. 111. „Zu diesem Komplex“ -also „Info“ - „möchte ich abschließend noch vermerken, daß meiner Meinung nach nicht möglich gewesen wäre, ohne dieses Kommunikationssystem in Verbindung mit den Anwälten die Gruppe zusammenzuhalten und sie zu weiteren Aktivitäten innerhalb, wie auch außerhalb der Haftanstalten zu bewegen.“ Entspricht das dem, was Sie eben gesagt haben?

Zeuge Mü[ller]:

Das ist richtig so.

OStA Zeis:

Sie haben gestern schon einzelne Namen genannt, Herr Müller, wer sich denn an dem „Info“ beteiligt hat. Wenn ich Ihnen recht zugehört habe, waren das die Herren Rechtsanwälte Ströbele, Groenewold, Dr. Croissant und Becker. Wobei mir nicht mehr ganz in Erinnerung ist, ob nur Herr Becker oder auch Frau Becker ...

RA Dr.He[ldmann]:

Ich beanstande diesen Vorhalt.

Auch er stimmt nicht. Die Namen der drei genannten Anwälte waren andere, jedenfalls war es nicht Dr. Croissant unter ihnen.

Vors.:

Das ist nicht richtig, Herr Dr. Heldmann. Der Name [10424] Dr. Croissant ist auch genannt worden im Zusammenhang damit. Ich erinnere mich daran.

RA Dr. He[ldmann]:

Als Hersteller des „Infos“?

Vors.:

Bitte?

RA Dr. He[ldmann]:

Als Hersteller des „Infos“?

Vors.:

Nein, als Beteiligter am „Info“, das heißt, durch verteilen.

RA Dr. He[ldmann]:

Durch verteilen? Hat das der Zeuge gesagt, durch verteilen?

Vors.:

Durch überbringen. Er zählt ihn zu den Anwälten, die mitwirkten bei der Vermittlung dieser einzelnen „Info-Nachrichten“ an die einzelnen, in den Haftanstalten einsitzenden Gruppenmitgliedern.

RA Dr. He[ldmann]:

Jetzt heißt es Vermittlung.

Zeuge Mü[ller]:

Ich habe gesagt Beteiligung.

Vors.:

Also ich kann jedenfalls Ihre Beanstandung in der ...

ja, Beteiligung sogar ... ich kann Ihre Beanstandung in der Form nicht anerkennen.[27] Bitte.

OStA Zeis:

Herr Müller, ich fragte Sie geradeeben nach möglichen Namen weiterer Rechtsanwälte, die sich am „Info“ beteiligt haben, in irgendwelcher Form.

RA Dr. He[ldmann]:

... Sachzusammenhang vorhanden, Herr Vorsitzender?

Vors.:

Ja. Es ist ganz selbstverständlich, wenn hier im Rahmen des [§ ]129[ StGB] dieses Gefüge nachvollzogen wird, daß dann auch Namen genannt werden können und müssen, wenn es um die Aufklärung der Wahrheit geht. Was ich gestern gesagt habe, ging nur dahin, daß es nicht Aufgabe dieses Verfahrens ist, es dann zu vertiefen, in Richtung auf die Vorwürfe gegen die einzelnen. Aber daß die Namen selbst genannt werden können, gehört zu dem Aussageprogramm, wenn der Herr Zeuge darüber etwas weiß, dann muß er sie sogar benennen.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich habe ... Verzeihung, daß ich noch eine Frage stelle, ich habe in Erinnerung, Ihre gestrige Bemerkung in Erinnerung, daß es nicht darauf ankomme, hier Namen zu erforschen.

Vors.:

Ich habe gesagt, daß das Gericht, und gesprochen habe ich für mich, darauf keinen ausdrücklichen Wert legt. Wir wollen hier nicht die Namen klarstellen, nicht die Namen herausstellen und etwa Ermittlungsverfahren gegen diese Namensträger hier praktisch in dieses Verfahren mithereinbringen, aber wenn der Zeuge danach gefragt wird, ist das [10425] selbstverständlich zulässig. Und wenn er es weiß, muß er es im Zusammenhang mit seiner Aussage schildern, denn er muß ja eine vollständige Aussage machen. Das hat doch etwas ganz anderes damit zu tun, ob das Gericht selbst darauf Wert legt, diese Namen in allen Einzelheiten zu erfahren. Bitte die Frage kann beantwortet werden.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, Groenewold, Köncke, Marielouise Becker, Eberhard Becker, Siegfried Haag, Croissant, Lang, Ströbele dann war das also Hoffmann und Plottnitz und na ja, Golzem rechne ich nicht dazu.

OStA Zeis:

Wie bitte?

Zeuge Mü[ller]:

Golzem rechne ich nicht dazu.

OStA Zeis:

Ja, da kommen wir vielleicht nachher noch ganz kurz dazu. Wenn Sie jetzt vielleicht gerade mal zu Rechtsanwalt Ströbele, über seine Rolle im „Info“ oder überhaupt seiner möglichen Beteiligung am Zusammenhalt der Gruppe, nach deren Festnahme etwas sagen können?

Zeuge Mü[ller]:

An seinem Anteil?

OStA Zeis:

Ja.

Zeuge Mü[ller]:

Also er hat, wenn man so will, er war der erste, der eben einfache Kontakte vermittelt hat. Also mündlicherweise, Grüße weitergegeben hat oder erzählt hat, was dies oder jener meint, der dann auch Briefe zwischen Gefangenen weitergegeben hat und mit einer der ersten, der also so Rundbriefe eingerichtet hat.

OStA Zeis:

Herr Müller, ist es richtig, daß Sie bei der Polizei mal von einem besonderen Verhältnis, des Herrn Rechtsanwalt Ströbele zur RAF gesprochen haben? Wenn ja, was verstehen Sie darunter?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, er war im vollen Sinne des Wortes, unter anderem auch für mich, ein Vertrauensanwalt, weil er eben am Rande an, na ja, weil er auch während ... vor der Verhaftung zum Beispiel, weil es da Kontakte gab zu Rechtsanwalt Ströbele. Weil er ja da auch schon Kontakte vermittelt hatte.

OStA Zeis:

Sie haben ja vorhin schon auf die Frage von Herrn Bundesanwalt Dr. Wunder auch gestern auf die Frage des Herrn Vorsitzenden etwas zu Ihrer Abkehr von der RAF gesagt. Ist in dem Zusammenhang, ... soll ich lauter sprechen, Herr [10426] Rechtsanwalt Schily.

RA Schi[ly]:

Etwas deutlicher vielleicht.

OStA Zeis:

Deutlicher ja. Ich sagte gerade eben zu Herrn Müller, daß er gestern auf die Frage des Herrn Vorsitzenden und heute des Herrn Bundesanwalt Dr. Wunder schon etwas zu seiner Abkehr von der RAF gesagt hat. Ist Ihnen in diesem Zusammenhang, jetzt meine Frage, etwas über besondere Aktivitäten des Herrn Rechtsanwalts Ströbele bekannt? Um Sie wieder „auf den richtigen Weg“ zurückzuführen?

Zeuge Mü[ller]:

Ich meine, nach meiner Trennung von der RAF habe ich ... stand ich dann noch in einem hauptsächlich Briefverkehr mit Rechtsanwalt Ströbele und seine Tendenz war eben die, daß er sagte, also ich solle nicht einen Privatkrieg mit Baader führen, sondern wenn ich schon von der RAF wegginge eben zu einer sogenannten Massenlinie finden, das heißt, eben so eine dieser Sekten.

OStA Zeis:

Hat er dabei versucht Ihr nun negatives Bild von der RAF positiv zu beeinflußen? Wenn ja, durch was?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, das drehte sich eben darum, daß er mir gegenüber diese Anschläge gegen amerikanische Einrichtungen nochmal hervorhob und in dem er zum Beispiel eben auch sagte, wann war das 1972, Weihnachten, als da Hanoi bombardiert[28] würde, er hätte auch eine Bombe gelegt, wenn er eine im Schrank gehabt hätte.

OStA Zeis:

Ich möchte Ihnen einen kurzen Vorhalt machen aus Bl. 112. Sie sollen bei der Polizei gesagt haben: Herr Rechtsanwalt Ströbele hätte „die Bombenanschläge der RAF auf amerikanische Einrichtungen lobend erwähnt“. Haben Sie so was bei der Polizei gesagt?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

OStA Zeis:

Ist das richtig?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

OStA Zeis:

Dann zu Herrn Rechtsanwalt von Plottnitz. Auch wieder meine Vorfrage, wie vorhin, können Sie uns da etwas Näheres über seine Mitwirkung sagen, insbesondere eventuelle Einflußnahmen, die in Richtung auch Zusammenhalt der Gruppe gehen.

Zeuge Mü[ller]:

Rechtsanwalt Plottnitz war ...

[10427] OStA Zeis:

Herr von Plottnitz.

Zeuge Mü[ller]:

Wie bitte?

OStA Zeis:

von Plottnitz.

RA Schi[ly]:

von Stockhammer, Stockhammer.

OStA Zeis:

Bindestrich Stockhamer, ganz recht. Möglicherweise, Herr Rechtsanwalt Schily, ist Herr Rechtsanwalt von Plottnitz unter diesem zweiten schmückenden Namen Herrn Müller nicht bekannt. Deswegen habe ich es beschränkt auf den ersten Teil.

Zeuge Mü[ller]:

Also er war nach Rechtsanwalt Ströbele mein zweiter Anwalt und er hat eben in dieser Zeit, ging es eben darum, daß er, wenn man so will, mich wieder als RAF-Mitglied konsolidierte. Also ich war da in ziemlich miesem Zustand, unter anderem war es eben sein Job, mich wieder auf die Höhe der RAF zu bringen.

OStA Zeis:

Könnte man das etwa mit den Worten umschreiben, daß es sich bei Herrn Rechtsanwalt von Plottnitz um einen „engagierten RAF-Psychologen handelt, der auf Anweisung Baaders angeknackste RAF-Mitglieder wieder aufrichten“ sollte?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, so kann man sagen.

OStA Zeis:

Was ist Ihnen denn über Herrn Rechtsanwalt von Golzem in diesem Zusammenhang bekannt.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, es gab da Differenzen in der Sozietät dort in Frankfurt ...

Vors.:

Also darf ich vielleicht nochmals draufhinweisen. [k] Ich bitte es, Herr Müller auch für Sie, verständlich zu machen, Herr Bundesanwalt hat ausdrücklich draufhingewiesen, was Ihnen bekannt sei über die Tätigkeit der genannten Herren, in Bezug auf die Unterhaltung, die Gründung, die Festigung der Gruppe. Das ist das, was wir hier aufklären wollen. Alle weiteren Dinge, die nicht in diesen Rahmen fallen, bitte ich auch im Fragenprogramm aus dem Spiele zu lassen. Wir haben also hier keine Ermittlungsverfahren zu führen, gegen die genannten Herren. Alles was aber im Zusammenhang mit der Festigung der Gruppe oder Gründung oder sonstirgendwas zu tun hat, selbstverständlich kann gefragt werden. Das müssen Sie dann auch schildern, wenn entsprechende Fragen gestellt werden. In diesem Sinne darf ich die Frage verstehen, Herr Bundesanwalt Zeis.

OStA Zeis:

Selbstverständlich, im anderen Sinn war sie auch [10428] nicht gemeint, Herr Vorsitzender.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, Rechtsanwalt Golzem hatte in diesem Sinne nicht die Funktion von Rechtsanwalt Plottnitz. Er hat mich, im Gegensatz dazu, versucht, also gegen Andreas Baader aufzubringen oder eben Intentionen gegen Andreas Baader zu wecken. Mein Eindruck bei diesen Versuchen war, daß er eben, also gegen die RAF und gegen Baader eingestellt war. Allerdings hat er sich nicht vom Terrorismus im Allgemeinen distanziert. Oder war gegen den Terrorismus im Allgemeinen.

OStA Zeis:

Dann noch ein letzter Rechtsanwalt der[l] in diesem Zusammenhang vielleicht interessieren könnte. Herr Rechtsanwalt Dr. Croissant. Was wissen Sie unter diesem ..., die der Herr Vorsitzende gerade eben gegeben hat, über seine Tätigkeit.

RA Schi[ly]:

... es ist nicht zu verstehen ...

OStA Zeis:

Pardon, Herr Schily, ich war gerade bei Herrn Rechtsanwalt Dr. Croissant.

RA Schi[ly]:

Ja nun, das weiß ich ja auch jetzt ... aber ich kann nichts verstehen, tut mir leid. Sie sprechen da ... ein bißchen undeutlich.

OStA Zeis:

Ich werde mich bemühen, es abzustellen, Herr Rechtsanwalt Schily.

Zeuge Mü[ller]:

Es war für mich auch undeutlich.

OStA Zeis:

Können Sie etwas sagen über die Mitwirkung des Herrn Rechtsanwalt Dr. Croissant am „Info“ oder sonstiger Mitwirkung am Zusammenhalt der Gruppe, nachdem sie festgenommen worden war.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, er war am „Info“-System beteiligt. Also in der Form, daß er eben an Leute, die nicht zum Beispiel das Mandat hatten von Groenewold, daß er eben an diese Gefangenen „Infos“ weitergab. Er hat, wenn man so will Rundreisen gemacht. Handlungsreisen in Sachen Ensslin, wenn man so will. Ich meine, ich habe nicht ein großes Verhältnis mit ihm gehabt. Er war ab und zu mal da und es gab Gespräche über den Zusammenhang. Er war so was wie ein Aufmunterungselement. Also er brachte ab und zu mal Sachen zum Essen mit und so.

OStA Zeis:

Ich möchte dieses unerfreuliche Kapitel abschließen zu einer weiteren Frage übergehen ...

RA Schi[ly]:

Was wollten Sie abschließen?

[10429] OStA Zeis:

Dieses unerfreuliche Kapitel, Herr Rechtsanwalt Schily, oder finden Sie nicht, daß es unerfreulich ist.

RA Schi[ly]:

Wenn Sie schon so genau Bescheid wissen.

OStA Zeis:

Ich glaube ja. Herr Müller, würden Sie noch etwas zu der Bewaffnung der Gruppe sagen. Sie haben ja gestern schon Ausführungen zum Schießbefehl gemacht. Wie war denn die Gruppe bewaffnet? Speziell die Frage, nur mit Faustfeuerwaffen?

Zeuge Mü[ller]:

Es gab Handfeuerwaffen, es gab Kriegswaffen, also wie die Maschinenpistolen und Sturmgewehr. Also Schnellfeuergewehre, automatische. Es gab sogar ein Maschinengewehr oder eine maschinengewehr-ähnliche[m] Waffe. Es gab Handgranaten, es gab Sprengstoff und Bomben.

OStA Zeis:

Wurden bei irgendwelchen Aktionen auch diese Waffen mitgenommen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

OStA Zeis:

Ist es richtig, wenn Sie vor der Polizei gesagt haben, bei größeren Aktionen waren immer Leute eingeteilt, die mit Maschinenpistolen Feuerschutz geben sollten?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, das ist richtig ...

OStA Zeis:

Blatt 206, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

Danke, ich habe keine weiteren Fragen mehr, Herr Vorsitzender, ich wäre dankbar, wenn Sie Herrn Bundesanwalt Widera.

Vors.:

Ja, gestatten Sie, daß ich eine Anknüpfungsfrage an eine Ihrer Fragen stelle. Sie haben ja erwähnt, daß diese „Infos“ entweder vernichtet oder wieder zurückgegeben werden sollten. Ist dieser Rücklauf auch über Anwälte erfolgt?

Oder wie sollte das geschehen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, entweder über die Verteidigerpost oder bei Verteidigerbesuchen.

Vors.:

Danke. Bitte, Herr Bundesanwalt Widera.

Reg. Dir.Wi[dera]:

... nochmal kurz zurück zu dem Terroranschlag in Frankfurt. Sie sprachen davon, daß einer der drei Bombenkörper eine kleine Gasflasche gewesen sein soll. Wissen Sie etwas darüber, womit diese Gasflasche verschlossen gewesen ist. Also ich meine Schraubkappen oder so was ähnliches. Wissen Sie etwas darüber?

Zeuge Mü[ller]:

Ich weiß nur, daß in der Frankfurter Wohnung waren mehrere kleine Gasflaschen vorbereitet worden. Da war ein abgesägtes Ventil da eingesetzt. Mehr kann ich dar- [10430] über nicht sagen.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Das war abgesägt worden das Ventil. Und anschließend muß es ja doch in irgendeiner Form wieder verschlossen worden sein. Meine Frage also weiterhin, wissen Sie etwas darüber?

Zeuge Mü[ller]:

Das verstehe ich nicht.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Ob dazu etwa auch eine Schraubkappe verwandt wurde? Ist das Ventil vollständig abgesägt worden?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, also bei den kleinen Gasflaschen, die hergestellt worden waren, auch bei dieser Probesprengung, da ist das Ventil, ich habe das ja hier bereits geschildert, abgesägt worden, damit die Flasche eben wieder verschlossen wird und damit man das mit einem Gabelschlüssel reindrehen kann.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Genau, damit sie wieder verschlossen werden kann. Und womit?

Zeuge Mü[ller]:

Dann ist sie ja verschlossen.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Dann ist sie schon verschlossen.

Zeuge Mü[ller]:

Denn ein Teil des abgesägten ...

Reg. Dir. Wi[dera]:

Noch eine Frage dazu, können Sie etwas dazu sagen, warum das Schreiben, das von Frau Meinhof, nach ihren Worten aufgesetzt und auch geschrieben sein soll, warum das Schreiben relativ spät erst an die Medien gelangt ist?

Zeuge Mü[ller]:

Achso ja. Soweit ich mich erinnere war Andreas Baader nicht schlüssig, ob gleich sofort also die Polizei darauf hinweisen soll, daß das eben ein Anschlag der RAF war. Also aus taktischen Gründen, wenn man so will.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Wie ist das zu verstehen, aus taktischen Gründen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich meine, wenn sofort eine Erklärung abgegeben worden wäre, dann hätte das ja, also so eine Erklärung hat ja auch immer einen polizeilichen Aspekt. Sie informiert ja die Polizei darüber, wer für so einen Anschlag verantwortlich ist.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Angst vor Entdeckung?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, in dem Sinne.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Noch eine Frage zu dem Motiv. Sie sagten, als genügend Sprengstoff vorhanden gewesen sei, da habe dann irgendeines Tages Frau Ensslin vorgeschlagen nun gegen eine amerikanische Einrichtung vorzugehen. War das wirklich der Anlaß der einzige Anlaß. Stand dieser Anlaß überhaupt [10431] im Vordergrund. Denn zuvor hatten Sie gesagt, erstmals der Gedanke an Sprengstoffanschläge in dem Zusammenhang oder nach dem Tode von Petra Schelm,[29] also als Rache, mit uns könnt ihr das nicht machen. So in dieser Richtung. Und dann wird das Schreiben von Frau Meinhof verfaßt und da heißt es, ein Kommando Petra Schelm[30] habe diesen Anschlag verübt. Und ich will Sie noch weiter auf die nächsten Schreiben hinweisen. Für München, Augsburg[31] heißt es dann, ein Kommando Thomas Weisbecker.[32] Und dieses Kommando Thomas Weisbecker benennt genau das Thema, wie es dann auch ausgeführt ist. Warum dieser Anschlag gemacht wird. Und bei dem Anschlag Buddenberg,[33] da heißt es ein Kommando Manfred Grashof[34] habe den Anschlag gemacht. Auch da wieder genau das Thema. Soll denn das Nennen des Kommandos Petra Schelm nicht mindestens auch das Thema gewesen sein, für den Anschlag, der da in Frankfurt gemacht wurde?

Zeuge Mü[ller]:

Das ist ja kein Widerspruch, zwischen dem Vorsatz Gewalt zu demonstrieren für Geiselnahmen, weil ja die Sachen, die da ausgeführt werden, die müssen ja irgendwie motiviert sein. Also die Sache hat eben mehrere Aspekte, wenn man es so nennen will. Und es geht eben darum, daß hier bei den amerikanischen Aspekten, es ging um die Motivierung der Leute und es ging um eben in Bezug auf die Symphatisanten und so weiter hatte das einen Aspekt. Bei den anderen Sachen ist es genauso. Ich meine, wenn Baader die Leute dabeihalten will, dann muß er dafür sorgen, daß sie ab und zu mal wieder rauskommen und daß sie, so wie er das sieht, eben einen Schutz haben gegenüber sogenannten Henkern.

Vors.:

Herr Müller darf ich Sie bitten, das Mikrofon etwas mehr zu berücksichtigen.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Im Zusammenhang mit dem Anschlag in Karlsruhe.

Die Vorbereitung so sagten Sie, sei in der Inheidenerstraße gewesen, diesen Anschlag, den der Angeklagte Baader gewollt habe. Und in diesem Zusammenhang nennen Sie auch weitere Namen, die an der Vorbereitung beteiligt gewesen seien. Hat sich denn die Angeklagte Ensslin, die Sie nicht genannt haben, in dieser Zeit nicht in der Inheidenerstraße aufgehalten?

Zeuge Mü[ller]:

Ob sie sich nicht da aufgehalten hat?

Reg. Dir. Wi[dera]:

Ja oder ob sie sich doch dort aufgehalten hat?

[10432] Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich kann das einfach nicht sagen, weil ich keine Erinnerung habe.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Sie haben keine Erinnerung.

Zeuge Mü[ller]:

Sie kann dagewesen sein. Sie kann aber auch nicht dagewesen sein.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Danke. Und dann haben Sie gesagt, bevor dieser Anschlag durchgeführt wurde, natürlich getestet werden muß, wie man am besten die Zündung der Bombe koppelt mit dem Anlasser. Und dieser Test sei von Baader ausgeführt worden. War er wirklich allein bei diesem Test, an diesem, von der Bande damals gefahrenen VW-Käfer?

Zeuge Mü[ller]:

Nein, der war noch mit jemand zusammen. Aber mir fällt das im Moment nicht ein, weil er fuhr ja nie alleine rum.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Will ich Ihnen das mal vorhalten. Sie haben gesagt, auf Bl. 64 der polizeilichen Aussage sollen Sie gesagt haben: 1 oder 2 Tage vor dem Anschlag erfuhr ich, daß Baader mit Meins oder Raspe an einem, durch die RAF gefahrenen VW testen wollte und so weiter ... Fällt Ihnen das wieder ein?

Zeuge Mü[ller]:

Das ist richtig.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Meins oder Raspe. Wissen Sie etwas darüber, wer dann tatsächlich vor dem Anschlag in Karlsruhe an der Zündspule oder dem Verteiler, wie Sie wohl gesagt haben, die Bombe angeschlossen hat?

Zeuge Mü[ller]:

Das war ja Baaders Sache. Der hatte sich ja drum gekümmert. Aber ich weiß es nicht, wer das dort angeschlossen hat. Ich weiß nur, daß sich Baader, also was die Vorbereitung für die Sache angeht, eben um die, um das Anschließen, um die richtigen Stellen zu finden und so weiter gekümmert hat. Aber ob er jetzt in Karlsruhe diese Bombe dort angeschlossen hat, das kann ich nicht sagen.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Nochmal kurz zu Heidelberg, da haben Sie hier gesagt, daß von diesen Gasflaschen die Typenschilder entfernt worden sind. Wissen Sie etwas darüber, wer sie entfernt hat?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, zum Teil.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Zum Teil wer?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, da verweigere ich die Aussage.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Noch im Zusammenhang mit Heidelberg.[35] Sie haben gesagt, der Anschlag sei überhaupt durchgeführt worden, zur Beruhigung und zur Neutralisierung der Symphatisanten, [10433] die wegen der Anschläge München, Augsburg, Buddenherg und Hamburg unruhig oder letztlich, die mit diesen Anschlägen nicht einverstanden gewesen seien. Wissen Sie etwas darüber, warum diese Symphatisanten mit diesen 4 genannten Anschlägen nicht einverstanden gewesen seien?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, unter anderem mit Sicherheit wegen der verletzten Arbeiter bei Springer.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Das haben Sie gestern schon gesagt, das ist mir klar. Das kann sich aber nur auf Hamburg beziehen. Das kann sich nicht auf den Richter Buddenberg und vielleicht auch nicht so auf München und Augsburg beziehen.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, die zweite Sache ist eben, daß natürlich bei diesen Sachen, da ist es ja eine Konfrontation, die sich verschärft.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Ich habe Sie akustisch nicht verstanden?

Zeuge Mü[ller]:

Das ist eine Konfrontation, die sich verschärft. Wenn jetzt plötzlich von einer Gruppe eben kurz wenige Tage immer nacheinander 4 Anschläge gegen polizeiliche oder richterliche Personen gerichtet werden, das ist ja eine Konfrontation, die ja die allgemeine Situation oder wie soll man sagen, das allgemeine Klima in der Bundesrepublik sehr stark beeinflußt. Also das hat man ja erlebt, daß es da zum Teil unheimliche Hysterien gegeben hat.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Dann noch was, Sie sagten, die Sprengstoffanschläge insgesamt, seien dazu gemacht worden, um die Schlagkraft der Gruppe zu zeigen, damit spätere geplante Geiselnahmen gelingen könnten. Meine Frage ist, mit welchem Ziel, zu welchem Zweck sollten denn später Geiseln genommen werden?

Zeuge Mü[ller]:

Zur Befreiung. Also Befreiung gefangener Mitglieder, die ja zum Teil seit 1970 einsaßen.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Einziger Zweck?

