119. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Donnerstag, den 10. Juni 1976 um 9.03 Uhr



[10044] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Donnerstag, den 10. Juni 1976 um 9.03 Uhr

(119. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte sind anwesend:

JOS Janetzko

JAss. Clemens

Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]

Als deren Verteidiger sind erschienen:

Rechtsanwälte Künzel, Dr. Holoch (als amtlich bestellter Vertreter von Rechtsanwalt Schwarz), Schlaegel und Grigat.

Als Zeugen sind erschienen:

KHK Ernst Pöter

KHK Georg Vogel

Als Sachverständiger ist erschienen:

Dr. Louis-Ferdinand Werner

Vors.:

Wir können die Sitzung fortsetzen.

Die Verteidigung ist gewährleistet.

Entschuldigungen ausgebliebener Anwälte[2] liegen nicht vor.

Zunächst wieder ein kurzer Hinweis. Das Vernehmungsprotokoll betreffend Gerhard Müller[3] liegt inzwischen dem Senat vor. Es wird im Augenblick abgelichtet für alle Beteiligten. Wir können also heute früh die Herren Verteidiger noch mit diesem Material versorgen. Unter diesen Umständen möchte ich jetzt den Termin festlegen, endgültig festlegen für die Vernehmung, und folge der Anregung von Herrn Rechtsanwalt Schnabel. Es beginnt am Dienstag, 29.6. und an diesem Tag bleibt dann der übliche Prozeßtagerhythmus eingehalten, in dieser Woche; Dienstag, 29.6., Mittwoch, 30.6. und evtl. Donnerstag, 1.7., Vernehmungstermine für den Zeugen Müller.

Ich wollte an sich jetzt fragen, damit Herr Rechtsanwalt Schily unter Umständen einen Antrag stellen kann, nach den Namen der Vernehmungsbeamten, die am 27. oder 17.11.75 Frau Sorenson ge- [10045] hört haben.

Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.

BA Dr. Wu[nder]:

Es ist so, Herr Vorsitzender, daß dieses Blatt in der Tat keine Unterschrift der Beamten trägt, sondern lediglich den Namenszug von Frau Sorenson. Das Formblatt ist aber, nach meinen Feststellungen, von Herrn Radzey im Benehmen mit Herrn Freter ausgefüllt worden.

Vors.:

Danke.

Rechtsanwalt Schnabel erscheint um 9.05 Uhr im Sitzungssaal.

Vors.:

Herr Bietz, ist Ihnen zufällig bekannt, ob die Herren Verteidiger Schily, Dr. Heldmann usw. anwesend sind?

Gerichtswachtmeister:

Das Zimmer ist noch geschlossen.

Vors.:

Ist noch geschlossen. --- Es geht mir darum, daß ich einen Antrag möglichst jetzt rechtzeitig bekomme, weil wir am nächsten Mittwoch dafür Gelegenheit hätten, die Zeugen dann zu hören. Deswegen ist etwas eiliger, die Geschichte.

Wollen wir mal sehen, ob die Herrn heute noch beabsichtigen, am Prozeß teilzunehmen.

Wir haben heute früh Herrn Dr. Werner, als Sachverständigen, Herrn Pöter als Zeugen, genauso Herrn Vogel, die beiden Herren Hauptkommissare.

Die Zeugen KHK Pöter und KHK Vogel werden gemäß § 57 StPO[4] belehrt.

Der Sachverständige Dr. Werner wird gemäß §§ 72, 57 und 79 StPO[5] belehrt.

Die Zeugen KHK Pöter und KHK Vogel sowie der Sachverständige Dr. Werner erklären sich mit der Aufnahme ihrer Aussage auf das Gerichtstonband einverstanden.[6]

Die Zeugen KHK Pöter und KHK Vogel werden um 9.07 Uhr in Abstand verwiesen.

Der Sachverständige Dr. Werner macht folgende Angaben zur Person:

Dr. Louis-Ferdinand Werner, 47 Jahre alt,

verheiratet, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundeskriminalamt, Fachgruppe: physikalisch, chemische Urkundenprüfung,

mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert.

Wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.

[10046] Vors.:

Sie haben schon Ihr Sachgebiet im Augenblick benannt. Wenn Sie es vielleicht noch etwas eingehender schildern könnten, mit was Sie sich beschäftigen vorwiegend.

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Im Rahmen der Urkundenuntersuchung, Urkundenprüfung fallen mir in erster Linie die Aufgaben zu, die Urkunden auf ihre[a] Materialidentität, Materialvergleich, also Materialuntersuchung durchzuführen. Materialuntersuchungen beziehen sich bei Urkunden in erster Linie eben auf den Schriftträger, auf Papier und auf die verwendeten Schrifteinfärbemittel, sei es jetzt angefangen mit Druckfarben oder die üblichen Schrifteinfärbemittel wie Tinte, Kugelschreiber, Farbpasten[b] oder Faserschreibertinten oder Bleistifte, Maschinenschrifteinfärbung ebenso. Dazu gehören die Untersuchung von Kopien, ebenfalls Einfärbemöglichkeiten über Kohlepapier oder Vervielfältigungen irgendwelcher Art. Dann natürlich auch Klebstoffuntersuchungen, Briefzweitöffnung, Briefzweitöffner usw., das ist also ...

Vors.:

Ich glaube, das ist jetzt eine ausreichende Schilderung über das Tätigkeitsgebiet, das Sie in Rahmen hier dieser Urkunden bearbeiten.

Wir haben hier vorliegen ein Asservat, das bereits in die Sitzung eingeführt ist, es läuft unter dem Namen ENSSLIN-Kassiber.[7]

Den Sachverständigen wird das Asservat C 6.4.2. Pos. 166 mit der Bitte um Erklärung vorgelegt, ob ihm dieses Asservat zu bestimmten Untersuchungen vorgelegen hat, wenn ja, welches Untersuchungsergebnis zustandekam.

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Dieses Asservat hat mir zur Untersuchung vorgelegen.

Gleichzeitig lag mir vor, eine Veröffentlichung im „Stern“ Nr. 27 von 1972, in dem ein Text, der Brieftext dieses Kassibers abgedruckt war. Untersucht werden oder[c], festgestellt werden sollte auf kriminaltechnischen Wege, ob dem im „Stern“ veröffentlichte Brieftext, der bei Frau Meinhof sichergestellte Brief als Vorlage gedient hat oder ob evtl. eine Kopie oder eine Zweitschrift als Vorlage gedient haben.

Aus den Befunden, mikroskopischen Befunden und infrarot-technischen[d] Befunden ergibt sich einmal, daß der bei Frau Meinhof sichergestellte Brief eine Durchschrift darstellt, kein Original, eine mit maschinenbeschriftete Durchschrift, während dem[e] im „Stern“ abgedruckte Brieftext als Vorlage ein Kopie gedient hat. Hier in [10047] der Durchschrift, der bei Frau Meinhof sichergestellt worden ist, der Brief,[f] also ich ... streichen lediglich eine Stelle „Landung in ...“ mittels Tinte durchgestrichen worden, während in der Veröffentlichung im „Stern“ einige weitere Textpassagen durchgestrichen, nachträglich durchgestrichen worden sind. Auf infrarot-technischem Wege konnte einmal festgestellt werden, daß auf der Durchschrift, bei Frau Meinhof sichergestellt, diese Tintendurchstreichung, unter dieser Tintendurchstreichung das Wort „Essen“ steht. Das ist ohne chemische Hilfsmittel auf infrarot-technischem Wege aufgrund der unterschiedlichen Eigenschaften ... ermitteln, leicht feststellbar. Die Tintendurchstreichung absorbierte nicht, also der Farbstoff, dieser verwendeten Tinte absorbierte nicht im infraroten Licht, während die mit maschinenbeschriebene Textpassage, hier „Essen“ durch ... in infraroten Licht, d. h. also im nahen sichtbaren Bereich durchaus diese Wärmestrahlen absorbiert und einwandfrei deutlich sichtbar wurde. So war[g] also auch einwandfrei festzustellen, daß unter dieser Durchstreichung das Wort „Essen“ steht.

Weiterhin war festzustellen, daß auf der Veröffentlichung „Stern“, ich sagte es, eine Vorlage gedient hat, daß dieser „Stern“ als Vorlage eine Elektrokopie - eine Trockenkopie, habe ich geschrieben - eine Elektrokopie, also eine[h] auf elektrostatischem Wege hergestellte Kopie gedient hat. Merkmal dafür, für derartige Trockenkopien oder elektrostatische[i] Kopien, sind die, und das liegt an der Methode, an dem Verfahren dieser Trockenkopie, der also mit Kunstharztoner auf der platenten, fixierten, und zwar auf elektrostatischem Wege fixierten Schrift mit Kunstharztoner erst die lesbare Schrift erzeugt. Dieser Kunstharztoner wird eingebrannt; dabei passiert es immer wieder, daß dieser Kunstharztoner streut, eine gewisse Streuung hat, das wesentliche wird fixiert an den Ladung, die erhalten bleiben in Schriftbild, und also die Schrift danach hier[j] eingebrannt wiedergeben, während Partikelchen - das ist eben nicht zu vermeiden - Partikelchen dieses Kunstharztoners auf dem gesamten Blatt streuen. Und diese typischen Partikelchen des Kunstharztoners waren auf dem Text in „Stern“ wieder zuerkennen, einwandfrei zu erkennen. Ich kann damit nicht feststellen, daß es sich um eine Serographie handelt oder einem, meinetwegen im Kaliverfahren auf[k] beschichtetem[l] Papier ... durchgeführte[m] Kopie, aber es ist eine auf elektrostatischem Wege erstellte Kopie gewesen.

