Anklage

GENERALBUNDESANWALT BEIM BUNDESGERICHTSTHOF 1 StE 1/74



GENERALBUNDESANWALT

BEIM BUNDESGERICHTSTHOF

1 StE 1/74

75 KARLSRUHE 1, DEN 26. September 1974

Postfach 27 20

Herrenstraße 45 a

Fernsprecher (0781) 159-1

Durchwahl 159-____

Haft

Anklageschrift

1. Den berufslosen Andreas Baader,

[a] geboren am 6. Mai 1943 in München,

ohne festen Wohnsitz, Deutscher, ledig,

[b] zur Zeit in anderer Sache in Strafhaft[1] bis 1. November 1974 in der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt, [c]

[d] - Strafhaft unterbrochen vom 19. bis 21. November 1973 zur Vollstreckung einer Ordnungsstrafe und vom 22. November 1973 bis 22. Februar 1974 zur Vollstreckung einer Beugehaft, beides aufgrund Beschlusses des [e] Landgerichts Berlin vom 10. Juli 1973 - (502) 1 PKLs 5/72 (25/72) -,

Überhaft notiert in vorliegender Sache aufgrund Haft- [f] befehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 14. April 1971 - BGs 201/71 -,

[g] ergänzt und neu gefaßt durch Beschluß des Untersuchungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 6. Mai 1974 - OVU 1/74 - UGs 63/74

[2] [h] Pflichtverteidiger:[2] 1. Rechtsanwältin Marieluise Becker in Heidelberg,

2. Rechtsanwalt Dr. Klaus Croissant in Stuttgart,

3. Rechtsanwalt Kurt Groenewold in Hamburg,

4. Rechtsanwalt Dr. Ulrich Preuß in Berlin,

5. Rechtsanwalt Otto Schily in Berlin,

6. Rechtsanwalt Eberhard Schwarz in Stuttgart,

7. Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele in Berlin

[i] Wahlverteidiger:[3] 1. Rechtsanwälte Dr. Degenhardt und Rainer Köncke in Hamburg,

[j] 2. Rechtsanwalt Dethloff in Berlin,

[k] 3. Rechtsanwälte Eschen und Spangenberg in Berlin,

[l] 4. Rechtsanwälte Golzem, von Plottnitz, Riedel und Koch in Frankfurt/M,

[m] 5. Rechtsanwalt Dr. Dieter Hoffmann in Berlin,

[n] 6. Rechtsanwältin Gerlind Knolle in Marburg/Lahn

[o] 7. Rechtsanwalt Jörg Kang in Stuttgart,

[p] 8. Rechtsanwälte Jürgen Laubscher, Siegfried Haag in Heidelberg

[3] 2. die Studentin Gudrun Ensslin,

[q] geboren am 15. August 1940 in Bartholomä, Krs. Schwäbisch-Gmünd,

ohne festen Wohnsitz, Deutsche, ledig,

[r] in dieser Sache festgenommen am 7. Juni 1972 und seit dem 1. September 1974 in Untersuchungshaft z.Z. in der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim [s] aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 19. Mai 1971 - BGs 295/71 -, [t] ergänzt und neu gefaßt durch Beschluß des Untersuchungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 6. Mai 1974 - OVU 1/74 -

UGs 62/74

[u] in anderer Sache in Strafhaft[4] gewesen bis 31. August 1974, diese unterbrochen vom 7. bis 9. November 1973 [v] zur Vollstreckung einer Ordnungsstrafe und vom 10. November 1973 bis 2. April 1974 zur Vollstreckung einer [w] Beugehaft, beides aufgrund Beschlusses des Landgerichts [x] Berlin vom 17. Juli 1973 - (502) 1 PKLs 5/72 (25/72) -, Haftprüfung am 1. März 1975

[y] Pflichtverteidiger: 1. Rechtsanwältin Marieluise Becker in Heidelberg,

2. Rechtsanwalt Dr. Klaus Croissant in Stuttgart,

3. Rechtsanwalt Ernst Eggler in Karlsruhe,

4. Rechtsanwalt Kurt Groenewold in Hamburg,

[4] 5. Rechtsanwalt Dr. Ulrich Preuß in Berlin,

6. Rechtsanwalt Otto Schily in Berlin,

7. Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele in Berlin

[z] Wahlverteidiger: 1. Rechtsanwälte Dr. Degenhardt und Rainer Köncke in Hamburg,

[aa] 2. Rechtsanwalt Dethloff in Berlin,

[bb] 5. Rechtsanwälte Eschen und Spangenberg in Berlin,

[cc] 4. Rechtsanwalt Dr. Dieter Hoffmann in Berlin,

[dd] 5. Rechtsanwältin Gerlind Knolle in Marburg/Lahn,

[ee] 6. Rechtsanwalt Jörg Lang in Stuttgart,

[ff] 7. Rechtsanwälte Jürgen Laubscher und Siegfried Haag in Heidelberg

[gg] 3. die Journalistin Ulrike Marie Meinhof

gesch. Röhl,

geboren am 7. Oktober 1934 in Oldenburg/Old.,

ohne festen Wohnsitz, Deutsche, geschieden,

[hh] in dieser Sache festgenommen am 15. Juni 1972 und seither in Untersuchungshaft, z.Z. in der Untersuchungshaft- und Aufnahmeanstalt Berlin-Moabit, [5] [ii] aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 20. April 1971 - BGs 265/71 -, [jj] ergänzt und neu gefaßt durch Beschluß des Untersuchungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. März 1974 - OVU 1/74 -

UGs 46/74

[kk] - Untersuchungshaft unterbrochen vom 7. bis 9. Dezember 1973 zur Vollstreckung einer Ordnungsstrafe und vom [ll] 10. Dezember 1973 bis 15. Januar 1974 zur Vollstreckung [mm] einer Beugehaft, beides aufgrund Beschlusses des Landgerichts Berlin vom 5. Juli 1973 - (502) 1 PKLs 5/72 (25/72) - [nn] nächste Haftprüfung am 7. November 1974

[oo] Pflichtverteidiger: 1. Rechtsanwältin Marieluise Becker in Heidelberg,

2. Rechtsanwalt Dr. Klaus Croissant in Stuttgart,

3. Rechtsanwalt Kurt Groenewold in Hamburg,

4. Rechtsanwalt Dieter König in Stuttgart,

5. Rechtsanwalt Dr. Ulrich Preuß in Berlin,

6. Rechtsanwalt Otto Schily in Berlin,

7. Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele in Berlin,

[6] [pp] Wahlverteidiger: 1. Rechtsanwälte Dr. Degenhardt und Rainer Köncke in Hamburg,

[qq] 2. Rechtsanwalt Dethloff in Berlin,

[rr] 5. Rechtsanwälte Klaus Eschen und Henning Spangenberg in Berlin,

[ss] 4. Rechtsanwälte Heinrich Hannover, Dr. Rudolf Monnerjahn und Peter Noss in Bremen,

[tt] 5. Rechtsanwalt Dr. Dieter Hoffmann in Berlin,

[uu] 6. Rechtsanwältin Gerlind Knolle in Marburg/Lahn,

[vv] 7. Rechtsanwalt Jörg Lang in Stuttgart,

[ww] 8. Rechtsanwälte Jürgen Laubscher und Siegfried Haag in Heidelberg

[xx] 4. den Kameraassistenten Holger Klaus Meins,

geboren am 26. Oktober 1941 in Hamburg,

ohne festen Wohnsitz, Deutscher, ledig,

[yy] in dieser Sache festgenommen am 1. Juni 1972 und seither in Untersuchungshaft, zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Wittlich, [zz] aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 10. März 1971 - BGs 95/71 -, [aaa] ergänzt durch Beschluß des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 6. Dezember 1972 - II BGs 437/72 -,

[7] [bbb] wiederum ergänzt und neu gefaßt durch Beschluß des Untersuchungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 9. April 1974 - OVU 1/74 -,

UGs 51/74

[ccc] nächste Haftprüfung am 12. November 1974

[ddd] Pflichtverteidiger: 1. Rechtsanwältin Marieluise Becker in Heidelberg,

2. Rechtsanwalt Dr. Klaus Croissant in Stuttgart,

5. Rechtsanwalt Kurt Groenewold in Hamburg,

4. Rechtsanwalt Dr. Ulrich Preuß in Berlin,

5. Rechtsanwalt Otto Schily in Berlin,

6. Rechtsanwalt Dieter Schnabel in Ditzingen b. Stuttgart,

7. Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele in Berlin

[eee] Wahlverteidiger: 1. Rechtsanwälte Dr. Degenhardt und Rainer Köncke in Hamburg,

[fff] 2. Rechtsanwalt Dethloff in Berlin,

[ggg] 3. Rechtsanwälte Klaus Eschen und Henning Spangenberg in Berlin,

[hhh] 4. Rechtsanwälte Golzem, von Plottnitz, Riedel und Koch in Frankfurt/M,

[iii] 5. Rechtsanwältin Gerlind Knolle in Marburg/Lahn,

[jjj] 6. Rechtsanwalt Jörg Lang in Stuttgart,

[kkk] 7. Rechtsanwälte Jürgen Laubscher und Siegfried Haag in Heidelberg

[8] 5. den Diplomsoziologen Jan-Carl Stefan Raspe,

[lll] geboren am 24. Juli 1944 in Seefeld/Tirol,

ohne festen Wohnsitz, Deutscher, ledig,

[mmm] in dieser Sache festgenommen am 1. Juni 1972 und seither in Untersuchungshaft, zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf, [nnn] aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 15. Februar 1971 - 349 Gs 488/71 -, [ooo] ergänzt durch Beschluß des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 5. Dezember 1972 - II BGs 436/72 -,

[ppp] wiederum ergänzt und neu gefaßt durch Beschluß des Untersuchungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 9. April 1974 - OVU 1/74 -,

UGs 52/74

[qqq] Untersuchungshaft unterbrochen vom 15. bis 17. Oktober 1973 zur Vollstreckung einer Ordnungsstrafe und [rrr] vom 18. Oktober 1973 bis 15. Januar 1974 zur Vollstreckung einer Beugehaft, beides aufgrund Beschlusses [sss] des Landgerichts Berlin vom 10. Juli 1973 - (502) 1 PKLs 5/72 (25/72) -,

[ttt] nächste Haftprüfung am 12. November 1974

[9] [uuu] Pflichtverteidiger: 1. Rechtsanwältin Marieluise Becker in Heidelberg,

2. Rechtsanwalt Dr. Klaus Croissant in Stuttgart,

3. Rechtsanwalt Kurt Groenewold in Hamburg,

4. Rechtsanwalt Dr. Ulrich Preuß in Berlin,

5. Rechtsanwalt Otto Schily in Berlin,

6. Rechtsanwalt Stefan Schlaegel in Esslingen,

7. Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele in Berlin

[vvv] Wahlverteidiger: 1. Rechtsanwälte Dr. Degenhardt und Rainer Köncke in Hamburg,

[www] 2. Rechtsanwalt Dethloff in Berlin,

[xxx] 3. Rechtsanwälte Klaus Eschen und Henning Spangenberg in Berlin,

[yyy] 4. Rechtsanwälte Heinrich Hannover, Dr. Rudolf Monnerjahn und Peter Noss in Bremen,

[zzz] 5. Rechtsanwälte Peter Gottschalk und Leonore Gottschalk-Solger in Hamburg,

[aaaa] 6. Rechtsanwältin Gerlind Knolle in Marburg/Lahn,

[bbbb] 7. Rechtsanwalt Jörg Lang in Stuttgart,

[cccc] 8. Rechtsanwälte Jürgen Laubscher und Siegfried Haag in Heidelberg

[10] klage ich an,

in Augsburg, Berlin, Frankfurt/M, Hamburg, Heidelberg, Kaiserslautern, Karlsruhe, Kassel, Köln, München, Stuttgart und anderen Orten der Bundesrepublik

in der Zeit von Mitte August 1970 bis Frühjahr 1974

I. A alle Angeschuldigten[5]

gemeinschaftlich[6]

durch neun selbständige Handlungen[7]

[dddd] 1. in sechs Fällen[8]

a) heimtückisch und mit gemeingefährlichen Mitteln [eeee] in zwei Fällen insgesamt vier Menschen getötet[9] und in Tateinheit hiermit sowie [ffff] in vier weiteren Fällen mindestens 54 Menschen zu töten versucht zu haben, [10]

[gggg] b) in Tateinheit[11] hiermit

durch Sprengstoffe Explosionen herbeigeführt und dadurch Leib und Leben anderer sowie fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet zu haben, und zwar in besonders schweren Fällen,[12]

[hhhh] 2. in zwei Fällen[13]

a) unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, sich dieselben rechtswidrig zuzueignen, wobei sie bei Begehung der Taten Waffen bei sich [11] [iiii] führten und zu dem Raub mehrere mitwirkten, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub verbunden hatten,[14]

und wobei sie in einem der beiden Fälle durch die gegen ihn verübte Gewalt den Tod eines Menschen verursachten,[15] sowie

b) in Tateinheit hiermit

einen Menschen töteten, um eine andere Straftat zu verdecken,[16]

[jjjj] 3. in einem Fall

als Verbrechen mit Strafe bedrohte Handlungen, nämlich Raubüberfälle unter erschwerenden Umständen, verabredet zu haben;[17]

B[18] die Angeschuldigten Baader, Ensslin und Meinhof

gemeinschaftlich

durch drei weitere selbständige Handlungen

[kkkk] 1. in einem Falle

unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, sich dieselben rechtswidrig zuzueignen, wobei sie bei Begehung der Tat Waffen bei sich führten und zu dem Raub mehrere mitwirkten, die sich zur fort- [12] gesetzten Begehung von Raub verbunden hatten,

[llll] 2. in zwei Fällen

fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, dieselben sich rechtswidrig zuzueignen, wobei sie zur Ausführung der Tat in ein Gebäude einbrachen und Schußwaffen bei sich führten;[19]

C den Angeschuldigten Baader

durch drei weitere selbständige Handlungen

[mmmm] 1. in zwei Fällen

gemeinschaftlich mit dem Angeschuldigten Meins[20]

[nnnn] 2. in einem Fall allein[21]

a) versucht zu haben, einen Menschen zu töten, um eine andere Straftat zu verdecken, und

b) in Tateinheit hiermit

Beamten, die zur Vollstreckung von Gesetzen berufen sind, bei der Vornahme einer Amtshandlung mit Gewalt Widerstand geleistet zu haben, und zwar in besonders schweren Fällen;[22]

[13] [oooo] D die Angeschuldigte Ensslin

durch eine weitere selbständige Handlung[23]

a) versucht zu haben, einen Menschen zu töten, um eine andere Straftat zu verdecken, und

b) in Tateinheit hiermit Beamten, die zur Vollstreckung von Gesetzen berufen sind, bei der Vornahme einer Amtshandlung mit Gewalt Widerstand geleistet zu haben, und zwar in einem besonders schweren Fall;

[pppp] E den Angeschuldigten Meins

durch zwei weitere selbständige Handlungen

gemeinschaftlich mit dem Angeschuldigten Baader

a) versucht zu haben, einen Menschen zu töten, um eine Straftat zu verdecken, und

b) in Tateinheit hiermit Beamten, die zur Vollstreckung von Gesetzen berufen sind, bei der Vornahme einer Amtshandlung mit Gewalt Widerstand geleistet zu haben, und zwar in besonders schweren Fällen;

[14] [qqqq] F den Angeschuldigten Raspe

durch eine weitere selbständige Handlung[24]

a) versucht zu haben, einen Menschen zu töten, um eine andere Straftat zu verdecken, und

b) in Tateinheit hiermit Beamten, die zur Vollstreckung von Gesetzen berufen sind, bei der Vornahme einer Amtshandlung mit Gewalt Widerstand geleistet zu haben, und zwar in einem besonders schweren Fall;

[rrrr] II. tateinheitlich zu den unter I genannten Handlungen

A die Angeschuldigten Baader, Ensslin und Meinhof

eine Vereinigung gegründet zu haben, deren Zwecke darauf gerichtet sind, strafbare Handlungen zu begehen, und sich an einer solchen Vereinigung als Rädelsführer beteiligt zu haben, und zwar in einem besonders schweren Fall,[25]

[ssss] B die Angeschuldigten Meins und Raspe

sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt zu haben, und zwar in einem besonders schweren Fall.[26]

[15] [tttt] Gemeinsam mit dem früheren Rechtsanwalt Horst Mahler schlossen sich die Angeschuldigten Baader, Ensslin und Meinhof in der zweiten Augusthälfte 1970 in Berlin zu einer bewaffneten Untergrundorganisation zusammen. Diese Gruppe setzte sich zum Ziel, die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Vorbild der südamerikanischen Stadtguerillas mit allen Mitteln, insbesondere durch Gewaltmaßnahmen, zu bekämpfen. Hierdurch sollten die Voraussetzungen für eine erfolgversprechende revolutionäre Arbeit geschaffen werden. Für ihre Tätigkeit stattete sich die bald festgefügte Gruppe durch Raub, Diebstahl und Betrug in erheblichem Umfang mit Geld, Autos und Waffen aus. In konspirativen Unterkünften, mit Decknamen, gefälschten Ausweis- und Kraftfahrzeugpapieren sowie durch falsche Kraftfahrzeugkennzeichen schirmte sie sich sorgfältig gegenüber ihrer jeweiligen Umgebung ab.

Im einzelnen fallen den Angeschuldigten folgende Straftaten zur Last:

[uuuu] Am 29. September 1970 überfielen in Berlin mehrere mit schußbereiten Handfeuerwaffen ausgerüstete Bandenmitglieder die Zweigstellen dreier Banken und erbeuteten insgesamt etwa 220.000 DM. An der Planung und Ausführung der Überfälle, in deren Verlauf Bankangestellte und Kunden mit Schußwaffen bedroht wurden, waren u.a. die Angeschuldigten Baader, Ensslin und Meinhof beteiligt.