Zeuge Mü[ller]:

Ja ... moment, es waren ja auch noch im Gespräch, das fällt mir jetzt gerade ein, finanziell, also Andreas Baader hatte auch geplant Entführungen zu machen, weil er eben das Risiko bei einer Entführung kleiner hielt, als bei einem Banküberfall, das war auch noch ein Aspekt.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Diese beiden Gründe?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

[10434] Reg. Dir. Wi[dera]:

Vielen Dank.

Vors.:

Herr Bundesanwalt Holland bitte.

OStA Ho[lland]:

Herr Müller, zunächst eine Frage, die sich auf Ihre Angaben am vergangenen Donnerstag bezieht. Und zwar, Herr Müller, wenn ich es recht in Erinnerung habe, haben Sie am vergangenen Donnerstag angegeben, selbst Weckeruhren im Bandenauftrag gekauft zu haben. Meine Frage nun an Sie, Herr Müller, wurden bei diesen Einkäufen von Weckeruhren bestimmte Fabrikate, bestimmte Marken bevorzugt?

RA. Eggler erscheint um 10.20 Uhr im Sitzungssaal.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, es wurden Fabrikate aller möglichen Fabrikate gekauft, bevorzugt wurde unter anderem, weil sie so klein waren, ein bestimmtes Fabrikat, das bei Foto-Quelle erhältlich war, aber es wurden eigentlich im Prinzip alle Arten von Kurzzeituhren und Reiseweckern gekauft.

OStA Ho[lland]:

Eine bestimmte Bevorzugung, vielleicht wegen einer besonderen Geeignetheit hat also nicht stattgefunden?

Zeuge Mü[ller]:

Ja doch, es wurden also mehrere Wecker des gleichen Typs gekauft. Aber es war nicht so ausgeprägt, daß jetzt eine Anweisung gegeben hätte, 50 oder 20 von dieser Sorte zu kaufen.

OStA Ho[lland]:

Sind Ihnen solche bestimmten Fabrikate noch erinnerlich?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, eines habe ich ja jetzt bereits erwähnt. [n] Das gab es bei Foto-Quelle. Ich weiß nicht wie das heißt, das gab es bei Foto-Quelle.

OStA Ho[lland]:

Ich darf Ihnen vielleicht mal zwei Fabrikatnamen nennen, Jerger[o]. Können Sie da etwas mit verbinden?

Zeuge Mü[ller]:

Also da ...

OStA Ho[lland]:

Und „Blessing”?

Zeuge Mü[ller]:

Ich kann damit nichts anfangen. Höchstens wo sie gekauft wurden.

OStA Ho[lland]:

Danke. Dann etwas anderes, Herr Müller, Sie haben auch im Verlauf Ihrer Vernehmung davon berichtet, daß auch einmal ein Einbruch stattgefunden habe, in einen Sprengstoffbunker, den genauen Zeitpunkt, Herr Müller, vermochten Sie damals nicht einzugrenzen[p]. Sie haben aber angegeben, zu [10435] diesem Zeitpunkt, hätte in Frankfurt so eine Art Volksfest oder Kirmes stattgefunden und Sie hätten dieses Volksfest oder diese Kirmes auch besucht. Meine Frage nun an Sie, Herr Müller, können Sie die Örtlichkeit in Frankfurt einmal näher angeben, an der nun dieses Volksfest stattgefunden hat?

Zeuge Mü[ller]:

Also so aus dem Kopf raus kann ich es ungenau, wenn ich einen Stadtplan hätte, könnte ich es genauer.

OStA Ho[lland]:

Dann darf ich Ihnen vielleicht mal vorhalten, aus Bl. 25 Ihrer polizeilichen Vernehmung. Damals haben Sie von einem Ratsweg gesprochen.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, also der Platz, der Kirmesplatz, der lag nicht weit weg von der Wohnung in der Inheidenerstraße und wenn man da in Richtung Offenbach fährt, da muß man über Brücken, da kommt ein großer Kreisel, da liegt das, wenn man die Richtung nimmt, dann liegt das linker Hand.

OStA Ho[lland]:

Eine Zwischenfrage, Herr Müller, können Sie mit dem Begriff Ratsweg heute noch etwas verbinden?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, das ist vermutlich der Weg, aber der fällt mir im Moment nicht ein, wenn dann habe ich den auch aus dem Stadtplan ausgesucht[q].

OStA Ho[lland]:

Dann in diesem Zusammenhang eine weitere Frage Herr Müller. Können Sie mit dem volkstümlichen Ausdruck „Dippe-Messe“ etwas verbinden?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, das ist hessisch.

OStA Zeis:

Ja, ich meine, das ist klar, Herr Müller, meine Frage nur, war das vielleicht diese Veranstaltung.

Zeuge Mü[ller]:

Das war so was ähnliches. Ich habe, ich wußte, daß da was ist und wollte da einfach mal hingehen, ich war da auch noch mit Angela Luther[36] zusammen. Und wie das jetzt heißt, ob es eine „Dippe-Messe“ war oder ob das, es gibt je noch mehrere Feste.

OStA Zeis:

Trotzdem jetzt, Herr Müller, möchte ich mit Ihnen nochmal den Versuch unternehmen, die Dinge doch zeitlich etwas einzugrenzen. Frage: War es Winter oder war es Frühjahr?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich kann sagen, daß es entweder im April oder Mai war, aber mehr kann ich nicht sagen.

OStA Ho[lland]:

April oder Mai. Danke, Herr Müller. Dann etwas anderes [10436] und zwar, Herr Müller, darf ich mich mal jetzt zuwenden dem Anschlag in Augsburg. In diesem Zusammenhang haben Sie, Herr Müller, bekundet, daß in der Gruppe nach diesem Anschlag davon die Rede war, daß die Möller, wie Sie sich wörtlich ausgedrückt haben, bei diesem Anschlag Mist gemacht habe, oder Mist gebaut habe. Meine Frage nun an Sie, Herr Müller, worin bestand dieser „Mist“?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, sie hatte 2 Bomben, die jeweils eine extra Zündung hatten, dicht nebeneinandergestellt.

OStA Ho[lland]:

Mit der Folge daß ...

Zeuge Mü[ller]:

Daß eben durch die Zündung oder die frühere Zündung einer Bombe die Zündung der anderen Bombe zerstört wurde.

OStA Ho[lland]:

Hat Ihnen Irmgard Möller selbst davon berichtet oder haben Sie davon über Umwege erfahren?

Zeuge Mü[ller]:

Ich habe letztlich auch von ihr davon erfahren.

OStA Ho[lland]:

Von ihr selbst. Und Herr Müller, können Sie uns noch etwas sagen, was möglicherweise Ihnen in diesem Zusammenhang auch berichtet worden ist, wo im Einzelnen diese Bomben in Augsburg abgelegt worden sind? Also ich meine jetzt nicht das Gebäude, das steht natürlich fest, Polizeidirektion, sondern der innere Ablageort?

Zeuge Mü[ller]:

Eine, also die Preßluftflasche war auf dem Schrank und die andere war entweder in einem Schrank oder neben einem Schrank oder in einem Regal. Also die Sachen von Irmgard Möller.

OStA Ho[lland]:

Danke Herr Müller.

Vors.:

Damit wären wir zunächst mal am 1. Teil zu Ende. Ich schlage vor eine Pause, dann wollen wir die Herren Verteidiger bitten, ihre Fragen zu stellen. Wobei ich die Herren Verteidiger vielleicht bitte, die Pause zu benutzen, um zu klären, in welcher Reihenfolge die Fragen gestellt werden sollen.

Eine Viertelstunde Pause.

Pause von 10.25 Uhr bis 10.47 Uhr.

Vors.:

Wir können die Sitzung fortsetzen. Ich glaube der alten Regelung entsprechend haben die Herren drüben das Vorrecht und wie sie sich der Reihenfolge nach an die Fragen einschalten wollen, das ist Ihre Sache. Bitte, ich glaube Herr Rechtsanwalt Schily, Sie beginnen.

[10437] RA Schi[ly]:

Herr Müller, nach Beendigung Ihrer gestrigen Vernehmung haben Sie sich da noch mit jemandem unterhalten, über den Inhalt Ihrer Befragung?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich bin gestern Abend gleich rübergegangen in den Knast.

RA Schi[ly]:

Ja, haben Sie noch mit jemandem gesprochen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, wie soll ich das verstehen? Ich habe mit mehreren Leuten gesprochen. Ich spreche mit den Anstaltsbediensteten, was meinen Sie konkret?

RA Schi[ly]:

Über den Inhalt Ihrer Befragung, haben Sie da nochmal gesprochen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich habe mich sicher mit jemand darüber unterhalten. Ich meine bloß, wen meinen Sie?

RA Schi[ly]:

Ja, das frage ich, ich war ja nicht dabei.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, in dieser Form kann ich die Frage nicht beantworten. Ich habe mit Anstaltsbeamten zum Beispiel drüber gesprochen.

RA Schi[ly]:

Ja und noch, mit weiteren Personen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, damit ist für mich die Frage beantwortet.

RA Schi[ly]:

Ich habe ja nicht nur nach Anstaltsbeamten gefragt, sondern haben Sie auch mit anderen Personen über Ihre Vernehmung gesprochen?

Zeuge Mü[ller]:

Sagen Sie mir bitte, stellen Sie mir eine klare Frage, dann kriegen Sie von mir eine klare Antwort.

RA Schi[ly]:

Das ist doch eine klare Frage.

Zeuge Mü[ller]:

Nein, in dem Sinne habe ich nicht mit anderen Personen, außer mit Anstaltsbeamten, geredet.

RA Schi[ly]:

Ja wie, in dem Sinne? Was verstehen Sie in dem Sinne?

Zeuge Mü[ller]:

Wie Sie das ausgedrückt haben, über die, über den Inhalt der Aussagen oder über das Verfahren hier oder wie Sie es immer nennen wollen.

RA Schi[ly]:

Also beispielsweise mit Ihrem Anwalt haben Sie da nochmal gesprochen?

Zeuge Mü[ller]:

Ich habe mit Herrn Huth nicht gesprochen.

RA Schi[ly]:

Und mit Kriminalbeamten?

Zeuge Mü[ller]:

Mit Kriminalbeamten habe ich auch nicht gesprochen.

RA Schi[ly]:

Betreuungsbeamten?

Zeuge Mü[ller]:

Was verstehen Sie darunter?

RA Schi[ly]:

Ja, diesen Begriff haben wir hier erst kennengelernt, vielleicht darf ich Sie auch fragen, ob Sie hier allein angereist sind, nach Stammheim oder haben Sie, sind Ihnen da [10438] bestimmte Beamte attachiert worden?

Zeuge Mü[ller]:

Was verstehen Sie darunter?

RA Schi[ly]:

Beispielsweise einen Kriminalbeamten, der Sie hier so in den Pausen betreut, mit Ihnen spricht? Ob es gut war, ob es schlecht war?

Zeuge Mü[ller]:

Also der Kaffee wird von meinem Anwalt geholt, wenn Sie das meinen.

RA Schi[ly]:

Nein, nein, nicht Kaffee sondern Gespräche.

Unruhe im Sitzungssaal.

Vors.:

Ich bitte im Saal um Ruhe.

Zeuge Mü[ller]:

Also fangen Sie nochmal an mit konkreten Fragen. Ich habe hier in den Pausen, hatte ich, gestern habe ich kurz Zeitungen bekommen von Kriminalbeamten. Wir haben nicht über das Verfahren gesprochen, das war, der Rechtsanwalt Huth war anwesend ...

RA Schi[ly]:

Kennen Sie die Kriminalbeamten ...

Zeuge Mü[ller]:

... in dem Sinne, was Sie mir unterstellen wollen oder was Sie hier überhaupt unterstellen wollen, daß anschließend oder während der Pausen Gespräche mit Kriminalbeamten stattfinden, das ist nicht zutreffend.

RA Schi[ly]:

Kennen Sie die Kriminalbeamten, die gestern bei Ihnen waren?

Zeuge Mü[ller]:

Der gestern da war, den kenne ich dem Namen nach nicht.

RA Schi[ly]:

Ja, dem Namen nach, aber kennen Sie ihn vom Ansehen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich kann ihn beschreiben.

RA Grigat erscheint um 10.51 Uhr im Sitzungssaal.

RA Schi[ly]:

Haben Sie ihn früher schonmal gesehen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, er ist im Hubschrauber mit runtergeflogen.

RA Schi[ly]:

Und haben Sie ihn davor schonmal gesehen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, er war mir bekannt.

RA Schi[ly]:

Woher?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, was[r] weiß ich Mensch, ich habe so viele gesehen.

RA Schi[ly]:

Aus Gesprächen? Früheren Gesprächen?

Zeuge Mü[ller]:

Es war, ne, also wenn Sie das meinen, es war keiner der Beamten, die bei einer Vernehmung dabei waren.

[10439] RA Schi[ly]:

Nicht Vernehmung, aber Gespräche.

Zeuge Mü[ller]:

Das kann ich nicht ausschließen. Aber ich habe da nichts Konkretes mehr in Erinnerung.

RA Schi[ly]:

Nun haben Sie ja heute Morgen, ich habe mich etwas verspätet, eine Änderung Ihrer Aussage vorgenommen nicht? Bezüglich des Herrn Hoff?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Nun würde ich das gerne noch ein bißchen vertiefen. Also die Treffs, die Ihnen gestern der Herr Vorsitzende vorgehalten hat, die haben stattgefunden? ...

OStA Zeis:

Herr Vorsitzender ...

RA Schi[ly]:

Entschuldigung, wenn ich da einen falschen Vorhalt mache, ich war ja etwas spät.

Vors.:

Es ist kein falscher Vorhalt, sondern es ging im Augenblick sicher darum, zu beanstanden, daß es eine Wiederholung wäre, weil die Frage gestellt worden ist.

OStA Zeis:

Ganz genau.

Vors.:

Wenn es die Einleitung sein soll, für eine Vertiefung würde ich sagen, wir sollten mal die Frage in dieser Form zulassen.

RA Schi[ly]:

Ja. Nun war ja eines dieser Treffen die Abholung von Bombenhüllen und das Kühlen von Bombenhüllen in der Badewanne. Können Sie das dann nochmal schildern, wie das sich abgespielt hat, Herr Müller?

Zeuge Mü[ller]:

Da verweigere ich die Aussage.

RA Schi[ly]:

Verweigern Sie die Aussage. Haben Sie die Werkstatt sich eigentlich mal angesehen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich war mal drin.

RA Schi[ly]:

Wie oft würden Sie sagen, waren Sie in der Werkstatt?

Zeuge Mü[ller]:

Öfter.

RA Schi[ly]:

Können Sie es etwa abgrenzen wie oft?

Zeuge Mü[ller]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Mehr als 10 Mal oder weniger als 10 Mal?

Zeuge Mü[ller]:

Mehr als zweimal.

RA Schi[ly]:

Haben Sie da eigentlich mal die Freundin von Herrn Hoff kennengelernt?

Zeuge Mü[ller]:

Ich verweigere die Aussage.

RA Schi[ly]:

Haben Sie da sich früher mal dazu geäußert? Ob Sie die Freundin kennengelernt haben?

[10440] Zeuge Mü[ller]:

Verweigere ich die Aussage.

RA Schi[ly]:

Ich sehe die Aussageverweigerung, hinsichtlich einer früheren Äußerung nicht als berechtigt an, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Wenn Sie die Entscheidung nach [§ ]56[ StPO][37] hier im Auge haben, dann bitte ich entsprechende Anträge zu stellen.

RA Schi[ly]:

Ja, ich bitte den Zeugen zu veranlassen, die Frage zu beantworten, durch die prozessualen Mittel, die vorgesehen sind.

Vors.:

Das heißt hier also so, daß grundsätzlich auf Verlangen der Zeuge glaubhaft machen[38] müsse, die Umstände, die ihn veranlassen zu befürchten, daß er bei wahrheitsgemäßer Beantwortung einer strafgerichtlichen Verfolgung ausgesetzt sei. Also etwa bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der Frage, ob Sie früher mal Angaben darüber gemacht haben, die Freundin des Zeugen Hoff kennengelernt zu haben. Das müßte man also jetzt etwas präzisieren, vielleicht, Herr Rechtsanwalt Schily, hat die Frage den Sinn, daß das in irgendeinem bestimmten anderen Verfahren schon eine Frage gewesen ist, auf die der Zeuge eine Antwort gegeben hat oder ...

RA Schi[ly]:

Das wird ja uns der Zeuge erklären, wo er sich geäußert hat.

Besprechung des Zeugen Müller mit seinem Rechtsanwalt Huth.

Vors.:

Nein, nein, es ist für die Entscheidung natürlich sehr wichtig zu wissen, ob er das Privatpersonen gegenüber geäußert haben soll oder in einem Verfahren. Nehmen wir an, es wäre in einem Verfahren geschehen, dann droht schon wieder unter Umständen die Gefahr von Strafverfolgung aus den Eides- oder Aussagedelikten heraus. Deswegen müssen wir ja klar wissen, worauf die Frage hingeht.

RA Schi[ly]:

Na ich habe doch zunächst mal eine allgemeine Frage gestellt, die ich jetzt nicht zu präzisieren brauche. Ich frage jetzt einmal, ob der Zeuge schonmal sich früher zu dem Punkt geäußert hat.

Vors.:

Aber wir wollten gern wissen, ob die Frage dahingeht ...

[10441] RA Schi[ly]:

Ich kann gerne jetzt zunächst einmal die Frage eingrenzen und aufteilen, in einem Verfahren a) in einem Verfahren b) bei anderer Gelegenheit.

Vors.:

Soweit es um die Frage eines Verfahrens geht.

Ende des Bandes 603.

[10442] Vors.:

Also ich darf dazu bemerken, daß es für das Gericht natürlich auch nicht ohne weiteres ersichtlich ist, warum, wenn die Frage aufgegliedert ist, einmal Verfahren, andererseits privat, die Gefahr zumindest beim Teil 2 der Frage bestehen sollte der strafgerichtlichen Verfolgung. Ob sie bei einem Verfahren bestünde, das würde sich danach beurteilen, daß damals falsche Aussagen gemacht worden wären.

Das ist nur der Hinweis. Ist die Frage nicht zu beantworten für Sie? Wollen Sie weiterhin den § 55[ StPO] in Anspruch nehmen?

Zeuge Mü[ller]:

Ich habe in keinem Verfahren über diese Freundin gesprochen.

RA Schi[ly]:

Na gut, dann frage ich eben den Teil B, Herr Müller. Sie sind ja wohl noch nicht als Zeuge ... Ist es das erste Mal, daß Sie als Zeuge vernommen werden in einem Verfahren?

Zeuge Mü[ller]:

Nein, es ist nicht das erste Mal.

RA Schi[ly]:

Nicht das erste Mal: aber in einem RAF-Verfahren das erste Mal?

Zeuge Mü[ller]:

Auch nicht.

RA Schi[ly]:

Ist das erste Mal in einem Verfahren, in dem es also auch um die Frau ... Freundin von Herrn Hoff geht? Haben Sie in einem Verfahren, in dem Sie als Zeuge vernommen worden sind, schon einmal irgendetwas zu der Freundin von Herrn Hoff sagen sollen oder gesagt?

Zeuge Mü[ller]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Also dann frage ich Sie, ob Sie bei anderer Gelegenheit, mit welchem Gesprächspartner immer, Sie einmal sich zu der Freundin von Herrn Hoff geäußert haben?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Ja. Können Sie auch noch sagen, was Sie da gesagt haben?

Zeuge Mü[ller]:

Dazu verweigere ich die Aussage.

RA Schi[ly]:

Das kann ich nicht anerkennen Herr Müller, Sie sind da verpflichtet dazu, sich zu äußern.

Vors.:

Das entscheidet das Gericht, ob die Verpflichtung besteht oder nicht.

RA Schi[ly]:

Sicher.

Vors.:

Herr Müller, wenn diese Äußerungen des Inhalts waren, daß damit gleichzeitig Rückschlüsse auf eigene strafbaren Verhaltensweisen von Ihnen oder eines Angehörigen zu ziehen wären, dann sind Sie berechtigt, den § 55[ StPO] in Anspruch zu nehmen.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, das mache ich hiermit, das ist gegeben.

RA Schi[ly]:

Ja, das müssen Sie aber glaubhaft machen, Herr Müller. Und zwar die Äußerung, es geht ja um die Äußerung, den Inhalt der Äußerung.

[10443] Vors.:

Nein, nein, das ist natürlich nicht richtig, sonst müßte ja im Rahmen der Glaubhaftmachung genau über das, was der Zeuge unter Umständen berechtigt verweigert, Auskunft gegeben werden. Im Übrigen ist das Verlangen der Glaubhaftmachung Sache des Richters.[39]

RA Schi[ly]:

Sicher, aber der Verteidiger darf ja wohl doch das verlangen.

Vors.:

Herr Müller, wenn ich Sie jetzt frage, ob bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der Frage, welche Äußerung Sie über Frau Sorenson gemacht haben, Sie selbst befürchten müssen, daß aus dieser Antwort Rückschlüsse auf eigenes strafbares Verhalten von Ihnen gezogen werden könnten, und Sie bestätigen mir das, dann kann das ausreichen für diese Entscheidung.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, das ist der Fall.

Vors.:

Das ist der Fall. Ich möchte dann diese Entscheidung des Zeugen anerkennen, Herr Rechtsanwalt.

RA Schi[ly]:

Ja, das ist aber nur eine bloße Behauptung, ich sehe nicht, wo ist die Glaubhaftmachung?

Vors.:

Es ergibt sich aus ... soll das nun eine Beanstandung[40] sein, soll das Gericht darüber entscheiden, ob ein Antrag ...

RA Schi[ly]:

Ja, das ist eine Beanstandung, ich sehe überhaupt keine Glaubhaftmachung, Herr Vorsitzender. Wo ist denn die Glaubhaftmachung, wenn der Zeuge immer sagen kann, ja ich sehe eine Gefahr, dann brauchen wir die Glaubhaftmachung überhaupt nicht, dann braucht der Zeuge ja nur die Erklärung abzugeben.

Beratung zwischen dem Zeugen Müller und seinem Rechtsanwalt Huth.

Vors.:

Geht die Beratung dahin, daß Aussagen gemacht werden sollen oder ist die Entscheidung des Gerichts notwendig?

RA Huth:

Der Zeuge möchte keine weiteren Erklärungen abgeben, eben weil die Voraussetzungen des § 55[ StPO] gegeben sind.

Der Vorsitzende verkündet nach geheimer Beratung folgenden Beschluß:

Der Senat anerkennt das Vorliegen der Voraussetzung[s] des § 55[ StPO]. Es gibt keine Vorschrift, die die Glaubhaftmachung im Einzelnen bestimmt, dies ist Sache des Gerichts. Das Gericht hält aus dem Gesamtzusammenhang und dem Wissen heraus, daß Frau Sorenson möglicherweise in diesen strafbaren Komplex verwickelt ist, für durchaus glaubhaft, dass der Zeuge Äußerungen gemacht hat, deren wahrheitsgemäße Beantwortung in ihn[t] selbst belasten könnte[u].

RA Schi[ly]:

Haben Sie früher mal gesagt, Herr Müller, daß die Frau von Herrn Hoff, - Sie haben sie möglicherweise als seine Frau angesehen, nicht als seine Freundin, - in dem Zeitraum Anfang 72 bis Mai 72 [10444] in der Werkstatt gearbeitet habe. Haben Sie das früher mal gesagt?

Zeuge Mü[ller]:

Ich verweigere die Aussage, dazu verweigere ich die Aussage.

RA Schi[ly]:

Haben Sie Ihre Verteidigerin in dem Hamburger Verfahren einmal für den Fall, daß der Herr Hoff bei seiner Zeugenaussage bekundet hätte, Sie wiederzuerkennen, haben Sie Ihre Verteidigerin für diesen Fall beauftragt, die Vernehmung der Freundin von Herrn Hoff zu beantragen und wenn ja, mit welchem Beweisthema?

Zeuge Mü[ller]:

Ich denke, das geht zu weit, also das ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, vom Anwaltsgeheimnis halten Sie in diesem Augenblick offenbar nicht all ...

RA He[ldmann]:

Hat der Zeuge ein Anwaltsgeheimnis?

Vors.:

Nein, aber die Besprechung mit dem Anwalt dürfte doch im Allgemeinen auch von Seiten eines Mandanten ein gewisses Vertrauen verdienen[41] oder täusche ich mich?

RA Schi[ly]:

Aber das finde ich doch sehr interessant, daß Sie hier ein Anwaltsgeheimnis einführen wollen ...

Vors.:

Nein, das Vertrauen ...

RA Schi[ly]:

... wenn der Zeuge zum Beispiel eine Besprechung mit seiner Verteidigerin hat über Vorgänge, die hier Gegenstand des Verfahrens sind, dann spricht er da auch einiges natürlich und ...

Vors.:

Es ist so, Herr Rechtsanwalt, damit wir uns klar drüber sind, daß dieser Gesichtspunkt, den ich einführte, selbstverständlich nicht dazu führen kann, etwa[v] aus diesem Grunde dem Zeugen eine Antwort abzunehmen, das ist selbstverständlich. Nur weise ich eben darauf hin, daß es wohl allgemein so ist, daß Anwälte das Vertrauensverhältnis, das zwischen Mandanten und Verteidigern bestehen soll und daß ja[w] immer einen hohen Rang einnimmt, auch in Ihren Ausführungen, daß man das tunlichst schonen sollte. Das war der Sinn meines Hinweises. Ich weiß nicht ob Sie es in diesem Sinn verstehen wollen.