Weiterhin konnte festgestellt werden - ich habe in meinem Gutachten [10048] entsprechende, in der Lichtbildmappe entsprechende Fotografien erstellt -, daß einmal das Wort „Essen“, daß die Durchstreichung auf dem Text im „Stern“ nochmals eine Durchstreichung erfahren hat, nachträglich, und die ursprüngliche Durchstreichung, wie sie hier auf diesem Brief vorliegt, in etwa deckungsgleich ist mit dem im „Stern“. Es sind also ... die Durchstreichungen überschneiden sich, ich habe also eine zweite Durchstreichung, die im Druckverfahren hergestellt, also übernommen worden ist, die Durchstreichung ist also auf der Vorlage geschehen; die ursprüngliche Durchstreichung auf diesem maschinenbeschrifteten Brief, hier auf der Durchschrift, deckte sich also in etwa mit der Erstdurchstreichung auf dem Text in der „Stern“-Veröffentlichung.

Was aber wesentlich war oder wesentlicher oder beweiskräftiger als diese Durchstreichung, daß an zwei bestimmten Stellen auf der Veröffentlichung im „Stern“ vom Papier ausgesehen, Harzleim-Einschlüsse, die eine bestimmte Form hatten, festgestellt werden konnten.

Ich habe hier auf diesem Brief, der also bei Frau Meinhof sichergestellt worden ist, die Harz-Einschlüsse deutlich, sie sind etwas gelblich gefärbt, das kommt bei der Papierherstellung durchaus vor, diese Papierleim- Stoffleim, wie man das nennt, werden beim Papier, zur Festigkeit des Papieres werden sie bei der Herstellung des Blattes zugegeben; und so kommen derartige Einschlüsse, kompakte Einschlüsse - sie sind allerdings mikroskopisch klein - kommen[n] öfters im Papierstoff vor. Und sie waren also hier deutlich erkennbar an zwei bestimmten Stellen, ich habe das in der Lichtbildmappe als Ausschnittsaufnahme herausvergrößert, sind sie deutlich zu erkennen, und genau an der gleichen Stelle plaziert, sind auch im „Stern-report“, in der „Stern“-Veröffentlichung, sind diese Einschlüsse, allerdings jetzt als schwarze Punkte, aber mit der gleichen Form, sind sie wiedergegeben worden. So daß man letztlich als[o] Ergebnis dieser ganzen Untersuchung sagen kann, daß der bei Frau Meinhof sichergestellte Brief als Vorlage für den im „Stern“ abgedruckten Brief gedient hat, d. h. über eine Kopie, über eine Zwischenkopie dieser „Stern-Brief“ hergestellt worden ist.

Ich müßte also noch ergänzend sagen, es ist also beim „Stern“ auf fototechnischem Wege, d. h. als Reproduktion, ist also eben dieser Brief übernommen worden. Es wird also bei diesem Prozeß, werden eben diese kleinen Merkmale, hier kommt es ja auf diese Leimeinschlüsse an, werden diese Merkmale mit übernommen; es bezieht [10049] sich also auf die Leimeinschlüsse, bezieht sich aber auch auf die Ausführung dieser Vorlage, nämlich diese vereinzelt verstreuten Pünktchen, ich meine jetzt diese Kunstharztoner, der bei derartigen Kopien eben auftritt.

Vors.:

Danke.

Ich darf zur Unterrichtung der Beteiligten, es ist vielleicht nicht mehr jedem gegenwärtig, darauf hinweisen, daß das Gutachten eingeholt worden ist auf Veranlassung des Herrn Dr. Heldmann, der einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, an 18.12.1975. Es ist bedauerlich, daß Herr Dr. Heldmann heute früh nicht anwesend ist. Er hat weiterhin noch mit diesem Antrag begehrt, ein Schreibmaschinengutachten zu diesem sogenannten ENSSLIN-Kassiber einzuholen, dem ist bereits entsprochen worden durch einen entsprechenden Vortrag des Herrn Sachverständigen Windhaber.

Bitte weitere Fragen an den Herrn Sachverständigen?

Richter Mai[er]:

Herr Dr. Werner, nur zur näheren Kennzeichnung. Bei dem durchstrichenen Wort handelt es sich wohl um die Durchstreichung[p] in Zeile 33 auf Blatt 1 des Schreibens, ist das richtig?

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Ja, ja.

Richter Mai[er]:

Danke.

Vors.:

Weitere Fragen an den Herrn Sachverständigen?

Herr Rechtsanwalt Schnabel.

RA Schn[abel]:

Herr Sachverständiger, nur zur Klarstellung, zumindest habe ich es nicht mitbekommen am Anfang, haben Sie denn Ihr Gutachten erstellt aufgrund des Ihnen hier vorliegenden, bei Frau Meinhof gefundenen Briefes, und aufgrund eines Abdruckes im „Stern“, also der Zeitung „Stern“ als Druckvorlage oder haben Sie gesehen, das Schreiben, daß der „Stern“ selbst als seine Druckvorlage genommen hat?

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Nein, ich habe hier[q] eine ganz normale Veröffentlichung des „Stern“ als Vergleichsvorlage gehabt, und habe eben den hier vorliegenden, bei Frau Meinhof sichergestellten Brief, auch zur Untersuchung ..., also als Gegenstand der Untersuchung war der bei Frau Meinhof sichergestellte Brief und eine Veröffentlichung in „Stern“.

RA Schn[abel]:

Herr Sachverständiger, wissen Sie in welchem Verfahren der „Stern“ gedruckt wird?

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Kann ich jetzt ..., ja, ... Ich kann es jetzt rückwirkend nicht sagen. Ich habe es hier im Gutachten nicht erwähnt; ich kann es jetzt nicht sagen, ob es jetzt im Buchdruck- oder im Hochdruckverfahren[r] [10050] hergestellt worden ist.

RA Schn[abel]:

Oder vielleicht auch im Offset-Druck, das könnte ja auch sein.

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Das könnte durchaus möglich sein.

RA Schn[abel]:

Eben. Herr Sachverständiger, gehe ich fehl, daß es Grundvoraussetzung eines Gutachtens ist, wenn man eine Druckvorlage hat, daß man zunächst einmal weiß, in welchem Verfahren diese Druckvorlage hergestellt ist. Denn soweit ich unterrichtet bin, und ich glaube auf diesem Gebiet auch nicht absolut unwissend zu sein, ist es ein wesentlicher Unterschied, in welchem Durckverfahren eine Zeitung oder Zeitschrift hergestellt wird.

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Im Rahmen dieser Untersuchung war aber diese Frage nicht so schwerwiegend, denn er ist abgedruckt worden, und ob er jetzt in Flachdruckverfahren oder Buchdruckverfahren abgedruckt worden ist, es ist eine Reproduktion dieses Briefes, denn er ist auf jeden Fall, ist er, ist dieser Brief oder eine Kopie dieses Briefes als Vorlage benutzt worden, sonst wären ja praktisch Abweichungen aufgetreten. Der Brief ist mit Sicherheit die Vorlage gewesen, darum habe ich ja auch die ganzen Merkmale angegeben, die in allem sich, also ich meine jetzt das, was ich im „Stern“, was Sie sagen, als reine Veröffentlichung, im „Stern“ als normale[s] Veröffentlichung gesehen habe und was hier an diesem Kassiber-Brief hier, Kassiber-Schreiben, an Merkmalen vorhanden ist; sind ja alles übernommene Merkmale, und darauf kam es ja an. Es kam nicht darauf an, ob es ...

RA Schn[abel]:

Aber Herr Sachverständiger, Sie ...

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

... jetzt hier ein Flachdruckverfahren oder ein Buchdruckverfahren ist, meinetwegen.

RA Schn[abel]:

Aber Sie haben ja vorher selbst gesagt, in Ihrem Gutachten, daß dieser Brief zumindest nicht als Vorlage diente - das haben Sie ja selber festgestellt -, sondern allenfalls eine Kopie dieses Briefes.

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Ja, aber nicht eine Zweitschrift ...

RA Schn[abel]:

Ja, was ist bei Ihnen der Unterschied zwischen einer Kopie und einer Zweitschrift?

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Na, ich kann ja zweimal schreiben, aber hier ist es ja eine Kopie, es ist ja praktisch von dieser ..., Kopie heißt also vorlagenidentisch mit diesem Schreiben hier von der Frau Meinhof. Und eine Zweitschrift muß nun nicht identisch sein, ich nehme ein zweites Papier z. B. und hier ist ja aber ...

RA Schn[abel]:

Ja, aber Sie haben ja vorher haben Sie dann darauf abgestellt auch, daß [t] gewisse Veränderungen durch Einschlüsse, durch [10051] Harzverfahren und etwas ähnliches eingetreten ...

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Ja.

RA Schn[abel]:

Eben. Und es ist doch ein wesentlicher Unterschied, ob im Offset- Tief- oder Hochdruckverfahren etwas gedruckt wird, weil da nämlich auch entsprechende Veränderungen innerhalb des Druckverfahrens passieren oder ist Ihnen das nicht bekannt?

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Ja, nur aber diese Veränderungen können sich aber nicht beziehen auf Harzeinschlüsse, die hier an diesem Schriftträger deutlich erkennbar sind.

RA Schn[abel]:

Herr Sachverständiger, würden Sie mir bitte sagen, wie Sie in einem etwas ausgedruckten Zeitung- oder Zeitschriftenmaterial einen Einschluß eines Harzverfahrens feststellen können, wie geht das technisch und physikalisch?

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Sie wissen, daß Sie bei der Fotographie, daß die fotographische Linse alle Spuren mitübernimmt. Es kann sein, daß man so was, wenn man es weiß, daß man solche Spuren natürlich praktisch später wieder löschen kann, aber hier ist es ja nicht geschehen; es sind ja tatsächlich die Merkmale mit draufgeblieben, und sind also auf fototechnischem Wege mit[u] übernommen worden. Wie das nachher, ich kann ja im Flachdruckverfahren, kann ich ja eine lichtsensibilisierte Platte nehmen, als Druckträger, ich kann aber auch im Buchdruckverfahren reproduzieren, das geht genauso. Das spielt dabei keine Rolle mehr, denn die Merkmale, d. h. auf die es hier ankommt, nicht auf das Druckverfahren, denn das ist ja auch gar nicht beweiskräftig, die Merkmale sind hier tatsächlich mitübernommen worden.