[16] [vvvv] Nach Absprache mit den zunächst noch in Berlin verbliebenen Angeschuldigten Baader und Ensslin brach die Angeschuldigte Meinhof zusammen mit zwei anderen Bandenangehörigen in der Nacht zum 16. November 1970 in das Rathaus in Neustadt am Rübenberge ein und entwendete dort Stempel, bereits ausgefüllte Reisepässe sowie einen Bundespersonalausweis. Dabei führten die Angeschuldigte Meinhof und einer ihrer Mittäter schußbereite Pistolen mit sich.

[wwww] Wie mit den Angeschuldigten Baader und Ensslin vereinbart, drangen die Angeschuldigte Meinhof und dieselben Mittäter in der Nacht zum 21. November 1970 in die Bürgermeisterei der Gemeinde Lang-Göns (Landkreis Gießen) ein, brachen mehrere Schreibtische auf und nahmen u.a. 166 Ausweisvordrucke sowie mehrere Dienstsiegel an sich. Auch hier führten die Angeschuldigte Meinhof und einer ihrer Mittäter schußbereite Pistolen mit sich.

[xxxx] Von Ende November 1970 an trafen u.a. die Angeschuldigten Baader, Ensslin und Meinhof zusammen mit den inzwischen zur Bande gestoßenen Angeschuldigten Meins und Raspe eingehende Vorbereitungen für Überfälle auf Banken in Gladbeck, Oberhausen und Nürnberg. Die Verwirklichung der gemeinschaftlich geplanten Straftaten unterblieb nur deshalb, weil die Gruppe insbesondere wegen der Festnahme einiger ihrer Mitglieder die Ausführung der Vorhaben als zu gefährlich erachtete.

[yyyy] Am 15. Januar 1971 überfielen Mitglieder der Bande zwei Zweigstellen der Stadtsparkasse in Kassel und erbeuteten nahezu 115.000 DM. Zuvor hatten sie die in den Schalter- [17] räumen anwesenden Personen mit den mitgeführten Schußwaffen und durch Warnschüsse bedroht. An der Vorbereitung und Ausführung auch dieser Straftaten hatten sämtliche Angeschuldigten wesentlichen Anteil.

[zzzz] Am 22. Dezember 1971 überfielen Bandenmitglieder eine Zweigstelle der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank in Kaiserslautern. Dabei wurde ein Polizeibeamter durch gezielte Schüsse, die zwei der Täter nacheinander auf ihn abgegeben hatten, getötet. Der Bande fielen bei diesem Raub, an dessen Planung und Durchführung wiederum sämtliche Angeschuldigten beteiligt waren, etwa 100.000 DM und ausländische Geldsorten im Werte von ungefähr 35.000 DM in die Hände. Noch vor den Schüssen auf den Polizeibeamten hatten zwei der in den Schalterraum eingedrungenen Bandenmitglieder Bankbedienstete und Kunden mit Schußwaffen bedroht.

[aaaaa] Am 17. Januar 1972 schoß der Angeschuldigte Baader mit einer Faustfeuerwaffe aus einem im Hafengelände von Köln-Niehl abgestellten Personenkraftwagen auf einen Polizeibeamten, um sich so der Festnahme zu entziehen. Der Beamte hatte den Angeschuldigten um Aushändigung der Fahrzeugpapiere gebeten. Bei dem aus kurzer Entfernung gezielt abgegebenen Schuß nahm Baader die Tötung des Polizisten, der gerade noch rechtzeitig ausweichen konnte, billigend in Kauf.[27]

[18] Die Angeschuldigten brachten in der Zeit vom 11. bis 24. Mai 1972 in Frankfurt, Augsburg, München, Karlsruhe, Hamburg und Heidelberg jeweils an allgemein zugänglichen Stellen insgesamt mindestens elf von ihnen hergestellte Sprengkörper entweder selbst oder durch andere Mitglieder der Gruppe zur Explosion. Die Angeschuldigten wollten in allen Fällen Menschen töten; zumindest rechneten sie billigend mit der tödlichen Wirkung ihrer Bomben.

[bbbbb] In Frankfurt zündeten sie am 11. Mai 1972 im Hauptquartier der US-Armee zwei Bomben im Vorraum der Eingangshalle des Hochhauses und eine weitere Bombe vor dem Haupteingang zum Offizierskasino. Durch die Sprengwirkung wurden der amerikanische Offizier Bloomquist getötet und 14 Personen zum Teil schwer verletzt. Vier von ihnen, nämlich Buchholz, McCarey, Hunt und Gleyer, befanden sich in unmittelbarer Lebensgefahr. Der Sachschaden betrug etwa 872.000 US-Dollar.[28]

[ccccc] In Augsburg zündeten sie am 12. Mai 1972 in der Polizeidirektion je eine Bombe im Vorplatz des 4. Stockwerks und im Flur des 3. Stockwerks. Hierdurch wurden sechs Personen verletzt. Fünf von ihnen, Nitzer, Kreissl, Müller, Vogler und Bauer, sowie der zufällig unverletzt gebliebene Polizeibeamte Heuschneider befanden sich in unmittelbarer Lebensgefahr. Der Sachschaden betrug etwa 27.000 DM. Eine weitere Bombe im 4. Stockwerk detonierte infolge eines technischen Fehlers nicht.[29]

[19] [ddddd] In München zündeten sie am 12. Mai 1972 auf dem gemeinsamen Parkplatz des Bayerischen Landeskriminalamts und der Landesbesoldungsstelle eine Bombe in einem Personenkraftwagen. Hierdurch wurden zehn Personen verletzt. Von ihnen befand sich Frau Weber in unmittelbarer Lebensgefahr. Der Sachschaden betrug etwa 588.000 DM.[30]

[eeeee] In Karlsruhe brachten sie am 15. Mai 1972 unter dem Volkswagen des Bundesrichters Buddenberg eine Bombe an, die beim Anlassen des Fahrzeugs explodierte. Dabei wurde die Ehefrau des Richters schwer verletzt und in unmittelbare Lebensgefahr gebracht. Der Wagen wurde vollständig zerstört.[31]

[fffff] In Hamburg zündeten sie am 19. Mai 1972 im Axel-Springer-Verlagshaus je eine Bombe im 3. und 6. Stockwerk. Hierdurch wurden 34 Personen zum Teil schwer verletzt. Von ihnen befanden sich 19 Personen und fünf zufällig im Korrekturraum unverletzt gebliebene Arbeiter in unmittelbarer Lebensgefahr. Es waren die Arbeiter Markmann, Schneider, Burgmann, Gottschalk, Brunkhorst, Hoffmann, Röhrs, Sellmann, Schielke, Thiel, Horster, Damm, Pötter, Skolik, Kleidt, Meyer, Berkenbaum, Hiller, Schmitt sowie Könnecke, Witte, Lechte, Elsner und Schulz. Der Sachschaden betrug etwa 340.000 DM. Drei weitere Bomben im 2. und 12. Stockwerk detonierten infolge technischer Fehler nicht.[32]

[ggggg] In Heidelberg zündeten sie am 24. Mai 1972 im Hauptquartier der US-Streitkräfte mindestens eine Bombe vor dem Gebäude 28 und eine weitere Bombe auf dem „Parkplatz am Ka- [20] sino“ in der Nähe des Funkmastes. Dadurch wurden vor und in dem Gebäude 28 die amerikanischen Soldaten Bonner, Woodward und Peck getötet. Außerdem wurden sechs Personen verletzt. In unmittelbarer Lebensgefahr befanden sich das Personal im Hause 28 mit Williams, Everett, Edgecomb, Theuer, Cotellese, Andrews, Stanton, Collins, Salzgiver, Lippert, Parham und Pierce, die Besatzung der Funkstation mit Kosalko und Saccoccie sowie die vier Insassen des von dem amerikanischen Soldaten Bizzel gesteuerten Fahrzeugs. Der Sachschaden betrug 130.943,47 US-Dollar.[33]

[hhhhh] Am 1. Juni 1972 suchten die Angeschuldigten Baader, Meins und Raspe in Frankfurt/M ihre Festnahme dadurch zu vereiteln, daß sie aus Faustfeuerwaffen gezielte Schüsse auf mehrere Polizeibeamte abgaben. Auch bei diesem Vorgehen nahmen sie die Tötung der Beamten billigend in Kauf.[34]

[iiiii] Am 7. Juni 1972 wurde die Angeschuldigte Gudrun Ensslin in Hamburg verhaftet. Hierbei versuchte sie, zu einem schußbereiten Revolver in ihrer Jackentasche zu greifen, um sich durch Schüsse auf die Polizeibeamten eine Möglichkeit zur Flucht zu verschaffen. Mit ihrem Griff zur Waffe handelte sie nach dem von den Angehörigen der Gruppe wiederholt erklärten und verwirklichten Willen, bei drohenden Festnahmen ohne Rücksicht auf Menschenleben den Fluchtweg „freizuschießen“.[35]

[21] Auch nach der Verhaftung gaben die Angeschuldigten ihre Ziele nicht auf. Noch aus der Haft heraus versuchten sie, die Gruppenarbeit neu zu organisieren, indem sie Anweisungen für das Verhalten der verhafteten und der in Freiheit befindlichen Bandenmitglieder erteilten.

- Verbrechen und Vergehen, strafbar nach §§ 211, 249 Abs 1, 250 Abs 1 Nr. 1 und 2, 251, 242, 243 Nr. 1, 244 Abs 1 Nr. 1, 311 Abs 1 und 2, 113 Abs 1 und 2 Nr. 1, 129 Abs 1 und 4, 49a Abs 2, 43, 47, 73, 74 StGB -[36]

[22] Beweismittel

sind in der Anlage 1 gesondert aufgeführt.

Die zwischen Klammern im Text enthaltenen Ziffern weisen auf Fundstellen und Vermerke hin. Diese sind in den Anmerkungen (Anlage 2) gesondert aufgeführt.

[23] Übersicht

Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen

 Blatt
A. Werdegang der Angeschuldigten und Vorgeschichte der Straftaten 
I. Werdegang der Angeschuldigten27
II. Vorgeschichte der Straftaten44
B. Das Tatgeschehen bis zu den Sprengstoffanschlägen 
I. Konsolidierung, Vorstellungen und schriftliche Zielsetzung der Gruppe52
II. Gruppenangehörige59
III. Ausbau der kriminellen Tätigkeit im einzelnen62
IV. Banküberfälle in Berlin am 29. September 197091
V. Ausweichen der Gruppe nach Westdeutschland106
VI. Vorbereitungen für Banküberfälle in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen und Hessen114
[24]Blatt
VII. Zusammentreffen von Gruppenangehörigen in Bad Kissingen117
VIII. Weitere Vorbereitung von Banküberfällen und Schußwechsel am 21. Dezember 1970 in Nürnberg; Festnahmen von Ruhland, Jansen und Scholtze119
IX. Zusammentreffen von Gruppenangehörigen in Stuttgart122
X. Banküberfälle in Kassel am 15. Januar 1971123
XI. Schußwechsel in Frankfurt/M am 10, Februar 1971129
XII. Ausweichen der Gruppe nach Hamburg133
XIII. Anmietung von Stützpunkten in Neu- Ulm, Kiel und Frankfurt/M153
XIV. Rückkehr der Gruppe nach Berlin; erneute Zielsetzung durch weitere Schriften157
XV. Verlegung des Einsatzgebietes in den süd- und südwestdeutschen Raum171
XVI. Banküberfall und Schußwechsel am 22. Dezember 1971 in Kaiserslautern173
XVII. Banküberfall am 21. Februar 1972 in Ludwigshafen177
XVIII. Rückkehr der Gruppe nach Hamburg und Anmietung weiterer Bandenstützpunkte179
[25]Blatt
XIX. Der „Baader-Brief“191
XX. Schußwechsel am 17. Januar 1972 in Köln193
XXI. Begründung und Ausbau von Stützpunkten in Stuttgart195
XXII. Schußwechsel am 2. März 1972 in Hamburg198
XXIII. Schußwechsel am 2. März 1972 in Augsburg199
XXIV. Die RAF-Schrift „Stadtguerilla und Klassenkampf“200
XXV. Anmietung der Bandenunterkunft Offenbach a.M., Schloßstraße 20-22202
C. Die Sprengstoffanschläge 
I. Sprengstoffanschlag auf das Hauptquartier des V. Korps der US-Armee in Frankfurt/M am 11. Mai 1972205
II. Sprengstoffanschlag auf die Polizeidirektion in Augsburg am 12. Mai 1972218
III. Sprengstoffanschlag auf das Bayerische Landeskriminalamt in München am 12. Mai 1972242
IV. Sprengstoffanschlag auf den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe am 15. Mai 1972 256256
V. Sprengstoffanschlag auf das Springer-Verlagshochhaus in Hamburg am 19. Mai 1972264
VI. Sprengstoffanschlag auf das US-Hauptquartier von Europa in Heidelberg am 24. Mai 1972294
[26]Blatt
D. Das Tatgeschehen nach den Sprengstoffanschlägen 
I. Festnahmen der Angeschuldigten Baader, Meins und Raspe am 1. Juni 1972 in Frankfurt/M, Hofeckweg312
II. Festnahme der Angeschuldigten Ensslin am 7. Juni 1972 in Hamburg, Jungfernstieg324
III. Festnahme der Angeschuldigten Meinhof am 15. Juni 1972 in Langenhagen329
IV. Sicherstellung von Bandenbesitz in Bad Homburg v.d.H. im Juli und August 1972334
V. Fortführen der kriminellen Vereinigung aus der Haft heraus338
E. Zur Täterschaft der Angeschuldigten350


[27] Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen

A

Werdegang der Angeschuldigten und Vorgeschichte der Straftaten

I. Werdegang der Angeschuldigten

1. Der 1943 geborene Angeschuldigte Baader wuchs in München auf. Sein Vater Dr. phil. Berndt Philipp Baader war Archivassessor. Er ist 1945 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verschollen; seine Mutter lebt jetzt in Grassau am Chiemsee (1).

Nach dem Besuch der Grundschule von 1949 bis 1954 war der Angeschuldigte bis Ende Februar 1961 Schüler mehrerer teils privater Oberschulen, die er trotz überdurchschnittlicher Begabung wegen unzureichender Leistungen zumeist bald wieder verlassen mußte (2).

Nachdem sich der Angeschuldigte den Angaben seiner Mutter zufolge bereits in früherer Zeit an einer nicht näher bekannt gewordenen privaten Kunstschule mit Malerei und Keramikarbeiten beschäftigt hatte (3), war er von Mai 1961 an für vier Semester Schüler der gleichfalls privaten Von-Parish-Schule für freie und angewandte Kunst in München (4). Anschließend begab er sich nach Berlin (West), angeblich um seine künstlerische Ausbildung fortzusetzen. Bis etwa Anfang des Jahres 1968 hielt er sich vorwiegend dort auf (5). Ab 1. März 1964 war er für kurze Zeit bei einem Berliner Verlag als Volontär tätig (6).

[28] Der Angeschuldigte ist der Vater des am 17. März 1965 in Berlin geborenen Kindes Suse Michel. Die Mutter des Kindes ist die in dieser Stadt ansässige Kunstmalerin Elly Leonore Michel, mit der der Angeschuldigte bis 1968 in eheähnlicher Gemeinschaft lebte (7).

Zusammen mit der Mitangeschuldigten Ensslin und zwei weiteren Tatbeteiligten wurde der Angeschuldigte - worauf im folgenden noch ausführlicher einzugehen ist - am 31. Oktober 1968 von der 4. Strafkammer des Landgerichts in Frankfurt/M (4 KLs 1/68) wegen gemeinschaftlicher versuchter menschengefährdender Brandstiftung unter Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren verurteilt. In dieser Sache befindet er sich z.Z. in Strafhaft (8). Daneben ist der Angeschuldigte in den Jahren von 1964 bis 1967 insbesondere wegen Fahrens ohne Führerschein wiederholt mit Geld- und Freiheitsstrafen belegt worden (9).

Nach den bereits in der Strafsache 4 KLs 1/68 von dem Landgericht in Frankfurt/M getroffenen Feststellungen liegen keine Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der strafrechtlichen Verantwortungsfähigkeit[37] des Angeschuldigten rechtfertigen könnten (10).

[29] 2. Die jetzt 34 Jahre alte Angeschuldigte Ensslin entstammt einer evangelischen Pfarrfamilie. Sie hat noch fünf Geschwister. Von 1946 bis 1950 besuchte sie die Grundschulen an ihrem Geburtsort Bartholomä (Krs. Schwäbisch-Gmünd) und in Tuttlingen. Während ihrer Gymnasialzeit hielt sie sich als Austauschschülerin für die Dauer eines Jahres in den USA auf und erwarb dort 1959 das sog. Graduation-Diplom (11). Die Reifeprüfung legte sie im März 1960 an dem Königin-Katharina-Stift in Stuttgart mit durchweg überdurchschnittlichen Einzelnoten ab (12). Nach den Angaben ihrer Mutter wurde ihr von dieser Lehranstalt ein Schulpreis wegen besonderer gemeinschaftskundlicher Leistungen verliehen (13).

Die Angeschuldigte war als Gymnasiastin in der Jugendarbeit der Evangelischen Kirche tätig. Eine Freundin aus dieser Zeit rühmt ihre dabei zutage getretene Einsatzfreude sowie ihr kirchliches und soziales Engagement (14).