RA Schi[ly]:

Sie brauchen mich über diese Frage nicht zu belehren, aber ich stelle meine Frage, und die verletzt jetzt nicht das Verteidigergeheimnis, sondern Herr Müller soll sich mal zu der Frage äußern.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, dazu sage ich nichts.

Vors.:

Das heißt also, Sie berufen sich auch in diesem Zusammenhang auf § 55[ StPO].

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Die Glaubhaftmachung? Inwiefern setzen[x] Sie sich da der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung aus, wenn ich Sie nach einem bestimmten [10445] Beweisantrag, den Sie beabsichtigt haben sollen, frage?

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, darf ich Sie nochmals bitten, ganz präzise, wie war die Frage gestellt? Ob für den Fall, daß Hoff bei seiner Aussage bleibe? ...

RA Schi[ly]:

... Daß Herr Hoff bei seiner Aussage bleibt, daß er Herrn Müller wiedererkennt, für diesen Fall dann der Herr Müller seine Verteidigerin beauftragt hat, die Vernehmung der Zeugin Sorenson, also der Freundin von Herrn Hoff, zu beantragen.

Vors.:

Es ist nicht ohne weiteres erkennbar, inwiefern hier die Beantwortung für den Herrn Zeugen die Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung begründen könnte. Ich müßte also schon bitten, daß das, wenn solche Befürchtungen bestehen, von Ihnen jetzt besprochen wird, festgelegt wird und Herr Müller uns das dann andeutet.

Besprechung zwischen dem Zeugen Müller und seinem Rechtsanwalt Huth.

Vors.:

Herr Müller.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, also ... diese Zeugin ist geladen worden und über den Hintergrund verweigere ich die Aussage.

Vors.:

Über den ...?

Zeuge Mü[ller]:

Hintergrund.

Vors.:

Hintergrund. Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, über das, was sie hätte sagen sollen? Oder wie es zustande gekommen ist, daß sie geladen wurde? Was ist mit Hintergrund gemeint?

RA Huth:

Der Sinn und Zweck.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, also der Zweck der ganzen Sache.

Vors.:

Sinn und Zweck der Sache, Sie wollen keine Angaben machen, aber die Zeugin sei geladen worden. Genügt Ihnen diese Antwort, Herr Rechtsanwalt Schily?

RA Schi[ly]:

Nein, nein, ich möchte ja wissen den Sinn und Zweck, warum es überhaupt dieser Beweisantrag, das ist ja Gegenstand der Befragung und ob das einen Zusammenhang hatte[y] und daß das für den Fall gestellt worden ist, um da Vorbeugemaßnahmen zu treffen.

Besprechung des Zeugen Müller mit seinem Rechtsanwalt Huth.

RA Schi[ly]:

Im Übrigen möchte ich den Kollegen bitten, er hat hier sehr[z] weitgehende Rechte, aber die Erklärung gibt der Zeuge ab und nicht der Herr Kollege.

Vors.:

Ist so geschehen bisher ...

RA Schi[ly]:

Nein eben sagte ich ... hier wurde souffliert dann.

[10446] Vors.:

Da hat der Herr Zeuge nach Ihnen gesehen und er hat ihm nur eine Formulierungshilfe geleistet, aber die Erklärung hat der Zeuge bisher abgegeben.

RA Schi[ly]:

Ich bin auch nicht damit einverstanden, daß der Kollege Formulierungshilfen ...

Vors.:

... daß der Herr Zeuge etwas sagen wollte ist das ...

Rechtsanwalt Schily spricht unverständlich dazwischen.

Vors.:

Er hat die Erklärung abgegeben, daß sein Mandant eine Erklärung abgeben wolle, also das ...

RA Schn[abel]:

Mit Ausnahme von heute morgen ... eine Erklärung zu Beginn des Prozesses abgegeben.

Vors.:

Jetzt bei der Befragung des Herrn Zeugen, wir wollen das jetzt nicht im Augenblick ausdehnen.

Zeuge Mü[ller]:

Ich möchte hier nur noch sagen, also das ist ein Beweisantrag, ein Beweisantrag für die Ladung der Frau Sorenson gibt es. Und wenn sich der Herr Schily so sehr dafür interessiert, dann soll er sich den ansehen.

RA Schi[ly]:

Herr Müller, ich möchte, den Inhalt des Beweisantrages können Sie uns gerne auch mitteilen, das ist auch sicher Sinn der Frage, aber Inhalt der Frage, aber auch wie Sie dazu gekommen sind, den zu stellen.

Zeuge Mü[ller]:

Ja also, Herr Richter, ich sehe das nicht ein, das ist ein noch nicht rechtskräftiges Verfahren, da ist ein Beweisantrag gestellt worden ...

Vors.:

Herr Müller, bitte rechten Sie jetzt nicht mit mir rum, erklären Sie nun zuerst, ob Sie bereit sind, dazu etwas zu sagen, oder ob Sie sich insoweit auf § 55[ StPO] berufen, und wir müssen dann darüber entscheiden, ob berechtigt oder nicht.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich berufe mich dann auf § 55[ StPO].

Vors.:

Sie stellen die Frage in der Richtung, ob dieser Beweisantrag gestellt worden ist für den Fall, daß der Herr Hoff in der Aussage ein bestimmtes Verhalten zeige?

RA Schi[ly]:

Jawohl, und den Inhalt auch des Beweisantrages, mit welchem Inhalt der Beweisantrag gestellt worden ist.

Vors.:

Will sich - da ja diese Fragen nun wahrscheinlich für diese Vernehmung eine gewisse Rolle spielen sollen - der Senat beabsichtigt, sich zurückzuziehen und sich die Frage mal zu überlegen - will die [10447] Bundesanwaltschaft vorher Stellung dazu nehmen? Keine Stellungnahme? Dann wollen wir kurz beraten. Ich würde die Beteiligten bitten, sich nicht zu weit zu entfernen ...

RA Schn[abel]:

Herr Vorsitzender, wenn Sie schon sagen allgemein, dann ...

Vors.:

Bittesehr.

RA Schn[abel]:

... dann dürfte ich vielleicht auch was dazu sagen.

Also wenn ich den § 56[ StPO] richtig lese, dann steht hier von einer Glaubhaftmachung und eine Glaubhaftmachung ist ganz gewiss nicht das, daß hier der Zeuge permanent bei jeder Frage nur antwortet: ich berufe mich auf § 55[ StPO], sondern es muß ein Plus dazukommen. Und dieses Plus ist eben diese Glaubhaftmachung, die nicht damit getan ist, daß man sagt, ich glaube, es würde mich dann etwa treffen, sondern daß man Anhaltspunkte dafür gibt, aus denen man objektiv sehen kann, daß unter Umständen eine § 55[ StPO]-Möglichkeit Auskunftsverweigerungsrecht vorhanden ist. Ich bitte in Zukunft, vor allem auch, wenn unsereiner dann hier fragt, daß der Zeuge wirklich diese Glaubhaftmachung ernsthaft durchführt und daß er nicht so nebulös nur Andeutungen macht, wie es sein könnte. Das hat nichts damit zu tun was Sie vorher gesagt haben, daß im Rahmen der Glaubhaftmachung etwa schon die Frage beantwortet gehört, aber es gehören objektive Anhaltspunkte dafür gegeben.

Vors.:

Ich empfehle Ihnen, die Ausdeutung dieses Begriffes der Glaubhaftmachung mal anhand der Literatur nachzustudieren, dann werden Sie sehen, daß Sie einen falschen Rechtsbegriff davon haben. Wir werden jetzt darüber beraten.

RA Schn[abel]:

Herr Vorsitzender, für diese Belehrung danke ich bestens.

Pause von 11.13 Uhr bis 11.32 Uhr.

Vors.:

Das Gericht hat folgenden Beschluß gefasst:

Der Zeuge kann die Auskunft auf die von Rechtsanwalt Schily gestellte Frage verweigern.

Gründe: Aus dem dem Senat bekannten Gesamtzusammenhang und dem bisherigen Beweisergebnis ist glaubhaft, daß die wahrheitsgemäße Beantwortung dem Zeugen die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuziehen könnte. Ob der Zeuge, der sich auf § 55 StPO beruft, die Gründe dafür glaubhaft zu machen hat, ist vom Gericht nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden und hängt nicht von Anträgen sonstiger Verfahrensbeteiligter ab. Das Gericht kann von einer Glaubhaftmachung absehen, wenn sich dies aufgrund der durch das Verfahren bekannt gewordenen Umstände erübrigt.

[10448] So liegt es hier. Wenn im § 55 StPO vom Verlangen die Rede ist, so ist das Verlangen des Gerichts, nicht das sonstiger Prozessbeteiligter gemeint.

Bitte weitere Fragen zu stellen.

RA Schi[ly]:

Herr Müller ich würde gerne nochmal auf die Frage, die erste die ich Ihnen gestellt habe, zurückkommen. Vielleicht haben wir uns da mißverstanden. Das will ich also nochmal klarstellen. Also gestern Nachmittag endete ja die Sitzung und heute morgen um 9.00 Uhr begann die neue Sitzung. Diesen Zeitraum meine ich, einschließlich auch des heutigen Tages etwa vor Beginn der Sitzung. Da stelle ich Ihnen nochmal die Frage: mit wem haben Sie in diesem Zwischenzeitraum gesprochen über den Gegenstand hier Ihrer Vernehmung oder haben Sie überhaupt gesprochen? Wenn ja, was?

Zeuge Mü[ller]:

Bis heute morgen?

RA Schi[ly]:

Bis 9.00 Uhr, wo dann Ihre Vernehmung wieder neu begann.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich habe natürlich mit meinem Anwalt auch darüber gesprochen, heute Morgen zum Beispiel.

RA Schi[ly]:

Aha ja, was haben Sie mit Ihrem Anwalt da gesprochen?

Unruhe im Sitzungssaal

RA Schi[ly]:

Ich würde doch ... Sie sind doch sonst mit der Frage der Unruhe im Publikum, Herr Vorsitzender, daß die Anregung vielleicht eben ...

Vors.:

... ich bitte nochmals das Publikum, Sie haben das Recht zuzuhören, Beifalls-, Mißfallens-, sonstige Freuden- oder Trauerkundgebungen sind Ihnen nicht zu gestatten. Ich bitte Sie also, sich daran zu halten. Herr Rechtsanwalt, ich darf nochmals auf das zurückkommen, was ich schon vorhin gesagt habe. Ich glaube auch von Anwaltsseite besteht Grund, das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt zu schützen und sich nicht immer bloß dann darauf zu berufen, wenn es nun im eigenen Interesse liegt. Ich weiß nicht, ob diese Frage von Ihnen im Ernst aufrechterhalten wird.

RA Schi[ly]:

Ja, die wird im Ernst aufrechterhalten, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Über die Zulässigkeit solcher Fragen müßen wir uns dann auch einmal grundsätzliche Gedanken machen. Will sich die Bundesanwaltschaft ... Also Voraussetzung ist natürlich, ich muß dazu bemerken, Herr Müller, wenn Sie von sich aus bereit sind, Fragen zu beantworten, bedarf es keiner Entscheidung des Gerichts. Ich habe bisher Ihrer Reaktion entnommen, daß Sie an sich das nicht wollten, aber Sie müßten sich dann in diesem Zusammenhang auch wieder darauf berufen, [10449] sei es, daß Sie den § 55[ StPO] beanspruchen oder sonstige Gründe sehen, die Antwort nicht zu geben. Wenn Sie die Antwort geben wollen, das steht Ihnen frei.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich bin eigentlich nicht bereit, darüber zu sprechen.

RA Schi[ly]:

Was heißt eigentlich?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich bin nicht bereit, darüber zu sprechen.

Vors.:

Berufen Sie sich in diesem Zusammenhang auch auf den § 55[ StPO]?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

Vors.:

Will hier jemand Stellung nehmen noch dazu?

RA Schi[ly]:

Was soll das eigentlich mit § 55[ StPO] zu tun haben?

Vors.:

Nun, darüber wollen wir entscheiden, aber ich meine, ... ist das die Beanstandung?

RA Schi[ly]:

Ja, das ist die Beanstandung.

Vors.:

Ja, gut. Sonst irgendwelche Wortmeldungen? Ich sehe nicht.

Das Gericht möchte diese Frage auch ganz kurz überlegen, wir ziehen uns zur Beratung zurück.

Pause von 11.37 Uhr bis 11.45 Uhr.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort.

Der Senat hat beschlossen:

Die Auskunft auf die von Rechtsanwalt Schily gestellte Frage kann verweigert werden.

Gründe: Es ist für jeden erkennbar, daß die Gespräche zwischen dem Zeugen und seinem Rechtsanwalt inhaltlich Dinge berührt haben können, deren Preisgabe die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung für den Zeugen begründen könnte. Der Zeuge nimmt seinen Anwalt ersichtlich deshalb in Anspruch, um sich durch rechtskundigen Rat vor der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zu bewahren. Eine sachgerechte Beratung setzt voraus, daß der Zeuge sich gegenüber seinem Anwalt offenbart. Es liegt hier auf der Hand, daß dabei auch strafrechtlich belastende Umstände zur Sprache gekommen sein können.

Bitte weitere Fragen.

RA Schi[ly]:

Herr Müller, hat Ihnen bei dem Gespräch heute morgen mit Ihrem Herrn Verteidiger, dieser Mitteilung darüber gemacht, ob er mit anderen Prozeßbeteiligten in der Zwischenzeit gesprochen habe?

Zeuge Mü[ller]:

Ich halte die Frage für unzulässig.

RA Schi[ly]:

Wie bitte? Sie halten die Frage für unzulässig, haben Sie gerade erklärt, ja?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, die hängt ja mit derselben Sache zusammen wie gerade vorher.

[10450] RA Schi[ly]:

Ist das jetzt ...

Vors.:

Also das heißt ...

RA Schi[ly]:

... Zeugen über die Zulässigkeit von Fragen zu entscheiden?

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, wenn sich ein Zeuge im Ausdruck vergreift, bedarf es keiner solchen rein rhetorischen Frage an das Gericht. Daß der Zeuge darüber nicht zu entscheiden hat, weiß er letztlich selbst auch. Soll man verstehen, daß Sie sich auch in diesem Zusammenhang auf den § 55[ StPO] berufen wollen?

Zeuge Mü[ller]:

Das gehört in denselben Zusammenhang wie vorher, daß ich in Bezug auf § 55[ StPO] jede Aussage im Bezug auf Gespräche mit meinem Anwalt verweigere.

RA Schi[ly]:

Ich wüßte nicht, inwiefern die Tatsache, daß der Herr Verteidiger des Zeugen möglicherweise über Gespräche dieser Art berichtet hat, inwieweit das mit dem § 55[ StPO] zu tun haben könnte.

Vors.:

Will sich jemand sonst zu dem hier aufgeworfenen Problem äußern?

Ich sehe nicht. Das Gericht berät erneut.

Pause von 11.48 Uhr bis 11.55 Uhr.

Vors.:

Die von Ihnen gestellte Frage, Herr Rechtsanwalt Schily, wirft ein ziemlich komplexes Problem auf, ob nämlich auf diese Weise nicht das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant ausgehöhlt werden könnte durch derartige Fragen. Wenn Sie auf dieser Frage beharren, dann müßte sich der Senat für die Entscheidung dieser Frage eine längere Zeit vorbehalten, das heißt, wir könnten dann die Sitzung jetzt nicht mehr fortsetzen, wir könnten die Entscheidung darüber erst im Laufe des Nachmittags verkünden.

RA Schi[ly]:

Ich bestehe auf der Frage, aber ich bin gerne bereit, die Frage zunächst zurückzustellen und würde[aa] dann weiterfragen.

Vors.:

Bitteschön.

RA Schi[ly]:

Sie können dann vielleicht die Pause zwischen zwei Verhandlungstagen dazu verwenden, daß der Senat sich schlüssig wird. -

Herr Müller, Sie haben ja nun an 2 Verhandlungstagen eindeutig nach Ihrer heutigen Eingeständnis eine klare Falschaussage gemacht. Auch nach eindringlicher Belehrung durch den Senat sind Sie bei diesen Falschbehauptungen geblieben. Warum haben Sie eigentlich nicht vornerein von dem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht?

Zeuge Mü[ller]:

Ich habe die Frage bereits heute morgen beantwortet, außerdem haben gerade diese Belehrungen des Herrn Vorsitzenden haben mich dazu gebracht, daß ich heute Morgen meine Aussage im Bezug auf [10451] „Harry“ und Hoff richtiggestellt habe.

RA Schi[ly]:

War eigentlich Ihrem Herrn Verteidiger bekannt, daß die ursprüngliche Aussage falsch war?

Zeuge Mü[ller]:

Ich bitte zu prüfen, ob die Frage zulässig ist.

RA Schi[ly]:

Ja was heißt das, ich bitte zu prüfen, das ist ... wollen Sie sich auf § 55[ StPO] berufen?

Vors.:

Sie berufen sich auf § 55[ StPO] in diesem Zusamenhange?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Das halte ich nicht für angemessen, ich weiß nicht wie der Herr Vorsitzende sich dazu ...

Vors.:

Ja sicher, ich meine, Sie können [bb] Ihre Argumentation dagegen uns ...

RA Schi[ly]:

Nein, das[cc] könnte ja sein, daß Sie ohne mit dem Senat in eine Beratung einzutreten uns[dd] schon von sich aus sagen, daß hier der § 55[ StPO] nicht anzuwenden ist, das könnte ja auch mal sein.

Vors.:

Nein, das ist ... wie ich das schon angedeutet habe, sowohl unter der Anwendung des § 55[ StPO] als auch aus dem allgemeinen Gesichtspunkt des Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant und Anwalt ein so schwieriger Grenzbereich, daß ich also hier keine adhoc-Entscheidung vom Tisch verkünde. Wenn Sie auf dieser Frage beharren, dann setzen wir ... das heißt, die Frage ist gestellt, die Entscheidung darüber - Herr Müller hat sich auf § 55[ StPO] berufen - wird um 14.30 Uhr verkündet werden. Bis dahin Unterbrechung der Sitzung.

RA Schi[ly]:

Sie wollen jetzt unterbrechen?

Vors.:

Ja, wir wollen ja darüber beraten und dann die Mittagspause noch haben. 14.30 Uhr setzen wir die Sitzung fort.

Pause von 11.59 Uhr bis 15.05 Uhr.

[10452] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 15.05 Uhr.

Rechtsanwalt Schlaegel ist nicht mehr anwesend.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort. Ich darf zunächst darauf hinweisen, daß Herr Professor Azzola sich heute früh offenbar entschuldigen wollte. Er hat es wohl einem Kollegen mitgeteilt, der es dann nicht weitergegeben hat. Er ist also für heute entschuldigt. Herr Rechtsanwalt Schlaegel auch für heute nachmittag.

Der Senat hat folgenden Beschluß gefaßt:

Fragen nach dem Inhalt von Gesprächen, die der Zeuge Müller mit seinem Rechtsbeistand, Rechtsanwalt Huth, zum Zwecke der rechtlichen Beratung geführt hat, brauchen nicht beantwortet zu werden.

Gründe: § 53 Abs. 1 Nr. 3 der Strafprozeßordnung[42] berechtigte Rechtsanwalt Huth, derartige Fragen nicht zu beanworten. § 53[ StPO] schützt aber nicht in erster Linie den Rechtsanwalt, vielmehr ist er eine Folge des in Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes statuierten Persönlichkeitsrechts des Mandanten (vergleiche Bundesverfassungsgericht NJW 1972 Seite 2 214 und Seite 1 123 folgende[43]). Das Bundesverfassungsgericht führt dort unter anderem aus: „Das Grundgesetz gewährt, wie das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung anerkannt hat, dem einzelnen Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der jeder Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist.“ (Es folgt Rechtsprechung.) „Grundlage des verfassungsrechtlichen Gebots, die Intimsphäre des Einzelnen zu achten, ist das durch Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz verbürgte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite dieses Grundrechts ist zu berücksichtigen, daß nach der Grundnorm des Artikels 1 Abs. 1 Grundgesetz die Würde des Menschen unantastbar ist und gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht. Jedoch steht nicht der gesamte Bereich des privaten Lebens unter dem absoluten Schutz des Grundrechts aus Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz. Als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger muß vielmehr jedermann staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden, soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen.“ (Es folgen Recht- [10453] sprechungszitate.) „Freilich setzt das Grundrecht des Bürgers auf Achtung seiner Privatsphäre der öffentlichen Gewalt Schranken, auch dort, wo er in Kommunikation zu seinen Mitmenschen tritt. Vielfach ist es ein Teil seiner unabweisbaren Lebensbedürfnisse, Vertreter bestimmter Heil- und Beratungsberufe in Anspruch zu nehmen. Wirksame Hilfe kann er von ihnen zumeist nur erwarten, wenn er sich rückhaltlos offenbart und sie zum Mitwisser von Angelegenheiten seines privaten Lebensbereiches macht. Andererseits hat er ein schutzwürdiges Interesse daran, daß solche Tatsachen nicht zur Kenntnis Dritter gelangen. Die grundsätzliche Wahrung dieses Geheimhaltungsinteresses ist notwendige Vorbedingung des Vertrauens, das er um seiner selbst willen aufbringen muß und Grundlage für die erfolgreiche Berufstätigkeit jener, von denen er Beistand benötigt. Andernfalls bliebe ihm oft nur die Wahl, entweder eine Offenbarung seiner privaten Sphäre in Kauf zu nehmen, oder aber auf eine sachgemäße Behandlung oder Beratung von vorn herein zu verzichten. Hier jedoch kann der Schutz des privaten Lebensbereichs in Konflikt geraten mit dem Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Strafrechtspflege für die es zur Überführung von Straftätern ebenso wie zur Entlastung Unschuldiger auf eine möglichst umfassende Wahrheitsermittlung ankommt.

Der Gesetzgeber hat diese Interessen gegeneinander abgewogen. Den Angehörigen bestimmter Heil- und Beratungsberufe, deren Berufsbild durch die Begründung höchstpersönlicher, grundsätzlich keine Offenbarung duldender Vertrauensverhältnisse gekennzeichnet wird, hat er nicht nur eine Schweigepflicht auferlegt, sondern darüber hinaus ein strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt, das eine Ausnahme vom Grundsatz der uneingeschränkten Zeugnispflicht jedes Staatsbürgers darstellt.

Soweit die Befugnis zur Aussageverweigerung auf Tatsachen aus dem privaten Lebensbereich des Bürgers bezieht, ist dem Schutz der Privatsphäre des Einzelnen gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an vollständiger Sachaufklärung im Strafverfahren der Vorrang zuerkannt worden. Diese Abwägung trägt der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts aus Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes hinreichend Rechnung.“

Dieses von der Verfassung normierte Schutzwerk würde ausgehöhlt, wenn der Rechtsanwalt die Beantwortung derartiger Fragen verweigern [10454] dürfte, der Mandant, zu dessen Schutz das Zeugnisverweigerungsrecht des Rechtsanwalts geschaffen ist, sie aber beantworten müsste.[44]

Dabei gebietet eine sinnentsprechende Anwendung dieser Grundsätze den gesamten Inhalt des Beratungsgesprächs, in dem vom Gesetzgeber in § 53 StPO gesetzten Rahmen zu schützen. Fragen, die trotz der Weigerung des Zeugen, sie zu beantworten, aufrechterhalten werden, müßten als ungeeignet im Sinne des § 241 Abs. 2 StPO zurückgewiesen werden.

Sind weitere Fragen an den Herrn Zeugen?

RA Schi[ly]:

Herr Müller, hat der Herr Hoff einmal Waffen für die Rote-Armee-Fraktion nach Südfrankreich verschoben und zwar Waffen, die die Rote-Armee-Fraktion nicht mehr haben wollte?

Besprechung des Zeugen Müller mit seinem Rechtsanwalt, Herrn Huth.

RA Schi[ly]:

Es scheint so, Herr Vorsitzender, daß der Zeuge eine längere Pause benötigt zur Beratung mit seinem Verteidiger, dann schlage ich vor, daß wir auch die Pause eintreten lassen als wenn wir jetzt hier herumsitzen.

Vors.:

Ja, wir werden’s hören, ob es einer längeren Pause bedarf.

Zeuge Mü[ller]:

Es wäre doch günstig, eine kurze Pause einzulegen.

Vors.:

Dann wollen wir eine kurze Pause einlegen, ich wäre allerdings dankbar, es ist so, ich muß jetzt bei dieser Art der Fragen, die offenbar immer wieder den Herrn Zeugen dazu führen, sich an den § 55[ StPO] zu erinnern, darauf hinweisen, daß das zu grundsätzlichen Überlegungen, wie das mit der Befragung weitergehen soll und kann, führen muß; denn wir können ja nicht grundsätzlich nach jeder Frage hier eine Pause einlegen, sonst müssen wir mit dem Herrn Zeugen uns wahrscheinlich noch über Tage und Wochen hinweg unterhalten.

RA Schi[ly]:

Ja, das liegt wohl etwas in der Natur der Sache.

Vors.:

Ich wollte das nur angedeutet haben ...

RA Schi[ly]:

Ja, ich meine, was heißt da eine generelle Regelung, wollen Sie uns das Fragerecht dann nehmen oder wie?

Vors.:

Keine Regelung, ich regle nichts. Ich habe nur generell darauf hingewiesen, daß man sich dazu Gedanken machen muß. Wir machen eine Pause von 5 Minuten, reicht die?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

Vors.:

Danke.