RA Schn[abel]:

Dürfte ich Sie bitten, daß Sie ...

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Wenn sie fehlen ..., wenn sie fehlen würden, die Merkmale, dann hätte ich praktisch nicht zu dem Schluß kommen können, daß dieses Schreiben mit diesem Papier, als Vorlage, d. h. gut, ich muß sagen, als erste Vorlage, wir haben eine Zwischenvorlage, als Kopie, aber immerhin als Vorlage gedient hat. Ich muß noch eines dazu sagen, daß die Kopie sehr deutlich diese Merkmale auch mit übernimmt, so daß also keine Gefahr besteht, daß von dem Original hier, durch die Zwischenvorlage diese Merkmale irgendwie nicht mehr mitgenommen werden. Sie sind so eindeutig, daß sie tatsächlich mitkommen, es sei denn, man müßte nachträglich sie irgendwie durch[v] Manipulation verschwinden lassen.

RA Schn[abel]:

Herr Sachverständiger, dürfte ich Sie bitten, daß Sie mir - und [10052] Sie haben ja sicher einen „Stern“ dieser Nummer dabei -, anhand des Materials einmal zeigen, wo diese Merkmale sind; denn, und jetzt vielleicht eine auch[w] Frage oder dann könnte sie sich erübrigen, es gibt ja gerade in verschiedenen Druckverfahren die Möglichkeiten[x] daß es noch weitere Zwischenträger geben muß, und bei diesen Zwischenträgern evtl. Verschiebungen innenhalb des Druckverfahrens zustandekommen. Es ist ja ein wesentlicher Unterschied, wieviel Farbe man auflegt beim Druck und ähnliches. Könnten Sie mir das mal anhand des Materials hier demonstrieren?

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Ich habe die Ausgabe „Stern“ hier nicht vorliegen; was ich jetzt hier vorliegen habe, ist jetzt der bei Frau Meinhof sichergestellte Brief.

RA Schn[abel]:

Ja, aber Sie haben doch mit dem „Stern“ verglichen. Ich meine, man muß sich ja wohl beide Materialien ...

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Jawohl, ich habe verglichen, aber ...

RA Schn[abel]:

... sehen, um das nachvollziehen zu können, was Sie mir hier als Ihr Endergebnis vorführen. Ich muß es ja nachprüfen können, wie Sie zu dem Ergebnis gekommen sind; und aus diesem Grund brauche ich eben beide Materialien.

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Dazu muß ich sagen, auf die wesentliche Merkmale, die wesentlichen Merkmale habe ich ja deswegen fotographisch gesichert, und sind in den Lichtbildmappe mit eingegangen. Den „Stern“ selber, das war eine Ausgabe gewesen, die hatte Herr Dr. Leszczynski gehabt und mir vorgelegt; dann mußte ich sie wieder zurückgeben. Ich habe also den „Stern“, die Ausgabe wirklich nicht vorliegen hier.

Rechtsanwalt Schnabel wird das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. Werner zur Einsicht übergeben.

RA Schn[abel]:

Herr Sachverständiger, was mir hier vorgelegt wird, da steht dran „Papier-Schlüsse“ wird das heißen „auf der Druckschrift“. Das sind aber nicht die Originale des „Stern“ und nicht die Originale des anderen; ich muß ja die Originale vergleichen können. Es nützt mir doch nichts, wenn ich hier irgendwelche Vergrößerungen vorgelegt bekomme.

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Das ist richtig.

RA Schn[abel]:

Eben.

[10053] Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Ich habe ja auch nicht zu[y] vergrößern, sondern ich habe das Original verglichen mit diesem Brief hier.

RA Schn[abel]:

Ja, sicher; aber ich möchte anhand dieses Materials jetzt das nachvollziehen können, was Sie getan haben, und dazu brauche ich das Material.

Sachverst. Dr. Wer[ner]:

Ja, ich kann dazu nur sagen, daß ich also diese Veröffentlichung des „Stern“ eben nicht hier vorliegen habe.

RA Schn[abel]:

Herr Vorsitzender, dann stelle ich den ausdrücklichen Antrag

daß beide Originalmaterialien vorgelegt werden,

und der Herr Sachverständige anhand dieses Materials dann hier im Saal, zumindest ich bin interessiert, vielleicht auch andere Kollegen es demonstriert, was er hier in schönen theoretischen Worten vorgeführt hat. Danke.

Vors.:

Also der Hinweis, es seien theoretische Worte, ist natürlich insofern nicht ganz zutreffend, man wird es dem Herrn Sachverständigen abnehmen können, daß ihn bei seinen Untersuchungen der „Stern“ vorgelegen hat, wie er das hier schildert.

Rechtsanwalt Dr. Augst (als amtlich bestellter Vertreter von Rechtsanwalt Eggler) erscheint um 9.27 Uhr im Sitzungssaal.

Er hat also aufgrund praktischer Erfahrungen ..., es ist bedauerlich daß wir den „Stern“ nicht hier haben, das ist klar.

RA Schn[abel]:

Herr Vorsitzender, ich möchte dem Herrn Sachverständigen weder an seinem Sachverstand zweifeln, noch etwa daran zweifeln, daß er nicht korrekt vorgegangen ist, aber ich muß ja für einen Sachverständigengutachten, zumal, wenn ich glaube, auf einem Sachgebiet selber ein gewisses Wissen zu haben, die Möglichkeit haben, es nachzuprüfen, was mir hier theoretisch vorgelegt wird, ohne daß ich es praktisch nachprüfen kann.

Vors.:

Es wird sich nachher noch vielleicht die Frage für Sie auch stellen, zu überprüfen, welchen Beweiszweck Sie damit verfolgen wollen. Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ein bestimmter Beweisantrag Anlaß für die Erstattung dieses Gutachtens war; der ursprüngliche Antragsteller fehlt heute, obwohl er weiß, daß der Sachverständige zu dem Asservat, zu dem er einen eigenen Antrag gestellt hat, heute gehört werden soll, das ist höchst bedauerlich. Wird ein Antrag auf Vereidigung des Herrn Sachverständigen gestellt? Das mit dem „Stern“ läßt sich wohl nicht so schnell rekonstruieren, [10054] daß wir heute weiterkommen könnten.

Anträge auf Vereidigung des Sachverständigen Dr. Werner werden nicht gestellt.

Der Sachverständige Dr. Werner bleibt gemäß § 79 StPO unbeeidigt[8] und wird im allseitigen Einvernehmen um 9.28 Uhr entlassen.

Der Zeuge KHK Pöter erscheint um 9.28 Uhr im Sitzungssaal.

Der Zeuge KHK Pöter macht folgende Angaben zur Person:

Ernst Pöter, 54 Jahre alt,

Kriminalhauptkommissar beim Bundeskriminalamt Bonn-Bad-Godesberg,

mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert.

Wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.

Vors.:

Herr Pöter, nach den hier vorliegenden Unterlagen müßte am 7.2.1974 die Zelle des Herrn Baader in der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt[9] durchsucht worden sein, und Sie sollen daran beteiligt gewesen sein.

Zeuge Pöt[er]:

Ja, das trifft zu.

Vors.:

Welchen Zweck hatte die Durchsuchung?

Zeuge Pöt[er]:

Die Durchsuchung hatte den Zweck, Unterlagen zu finden, also Beweismittelunterlagen, die einen Zusammenhang mit den, einige Tage vorher in Frankfurt und Hamburg festgenommenen Beschuldigten Margrit Schiller u. a.[10] betrafen. Und zwar war in einer Wohnung, in einer sogenannten konspirativen Wohnung in Frankfurt waren Unterlagen gefunden worden, aus denen ersichtlich war, daß die Angeklagten ... also daß die Beschuldigten, die in Haft waren bereits - Baader u. a. - ganz offenbar Verbindung hatten zu den erst ganz kürzlich, ich glaube am 4.2.74 war es, Festgenommenen; und die Durchsuchung diente dem Zweck, das durch weitere Beweismittel zu erhärten.

Vors.:

Also es ging um die Sicherstellung von geeignetem Schriftmaterial, für Beweiszwecke geeignetem Schriftmaterial. Uns interessieren hier einige Asservate, die nachher durch Verlesung eingeführt werden.

[10055] Dem Zeugen werden die 4 Asservate

Baader-Material vom 7.2.1974

Pos. I/4.1 - 4.3

Pos. I/10.1 - 10.3

Pos. II/ 2 - 4 und Ziffer 6 (nicht erkennbar) ein Schriftstück, beginnend mit den Worten „Aber es fehlen auch noch...“ mit der Bitte um Erklärung vorgelegt, ob er sich erinnert, daß solche oder sogar diese Asservate damals sichergestellt worden sind.

Diese Asservate werden vom Gericht in Augenschein[11] genommen.

Die Verfahrensbeteiligten haben Gelegenheit am Augenschein teilzunehmen.

Zeuge Pöt[er]:

Ich habe hier das Asservat II/2; ich kann mich nicht darauf erinnern ..., darauf besinnen, daß ich das in der Hand gehabt habe.

Rechtsanwalt Geulen (als Vertreter von Rechtsanwalt Schily) erscheint um 9.33 Uhr im Sitzungssaal.

Zeuge Pöt[er]:

Herr Vorsitzender, ich muß dazu sagen, ich kann mich überhaupt nicht erinnern, daß ich eines dieser Beweismittel in der Hand gehabt hätte, bzw. richtiger gesagt, daß ich sie gelesen hätte, ich kann mich da nicht mehr darauf besinnen. Ich kann aber vielleicht zum Ablauf ganz kurz ...