Nach Abschluß ihrer Schulausbildung wandte sich die Angeschuldigte an der Universität in Tübingen den Studienfächern Germanistik, Anglistik, Griechisch und Philosophie zu. Nach Erlangung des sog. Philosophikums war sie vom Sommersemester 1963 bis Frühjahr 1964 an der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch-Gmünd immatrikuliert, wo sie sich mit Erfolg der ersten Dienstprüfung für das Lehramt an Volksschulen unterzog. Später setzte sie ihr Studium an der Freien Universi- [30] tät in Berlin (West) fort; dort war sie bis April 1968 für die Fachschaftsbereiche Germanistik und Anglistik eingeschrieben. 1960 bewarb sich die Angeschuldigte zum ersten Mal um ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes;[38] 1965 wurde das Stipendium endgültig gewährt. Als vorgesehenes Abschlußexamen hatte sie ihre später auch begonnene Promotion und als beabsichtigte berufliche Tätigkeit Verlagsarbeit angegeben; Stellungnahmen im Zulassungsverfahren der Studienstiftung sprechen sich lobend über ihre Intelligenz und Persönlichkeit aus (15).

Im Sommer 1962 lernte die Angeschuldigte den inzwischen verstorbenen Studenten Bernward Vesper kennen, mit dem sie - von studienbedingten Unterbrechungen abgesehen - bis Januar 1968 zusammenlebte. Etwa 1965 verlobte sie sich mit Vesper, um „den Eltern damit eine bürgerliche Konzession zu machen“. Vesper ist der Vater des im Mai 1967 von der Angeschuldigten geborenen Felix Ensslin. Das Kind, um das sie sich seit 1969 nicht mehr gekümmert hat, befindet sich jetzt im Hausstand eines Arztes in der Gegend von Reutlingen (16).

Bereits während ihrer Studienzeit in Tübingen hatte die Angeschuldigte gemeinsam mit Vesper in dem Eigenverlag „Studio Neue Literatur“ verschiedene Schriften veröffentlicht. Auch in Berlin, wo sie an der Vorbereitung und Durchführung zahlreicher Demonstrationen teilnahm, wirkte sie bei der Übersetzung und Herausgabe verschiedener politischer Publikationen mit (17).

[31] Wie schon erwähnt (18), ist die Angeschuldigte am 31. Oktober 1968 von einer Strafkammer des Landgerichts in Frankfurt/M (4 KLs 1/68) zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren verurteilt worden. In dieser Sache befand sie sich bis zum 31. August 1974 in Strafhaft. Daneben wurde sie am 11. Dezember 1969 im Strafbefehlswege durch das Amtsgericht in Frankfurt/M (922 Cs 405/69) wegen gemeinschaftlichen Diebstahls mit einer Geldstrafe belegt. Die zehntägige Ersatzfreiheitsstrafe aus dem Strafbefehl hat sie vom 7. bis 16. Juni 1972 verbüßt (19).

Nach den Feststellungen in dem o.a. Urteil sind die Spiegelaffäre,[39] das Wohnen in einem Berliner Arbeiterviertel, die Mithilfe im Berliner Wahlkontor eines Politikers, die Ostermarschkampagne,[40] der Kampf um die Mitbestimmung in der Berliner Universität und der Tod des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967[41] zu entscheidenden, persönlichkeitsformenden Erlebnissen im Leben der Angeschuldigten geworden (20).

Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Frankfurt/M-Preungesheim Dr. Helga Einsele hat die Angeschuldigte als pädagogisch begabte „Führungspersönlichkeit“ gekennzeichnet (21).

Früheren Angaben der Angeschuldigten zufolge hat sich ihr älterer Bruder Ulrich [Gesundheitsdaten] [32] [Gesundheitsdaten]; auch eine jüngere Schwester [Gesundheitsdaten] (22). Ulrich Ensslin hat im Dezember 1968 Freitod verübt (23). An der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Angeschuldigten bestehen jedoch keine Zweifel (24).

3. Die Angeschuldigte Meinhof wurde im Jahre 1934 in Oldenburg als zweite Tochter des späteren Direktors des Stadtmuseums in Jena Dr. Werner Meinhof und seiner Ehefrau geboren. Ihr Vater ist 1940 und ihre Mutter 1949 verstorben. Nach dem Besuch der Grundschulen in Schönau bei Berchtesgaden, Halle a.d.S., Berlinchen i.d. Neumark und Bad Berneck trat sie im Frühjahr 1946 in ihrem Geburtsort in das katholische Liebfrauen-Lyzeum ein. Über ihre Zeit in dieser Lehranstalt und die dort beobachtete Toleranz hat sich die Angeschuldigte anläßlich ihrer Reifeprüfung - wie folgt - geäußert:

„Die Begegnung mit dem Katholizismus ... war eine große Bereicherung für mich. Wir evangelischen Schülerinnen stießen dort auf echte Toleranz in dem gemeinsamen Bewußtsein der eigentlichen Wahrheit des Christentums ...“ (25).

Zur gleichen Zeit war ihre Mutter nach Abschluß des 1940 begonnenen Studiums der Philologie in Oldenburg als Studienreferendarin tätig (26).

[33] Nach dem Tode der Mutter wurden die Angeschuldigte und ihre drei Jahre ältere Schwester in den Hausstand ihres späteren Vormundes Professor Dr. Renate Riemeck aufgenommen. Von Winter 1950 bis Herbst 1952 war die Angeschuldigte Schülerin der Rudolf-Steiner-Schule in Wuppertal, wo sie wegen eines Auslandsaufenthaltes ihrer Pflegemutter vorübergehend bei Verwandten lebte. Danach besuchte sie die Cäcilienschule in Oldenburg (27). Ihre Reifeprüfung legte sie im März 1955 an dem Gymnasium Philippinum in Weilburg a.d.Lahn ab; Frau Dr. Riemeck hatte seit 1952 einen Lehrstuhl für Pädagogik an dem Pädagogischen Institut in dieser Stadt inne. Das Reifezeugnis der Angeschuldigten weist durchweg erheblich über dem Durchschnitt liegende schulische Leistungen auf. Nach den Angaben ihres früheren Ehemannes war sie zeitweise Vorsitzende des Schülerrates der genannten Lehranstalt (28).

Bereits während ihrer Gymnasialzeit hatte die Angeschuldigte sich entschlossen, Pädagogik, Psychologie und Germanistik zu studieren. Für diese Fachbereiche war sie von Mai 1955 bis März 1957 an der Philosophischen Fakultät der Philipps- Universität in Marburg a.d.Lahn eingeschrieben. Nach einer von dem Präsidenten dieser Hochschule erteilten Auskunft sind ihre während dieser Zeit abgelegten Fleißprüfungen nahezu ausnahmslos mit dem Prädikat „sehr gut“ bewertet worden (29). Auch sie war Stipendiatin der Studienstiftung [34] des Deutschen Volkes[42] (30). In der Folgezeit, nämlich von November 1957 bis November 1959, setzte die Angeschuldigte ihr Studium an der Universität Münster i.Westf. in den Fächern Pädagogik und Kunstgeschichte fort; gleichzeitig hatte sie auch Unterrichtsveranstaltungen in Philosophie und Geschichte belegt (31). Von Mai 1957 bis 1958 war sie außerdem an der früheren Evangelischen Pädagogischen Akademie in Wuppertal als Gasthörerin eingeschrieben (32). Während des Wintersemesters 1959/1960 studierte sie an der Universität in Hamburg Pädagogik, Philosophie und Kunstgeschichte. Nach dem Sommersemester 1961 belegte sie keine Vorlesungen mehr. Anläßlich ihrer am 7. August 1962 erfolgten Exmatrikulation gab sie als künftiges Berufsziel Verlagsarbeit an (33).

Nach Auskunft des Polizeidirektors in Münster ist die Angeschuldigte Mitherausgeberin eines Handzettels, der im Juli 1958 an der dortigen Universität verbreitet worden ist. Der Handzettel trägt die Überschrift „Wer atomar aufrüstet, kann die Abrüstung nicht wollen“ (34). Die Angeschuldigte war auch Mitglied des Präsidiums des am 15. Juni 1958 in Gelsenkirchen zusammengetretenen „Ständigen Kongresses gegen die atomare Aufrüstung in der Bundesrepublik“[43] (35).

[35] Am 27. Dezember 1961 heiratete die Angeschuldigte in Hamburg den Verleger und damaligen Chefredakteur der Zeitschrift „konkret“ Klaus Rainer Röhl. Aus der im April 1968 geschiedenen Ehe sind die am 21. September 1962 geborenen Kinder Ingeborg-Bettina und Ingeborg-Regina hervorgegangen. Wegen eines während der Schwangerschaft aufgetretenen Tumors mußte sich die Angeschuldigte im Oktober des gleichen Jahres einer Schädeloperation unterziehen (36).

Bereits vor ihrer Verehelichung war die Angeschuldigte bei der Herausgabe der Zeitschrift „konkret“ in verschiedenen Aufgabenbereichen tätig geworden. Bekannt wurde sie insbesondere als Kolumnistin dieses Blattes. Im April 1969 schied sie jedoch aus dem Verlag aus, weil es wegen unterschiedlicher Auffassungen bei der redaktionellen Arbeit zu Zwistigkeiten mit ihrem früheren Ehemann gekommen war. Diese Streitigkeiten waren auch Anlaß zu der sog. „Meinhof-Aktion“ vom 7. Mai 1969, in deren Verlauf der Angeschuldigten nahestehende Demonstranten gewaltsam in das Hamburger Wohnhaus Klaus Rainer Röhls eindrangen und dort Sachbeschädigungen und Diebstähle verübten (37). Das wegen dieser Vorfälle u.a. gegen die Angeschuldigte eingeleitete Ermittlungsverfahren ist aufgrund des Straffreiheitsgesetzes 1970[44] eingestellt worden (38).

Neben ihrer Arbeit für den „konkret“-Verlag war die Angeschuldigte stets auch in anderer Weise politisch und [36] journalistisch aktiv geblieben. So hielt sie sich im September 1961 anläßlich des sog. „Weltjugendforums“ in Moskau auf (39). Sie zählt zu den Herausgebern der Aufrufe für die 1963 und 1964 durchgeführten „Ostermärsche“ und ist Unterzeichnerin einer Flugschrift, in der zur Teilnahme an dem im Juli 1962 in Moskau abgehaltenen „Weltkongreß für allgemeine Abrüstung und Frieden“[45] aufgefordert wurde (40). Bereits im Jahre 1962 befand sich ihr Name in einer Liste, die bei einem der Staatsgefährdung verdächtigen Einwohner Hannovers gefunden worden war (41).

Im Oktober 1966 nahm die Angeschuldigte an einem Podiumsgespräch in Hamburg teil, das sich mit gesellschaftspolitischen Fragen der DDR befaßte. Gäste dieser Veranstaltung waren auch Personen aus dem öffentlichen Leben der DDR (42). Außerdem gehörte sie zu den Unterzeichnern der von dem Allgemeinen Studentenausschuß der Freien Universität Berlin Ende Januar 1968 veröffentlichten „Erklärung zur Internationalen Vietnam-Konferenz West-Berlin“[46] (43). Am 5. Januar 1967 wurde vom Westdeutschen Rundfunk ein von ihr verfaßter Bericht über Frauenarbeit in der Industrie ausgestrahlt (44).

Von März 1968 bis etwa Juni 1970 lebte die Angeschuldigte durchweg in Berlin (West), wo sie vornehmlich an den Kreis um den damals noch als Rechtsanwalt tätigen Horst Mahler und später auch an ihre Mitangeschuldigten Baader und Ensslin Anschluß fand (45).

[37] Bei den Studentenunruhen im Frühjahr 1968[47] trat sie insbesondere als Rednerin bei dem „teach-in“ in der Freien Universität am 13. April in Erscheinung. Im Verlauf dieser Veranstaltung hat sie u.a. geäußert,

„wenn man einen Stein werfe, sei das eine strafbare Handlung, werfe man jedoch Tausende von Steinen, dann sei das eine politische Aktion; zünde man ein Auto an, dann sei das eine strafbare Handlung, zünde man Hunderte von Autos an, dann sei das eine politische Aktion,“

und

„wenn Autos mit Springer-Zeitungen brennen, dann sei das eine politische Aktion; die Verletzung eines Polizisten sei eine Körperverletzung, die Verletzung Hunderter von Polizisten jedoch eine politische Aktion“ (46).

Von dem Vorwurf, sich in der Nacht zum 13. April 1968 in strafbarer Weise an den Ausschreitungen im Bereich des Springer-Hauses[48] in Berlin-Kreuzberg beteiligt zu haben, wurde die Angeschuldigte indessen am 16. September 1969 freigesprochen (47).

Im Juni 1968 schrieb die Angeschuldigte in der von Hans Dollinger herausgegebenen politischen Anthologie „Revolution gegen den Staat?“ unter dem Titel „Revolutionsgerede“ u.a.:

„Von Revolution reden heißt, es ernst meinen. Von Revolution reden heißt, mit dem Pazifismus aufgehört haben, ...

Ein tabubrechendes Stichwort, insofern es Gewalt rechtfertigt, anstelle von Weltanschauung den Anspruch [38] der Weltveränderung setzt, von Beschaulichkeit Verbindlichkeit und den Weg aus dem schlechten Gewissen in die Resignation abschneidet.

Nur nützt das Revolutionsgerede der Intellektuellen nichts, wenn es nicht Massen ergreift, und erst wenn einige Massen von Menschen begriffen haben werden, daß ihre Lage unerträglich, aber nicht unabänderlich ist, ihre Leidensfähigkeit begrenzt, nicht aber ihre Widerstandskraft..., dann, wenn Massen von Menschen das begriffen haben werden und sich darüber zu unterhalten und zu verständigen anfangen werden, werden sie auch Lust kriegen, die Initiative zu ergreifen und werden diejenigen, die Bücher wie diese lesen und schreiben, darauf aufmerksam machen, daß ihre Bücher langweilig sind und ihre Meinungen uninteressant, wenn sie statt Theorie Assoziationen, statt Solidarität Einwände, statt Aufklärung Standpunkte liefern und werden Revolution machen, ohne vorher Schriftstellerbefragungen durchgeführt zu haben.

Die Zukunft der deutschen Linken wird davon abhängen, ob sie diesen notwendigen und denkbaren Bewußtwerdungsprozeß in Gang setzen kann oder nicht. Ihr derzeitiges Revolutionsgerede ist sicherlich die Voraussetzung dafür, sich von verinnerlichter Herrschaft und ihren Skrupeln frei zu machen, um an die Arbeit gehen zu können. Die Frage ist offen, ob sie über diesen Akt der Selbstbefreiung hinauskommt“ (48).

1969 verfaßte die Angeschuldigte ein Drehbuch zu einem allerdings nicht gesendeten Fernsehspiel, das sich kritisch mit Fragen der Fürsorgeerziehung auseinandersetzt. Das Drehbuch wurde später unter dem Titel „Bambule“ veröffentlicht (49). Für das Wintersemester 1969/70 erhielt sie von dem Dekan der Philosophischen Fakultät der Freien Universität einen Lehrauftrag für eine unter dem Thema

„Funklaboratorium - Möglichkeit von Agitation und Aufklärung im Hörfunkfeature“

veranstaltete Vorlesungsreihe (50).

[39] Am Abend des 1. April 1970 drang die Angeschuldigte zusammen mit etwa 20 Jugendlichen gewaltsam in ein in Berlin-Tegel gelegenes Mädchenheim ein, um mit den Bewohnerinnen über dort angeblich bestehende soziale Mißstände zu diskutieren (51).

Am 1. Mai 1970 verschaffte sich die Angeschuldigte im Verlauf einer nichtangemeldeten Demonstration zusammen mit etwa 100 bis 200 Angehörigen der sog. „Außerparlamentarischen Opposition“[49] widerrechtlich Zutritt zu den Räumen einer Berliner Möbelfabrik und schlug mit einem Holzstück auf einen bei der Räumung des Geländes eingesetzten Polizeibeamten ein. Das daraufhin gegen die Angeschuldigte eingeleitete Ermittlungsverfahren ist inzwischen im Hinblick auf die vorliegende Strafsache und das gegen sie bei dem Landgericht Berlin anhängige Strafverfahren 2 PKs 1/71, auf das im folgenden noch einzugehen sein wird, gemäß § 154 StPO[50] eingestellt worden (52).

Die nicht vorbestrafte Angeschuldigte ist strafrechtlich voll verantwortlich (53).

[40] 4. Der jetzt 33 Jahre alte Angeschuldigte Meins wuchs an seinem Geburtsort Hamburg auf. An dem dortigen St. Georg-Gymnasium legte er im Januar 1962 die Reifeprüfung ab.

Der Vater des Angeschuldigten ist als Geschäftsführer in einem feinmechanischen Betrieb in Hamburg tätig; die Mutter ist 1967 gestorben. Sein älterer Bruder arbeitet im Rheinland als Chemiker; seine jüngere Schwester lebt in Frankfurt/M (55).

Von 1953 oder 1954 bis 1961 gehörte der Angeschuldigte der evangelischen Jugendbewegung an. Während seiner Schulzeit bekleidete er wiederholt das Amt des Klassensprechers (56). Im Oktober 1961 wurde er nach erfolgter Musterung als Kriegsdienstverweigerer anerkannt (57).

Der Angeschuldigte beabsichtigte zunächst, Germanistik und Philosophie zu studieren (58). Nach der Reifeprüfung nahm er jedoch das Studium an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste in Hamburg auf; dort war er bis Oktober 1966 für die Fachbereiche Zeichnen, Malerei, Fotografie und Film eingeschrieben (59). Daneben arbeitete er Anfang 1964 zeitweise bei einem Hamburger Theater als Bühnenbildassistent und Beleuchter (60). Außerdem war er von Juni bis August 1964 als Volontär im Kopierwerk eines [41] film- und lichttechnischen Betriebes in Bayern beschäftigt (61); anschließend unterzog er sich bis Ende Februar 1966 in München einer zusätzlichen Ausbildung als Kameraassistent (62).