Pause von 15.15 Uhr bis 15.22 Uhr.

[10455] Vors.:

Ist die Frage noch bekannt, Herr Müller?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

Vors.:

Wollen Sie sie beantworten?

Zeuge Mü[ller]:

Ja. Ich habe sowohl entweder von Raspe oder von Hoff selbst gehört, daß dies der Fall gewesen sein soll.

RA Schi[ly]:

Entweder von Raspe oder von Herrn Hoff selbst?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Haben Sie diese Tatsache bereits früher einmal irgendjemand bekanntgegeben? Einem Ermittlungsbeamten?

Zeuge Mü[ller]:

Wie soll ich das verstehen?

RA Schi[ly]:

Ich dachte, die Frage ist eigentlich doch ziemlich eindeutig, Herr Müller. Ob Sie diese Tatsache, nämlich diesen Waffentransport oder Waffenverschieben, was sie da von Herrn Raspe oder von Herrn Hoff in Erfahrung gebracht haben, ob Sie das bereits zu einem früheren Zeitpunkt einmal einem Ermittlungsbeamten mitgeteilt haben?

Zeuge Mü[ller]:

Ich kann mich daran nicht mehr erinnern.

RA Schi[ly]:

Sie können sich nicht erinnern ob oder ... Können Sie sich überhaupt noch an Gespräche erinnern mit Ermittlungsbeamten?

Zeuge Mü[ller]:

Wie meinen Sie das?

RA Schi[ly]:

Ja, ob Sie da überhaupt noch in groben Zügen wissen, was da gesprochen worden ist, oder bezieht sich das jetzt nur auf diese konkrete Frage, daß Sie nicht mehr wissen, was gesprochen worden ist?

Zeuge Mü[ller]:

Ja also in Bezug auf meine Aussage weiß ich, was da gesprochen worden ist.

RA Schi[ly]:

Haben Sie vielleicht früher einmal diese Mitteilung gemacht aber gleichzeitig den Wunsch geäußert, daß das zunächst vertraulich behandelt wird, daß Sie derjenige sind, der eine solche Behauptung den Ermittlungsbehörden mitteilt?

Zeuge Mü[ller]:

Jetzt speziell die Sache mit Hoff?

RA Schi[ly]:

Ja, diese Sache da mit diesen Waffen nach Südfrankreich.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich habe ja bereits gesagt, daß ich mich nicht mehr daran erinnern kann.

RA Schi[ly]:

Sagen Sie, hatte Herr Hoff ... wollte der Herr Hoff einmal Waffen von einem Algerier besorgen?

Zeuge Mü[ller]:

Dazu verweigere ich die Aussage.

RA Schi[ly]:

Ich sehe keinen Grund, inwieweit das Verhalten von Herrn Hoff oder die Absichten von Herrn Hoff, hier den Herrn Müller tangieren sollten, in dem Zusammenhang jedenfalls ...

[10456] Vors.:

Herr Rechtsanwalt, wenn jemand Kenntnisse davon hat, daß jemand Waffen beschaffen will und jetzt, - die Kenntnisse sollten dahin gehen, daß die für bestimmte Zwecke bestimmt sein könnten ...

RA Schi[ly]:

Das hat doch kein Mensch gefragt hier.

Vors.:

Ja, das kommt ja darauf an, ob die für die RAF etwa beschafft sein sollten. Wenn der Herr Zeuge davon ausgehen müßte, dann könnte das durchaus im Rahmen des [§ ]129[ StGB] von Bedeutung sein. Der Zusammenhang wäre dann zu sehen. Nur weil Sie sagen, ich kann mir das nicht vorstellen.

RA Schi[ly]:

Ja, na, ich halte die Verweigerung nicht für ausreichend belegt und bitte um eine Entscheidung des Senats.

Vors.: (nach geheimer Beratung):

Der Senat hat beschlossen:

Die Auskunft auf diese Frage kann verweigert werden, da sich die wahrheitsgemäße Beantwortung dahin auswirken könnte, daß der Zeuge offenbaren müßte, daß er den Zweck bestimmter Waffenbeschaffungen, etwa für eine Gruppe, der er zugehört hatte, offenbaren müßte. Das wäre dann die Bekanntgabe eines strafbaren Inhalts.

RA Schi[ly]:

Haben Sie früher, Herr Müller, einmal von dem Aussageverweigerungsrecht nicht Gebrauch gemacht und Ermittlungsbeamten eine entsprechende Mitteilung gemacht, daß der Herr Hoff Waffen von einem Algerier besorgen wollte?

Zeuge Mü[ller]:

Muß ich das beantworten?

Vors.:

Ich kann es Ihnen nicht sagen, es kommt darauf an, ob Sie’s beantworten wollen oder ob Sie den Schutz des § 55[ StPO] auch in diesem Zusammenhang beanspruchen.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, den möchte ich in diesem Zusammenhang beanspruchen.

RA Schi[ly]:

Ich halte auch insoweit die Berufung des Herrn Müller auf die Vorschrift des § 55[ StPO] für unzulässig und bitte um einen Senatsbeschluß und ich würde doch vorschlagen, Herr Vorsitzender, daß Sie nicht eine Beratung in der Weise vornehmen des Herrn, er hat ja auch einen Anwalt hier, ich weiß nicht, also, vielleicht sollte man da die Aufgaben doch ein bißchen trennen, daß Sie ihm sagen, er kann, wenn er einfach die Vorschrift des § 55[ StPO] hier erwähnt, dann kann er die Aussage verweigern. Ich glaube, daß das nicht die korrekte Verfahrensweise ist.

Vors.:

Sie müssen das mißverstanden haben, Herr Rechtsanwalt, was ich getan habe. Der Zeuge hat mich gefragt, ob er das beantworten müsse, und [10457] ich habe gesagt, ...

RA Schi[ly]:

Damit ist es doch wohl Sache ...

Vors.:

... es komme darauf an, ob er es beantworten wolle oder ob er sich auch auf den § 55[ StPO] berufen wolle. Letzteres hat er getan.

RA Schi[ly]:

Kommt es darauf an, ob er will oder nicht, sondern das ist wohl die Frage ...

Vors.:

Das ist ja das Recht der Auskunftsverweigerung, es gibt ihm natürlich auch die Möglichkeit zu entscheiden, ob er will oder nicht.

RA Schi[ly]:

Aber Sie können doch nicht von vornerein sagen, daß hier überhaupt der § 55[ StPO] zur Debatte steht bei einem solchen Hinweis an den Zeugen.

Vors.:

Selbstverständlich kann ich das, muß ich das, wenn der Zeuge mich fragt, ob er hier beantworten muß.

Vors. (Nach geheimer Beratung):

Die Antwort auf diese Frage kann nach dem vom Senat gefassten Beschluß aus den gleichen Gründen wie zuvor verweigert werden.

Vors. (zu einem Pressevertreter):

Auch Kommentierungen durch Gesten und dergleichen sind an sich im Gerichtssaal nicht so üblich, wie wir das jetzt seit einiger Zeit hier erleben bei einem der Herren, die hier anwesend sind.

RA Schi[ly]:

Herr Hoff ... Herr Müller, hat Herr Hoff mal seine Werkstatt mit Säure gereinigt?

Zeuge Mü[ller]:

Ich weiß es nicht, jedenfalls nicht in meiner Anwesenheit.

RA Schi[ly]:

Haben Sie früher mal eine Behauptung in dieser Richtung aufgestellt?

Zeuge Mü[ller]:

Also ... ich kann mich da nicht daran erinnern.

RA Schi[ly]:

Sie können sich nicht daran erinnern. Hat der Herr Hoff einen Auftrag bekommen, aus Rohrrohlingen Maschinenpistolen anzufertigen?

Zeuge Mü[ller]:

Das ist möglich, ich kann das nicht ausschließen, aber sicher weiß ich es auch nicht.

RA Schi[ly]:

Haben Sie früher einmal eine Behauptung in dieser Richtung aufgestellt?

Zeuge Mü[ller]:

Ich?

RA Schi[ly]:

Ja.

Zeuge Mü[ller]:

Da kann ich mich nicht daran erinnern.

RA Schi[ly]:

Kannte der Herr Hoff den Verwendungszweck der von ihm [10458] angefertigten Gegenstände, insbesondere der Bombenhüllen?

Zeuge Mü[ller]:

Dazu kann ich nichts sagen.

RA Schi[ly]:

Haben Sie früher einmal was dazu gesagt?

Zeuge Mü[ller]:

Da kann ich mich nicht daran erinnern.

RA Schi[ly]:

Haben Sie überhaupt früher mal Mitteilungen gemacht zu Herrn Hoff, ganz allgemeiner Art, mit dem Bemerken, daß Sie diese Angaben als vertraulich behandelt, ... zunächst als vertraulich behandelt wissen wollen.

Zeuge Mü[ller]:

Dazu verweigere ich die Aussage.

Ende von Band 604.

[10459] RA Schi[ly]:

Wollen Sie das akzeptieren, Herr Vorsitzender?

Vors.:

Wollen Sie es beanstanden, Herr Verteidiger?

RA Schi[ly]:

Ich beanstande es, ja.

Vors.:

Will sich sonst jemand zu dieser Frage äußern? Die Bundesanwaltschaft Stellung nehmen?

(Nach geheimer Beratung)

Das Gericht wird diese Frage kurz sich überlegen.

Pause von 15.32 Uhr bis 15.35 Uhr

Vors.:

Der Senat hat beschlossen:

Die Antwort auf die gestellte Frage kann nicht verweigert werden.

Es handelt sich um eine Anfrage, völlig neutral, ob eine allgemeine Aussage des Zeugen zu dem hier gehörten Zeugen Hoff gemacht worden ist, unter dem Siegel der Vertraulichkeit. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit eine wahrheitsgemäße Beantwortung die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung nach sich ziehen würde.

Zeuge Mül[ler]:

Ich habe informelle Angaben gegenüber Polizeibeamten gemacht.

RA Schi[ly]:

Zu Herrn Hoff, betreffend Herrn Hoff?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Waren das sehr detaillierte Angaben, Herr Müller?

Zeuge Mül[ler]:

Was verstehen Sie darunter?

RA Schi[ly]:

Naja, haben Sie irgendwelche allgemeinen Behauptungen oder haben Sie konkrete Vorfälle geschildert?

Zeuge Mül[ler]:

Naja, um Sachen, die eben hier von Hoff betrieben sind und vom Gericht also ..., die mir schon vorgehalten sind z.B.

RA Schi[ly]:

Sind diese Angaben schriftlich fixiert worden, Herr Müller?

Zeuge Mül[ler]:

Das weiß ich nicht.

RA Schi[ly]:

Na, überlegen Sie mal.

Zeuge Mül[ler]:

Naja, zum Teil.

RA Schi[ly]:

Zum Teil?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Haben Sie da auch Unterschriften geleistet?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Waren das Vernehmungen oder waren das Gespräche?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, das waren informelle ...

RA Schi[ly]:

informelle Gespräche?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, wenn man es so nennen will.

[10460] RA Schi[ly]:

Die Sie aber dann, das Ergebnis, unterschrieben haben was da schriftlich festgelegt wurde, ja?

Zeuge Mül[ler]:

Nicht alle; das war auch wieder teils, teils.

RA Schi[ly]:

Teils, teils. Nun habe ich hier eine Akte vor mir, da wird dem Herrn Hoff folgendes vorgehalten: „Nach Angaben der vertraulichen Quelle sollen Sie über den tatsächlichen Verwendungszweck - also „Sie“ der Herr Hoff - der von Ihnen angefertigten Gegenstände, d.h. auch der Bombenkörper, informiert gewesen sein.“

Vors.:

Bitte, die Zitatstelle, Ord. 126 ist es wohl.

RA Schi[ly]:

217.

Was sagen Sie dazu?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, dazu verweigere ich die Aussage.

RA Schi[ly]:

Ich halte die Verweigerung für unzulässig. Ich bitte um einen Senatsbeschluß.

Vors.:

Darf ich, weil ich gerade mit Ihnen befasst war wegen der Zitatstelle, nochmals um die Formulierung der Frage ..., die Bekanntgabe der Frage bitten?

RA Schi[ly]:

Ja, ob der, nach Vorhalt dieses Vorhalts, der Herr Zeuge angeben kann, ob er diese Mitteilung seinerzeit in diesem informellen Gespräch gemacht hat.

Vors.:

Ob er der Informant gewesen ist auf den hier Bezug genommen wird?

RA Schi[ly]:

Ja.

Vors.:

Will sich sonst noch jemand dazu äußern?

RA Schi[ly]:

Darf ich die [ee] Beratung einen Moment noch unterbrechen, und vielleicht doch nocheinmal zwei Gesichtspunkte da in die Diskussion mit dazu beitragen. Zunächst einmal muß man doch auch die Frage stellen, ob jetzt, wenn der Zeuge diese Frage wahrheitsgemäß beantwortet, ob da überhaupt eher etwas zu einer Gefahr beitragen kann, sich einer strafgerichtlichen Verfolgung auszusetzen. Denn, wenn er die Angaben seinerzeit gemacht hat, dann ist damit die Gefahr ..., ja, wenn überhaupt eine solche Gefahr da entstehen kann, weil es sich, ja um die Person des Herrn Hoff und dessen subjektive Tatseite handelt. Das kann ja gar nicht mehr ursächlich sein, wenn er heute diese Angabe bestätigt. Insofern glaube ich, daß der § 55[ StPO] schon aus diesem Grunde nicht in Betracht zu ziehen ist.

Vors.: (nach geheimer Beratung)

Der Senat hat beschlossen,

die Antwort auf diese Frage kann verweigert werden,

denn die hier erfragten möglichen Kenntnisse setzen den Zeugen der [10461] Gefahr aus, daß er damit offenbaren muß, daß er interne Einblicke in den Kreis, der hier in Frage steht, gehabt hat und damit möglicherweise Mitglied gewesen ist. Gewiß hat der Herr Zeuge in diese Richtung Aussagen gemacht, aber jede weitere Bekräftigung ist geeignet diese Gefahr zu vergrößern. Und es ist nicht Sache des Gerichts - und es kann es auch nicht steuern - zu welchem Zeitpunkt ein Zeuge von dem ihn zustehenden Rechten Gebrauch macht.

RA Schi[ly]:

Herr Müller, sind Sie nach Ihrer Inhaftierung von Kriminalbeamten zu Gesprächen bzw. zu Befragungen aufgesucht worden?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Wer hat Sie da aufgesucht?

Zeuge Mül[ler]:

Soll ich die alle aufzählen?

RA Schi[ly]:

Ja, die Namen Bitte.

Zeuge Mül[ler]:

Von 72 angefangen?

RA Schi[ly]:

Jawohl.

Zeuge Mül[ler]:

Das war ein Herr Moll, ein Herr Geisler, ein Herr Schneider; also es ist nicht nur in dem Sinne oder ..., Momentmal, Ihre Frage zielt nur darauf, wer mich aufgesucht hat in einer U-Haftanstalt.

RA Schi[ly]:

Zunächst einmal wer Sie aufgesucht hat, das können wir nachher dann ein bißchen spezifizieren, aber zunächst mal wer Sie da aufgesucht hat, an Kriminalbeamten?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, dann mal mit Sicherheit Herr Wolf, dann ein Herr Burkhardt, dann Beamte von Hannover, die ich namentlich nicht kenne, dann Beamte von K 4.

RA Schi[ly]:

Von was bitte?

Zeuge Mül[ler]:

Von K4.

RA Schi[ly]:

Können Sie das ein bißchen erläutern was K 4 ist?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, das ist die Staatsschutzabteilung bei der Hamburger Kripo.

RA Schi[ly]:

Ja, dankeschön.

Zeuge Mül[ler]:

Darunter war unter anderem ein Herr Jonasen.

RA Schi[ly]:

Jonasen?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, phonetisch natürlich.

RA Schi[ly]:

Naja, nun gut, ja, sicher, Jonasen.

Zeuge Mül[ler]:

Und ein Herr Stellmacher.

RA Schi[ly]:

Stellmacher. Noch ein paar andere Personen?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, es waren dann noch ein paar andere, aber ich habe die Namen da nicht im Kopf.

RA Schi[ly]:

Der Herr Wolf, von welcher Dienststelle kam der?

Zeuge Mül[ler]:

Der war, soweit mir bekannt ist, von BKA.

RA Sch[ily]:

Vom BKA, ja. Und der Herr Geisler?

[10462] Zeuge Mül[ler]:

Dito.

RA Schi[ly]:

Und der Herr Schneider?

Zeuge Mül[ler]:

Auch.

RA Schi[ly]:

Und der Herr Burkardt?

Zeuge Mül[ler]:

Das weiß ich nicht mehr ganz genau; der kam irgendwo aus Süddeutschland.

RA Schi[ly]:

Wie oft waren denn nun die Herren, und in welcher Besetzung sozusagen, bei Ihnen?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, ich meine, das geht jetzt über den ganzen Raum 72. Der Herr Wolf z. B., das war ein Vorgang in der JVA Bonn und Herr Burkhardt, das waren also quasi, wenn man einordnen will, Kontaktversuche, die letztlich gescheitert sind, weil ich mich da nicht bereiterklärt hab, Aussagen zu machen.

RA Schi[ly]:

Also das waren Herr Wolf und Herr Burkhardt, dieses Paar, ja?

Zeuge Mül[ler]:

Nein, das war kein Paar; Herr Burkhardt kam auch allein, da war ich in Köln-Ossendorf.

RA Schi[ly]:

Die kamen also in wechselnder Besetzung, manchmal allein manchmal zu zweit; Herr Wolf - Herr Burkhardt, ja?

Zeuge Mül[ler]:

Nein, Herr Burkhardt war, soweit ich mich erinnere, nur ein einziges Mal da.

RA Schi[ly]:

Gut. Und da ..., was haben die ..., die waren also wie oft bei Ihnen, können Sie das etwa sagen?

Zeuge Mül[ler]:

Wer?

RA Schi[ly]:

Na, die Herren vom BKA.

Zeuge Mül[ler]:

Alle zusammen oder wie?

RA Schi[ly]:

Ja. Kamen die täglich, kamen die alle halbe Jahre oder kamen die wöchentlich, können Sie das ein bißchen ...?

Zeuge Mül[ler]:

Ach so. Ja, das war erstmal einige Zeit, einige Wochen nach meiner Verhaftung, da habe ich sie mal öfters gesehen, dann habe ich sie ...

RA Schi[ly]:

Was heißt öfters, Herr Müller, können Sie das ein bißchen präzisieren?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, einmal war er mal ..., Herr Wolf war ja mal z. B bei mir; Sie haben mich ja gefragt, wer bei mir war. Ich erinnere mich an einen Besuch von Herrn Wolf.

RA Schi[ly]:

Nur an einen?

Zeuge Mül[ler]:

Ich erinnere mich nur an einen, genau.

RA Schi[ly]:

Wollen Sie damit sagen, daß Sie nicht auschließen wollen, daß der Herr Wolf noch öfter bei Ihnen war, aber in Erinnerung [10463] ist Ihnen nun der eine Besuch?

Zeuge Mül[ler]:

Genau.

RA Schi[ly]:

Bezieht sich das jetzt auf den gesamten Zeitraum von 72 bis heute oder ist es ..., bezieht das auf einen kürzeren Zeitraum?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, den Herr Wolf habe ich eigentlich ein paar ..., es bezieht sich ..., naja, was würde ich sagen, maximal 2 Monate nach meiner Verhaftung, die Herren Wolf, und auch die[ff] ich vorhin angesprochen habe, Geisler und Schneider.

RA Schi[ly]:

Ja, und wie verliefen denn nun diese Gespräche, wie lange haben die gedauert etwa? Wenn die kamen, dauerte das eine halbe Stunde oder nur ein paar Minuten oder wie ging das vonstatten?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, große Einzelheiten habe ich da auch nicht mehr in der Erinnerung. Im Prinzip ging es darum, ob ich Aussagen machen würde. Ich kann jetzt nicht mehr sagen, ob der jetzt bei mir eine halbe Stunde war oder ob das 1 ½ Stunden waren; also meiner jetzigen Schätzung nach, waren das sicher nie mehr als eine Stunde oder so. Es muß ja auch langweilig für die gewesen sein.

RA Schi[ly]:

Wie haben sich da[gg] die Beamten verhalten, Ihnen gegenüber? Nun sehr freundlich oder unfreundlich oder beides oder ...?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, das war verschieden.

RA Schi[ly]:

War verschieden. Können Sie mal schildern?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, im Allgemeinen waren sie korrekt; aber in dem Moment, wenn ich eben so auf RAF-Art lospöpelte, da gab das mancheiner zurück.

RA Schi[ly]:

Können Sie das mal schildern?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, also jetzt ein konkretes Beispiel, was mir also im Moment einfällt, ist ..., die waren eben höflich und haben auch mal eine Zigarette angeboten; und wenn ich eben unhöflich war und zum Teil auch beleidigend, da haben sie natürlich das nicht gemacht. Da haben sie auch keinen Grund gesehen, mir gegenüber höflich zu sein.

RA Schi[ly]:

Ja, wenn ich das richtig akustisch wahrgenommen habe, dann sagten Sie zurückgebrüllt, wie ist da zurückgebrüllt worden?

Zeuge Mül[ler]:

Naja, mir ist mal eine Sache passiert bei einer Gegenüberstellung, da habe ich eben mich also ziemlich rabaukenhaft benommen; und da bin ich eben entsprechend behandelt worden. Man hat dann die Handschellen zusammengezogen, was weiß ich.

RA Schi[ly]:

Ja, aber das ist ja kein „Zurückbrüllen“, nicht?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, es ist so ein bißchen eine stärkere Form.

RA Schi[ly]:

Nun, wie war das mit dem „Zurückbrüllen“, können Sie das irgendwie mal schildern was da gemacht wurde?

[10464] Zeuge Mül[ler]:

Naja, Sie sollten das nicht unbedingt auf die Goldwaage legen, das sollte ...

RA Schi[ly]:

Ich lege gar nichts ...

Zeuge Mül[ler]:

... sinngemäß das Verhältnis ausdrücken.

RA Schi[ly]:

Ja, ich möchte nur die Schilderung hören, Herr Müller, wie sich das abgespielt hat.

Zeuge Mül[ler]:

Ja, mir würde das auch viel leichter fallen, wenn Sie einen konkreten Anlaß nehmen würden und einen konkreten Namen sagen, wie war das an diesem und diesem Zeitpunkt. Sie fangen wieder pauschal an und da ...

RA Schi[ly]:

Ja, das muß ich, Herr Müller, weil ich ja nicht dabei war.

Also das müssen Sie schon konkretisieren, nicht.

Zeuge Mül[ler]:

Ja, auf[hh] was wollen Sie raus?

RA Schi[ly]:

Ja, Sie haben doch geschildert, zunächstmal gesagt: „Zurückgebrüllt“. Nun möchte ich wissen, inwieweit haben die ..., wie ist das vor sich gegangen, was wurde da zurückgebrüllt?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, wenn Sie auf dem „Zurückbrüllen“ bestehen, dann muß ich das zurücknehmen, daß ich das als einen sinngemäßen Ausdruck, als Symbolisierung für ein Verhältnis verwendet habe, in dem eben die Beamten sich entsprechend meinen Reaktionen verhalten haben.

Also gut, ich habe manchmal gebrüllt, da haben sie eben nicht zurückgebrüllt; aber sie haben[ii] das eben in anderer Weise ausgedrückt.

RA Schi[ly]:

Ja, Herr Zeuge, aber ich meine, Sie können ja wohl nicht hier den Inhalt Ihrer Aussage davon abhängig machen, ob ich auf eine bestimmte Fragestellung bestehe. Zunächsteinmal haben Sie ausgeführt, daß zurückgebrüllt worden sei, jetzt können Sie das[jj] nicht einfach wieder ..., ich meine, Sie gehen da ein bißchen freizügig mit Ihrer Aussage um.

Zeuge Mül[ler]:

Und Sie fragen ein bißchen pauschal.

RA Schi[ly]:

Ja, natürlich, das habe ich Ihnen ja schon erläutert, warum ich pauschal fragen muß. Ich möchte jetzt nur wissen, ist gebrüllt worden von den Beamten oder nicht?

Zeuge Mül[ler]:

Auf diese konkrete Frage muß ich antworten, daß mir nicht ..., kein Vorgang in Erinnerung ist, wo ein Beamter gebrüllt hat.

RA Schi[ly]:

Sie sagten ja der Zweck der Gespräche war, Sie vernehmen zu wollen.

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Und Sie haben also das abgelehnt?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, nicht immer.

[10465] RA Schi[ly]:

Nicht immer. Wann haben Sie denn das Verhalten geändert?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, das war anlässlich der Lorenz-Entführung.[45]

RA Schi[ly]:

Wann war das?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, Anfang 75.

RA Schi[ly]:

Anfang 75, da haben Sie das erste Mal dann auch Angaben gemacht?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Vorher nicht?

Zeuge Mül[ler]:

Vorher nicht.

RA Schi[ly]:

Nun wollen wir den Zeitpunkt mal so als vielleicht so[kk] einen Anhaltspunkt benutzen, und nun würde mich interessieren, sind Ihnen denn vor[ll], bevor Sie ... dieser Umschwung da nun stattfindet, bestimmte Vorhalte gemacht worden von den Vernehmungsbeamten?

Zeuge Mül[ler]:

Wie darf ich das verstehen?