Vors.:

Das wäre uns wichtig, wenn Sie uns schildern würden, in welcher Weise damals die Schriftstücke, die Sie als Beweismittel für geeignet ansahen, zusammengefasst wurden, wie sie weitergegeben wurden[z], wer dann die Auflistung vorgenommen hat.

Zeuge Pöt[er]:

Herr Baader war mit der Durchsicht der schriftlichen Unterlagen einverstanden. Es war so, daß außer mir auch noch zwei weitere Beamte an der Durchsuchung, also Kriminalbeamte an der Durchsuchung teilnahmen. Die standen ..., die waren von Hessen, von Oberhessen, einer Dienststelle in Oberhessen, denen untersagte er die Durchsicht, den anderen Beamten hatte er es gestattet. Und nun waren bei den Schriftstücken waren eine Reihe von Schriftstücken dabei, die Herr Baader als Unterlagen bezeichnete[aa], die er selbst zu seiner Verteidigung brauche. Ich hatte ihm dann erklärt, daß ich dafür sorge, sorgen würde, daß die von den übrigen Schriftstücken, die als [10056] Beweismittel Bedeutung haben könnten und beschlagnahmt werden würden, getrennt aufbewahren würde. Und zwar nahm ich eine große, also eine gelbe Hülle, und ließ mir diese Schreiben dann eigens geben und in eine besondere Hülle, und ich tat sie dann in diese Hülle. Bei der späteren Ausfüllung des Vordrucks über die sogenannte Sicherstellung oder Beschlagnahme von schriftlichen Unterlagen wurden dann, so habe ich in Erinnerung, zwei oder, also mindestens zwei Gruppen von Papieren gemacht, es können auch drei gewesen sein, und diese Gruppe von schriftlichen Unterlagen, über die ich soeben gesprochen hatte, die also als Vorbereitung für seine Verteidigung bedacht waren, wie er sagte, die waren in einer bestimmten Gruppe festgelegt. Und ich habe in Erinnerung, daß das auch so mit einer ..., dieser oder einer sehr ähnlichen Bezeichnung in dem Sicherstellungsverzeichnis niedergelegt wurde.

Diese Hüllen, im Gegensatz zu den Verfahren, will ich mal sagen, bei der Durchsuchung 1973, im Juli, wo Herr Baader Wert darauf legte, daß jedes einzelne Schriftstück erkennbar in der Niederschrift bezeichnet werden solle, was auch geschehen war, lehnte er das hier ab; und aus dem Grunde wurden die Schriftstücke nur nummeriert, also der Anzahl nach und unterteilt in mindestens 2, ich glaube aber, es waren[bb] 3 Gruppen, dann niedergeschrieben. Und ich habe dann diese einzelnen Umschläge verschlossen, auch mit einem Siegelstreifen versehen, ich habe sie mit nach ... zu[cc] meiner Dienststelle nach Bonn-Bad-Godesberg genommen, und dort hat sie dann ein Beamter, wenn ich mich nicht irre, war es Herr Vogel, dann mit anderen Unterlagen, es fanden weitere Untersuchungen statt, nach Karlsruhe gebracht.

Dem Zeugen wird das Sicherstellungsverzeichnis des Bundeskriminalamts

- Abteilung Staatsschutz - vom 7.2.74

Bl. 2 d. A. - Anordnung des Untersuchungsrichters OLG Stuttgart AZ: OVU 1/74 - UGs 16/74 - mit der Bitte um Erklärung vorgelegt, ob es sich um dieses Sicherstellungsverzeichnis handelt und ob es seine Unterschrift trägt.

Zeuge Pöt[er]:

Ja, dieses Verzeichnis habe ich selbst geschrieben, ich erkenne es wieder, und ist auch von mir unterschrieben, das ist meine Unterschrift. Diese beiden anderen Kriminalbeamten, die ich erwähnte, haben dieses auch mit unterschrieben, ich entsinne mich daran.

[10057] Vors.:

Danke.

Wir wollen im Urkundenbeweis[12] dieses Verzeichnis hier einführen.

Gemäß § 249 StPO wird in Urkundenbeweis das Sicherstellungsverzeichnis des Bundeskriminalamts - Abteilung Statsschutz - vom 7.2.74, Bl. 2 d.A. - Anordnung des Untersuchungsrichters OLG Stuttgart, AZ: OVU 1/74 - UGs 16/74 - verlesen.

Eine aufgeschlüsselte Liste scheint dann damals nicht hergestellt worden zu sein aufgrund der erwähnten Umstände?

Zeuge Pöt[er]:

So ist es.

Vors.:

Sind an Herrn Pöter in diesen Zusammenhang weitere Fragen?

Ich sehe beim Gericht nicht. Die Herren der Bundesanwaltschaft? Nein.

Die Herren Verteidiger? Nicht.

Es ist so, auch dieser Beweis wird erhoben aufgrund des Antrags der Bundesanwaltschaft, in diesem Falle. Es wäre vielleicht gut zu klären, ob sich beim Bundeskriminalamt oder einem der beteiligten Beamten die Möglichkeit ergibt, daß diese Stücke einzeln verifiziert werden. Ich möchte gerne die Verlesung so lange zurückstellen, so daß wir also heute auf die Verlesung verzichten, weil ja der Herr Zeuge sie nicht wiedererkennen kann. Es sei denn, es ergebe sich nachträglich aus der Vernehmung des Herrn Vogel noch anderes, denn Sie erwähnten ja, Herr Vogel habe das übernommen, wenn das Ihnen[dd] möglich wäre, könnte also dadurch ...

Zeuge Pöt[er]:

Ja, zur Durchsicht nicht; denn Herr Vogel hat ja die Hüllen verschlossen nach Karlsruhe gebracht, nur der ...

Vors.:

Also er kann auch[ee] die Einzelstücke nicht verifizieren?

Zeuge Pöt[er]:

Nein, mit Sicherheit nicht.

Vors.:

Danke.

Wird der Vereidigung irgendetwas entgegengesetzt? Ich sehe nicht.

Der Zeuge KHK[ff] Pöter versichert die Richtigkeit seiner Aussage unter Berufung auf seinen bereits geleistet Eid (§ 67 StPO).[13]

RA Schn[abel]:

Herr Vorsitzender, ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schnabel.

RA Schn[abel]:

... vielleicht könnte man den Herrn Pöter doch bitten, noch 5 Minuten zu warten, falls sich zwischen seinen Aussagen und denen von Herrn Vogel eine gewisse Differenz ergeben sollte.

[10058] Vors.:

Wenn Sie Wert darauf legen, werden wir das versuchen, noch zu erreichen, sobald der Herr Sitzungswachtmeister wieder im Saale ist.

Der Zeuge KHK Pöter wird um 9.41 Uhr vorläufig entlassen.

Der Zeuge KHK Vogel erscheint um 9.42 Uhr im Sitzungssaal.

Der Zeuge KHK Vogel macht folgende Angaben zur Person:

Georg Vogel, 51 Jahre alt, verheiratet,

Kriminalhauptkommissar beim Bundeskriminalamt Bonn - Bad Godesberg, Friedrich-Ebert-Straße 1,

mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert.

Wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.

Vors.:

Herr Vogel, nach den hier vorliegenden Unterlagen müßten Sie an einer Durchsuchung der Zelle von Frau Meinhof in der JVA Köln-Ossendorf[14] am 8.2.74 beteiligt gewesen sein, kann das stimmen?

Zeuge Vo[gel]:

Das ist richtig. Außer mir war noch dabei, mein Kollege Strauß, Herr Schwarz von Düsseldorf, Frau Küttig von der JVA Ossendorf. Die Durchsuchung fand von 12.45 Uhr bis kurz nach 16.00 Uhr statt.

Vors.:

Und was war das Ziel der Durchsuchung?

Zeuge Vo[gel]:

Es sollten Dinge gefunden werden, sogenannte Zellenzirkulare, wie wir das nannten; Dinge, die den Beweis erbringen, daß von der Haft aus, nach draußen agiert wird, Informationsfluß zwischen den Häftlingen und zwischen Verteidigern und Häftlingen.

Vors.:

Haben Sie selbst diese - es handelt sich dann wohl um Schriftmaterial - ...

Zeuge Vo[gel]:

Jawohl.

Vors.:

... haben Sie selbst diese Materialien jeweils in die Hand genommen, besichtigt?

Zeuge Vo[gel]:

Jawohl, ich habe sie in die Hand genommen, kurz überflogen, das was mir beweiserheblich erschien, in Hüllen getan, die Hüllen trugen vorne auf der ..., auf dem Vorderblatt den Namen Ulrike Meinhof, das Datum, auf der Rückseite mit Siegelmarke dann verschlossen, Handzeichen angebracht, die Fundstelle wurde angegeben, wo gefunden wurde, und kurz was in der Hülle sein muß.

[10059] Den Zeugen wird das Asservat Meinhof-Material vom 8.2.1974 Pos. II/43 mit der Bitte um Erklärung vorgelegt, ob das damals bei dem sichergestellten Material gewesen ist.

Zeuge Vo[gel]:

Das muß dabeigewesen sein, es trägt die Handschrift von Herrn Strauß; diese Paraphe ..., Entschuldigung, die Paginierung oben, die ... ist von Herrn Strauß; das II/43 ist nicht von mir.

Vors.:

Wenn Sie sich vielleicht auch noch textlich orientieren, ob Sie eine Rückerinnerung haben?

Zeuge Vo[gel]:

Ja, K.G. heißt Kurt Groenewold[15] bei uns, nicht?

Vors.:

Weil Sie sagten, Sie hätten selbst die Schriftstücke kurz überflogen.

Zeuge Vo[gel]:

Ja, Herr Vorsitzender, das ist richtig und dann weitergegeben, und der andere hat geschrieben und ich wieder betütet.

Also es ist nicht so, daß man ...

Also diese Paginierung ist sofort vorgenommen worden, noch am Ort des Geschehens oder wie ist das gemeint?