Von September 1966 an hielt sich der Angeschuldigte ständig in Berlin (West) auf (63), wo er nach bestandener Aufnahmeprüfung an der örtlichen Film- und Fernsehakademie studierte und während dieser Zeit in zumindest kommuneähnlichen Gemeinschaften lebte. Auch gehörte er der Studentenvertretung der genannten Lehranstalt an. Der mit der Film- und Fernsehakademie geschlossene Ausbildungsvertrag wurde Ende November 1968 von dieser fristlos gekündigt. Dem Angeschuldigten war zum Vorwurf gemacht worden, in der Zeit vom 27. Mai 1968 an wiederholt an Ausschreitungen auf dem Hochschulgelände teilgenommen zu haben. Im Wege der Einstweiligen Verfügung[51] (5 O. 57/70 LG Berlin) wurde der Lehranstalt am 10. Februar 1970 jedoch aufgegeben, den Angeschuldigten zunächst wieder zum Studium zuzulassen (64).

Vom 14. August bis 14. September 1970 befand sich der Angeschuldigte in Untersuchungshaft (65). In dem gegen noch weitere Personen gerichteten, später jedoch mangels hinreichenden Tatverdachts[52] eingestellten Ermittlungsverfahren 2 PJs 1188/70 StA Berlin war dem Angeschuldigten zur Last gelegt worden, sich in der Nacht zum 14. August 1970 in dem Berliner Ortsteil Dahlem an einem Sprengstoffverbrechen [42] beteiligt zu haben. Bei dem Anschlag war eine unter einem geparkten Kraftwagen der Berliner Polizei abgelegte Rohrbombe zur Explosion gebracht worden (66).

Der Angeschuldigte ist bisher nicht vorbestraft (54).

5. Der 1944 in Seefeld (Tirol) geborene Angeschuldigte Raspe ist der Sohn des in demselben Jahr verstorbenen Kaufmanns und Fabrikanten Carl Raspe aus Berlin-Weißensee. Er hat noch zwei Schwestern. Nach der Geburt des Angeschuldigten hielt sich die Familie zunächst in Kramsach (Tirol) auf, wo sich ein Zweigbetrieb des väterlichen Unternehmens befand. 1946 kehrte die Mutter Charlotte Raspe mit den Kindern in den im Ostsektor Berlins gelegenen Ortsteil Weißensee zurück (67).

Von 1950 an besuchte der Angeschuldigte in Berlin (Ost) die Grundschule, die er 1958 mit der Gesamtnote „gut“ abschloß. Eigenen Angaben zufolge wurde er jedoch „wegen mangelnder gesellschaftlicher Betätigung“ nicht zum Besuch einer Oberschule zugelassen. Er sei auch niemals Angehöriger der „Jungen Pioniere“[53] und der „Freien Deutschen Jugend“[54] (FDJ) gewesen.

Ab Oktober 1958 war der Angeschuldigte Schüler eines neusprachlichen Gymnasiums in dem West-Berliner Bezirk Reinickendorf. Seinen Wohnsitz in Berlin-Weißensee behielt er zunächst bei. An dieser Lehranstalt legte er im September 1963 auch die Reifeprüfung ab. Anläßlich der Ereig- [43] nisse des 13. August 1961[55] fand er Aufnahme bei Verwandten in Berlin (West). Nach Durchführung des Notaufnahmeverfahrens wurde er als politischer Flüchtling anerkannt (68).

Vom Wintersemester 1963/64 an studierte der Angeschuldigte an der Freien Universität Berlin zunächst Chemie und später - ab Wintersemester 1964/65 - Soziologie. In diesem Fachbereich unterzog er sich im Sommer 1970 mit Erfolg (Gesamtnote „gut“) der Diplomprüfung. Seine inzwischen veröffentlichte freie wissenschaftliche Arbeit „Zur Analyse einiger wichtiger Aspekte der Sozialisationsbedingungen proletarischer Kinder“ wurde mit „sehr gut“ bewertet (69).

Ab 1967 war der Angeschuldigte Mitglied des „Sozialistischen Deutschen Studentenbundes“[56] (SDS) (70). Von August desselben Jahres an lebte er in einer unter der Bezeichnung „Kommune 2“[57] bekannt gewordenen West-Berliner Wohngemeinschaft. Er ist Mitverfasser der erstmals im Jahre 1969 erschienenen Broschüre „Kommune 2 - Versuch der Revolutionierung des bürgerlichen Individuums“ (71).

Der Angeschuldigte ist nicht vorbestraft (72).

[44] II. Vorgeschichte der Straftaten

1. Allgemeines

Etwa ab Mitte März 1968 hielten sich die Angeschuldigten Baader und Ensslin, die sich 1967 in Berlin kennengelernt hatten, zusammen mit dem damals 26 Jahre alten Gelegenheitsarbeiter Thorwald Proll in München auf; dort kamen sie bald mit dem ungefähr gleichaltrigen Schauspieler Horst Söhnlein in nähere Berührung. Während sich die Angeschuldigten Baader und Ensslin auch persönlich zugetan waren, verfolgten sie daneben zusammen mit Proll und Söhnlein politische Ziele. Den Feststellungen in der nachstehend noch mehrfach zu erwähnenden Strafsache 4 KLs 1/68 StA Frankfurt/M. zufolge waren sie schon damals zutiefst davon überzeugt, daß die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland nur Ausdruck der bestehenden kapitalistischen Gewaltverhältnisse sei. Zur Begründung berief sich insbesondere der Angeschuldigte Baader in erster Linie auf Storkeley Carmichael[58] und Herbert Marcuse[59]. Schließlich gelangten die vier Genannten zu der Auffassung, daß ihre bisherigen Bemühungen angesichts der „bornierten Stumpfheit einer saturierten Konsumgesellschaft“ keinen Erfolg zeitigen könnten. Sie entschlossen sich deshalb, nunmehr ein „Fanal“ zu setzen, das die Massen aktivieren sollte. Bei ihren Überle- [45] gungen wußte sich die Gruppe überdies einig mit den Bestrebungen sog. linksradikaler Zirkel, die ebenfalls den Umsturz der heutigen Gesellschaftsordnung zum Ziel hatten. Diese Kreise hatten sich nach dem Zerfall der antiautoritären Studentenbewegung der Jahre 1967/68[60] insbesondere an der Freien Universität Berlin gebildet. Ihren Anhängern war die Überzeugung gemeinsam, daß Reformen sinnlos seien, weil sie letztlich nur der Festigung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse dienten. Eine grundlegende Veränderung der Gesellschaftsordnung war nach ihrer Meinung nur durch Maßnahmen zu erreichen, die sich vom herrschenden System „nicht mehr integrieren ließen“, sondern dessen Rahmen sprengten. Aktionen dieser Art hielten sie nicht nur innerhalb der Universitäten, sondern auch außerhalb des Hochschulbereichs deshalb für erforderlich, weil sie glaubten, daß universitätsinterne Übergriffe nur solche „auf einer Spielwiese“ darstellten. Damit gewann bei einzelnen Linksradikalen mehr und mehr die Überzeugung Boden, daß es notwendig sei, durch „Propaganda der Tat“ den „potentiell revolutionären Teil der Bevölkerung“ aufzurütteln und zu Aktionen anzuspornen. Eine derartige Wirkung versprachen sie sich vor allem von strafbaren Handlungen nach dem Vorbild der südamerikanischen Tupamaros.[61]

Bald nahmen die Vorstellungen der Gruppe auch greifbare Formen an, und man faßte den Plan, in der Frankfurter Innenstadt ein Kaufhaus in Brand zu stecken. In Ausfüh- [46] rung dieses Vorhabens begaben sich die Angeschuldigten Baader und Ensslin in den frühen Abendstunden des 2. April 1968 - noch vor Ladenschluß - in ein im Geschäftszentrum von Frankfurt/M. gelegenes Kaufhaus, wo sie zwei mit Zeitzündern versehene Brandsätze ablegten. Wie erwartet zündeten die Brandsätze etwa um Mitternacht und setzten die Innenräume des Kaufhauses an mehreren Stellen in Brand. Infolge des rechtzeitigen Eingreifens der Feuerwehr und dank der in dem Geschäftshaus bestehenden Sicherungsanlagen wurde die Ausbreitung des Feuers jedoch verhindert. Der entstandene Sachschaden belief sich auf mehr als 280.000.-- DM.

Nach den in der oben angeführten Strafsache weiterhin getroffenen Feststellungen hatten es die Täter zumindest billigend in Kauf genommen, daß sich bei Ausbruch des Brandes noch Menschen (Wachpersonal) in den Geschäftsräumen des Kaufhauses befanden (73).

Aus Anlaß des wegen der Warenhausbrandstiftung durchgeführten Strafverfahrens (4 KLs 1/68 StA Frankfurt/M.) vertrat die Angeschuldigte Meinhof im November 1968 in der Zeitschrift „konkret“ die Auffassung, Warenhausbrandstiftungen seien zwar „progressiv“, da mit ihnen ein Gesetz übertreten werde, das nicht die Menschen, sondern nur das Eigentum schütze. Es sei indessen zweifelhaft, ob dieses progressive Moment von Warenhausbrandstiftungen den Massen vermittelt werden könnte. Sie folgerte deshalb:

[47] „... So bleibt, daß das, worum in Frankfurt prozessiert wird, eine Sache ist, für die Nachahmung - abgesehen noch von der ungeheueren Gefährdung für die Täter wegen der Drohung schwerer Strafen - nicht empfohlen werden kann. Es bleibt aber auch, was Fritz Teufel[62] auf der Delegiertenkonferenz des SDS gesagt hat: ‚Es ist immer noch besser ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben‘ ...“ (74)

Ungeachtet dieser noch zurückhaltenden Stellungnahme fand sich die Verfasserin im Mai 1970 bereit, den Angeschuldigten Baader mit Waffengewalt aus der Strafhaft zu befreien, nachdem dieser zusammen mit der Angeschuldigten Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein am 31. Oktober 1968 durch eine Strafkammer des Landgerichts in Frankfurt/M zu einer Zuchthausstrafe von 3 Jahren verurteilt worden war (75).

2. Befreiungsaktion Baader am 14. Mal 1970[63]

Die Beteiligung der Angeschuldigten Meinhof an der „Befreiungsaktion“ ist Gegenstand der zur Zeit bei dem Schwurgericht bei dem Landgericht in Berlin anhängigen Strafsache 2 PKs 1/71 (78).[64]

Der Ablauf der Aktion veranschaulicht die bei den Tatgenossen bereits vor Gründung der kriminellen Vereinigung vorhandene Bereitschaft, bestimmte Ziele erforderlichenfalls mit brutaler Gewalt zu verfolgen. Nach den bisherigen Feststellungen ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

[48] Nach Rechtskraft[65] des vorgenannten Strafkammerurteils erging gegen den inzwischen vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschonten Angeschuldigten Baader am 10. März 1970 Vollstreckungshaftbefehl, weil er sich ebenso wie die Angeschuldigte Ensslin verborgen hielt. In der Nacht zum 4. April 1970 wurde er in Berlin festgenommen und zur Verbüßung seiner Restfreiheitsstrafe in die örtliche Justizvollzugsanstalt Tegel verbracht.

Schon kurze Zeit nach seiner Verhaftung begannen die Angeschuldigten Meinhof und ihre unten noch näher bezeichneten Mittäter, die Befreiung Baaders vorzubereiten. Im Verlauf dieses Vorhabens gelang es ihnen, nach Einschaltung des damals noch als Rechtsanwalt tätigen Horst Mahler,[66] die Ausführung des Angeschuldigten Baader in das Zentralinstitut für Sozialfragen in Berlin-Dahlem zu erreichen.

Vorgefaßtem Tatplan entsprechend hielt sich die Angeschuldigte Meinhof am Vormittag des 14. Mai 1970 - dem Tattag - in dem Lesesaal des genannten Instituts auf. Dort traf gegen 9.45 Uhr der Angeschuldigte Baader in Begleitung der bewaffneten Justizbeamten Wetter und Wegener ein; ihm wurde im Lesesaal der Platz neben der Angeschuldigten Meinhof zugeteilt. Die beiden Beamten verblieben gleichfalls in dem Raum. Gegen 10.30 Uhr erschienen die inzwischen gesondert abgeurteilten Mittäterinnen Ingrid Schubert[67] und Irene Goergens[68] (76) im Institut; ihnen wurden Arbeitsplätze in der Diele zugewiesen. Von dort aus ließen sie wenig [49] später den weiteren Tatbeteiligten Hans-Jürgen Bäcker[69] ein. Ingrid Schubert - mit einer Pistole - und Irene Goergens - mit einem Schnellfeuergewehr Landmann-Preetz im Anschlag - drangen sodann zunächst in das neben dem Lesesaal gelegene Zimmer ein, wo sie die dort arbeitenden Angestellten mit ihren Waffen bedrohten und ein Fernsprechkabel aus der Anschlußdose rissen. Anschließend eilten sie, gefolgt von Bäcker, über die Diele in den Lesesaal. Zuvor hatte letzterer mit einer von ihm mitgeführten Pistole auf den in der Diele anwesenden Institutsbediensteten Linke geschossen. Das Projektil des von Bäcker abgefeuerten Schusses durchschlug den rechten Arm des Mannes und blieb in dessen Leber stecken. Im Lesesaal gaben Ingrid Schubert, Irene Goergens und Bäcker sofort scharfe Schüsse auf die Justizbeamten ab. Zugleich schossen die Angreifer aus anderen Waffen mit Tränengas. Noch während der nun folgenden Auseinandersetzung mit den sich wehrenden Beamten sprangen die Angeschuldigten Baader und Meinhof aus einem Fenster des Lesesaals und flüchteten. Ingrid Schubert, Irene Goergens und Bäcker folgten ihnen nach.

Bei dem Überfall wurde einer der Justizbediensteten durch Schüsse aus einem Gasrevolver u.a. an der linken Wange verletzt. Der andere mit der Bewachung des Angeschuldigten Baader betraute Beamte zog sich Verletzungen am linken Schienbein und im Gesicht zu (77).

Bereits wenige Tage nach der Befreiung des Angeschuldigten Baader wurde in der Nr. 61 des linksradikalen West-Berliner Kampfblattes „agit 883“ vom 22. Mai 1970 ein Aufruf mit dem Titel: „Die Rote Armee aufbauen“[70] abge- [50] druckt (79). In ihm heißt es:

„... Glaubte irgendein Schwein wirklich, wir würden von der Entfaltung der Klassenkämpfe, der Reorganisation des Proletariats reden, ohne uns gleichzeitig zu bewaffnen? ...

Glaubten die Schweine wirklich, wir könnten den Genossen Baader im Kampf gegen den amerikanischen Imperialismus für 2 - 3 Jahre entbehren? ...

Die Klassenkämpfe entfalten! Das Proletariat organisieren! Mit dem bewaffneten Widerstand beginnen!

Die Rote Armee aufbauen!“

Am 15. Juni 1970 veröffentlichte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ eine Erklärung zur Befreiung des Angeschuldigten Baader (80). Hierbei soll es sich um „unredigierte Auszüge“ von Äußerungen der Angeschuldigten Meinhof gehandelt haben. Im Text wird ausgeführt, man habe Baader befreit, weil er ein „Kader“ sei, auf den man nicht verzichten könne. Gleichzeitig sei man davon ausgegangen, daß „der Teil des Proletariats, von dem wir glauben, daß er potentiell revolutionär ist“, keine Schwierigkeiten habe, sich mit einer Gefangenenbefreiung zu identifizieren. Außerdem habe die Gefangenenbefreiung deutlich machen sollen, daß man es wirklich ernst meine und daß man „sich in gar keinem Fall gegenseitig draufgehen lassen“ werde. Wörtlich heißt es weiter:

„... Wovon wir ausgehen und was ja auch die Linken, die intellektuellen Linken begriffen haben, das ist, daß die Revolution nicht von ihnen gemacht werden wird, sondern vom Proletariat; das ist, daß man also in die Fabriken zu gehen hat und in die Stadtteile und daß die Organisierung stattzufinden hat. Nur sind wir der Auffassung, daß die Organisierung des Proletariats ein Popanz dann ist, wenn man nicht gleichzeitig anfängt, das [51] zu machen, was wir jetzt tun, nämlich die Rote Armee aufzubauen; ... wenn man sich nicht gleichzeitig darauf vorbereitet und gleichzeitig die Voraussetzungen schafft, bei solchen Auseinandersetzungen bestehen zu können - mit anderen Worten, jede politische Arbeit einfach perspektivlos ist und über einige Reformen nicht hinauskommen kann, also genau das nicht erreichen kann, was notwendig ist zu erreichen, wenn nicht die Form der Ausbeutung und die Form der Unterdrückung nur verändert werden sollen; daß man das überhaupt nicht erreichen kann, wenn man nicht gleichzeitig mit der Organisierung des Proletariats, mit der Arbeit im Betrieb und den Stadtteilen auch die Bewaffnung betreibt, das heißt, die Möglichkeiten schafft, Auseinandersetzungen durchzustehen: die Auseinandersetzungen, die kommen werden in dem Moment, wo ein Konzern eben nicht mehr in der Lage ist, einen Streik auf seine Art durch Aussperrung kaputt zu machen; wo natürlich die Staatsgewalt einsetzen wird, wo natürlich die Bullen kommen, und daß es von vornherein revisionistisch ist und reiner Reformismus, wenn man glaubt, erst das Proletariat organisieren zu können und erst später die Bewaffnung machen zu sollen. ...