RA Schi[ly]:

Na, z. B. daß man Ihnen gesagt hat, also Ihnen droht eine lebenslängliche Freiheitsstrafe und ähnliches?

Zeuge Mül[ler]:

Ich kann mich daran nicht erinnern.

RA Schi[ly]:

Na, Herr Müller, das ist doch, glaube ich, ein ziemlich wichtiger Punkt, wenn Ihnen jemand lebenslang so vor Augen führt.

Zeuge Mül[ler]:

Das ist richtig, und deswegen lässt daraus schließen, daß das nicht der Fall war, sonst wüßte ich das wahrscheinlich noch.

RA Schi[ly]:

Ja, aber Sie sagen, Sie wissen es aber nicht, ob das der Fall war.

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Sind Ihnen denn überhaupt bestimmte Strafdrohungen mal so in Aussicht gestellt worden?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, in Form von Haftbefehlen oder von Anklagen.

RA Schi[ly]:

Nein, nein ich spreche von den Gesprächen; lassen Sie mal den Haftbefehl hier aus dem Spiel.

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Nein? Nichts dergleichen, daß man gesagt hat: „Sie müssen damit rechnen.“ Ist einmal Ihnen in diesen Gesprächen, und wenn ja, in welcher Form, gesagt worden „Also Sie müssen damit rechnen, daß vielleicht lebenslänglich oder eine sehr hohe Freiheitsstrafe auf Sie zukommt, aber Ihre Situation kann sich entscheidend verbessern, wenn Sie uns gegenüber Angaben machen“.

Zeuge Mül[ler]:

Also, wenn Sie darauf hinauswollen, daß mir von Vernehmungsbeamten gesagt sein soll oder worden sein soll, daß man mir also quasi praktisch bei Vernehmungen mit „lebenslänglich“ gedroht hat und mir dann angeboten hat, wenn ich Aussagen mache, bräuchte ich [10466] nichts zu befürchten, so was gab es nicht und so was war nicht.

RA Schi[ly]:

Ja, nichts zu befürchten, aber Ihre Situation verbessern könnte.

Zeuge Mül[ler]:

Also wenn das, was Sie meinen, damit sinngemäß daselbe ist, da meine ich auch sinngemäß daselbe.

RA Schi[ly]:

Also da ist nie ein Angebot gemacht worden in der Richtung, daß man gesagt hat, naja, also wenn Sie hier Angaben machen, dann könnte sich Ihre Situation, hinsichtlich der Strafzumessung oder einer Bestrafung, irgendwie verbessern?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Von keinem Beamten?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Sind Ihnen andere Angebote gemacht worden? Hat man Ihnen mal gesagt, Sie können auch dann Ihre finanzielle Lage verbessern?

Zeuge Mül[ler]:

Auf diese Fragen habe ich gestern geantwortet, und zwar auf Fragen seitens des Gerichts, und ich denke das reicht auch.

Vors.:

Ich weiß, daß das eine Wiederholung ist, aber wir haben nur den Rahmen erfragt; wir haben nicht diese Einzelfragen gestellt, die ganz speziell auf eine Vertiefung dieses Komplexes hinziehen. Ich bitte Sie deshalb, daß Sie diese Fragen beantworten, sie sind zulässig.

Zeuge Mül[ler]:

Gut. Können Sie sich nochmal wiederholen?

RA Schi[ly]:

Gerne, ja. Sind Ihnen Angebote gemacht worden, daß Ihre finanzielle Lage sich vielleicht verbessern könnte, durch ein bestimmtes Entgegenkommen Ihrerseits?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Nichts, überhaupt nichts, gar nichts in der Richtung?

Zeuge Mül[ler]:

Soll ich zweimal nein sagen?

RA Schi[ly]:

Ja, ich weiß nicht, wie Sie Ihre Aussage verantworten können, Herr Zeuge. Ist Ihnen mal angeboten worden, eine gesicherte Existenz im Ausland?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Hat man Ihnen angeboten: Andere Papiere?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Hat man Ihnen angeboten: Pressekontakte?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Hat man Ihnen angeboten, daß man Ihnen auch einen Anwalt zur Verfügung stellen könnte?

Zeuge Mül[ler]:

Das war ein bißchen anders. Ich habe darauf bestanden, einen zu bekommen, weil man das bei solchen Anwälten braucht.

[10467] Unruhe im Sitzungssaal.

RA Schi[ly]:

Ja, Sie haben darauf bestanden, aber ist Ihnen das ...

Vors.:

Ich bitte im Saal um Ruhe.

RA Schi[ly]:

... Angebot gemacht worden?

Zeuge Mül[ler]:

Wie bitte?

RA Schi[ly]:

Hat man Ihnen das Angebot gemacht, einen Anwalt zu besorgen?

Zeuge Mül[ler]:

Das war anders rum. Ich habe darum gebeten einen zu bekommen.

RA Schi[ly]:

Ja, aber ich habe nach einem Angebot gefragt, ob man Ihnen das Angebot ...?

Zeuge Mül[ler]:

Das gab es nicht.

RA Schi[ly]:

Das gab es nicht. Hat man - jetzt umgekehrt - also nicht etwa nur einen Vorhalt gemacht, daß Ihnen lebenslänglich drohen könnte, hat man aber umgekehrt vielleicht Ihnen einen Strafrabatt in Aussicht gestellt, wenn Sie sich entgegenkommend verhalten würden?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Nun habe ich Ihnen einen ganzen Katalog von Einzelangeboten vorgehalten, Herr Müller. Haben Sie möglicherweise Ihrerseits Forderungen in dieser Richtung gestellt, daß Sie gesagt haben, ja ich möchte, wenn ich hier eine Aussage mache, dann möchte ich gewährleistet sehen, daß ich also nicht so hoch bestraft werde, daß ich Geld bekomme, daß ich eine Existenz, Identitätswechsel, Pressekontakte und ähnliches?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Kennen Sie einen Herrn Franz Ruch?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Haben Sie mit dem Herrn Ruch mal gesprochen?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Bei welcher Gelegenheit?

Zeuge Mül[ler]:

Anlässlich eines Besuches von Herrn Ruch in der JVA Köln-Ossendorf.

RA Schi[ly]:

Wurde dieses Gespräch überwacht?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Von wem?

Zeuge Mül[ler]:

Soweit ich mich erinnere, von ..., zumindestens Kripobeamten und entweder einem einfachen Anstaltsbediensteten oder einem Inspektor.

RA Schi[ly]:

Waren das Kripobeamte vom BKA?

Zeuge Mül[ler]:

Das kann ich nicht sagen, ich kannte die nicht.

RA Schi[ly]:

Sie kennen die Namen nicht?

[10468] Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Und was wurde da besprochen?

Zeuge Mül[ler]:

Es ging darum, daß der Herr Ruch Interesse zeigte für eben für eine Veröffentlichung, die er in der Presse verbreiten wollte.

RA Schi[ly]:

Ja. War er Journalist?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, das hat er mir gegenüber vorgegeben.

RA Schi[ly]:

Als was für einen Journalist, von welchem Presseorgan?

Zeuge Mül[ler]:

Er sagte zu mir, er wäre freiberuflicher Mitarbeiter bei ..., das ist ein Ableger von der Rhein-Neckar-Zeitung in Heidelberg.

RA Schi[ly]:

Das hat er gesagt, ja?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Wann war der etwa bei Ihnen?

Zeuge Mül[ler]:

Also das ist jetzt eine reine Schätzung; ich vermute, das ging auf Ende 72 zu.

RA Schi[ly]:

War der auch mal im Jahre 75 bei Ihnen?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Der Herr Ruch, der hat einen Artikel über Sie veröffentlicht, kennen Sie den?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, ich weiß nicht. Hat er nur einen oder mehrere oder welchen meinen Sie?

RA Schi[ly]:

Also Sie kennen mehrere, ja?

Zeuge Mül[ler]:

Nein, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß der Herr mehrere Artikel geschrieben hat, aber einer war ..., war mindestens einer dabei, der sich nicht mit mir beschäftigt hat.

RA Schi[ly]:

Haben Sie dem Herrn Ruch mal etwas darüber berichtet, daß Sie mit der Bundesanwaltschaft einen Handel abschließen wollen?

Zeuge Mül[ler]:

Nein, wie komme ich dazu?

RA Schi[ly]:

Das weiß ich nicht.

Zeuge Mül[ler]:

Der hat immer einen sehr freizügigen Stil, der Herr Ruch.

RA Schi[ly]:

Ja. Das ist hier ein ..., möchte ich mal vorhalten, ein Artikel in der „Bild am Sonntag“ unter der Überschrift „Kronzeuge fordert freies Geleit. Baader-Meinhof Terrorist will auspacken“ von Franz Ruch. Und da steht unter anderem drin „Der Herr Müller habe der Bundesanwaltschaft ein glattes Geschäft vorgeschlagen, freies Geleit, einen neuen Namen mit dazu passenden Personalpapieren, genug Geld um im Ausland ein zweites Leben aufbauen zu können, Straffreiheit oder zumindest nur eine geringe Strafe für sich.“

Nach Vorhalt dieses Zeitungsartikels, bleiben Sie bei Ihrer Aussage, daß Sie solche Forderungen oder Angebote Ihrerseits nicht gestellt haben?

[10469] Zeuge Mül[ler]:

Ja, das ist korrekt. Ich kenne diesen Artikel auch, und ich weiß nicht, wie der Herr Ruch dazu gekommen ist, diesen zu schreiben.

RA Schi[ly]:

Ja. Sie sagen das ist eine freie Erfindung, dieser Artikel?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, so wie das im Allgemeinen bei „Bild“ üblich ist.

RA Schi[ly]:

Ah ja. Sagen Sie, hatten Sie eigentlich Anlaß zu der Befürchtung, daß Sie auch eine lebenslange Freiheitsstrafe zukommen könnte, wenn Sie sich mit den Ermittlungsbehörden nicht einigen?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Hatten Sie keinen Anlaß. Haben Sie eigentlich einmal mit den Ermittlungsbeamten über den Entwurf eines Kronzeugengesetzes[46] gesprochen?

Zeuge Mül[ler]:

Was, ich?

RA Schi[ly]:

Ob Sie mal mit Ermittlungsbeamten den Entwurf eines Kronzeugengesetzes gesprochen haben?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Zu keinem Zeitpunkt?

Zeuge Mül[ler]:

Nein. Ach Sie meinen das nicht so, daß ...

RA Schi[ly]:

Was bitte?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Ja, Sie meinten doch da irgendwie noch ..., waren sich über den Inhalt der Frage unsicher, dann sagen Sie es ruhig, Herr Müller.

Zeuge Mül[ler]:

Ich habe Ihre Frage, so wie sie gestellt war, beantwortet.

RA Schi[ly]:

Haben Sie denn überhaupt über diese Gesetzesinitiative, ob ein solches Gesetz kommen könnte, wie es beschaffen sein könnte und ähnliches niemals mit Ermittlungsbeamten gesprochen?

Zeuge Mül[ler]:

Ganz pauschal kann ich das nicht verneinen. Sicher ist auch dadrüber gesprochen worden, aber z. B. nicht im Hinblick auf mich, sondern auf die allgemeine Wirkung, also ob und welche Bedeutung es z. B. in Bezug auf den Terrorismus in der Bundesrepublik haben könnte.

RA Schi[ly]:

Wie, also Sie meinen nur die allgemeine politische Bedeutung oder ..., aber nicht auf Sie bezogen?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Was Sie davon für einen Gewinn haben könnten?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Ja, aber hat man denn über die Regelung gesprochen, was da nun an Regelungen da drin sein könnte?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, ich habe diese Frage beantwortet. Sie wollen darauf hinaus, daß offensichtlich darüber im Zusammenhang mit mir gesprochen worden ist?

[10470] RA Schi[ly]:

Nein, ich frage Sie, ob man über die Regelungen, die da vorgesehen waren, und die an der Diskussion waren, ob man darüber sich unterhalten hat, wie sich das rechtlich auswirken könnte für einen potenziellen Kronzeugen?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, in allgemeiner Hinsicht.

RA Schi[ly]:

In allgemeiner Hinsicht. Was wurde da gesagt?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, was da konkret gesagt wurde?

RA Schi[ly]:

Ja.

Zeuge Mül[ler]:

Es gab da verschiedene Meinungen dazu. Manche fanden das gut, und manche fanden das nicht gut.

RA Schi[ly]:

Nein, nein, ich meine jetzt nicht die Bewertung, sondern den Inhalt und die Auswirkung eines solchen Gesetzes.

Zeuge Mül[ler]:

Ja, da gab es negative und da gab es positive Meinungen dazu.

RA Schi[ly]:

Herr Müller, nicht die Bewertung - das versuchte ich Ihnen gerade zu vermitteln - sondern den Inhalt. Also was sieht ein solches Gesetz vor und welche rechtlichen Auswirkungen hat das, hat man darüber gesprochen?

Zeuge Mül[ler]:

In allgemeiner Hinsicht, ja.

RA Schi[ly]:

In allgemeiner Hinsicht. Können Sie das mal konkretisieren, was man da in allgemeiner Hinsicht gesprochen hat?

Zeuge Mül[ler]:

Ich habe das bereits gesagt. Also ob und inwieweit das eben von Bedeutung bzw. nützlich wäre für die Auseinandersetzungen im Terrorismus in der Bundesrepublik.

RA Schi[ly]:

Ja, hat man nicht darüber gesprochen, was der Inhalt des Gesetzes ist? Hat man nur über die allgemeine politische Bedeutung oder hat man auch über den - also allgemein gesehen - über den Inhalt des Gesetzes gesprochen?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, ich meine, der war ja durch die, jedenfalls die verschiedenen Pläne oder durch die Pläne, die es gab, da war das ja allgemein bekannt, durch die Presse und so.

RA Schi[ly]:

Naja gut, das mag ja sein. Aber es ist die Frage, ob man auch darüber gesprochen hat.

Zeuge Mül[ler]:

Weiß ich nicht.

RA Schi[ly]:

Wissen Sie nicht? Verstehe ich nicht. Also Sie wissen nicht mehr, ob ...

Zeuge Mül[ler]:

Ja also, ich verstehe Ihre Frage auch nicht, weil ich das ja beantwortet habe.

RA Schi[ly]:

Ob Sie darüber mit Ermittlungsbeamten gesprochen haben, über den Inhalt dieses geplanten Gesetzes?

[10471] Zeuge Mül[ler]:

Ja, ich weiß es nicht mehr, weil ich ja das z. B. aus der Presse kannte.

RA Schi[ly]:

Aha. Haben Sie einmal sinngemäß erklärt, Sie seien zu Ihrem Bedauern gezwungen gewesen einen Menschen zu erschießen, weil Sie von drei anderen RAF-Mitgliedern beobachtet wurden?

Zeuge Mül[ler]:

Ja, das ist im Gegensatz zu Bild-Freiheit, die Quick-Freiheit.

RA Schi[ly]:

Ja, was soll ich mit dieser Erklärung ...? Zunächstmal darf ich fragen, ob Sie diese Erklärung abgegeben haben?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Kennen Sie den Journalisten von Quick?

Zeuge Mül[ler]:

Ich kenne von der Quick keinen Journalisten.

RA Schi[ly]:

Mit keinem gesprochen?

Zeuge Mül[ler]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Herr Müller, wo waren Sie im Oktober 1971?

Zeuge Mül[ler]:

In Kiel und in Hamburg.

RA Schi[ly]:

Kennen Sie die Straße Hegbarg und den Saßeler Damm?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Kennen Sie auch den großen Parkplatz hinter dem Einkaufszentrum?

Zeuge Mül[ler]:

Herr Vorsitzender, ich meine das geht ein ganzes Stück zu weit.

Vors.:

Wenn Sie sich im Zusammenhang mit dieser Frage auf den § 55[ StPO] berufen wollen, dürfen Sie das tun, das ist Ihr Recht.

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Wie bitte?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Also Sie kennen den?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Wo waren Sie in der Nacht vom 21. zum 22. Oktober 1971?

Vors.:

Wir haben das Mikrophon ausgeschaltet, so daß Sie sich unterhalten können, wenn es nicht ... Wenn eine längere Pause benötigt würde, bitte ich um eine Meldung.

Zeuge Mül[ler]:

Nein, nein.

Der Zeuge Müller bespricht sich mit seinem Anwalt Huth.

Zeuge Mül[ler]:

Die Fragen von Herrn Schily zielen offensichtlich auf die Ermordung des Polizisten Schmid[47] ab. Ich möchte im Hinblick, also das Verfahren läuft noch, ich habe da bisher keine Angaben gemacht, im Gegensatz zu den Unterstellungen dieser Anwälte, und ich möchte das im Moment auch nicht machen, weil das Verfahren noch läuft. [10472] Es ist aber so, daß ich den Polizisten Schmid nicht erschossen habe, und ich verweigere also auf weitere Fragen in diesem Zusammenhang die Aussage.

RA Schi[ly]:

Ja, ich muß das, Herr Müller, doch ..., da das spezielle Fragen sind, muß ich das, auch die speziellen Fragen stellen.

Also zunächstmal die Frage, ob Sie den Polizeibeamten Schmid erschossen haben?

Vors.:

Bereits beantwortet mit „nein“.

RA Schi[ly]:

Sind Ihnen wegen dieser Erschießung von anderen Personen Vorwürfe gemacht worden und haben Sie darauf erwidert, Sie seien stolz darauf einen Bullen erschossen zu haben?

Zeuge Mül[ler]:

Das ist eine Unverschämtheit.

Vors.:

Herr Müller, ich darf Sie darauf hinweisen, Sie haben sich eben § 55[ StPO] berufen. Das schließt nicht aus, daß an Sie weitere Fragen in diesem Zusammenhang gestellt werden, und Sie müssen dann die Erklärung, ob Sie den § 55[ StPO] in Anspruch nehmen wollen oder nicht, jeweils dann wiederholen. Es kann also mit dem § 55[ StPO] jedenfalls so, wie es bisher von Ihnen gehandhabt wurde[mm] nicht generell gesagt werden, ich will jetzt überhaupt keine Aussagen mehr machen, sondern nur auf einzelne Aussagen. Es gibt allerdings eine Rechtssprechung, auf die ich Sie hinweisen möchte, die eben dahingeht, daß die in Betracht kommende Aussage so eng verknüpft ist mit strafrechtlichen Vorwürfen, die gegen Sie selbst gerichtet sind, daß Sie insgesamt erklären könnten, hierauf will ich insgesamt auch nichts mehr sagen.[48] Über das wird Sie sicher Ihr Herr Rechtsanwalt belehren.

RA Schi[ly]:

Da Sie den Herr Müller so ausgiebig belehren, würde ich ihn auch darüber belehren, daß die Beantwortung einer Frage mit dem Satz „das ist eine Unverschämtheit“ auch keine korrekte Beantwortung ist.

Vors.:

Ja. Das ist richtig. Herr Müller, ich möchte Sie bitten, ich muß allerdings umgekehrt um Verständnis bitten, daß ein Zeuge, der unter diesem Vorwurf gestellt worden ist, den ganzen Tag nun hier Antworten gibt, natürlich sich auch mal im Ausdruck vergreifen kann. Selbstverständlich ist das kein angepasster Ausdruck gegenüber einem Verteidiger, der Fragen stellt, das muß ich feststellen.

Zeuge Mül[ler]:

In diesem Zusammenhang stehende Fragen werde ich nicht mehr beantworten.

RA Schi[ly]:

Herr Müller, wie oft haben Sie auf Polizeibeamte geschossen?

Zeuge Mül[ler]:

Verweigere ich die Aussage, das habe ich ja gesagt.

RA Schi[ly]:

Haben Sie bei Ihrer Festnahme versucht, nach der entsicherten [10473] und durchgeladenen Pistole zu greifen und zu schießen?

Zeuge Mül[ler]:

Verweigere ich die Aussage.

RA Schi[ly]:

Ist Ihnen in diesem Zusammenhang einmal der Vorwurf des versuchten Mordes gemacht worden?

Zeuge Mül[ler]:

Verweigere ich die Aussage. Also, wenn ich das pauschal mache, reicht das nicht?

Vors.:

Ich will jetzt gerade noch sehen, ob sich diese Fragen noch sehr lange auf diesen Punkt beziehen, dann werden wir uns in dieser Richtung Überlegungen machen müssen, aber bitte hören Sie sich jetzt diese Fragen, und Sie können ja im Einzelfalle immer sagen, „ich verweigere“. Es geht ja hier nicht direkt um denselben Punkt; vorhin ging es um die Frage „Erschießung“, jetzt geht es um Ihre Festnahme. Es sind also leicht differierende Gesichtspunkte, die hier erörtert werden sollen.

RA Schi[ly]:

Wie bitte? Was habe ich?

Vors.:

Sie haben nichts. Sie haben das Recht, weitere Fragen zu stellen.

Ich habe an Ihnen nichts ausgesetzt und beabsichtige das auch jetzt nicht zu tun.

RA Schi[ly]:

Ja, dankeschön.

Vors.:

Ihre Fragen waren bis jetzt zulässig, aber sie sind nicht beantwortet worden, was auch zulässig ist.

RA Schi[ly]:

Sagen Sie, haben Sie schon mal mit einer Waffe geschossen?

Zeuge Mül[ler]:

Verweigere ich die Aussage.

RA Schi[ly]:

Mit welcher Hand schießen Sie normalerweise?

Zeuge Mül[ler]:

Ich verweigere die Aussage.

RA Schi[ly]:

Haben Sie zu dem Fall Norbert Schmid sich einmal informell geäußert?

Zeuge Mül[ler]:

Ich verweigere die Aussage.

RA Schi[ly]:

In dem Fall, da halte ich die Aussageverweigerung für nicht begründet.

Vors.:

Doch ich halte es für zulässig.

RA Schi[ly]:

Ja, dann beanstande ich das. Ich bitte um eine Senatsentscheidung.

Vors.: (nach geheimer Beratung):

Die Antwort auf die Frage kann verweigert werden.

RA Schi[ly]:

Herr Zeuge, ... Das war schon der Beschluß, nicht?

Vors.:

Bitte?

RA Schi[ly]:

Das war schon der Beschluß eben, ja?

Vors.:

Gewiß.

RA Schi[ly]:

Ja. Herr Zeuge, Sie haben uns hier geschildert, daß Sie da [10474] in einen Gewissenskonflikt geraten seien und ähnliches, und ein gewisser Reifeprozeß da stattgefunden habe, und daß das dann erst schließlich die Beendigung dieses Reifeprozesses Sie veranlasst habe, nun sich zu einer Vernehmung zur Verfügung zu stellen.

Bleiben Sie bei dieser Aussage?

Zeuge Mül[ler]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Können Sie dann mir sagen, aus welchem Grunde dieser Reifeprozeß jetzt nach dem Urteil am 16. März, in Ihrem Verfahren, zum Abschluß gekommen ist?

Zeuge Mül[ler]:

So was braucht Zeit.

RA Schi[ly]:

Es braucht Zeit. Können Sie etwas darüber sagen, ob das ein Grund war für die Protokollierung Ihrer Aussage, daß das Urteil vorher gefällt worden ist gegen Sie. Und nach Ablauf ...

Zeuge Mül[ler]:

Das ist eine unglaubliche Unterstellung.

RA Schi[ly]:

Und nach Ablauf der Revisionsfrist für die Staatsanwaltschaft.[49]

Zeuge Mül[ler]:

Ja, ich sage nichts zu; das ist Quatsch.

Vors.:

Auch hier, Herr Müller, ich bitte Sie ...

RA Schi[ly]:

Ich bitte jetzt ..., aber ... Herr Vorsitzender, wirklich den Zeugen zu ermahnen nicht hier mit Redewendungen wie „das ist Quatsch“ und ähnlichem.

Vors.:

Ich ermahne zunächst Sie, wenn ich jetzt hier das Wort ergriffen habe, mich nicht sofort zu unterbrechen. Im Augenblick war ich dabei das zu tun, was Sie mit Ihrer Mahnung an mich erreichen wollten. Herr Müller, ich bitte Sie, daß Sie das unterlassen. Ich habe Ihnen schon zum Ausdruck gebracht, daß man ein gewisses Verständnis aufbringen kann. Sie leben hier als Zeuge unter erheblicher Spannung, Sie stehen auch schon seit einigen Stunden heute wieder als Zeuge zur Verfügung, aber Sie müssen sich trotzdem soweit zusammennehmen und das unterlassen, mit beleidigenden Ausdrücken zu reagieren.

Zeuge Mül[ler]:

Darf ich eben wegen der Erregung um eine Pause bitten?

Vors.:

Ja. Wir machen eine Pause von ¼ Stunde.

Pause von 16.17 Uhr bis 16.33 Uhr

Ende Band 605

[10475] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 16.33 Uhr.

B. Anwalt Dr. Wunder ist nicht mehr[nn] anwesend.

Vors.:

So, wir wollen dann die Sitzung fortsetzen.

Ich bitte die Beteiligten, sich darauf einzurichten, daß die Sitzung heute möglichst nicht über 17.00 Uhr hinaus fortgesetzt werden sollte.

Herr RA Schily, Sie haben Fragen.

Zeuge Mü[ller]:

Sie können Ihre letzte Frage nochmals wiederholen.

RA Schi[ly]:

Ich möchte vielleicht so formulieren, Herr Müller:

War es ein reiner Zufall, daß am 16. März in Ihrer Sache ein Urteil ergangen ist und daß dann die einwöchige Revisionsfrist für die Staatsanwaltschaft abgelaufen ist, ohne daß die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat und daß Sie dann am 31. März mit Ihren Aussagen begonnen haben?