Zeuge Vo[gel]:

Ja, das muß ja für die Auflistung nachher ...

Vors.:

In der Zelle.

Sonstige Merkmale außer der Paginierung scheinen Sie hier nicht zu finden?

Zeuge Vo[gel]:

Nein, an dem Schriftstück nicht.

Vors.:

Danke.

Zeuge Vo[gel]:

Dieses Zeichen 503/76 ist ja offensichtlich ein Gutachten oder so was, nicht?

Vors.:

Ja.

Zeuge Vo[gel]:

Das ist nicht von uns.

Vors.:

Erinnern Sie sich, daß unter diesen sichergestellten Schriftstücken auch ein Schnellhefter gewesen ist?

Zeuge Vo[gel]:

Mit Verteidigerpost?

Vors.:

Ja.

Zeuge Vo[gel]:

Ja, das ist richtig. Den haben wir ... Ich kann jetzt nicht sagen, wo dieser Schnellhefter gefunden wurde, ich weiß es nicht mehr, ob er ihm Nachtschränkchen war oder im Schrank, das kann ich nicht sagen. Aber dabei war er, das ist klar.

Vors.:

Und können Sie noch sagen, wieviel Schriftstücke, wieviel Blatt ungefähr dort drinnen gewesen sind, nur daß man ungefähr eine Vorstellung bekommt? Waren das über 10, waren das über 20, waren [10060] das über 40, über 50, über 60 ...?

Zeuge Vo[gel]:

Also über 40.

Vors.:

Über 40 würden Sie schätzen?

Zeuge Vo[gel]:

Ja.

Vors.:

Weiter festlegen können Sie das im Augenblick nicht?

Zeuge Vo[gel]:

Nein, nicht.

Vors.:

Ist über diese Durchsuchung ein Bericht gefertigt worden?

Zeuge Vo[gel]:

Jawohl.

Vors.:

Haben Sie ihn selbst unterschrieben?

Zeuge Vo[gel]:

Jawohl, der ist von mir.

Dem Zeugen wird der Durchsuchungsbericht des Bundeskriminalamts Bonn - Bad Godesberg vom 8.2.74 (Bl. 2-7) - Anordnung des Untersuchungsrichters des OLG Stuttgart AZ: OVU 1/74 - UGS 16/74 - mit der Bitte um Erklärung vorgelegt, ob dieser Bericht von ihn erstellt wurde und ob es sich um seine Unterschrift handelt.

Zeuge Vo[gel]:

Ja, das ist der Bericht.

Vors.:

Und ist es auch Ihre Unterschrift? Die anerkennen Sie?

Zeuge Vo[gel]:

Ja, es ist meine Unterschrift, der Bericht stammt von mir.

Vors.:

Danke.

Gemäß § 249 StPO wird im Urkundenbeweis der Durchsuchungsbericht des Bundeskriminalamts Bonn - Bad Godesberg vom 8.2.74 (Bl. 2-7) - Anordnung des Untersuchungsrichters des OLG Stuttgart AZ: OVU 1/74 - UGS 16/74 - auszugsweise wie folgt verlesen:

Bl. 2 d. A.: Der Kopf des Durchsuchungsberichts bis „... Freitag, dem

8.2.1974, durchsucht.“

Bl. 3.d. A.: „In Verwahrung genommen worden:

Hülle I“

Bl. 4 d. A.: „Hülle II: 13) 1 Schnellhefter mit diverser RA-Post“.

„Hülle III, Hülle IV, Hülle V“

Bl. 5 d. A.: „Hülle VI, Hülle VII, Hülle VIII“.

Bl. 6 d. A.: „Pos. IX - Pos. XIII“

Bl. 7 d. A.: die beiden Unterschriften.

Vors.:

Wir wollen im Urkundenbeweis dieses Asservat II/43 aus dem Meinhof-Material hier einführen.

[10061] Gemäß § 249 StPO wird im Urkundenbeweis das Asservat Meinhof-Material von 8.2.1974 Pos. II/43 (1 DIN-A 4 Blatt beginnend mit: „KG - ein paar punkte ...“) verlesen.

Ende Band 574

[10062] Vors.:

Herr Zeuge, Sie haben jetzt den Inhalt nochmals vorgetragen bekommen. Hat es Ihre[gg] Erinnerung irgendwie nochmals herstellen können?

Zeuge Vog[el]:

Doch, das war dabei.

Vors.:

Erinnern Sie sich an den Text?

Zeuge Vog[el]:

Das war dabei.

Vors.:

Sind weitere Fragen an den Herrn Zeugen?

Ich sehe beim Gericht nicht. Die Herren der Bundesanwaltschaft? Herr Rechtsanwalt Schnabel.

RA Schn[abel]:

Herr Zeuge, waren Sie auch einmal bei einer Zellendurchsuchung in Schwalmstadt anwesend?

Zeuge Vog[el]:

Nein.

RA Schn[abel]:

Waren Sie auch nicht in Schwalmstadt irgend ... ich meine nicht unmittelbar bei der Zellendurchsuchung, sondern dann im Vorraum oder als das Material einsortiert oder aufgearbeitet wurde oder ...?

Zeuge Vo[gel]:

Nein, also bei Herrn Baader war ich nicht. Das hat Herr Pöter gemacht. Ich war bei Frau Meinhof. Das wäre auch zeitlich nicht möglich gewesen. Köln und Schwalmstadt - das läßt sich ja nicht machen, entfernungsmäßig.

RA Schn[abel]:

Also Herr Zeuge, entweder unterliege ich hier einem Irrtum oder habe ich hier etwas Falsches gehört.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schnabel, darf ich Ihnen helfen dabei?

Sie heben jetzt ab auf die Aussage von Herrn Pöter.

RA Schn[abel]:

Ja.

Vors.:

Er hat seine Aussage auch in diesem Sinne gemacht. Das Ereignis, das Sie im Auge haben, hat sich abgespielt im Bundeskriminalamt.

RA Schn[abel]:

Ja deswegen habe ich ja gesagt: „... oder anschließend beim Einsortieren“, und das verneint er aber auch.

Vors.:

Ja nun, wahrscheinlich hat’s der Herr Zeuge auf Schwalmstadt bezogen, aber bitte, ich wollte es Ihnen nur sagen. Vielleicht läßt es sich aufklären.

Zeuge Vog[el]:

Also das Einsortieren der einzelnen ... das geschah von uns so, daß wir, jeder, der seine Akten brachte, in Kartons gab, und dann wurden sie praktisch dem Untersuchungsrichter zugeführt. Aber ich habe die Akte, die Unterlage Schwalmstadt, nicht verwahrt. Das kann ja auch nicht sein.

[10063] RA Schn[abel]:

Ja also, so waren Sie auch nicht im Bundeskriminalamt beim Einsortieren der Unterlagen Schwalmstadt dabei.

Zeuge Vog[el]:

Wir sitzen räumlich getrennt - zwei Zimmer Differenz.

Es ist durchaus möglich, daß ich mal hingegangen bin, um was zu erfragen. Aber so konkret, wie Sie die Frage stellen, daß ich also die Asservate von Herrn Baader mit verwahrt hätte, das ist nicht der Fall.

RA Schn[abel]:

Aber Sie haben doch ... Haben Sie etwas mal mit unterschrieben?

Zeuge Vog[el]:

Nein, in Sachen Baader nicht.

RA Schn[abel]:

Nicht. Könnte man das vielleicht nochmal vorlegen? Da war doch vorher etwas da, wo eine Unterschrift „Vogel“ ...

Vors.:

Das Verzeichnis, Herr Rechtsanwalt Schnabel, enthält die Unterschrift des Herrn Zeugen nicht. Es sind drei Unterschriften. Es hat der Herr Zeuge Pöter ja mitgeteilt, neben seiner eigenen noch zwei Herren von Hessen.

RA Schn[abel]:

Und da ist keine „Vogel“.

Vors.:

Nein.

RA Schn[abel]:

Aber er hat doch vorher gesagt, und deswegen war ich ja auch dran, sonst hätte ich ja gar nichts gesagt, ob der Herr Pöter jetzt hier sein soll oder nicht. Das ist ja der Grund, warum ich bat, ihn noch dazubehalten. Er sagte doch - oder sollte ich das mißverstanden haben - auch, daß dieser Herr Vogel hier, der als Zeuge vor Gericht steht, dabeigewesen sei, als das einsortiert wurde oder in irgendwelche Blätter oder Hefte oder Umschläge oder was getan wurde.

Zeuge Vog[el]:

Nein, das ist also mit Sicherheit nicht der Fall ...

Vors.:

Entschuldigung, Sie kennen ja die Aussage nicht, die Ihnen eben vorgehalten werden soll. Herr Pöter hat lediglich gesagt, weil ich ihn gefragt habe, er möge uns den weiteren Weg dieser Beweismittel, der sichergestellten, mitteilen. Im Bundeskriminalamt habe dann wohl, wie er glaube, Herr Vogel die versiegelten, verschlossenen Kuverts übernommen und weitergeleitet. Also nur Postbeförderungsdienste geleistet ohne irgendwelche einzelnen[hh] Beweisstücke zu haben. Das hat er sogar ausdrücklich betont, weil ich ja die Hoffnung hatte, daß uns vielleicht Herr Vogel diese vorhin nicht verifizierten Unterlagen verifizieren könnte. [10064] Da hat er ausdrücklich gesagt, nein, er hat nichts gesehen, er hat nur die verschlossenen Kuverts, drei oder vier, weitergereicht.

RA Schn[abel]:

Ja können Sie sich daran erinnern, Herr Zeuge?

Zeuge Vog[el]:

Jawohl, daß ich die Sachen angenommen habe und in Postgang gegeben habe. Mehr war aber nicht. Ich kann aber nicht sagen, waren es 10 Umschläge oder 12 oder 15.