Was wir machen und gleichzeitig zeigen wollen, das ist: daß bewaffnete Auseinandersetzungen durchführbar sind, daß es möglich ist, Aktionen zu machen, wo wir siegen und nicht, wo die andere Seite siegt. Und wo natürlich wichtig ist, daß sie uns nicht kriegen, das gehört sozusagen zum Erfolg der Geschichte.“

3. Ausbildungszeit in Jordanien

Bereits kurze Zeit vor dem Erscheinen des obigen Artikels waren die Angeschuldigten Baader, Ensslin und Meinhof sowie Horst Mahler, Brigitte Asdonk[71], Hans-Jürgen Bäcker, Irene Goergens, Manfred Grashof[72], Heinrich Jansen[73], Astrid Proll[74], Petra Schelm[75], Ingrid Schubert, Bernhard Wolff[76], Peter Homann[77] und Wolfgang Thoms[78] in den Nahen Osten gereist, um in Jordanien in Ausbildungslagern arabischer Untergrundkämpfer an der Schulung im Guerillakampf teilzunehmen; Homann löste sich jedoch bald von der Gruppe. Die übrigen Gruppenangehörigen kehrten etwa in der ersten Augusthälfte heimlich nach West-Berlin zurück (81).

[52] B

Das Tatgeschehen bis zu den Sprengstoffanschlägen

I. Konsolidierung, Vorstellungen und schriftliche Zielsetzung der Gruppe

Nach ihrer Rückkunft aus dem Nahen Osten begannen die Angeschuldigten Baader, Ensslin und Meinhof unter maßgeblicher Beteiligung Mahlers, aus dem bislang unter dem Zwang der Verhältnisse und unter dem Druck polizeilicher Fahndung mehr zufälligen Zusammenfinden politisch Gleichgesinnter eine festgefügte Gruppe zu schmieden (1). Dabei gingen sie in zumindest teilweiser Übereinstimmung mit den Anschauungen der vorstehend bereits behandelten linksradikalen Zirkel von folgenden Vorstellungen aus: Endziel all ihrer Bestrebungen müsse sein, eine sozialistische Gesellschaftsordnung herbeizuführen. Dies könne gegenwärtig jedoch nur dadurch gefördert werden, daß neben der politischen Aufklärungsarbeit in den Betrieben, Universitäten, Schulen und Heimen anschauliche revolutionäre Beispiele in Form gezielter und bewaffneter Aktionen gegen die Organe der Staatsmacht, ähnlich der Methode der südamerikanischen Stadtguerillas,[79] gegeben würden. Die revolutionäre Theorie mobilisiere die Massen nur dann, wenn [53] ihr konkrete Möglichkeiten zur revolutionären Veränderung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse vor Augen geführt würden. Dazu sei schon jetzt der Aufbau einer Organisation erforderlich, die in der Lage sei, verfolgte Genossen zu betreuen, ihnen falsche Ausweispapiere und Unterkünfte zu beschaffen und sie so dem Zugriff der Staatsmacht zu entziehen. Die Schaffung einer solchen Organisation sei auch notwendig, weil das Proletariat bereits über bewaffnete Kräfte verfügen müsse, wenn die Situation für den bewaffneten Kampf heranreife; andernfalls würden die „Herrschenden“ alle revolutionären Ansätze rücksichtslos zerschlagen. Ohne langwierigen bewaffneten Kampf gegen den staatlichen „Unterdrückungsapparat“ sei ein erfolgversprechender allgemeiner Aufstand nicht denkbar. Deshalb gelte es, diesen Apparat durch dauernde gezielte Angriffe und Übergriffe zu verunsichern und zu demoralisieren. Damit werde zugleich den Massen das Bewußtsein von der Verletzlichkeit der „Herrschenden“ vermittelt, ihre Solidarisierung mit den revolutionären Organisationen gefördert und ihre Politisierung auf die Revolution hin vorangetrieben (2).

Diese Zielvorstellungen gehen auch aus mehreren schriftlichen Quellen hervor, die offensichtlich aus dem Kreis der von Mahler und seinen Freunden gegründeten Gruppe stammen.

[54] So wurde in der Wohnung des Professors Dr. Brückner in Hannover, die der Gruppe zeitweilig als Unterkunft gedient hatte, am 27. Januar 1971 ein „Aufruf“ gefunden (3), der ersichtlich nach den Berliner Banküberfällen verfaßt worden ist. In ihm heißt es (4):

„DEN BEWAFFNETEN WIDERSTAND ORGANISIEREN

DIE KLASSENKÄMPFE ENTFALTEN

DIE ROTE ARMEE AUFBAUEN

Die Frage, ob es richtig ist, bewaffnete dh illegale Widerstandsgruppen in der Bundesrepublik und Westberlin zu organisieren, ist die Frage, ob es möglich ist. Die Antwort darauf sind Spekulationen. Einige Genossen haben sich zu dieser Praxis entschlossen. Daran wird sich zeigen, ob genug Leute, ob genug psychische und physische Energie, genug Schlauheit, genug Disziplin, genug Unzufriedenheit und genug Klassenhaß aktivierbar sind - aus der Konkursmasse der Studentenbewegung, als Folge der sich international und national verschärfenden Klassenkämpfe - um in der imperialistischen Bundesrepublik und Westberlin den Imperialismus tatsächlich angreifen zu können. Worauf es ankommt, ist, innerhalb relativ kurzer Zeit jenen organisatorischen Punkt zu überwinden, von dem an durch keine Polizeiaktion mehr und keinen Verrat die Organisation liquidiert werden kann, durch keine Verhaftungswelle mehr alles notwendige Wissen hinter Gittern isoliert werden kann.

Wer die Revolution will, aber immer noch an der Frage der Gewalt und der Bewaffnung herumdoktert muß nochmal Mao[80], Marx[81], Lin Piao[82], Che[83], Giap[84] etc. lesen. Das Kapital in der Bundesrepublik und Westberlin ist entschlossen und vorbereitet, jeden relevanten Widerstand mit Waffengewalt zu brechen: Polizei-Armeen, Handgranatengesetz[85], Notstandsgesetze[86], Bundeswehrmanöver zur Partisanenbekämpfung. Wer an der Frage des richtigen Zeitpunkts herumnörgelt, muß sich sagen lassen, daß er sie falsch stellt. Sie ist wichtig für den Inhalt und die Durchführung von Aktionen, sie kann aber erst ernsthaft gestellt dh beantwortet werden, wenn die organisatorischen und materiellen Voraussetzungen geschaffen sind, ohne die alle Zeitpunkte, die richtigen und die falschen nur unterschiedslos verpaßt werden können. ...

[55] ... Die meisten intellektuellen Linken haben ihren Marx und Mao inzwischen auf den Kopf gestellt. Um ihr bißchen privilegiertes Sein nicht in Frage stellen zu müssen, ihren Trödelkram und bunt bemalte Küchenmöbel, greifen sie - wie die Springerpresse - nach psKychoanalytischen Interpretationsmustern zur Erklärung revolutionärer Entschlossenheit. Die Dialektik von Sein und Bewußtsein haben sie aus dem Bewußtsein verdrängt. Sie gehen strategisch von der Übermacht des Imperialismus aus und nehmen ihn taktisch auf die leichte Schulter, statt ihn - mit Mao - strategisch zu verachten und taktisch ernst zu nehmen. ...

... Mit welchem Recht verlangen diese Linken, daß sich die Stadt-Guerilla ihnen gegenüber ausweist? Marighella:[87] ,Auf keinen Fall darf der Stadt-Guerillero jemandem etwas über seine Aktivität mitteilen, zumal das einzig und allein Sache der revolutionären Organisation ist, in der er arbeitet‘.

Die politische Arbeit in den Betrieben und Stadtteilen ist ebenso wichtig wie die Organisierung des bewaffneten Widerstands. Eine nur politisch arbeitende Linke kann aber über die Alternative von Integration oder Zerschlagung ihrer Initiativen nicht hinauskommen d.h.: wird das Vertrauen des revolutionären Proletariats nicht gewinnen, wenn die Frage der Bewaffnung nicht gleichzeitig in ihrer Bedeutung erkannt und praktisch gelöst wird. ,Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen‘(Mao). ...“

Einen ähnlichen Inhalt weist die noch mehrfach zu erwähnende Kampfschrift „Rote Armee Fraktion (RAF): Das Konzept Stadt-Guerilla“[88] auf, die etwa seit Mitte April 1971 in Umlauf ist.

In dem Druckwerk, das von der Angeschuldigten Meinhof zumindest mitverfaßt ist (5), wird u.a. ausgeführt:

„... Wir behaupten, daß die Organisierung von bewaffneten Widerstandsgruppen zu diesem Zeitpunkt in der Bundesrepublik und Westberlin richtig ist, möglich ist, gerechtfertigt ist, hier und jetzt Stadtguerilla zu machen. Daß der bewaffnete Kampf als die höchste [56] Form des Marxismus-Leninismus‘ (Mao) jetzt begonnen werden kann und muß, daß es ohne dem keinen antiimperialistischen Kampf in den Metropolen gibt.

Wir sagen nicht, daß die Organisierung illegaler bewaffneter Widerstandsgruppen legale proletarische Organisationen ersetzen könnten und Einzelaktionen Klassenkämpfe und nicht, daß der bewaffnete Kampf die politische Arbeit im Betrieb und im Stadtteil ersetzen könnte. Wir behaupten nur, daß das eine die Voraussetzung für den Erfolg und den Fortschritt des anderen ist. Wir sind keine Blanquiten und keine Anarchisten, obwohl wir Blanqui[89] für einen großen Revolutionär halten und den persönlichen Heroismus vieler Anarchisten für ganz und gar nicht verächtlich. ...“

Weiter heißt es in der genannten Schrift:

„Stadtguerilla zielt darauf, den staatlichen Herrschaftsapparat an einzelnen Punkten zu destruieren, stellenweise außer Kraft zu setzen, den Mythos von der Allgegenwart des Systems und seiner Unverletzbarkeit zu zerstören.

Stadtguerilla setzt die Organisierung eines illegalen Apparates voraus, das sind Wohnungen, Waffen, Munition, Autos, Papiere. Was dabei im einzelnen zu beachten ist, hat Marighella in seinem ,Minihandbuch der Stadtguerilla‘ beschrieben. Was dabei noch zu beachten ist, sind wir jederzeit jedem bereit zu sagen, der es wissen muß, wenn er es machen will. Wir wissen noch nicht viel, aber schon einiges. ...

Unser ursprüngliches Organisationskonzept beinhaltete die Verbindung von Stadtguerilla und Basisarbeit. Wir wollten, daß jeder von uns gleichzeitig im Stadtteil oder im Betrieb in den dort bestehenden sozialistischen Gruppen mitarbeitet, den Diskussionsprozeß mit beeinflußt, Erfahrungen macht, lernt. Es hat sich gezeigt, daß das nicht geht. Daß die Kontrolle, die die politische Polizei über diese Gruppen hat, ihre Treffen, ihre Termine, ihre Diskussionsinhalte schon jetzt so weit reicht, daß man dort nicht sein kann, wenn man auch noch unkontrolliert sein will. Daß der einzelne die legale Arbeit nicht mit der illegalen verbinden kann. ...

Die Rote Armee Fraktion organisiert die Illegalität als Offensiv-Position für revolutionäre Intervention. [57] Stadtguerilla machen heißt den antiimperialistischen Kampf offensiv führen. Die Rote Armee Fraktion stellt die Verbindung her zwischen legalem und illegalem Kampf, zwischen nationalem und internationalem Kampf, zwischen politischem und bewaffnetem Kampf, zwischen der strategischen und der taktischen Bestimmung der internationalen kommunistischen Bewegung.

Stadtguerilla heißt, trotz der Schwäche der revolutionären Kräfte in der Bundesrepublik und Westberlin hier und jetzt revolutionär intervenieren! ...“

Mit diesen Gedankengängen stimmt weitgehend auch die von Mahler während der Untersuchungshaft verfaßte Schrift mit dem Tarntitel „Die neue Straßenverkehrsordnung“ überein (6).

Bei der Verwirklichung der dargelegten Vorstellungen richteten sich die führenden Mitglieder der Gruppe vor allem nach den Anweisungen im „Mini-Handbuch des Stadtguerilla“ von Carlos Marighella, das seit Mai 1970 in deutscher Sprache verbreitet und auf das in der vorgenannten RAF-Schrift ausdrücklich hingewiesen wird (7). Sie zogen mit den übrigen zur Mitarbeit bereiten Personen in konspirative Unterkünfte und bemühten sich um die Anwerbung neuer Mitglieder sowie um die Beschaffung der für eine illegale Kampforganisation erforderlichen operativen Mittel, vor allem um Geld, Waffen, schnelle Autos und falsche Ausweise. Dabei war man sich darüber im klaren, daß diese Ausrüstung nur mittels strafbarer Handlungen erlangt werden konnte. Die jeweiligen Taten wurden vornehmlich zwischen den Angeschuldigten Baader, Ensslin und Meinhof sowie Mahler abgesprochen (8).

[58] Die „illegale“ Tätigkeit sollte ursprünglich mit „legaler“ politischer Aufklärungsarbeit verbunden werden. Es zeigte sich aber, daß sich dies wegen der durch die Straftaten der Gruppe ausgelosten Fahndungsmaßnahmen der Strafverfolgungsbehörden nicht durchführen ließ. Auch erforderte die Beschaffung der Mittel für die illegale Organisation einen derart großen Aufwand, daß daneben eine politische Aufklärungsarbeit nicht mehr möglich war. Die Tätigkeit der Gruppe erschöpfte sich daher schon bald in der bloßen Verübung von Straftaten, ohne daß überhaupt noch der Versuch gemacht wurde, den revolutionären Sinn dieser Straftaten „den Massen politisch zu vermitteln“. Die Baader-Mahler-Meinhof-Gruppe wandelte sich deshalb sehr bald von einer auch politischen Vereinigung in eine rein kriminelle Bande. Dies zeigte sich nicht zuletzt darin, daß selbst innerhalb der Gruppe die Diskussion politischer Fragen immer mehr hinter die Planung neuer Straftaten zurücktrat (9).

Bedeutsam für die Zielsetzung der Gruppe sind insonderheit auch Ausführungen des Angeschuldigten Baader bei der durch die Vermittlung des Angeschuldigten Meins zustandegekommenen Anwerbung der Gruppenangehörigen Beate Sturm[90] und Ulrich Scholtze[91] im November 1970. Anläßlich der Anwerbungsgespräche brachte der Angeschuldigte Baader - teilweise mehrfach - zum Ausdruck, daß eine Änderung der [59] politischen Verhältnisse in Westberlin nur mit Mitteln der Gewalt erreicht werden könne. Zur Verwirklichung dieser Vorhaben würden vor allen Dingen Kraftfahrzeuge „gebraucht“; weiterhin war bei diesen Gelegenheiten - zumindest andeutungsweise - davon die Rede, daß es auch um die Befreiung politischer Gefangener gehe; hierfür benötige man Geld, das „an den Stellen besorgt“ werden müsse, „wo es in größeren Mengen vorhanden sei“ (10).

Anläßlich ihrer Vernehmung als Zeugin in der Strafsache gegen Mahler[92] vor dem Kammergericht beschrieb die Angeschuldigte Meinhof am 14. Dezember 1972 die einzelnen Phasen des „antiimperialistischen Kampfes“ zusammenfassend - wie folgt -:

„1. ,Kaputtmachen der Institutionen‘,

2. Mobilisierung der (nationalen) Massen

und

3. Übergreifen des ,Kampfes‘ auf den internationalen Bereich“ (11).“

II. Gruppenangehörige

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen und nach den u.a. in den Strafverfahren gegen Mahler ((1) StE 1/72 (10/72) KG Berlin) und Ruhland (IV - 12/71 OLG Düsseldorf) ge- [60] wonnenen Erkenntnissen ist davon auszugehen, daß der Baader-Mahler-Meinhof-Gruppe außer den Angeschuldigten im Laufe der Zeit u.a. folgende Personen angehört haben:

1. die Studentin Brigitte Asdonk,[93]

geb. am [Tag]. [Monat] 1947 in Oedt, Krs. Kempen,

2. der Graphiker Ronald Augustin,[94]

geb. am [Tag]. [Monat] 1949 in Amsterdam,

3. der Bergmann Hans-Jürgen Bäcker,[95]

geb. am [Tag]. [Monat] 1939 in Gladbeck,

4. die Studentin Ingeborg Barz,[96]

geb. am [Tag]. [Monat] 1948 in Berlin,

5. die Assessorin Monika Berberich,[97]

geb. am [Tag]. [Monat] 1942 in Oberursel/Taunus,

6. der Handwerker Bernhard Braun,[98]

geb. am [Tag]. [Monat] 1946 in Berlin,

7. der Student Hilmar Buddee,[99]

geb. am [Tag]. [Monat] 1944 in Wien,

8. die Schülerin Irene Goergens,[100]

geb. am [Tag]. [Monat] 1951 in Berlin,

9. der Student Manfred Grashof,[101]

geb. am [Tag]. [Monat] 1946 in Kiel,

10. der berufslose Wolfgang Grundmann,[102]

geb. am [Tag]. [Monat] 1936 in Berlin,

11. der Hafenarbeiter Werner Artur Hoppe,[103]

geb. am [Tag]. [Monat] 1949 in Hamburg,

12. die Rundfunkjournalistin Marianne Herzog gesch. Weschke,[104]

geb. am [Tag]. [Monat] 1959 in Breslau,

13. der Kaufmann Heinrich Jansen,[105]

geb. am [Tag]. [Monat] 1948 in Oberhausen,

[61] 14. der Student Klaus Jünschke,[106]

geb. am [Tag]. [Monat] 1947 in Mannheim,

15. die Studentin Rosemarie Keser,[107]

geb. am [Tag]. [Monat] 1947 in Ebersberg,

16. die Lehrerin Angela Luther,[108]

geb. am [Tag]. [Monat] 1940 in Berlin,

17. der Rechtsanwalt Horst Mahler,[109]

geb. am [Tag]. [Monat] 1936 in Haynau,

18. die Studentin Irmgard Möller,[110]

geb. am [Tag]. [Monat] 1947 in Bielefeld,

19. die Angestellte Brigitte Mohnhaupt,[111]

geb. am [Tag]. [Monat] 1949 in Rheinberg,

20. der berufslose Gerhard Müller,[112]

geb. am [Tag]. [Monat] 1948 in Wunitz/Krs. Meißen,

21. der ehemalige Rechtsreferendar Rolf Ludwig Pohle,[113]

geb. am [Tag]. [Monat] 1942 in Berlin,

22. die Fotografin Astrid Proll,[114]

geb. am [Tag]. [Monat] 1947 in Kassel,

Schwester des in dem Abschnitt „Vorgeschichte der Taten“ erwähnten Thorwald Proll,

23. der Offset-Drucker Ralf Reinders,[115]

geb. am [Tag]. [Monat] 1948 in Berlin,

24. die Studentin Carmen Roll,[116]

geb. am [Tag]. [Monat] 1947 in Attendorf,

25. der Autoschlosser Karl-Heinz Ruhland,[117]

geb. am [Tag]. [Monat] 1938 in Berlin,

26. die Studentin Margrit Schiller,[118]

geb. am [Tag]. [Monat] 1948 in Bad Soden/Ts.,

27. die Medizinalassistentin Ingrid Schubert,[119]

geb. am 7. November 1944 in Ebern/Franken,

28. die Friseuse Petra Schelm,[120]

geb. am 16. August 1950 in Berlin,

verstorben am 15. Juli 1971 in Hamburg,

[62] 29. der Student Ulrich Scholtze,[121]

geb. am [Tag]. [Monat] 1947 in Heidelberg,

30. der Kraftfahrzeugschlosserlehrling Ilse Stachowiak,[122]

geb. am [Tag]. [Monat] 1954 in Frankfurt/Main,

31. die Studentin Beate Sturm,[123]

geb. am [Tag]. [Monat] 1951 in Köln-Mühlheim,

32. der Student Thomas Weisbecker,[124]

geb. am 24. Februar 1949 in Freiburg,

verstorben am 2. März 1972 in Augsburg,

33. der Student Bernhard Wolff,[125]

geb. am [Tag]. [Monat] 1946 in Angermünde, und

34. die Studentin Renate Wolff geb. Blüher,[126]

geb. am [Tag]. [Monat] 1947 in Bevensen,

Ehefrau des vorgenannten Bernhard Wolff.