B. Anwalt Dr. Wunder erscheint wieder um 16.35 Uhr im Sitzungssaal.

Zeuge Mü[ller]:

In dem Sinne, wie Sie das meinen, ist das Zufall.

RA Schi[ly]:

Ja nun - ich weiß nicht, was Sie da mir, wie ich es meine, unterstellen. Aber vielleicht können Sie mal ganz allgemein von Ihrem Standpunkt aus - und nur um den geht es - schildern, ob das ein Zufall war oder ob das eine gewisse Voraussetzung war, daß Sie überhaupt Aussagen machten.

Zeuge Mü[ller]:

Was?

RA Schi[ly]:

Das Urteil und der Ablauf der Revisionseinlegungsfrist für die Staatsanwaltschaft.

Zeuge Mü[ller]:

Daß, wie Sie sagten - also ich hab diese Daten nicht im Kopf -, ungefähr Mitte März das Urteil gesprochen wurde und daß Ende März mit der Vernehmung begonnen wurde, ist einerseits Zufall, andererseits nicht, weil ich ja eben genau nach dem Urteil zu tun hatte, also das Urteil hat mir natürlich in gewisser Weise einen Schock versetzt, und ich war eben mit meinen Problemen beschäftigt; deswegen war ich nicht in der Lage, vorher Aussagen zu machen oder vielleicht direkt im Anschluß an den Ablauf der Revisionsfrist für den Staatsanwalt, wie Sie das vielleicht gewünscht hätten.

[10476] RA Schi[ly]:

Herr Müller, haben Sie aber nicht schon vorher Aussagen gemacht, nur in anderer Form?

Zeuge Mü[ller]:

Ich habe, wie ich bereits hier gesagt habe, informelle Aussagen gemacht, und ich habe auch den Zusammenhang erwähnt, und zwar war das die Lorenzentführung. Ich habe mich, als diese Lorenzentführung stattfand, mich verpflichtet gefühlt, Ermittlungsbeamten gegenüber meine Erkenntnisse, jedenfalls in bezug auf Berlin mitzuteilen.

RA Schi[ly]:

Ja haben Sie denn nun diese informellen Äußerungen ... - da müssen Sie ja irgendwann mal gesagt haben: Das soll jetzt nicht mehr vertraulich sein; und jetzt bin ich also zu verwertbaren Angaben bereit.

Und warum ist der Zeitpunkt für die Niederschrift solcher verwertbaren Angaben dann nach dem Urteil gewählt worden?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich war z. B. während des Prozesses unheimlich mit dem Prozeß beschäftigt; ich hätte gar nicht die Zeit dafür gehabt. Außerdem habe ich vorhin bereits gesagt, daß dieses Ganze ja auch eine Entwicklung ist und daß es eben auch Zeit braucht.

RA Schi[ly]:

Also Sie bleiben dabei, daß das insofern eigentlich doch mehr zufällig war, daß da kein Bedingungszusammenhang besteht, daß Sie sagten ... daß gesagt wurde: Erst das Urteil: ich will wissen, was ich da bekomme und dann aussagen.

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Dabei bleiben Sie.

Sagen Sie, Herr Müller:

Wo waren Sie Ende Juni 1971?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, in Hamburg.

RA Schi[ly]:

Kann es sein, daß Ihre Erinnerung Sie da trügt und Sie im Heidelberger Raum sich aufgehalten haben?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich will mich nicht unbedingt festlegen. Aber meiner Erinnerung nach befand ich mich Ende Juni in Hamburg.

RA Schi[ly]:

Kennen Sie einen Ort Wiesenbach?

Zeuge Mü[ller]:

Da wohnt Dr. Huber.

RA Schi[ly]:

Ja.

Sind Sie da mal gewesen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

[10477] RA Schi[ly]:

Waren Sie auch Ende Juni 1971 in Wiesenbach?

Zeuge Mü[ller]:

Auf was wollen Sie raus?

RA Schi[ly]:

Ich frag Sie, ob Sie Ende Juni 1971 in Wiesenbach waren, Herr Müller.

Zeuge Mü[ller]:

Ich hab gesagt, ich war Ende Juni in Hamburg.

RA Schi[ly]:

Ja. Aber ich frag, ob Sie Ihre Erinnerung da nicht trügt und ob Sie nicht Ende Juni 1971 in Wiesenbach waren, Herr Müller.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich war Ende Juni in Hamburg. Soll ich das nochmals sagen?

RA Schi[ly]:

Vielleicht als Gedächtnisstütze:

Können Sie sich an einen Vorfall Ende Juni 1971 erinnern, bei dem Sie einer Festnahme entgangen sind?

Zeuge Mü[ller]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Nein? Auch nicht an einen Vorgang, bei dem Sie einer versuchten Festnahme dadurch entgangen sind, daß Sie auf Polizeibeamten geschossen haben?

Zeuge Mü[ller]:

Herr Vorsitzender, ich verweigere zu dem Punkt wie zu anderen weiteren Punkten die Aussage. Ich bin hier, um im Zusammenhang mit Sprengstoffverbrechen auszusagen, und die Verteidigung zielt offensichtlich darauf ab, mich zu diffamieren und zu verleumden.

Vors.:

Es sind Fragen, die im Zusammenhang mit der Überprüfung der Glaubwürdigkeit legalerweise gestellt werden können; genauso legalerweise können Sie aber sagen: Ich mache dazu keine Angaben - das haben Sie im Augenblick getan.

Bitte weitere Fragen.

RA Schi[ly]:

Wollen Sie sich auf § 55 StPO berufen, ja?

Vors.:

Ja, ist geschehen.

RA Schi[ly]:

Beim Beginn Ihrer Vernehmung, Herr Müller, am 31. März dieses Jahres, ist Ihnen da eröffnet worden, in welchem Verfahren Sie als Zeuge vernommen werden sollen?

Zeuge Mü[ller]:

Ich hab mir gedacht, daß es für[oo] Stuttgart ist.

RA Schi[ly]:

Ja, hat man Ihnen das gesagt? Das ist eigentlich ein normaler Vorgang, daß man sagt, Sie sollen in einem Verfahren gegen Baader und andere oder ... -

Zeuge Mü[ller]:

Ja, das ist ja dasselbe.

RA Schi[ly]:

Naja, ich meine: Hat man das so gesagt?

[10478] Das ist also der normale Vorgang bei einer Vernehmung, daß Ihnen zunächst einmal der Vernehmungsbeamte mitteilt und sagt, Sie sollen in diesem Verfahren zu den und den Tatkomplexen vernommen werden. Das ist Ihnen da gesagt worden?

Zeuge Mü[ller]:

Ich habe mich bereit erklärt, Aussagen zu machen im Zusammenhang mit der RAF, und daraufhin ist eben vom Vernehmungsbeamten gesagt worden, daß primär Interesse besteht an dem Komplex Sprengstoffverbrechen und wie sich das eben in der Haft weiterentwickelt hat. Dann waren noch Kassiber.

RA Schi[ly]:

Ja also die Sprengstoffanschläge, von denen Sie gesprochen haben?

Zeuge Mü[ller]:

Ja und alles, was damit zusammenhängt:

RA Schi[ly]:

... Hamburg, Frankfurt, Heidelberg, München, Augsburg, Karlsruhe - ja?

Zeuge Mü[ller]:

Mhm -

RA Schi[ly]:

Das wurde Ihnen mitgeteilt?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Hat man da gesagt, es sei ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt?

Zeuge Mü[ller]:

Ja davon weiß ich nichts.

RA Schi[ly]:

Davon wissen Sie nichts?

Zeuge Mü[ller]:

Oder ich erinnere mich im Moment nicht.

RA Schi[ly]:

Haben Sie eigentlich die Protokolle gelesen, die Ihnen ...?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

RA Schi[ly]:

... und auch unterschrieben?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

Vors.:

Das ist gestern beantwortet worden, Herr Rechtsanwalt. Sie waren vielleicht da noch nicht anwesend.

RA Schi[ly]:

Ja nun - ich sehe hier auch, das ist die erste Seite dieser Vernehmung; da werden Ihre Personalien aufgenommen und so, auch Ihre Unterschrift. Und da steht:

„Name des Beschuldigten: unbekannt“?

Zeuge Mü[ller]:

Ja - und?

RA Schi[ly]:

Ja, ich frag Sie, ob Sie sich daran erinnern?

Zeuge Mü[ller]:

Nee. Das habe ich ja vorhin gesagt.

RA Schi[ly]:

Wissen Sie nichts von.

Kennen Sie dieses Aktenzeichen: 1 BJs 7/76?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ein Aktenzeichen war da drin.

[10479] RA Schi[ly]:

„Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen Unbekannt“ - 1 BJs 7/76?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ein Aktenzeichen war da drin.

RA Schi[ly]:

Aha -

Zeuge Mü[ller]:

Aber wie das genau war, weiß ich nicht mehr.

RA Schi[ly]:

Ja, ist Ihnen nun erläutert worden:

Also wir wissen gar nicht, wer diese Sprengstoffanschläge begangen hat und wir ermitteln noch gegen „Unbekannt“; und deshalb - in diesem Verfahren gegen „Unbekannt“ - da wollen wir Sie als Zeugen hören?

Zeuge Mü[ller]:

Ja das, was da steht, ist mir sicher gesagt worden.

RA Schi[ly]:

Aha - ja -

Sagen Sie:

Wann haben Sie zuletzt diese Protokolle gesehen?

Zeuge Mü[ller]:

Wann ich die zuletzt gesehen hab?

RA Schi[ly]:

Ja.

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich weiß es nicht genau. - Das war vor ein paar Wochen.

RA Schi[ly]:

Können Sie’s etwa zeitlich doch ein bißchen eingrenzen?

Zeuge Mü[ller]:

Nee.

RA Schi[ly]:

Bei welcher Gelegenheit haben Sie das gesehen, die Protokolle?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, als es abgeschlossen wurde.

RA Schi[ly]:

Haben Sie die in Besitz?

Zeuge Mü[ller]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Wie lange haben eigentlich die Vernehmungen gedauert, Herr Müller?

Vors.:

Darf ich fragen:

Gilt das für die Vernehmungstage?

RA Schi[ly]:

Ja, die Tage.

Danke schön für den Hinweis.

Also um das klarzustellen: Es geht mir um den jeweiligen Tag, also nicht jetzt die Zeitdauer, über welchen Zeitraum - etwa von März bis April oder Mai -, sondern es geht mir darum, wie lange haben die gedauert stundenmäßig?

Zeuge Mü[ller]:

Ach, der einzelne Tag?

RA Schi[ly]:

Der einzelne Tag - stundenmäßig.

Zeuge Mü[ller]:

Ja von ungefähr 9.00 Uhr, 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr.

Und dann noch Pausen, also Mittagspause drin.

[10480] RA Schi[ly]:

Ja. Ist Beginn und Ende der Vernehmung und die Pausen im Protokoll vermerkt worden?

Zeuge Mü[ller]:

Ich weiß es nicht mehr so genau; ich nehme es an.

RA Schi[ly]:

Sie sind von dem Herrn Vorsitzenden schon mal gefragt worden, wie nun die Formulierung dieser Aussagen zustande kam, Herr Müller.

Sie haben so in etwa gesagt: Sie haben Wert auf ’ne richtige Formulierung gelegt, aber es ist Ihnen Formulierungshilfe geleistet worden, weil Sie intellektuell das nicht so ganz allein konnten.

Ist eine wörtliche Aussage, also das, was Sie in Ihren Worten ausgedrückt haben, ist das gekennzeichnet worden in dem Protokoll?

Zeuge Mü[ller]:

Wie soll ich das verstehen?

RA Schi[ly]:

Also wenn Sie jetzt wörtlich etwas [pp] äußern, das dann in Anführungsstriche gestellt worden ist, beispielsweise, wie das üblicherweise gemacht wird, wenn jemand sich wörtlich äußert, daß man dann das in Anführungsstriche stellt oder wenn’s dann ne Formulierung des Vernehmungsbeamten ist, dann eben nicht in Anführungsstrichen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, es gibt da keinen Unterschied im Inhalt.

RA Schi[ly]:

Das ist ne andere Frage jetzt.

Ich frag Sie nur, ob eine solche Kenntlichmachung erfolgt ist?

Zeuge Mü[ller]:

Soweit ich mich erinnere, war das zumindest bei einzelnen Spezialausdrücken der Fall.

RA Schi[ly]:

Ja aber, was Sie wörtlich geäußert haben, ist das auch gekennzeichnet worden?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, solche Sachen, also ...

RA Schi[ly]:

Also nur bei solchen Spezialausdrücken?

Zeuge Mü[ller]:

Nee, ’s können auch - Moment mal:

Ich will nicht ausschließen, daß es auch bei einzelnen kurzen Sätzen der Fall war.

RA Schi[ly]:

Sind, soweit Ihnen Fragen gestellt worden sind oder Vorhalte gemacht worden sind, sind die in das Protokoll aufgenommen worden?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich meine, das Protokoll liegt Ihnen ja vor. Sie können ja ...

RA Schi[ly]:

Ich frag Sie nach Ihrer Erinnerung, Herr Zeuge.

[10481] Zeuge Mü[ller]:

Ja, ich weiß da nicht mehr so genau, was da ...

RA Schi[ly]:

Sind Ihnen denn Vorhalte gemacht worden und Fragen gestellt worden?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, sicher.

RA Schi[ly]:

Sagen Sie:

Haben Sie eigentlich auch in dem Strafverfahren, das gegen Sie gerichtet war in Hamburg, schriftlich ausgearbeitete Erklärungen zu den Prozeßakten überreicht?

Zeuge Mü[ller]:

Von mir?

RA Schi[ly]:

Ja.

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Haben Sie diese schriftlichen Erklärungen verfaßt oder hat diese schriftlichen Erklärungen jemand anders ...

Zeuge Mü[ller]:

Die stammen aus meiner Feder.

RA Schi[ly]:

... oder haben Sie’s irgendwo ganz oder teilweise abgeschrieben?

Zeuge Mü[ller]:

Ja sicher sind Zitate drin.

RA Schi[ly]:

Sind die als solche gekennzeichnet?

Zeuge Mü[ller]:

Soweit ich mich erinnere, ja.

RA Schi[ly]:

Dann möchte ich Ihnen mal ... das ist eine Prozeßerklärung, die beginnt mit den Worten:

„Ich war Mitglied der RAF und bin es heute nicht mehr“.

Können Sie sich an diesen Text erinnern?

Zeuge Mü[ller]:

Genau.

RA Schi[ly]:

Da ist auf S. 2 und 3 ... sind folgende Formulierungen:

„Ich erinnere nur an das Beispiel Vietnam,[50] an dem genau studiert werden kann, in welchem Ausmaß das Monopolkapital bereit ist, zur Durchsetzung seiner politischen Ziele Gewalt in der grausamsten Weise anzuwenden.“

Ist das eine Formulierung, die von Ihnen stammt?

Zeuge Mü[ller]:

Also dem Wörtlichen nach?

RA Schi[ly]:

Ja.

Zeuge Mü[ller]:

Also ich glaube nicht. Da sind mehrere Zitate drin, u. a. von Herrn Fried.

RA Schi[ly]:

Ein Zitat ist hier nicht angegeben.

Herrn Fried, das erwähnen Sie ja mal; aber der wird ja zitiert.

Aber ein Zitat ist hier nicht zu sehen.

[10482] Zeuge Mü[ller]:

Also ich meine nicht, daß die von mir ist.

RA Schi[ly]:

Von wem ist sie denn?

Zeuge Mü[ller]:

Das kann ich Ihnen nicht sagen. -

RA Schi[ly]:

Dann steht hier weiter:

„In Vietnam hat die größte Industrienation der Welt gegen ein unterentwickeltes Bauernvolk einen an Grausamkeit nicht zu überbietenden Vernichtungskrieg geführt mit Napalm und Bombenteppichen, mit Entlaubung der Wälder, Folterungen, Erschießungskommandos.“

Stammt diese Formulierung von Ihnen?

Zeuge Mü[ller]:

Nicht, daß ich mich erinnere.

RA Schi[ly]:

Nicht, daß Sie sich erinnern. -

Ja von wem stammt sie denn?

Zeuge Mü[ller]:

Ja die können ja genausogut aus Briefen sein, oder ich hab da auch einige Literatur dazu benutzt, die ich eben nicht angeführt habe als Quellen genau und ... -

RA Schi[ly]:

Ja, also nicht Ihre Formulierung.

Geht das, daß da in dieser Erklärung eine ganze Reihe von solchen Formulierungen enthalten sind, die zwar nicht als Zitate kenntlich gemacht sind, aber die nicht aus Ihrer Feder stammen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Sie sprachen ja von informellen Erklärungen, die Sie abgegeben haben.

Betrafen die eigentlich auch die hier angeklagten Personen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Können Sie etwa sagen, welchen Umfang diese informellen Erklärungen hatten?

Zeuge Mü[ller]:

Wie meinen Sie das?

RA Schi[ly]:

Naja - können Sie sagen: War das ein Leitzordner, war das etwa an Protokollseiten so wie Ihre Vernehmung, die wir hier vorliegen haben oder war das mehr? Oder weniger?

Aber ich kann Ihnen da vielleicht als Anhaltspunkt sagen:

Jetzt sind das hier wohl rund 200 Schreibmaschinenseiten in etwa - also jetzt sehr grob geschätzt.

Zeuge Mü[ller]:

Also meiner jetzigen Schätzung nach waren das weniger.

RA Schi[ly]:

Weniger. Aber das ist eine Schätzung?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

[10483] RA Schi[ly]:

Die Erklärung, die Sie damals informell abgegeben haben, Herr Müller, stimmen die vollständig mit dem überein, was Sie hier dann in der hiesigen Hauptverhandlung bzw. in der am 31.3.1976 begonnenen Vernehmung beim B. Kriminalamt gesagt haben?

Zeuge Mü[ller]:

Also da muß ich so sagen: Ja. Ich habe aber damals verschiedene Namen weggelassen, z. B. Jan Carl Raspe, Irmgard Möller, und zwar aus Gründen der Interessenkollision. Das war ja so, daß meine Anwältin, Frau Gottschalk-Solger hat diese Personen auch verteidigt gehabt, und in dem Sinne hätte eine Interessenkollision bestanden.

RA Schi[ly]:

Ja. Also Sie haben ...

Zeuge Mü[ller]:

Weiter muß ich sagen, daß ich, weil ich ja Beschuldigter war zu diesem Zeitpunkt, daß ich in der Sache Schmid keine Angaben gemacht habe und daß die eben noch zu erwarten sind.

RA Schi[ly]:

Sie sagen, Sie haben ein paar Namen weggelassen.

Haben Sie denn noch weitere Namen genannt? Also umgekehrt, daß Sie damals Namen genannt haben, die Sie jetzt nicht nennen oder nicht genannt haben?

Zeuge Mü[ller]:

Wie bitte?

RA Schi[ly]:

Haben Sie damals in diesen informellen Erklärungen weitere Namen genannt, die jetzt in Ihren Vernehmungen nicht vorkommen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, die Vernehmung ist ja noch gar nicht ganz abgeschlossen.

RA Schi[ly]:

Naja, ich meine jetzt aber ...

Welche ist jetzt nicht abgeschlossen? Die beim Bundeskriminalamt?

Zeuge Mü[ller]:

Nee, die Gesamtvernehmung zum Komplex RAF.

RA Schi[ly]:

Ach, ist noch gar nicht abgeschlossen. Ja, ist die denn noch im Gange? Wird da noch weitervernommen?

Zeuge Mü[ller]:

Zurzeit nicht, weil ich ja hier eben auftrete als Zeuge; da geht das ja nicht.

RA Schi[ly]:

Ja, wann war denn die letzte Vernehmung?

Zeuge Mü[ller]:

Das kann ich nicht sagen. Also ich hab das nicht im Kopf.

Vors.:

Interessiert Sie das Datum? Ich kann’s sagen: 26. Mai.

Herr Rechtsanwalt, darf ich bei der Gelegenheit dran erinnern, daß wir also heute sehen wollen, daß der Sitzungs-Schluß ..., daß Sie eine ... Zäsur finden.

[10484] RA Schi[ly] (dazwischenredend):

Ja, ich sehe zu, daß ich irgendwo eine Zäsur finde.

Nach dem 26. Mai, Herr Müller, sind Sie da nochmals vernommen worden?

Zeuge Mü[ller]:

Nein.

RA Schi[ly]:

Da sind Sie sicher?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Und wer hat Ihnen gesagt, daß die Vernehmung noch fortgesetzt werden soll?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, das ergibt sich aus der Sache.

RA Schi[ly]:

Aha. Ist das auch irgendwie protokolliert worden, daß man gesagt hat: Also wir werden demnächst die Vernehmung noch fortsetzen?

Zeuge Mü[ller]:

Ich weiß nicht; aber mindestens allgemein hab ich ausgedrückt, daß ich zu weiteren Aussagen bereit bin.

RA Schi[ly]:

Ja nun: Bei den informellen Erklärungen, Herr Müller, haben Sie da noch weitere Namen genannt, die jetzt vielleicht dann in der Fortsetzung der Vernehmung noch von Ihnen zu nennen wären oder vielleicht die gleichen Namen mit anderen Vorfällen, die noch nicht geschildert worden sind?

Zeuge Mü[ller]:

Die gleichen Namen mit anderen Vorfällen?

RA Schi[ly]:

Ja, daß also irgendwelche Vorfälle, von denen Sie Kenntnis haben und von denen Sie meinen, daß sie von Bedeutung sind, daß Sie da auch Angaben dazu gemacht haben, vielleicht auch mit Personen, die in Ihren bisherigen Bekundungen schon vorkommen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, das will ich überhaupt nicht ausschließen.

[qq]

RA Schi[ly]:

Ja können Sie uns vielleicht ein bißchen mehr sagen als „nicht ausschließen“, Herr Müller, sondern uns sagen, was das war?

Zeuge Mü[ller]:

Die Frage versteh ich nicht.

RA Schi[ly]:

Na. Vielleicht kann ich Ihnen da mal so eine[rr] kleinen ... Gedächtnisstütze: Zu Ingeborg Barz; - haben Sie da vielleicht noch mehr gesagt, als Sie hier bisher gesagt haben?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, das ist richtig.

RA Schi[ly]:

Und was war das?

Zeuge Mü[ller]:

Dazu verweigere ich die Aussage.

[10485] RA Schi[ly]:

Darf ich um Glaubhaftmachung bitten, Herr Müller?

Vors.:

Das dürfen Sie nicht, Herr Rechtsanwalt.

Wir haben uns ja heute früh bemüht, das zu klären. Die Glaubhaftmachung ist Sache des Gerichts, wenn es sie für erforderlich hält.

Sie können - natürlich können Sie’s anregen -, aber Sie können nur beanstanden, wenn das Gericht diese Auskunftsverweigerung bestätigt.

RA Schi[ly]:

Ja, ich frage dann das Gericht, wie es dazu kommt, jetzt das so einfach zu akzeptieren?

Vors.:

Bis jetzt ist noch nichts akzeptiert.

Wollen Sie dem Gericht irgendwelche Argumente vortragen zur ...?

RA Schi[ly]:

Um überhaupt argumentieren zu können, müßte ich doch mal von dem Herrn Müller erst mal erfahren, wieso er sich hier auf § 55 StPO stützen will. Ich habe gefragt, ob er bestimmte weitergehende Bekundungen zu dem in Verbindung mit dem Namen Ingeborg Barz gemacht hat, und dann sagte er:

Ich verweigere die Aussage.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, hier läßt sich wiederum genau dasselbe sagen, was schon verschiedentlich bei solchen Entscheidungen gesagt werden mußte - und ich darf noch[ss] darauf hinweisen, das ist eine freie Entscheidung des Zeugen.

Natürlich ließe sich denken, daß der Herr Zeuge, wenn er darüber Aussagen macht, wieder Einblicke in interne Vorgänge verraten müßte, die wieder Rückschlüsse auf seine Rolle zuließen im Zusammenhang mit seiner Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung; es ließe sich auch denken, daß ein Zeuge Dinge aussagen müßte, die unter Umständen gar den Verdacht auf sich ziehen könnten, an irgendwelchen Vorgängen krimineller Art beteiligt gewesen zu sein usw ...

Es läßt sich viel denken.

Also ich meine: Wenn der Herr Zeuge hier nach den Gesamtumständen erklärt, er beruft sich auf § 55 StPO, ist das für den Kundigen, zu denen Sie ja zu zählen sind, nicht so schwer, sich über die Berechtigung einer solchen Verweigerung Gedanken zu machen.

[10486] RA Schi[ly]:

Sie wollen sich auf § 55 StPO berufen, Herr Müller, ja?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Sagen Sie:

Haben Sie während der Haftzeit Geldzuwendungen erhalten?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, von der Roten Hilfe[51] z. B.

RA Schi[ly]:

In welcher Höhe?

Zeuge Mü[ller]:

Das waren mal ne Zeitlang 50,-- oder 60,-- DM monatlich.

RA Schi[ly]:

Und abgesehen von der Roten Hilfe, haben Sie da auch noch weitere Geldzuwendungen erhalten?

Zeuge Mü[ller]:

Ja, von meinen Eltern.

RA Schi[ly]:

Und von weiteren Personen?

Zeuge Mü[ller]:

Von meiner Anwältin.

RA Schi[ly]:

In welcher Höhe von Ihrer Anwältin?