RA Schn[abel]:

Also mit anderen Worten, das geht in die gleiche Richtung, nur eben mit anderen Vorzeichen, was auch der Herr Vorsitzende eben gesagt hat: Sie können sich, wenn man Ihnen etwas hier vorlegt von Baader-Material, könnten Sie nicht sagen, das habe ich gesehen oder nicht.

Zeuge Vog[el]:

Das ist richtig, das kann ich nicht.

RA Schn[abel]:

Gut, danke.

Vors.:

Sonstige Fragen an den Herrn Zeugen? Ich sehe nicht.

Können wir den Herrn Beugen vereidigen? Keine Einwendungen.

Der Zeuge KHK Vogel wird vorschriftsmäßig vereidigt und im allseitigen Einvernehmen um 9.57 Uhr entlassen.

Der Zeuge KHK Pöter wird ebenfalls um 9.57 Uhr endgültig entlassen.

Vors.:

Wir hatten ja ansich heute vor, die Personalien von Herrn Baader beweismäßig zu erheben.[16] Die in Frage kommenden Beweispersonen, die zu den Angehörigen zählen, haben von ihrem Aussageverweigerungsrecht[17] Gebrauch gemacht. Dadurch ist das Programm für heute sehr verkürzt. Wir wollen jetzt lediglich noch aus den hier vorliegenden Originalunterlagen Urkunden verlesen, die zum Teil den Werdegang von Herrn Baader betreffen.

Die Unterlagen werden durchweg dem Personalordner I des Herrn Baader entnommen.

Gemäß § 249 StPO wird im Urkundenbeweis eine beglaubigte Abschrift einer besonderen Schulzensur des Realprogymnasiums Königshofen für Andreas Baader, geb. 6.5.1943, aus Personensachakte I Baader Bl. 119/26 verlesen.

[10065] Während der Verlesung:

OstA Zeis und Reg.dir. Widera verlassen um 9.59 Uhr den Sitzungssaal.

Gemäß § 249 StPO wird im Urkundenbeweis eine beglaubigte Fotokopie eines besonderen Beurteilungsbogens für Andreas Baader aus Personensachakte I Baader Bl. 119/25 verlesen.

Gemäß § 249 StPO werden im Urkundenbeweis aus Personensachakte I Baader die Bl. 119/22 und 119/23 verlesen.

Vors.:

Damit sehe ich im Augenblick keine Unterlagen mehr, die verlesbar wären aus den Auskünften über Herrn Baader.

Wenn die Herrn Prozeßbeteiligten weitere Wünsche in dieser Richtung haben, bitte ich um entsprechende Anträge.

Wir wollen dann noch bekanntgeben vier handgeschriebene Lebensläufe des Herrn Raspe.

OStA Holland verläßt um 10.06 Uhr den Sitzungssaal.

Gemäß § 249 StPO wird im Urkundenbeweis aus der Personensachakte Band I Raspe Bl. 115/17 - 115/18 eine Fotokopie eines handgeschriebenen Lebenslaufes des Jan-Carl Raspe - nebst Beglaubigungsvermerk - vom 2. Juli 1963 verlesen.

Während der Verlesung:

OStA Holland erscheint um 10.08 Uhr wieder[ii] im Sitzungssaal.

Gemäß § 249 StPO wird im Urkundenbeweis aus der Personensachakte Band I Raspe Bl. 115/19 - 115/20 von der Fotokopie eines handgeschriebenen Lebenslaufes des Jan-Carl Raspe vom 13. Juli 1964 der wesentliche Inhalt festgestellt und von Bl. 115/20 ab „Ich habe am 9.9.1963 ...“ bis zum Ende, einschließlich des Beglaubigungsvermerk verlesen.

[10066] Gemäß § 249 StPO wird im Urkundenbeweis aus der Personensachakte Band I Raspe Bl. 115/21 von der Fotokopie eines maschinengeschriebenen Lebenslaufes des Jan-Carl Raspe vom 29.10.1968 der wesentliche Inhalt festgestellt und ab „Nach zwei Semestern...“ bis zum Ende verlesen.

Gemäß § 249 StPO wird im Urkundenbeweis aus der Personensachakte Band I Raspe Bl. 115/79 vom Original eines maschinengeschriebenen Lebenslaufes des Jan-Carl Raspe vom 13.4.1970 der wesentliche Inhalt festgestellt und ab „1964/65 Nach dem zweiten...“ bis zum Ende verlesen.

Vors.:

Das war dieses Verlesungsprogramm. Ich habe eben erfahren, daß die Fertigstellung der Vernehmungsprotokolle Müller für die Prozeßbeteiligten noch mindestens 1 Stunde in Anspruch nimmt. Es sind ja unzählige Seiten. Wir werden deswegen jetzt eine kurze Pause einlegen, und noch eine weitere Verlesung dann anschließen, so daß wir den Anschluß gewinnen an die Verteilungsmöglichkeit dieser Unterlagen. Es kann also davon ausgegangen werden, daß wir heute bis etwa gegen ½ 12 Uhr verhandeln. Wir treffen uns um ½ 11 Uhr wieder.

Pause von 10.14 Uhr - 10.37 Uhr

Bei Fortsetzung der Hauptverhandlung um 10.37 Uhr sind die Rechtsanwälte Schlaegel und Dr. Holoch (als amtlich bestellter Vertreter von RA Schwarz) nicht mehr anwesend[jj].

Vors.:

Wir können die Sitzung fortsetzen. Zunächst der Hinweis:

Von den Verlesungen, die vorhin durchgeführt worden sind, dienen die Verlesungen der Zeugnisse nicht zur Verwertung bei der Urteilsfindung. Sie sollen jetzt lediglich den Zweck haben, gemäß § 251 III[ StPO][18] für die Prozeßbeteiligten Anhaltspunkte dafür zu sein, ob weitere Anträge zur Aufhellung der hier angedeuteten Umstände gestellt werden; also für die Urteilsfindung werden diese verlesenen Zeugnisse nicht verwertet.

[10067] Wir kommen jetzt zur Verlesung des Urteils des Schwurgerichts Frankfurt, des sogenannten „Kaufhausbrandstifterurteils.“[19]

Herr Bundesanwalt Holland.

OStA Holland:

Herr Vorsitzender, wenn ich Sie korrigieren darf.

Meines Wissens nach handelt es sich nicht um ein Schwurgerichtsurteil, sondern um ein Strafkammerurteil, meine ich.

Vors.:

Es ist selbstverständlich richtig. Es war kein Mordvorwurf erhoben.[20] Ich danke Ihnen für den Hinweis, ganz klar. Es ist ein Strafkammerurteil, Landgericht.

Gemäß § 249 StPO wird im Urkundenbeweis das Urteil der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Frankfurt von 31. Oktober 1968 - AZ.: 4 KLs 1/68 - gegen

1. Gudrun Ensslin

2. Andreas Baader

3. Thorwald Proll und

4. Horst Söhnlein

bis zum Ende Bl. 20 des Urteils „... Einwickelpapier, Puderzucker“ ohne den Lebenslauf der Angeklagten Proll und Söhnlein (letzter Absatz auf Bl. 6 „3. Der verheiratete Angeklagte Proll ...“ bis Bl. 8, 2. Absatz „... der anderen Angeklagten.“ verlesen.

Ferner wurde der letzte Absatz von Bl. 49 „3.) Was die Frage der ...“ bis zum Ende Blatt 50 „... erfahrener Sachverständiger bekannt“ verlesen.[21]

Das Urteil ist abgelegt im Ergänzungsband I Urteile Bl 1 - 1/54.

Während der Verlesung:

Rechtsanwalt Dr. Holoch (als amtlich bestellter Vertreter von RA Schwarz) erscheint wieder[kk] um 10.51 Uhr im Sitzungssaal.

Reg. Dir. Widera erscheint um 11.04 Uhr wieder[ll] in Sitzungssaal.

Vors.:

Wird von den Prozeßbeteiligten gewünscht, daß die Strafzumessungsgründe hier bekanntgegeben werden?

Anträge auf weitere Verlesungen aus dem Urteil werden nicht gestellt.

Dann Schließen wir damit diese Verlesung ab. Vielen Dank.

[10068] Eine weitere Verlesung wollen wir nicht vorsehen. Ich würde aber trotzdem bitten, daß die Herren Verteidiger die Geduld jetzt noch aufbringen, auch wenn wir jetzt schon zu Ende kommen noch abzuwarten, bis die Fotokopien hergestellt sind. Es kann sich also um keine langen Zeiträume mehr handeln.

Aber noch folgenden Hinweis:

Zunächst, Herr Rechtsanwalt Künzel. Ich würde Sie bitten, Sie haben Anträge angekündigt, die uns doch möglichst bald zukommen zu lassen, damit das Sitzungsprogramm, das ja jetzt gegenwärtig immer auf etwas schwachen und schwankenden Füßen steht, weil wir nicht voraussehen können, was kommt, möglichst konkret gestaltet werden kann. Im Zusammenhang damit darf ich also darauf hinweisen, nächste Woche, 15.6., Dienstag, sind anwesend die Zeugen Beate Sturm und Bundesrichter Buddenberg. Es war auf Mittwoch, 16.6., angesetzt „Verlesungen.“ Diese Verlesungen hatten an sich nur den Sinn, daß wir gleichzeitig eventuelle Beweisanträge möglichst in diesen Tagen mit hereinnehmen. Wir haben für diesen Tag außer Verlesungen an sich nichts vorgesehen. Ich möchte deswegen den Vorschlag machen, und bitte um Zustimmung, daß dieser Tag entfällt. Wir können jetzt, das ist wohl für alle Beteiligten wichtig, diese Zeit sehr gut benützen, um insbesondere dieses doch nicht ganz geringe Vernehmungsprogramm, das dann bei der Vernehmung des Zeugen Müller bevorsteht, vorzubereiten. Also nächste Woche nur Sitzung am Dienstag, 15.6.1976.