Von diesen sind Ingeborg Barz, Braun, Grundmann, Hoppe, Jünschke, Rosemarie Keser, Irmgard Möller, Brigitte Mohnhaupt, Müller, Pohle, Reinders, Carmen Roll und Margrit Schiller erst 1971 zur Gruppe gestoßen.

III. Ausbau der kriminellen Tätigkeit im einzelnen

1. Beschaffung konspirativer Unterkünfte in der Gründungszeit

Unmittelbar nach ihrer Rückkunft aus dem Nahen Osten in der ersten Augusthälfte 1970 dienten Mahler und seinen Gesinnungsgenossen zunächst die Wohnung Bäckers in Berlin 30, Keithstraße 15 (12), und eine Wohnung in Berlin, Eichkamp (13), als Unterschlupf. In der zweiten August- [63] hälfte mietete die Gruppe vier neue Wohnungen als geheime Unterkünfte an, nämlich in Berlin 12, Knesebeckstraße 89, in Berlin 30, Hauptstraße 19 und Martin-Luther-Straße 6-10, sowie in Berlin 31, Kurfürstendamm 130.

a) Als Interessentin für die Wohnung Knesebeckstraße 89 trat die Angeschuldigte Meinhof auf. Sie gab sich als Renate Hübner geb. Kron aus und legte einen auf diesen Namen lautenden Ausweis vor (14). Diese Wohnung bildete einen Hauptstützpunkt der Gruppe. In ihrem Bereich sind außer der Angeschuldigten Meinhof - teilweise sogar wiederholt - Mahler, Brigitte Asdonk, Monika Berberich, Irene Goergens und Ingrid Schubert gesehen worden (15). Sie wurden dort auch am 8. Oktober 1970 festgenommen (16). Mahler (17), Brigitte Asdonk (18) und Monika Berberich (19) führten Schlüssel für die Wohnung mit sich (20). Ein weiterer Schlüssel für die Unterkunft Knesebeckstraße 89 ist in der Wohnung Bäckers, Keithstraße 15, sichergestellt worden (21). Neben der noch zu behandelnden Schreibmaschine „Olympia“, Nr. 7 - 2 156 106 (21a), wurden in diesem Schlupfwinkel u.a. schriftliche Unterlagen der Angeschuldigten Baader, Ensslin und Meinhof aufgefunden (22).

[64] b) Um die Wohnung Hauptstraße 19 bemühte sich zunächst Ingrid Schubert. Durch ihre Vermittlung mietete Monika Berberich sodann die Unterkunft unter dem Namen Birgit Wend an. Auch in dieser Wohnung hielt sich die Gruppe, insbesondere die Angeschuldigten Baader und Ensslin sowie Mahler, Irene Goergens und Monika Berberich, auf. In der Wohnung ist die in den folgenden Abschnitten noch mehrfach erwähnte Schreibmaschine „Olympia-Monica“, Nr. 3592589, der Angeschuldigten Meinhof entdeckt worden (23).

c) Ebenso diente eine Wohnung in der Martin-Luther-Straße 6-10 der Gruppe als Bleibe. Die Unterkunft ist wahrscheinlich von der Angeschuldigten Ensslin unter dem Namen „Magda Windelen“ gleichfalls im August 1970 angemietet worden (24). Bei ihren Festnahmen hatten Brigitte Asdonk und Bernhard Wolff (25) Schlüssel zu diesem Schlupfwinkel im Besitz. Von Monika Berberich ist dort ein Fingerabdruck gesichert worden (26). Ferner befand sich in der Wohnung ein mit dem Lichtbild des Bernhard Wolff versehener, auf den Namen Wolf-Michael Mosolff lautender, gänzlich gefälschter Führerschein (27).

d) Die Wohnung Kurfürstendamm 130 ist von der Angeschuldigten Ensslin wiederum unter dem Namen „Windelen“ Ende August [65] 1970 für die Gruppe angemietet und von Oktober bis Dezember 1970 u.a. von dieser Angeschuldigten sowie von Astrid Proll, Petra Schelm und Grashof benutzt worden (28).

e) Über die beabsichtigte Anmietung weiterer konspirativer Wohnungen durch die Gruppe geben mehrere in der Wohnung Knesebeckstraße 89 sichergestellte Schriftstücke Auskunft. So enthielt ein Hefter fünf Wohnungsvermittlungsverträge, ausgestellt auf den Namen Dorothea Ridder, den Alias-Namen von Ingrid Schubert (29). Außer diesen Verträgen waren in dem Hefter umfangreiche Notizen über Anschriften und Telefonnummern von Wohnungsmaklern sowie über Wohnungsangebote abgelegt (30). Ähnliche Vermerke trugen mehrere teilweise zerrissene Zettel, die ebenfalls in der Wohnung Knesebeckstraße 89 sowie bei Brigitte Asdonk und Ingrid Schubert gefunden worden sind (31).

f) Außerdem bemühte sich insbesondere Marianne Herzog bei Bekannten um Unterkünfte für Gruppenmitglieder. Es gelang ihr, durch Vermittlung der gesondert verfolgten Edelgard Gräfer (32) für Grashof und Petra Schelm Ende September/Anfang Oktober 1970 eine Wohnmöglichkeit in der damals leerstehenden Wohnung der Eheleute Hammerschmidt zu beschaffen, während sie selbst zu derselben Zeit zusammen mit Astrid Proll in der Wohnung von Edelgard Gräfer Unterschlupf fand (33).

[66] Wegen der während ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe begangenen Straftaten ist derzeit gegen Astrid Proll vor dem Schwurgericht bei dem Landgericht in Frankfurt/Main (4 Ks 1/73) das Hauptverfahren anhängig. Marianne Herzog ist am 17. Dezember 1973 von einer Strafkammer dieses Landgerichts (4 KLs 1/73) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden.

2. Verschleierung der Personenidentität

Um im Untergrund arbeiten zu können, bemühte sich die Gruppe, die Identität ihrer Mitglieder zu verbergen. Dies geschah einerseits durch die Verwendung von Decknamen, andererseits durch die Beschaffung und den Gebrauch gefälschter Ausweispapiere.

a) Zunächst sind folgende Decknamen unter den Gruppenmitgliedern vereinbart worden:

James = Horst Mahler (34),

Ali u. Max = Heinrich Jansen (35),

Anna u. Marie = die Angeschuldigte Meinhof (36),

Atze = Eric Grusdat (37),

Carlos = Manfred Grashof (38),

Clara = Brigitte Asdonk (39),

Grete u. Gerda = die Angeschuldigte Ensslin (40),

Hans = der Angeschuldigte Baader (41),

[67] Harp = Hans-Jürgen Bäcker (42),

Kalle u. Iwan = Karl-Heinz Ruhland (43),

Nelli = Monika Berberich (44),

Nina u. Irene = Ingrid Schubert (45),

Peggy = Irene Goergens (46),

Prinz = Petra Schelm (47),

Rosi = Astrid Proll (48),

Rolf u. Peter = der Angeschuldigte Meins (49) und

Fred = der Angeschuldigte Raspe (50).

Im Laufe der Zeit kamen weitere Decknamen hinzu. Die Tarnbezeichnungen fanden auch bei der Buchführung über den Gruppenetat Verwendung.

b) Die Gruppenmitglieder wurden mit falschen Ausweispapieren versehen. Die Fälschungen nahm hauptsächlich der gesondert verfolgte Manfred Grashof vor (51). Er leistete derart gute Arbeit, daß die Papiere jeder Überprüfung standzuhalten versprachen. Beispielhaft hierfür sind die bei der Festnahme von Mahler, Brigitte Asdonk, Monika Berberich, Irene Goergens und Ingrid Schubert vorgefundenen Falsifikate (52). Für die vier totalgefälschten Führerscheine Uhlig (Mahler), Wend (Berberich), Stock (Goergens) und Ridder (Schubert) ist graues Silbondpapier benutzt worden, auf dem auch die amtlichen Führerscheine gedruckt werden (53).

[68] Die im Flachdruckverfahren hergestellten Aufdrucke sind druckbildidentisch. Ebenso bestehen Übereinstimmungen bei den nachgebildeten Siegel- und Stempelabdrucken (54). Zum Ausfüllen der Vordrucke wurde die in der Wohnung Knesebeckstraße 89 sichergestellte Schreibmaschine „Olympia“, Nr. 7 - 2 156 106, verwendet (55). Für die beiden totalgefälschten Kraftfahrzeugscheine Druminski (Mahler) und Dr. Sötje (Berberich) ist ebenfalls das amtlich hierfür vorgesehene grüne Silbondpapier benutzt worden. Brigitte Asdonk hatte bei ihrer Verhaftung drei DIN A 5-Bogen dieses Papiers in ihrer Umhängetasche (56). Die Formularaufdrucke der beiden Kraftfahrzeugscheine sind wie bei den Führerscheinen im Flachdruckverfahren hergestellt und druckbildidentisch. Letzteres gilt auch für die gebrauchten Falschstempel (57). Der Kraftfahrzeugschein Druminski (Mahler) ist mit der Schreibmaschine aus der Wohnung Knesebeckstraße 89 beschriftet worden, der Kraftfahrzeugschein Dr. Sötje (Berberich) mit der Schreibmaschine Olympia „Monica“, Nr. 3592589, die in der Wohnung Hauptstraße 19 gefunden worden ist (58). Diese Maschine gehörte - wie bereits hervorgehoben - der Angeschuldigten Meinhof (59). Zur Herstellung der benötigten Falsifikate richteten der Angeschuldigte Baader und das Gruppenmitglied Grashof unter Mitwirkung von Ruhland und Grusdat[127] im Herbst 1970 in der Wohnung „Kemmner“, Berlin 36, Erkelenzdamm 59-61, [69] eine erste Fälscherwerkstätte ein (60). Ein Großteil des von der Gruppe verwendeten Fälschungsmaterials wurde später in der Wohnung „Falkenberg“ in Frankfurt/Main, Unterlindau 28, gefunden (61).

Weitere Fälschungsunterlagen befanden sich in zwei sichergestellten Luftpostpäckchen, die am 14. Januar 1971 von Berlin aus an eine Deckadresse der Astrid Proll in Kassel versandt worden waren (62), sowie in mehreren der insgesamt elf beschlagnahmten sog. „Berliner Pakete“, die die Gruppe im November 1971 an die Anlaufstelle „Endrejat“ in Berlin 19, Eichenallee 61, geschickt hatte (63).

Nach der noch im einzelnen darzustellenden Festnahme von Grashof am 2. März 1972 in Hamburg (64) führte der Rechtsanwalt Jörg Lang aus Stuttgart noch im selben Monat der Bande einen geeigneten Ersatzmann in der Person des damals erst 18 Jahre alten Offsetdruckers Hans-Peter Konieczny[128] zu.

Nach einem ersten Treffen mit den Angeschuldigten Baader und Ensslin in der Wohnung Stuttgart, Pfitzerstraße 10 (65), kam es in der Folgezeit zu einer Vielzahl weiterer Zusammenkünfte mit Konieczny, die vor allem dem Austausch von Fälschungsunterlagen und von Falsifikaten dienten. Auch die Beschaffung von Waffen und die Ausspähung von Waffen- und Munitionslagern waren Gegenstand von Besprechungen.

[70] Treffpartnerinnen von Konieczny waren die Angeschuldigte Ensslin und später die als „Gaby“ auftretende Irmgard Möller. Mit dieser kam er insgesamt etwa dreißigmal in Tübingen, Stuttgart, Karlsruhe und Offenbach a.M. zusammen. Auch mit dem Angeschuldigten Raspe, der damals den Decknamen „Lester“ führte, mit Jünschke und anderen unbekannt gebliebenen Personen trat Konieczny in Verbindung. Dabei stellte er im Verlauf seiner Zusammenarbeit mit der Gruppe ungefähr 45 gebrauchsfertige Blankokraftfahrzeugscheine her, die er Gruppenmitgliedern aushändigte. Daneben befaßte er sich bis zu seiner Festnahme am 7. Juli 1972 mit der Fälschung anderer Ausweispapiere und mit dem Druck von Briefbogen verschiedener Universitätsinstitute (67).

Auskunft über die Fälschungstätigkeit der Gruppe geben insonderheit auch die teils umfangreichen einschlägigen Funde bei

aa) der Aufdeckung ihrer Unterkünfte in den Wohnungen

„Depser“ in Berlin 36, Paul-Lincke-Ufer 42/45, am 30. November 1971 (68),

„von Hasso“ in Hamburg 13, Heimhuderstraße 82, am 2. März 1972 (69),

„Wallenberg“ in Berlin 30, Budapester Straße 39, am 1. Juni 1972 (70),

[71] „Allers“ in Hamburg, Ohlsdorfer Straße 1-3, am 22. Juni 1972 (71) und

 „Marzahn“ in Hamburg, Paulinenallee, am 20. Oktober 1972 (72),

bb) der Auffindung der auf dem Grundstück Frankfurt/Main, Hofeckweg 2 - 4, gelegenen Garage (73), in deren Bereich die Angeschuldigten Baader, Meins und Raspe am 1. Juni 1972 festgenommen worden sind (74),

cc) der Sicherstellung

des Pkw „VW-Variant“ mit dem Kennzeichen HH - AK 1631 in Hamburg am 30. Oktober 1971 (75)

und

des Pkw „NSU-RO 80“ mit dem Kennzeichen MR - J 26 auf der Autobahn zwischen München und Stuttgart am 8. Dezember 1971 (76)

sowie bei

dd) der Festnahme Grashofs und Grundmanns (77).

An einem Kennzeichenschild, das in dem Pkw „NSU-RO 80“ entdeckt worden ist, hatten der Angeschuldigte Meins und [72] Brigitte Mohnhaupt Abdruckspuren hinterlassen (78); an dem Pkw „VW-Variant“ konnte eine Fingerspur des Bandenangehörigen Reinders gesichert werden (79).

Ein Großteil der von der Gruppe vorgenommenen Fälschungen - darunter auch die Fälschung von Kraftfahrzeugscheinen, die in den beiden vorgenannten Personenkraftwagen gefunden worden sind - wurde mit einer Büroschreibmaschine ausgeführt, die zuletzt in der am 20. Oktober 1972 ausgehobenen Gruppenunterkunft „Marzahn“, Hamburg 19, Paulinenallee 36, aufbewahrt wurde (80).

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist zudem davon auszugehen, daß der Gruppe zumindest gelegentlich von Sympathisanten auch echte Ausweispapiere überlassen worden sind. Beispielhaft hierfür ist das Verhalten des Pfarrvikars Klaus Burghardt, der der Angeschuldigten Meinhof Anfang 1971 seinen Personalausweis und Reisepaß sowie den Reisepaß seiner Ehefrau und im Sommer desselben Jahres auch noch seinen Ersatzführerschein zur Verfügung stellte (81).