Vors.:

Ist das sachzusammengehörig, Herr Rechtsanwalt? Wenn ja, wenn Sie der Meinung sind, bitte ich doch hier um nähere Begründung. Ich meine, es kann die Frage selbstverständlich gestellt werden, wenn sie gezielt auf Umstände losgeht, die an der Glaubwürdigkeit des Zeugen rütteln könnten. Aber Zuwendungen der Anwältin? - Ich weiß es nicht.

RA Schi[ly]:

Ich will’s mal präzisieren:

Waren es Zuwendungen der Anwältin aus eigenen Mitteln?

Zeuge Mü[ller]:

Also ich möchte ganz kurz mit Herrn Huth sprechen; ich kann die Frage möglicherweise beantworten.

Besprechung des Zeugen Müller mit seinem Anwalt.

Danke.

Das war Geld, das ich u. a. z. B. vom „Stern“ für ein Interview bekommen hab.

RA Schi[ly]:

Darf ich fragen, welches Honorar Sie vom „Stern“ für ein Interview bekommen haben?

Zeuge Mü[ller]:

Dazu verweigere ich die Aussage.

RA Schi[ly]:

Ja - ich wüßte nicht ... -

Vors.:

Gut, das geht nicht nach § 55 StPO. Aber die Frage der Eignung: Ist es sachdienlich? Welche Gründe sehen Sie dafür, Herr Rechtsanwalt?

RA Schi[ly]:

Herr Vorsitzender, haben Sie eigentlich meine Befragung mitangehört?

[10487] Vors.:

Jaja. Ich würde Sie bitten, ...

RA Schi[ly]:

Haben Sie mitangehört?

Vors.:

Wenn ich Sie höflichst bitten - ich hab’s heute früh schon mal gesagt - dann nicht solche rhetorischen Wendungen zu gebrauchen.

Ich möchte gern für die Entscheidung, ob diese Frage sachdienlich ist, Ihre Meinung hören. Das ist mein Recht.

RA Schi[ly]:

Herr Vorsitzender, also ...

Vors.:

Machen Sie mir’s da etwas leichter.

RA Schi[ly]:

Ich mach’s Ihnen gerne leichter.

Ich darf dann daran erinnern, daß ich - allerdings vor geraumer Zeit - dem Herrn Zeugen die Frage gestellt habe, ob ihm Pressekontakte angeboten worden sind, ob ihm Geld angeboten worden ist und ähnliches. Und ich finde es doch interessant, welche Honorare der Herr Zeuge dann für entsprechende ...

Vors.:

Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen der einen und andern Sache; ich vermag also die Sachdienlichkeit im Augenblick nicht zu erkennen und gebe Ihnen gerne Gelegenheit, sie mir etwas näher zu erläutern. Das ist keine Erläuterung. Ich habe Ihre zuvor gestellten Fragen dahin verstanden, ob ihm Versprechungen gemacht worden sind im Hinblick auf Geldempfang, auf Pressekontakte ...

RA Schi[ly]:

Ganz recht, ja.

Vors.:

... zwecks Verwertung seiner Kenntnisse nämlich.

Aber das hat doch mit der Frage, welche Honorare gezahlt worden sind, nichts zu tun?

RA Schi[ly]:

Na doch, das dürfte doch ...

Herr Vorsitzender, ich erstaune mich über Ihre Überlegungen in dieser Richtung.

Es dürfte doch von großem Interesse sein, ob dann tatsächlich ... Herr Müller behauptet ja, daß ihm solche Angebote nicht gemacht worden seien, ob der ...

Zeuge Mü[ller]:

Also das ist überhaupt ...

RA Schi[ly]:

... ob der Herr Müller tatsächlich Pressehonorare in nicht kleiner Höhe erhalten hat.

Vors.:

Es ging darum, ob ihm von Seiten der Stellen, die seine Vernehmung durchführen - so hab ich’s verstanden - irgend- [10488] welche Versprechungen in Richtung auf Pressekontakte mit eventueller wirtschaftlicher Auswertung gemacht worden sind.

Das hat doch mit der Frage, ob er Pressekontakte gehabt hat und Geld bekommen hat, nichts zu tun.

RA Schi[ly]:

Dann frage ich Sie zunächst, Herr Müller, ob Sie so nach freiem Belieben und Gutdünken und nach Ihrer eigenen Entscheidung Pressekontakte haben konnten?

Zeuge Mü[ller]:

Ja. Ich kann Journalisten oder Presseleute ansprechen. Entweder sie reagieren oder sie reagieren nicht.

RA Schi[ly]:

Ist das über die Zensur geschehen?

Zeuge Mü[ller]:

Ja.

RA Schi[ly]:

Und ist Ihnen da auch entsprechend von den Staatsschutzbehörden die Genehmigung erteilt worden, solche Pressekontakte zu haben?

Zeuge Mü[ller]:

Ja. Ich hab mehrfach Besuch gehabt in Hamburg von verschiedenen Journalisten, und die haben nicht die Genehmigung beim Staatsschutz beantragen müssen, sondern wie jeder andere auch beim Richter, und dort haben sie die Genehmigung bekommen.

Vors.:

Also darum möchte ich doch bitten, Herr Rechtsanwalt, dann also sachlich - das wissen Sie ganz genau - die richtigen Fragen zu stellen:

Besuchsgenehmigungen erteilt der Haftrichter - keine sonstige Behörde.

RA Schi[ly]:

Ja, der Staatsschutz hat da glaube ich doch eine ganze Menge mitzureden, Herr ... -

Vors.:

Besuchserlaubnisse z. B. erteilt der Haftrichter und da hat keine Staatsschutzbehörde oder sonst ...

RA Schi[ly] (dazwischenredend):

Herr Vorsitzender, ich glaube, daß die Auffassung des Staatsschutzes da ein sehr wichtiges Moment ist.

Vors.:

Das ist Ihre Meinung.

RA Schi[ly]:

Das ist meine Meinung, ja, und die gebe ich auch zum Ausdruck; und die Frage eben scheint mir jetzt ganz klar zu sein ... und die Berechtigung der Frage scheint mir ganz klar zu sein zu hören, welche Pressehonorare und in welcher Höhe der Herr Müller erhalten hat.

[10489] OStA Zeis:

Herr Vorsitzender, wir beanstanden die Frage.

Vors.:

Bitte schön.

OStA Zeis:

Keinerlei Sachzusammenhang, nicht der geringste Sachzusammenhang.

RA Schi[ly]:

Natürlich nicht, Herr Zeis. Jetzt kommen Sie in Aufregung, nicht?

OStA Zeis:

Herr RA Schily, ...

Vors.:

Also das ist eine nicht sehr glückliche Retourekutsche, nachdem das gestern passiert ist.

Aber ich würde also bitten, jetzt das sachlich zu halten.

Wir wollen ja die Sitzung nicht fortsetzen.

Es ist die Frage beanstandet worden. Will sich jemand dazu äußern?

Sind Sie betroffen, Herr Dr. Heldmann?

RA Dr. He[ldmann]:

Ja sicher.

Wenn die Frage heute nicht beantwortet werden wird, werde ich sie morgen stellen.

Machen wir’s doch gleich in einem Aufwaschen.

Vors.:

Also die Wiederholung derselben Frage wird nicht zugelassen.

RA Dr. He[ldmann]:

Ja sicher.

Vors.:

Also scheint mir das ein theoretischer Fall zu sein, den Sie andeuten.

RA Dr. He[ldmann]:

Ja, also es scheint mir dies eine theoretische Frage zu sein, mich zu fragen: Sind sie betroffen - nicht?

Aus der Höhe des Honorars ergibt sich’s, ob es ein Autorenhonorar ist oder ob mehr drinsteckt.

Vors.:

Ich lasse die Frage nicht zu; sie ist nicht sachdienlich, kann zur Aufklärung des Vorwurfes, der gegen die Angeklagten gerichtet ist, nichts beitragen und [tt] hat auch nichts mit der Frage der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu tun.

RA Schi[ly]:

Ich bitte um einen Senatsbeschluß.

Vors. (nach geheimer Umfrage):

Der Senat hat beschlossen:

Die Entscheidung, die eben verkündet worden ist, übernimmt er als Entscheidung:

Die Frage wird nicht zugelassen aus den genannten Gründen.

RA Schi[ly]:

Sagen Sie, ...

[10490] Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily, ...

RA Schi[ly]:

Ja, bitte?

Vors.:

... verlieren Sie’s nicht aus dem Auge, was seit einer halben Stunde angekündigt ist.

RA Schi[ly]:

Nein, wenn Sie jetzt meinen, daß die richtige Stelle ist, jetzt zu unterbrechen.

Vors.:

Ich stelle es mehr oder weniger Ihnen anheim, wenn es die richtige Stelle ist, [uu] wo Sie unterbrechen können.

RA Schi[ly]:

Aber ich kann jetzt selbstverständlich unterbrechen.

Ich hab noch eine Reihe von Fragen.

Vors.:

Dann setzen wir damit morgen früh um 9.00 Uhr die Sitzung fort.

Ende der Hauptverhandlung um 17.07 Uhr.

Ende von Band 606.


[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 - Az.: 1 StE 1/74 - StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).

[2] 1974 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das Recht auf ein faires Verfahren verlange, Zeug/innen grundsätzlich das Recht zuzugestehen, einen Rechtsbeistand des Vertrauens zur Vernehmung hinzuzuziehen, wenn sie es für die Wahrnehmung ihrer prozessualen Befugnisse erforderlich hielten. Insbesondere die Lage derjenigen Zeug/innen, die sich durch ihre Aussage der eigenen Strafverfolgung aussetzen könnten, sei mit der Lage von Beschuldigten in einem Strafverfahren vergleichbar (BVerfG, Beschl. v. 8.10.1974 - Az.: 2 BvR 747/73, BVerfGE 38, S. 105, 112 ff.). Inzwischen ist dieses Recht gesetzlich in § 68b StPO verankert.

[3] Nach § 55 Abs. 1 StPO steht Zeug/innen ein Auskunftsverweigerungsrecht zu, wenn sie sich selbst oder ihre Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) durch die Beantwortung einer Frage der Gefahr aussetzen würden, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.

[4] „Pfirsich“ war der Deckname für Dierk Hoff, der im Auftrag der RAF verschiedene Sprengkörper herstellte. Er wurde als einer der Hauptbelastungszeugen ab dem 68., sowie am 98. Verhandlungstag vernommen.

[5] Am 30. Juni 1975 begann das Verfahren gegen Irmgard Möller und Gerhard Müller vor dem Landgericht Hamburg. Die Anklagevorwürfe betrafen u.a. das Geschehen um die versuchte Festnahme des RAF-Mitglieds Margrit Schiller, in deren Verlauf ein Polizeibeamter erschossen, ein weiterer verletzt wurde. Der getötete Polizeibeamter Norbert Schmid war das erste Todesopfer der RAF. Der genaue Tatvorgang, insbesondere die Täterschaft, konnte bis heute nicht aufgeklärt werden. Irmgard Möller wurde mit Urteil vom 16.3.1976 u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von viereinhalb Jahren, Gerhard Müller u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Beihilfe zum Mord, Beteiligung an Bombenanschlägen und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zehn Jahren verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 113 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29). Insbesondere der Freispruch Müllers in Bezug auf die Tötung Schmids sorgte im Stammheimer Verfahren für Aufregung. Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass die umfassende Aussage Müllers durch das Versprechen diverser ungesetzlicher Vorteile unzulässig beeinflusst worden sei (s. hierzu etwa die Beweisanträge in den Anlagen 4 bis 19 zum Protokoll zum 20.7.1976, S. 10643 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 128. Verhandlungstag; s. zu den Vorwürfen der Verteidigung auch Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 305 ff.).

[6] Im zwölfstöckigen Verlagshaus Springer in Hamburg detonierten am 19. Mai 1972 zwei Sprengkörper; drei weitere Bomben, die nicht zündeten, wurden am Abend und am nächsten Tag gefunden. Mehrere Personen wurden verletzt (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977 - Az.: 2 StE 1/74, S. 18 ff.; Peters, RAF, 1991, S. 121). Der Vorgang war ab dem 100. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[7] Klaus Jünschke war Psychologiestudent und ehemaliges Mitglied des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK). In der RAF überfiel er 1971 mit anderen eine Bank in Kaiserslautern. Im Verlaufe des Geschehens wurde der Beamte Herbert Schoner erschossen. Jünschke wurde am 9. Juli 1972 zusammen mit Irmgard Möller in Offenbach verhaftet. Ihm wurde neben den Straftaten im Zusammenhang mit dem Banküberfall auch die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie die Beteiligung an der Herbeiführung der Sprengstoffexplosion in Frankfurt a.M. am 11. Mai 1972 vorgeworfen. Im Hinblick auf die Sprengstoffexplosion wurde er zwar freigesprochen; das LG Kaiserslautern verurteilte ihn am 2.6.1977 aber u.a. wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe (Overath, Drachenzähne, 1991, S. 89 ff.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 257, 761 Anm. 59; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 30 ff.; DER SPIEGEL, Ausgabe 24/1977 vom 6.6.1977, S. 104).

[8] Siegfried Hausner war als Mitglied des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK) im Juni 1971 nach einer Verkehrskontrolle in eine Schießerei mit der Polizei verwickelt, weshalb er bis zum Sommer 1974 er eine Jugendstrafe absaß. Nach seiner Entlassung schloss er sich der RAF an. Er war Teil des „Kommando Holger Meins“, das am 24. April 1975 bei dem Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm zwölf Geiseln nahm, zwei Menschen tötete und die Freilassung von 26 RAF-Gefangenen, darunter der Angeklagten Baader, Ensslin sowie der früheren Angeklagten Meinhof, forderte. Aus weiterhin unbekannten Gründen explodierte kurz vor der Stürmung des Gebäudes durch schwedische Spezialkräfte im Inneren der Botschaft ein Sprengsatz, infolgedessen Hausner schwer verletzt wurde. Trotz dieser Verletzungen wurde Hausner wenige Tage später in die Bundesrepublik ausgeliefert und auf die Intensivstation der JVA Stammheim verlegt. Hausner starb dort Anfang Mai 1975 (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 512. 515 f.; Forsbach, Die 68er und die Medizin, 2011, S. 95 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 766 Anm. 80).

[9] Ilse Stachowiak war ein frühes Mitglied der RAF. Im Sommer 1970 reiste sie im Alter von 16 Jahren mit anderen RAF-Mitgliedern für eine paramilitärische Ausbildung nach Jordanien. Stachowiak wurde zusammen mit Christa Eckes, Helmut Pohl und Eberhard Becker am 4.2.1974 in Hamburg verhaftet. Das Landgericht Hamburg verurteilte sie am 28.9.1976 zu einer Jugendstrafe in Höhe von vier Jahren und sechs Monaten. Am 19.6.1978 wurde sie aus der Haft entlassen (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 116 ff.; Stuberger, Die Akte RAF, 2008, S. 277; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 835).

[10] Am 11. Mai 1972 detonierten im sog. I.G.-Farben-Hochhaus, dem Hauptquartier des 5. US-Corps, in Frankfurt a.M. 3 Sprengkörper. Dabei wurde eine Person getötet und eine andere in nahe Lebensgefahr gebracht; weitere Personen wurden verletzt (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977, 2 StE 1/74, S. 1 ff.). Dieser Vorgang war ab dem 65. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[11] Am Morgen des 9. Mai 1976 wurde Ulrike Meinhof tot in ihrer Zelle aufgefunden. Nach der öffentlichen Bekanntgabe, Ulrike Meinhof habe Selbstmord begangen, entstanden in mehreren deutschen Städten Proteste. In anderen europäischen Ländern wurden deutsche Einrichtungen angegriffen. Die übrigen RAF-Insass/innen sowie weitere Sympathisant/innen und Unterstützer/innen gingen von einem Mord aus. Meinhofs Tod wurde damit zu einem auch medial breit diskutierten Ereignis. Auf Druck u.a. von Meinhofs Angehörigen wurde schließlich eine Nachobduktion durchgeführt, die jedoch zu keinem eindeutigen Ergebnis führte. Außerdem nahm sich eine internationale Untersuchungskommission des Falls an. Sie bestand überwiegend aus Jurist/innen, Ärzt/innen und Journalist/innen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Dänemark; unter den Mitgliedern befanden sich auch bekannte Persönlichkeiten wie etwa Simone de Beauvoir. In ihrem Bericht aus dem Jahr 1978 kam die Kommission zu dem Schluss, dass ein Selbstmord Meinhofs nicht erwiesen sei. Gegenteilige Beweise erbrachte die Kommission allerdings ebenfalls nicht. Die genauen Umstände von Meinhofs Tod blieben weiterhin umstritten (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 394 ff.; Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 268 ff.; März, Linker Protest nach dem Deutschen Herbst, 2012, S. 159 ff.; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 398 ff.; zum Bericht der Kommission s. Internationale Untersuchungskommission zum Tode Ulrike Meinhofs, Der Tod Ulrike Meinhofs: Bericht der Internationalen Untersuchungskommission, 1979).

[12] Rechtsanwältin Marieluise Becker war zu Beginn der Hauptverhandlung der Anklagten Ensslin beigeordnet. Die Bestellung wurde mit Verfügung vom 17.10.1975 wieder aufgebhoben (s. S. 3146 des Protokolls der Hauptverhandlung, 41. VHT), wobei die Gründe für die Entpflichtung nicht aus dem Protokoll hervorgehen.

[13] Ingeborg Barz war ein frühes Mitglied der RAF. Zuvor war sie Teil der Hilfsorganisation Schwarze Hilfe und bildete u.a. gemeinsam mit Angela Luther, Inge Viett, Verena Becker und Waltraud Siepert eine feministische Gruppe namens Die schwarze Braut. Über Barz’ Position in der RAF ist nicht viel bekannt. 1971 soll sie beim Überfall auf eine Bank in Kaiserslautern mitgewirkt haben. Von der Verhaftungswelle 1972 war Barz nicht betroffen, gilt aber wie Angela Luther seitdem als verschwunden. Über ihren Verbleib existieren nur Spekulationen. Unter anderem stand der Verdacht im Raum, dass sie als Spitzel des Verfassungsschutzes enttarnt und von Baader erschossen worden sei (Kraushaar, Verena Becker und der Verfassungsschutz, 2010, S. 31 ff., 37 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S 299, 820).

[14] Gemeint ist hier das bei der Festnahme von Ulrike Meinhof gefundene und offenbar von Gudrun Ensslin stammende Schreiben, in welchem sich Schilderungen konkreter Geschehnisse im Zusammenhang mit ihrer Verhaftung befanden (sog. Ensslin-Kassiber; das Schreiben wird am 59. Verhandlungstag thematisiert, S. 5396 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung; Auszüge finden sich im Urteil auf S. 152). Da es nur wenige Tage nach der Verhaftung Ensslins außerhalb der Haftanstalt aufgefunden wurde, wurde schnell der Verdacht geäußert, Rechtsanwalt Schily habe diesen Kassiber im Rahmen eines Anwaltsbesuches illegal aus der Haftanstalt herausgeschmuggelt. Sichere Beweise hierfür gab es allerdings nicht (s. hierzu Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 65 ff.).

[15] Der Soziologiestudent Wilfried Böse war eine der Führungspersonen der Revolutionären Zellen(RZ). Dabei handelte es sich um eine 1973 von ihm mitgegründete terroristische Gruppe, die international vernetzt war. Teile der RZ waren an dem Attentat auf die OPEC-Konferenz 1975 in Wien sowie an der Entführung eines Flugzeugs und der anschließenden Geiselnahme in Entebbe im Jahr 1976 beteiligt. Obwohl die RZ sich als alternative Stadtguerilla-Formation zur RAF definierten, gab es dennoch Verbindungen zwischen ihnen. Böse selbst hatte die RAF wohl zumindest für eine gewisse Zeit mit verschiedenen logistischen Tätigkeiten unterstützt (Kraushaar, in Ders. [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 583, 592 ff.; Wörle, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 257, 258 ff., 265 f.).

[16] Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele war zu Beginn des Verfahrens als gemeinschaftlicher Verteidiger allen Angeklagten beigeordnet. Nach Inkrafttreten des Verbots der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) am 1.1.1975 war eine Neusortierung der Mandatsverhältnisse erforderlich geworden, infolge derer er dem Angeklagten Baader beigeordnet wurde. Mit Verfügung vom 3.2.1975 wurde zunächst seine Beiordnung aufgehoben, da „nicht ausschließen“ sei, daß er „von den Bestimmungen über den Ausschluß von Verteidigern im Strafverfahren betroffen werden“ könne (so der Vorsitzende Dr. Prinzing am 3. Verhandlungstag, S. 235 f.) Schließlich erging am 13.5.1975 auf Grundlage des ebenfalls neu eingeführten § 138a StPO die Entscheidung des Ausschlusses wegen des Verdachts der Tatbeteiligung (s. zur Chronologie der Bestellungen und Verfügungen die Ausführungen des Vorsitzenden Dr. Prinzing am 3. Verhandlungstag, S. 229 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung; s. auch die angehängte Chronik in Dreßen [Hrsg.], Politische Prozesse ohne Verteidigung?, 1976, S. 104 f.; Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 165 f.). Auch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung der kriminellen Vereinigung RAF wurde gegen ihn eingeleitet. Mit Urteil vom 24.3.1982 wurde er schließlich vom LG Berlin zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt (Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 52; s. auch das Interview mit Ströbele, in Diewald-Kerkmann/Holtey [Hrsg.], Zwischen den Fronten, 2013, S. 121 ff.).

[17] Das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) war eine 1970 gegründete Gruppe von Patient/innen des Heidelberger Arztes Wolfgang Huber. Das SPK übte Kritik an zeitgenössischen Psychiatrieformen und einer als krankmachend empfundenen kapitalistischen Gesellschaft. Dagegen setzte die Gruppe auf antiautoritäre Therapien und Forderungen nach einer revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft. Im Sommer 1971 wurden acht Mitglieder des SPK unter dem Verdacht der RAF-Unterstützung und der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verhaftet. Ab November 1972 folgten Prozesse u.a. wegen Sprengstoffherstellung und Urkundenfälschung. Besondere Bekanntheit erlangte das SPK darüber hinaus durch den Übertritt einiger seiner Mitglieder in die Reihen der RAF (Brink, in Weinhauer/Requate/Haupt [Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 134, 137 f.; Forsbach, Die 68er und die Medizin, 2011, S. 90 ff.).

[18] Rechtsanwalt Dr. Klaus Croissant war, wie Rechtsanwalt Ströbele, zunächst allen Beschuldigten gemeinschaftlich beigeordnet, bevor er nach Inkrafttreten des Verbots der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) zunächst nur noch Andreas Baader beigeordnet und mit Beschluss vom 22.4.1975 schließlich ganz von der Mitwirkung im Verfahren ausgeschlossen wurde (s. die Nachweise in Fn. 16). Auch ihm wurde die Unterstützung der kriminellen Vereinigung RAF vorgeworfen, u.a. durch die Beteiligung am sog. INFO, einem Informations- und Kommunikationssystem, welches die Verteidigung entwickelt hatte um den Austausch von Schreiben, Rundbriefen, Zeitungsartikeln unter den inhaftierten RAF-Mitgliedern zu ermöglichen. Er wurde schließlich am 16.2.1979 vom LG Stuttgart zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zweieinhalb Jahren verurteilt, zudem wurde gegen ihn ein vierjähriges Berufsverbot verhängt (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 531 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 52). Rechtsanwalt Jörg Lang wurde im Juli 1972 wegen des Verdachts der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung verhaftet, nach vier Monaten in Untersuchungshaft jedoch wieder entlassen. Bevor die Hauptverhandlung gegen ihn eröffnet werden konnte, tauchte er im Jahr 1974 unter (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 71 f.; s. auch die dort in Kapitel V En. 4, S. 569 ff. abgedruckte Presseerklärung).

[19] Irmgard Möller schloss sich im Sommer 1971 der RAF an. Zuvor lebte sie in der Münchner Kommune Wacker Einstein, hatte 1969 als Teil der „Rechtshilfe der APO“ zum „Knastcamp“ aufgerufen und war Mitglied der Tupamaros München. Am 8. Juli 1972 wurde sie verhaftet, am 30. Juni 1975 begann das Verfahren gegen sie und Gerhard Müller vor dem Landgericht Hamburg. Irmgard Möller wurde mit Urteil vom 16.3.1976 u.a. wegen Urkundenfälschung und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von viereinhalb Jahren verurteilt. 1976 erfolgte ihre Verlegung zu den Angeklagten Baader, Ensslin und Raspe nach Stammheim. Dort überlebte sie als Einzige die sogenannte Todesnacht von Stammheim (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 68; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 111 ff.; Sturm, in Weinhauer/Requate/Haupt [Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 99, 100 f.).

[20] Das INFO war ein Informations- und Kommunikationssystem, das einen Austausch von Rundbriefen, Zeitungsartikeln etc. unter den inhaftierten RAF-Mitgliedern ermöglichte. Über die Verteidigerpost, die im Vergleich zu anderer Post vollzugsrechtlich privilegiert ist (§§ 97 Abs. 1 Nr. 1, 148 StPO), konnte Material ohne vorherige Zensur ausgetauscht werden. Den Rechtsanwälten Ströbele, Groenewold und Dr. Croissant wurde später vorgeworfen, durch die Beteiligung am „Info-System“ dazu beigetragen zu haben, dass die inhaftierten RAF-Mitglieder auch aus der Haft heraus ihre kriminelle Vereinigung hätten fortführen können. Dabei ging es nicht um das INFO an sich, sondern um die Weiterleitung ganz bestimmter Unterlagen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 521 ff.; s. auch die Interviews mit K. Groenewold und H.-C. Ströbele, in Diewald-Kerkmann/Holtey [Hrsg.], Zwischen den Fronten, 2013, S. 49, 58 f., 70 f. sowie S. 121, 132 f.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 52).