Um dann jetzt das weitere Programm noch den Prozeßbeteiligten - es waren ja nicht alle gleichzeitig anwesend - mitzuteilen, am 22. und 23.6. müssen wir uns zur Verfügung halten nach den Ankündigungen der Verteidigung für Beweismittel, die in die Sitzung gestellt werden sollen. Am 24.6. haben wir ein eigenes Beweisprogramm festgelegt, nämlich Herrn Windhaber, Herrn Schulze, Herrn Schnell, Herrn Klaus; und wir haben hier noch die Zeugin Hermine von Parish. Nachdem wir heute früh Zeugnisse gehört und nicht der Urteilsfindung zu Grunde legen wollen, taucht die Frage auf, ob wir die Zeugin von Parish in der Tat benötigen. Sie ist eine der Lehrerinnen gewesen im Zusammenhang mit einer Kunstausbildung, hat sicherlich keine sehr eingehenden Erinnerungen an den Schüler Andreas Baader, so daß die Frage sich erhebt: Brauchen wir sie wirklich?

[10069] OStA Hol[land]:

Herr Vorsitzender, darf sich die Bundesanwaltschaft vorbehalten, die Vorgänge, die einschlägigen, nochmal durchzusehen in den Personensachakten.

Vors.:

Gerne. Dann würde ich aber drum bitten, es am nächsten Dienstag mitzuteilen; es würde dann noch rechtzeitig die Abladung möglich werden. Ich bitte auch, insbesondere die Herrn Verteidiger des Angeklagten Baader, diesen Gesichtspunkt im Auge zu behalten. Es ist dann weiter die Sitzung am 29., 30.6. und 1.7.1976 ausgefällt mit der Vernehmung von Herrn Müller; wobei auch hier der Vorbehalt zu machen ist, wenn die Vernehmung sich etwa an 2 Tagen abwickeln läßt, dann würde der 1.7. unter Umständen frei. Daß wir 2 Tage mindestens brauchen, das dürfte wohl klar sein. Weiteres kann ich im Augenblick zum Sitzungsprogramm nicht bekanntgeben.

Damit Schluß der heutigen Sitzung, Fortsetzung Dienstag, 9.00 Uhr.

Ende der Sitzung: 11.09 Uhr

Ende Band 575


[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 - Az.: 1 StE 1/74 - StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).

[2] In den Fällen der notwendigen Verteidigung ist die Mitwirkung eines Verteidigers oder einer Verteidigerin gesetzlich vorgeschrieben (§ 141 StPO a.F.; seit dem 13.12.2019 [Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019, BGBl. I, S. 2128] ist die Bestellung in manchen Fällen von einem Antrag des/der Beschuldigten abhängig, § 141 Abs. 1 StPO). Die notwendige Verteidigung ergab sich in diesem Verfahren daraus, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht stattfand (§ 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO) und dem Vorwurf eines Verbrechens (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO; ein Verbrechen liegt vor bei einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr, § 12 Abs. 1 StGB a.F.; heute: § 12 Abs. 1 StGB), sowie der Inhaftierung der Beschuldigten für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO a.F.; heute ist die zeitliche Vorgabe entfallen). Da die Beiordnung als Pflichtverteidiger/in dem öffentlichen Interesse dient, dafür zu sorgen, dass Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhalten und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfG, Beschl. v. 8.4.1975 - Az.: 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, S. 238, 242), gehen mit ihr besondere Pflichten einher. Darunter fällt auch die Anwesenheitspflicht während der Hauptverhandlung, und zwar unabhängig davon, ob weitere (Pflicht-)Verteidiger/innen anwesend sind (OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2015 - Az: 2 Ws 203/15, NStZ 2017, S. 436, 437 f.).

[3] Gerhard Müller - ehemals Mitglied der RAF - wurde später zu einem der Hauptbelastungszeugen in diesem sowie in weiteren Verfahren gegen Mitglieder der RAF. Er wurde ab dem 124. Verhandlungstag als Zeuge vernommen. Das LG Hamburg verurteilte ihn mit Urteil vom 16.3.1976 u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Beihilfe zum Mord, Beteiligung an Bombenanschlägen und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 113 ff.; Riederer, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29).

[4] § 57 StPO a.F. schrieb für die Belehrung von Zeug/innen vor: „Vor der Vernehmung sind Zeugen zur Wahrheit zu Ermahnen und darauf hinzuweisen, daß sie ihre Aussage zu beeidigen haben, wenn keine im Gesetz bestimmte oder zugelassene Ausnahme vorliegt. Hierbei sind sie über die Bedeutung des Eides, die Möglichkeit der Wahl zwischen dem Eid mit religiöser oder ohne religiöse Beteuerung sowie über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage zu belehren.“ Im Unterschied dazu ist die Vereidigung von Zeug/innen heute nur noch die Ausnahme (§ 59 StPO).

[5] § 72 StPO erklärt die Vorschriften für Zeug/innen auch für Sachverständige anwendbar, wenn nicht in den nachfolgenden Vorschriften Abweichendes geregelt ist. § 79 StPO enthält eine solche Abweichung im Vergleich zu § 57 StPO a.F. im Hinblick auf die Vereidigung: Während die Vereidigung für Zeug/innen im Regelfall vorgesehen war, findet die Vereidigung von Sachverständigen nach dem Ermessen des Gerichts statt; die Regel ist hier die Nichtvereidigung.

[6] Zu den Besonderheiten dieses Verfahrens gehörte es, dass sich die Prozessbeteiligten darauf einigten, ein gerichtliches Wortprotokoll als Arbeitsgrundlage anzufertigen (s. dazu S. 4 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag). Gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich ein sog. Ergebnisprotokoll, in welchem der Gang und die wesentlichen Ergebnisse der Hauptverhandlung sowie die wesentlichen Förmlichkeiten festgehalten werden (§§ 272, 273 StPO). Die wörtliche Protokollierung ist nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO nur dann vorgesehen, wenn es auf die Feststellung des Wortlauts einer Aussage oder Äußerung ankommt. Nach der damaligen Rechtsprechung bedurfte die Tonbandaufnahme in der Hauptverhandlung stets der Zustimmung der Beteiligten (BGH, Urt. v. 4.2.1964 - Az.: 1 StR 510/63, NJW 1964, S. 602 f.; OLG Schleswig, Beschl. v. 6.5.1992 - Az.: 2 Ws 128/92, NStZ 1992, S. 339). Heute wird die gerichtliche Tonbandaufnahme z.T. auch ohne Zustimmung der Beteiligten für zulässig erachtet (Kulhanek, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/2, 1. Aufl. 2018, § 169 GVG Rn. 35; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 169 GVG Rn. 13).

[7] Gemeint ist hier das bei der Festnahme von Ulrike Meinhof gefundene und offenbar von Gudrun Ensslin stammende Schreiben, in welchem sich Schilderungen konkreter Geschehnisse im Zusammenhang mit ihrer Verhaftung befanden (das Schreiben wird am 59. Verhandlungstag thematisiert, S. 5396 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung; Auszüge finden sich im Urteil auf S. 152). Da es nur wenige Tage nach der Verhaftung Ensslins außerhalb der Haftanstalt aufgefunden wurde, wurde schnell der Verdacht geäußert, Rechtsanwalt Schily habe diesen Kassiber im Rahmen eines Anwaltsbesuches illegal aus der Haftanstalt herausgeschmuggelt. Sichere Beweise hierfür gab es allerdings nicht (s. hierzu Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 65 ff.).

[8] Die Vereidigung von Sachverständigen erfolgt nach dem Ermessen des Gerichts (§ 79 Abs. 1 StPO), wenn besondere Umstände die Vereidigung zweckmäßig erscheinen lassen; der Regelfall ist die Nichtvereidigung (BGH, Urt. v. 22.2.1967 - Az.: 2 StR 2/67, BGHSt 21, S. 227, 228). Nach damaliger Rechtslage war die Vereidigung aber zwingend, wenn dies durch die Staatsanwaltschaft, Angeklagte oder die Verteidigung beantragt wurde (§ 79 Abs. 1 Satz 2 StPO a.F.).

[9] Nach seiner Verhaftung im Juni 1972 war Andreas Baader bis zu seiner Verlegung nach Stuttgart-Stammheim im November 1974 in der JVA Schwalmstadt untergebracht (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97).

[10] Nach den Verhaftungen der RAF-Führungsriege 1972 begannen eine Gruppe um Margrit Schiller ab Mitte 1973 damit, sich zu reorganisieren. Ihre Pläne zur gewaltsamen Befreiung der inhaftierten Mitglieder wurden jedoch durch ihre Festnahmen am 4. Februar 1974 in Frankfurt am Main verhindert. In Anlehnung an das Verhaftungsdatum wurde die Gruppierung als Gruppe 4.2. bezeichnet. Verhaftet wurden an diesem Tag in Frankfurt am Main neben Margrit Schiller auch Kay-Werner Allnach und Wolfgang Beer, darüber hinaus Eberhard Becker, Christa Eckes, Helmut Pohl und Ilse Stachowiak in Hamburg, sowie Axel Achterrath und Ekkehard Blenck in Amsterdam (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 55, 78 ff., 116 ff., 121 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 357 ff.; Straßner, in Ders. [Hrsg.] Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 209, 219).

[11] Die Inaugenscheinnahme gehört zu den zulässigen Beweismitteln im sog. Strengbeweisverfahren, welches zum Beweis von Tatsachen Anwendung findet, die die Straf- und Schuldfrage betreffen, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe. Sie erfolgt durch eine unmittelbare sinnliche Wahrnehmung. Anders als der Wortlaut vermuten lässt, ist diese nicht auf die Wahrnehmung durch Sehen beschränkt, sondern umfasst mit den Wahrnehmungen durch Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen auch alle anderen Sinneswahrnehmungen (BGH, Urt. v. 28.9.1962 - Az.: 4 StR 301/62, BGHSt 18, S. 51, 53).