3. Aneignung von Fahrzeugen zu Beginn der Gruppentätigkeit

Um entsprechend der gemeinsamen Zielsetzung blitzschnelle Aktionen nach dem Vorbild der südamerikanischen Stadtguerilla durchführen zu können, war die Gruppe von Anfang an be- [73] strebt, sich bestmöglich mit geeigneten Kraftfahrzeugen auszurüsten. Die Mittel dazu waren Diebstahl und betrügerische Anmietung. Die auf diese Weise beschafften Fahrzeuge wurden in der Anfangszeit teilweise in der Werkstatt des gesondert verfolgten Gruppenmitglieds Grusdat (82) „umgerüstet“. Grusdat und sein Gehilfe, der Autoschlosser Ruhland, waren hierfür von dem Angeschuldigten Baader sowie von Mahler und Bäcker bestimmt worden. Bei der Anwerbung von Grusdat und Ruhland hatten Baader und Mahler offen davon gesprochen, daß die Gruppe für ihre künftige Tätigkeit auch Kraftfahrzeuge benötige; diese seien durch Diebstahl oder Betrug zu beschaffen und danach so zu verändern, daß ihre Herkunft bei Polizeikontrollen nicht mehr festzustellen sei. Diesem Ansinnen kamen Grusdat und Ruhland in der Folgezeit dadurch nach, daß sie an Fahrzeugen Fahrgestell - und Motornummern umschlugen, echte amtliche Kennzeichen durch falsche ersetzten und Farbumspritzungen sowie sonstige Veränderungen Vornahmen. An diesen Arbeiten beteiligten sich gelegentlich der Angeschuldigte Baader, des öfteren aber auch andere Gruppenmitglieder, so vor allem die Angeschuldigte Ensslin sowie Irene Goergens und Astrid Proll (83).

a) Allein in der zweiten Augusthälfte 1970 entwendete die Gruppe mindestens fünf Fahrzeuge. Welche Mitglieder daran [74] unmittelbar mitwirkten, ist bisher ungeklärt. Allgemein galten der Angeschuldigte Baader sowie Mahler, Ruhland, Astrid Proll und später auch die Angeschuldigte Meinhof als „Spezialisten“ für den Diebstahl von Kraftfahrzeugen (84). Im einzelnen handelt es sich um folgende Straftaten:

aa) Am 14./15. August 1970 stahlen Gruppenmitglieder aus einer Sammelbox der Rex-Garagen in Berlin 19, Reichsstraße 84, den dunkelgrünen Pkw „Mercedes 230“ mit dem amtlichen Kennzeichen B - ZC 663. Halter des Fahrzeugs war Wolfgang von Scherffer (85). Der Pkw wurde am 4. Dezember 1970 in Berlin aufgefunden (86). Die Gruppe hatte die Fahrgestellnummer des gestohlenen Fahrzeugs 110 011 - 10 - 002849 durch 110 011 - 10 - 021 618 ersetzt (87), an dem Fahrzeug das Falschkennzeichen B - MK 573 angebracht (88) und einen diesen Merkmalen entsprechenden Kraftfahrzeugschein auf den Namen Joachim Pannekoek gefälscht (89).

bb) Am 23. August 1970 setzten sich Gruppenmitglieder in den Besitz des vor dem Grundstück Berlin 31, Am Volkspark 73, abgestellten weißen Pkw „Mercedes 220 S Automatik“, amtliches Kennzeichen B - HH 808 (Halter Hans Hasse). Das Fahrzeug fand, wie noch darzulegen sein wird, bei dem Raubüberfall auf drei Berliner Banken am 29. September 1970 [75] Verwendung und wurde noch am selben Tag in Berlin 41 an der Ecke Trägerstraße/Ceciliengärten sichergestellt. Die Gruppe hatte die Fahrgestellnummer von 111012 - 12 - 120245 in 111012 - 10 - 033 373 umgeschlagen und am Fahrzeug die gefälschten Kennzeichen B - PN 240 angebracht (90); außerdem war das Autodach braun umgespritzt worden. Diese Veränderungen sind in der Werkstatt Grusdats vorgenommen worden (91).

cc) Am 24. August 1970 brachten Gruppenangehörige vom Gelände der Tankstelle, Berlin 30, Bayreuther Straße 3, den hellblauen Pkw „VW 1500“ (Käfer), amtliches Kennzeichen B - L 3928 (Halter Karl Scherk), an sich (92). Der gestohlene Pkw ist am 24. September 1970 im Spandauer Stadtforst mit gefälschten Kennzeichen gefunden worden. Im Kofferraum lagen zwei Nummernschilder F - CM 503 (93). Für das Fahrzeug fertigte die Gruppe mit Hilfe der in der Wohnung Hauptstraße 19 sichergestellten Schreibmaschine der Angeschuldigten Meinhof einen „Kraftfahrzeugschein“ aus, der als Halter einen Dr. Karl Utesch, Frankfurt/Main, Zeil 116, auswies (94).

dd) In der Nacht zum 27. August 1970 entwendeten Mitglieder der Gruppe den „VW-Combi“, amtliches Kennzeichen B - P 2643, der Firma Autovermietung Atlas aus der Garage des Unter- [76] nehmens in Berlin 12, Wielandstraße 9 (95). Das Fahrzeug, mit den am 13./14. Mai 1970 vom Pkw des Kaufmanns Bernd Warnemünde entfernten Kennzeichen B - E 9575 versehen (96), wurde von den gesondert verfolgten Gruppenmitgliedern Jansen und Bernhard Wolff (96a) am 31. August 1970 in der Fuggerstraße nahe der Gruppenunterkunft Martin-Luther-Straße 6-10 abgestellt. Als die beiden an Ort und Stelle wegen des Diebstahls polizeilich überprüft werden sollten, zog Jansen eine Pistole und schoß auf die Beamten. Dennoch konnte Wolff sofort festgenommen werden, während Jansen entkam, nachdem er noch einen weiteren Schuß auf die Polizeibeamten abgegeben hatte (97). Die Tatwaffe, die Pistole „Llama Spezial“, Nr. 492 427, Kaliber 9 mm kurz, ist am 8. Oktober 1970 in der Wohnung Knesebeckstraße 89 sichergestellt worden (98). Nach den Bekundungen Ruhlands hat sich insbesondere die Angeschuldigte Meinhof in der Folgezeit mehrfach lobend über das Vorgehen Jansens geäußert (99).

ee) Bernhard Wolff war darüber hinaus an der Aktion in der Nacht zum 29. August 1970 beteiligt, die darauf abzielte, den Pkw „Mercedes 230“, amtliches Kennzeichen B - AC 928 (Halter Roger Schäfer), in die Hände der Gruppe zu bringen. Allerdings gelang es den Dieben nicht, das von ihnen aufgebrochene Fahrzeug in Gang zu setzen. Sie nahmen deshalb nur den Kraftfahrzeugschein, Geschäftspapiere, [77] eine Ledermappe und die Betriebsanleitung an sich. Den Kraftfahrzeugschein hatte Bernhard Wolff bei seiner Festnahme am 31. August 1970 in Besitz; die übrigen Gegenstände wurden in der Wohnung Martin-Luther-Straße 6-10 aufgefunden (100).

ff) In der Nacht zum 28. August 1970 stahl die Gruppe aus einer verschlossenen Sammelgarage in Berlin-Dahlem, Spilstraße 6/6a, den Pkw „Ford 15M“ (Halter Otto Morlock), amtliches Kennzeichen B - TT 60, samt den Fahrzeugschlüsseln. Das Fahrzeug erhielt später das Falschkennzeichen B - P 3328. Außerdem fertigten Gruppenmitglieder für den Pkw auf der Schreibmaschine der Angeschuldigten Meinhof einen falschen Kraftfahrzeugschein auf den fiktiven Namen Dr. Karl Sötje an. Das Falsifikat und die Fahrzeugschlüssel führte Monika Berberich bei ihrer Festnahme am 8. Oktober 1970 in der Wohnung Knesebeckstraße 89 mit sich. Das gestohlene Fahrzeug war zu jenem Zeitpunkt in unmittelbarer Nähe des Bandenunterschlupfs abgestellt (101).

b) Eine beträchtliche Anzahl weiterer Kraftfahrzeuge verschaffte sich die Gruppe durch betrügerische Anmietung. Dabei trat Monika Berberich wiederholt als Anmieterin auf.

[78] In der Vorbereitung des Tatvorhabens mietete Monika Berberich zunächst als Unterschlupf und Stützpunkt für das Kfz-„Beschaffungskommando“ am 8. September 1970 das Ferienhaus des Polizeibeamten Karl-Heinz Ridder in Oerlinghausen/Sennestadt im Teutoburger Wald, das in der Nähe der Autobahn zwischen Hannover, dem „Sprungbrett nach Berlin“, und dem ins Auge gefaßten „Operationsgebiet“ an Ruhr und Rhein liegt. Den Mietvertrag schloß sie bei dem Reisebüro Hartmann in Düsseldorf ab (102). In der genannten Unterkunft sind Abdruckspuren von Astrid Proll gesichert worden (103).

Am 9. September 1970 begann die eigentliche „Beschaffungsaktion“. Monika Berberich gelang es in knapp drei Tagen, mindestens acht Kraftfahrzeuge anzumieten und ihren Gesinnungsgenossen zur Verfügung zu stellen; diese trugen für den Abtransport der Mietwagen und ihre Überführung nach Berlin Sorge. Gegenüber den Leihwagenfirmen trat Monika Berberich als Heidi Martens auf, wobei sie sich mit auf diesen Namen gefälschten Papieren auswies (104). Im einzelnen sind folgende Fälle ermittelt worden:

aa) Am 9. September 1970 versuchte Monika Berberich gegen 9.00 Uhr bei der Autovermietung Buchholz - Autohansa - in Düsseldorf vergeblich, den Pkw „Mercedes 230 Automatik“ mit dem amtlichen Kennzeichen K - CT 488 zu erhalten (105).

[79] bb) Am selben Tage verschaffte sie sich gegen 11.00 Uhr bei der Firma Gram in Düsseldorf den Pkw Volkswagen 1300 mit dem amtlichen Kennzeichen D - PC 564 (106).

cc) Fünf Stunden später, etwa gegen 16.00 Uhr, wurde ihr von der Firma Kremser in Gladbeck der Pkw „BMW 2000“ mit dem amtlichen Kennzeichen BOT - KH 19 überlassen (107). Zu dem Fahrzeug passende Schlüssel wurden anläßlich der Verhaftung des ebenfalls gesondert verfolgten Gruppenmitglieds Bäcker (108) am 2. Februar 1971 in dessen Besitz aufgefunden (109).

dd) Eine halbe Stunde darauf mietete Monika Berberich bei dem Unternehmen Ruhr-Car in Essen den Pkw „Opel-Admiral“ mit dem amtlichen Kennzeichen BO - WP 47 (110).

ee) Wenig später, etwa gegen 17.00 Uhr, erschwindelte sie sich bei der Firma Obieglo in Essen den Pkw „Renault R 16“ mit dem amtlichen Kennzeichen E - CK 335 (111).

ff) Am folgenden Tag, dem 10. September 1970, versuchte sie erfolglos, bei demselben Unternehmen einen weiteren Personenkraftwagen zu beschaffen (112).

gg) Noch am selben Tag, gegen 12.00 Uhr, mietete Monika Berberich bei der Firma Patt in Duisburg den Pkw „Mercedes 200/8“ mit dem amtlichen Kennzeichen DU - AL 836 (113).

[80] hh) Am späten Nachmittag dieses Tages, gegen 18.30 Uhr, erhielt sie bei der Firma Feykes in Duisburg den Pkw „Audi 100 LS“ mit dem amtlichen Kennzeichen DU - CT 751 (114).

ii) Am Vormittag des 11. September 1970 unterschrieb sie bei der Firma Wilbert in Köln einen Mietvertrag für den VW-Kastenwagen mit dem amtlichen Kennzeichen K - HL 734. Als sie aber bei der Übergabe des Fahrzeugs feststellte, daß das Auto eine große Firmenaufschrift trug, nahm sie von dem Vertrage Abstand (115).

jj) Noch am selben Tage versuchte Monika Berberich vergeblich, bei der Firma Kautz in Köln ein weiteres Fahrzeug zu erhalten (116).

kk) Gegen 13.15 Uhr mietete sie bei der Firma Gladbach in Köln den „VW-Transporter 200“ mit dem amtlichen Kennzeichen K - JR 612 (117).

ll) Schließlich verschaffte sie sich an diesem Tag gegen 14.45 Uhr noch bei der Firma Dörner in Leverkusen den Pkw „Ford 20 M“ mit dem amtlichen Kennzeichen LEV - D 26 (118).

Da die Gruppe wegen der vereinbarten Mietzeit von nur ein oder zwei Tagen mit einer alsbaldigen Fahndung [81] nach den Fahrzeugen rechnen mußte, stattete sie die „Mietwagen“ umgehend mit falschen Kennzeichen und deren Fahrer mit gefälschten Fahrzeugpapieren aus. Dabei arbeitete das „Beschaffungskommando“ eng mit der Berliner „Zentrale“ zusammen. Ebenso wie bei der Tarnung der gestohlenen Kraftfahrzeuge wurden zunächst „passende“ Kraftfahrzeugkennzeichen notiert (119), angeschafft und verfälscht (120). Gleichzeitig fertigten Gruppenmitglieder die benötigten falschen Kraftfahrzeugscheine, die bis zur Festnahme von Mahler in der Regel auf der Schreibmaschine der Angeschuldigten Meinhof sowie auf der Schreibmaschine in der Wohnung Knesebeckstraße 89 beschriftet wurden. Die Falsifikate enthielten die technischen Daten der inzwischen „beschafften“ Kraftfahrzeuge und wurden auf nicht bestehende Halteranschriften ausgestellt. Sie sind sämtlich auf gleiche Weise photomechanisch im Flachdruckverfahren angefertigt worden. Dabei fand für die „Berliner“, „Frankfurter“ und „Bremer“ Falsifikate jeweils dieselbe Druckplatte Verwendung (121). Soweit die Fälschungen nicht der Polizei in die Hände fielen, sind sie später von der Gruppe in einer Hülle mit der Aufschrift „AUSRANGIERTE SCHEINE HALTER FIKTIV!!!“ aufbewahrt worden, die sich zuletzt in der in dem Anwesen Frankfurt/M, Unterlindau 28, gelegenen Wohnung „Falkenberg“ befand (122).

[82] Die vorstehend beschriebene Ausstattung genügte zunächst, um die erschwindelten Fahrzeuge für die Überführung nach Berlin vorzubereiten. Die gesamte „Überführungsaktion“ wurde binnen weniger Tage von Oerlinghausen aus in die Wege geleitet.

Nach dem erfolgreichen „Abschluß des Unternehmens“ räumte das „Beschaffungskommando“ das Ferienhaus in Oerlinghausen bereits in der Zeit um den 16. September 1970 (123).

Beispielhaft für die rasche, planmäßige und äußerst geschickte Zusammenarbeit zwischen dem in der Bundesrepublik eingesetzten „Beschaffungskommando“ und der „Berliner Zentrale“ ist Fall hh). Hier waren schon am 9. September 1970, also einen Tag vor der Aushändigung des Pkw „Audi 100“ der Firma Feykes, Duisburg, die für dieses Fahrzeug vorgesehenen Kennzeichenschilder F - PU 671 in Berlin gekauft worden (124). Drei Tage später, am 12. September 1970, 15.00 Uhr, flog Renate Wolff (125) von Berlin nach Hannover, um das Fahrzeug zu übernehmen und nach Berlin zu überführen (126). Als sie am Abend desselben Tages gegen 20.15 Uhr in Langenhagen mit dem ihr übergebenen Pkw einen Verkehrsunfall verursachte, war der Kraftwagen schon mit den gefälschten in Berlin erworbenen Kennzeichen versehen. Zudem besaß Renate Wolff einen auf den Mietwagen „zugeschnittenen“ gänzlich gefälschten Kraftfahrzeugschein mit dem Namen Dr. med. Werner Ridder, Frankfurt/M (127).

[83] 4. Beschaffung von Waffen und Sprengstoffen

a) Zur Ausrüstung der Gruppe für ihren illegalen Kampf zählten auch zahlreiche Handfeuerwaffen. Die Mitglieder bedienten sich ihrer bei einzelnen Aktionen, u.a. bei den noch zu schildernden Banküberfällen sowie zur Vereitelung polizeilichen Zugriffs. Die Tötung von Polizeibeamten wurde hierbei billigend in Kauf genommen (128). Gruppenmitglieder, die sich - diesem „Schießbefehl“ folgend - einer Festnahme mit Waffengewalt widersetzt hatten, wurden den übrigen als Beispiel hingestellt (129).

So hatten Mahler und die gleichfalls in der Knesebeckstraße 89 angetroffenen Gruppenmitglieder Monika Berberich, Irene Goergens und Ingrid Schubert bei ihrer Festnahme am 8. Oktober 1970 allesamt durchgeladene Schußwaffen griffbereit bei sich (130). Irene Goergens äußerte unmittelbar nach ihrer Festnahme ihr Bedauern darüber, daß sie nicht „zum Schießen gekommen sei“ (131).

Die Mehrzahl der bei den Festnahmen in der Knesebeckstraße sichergestellten Pistolen sowie die von Jansen bei den Vorfällen in der Fuggerstraße benutzte Schußwaffe stammen aus einer Lieferung einer in Spanien ansässigen Herstellerfirma; die Waffenlieferung war am 11. Juli 1970 nach Damaskus gegangen (132). Eine weitere Pistole aus derselben Sendung [84] wurde bei der Festnahme der Astrid Proll am 6. Mai 1971 in Hamburg gefunden (133). Als Beschaffer von Uniformteilen (134) und als Waffenaufkäufer der Gruppe trat insbesondere der inzwischen abgeurteilte (134a) ehemalige Rechtsreferendar Rolf Pohle in Erscheinung. Unter Vorlage gefälschter Waffenerwerbsscheine und eines verfälschten Jahresjagdscheines kaufte er in der Zeit vom 23. Juli bis 17. Dezember 1971 mindestens sieben Revolver und 25 Pistolen, die er zum Teil - manchmal auch mit der dazugehörigen Munition - der Gruppe überließ (135).