[21] Rechtsanwalt Kurt Groenewold war neben den Anwälten Dr. Croissant und Ströbele der dritte Verteidiger, der zunächst allen Beschuldigten gemeinschaftlich und später Andreas Baader beigeordnet wurde, bevor er noch vor Beginn der Hauptverhandlung wegen des Verdachts der Tatbeteiligung von der weiteren Mitwirkung im Verfahren ausgeschlossen wurde (s. die Nachweise in Fn. 16). Mit Urteil vom 10.7.1978 wurde er vom OLG Hamburg zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007. S. 522). In einem Ehrengerichtsverfahren wurde zudem ein fünfjähriges Teilberufsverbot nur für Strafsachen gegen ihn ausgesprochen (Interview mit Groenewold, in Diewald-Kerkmann/Holtey [Hrsg.], Zwischen den Fronten, 2013, S. 49, 70 f.). Diese Möglichkeit eines Teilberufsverbots für bis zu fünf Jahre war erst mit Gesetz vom 20.8.1976 (BGBl. I, S. 2181) in § 114 Abs. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) aufgenommen worden.

[22] § 129 StGB enthält den Straftatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen. Strafbar ist gem. § 129 Abs. 1 StPO nicht nur die Gründung und Beteiligung als Mitglied (Satz 1), sondern auch die Unterstützung, sowie das Werben um Mitglieder oder Unterstüter/innen (Satz 2).

[23] Die inhaftierten RAF-Mitglieder bezeichneten ihre Haftbedingungen als „Isolationsfolter“ (s. zu den Haftbedingungen Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97 ff., insbesondere S. 103 ff. zum Vorwurf der Isolationsfolter; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 270 ff.). Um ihre Forderungen, u.a. die Zusammenlegung aller RAF-Häftlinge, durchsetzen zu können, traten sie ab 1973 mehrfach in Hungerstreik. Der dritte und längste Hungerstreik dauerte von September 1974 bis Februar 1975. RAF-Mitglied und ursprünglich ebenfalls Beschuldigter im Stammheimer Verfahren Holger Meins überlebte ihn nicht: Im November 1974 starb er an den Folgen der Mangelernährung (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 58).

[24] Am 24. April 1975 überfiel das RAF-Kommando „Holger Meins“ die deutsche Botschaft in Stockholm und forderte die Freilassung von 26 inhaftierten RAF-Mitgliedern, darunter von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Dem Kommando gehörten Karl-Heinz Dellwo, Siegfried Hausner, Hanna Krabbe, Bernhard Rössner, Lutz Taufer und Ulrich Wessel an. Zur Durchsetzung ihrer Forderungen nahmen sie zwölf Geiseln, von denen sie zwei erschossen. Anders als zwei Monate zuvor bei der Lorenz-Entführung durch die Bewegung 2. Juni lehnte die Bundesregierung nun Verhandlungen mit den Geiselnehmer/innen ab. Ihr Ende fand die Geiselnahme durch eine nicht geklärte Sprengstoffexplosion im Inneren des Botschaftsgebäudes, die sich noch vor dem Zugriff schwedischer Sicherheitskräfte ereignete. Bei der Explosion wurde Ulrich Wessel tödlich verletzt. Siegfried Hausner erlag seinen Verletzungen Anfang Mai 1975 in der JVA Stuttgart-Stammheim. Die übrigen vier Geiselnehmer/innen wurden verhaftet und am 20. Juli 1977 zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt (Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 361 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 69).

[25] Rechtsanwalt Siegfried Haag, der ursprünglich Andreas Baader als Pflichtverteidiger beigeordnet war, wurde wenige Tage vor Beginn der Hauptverhandlung vorläufig festgenommen, seine Kanzlei- und Wohnräume wurden durchsucht. Der beim Bundesgerichtshof beantragte Haftbefehl wurde zunächst abgelehnt. Als er im Beschwerdeverfahren schließlich erteilt wurde, war Haag bereits untergetaucht und hatte sich der RAF angeschlossen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 212 f.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 69; s. auch die Presseerklärung Haags in Anlage 1 zum Protokoll vom 21.5.1975, S. 12 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag). Zusammen mit Roland Mayer und weiteren Unterstützer/innen versuchte er in der sogenannten Haag-Mayer-Bande, die RAF neu zu formieren. Mit ihrer Festnahme fand die Gruppe im November 1976 jedoch ein jähes Ende. Die bei der Verhaftung beschlagnahmten Haag-Mayer-Papiere enthielten verschlüsselte Anschlagspläne. Die Entschlüsselung der Papiere gelang jedoch erst nach und nach mit der Umsetzung der Pläne durch die zweite RAF-Generation (Kraushaar, Verena Becker und der Verfassungsschutz, 2010, S. 68 ff.; Kraushaar, Die blinden Flecken der RAF, 2017, S. 185 f., 193 ff., 205 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 371 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion. 14.5.1970 bis 20.4.1998, 3. Aufl. 2011, S. 60 f.).

[26] Holger Meins war ursprünglich Mitangeschuldigter im Stammheim-Prozess, starb aber noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) am 9. November 1974 in Untersuchungshaft in Wittlich an den Folgen des dritten Hungerstreiks. Da der Senat ab Erhebung der öffentlichen Klage für Entscheidungen über die Haftbedingungen zuständig war (§ 126 Abs. 2 StPO), machten die Angeklagten u.a. den Senat, insbesondere aber den Vorsitzenden Dr. Prinzing verantwortlich für seinen Tod (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 117 ff.).

[27] Werden Fragen der Verteidigung oder der Bundesanwaltschaft als unzulässig beanstandet, kann der/die Vorsitzende sie entweder selbst zurückweisen (§ 241 Abs. 2 StPO), oder die Entscheidung des Gerichts einholen (§ 242 StPO).

[28] Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und mit dem Ziel, die Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien einzudämmen, führten die USA in Vietnam von 1964 bis 1973 einen Luft- und Bodenkrieg gegen die südvietnamesische Befreiungsfront und nordvietnamesische Truppen. Trotz wachsender Proteste in der amerikanischen Bevölkerung und entgegen den Einschätzungen und Warnungen hochrangiger Berater, entschieden sich mehrere US-Präsidenten für die Fortsetzung der Kämpfe. Während dieses Krieges griff das US-amerikanische Militär auf Methoden zurück, die darauf ausgerichtet waren, möglichst viele Gegner/innen auszuschalten und deren Strukturen zu zerschlagen (Fischer, Die USA im Vietnamkrieg, 2009, S. 104 ff.; Frey, Geschichte des Vietnamkriegs, 2016, S. 83 ff.; 126 ff.; 144 ff.; 187 ff.; Greiner, Krieg ohne Fronten, 2007, S. 56 ff.). Während des sogenannten „Weihnachtsbombardements“ vom 18. bis zum 29. Dezember 1972 führten die USA massive Luftangriffe gegen Nordvietnam durch. Die Zahl der abgeworfenen Bomben überstieg bei Weitem alle vorherigen Angriffe. Ausgelöst wurde das Bombardement durch das Scheitern von Verhandlungen über das Ende des Vietnamkriegs, die die USA mit Nord- und Südvietnam geführt hatten und den Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten, Henry Kissinger, bereits öffentlich von einem nahen Frieden sprechen ließen (Frey, Geschichte des Vietnamkriegs, 2016, S. 210 f.; Greiner, Krieg ohne Fronten, 2007, S. 72 f.).

[29] Die 20-jährige Petra Schelm starb am 15. Juli 1971 in Hamburg. Sie entkam in ihrem Auto zunächst einer Polizeisperre und flüchtete schließlich, nachdem sie durch ein weiteres Polizeifahrzeug gestoppt werden konnte, mit ihrem Begleiter Werner Hoppe zu Fuß vor der Polizei. Bei einem Schusswechsel mit zwei Polizeibeamten wurde sie durch einen Kopfschuss getötet. Sie war das erste Todesopfer aus den Reihen der RAF. Ihr Tod löste nach Angaben von Mitgliedern eine Radikalisierung der Gruppe aus (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 312 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 64).

[30] Das „Kommando Petra Schelm“ bekannte sich in einer Erklärung vom 14. Mai 1972 zu dem Sprengstoffanschlag auf das I.G.-Farben-Hochhaus in Frankfurt a.M. am 11. Mai 1972. Die Erklärung ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 145).

[31] Am 12. Mai 1972 kam es zu zwei Sprengstoffanschlägen in München und Augsburg. In Augsburg detonierten drei Sprengkörper in der Polizeidirektion. Mehrere Personen wurden hierbei verletzt (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977 - Az.: 2 StE 1/74, S. 6 ff.). In München explodierte auf dem Parkplatz des Bayrischen Landeskriminalamts eine mit Sprengstoff gefüllte Gasflasche. Auch hierbei wurden mehrere Personen verletzt, es entstand zudem ein erheblicher Sachschaden (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977 - Az.: 2 StE 1/74, S. 9 ff.). Die Vorgänge waren ab dem 85. Verhandlungstag (München) bzw. 87. Verhandlungstag (Augsburg) Gegenstand der Beweisaufnahme.

[32] Das „Kommando Thomas Weisbecker“ bekannte sich in einer Erklärung vom 16 Mai 1972 zu den Sprengstoffanschlägen in Augsburg und München am 12. Mai 1972. Sie ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 145 f. Thomas Weisbecker starb am 2. März 1972 in Augsburg. Erst im Juli 1971 war er mit Angela Luther von den Tupamaros West-Berlin zur RAF übergetreten. Weisbecker wurde bereits seit dem 14. Februar 1972 observiert. Die genauen Umstände von Weisbeckers Tod wurden nie geklärt. Bekannt ist nur, dass Weisbecker, der vermutlich bewaffnet war, am Nachmittag des 2. März von zwei Polizeibeamten verfolgt und dann von einem der beiden erschossen wurde. Weisbecker gehörte mit Petra Schelm und Georg von Rauch zu den ersten Opfern der RAF und galt fortan als Ikone der RAF (s. die Beiträge von König und Wunschik in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 430, 459 f., 464 ff., bzw. S. 531, 546 ff.).

[33] Am 15.5.1972 fand in Karlsruhe ein Anschlag auf den damaligen Richter am Bundesgerichtshof Buddenberg statt, dessen Auto mit einer Sprengvorrichtung versehen wurde. Bei der Explosion wurde seine Frau schwer verletzt. Dieser Vorgang war am 96. und 97. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme

[34] RAF-Mitglied Manfred Grashof wurde bei seiner Festnahme im März 1972 im Rahmen eines Schusswechsels, bei dem er einen Polizeibeamten erschoss, selbst schwer verletzt (Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 31 f.). Die RAF beschuldigte den u.a. für Haftfragen zuständigen Bundesrichter Buddenberg, die Verlegung von Grashof in eine Zelle zu einem Zeitpunkt veranlasst habe, als der Transport und die Infektionsgefahr für ihn noch lebensgefährlich gewesen seien. Damit habe Buddenberg „den Mordversuch an Grashof, der den Bullen nicht gelungen ist, an dem wehrlosen Grashof wiederholt“. Die hierzu veröffentlichte Erklärung des „Kommando Manfred Grashof“ vom 20.5.1972 ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 146. Buddenberg, der bereits seit 1937 in die NSDAP eingetreten war, war im Jahr 1962 zudem an den Geschehnissen um die sog. SPIEGEL-Affäre beteiligt, indem er u.a. den Haftbefehl gegen Rudolf Augstein sowie diverse Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse unterzeichnete (DER SPIEGEL, Ausgabe 43/2002 vom 20. Oktober 2002, S. 62, 80).

[35] Am 24. Mai 1972 explodierten in Heidelberg auf dem Gelände des Hauptquartiers der 7. US-Armee und der US-Landstreitkräfte in Europa (USAREUR) zwei zuvor dorthin verbrachte Kraftfahrzeuge. Hierbei kamen drei amerikanische Soldaten ums Leben, weitere Personen gerieten in Lebensgefahr oder wurden verletzt (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977 - Az.: 2 StE 1/74, S. 28 ff.). Dieser Vorgang war ab dem 74. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[36] Angela Luther war Teil der Tupamaros West-Berlin (TW), die seit Ende 1969 in Berlin Anschläge verübte und Anfang 1972 in der Bewegung 2. Juni aufging. Im Sommer 1971 wechselte Angela Luther gemeinsam mit Thomas Weisbecker zur RAF. Dort soll sie auch an dem Bombenanschlag auf das Hauptquartier der 7. US-Armee und der US-Landstreitkräfte in Europa (USAREUR) am 24. Mai 1972 beteiligt gewesen sein. Angeblich plante Luther nach dem Tod Weisbeckers, zur Bewegung 2. Juni zurückzukehren. Im Laufe des Jahres 1972 verschwand sie jedoch unter weiterhin ungeklärten Umständen (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 246; König, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 430, 459 f.; Kraushaar, Verena Becker und der Verfassungsschutz, 2010, S. 31ff.; Wunschik, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 531, 547).

[37] § 56 StPO lautet: „Die Tatsache, auf die der Zeuge die Verweigerung des Zeugnisses in den Fällen der §§ 52, 53 und 55 stützt, ist auf Verlangen glaubhaft zu machen. Es genügt die eidliche Versicherung des Zeugen.“

[38] Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, das Gericht sie für hinreichend wahrscheinlich hält. Sie erfordert damit eine geringere Form der Überzeugung als der sog. Vollbeweis (Maier, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, § 56 Rn. 9).

[39] Die Anforderungen an eine Glaubhaftmachung sind gesetzlich nicht geregelt. Der BGH führte in einer Entscheidung aus dem Jahr 1972 sogar aus, es bleibe „dem Gericht unbenommen [...], der einfachen Erklärung eines Zeugen über Tatsachen zu glauben, die sein Zeugnisverweigerungsrecht begründen und demgemäß auf eine besondere Glaubhaftmachung zu verzichten“ (BGH, Urt. v. 30.5.1972 - 4 StR 180/72, NJW 1972, S. 1334).

[40] Sachleitungsbezogene Anordnungen des/der Vorsitzenden können als unzulässig beanstandet werden (§ 238 Abs. 2 StPO). Über die Beanstandung entscheidet sodann das Gericht, in diesem Fall der Senat in voller Besetzung.

[41] Nach § 53 Abs. 1 StPO steht nur den zur Verschwiegenheit verpflichteten Angehörigen bestimmter Berufsgruppen ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, nicht jedoch der jeweiligen Person, deren Geheimnis hierdurch geschützt werden soll.

[42] § 53 StPO beinhaltet ein Zeugnisverweigerungsrecht für Angehörige bestimmter Berufsgruppen, darunter in Abs. 1 Nr. 3 auch für Rechtsanwält/innen bezüglich aller Umstände, die ihnen in ihrer beruflichen Eigenschaft anvertraut worden sind.

[43] In dieser Entscheidung erklärte das Bundesverfassungsgericht die Beschlagnahme einer ärztlichen Karteikarte bei dem Praxisnachfolger eines zuvor verstorbenen Arztes für verfassungswidrig. Das Beschlagnahmeverbot aus § 97 Abs. 1 StPO ergänzt das Zeugnisverweigerungsrecht bestimmter Berufsgeheimnisträger/innen aus § 53 StPO. Nach § 97 Abs. 2 StPO soll das Beschlagnahmeverbot allerdings nur für die im Gewahrsam der zeugnisverweigerungsberechtigten Person befindlichen Schriftstücke gelten. Diese Ausnahme sei, so das BVerfG, verfassungskonform auszulegen. Das Beschlagnahmeverbot diene dem Schutz der Privatssphäre der Patient/innen. Ein einleuchtender Grund, warum der Schutz mit dem Gewahrsamswechsel an den/die Praxisnachfolger/in enden solle, sei nicht ersichtlich (BVerfG, Beschl. v. 19.7.1972 - Az.: 2 BvL 7/71, NJW 1972, S. 2214 f.).

[44] Diese Thematik ist bis heute umstritten. Das OLG Koblenz lehnte eine solche Ausdehnung auf den Mandanten eines selbst angeklagten Verteidigers im Jahr 2007 ab; der Zweck des Vertrauensschutzes treffe auf diese Konstellation gerade nicht zu. Was die eigenen Belange des Mandanten betreffe, so sei dieser hinreichend durch § 55 StPO geschützt (OLG Koblenz, Beschl. v. 10.12.2007 - Az.: 2 Ws 618, 620/07, NStZ-RR 2008, S. 283, 284; kritisch dazu aber Beulke, in Weßlau/Wohlers [Hrsg.], Festschrift für Gerhard Fezer zum 70. Geburtstag, 2008, S. 3; Bosbach, Ungeschriebene strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte im Bereich der Rechtsberatung, 2008, S. 20 ff.; Schöch, in Fahl/Müller/Satzger/Swoboda [Hrsg.], Festschrift für Werner Beulke zum 70. Geburtstag, 2015, S. 1039). Das BVerfG bestätigte die Entscheidung des OLG Koblenz und führte u.a. aus: „Im Einzelfall und unter strengen Voraussetzungen können sich Zeugnisverweigerungsrechte unmittelbar aus der Verfassung ergeben [...]. Die allgemeine Mutmaßung des Beschwerdeführers, ein Mandant würde sich gegenüber seinem Verteidiger nicht mehr rückhaltlos offenbaren, wenn er damit rechnen müsste, in einem späteren Strafverfahren gegen den Verteidiger als Zeuge aussagen zu müssen, ist für die Begründung eines verfassungsrechtlich gebotenen Zeugnisverweigerungsrechts nicht zielführend. Abgesehen davon, dass diese Mutmaßung eher fern liegt, da ein Mandant in aller Regel nicht damit rechnen wird und muss, dass sein Verteidiger sich der Begehung von Straftaten verdächtig macht, ist hier nicht erkennbar und dargelegt, dass der Beschwerdeführer zu Umständen vernommen werden soll, die er seinem Verteidiger offenbart hat“ (BVerfG, Beschl. v. 28.01.2008 - Az.: 2 BvR 112/08, HRRS 2008 Nr. 653; kritisch dazu aber Bosbach, NStZ 2009, S. 177 ff.). Anders als hier war das Verfahren gegen den zur Aussage verpflichteten Mandanten aber bereits rechtskräftig abgeschlossen.

[45] Der CDU-Politiker und Spitzenkandidat bei der Wahl um das Berliner Abgeordnetenhaus Peter Lorenz wurde am 27. Februar 1975 von der Bewegung 2. Juni entführt und in einem „Volksgefängnis“ in Berlin-Kreuzberg festgehalten. Im Austausch gegen Lorenz wurde die Freilassung von sechs Gefangenen gefordert: Verena Becker, Rolf Heißler, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Horst Mahler, Rolf Pohle und Ingrid Siepmann. Die Bundesregierung unter Kanzler Schmidt ging auf die Forderungen ein: Bis auf Horst Mahler, der das Angebot ablehnte, bestiegen am 3. März 1975 die anderen fünf Inhaftierten mit dem ehemaligen West-Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz als Vermittler eine Maschine der Lufthansa nach Aden im Jemen. Nach der erfolgreichen Ankunft wurde Lorenz am 4. März freigelassen (Dahlke, in Hürter/Rusconi [Hrsg.], Die bleiernen Jahre, 2010, S. 31, 36 ff.; Korndörfer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 37, 250 ff.). Die Bewegung 2. Juni benannte sich nach dem Todestag des Studenten Benno Ohnesorg, der am 2.6.1967 bei einer Demonstration der Studentenbewegung gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien durch einen Polizisten erschossen wurde (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 21 f.).

[46] Die Schaffung einer speziellen gesetzlichen Kronzeugenregelung wurde zum damaligen Zeitpunkt zwar diskutiert, erfolgte aber zunächst nicht. Während bereits mit Gesetz vom 28.7.1981 (BGBl. I, S. 681) eine Kronzeugenregelung für Betäubungsmitteldelikte geschaffen wurde (§ 31 BtMG), geschah dies erst 1989 auch für terroristische Straftaten (BGBl. I, S. 1059, S. 1061). Diese Regelung trat jedoch zum 1.12.1999 wieder außer Kraft. Erst seit dem 1.9.2009 gibt es im deutschen Strafrecht mit § 46b StGB eine allgemeine Kronzeugenregelung (eingeführt durch das 43. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29.7.2009, BGBl. I, S. 2288).

[47] S. dazu bereits Fn. 5.

[48] Ausnahmsweise kann sich das Recht aus § 55 StPO, die Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern, zu einem umfassenden Auskunftsverweigerungsrecht verdichten, wenn der gesamte Inhalt der Aussage die Gefahr einer Strafverfolgung begründen würde; dies kann insbesondere bei Beteiligten an den angeklagten Straftaten (bzw. bei an der Beteiligung Verdächtigen) der Fall sein (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 55 Rn. 2; BGH, Beschl. v. 11.6.2002 - Az.: 2 StE 7/01 - 6 StB 12/02, NStZ 2002, S. 607; s. auch bereits BGH, Urt. v. 15.1.1957 - Az.: 5 StR 390/56, BGHSt 10, S. 104, 105).

[49] Da die Frist zur Einlegung einer Revision (eine Woche ab Verkündung des Urteils, § 341 Abs. 1 StPO) für die Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war und § 358 Abs. 2 StPO ein Verbot der Schlechterstellung im Rahmen der Revision u.a. für den Fall enthält, dass nur der/die Angeklagte Revision eingelegt hat, hatte der Zeuge Müller eine Verchlechterung seiner Situation, etwa durch Erhöhung des Strafmaßes, zu diesem Zeitpunkt kaum noch zu befürchten. Weitere Rechtsmittel stehen gegen ein Urteil des Landgerichts nicht zur Verfügung; ein erneutes Verfahren wegen der abgeurteilten Taten ist nach Art. 103 Abs. 3 GG grundsätzlich ausgeschlossen. Die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines Verfahrens zuungunsten des/der Verurteilten besteht nur in eng begrenzten Ausnahmesituationen (§ 362 StPO).

[50] S. bereits Fn. 28.

[51] Die Rote Hilfe e.V. versteht sich als Solidaritätsorganisation für politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum (Selbstbeschreibung unter <https://www.rote-hilfe.de/ueber-uns>, zuletzt abgerufen am: 18..10.2021). Sie ging 1970 aus einer für APO-Aktivisten gegründeten Rechtshilfe hervor und engagierte sich in den folgenden Jahren verstärkt und in vielfältiger Weise für die Belange inhaftierter Mitglieder linksradikaler Gewaltorganisationen wie der RAF und der Bewegung 2. Juni (März, Linker Protest nach dem Deutschen Herbst, 2012, S. 139 ff.).


[a] Handschriftlich eingefügt: uns

[b] Maschinell ersetzt: sein durch sich

[c] Maschinell durchgestrichen: nun

[d] Maschinell eingefügt: das Plazet oder

[e] Maschinell eingefügt: -RAF

[f] Maschinell ersetzt: in durch auf

[g] Handschriftlich ersetzt: gegeben durch gewesen

[h] Maschinell ersetzt: über die durch wurde ich

[i] Maschinell ersetzt: einnahm durch einer

[j] Maschinell ersetzt: auf durch auch

[k] Maschinell durchgestrichen: Bitte

[l] Maschinell eingefügt: der

[m] Maschinell ergänzt: Maschinengewehr-ähnliche

[n] Maschinell durchgestrichen: Es

[o] Handschriftlich ersetzt: Text unleserlich durch Jerger

[p] Handschriftlich ersetzt: anzugrenzen durch einzugrenzen

[q] Handschriftlich ergänzt: ausgesucht

[r] Handschriftlich eingefügt: was

[s] Handschriftlich durchgestrichen: Voraussetzungen

[t] Maschinell eingefügt: ihn

[u] Handschriftlich durchgestrichen: könnten

[v] Handschriftlich eingefügt: etwa

[w] Handschriftlich ersetzt: er durch ja

[x] Handschriftlich durchgestrichen: setzten

[y] Handschriftlich ergänzt: hatte

[z] Handschriftlich eingefügt: sehr

[aa] Maschinell ersetzt: will durch würde

[bb] Handschriftlich durchgestrichen: sich

[cc] Handschriftlich ersetzt: was durch das

[dd] Handschriftlich ersetzt: und durch uns

[ee] Maschinell durchgestrichen: Geheime

[ff] Maschinell eingefügt: die

[gg] Maschinell durchgestrichen: dann

[hh] Maschinell eingefügt: auf

[ii] Maschinell eingefügt: haben

[jj] Maschinell eingefügt: das

[kk] Maschinell eingefügt: so

[ll] Maschinell durchgestrichen: bevor

[mm] Maschinell eingefügt: wurde

[nn] Maschinell eingefügt: mehr

[oo] Maschinell eingefügt: für

[pp] Maschinell durchgestrichen: aussagen

[qq] Maschinell durchgestrichen: RA Schi.: Ja können Sie’s vielleicht ein bißchen näher sagen

[rr] Handschriftlich durchgestrichen: einen

[ss] Maschinell eingefügt: noch

[tt] Maschinell durchgestrichen: auch

[uu] Maschinell durchgestrichen: zu unterb