[12] Urkunden werden durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt (§ 249 StPO; heute ebenfalls möglich: Einführung im Selbstleseverfahren, § 249 Abs. 2 StPO). Zwar enthält § 250 StPO für Zeug/innen und Sachverständige den Vorrang des Personalbeweises, wonach Tatsachen, die auf der Wahrnehmung einer Person beruhen, grundsätzlich durch Vernehmung dieser Person in die Hauptverhandlung einzuführen sind und nicht durch Verlesung früherer Vernehmungsprotokolle oder schriftlicher Erklärungen ersetzt werden dürfen. Überwiegend wird jedoch zwischen ersetzender und ergänzender Verlesung differenziert und letztere im Rahmen des Urkundenbeweises für zulässig gehalten (BGH, Urt. v. 16.2.1965 - Az.: 1 StR 4/65, BGHSt 20, S. 160, 162; Erb, in Bockemühl/Gierhake/Müller/Walter [Hrsg.], Festschrift für Bernd von Heintschel-Heinegg zum 70. Geburtstag, 2015, S. 135, 136; Mosbacher, NStZ 2014, S. 1 ff.; a.A. Gubitz/Bock, NJW 2008, S. 958). Inzwischen wurde mit dem 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24.8.2004 (BGBl I, S. 2198) in § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO die ausdrückliche Möglichkeit geschaffen, Protokolle und Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen (mit Ausnahme von Vernehmungen) zu verlesen.

[13] § 67 StPO ermöglicht das Berufen auf einen früheren Eid, wenn Zeug/innen im selben Hauptverfahren erneut vernommen werden.

[14] Ulrike Meinhof saß nach ihrer Verhaftung im Juni 1972 zunächst in Köln-Ossendorf in Untersuchungshaft, bevor sie im April 1974 nach Stuttgart-Stammheim verlegt wurde (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97).

[15] Rechtsanwalt Kurt Groenewold war zu Beginn des Verfahrens als gemeinschaftlicher Verteidiger allen Angeklagten beigeordnet. Nach Inkrafttreten des Verbots der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) am 1.1.1975 war eine Neusortierung der Mandatsverhältnisse erforderlich geworden, infolge derer er dem Angeklagten Baader beigeordnet wurde. Mit Verfügung vom 3.2.1975 wurde allerdings seine Beiordnung aufgehoben, da „nicht ausschließen“ sei, daß er „von den Bestimmungen über den Ausschluß von Verteidigern im Strafverfahren betroffen werden“ könne (so der Vorsitzende Dr. Prinzing am 3. Verhandlungstag, S. 235 f.) Schließlich erging am 2.5.1975 auf Grundlage des ebenfalls neu eingeführten § 138a StPO die Entscheidung des Ausschlusses wegen des Verdachts der Tatbeteiligung (s. zur Chronologie der Bestellungen und Verfügungen die Ausführungen des Vorsitzenden Dr. Prinzing am 3. Verhandlungstag, S. 229 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung; s. auch die angehängte Chronik in Dreßen [Hrsg.], Politische Prozesse ohne Verteidigung?, 1976, S. 104 f.; zu den Hintergründen s. auch Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 156 ff., S. 537 ff.). Gegen ihn wurde schließlich auch ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet; am 10.7.1978 wurde er vom OLG Hamburg zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007. S. 522). In einem Ehrengerichtsverfahren wurde zudem ein fünfjähriges Teilberufsverbot nur für Strafsachen gegen ihn ausgesprochen (Interview mit K. Groenewold, in Diewald-Kerkmann/Holtey [Hrsg.], Zwischen den Fronten, 2013, S. 49, 70 f.). Diese Möglichkeit eines Teilberufsverbots für bis zu fünf Jahre war erst kurz zuvor, mit Gesetz vom 20.8.1976 (BGBl. I, S. 2181), in § 114 Abs. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) aufgenommen worden.

[16] Die Vernehmung der Angeklagten zur Person nach § 243 Abs. 2 StPO dient in erster Linie der Feststellung der Identität, sowie der Klärung weiterer Prozessvoraussetzungen. Verweigern Angeklagte entsprechende Angaben, kann das Gericht die fehlenden Informationen im Wege des Freibeweises, etwa durch Würdigung des Akteninhalts, feststellen. Darüber hinausgehende Informationen über die persönlichen Verhältnisse, wie das Vorleben, familiäre und wirtschaftliche Verhältnisse, beruflicher Werdegang etc., gehören zur Vernehmung zur Sache und unterliegen dem Strengbeweis. Fehlende Angaben können insbesondere durch die Vernehmung von Verwandten als Zeug/innen in den Prozess eingeführt werden (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 243 Rn. 10 ff.).

[17] In Betracht kam wohl in erster Linie seine Mutter. Nach § 52 Abs. 1 StPO steht den dort genannten Angehörigen (u.a. Verlobten, Eheleuten, in gerader Linie Verwandten) von Beschuldigten ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht zu.

[18] § 251 Abs. 3 StPO enthält eine Ausnahme von dem Verlesungsverbot bestimmter Schriftstücke aus § 250 Satz 2 StPO. In der damals gültigen Fassung hieß es: „Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Vernehmungsniederschriften, Urkunden und andere als Beweismittel dienende Schriftstücke auch sonst verlesen werden.“ Seit dem 1.1.2018 bezieht sich die Vorschrift auf „Protokolle und Urkunden“, womit jedoch keine inhaltliche Änderung bezweckt war; die sprachliche Neufassung sollte vielmehr auch elektronische Dokumente umfassen und Überflüssiges streichen (so die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 236/15, S. 59, 63).

[19] Am 2. April 1968 verübten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein Brandanschläge auf Kaufhäuser in Frankfurt am Main, bei denen zwar erhebliche Sachschäden entstanden, aber keine Menschen verletzt wurden. Die Kaufhausbrandstiftungen zählen zu den ersten politischen Gewalttaten von Baader und Ensslin vor Gründung der RAF. Motiviert wurden sie durch eine Kampagne der Kommune I, die eine Brandtragödie mit mehr als 200 Toten in einem Brüsseler Kaufhaus im Jahr 1967 für Kritik am Vietnamkrieg nutzte. Im Oktober 1968 begann der Prozess am Landgericht Frankfurt gegen Baader, Ensslin, Proll und Söhnlein. Mit Urteil vom 31.10.1968 wurden sie zu Haftstrafen in Höhe von je drei Jahren verurteilt. Da der BGH auch im Juni 1969 noch nicht über die Revision entschieden hatte, das Urteil also noch nicht rechtskräftig war, und die in der Zwischenzeit in Untersuchungshaft verbrachte Zeit einer ausgeurteilten Haftstrafe angerechnet werden würde, hob das LG Frankfurt den Haftbefehl am 13. Juni 1969 vorläufig auf. Als der BGH die Revision schließlich im November 1969 zurückwies, tauchten Baader, Ensslin und Proll unter, um sich der weiteren Haft zu entziehen (s. die Beiträge von Bressan/Jander, sowie Hakemi/Hecken, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 398, 407 ff., sowie S. 316 f., 322 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 27 ff.).

[20] Der Spruchkörper am Landgericht ist in Strafsachen die Strafkammer (§ 74 Abs. 1 GVG). Diese ist in bestimmten Fällen als sog. Schwurgericht zuständig, insbesondere bei vorsätzlichen Tötungsdelikten sowie anderen Delikten mit Todesfolge (§ 74 Abs. 2 Satz 1 GVG).

[21] Zwar ist die sog. materielle Rechtskraft, die den Inhalt eines Urteils betrifft, in zweifacher Hinsicht beschränkt: Zum einen bezieht sie sich nur auf die Personen, gegen die das Verfahren gerichtet war (Kudlich, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Auflage 2014, Einleitung Rn. 510), zum anderen entsteht sie auch nur im Hinblick auf den Tenor, also die Entscheidungsformel, die im Falle einer Verurteilung den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch (sowie bestimmte Nebenentscheidungen) umfasst (Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 59. Aufl. 2016, Einl. Rn. 170). Gleichwohl ist es anderen (Straf-)Gerichten nicht verwehrt, die auch in den Entscheidungsgründen dokumentierten Ergebnisse der Beweiserhebung im Wege des Urkundenbeweises in die Hauptverhandlung einzuführen und sie zur Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) zu machen; dies gilt sogar für nichtrechtskräftige (z.B. aufgehobene) Entscheidungen (BGH, Urt. v. 18.5.1954 - Az.: 5 StR 653/53, BGHSt 6, S. 141; Diemer, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019 § 249 Rn. 17).


[a] Handschriftlich durchgestrichen: ihren

[b] Maschinell ersetzt: ... durch Farbpasten

[c] Maschinell eingefügt: oder

[d] Maschinell ersetzt: ... durch infrarot-

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[j] Maschinell eingefügt: hier

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[l] Handschriftlich ersetzt: beschrifteten durch beschriftetem

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[n] Handschriftlich ersetzt: kommt durch kommen

[o] Handschriftlich ersetzt: das durch als

[p] Handschriftlich durchgestrichen: Durchstreichungen

[q] Maschinell ersetzt: ja durch hier

[r] Maschinell ersetzt: ... durch Hochdruck-

[s] Maschinell eingefügt: normale

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[w] Maschinell eingefügt: auch

[x] Handschriftlich ergänzt: Möglichkeiten

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[z] Handschriftlich ergänzt: wurden

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[bb] Maschinell eingefügt: waren

[cc] Maschinell eingefügt: ... zu

[dd] Maschinell eingefügt: Ihnen

[ee] Handschriftlich ersetzt: auf durch auch

[ff] Maschinell eingefügt: KHK

[gg] Handschriftlich durchgestrichen: Ihrer

[hh] Handschriftlich ergänzt: einzelnen

[ii] Maschinell eingefügt: wieder

[jj] Maschinell ersetzt: anwesend durch mehr anwesend

[kk] Maschinell eingefügt: wieder

[ll] Maschinell eingefügt: wieder