Einige der von Pohle erworbenen Schußwaffen wurden u.a. bei der Festnahme der Gruppenangehörigen Margrit Schiller (22.10.1971) (136), Grashof und Grundmann (2.3.1972) (137), der Angeschuldigten Ensslin (7.6.1972) (138), Baader, Meins, Raspe (1.6.1972) (139) und Meinhof (15.6.1972) sowie der Gruppenmitglieder Braun (9.6.1972) (140), Müller (15.6.1972) (141) und Irmgard Möller (8.7.1972) (142) aufgefunden und andere anläßlich des Schußwechsels am 2. März 1972 in Augsburg (143) sichergestellt. Eine weitere von Pohle zur Verfügung gestellte Schußwaffe befand sich in dem im Abschnitt III 2 b cc erwähnten Bandenfahrzeug, das am 8. Dezember 1971 auf der Bundesautobahn zwischen Stuttgart und München in einen Verkehrsunfall verwickelt und von dem Fahrer daraufhin fluchtartig verlassen worden war (144).

[85] Beispielhaft für den verhältnismäßig hohen Bewaffnungsstand der Gruppe ist insbesondere die Tatsache, daß anläßlich der Entdeckung der in anderem Zusammenhang schon erwähnten, im einzelnen aber noch näher darzustellenden Wohnung „Wallenberg“ in Berlin 30, Budapester Straße 39, u.a. ein Maschinengewehr, eine Maschinenpistole und zwei Pistolen sichergestellt werden konnten (145); auch einige der sog. „Berliner Pakete“ (146) enthielten u.a. - teils in Einzelteile zerlegt - Schnellfeuergewehre, Kleinkalibergewehre und Pistolen (147) sowie Munition und Zubehör. Daneben gelang es den Angeschuldigten Baader und Ensslin noch Mitte April 1972, sich mehrere halbautomatische Schrotflinten, Fabrikat „FN-Browning“, nebst Munition durch die Einschaltung von Anarchisten aus der Schweiz zu verschaffen (148).

b) Auch die Anweisungen Marighellas zum Terrorismus durch Sprengstoffanschläge und Brandstiftungen griff die Gruppe auf. Nach dem Stadtguerilla-Handbuch (Seite 63, 64) ist Terrorismus „eine Aktion, bei der gewöhnlich eine Bombe oder Sprengladung von großer Zerstörungskraft zur Zündung gebracht wird und deren Verlustwirkung für den Feind nicht wieder gutzumachen ist“. Ferner wird in der Schrift empfohlen: „Brandlegung und Herstellung von Brandbomben sind wesentlich für die Technik des revolutionären Terrorismus“ (149).

[86] Diese Ansichten machte sich die Gruppe zu eigen und traf entsprechende Vorbereitungen (150). Sie setzte sich deshalb in den Besitz von Gerätschaften und Chemikalien zur Herstellung hochwirksamer Sprengstoffe sowie von Brandsätzen und Zündmitteln, die sie fast ausschließlich selbst anfertigte.

Unter den in der Berliner Wohnung „Hübner“, Knesebeckstraße 89, sichergestellten Materialien befanden sich vorbereitete und fertiggemischte Thermitbrandsätze (151). Mahler hat dem Gruppenmitglied Ruhland das Herstellungsverfahren für diese Brandsätze erläutert und dabei auf die ihm zuteilgewordene Ausbildung im Guerillakampf während des Aufenthalts im Nahen Osten hingewiesen (152).

Von Mahler stammen auch die in der Unterkunft vorgefundenen handschriftlichen Anleitungen zur Zubereitung der Sprengmittel (153). Andere Sprengstoffanleitungen, die ebenfalls in dem genannten Bandenstützpunkt entdeckt worden sind, wurden auf zwei Schreibmaschinen aufgezeichnet, die in der bereits abgehandelten Wohnung „Wend“, Berlin 30, Hauptstraße 19, sichergestellt worden sind (154). Sämtliche Rezepturen zeichnen sich dadurch aus, daß sie trotz Verwendung leicht zugänglicher Grundstoffe die Gewinnung hochwirksamer Sprengstoffgemische gewährleisten. Die Anleitungen enthalten überdies auch dem Nichtfachmann verständliche [87] Beschreibungen zur Herstellung von Initialsprengstoffen, explosionsgefährlichen Materialien, Brandsätzen und Zündverzögerern. Allgemein hielt es gerade Mahler für wichtig, über Sprengstoff zu verfügen, der stets in großer Menge beschafft werden konnte und der auch von den „Massen“ leicht herzustellen und anzuwenden war. Nach seiner Auffassung war es erforderlich, den Sprengstoff aus im Handel leicht erhältlichen und deshalb von den Behörden nicht ohne weiteres aus dem Verkehr ziehbaren Grundstoffen zusammenzusetzen (155). Einschlägige Funde nach der Verhaftung von Mahler zeigen, daß die Gruppe auch in der Folgezeit über Sprengkörper, selbstzusammengesetzten und industriell hergestellten Sprengstoff sowie über die zur Zubereitung von Sprenggemischen notwendigen Ausgangsprodukte verfügte. So stieß die Polizei bei der Beschlagnahme der schon mehrfach genannten „Berliner Pakete“ auf 15 Stangen „Geomit“, 16 Sprengkapseln und Zeitzündschnur (156). In der Hamburger Wohnung „Wader“, auf die in diesem Abschnitt noch näher einzugehen sein wird (157), fanden sich u.a. 5 Weißblechdosen mit Schwarzpulver sowie eine mit Sprengstoff, Erde und Kleineisenteilen gefüllte und mit einer Zündvorrichtung versehene Blechdose (158).

Bedeutende Mengen verschiedenartigen Sprengstoffs, von Grundstoffen zur Gewinnung von Sprengmitteln, Sprengkörper unterschiedlicher Bauweise, eine Vielzahl von Zube- [88] hörteilen, fachtechnische Literatur sowie hand- und maschinenschriftliche Sprengstoffanleitungen kamen darüber hinaus - was noch ausführlich darzustellen ist - seit Juni 1972 in mehreren von der Polizei ausgehobenen Gruppenstützpunkten, bei der Bergung aufgegebenen Bandenbesitzes sowie bei der Verhaftung von Gruppenmitgliedern - darunter der Angeschuldigten Baader, Meins, Raspe und Meinhof - zum Vorschein (159).

5. Einsatz von Funkgeräten

Entsprechend den im „Mini-Handbuch“ gegebenen Hinweisen, nach denen der Stadtguerilla stets entscheidende Informationen über Absichten und Bewegungen der Polizei und über die Art der „feindlichen Nachrichtenübermittlung“, insbesondere auch das polizeiliche Funknetz haben müsse, und gleichzeitig zur Vorbereitung des empfohlenen Nervenkrieges durch Verbreitung von Falschmeldungen nahm die Gruppe den Einsatz von Funkgeräten in Angriff. Darüber sind in der Wohnung Knesebeckstraße 89 umfangreiche Anleitungen gefunden worden, die teils auf den bereits erwähnten Schreibmaschinen aus den Gruppenunterkünften geschrieben worden sind. Diese Aufzeichnungen lassen die Absicht der Gruppe erkennen, unter Verwendung handelsüblicher und selbstgebauter Geräte Sprechverkehr durchzuführen, Sendungen im UKW-Rundfunkbe- [89] reich abzustrahlen, Funkdienste der Sicherheitsbehörden zu stören oder unmöglich zu machen und beliebige Schaltvorgänge auf dem Funkweg fernzusteuern. Letzteres ist vor allem für die Fernzündung von Sprengladungen von Bedeutung (160).

Nach den in der Strafsache gegen Mahler von dem Kammergericht getroffenen Feststellungen war die Ausrüstung der Gruppe mit Funkgeräten ein persönliches Anliegen Mahlers (161). Daß die Gruppe jedoch auch nach dessen Verhaftung im Oktober 1970 bestrebt war, sich die Erkenntnisse der drahtlosen Nachrichtenübermittlung zunutze zu machen, zeigen die in der Folgezeit bei verschiedenen Gelegenheiten entdeckten Funksprechgeräte sowie die Vielzahl der Zubehörteile, der Fachliteratur und des einschlägigen Prospektmaterials, die im weiteren Verlauf der Ereignisse sichergestellt wurden (162). So ist z.B. der Abdruck eines im September 1971 in der Zeitschrift „Die Polizei“ veröffentlichten Aufsatzes, der sich u.a. mit dem Einsatz von Funkstreifenwagen und Kleinsprechfunkgeräten im Bereich der Berliner Polizei befaßt, neben Unterstreichungen im Text von der Angeschuldigten Meinhof mit einem Fundstellenhinweis versehen worden. Der in Rede stehende Abdruck wurde in der am 6. Juni 1972 in dem Anwesen Berlin 41, Grunewaldstraße 23, ausgehobenen Wohnung „Hübner“ aufgefunden (163).

[90] Schließlich wurden Funkgeräte nach der Aussage Ruhlands von dem Angeschuldigten Raspe auch schon in der Zeit um den 27. November 1970 angekauft und zunächst in der noch zu behandelnden Gruppenunterkunft in Polle verwahrt. Wahrscheinlich sind diese Geräte später unter Mitwirkung der Angeschuldigten Raspe und Meinhof in die auch an anderer Stelle noch zu erwähnende Anlaufstelle „von Einem“ (164) nach Bremen verbracht worden. Im Einklang hiermit stehen auch Bekundungen der Beate Sturm. Sie berichtete, daß Ende November/Anfang Dezember 1970 innerhalb der Gruppe über die Anschaffung von Funkgeräten gesprochen worden sei (165).

6. Kassenführung

Bereits im September 1970 war die Gruppe so fest gefügt, daß selbst die persönlichen Ausgaben der einzelnen Mitglieder aus der gemeinsamen Kasse bestritten wurden. Die Verwaltung des Geldes oblag der Angeschuldigten Ensslin (166). Die Gruppenmitglieder rechneten ihre Ausgaben schriftlich ab. Derartige Belege, auf denen die einzelnen Posten mit den zugehörigen Decknamen notiert sind, wurden in der Wohnung Knesebeckstraße 89 sichergestellt (167).

[91] IV. Banküberfälle in Berlin am 29. September 1970

1. Ende August oder Anfang September 1970 beschloß die Gruppe, Berliner Banken zu berauben (168). Mahler begründete etwa Mitte September 1970 bei einer Besprechung in der Wohnung Bäckers in der Keithstraße das Vorhaben damit, daß die Gruppe dringend Geld benötige, vor allem für den Lebensunterhalt ihrer Mitglieder. Geld sei aber auch erforderlich, um im Falle von Festnahmen die Verteidigung der Betroffenen und die nötigen Schritte zu ihrer gewaltsamen Befreiung finanzieren zu können (169).

In weiteren Besprechungen wurden Einzelheiten über Vorbereitung und Durchführung der Aktionen erörtert. Mahler trat hierbei zusammen mit dem Angeschuldigten Baader als Wortführer auf (170); Mahler war es auch, der Ruhland und Grusdat für eine Teilnahme an den Überfällen gewann (171). Ursprünglich war die gleichzeitige Beraubung von vier Berliner Banken vorgesehen. Der Überfall auf eines der ausgewählten Geldinstitute wurde aber, wie noch darzulegen ist, aufgegeben.

Zur Vorbereitung der Raubüberfälle wurden zahlreiche Maßnahmen getroffen:

[92] a) Ruhland und Grusdat stellten in der Werkstatt Grusdats sog. Krähenfüße her, die nach den Banküberfällen von den flüchtenden Tätern vor die Fahrzeuge etwaiger Verfolger geworfen werden sollten. Die spitzen Metallstücke waren dazu bestimmt, die Reifen der Fahrzeuge zu beschädigen und dadurch eine weitere Verfolgung zu vereiteln (172).

b) Anderen Gruppenmitgliedern oblag es, für die Überfälle geeignete Banken auszukundschaften und abzuklären. Dabei achteten sie besonders darauf, ob die Kassiererboxen in den Banken mit einer Glaspanzerung umgeben waren. Das Ergebnis ihrer Erkundungen hielten sie in mehreren Aufzeichnungen fest (173). Unter anderem hatte Irene Goergens eine Skizze der Filiale der Berliner Bank in der Schloßstraße angefertigt; die Zeichnung ist in der schon mehrfach erwähnten Unterkunft Knesebeckstraße 89 sichergestellt worden. Die Überschrift auf der Skizze stammt von dem Angeschuldigten Baader (174). Dieser hatte auch zwei weitere Zettel mit elf Anschriften von Zweigstellen der Sparkasse der Stadt Berlin-West beschriftet (175). Sie steckten in einer hellblauen Cordhose, die Irene Goergens in der Gruppenunterkunft Knesebeckstraße zurückgelassen hatte (176).

Als Überfallobjekte wählte die Bande schließlich die Depositenkasse 4 der Berliner Bank AG in der Rheinstraße 1 sowie die Zweigstellen 22, 92 und 83 der Sparkasse der [93] Stadt Berlin-West in der Altonaer Straße 5, auf dem Südwestkorso 38 und in der Nonnendammallee aus (177).

Entsprechend der Anzahl der vorgesehenen Überfallobjekte wurden vier Trupps gebildet, die zur Erschwerung der polizeilichen Fahndung gleichzeitig mit der Tatausführung beginnen sollten. Den Zeitpunkt für die Überfälle setzte die Gruppe auf den 29. September 1970, 9.41 Uhr, fest (178).

c) Außer den bereits betrügerisch angemieteten und gestohlenen Fahrzeugen benötigte man für die Überfälle zusätzliche Personenkraftwagen. Diese besorgten die Gruppenmitglieder erst kurze Zeit vorher durch weitere Diebstähle.

Folgende Kraftwagen wurden von der Gruppe in der Zeit zwischen dem 26. und 29. September 1970 in Berlin entwendet (179):

Der dunkel-olivgrüne Pkw „Mercedes 230“ mit dem amtlichen Kennzeichen LI - J 514 zwischen dem 26. und 28. September 1970 (benutzt beim Tatort Rheinstraße) (180),

der beigefarbene Pkw „Mercedes 220“ mit dem amtlichen Kennzeichen B - EV 939 in der Nacht zum 26. September 1970 (benutzt beim Tatort Rheinstraße) (181),

[94] der grün-weiße „VW-Combi-Bus“ mit dem amtlichen Kennzeichen B - XW 596 in der Nacht zum 29. September 1970 (benutzt beim Tatort Altonaer Straße) (182),

der graue Pkw „Mercedes 220 SE“ mit dem amtlichen Kennzeichen B - WM 59 in der Nacht zum 27. September 1970 (benutzt beim Tatort Altonaer Straße) (183),

der blaue Pkw „Mercedes 250“ mit dem amtlichen Kennzeichen B - M 4193 in der Nacht zum 27. September 1970 (benutzt beim Tatort Südwestkorso) (184).

Alle Kraftfahrzeuge bis auf den „VW-Combi“ wurden mit Kennzeichen versehen, die sämtlich schon im Mai 1970 in Berlin gestohlen worden waren. Der dunkelolivgrüne Pkw „Mercedes 230“ mit dem amtlichen Kennzeichen LI - J 514 erhielt das Falschkennzeichen B - NW 979 (185); der beigefarbene Pkw „Mercedes 220“, amtliches Kennzeichen B - EV 939, wurde auf das Falschkennzeichen B - UN 971 umgerüstet (186); an dem grauen Pkw „Mercedes 220 SE“, B - WM 59, wurde das Falschkennzeichen B - A 6582 (187) und an dem blauen Pkw „Mercedes“ B - M 4193 das Falschkennzeichen B - ML 751 angebracht (188). Auch an dem Kraftfahrzeug, mit dem Jansen und Wolff am 31. August 1970 in Berlin gestellt worden waren, befand sich ein im Mai 1970 [95] gestohlenes Kennzeichen (189); zwei während des gleichen Zeitraums entwendete Kennzeichenschilder wurden zudem in der Berliner Gruppenunterkunft Knesebeckstraße 89 vorgefunden (190).

d) Die genaue Planung der einzelnen Banküberfälle, die Verteilung der Aufgaben und die Festlegung der Fluchtwege wurden von jeder Tatortgruppe gesondert vorgenommen. Lediglich am 22. September 1970 fand eine gemeinsame grundlegende Besprechung in der Wohnung von Bäcker in der Keithstraße 15 statt. Anwesend waren neben Mahler die Angeschuldigten Baader und Ensslin sowie Bäcker, Irene Goergens, Grashof, Grusdat, Astrid Proll, Ruhland, Petra Schelm und Ingrid Schubert; alle sagten ihre Beteiligung an den Banküberfällen verbindlich zu (191). Als Anführer hat Ruhland den Angeschuldigten Baader und Mahler bezeichnet (192).

2. Am 29. September 1970, dem festgesetzten Tattag, überfiel die Gruppe gleichzeitig die Banken in der Rheinstraße, in der Altonaer Straße und auf dem Südwestkorso und erbeutete insgesamt etwa 220.000,-- DM (193).

a) Der ursprüngliche Plan, auch die Sparkassenfiliale in der Nonnendammallee zu berauben, wurde erst am Morgen des Tat- [96] tages aufgegeben. Als nämlich die Angeschuldigte Ensslin, Bäcker, Ruhland und Ingrid Schubert, die „Tatortgruppe Nonnendammallee“, gegen 8.00 Uhr die Bank nochmals überprüften, stellten sie fest, daß dort Maurerarbeiten verrichtet wurden (194). Sie gaben deshalb ihr Vorhaben auf und fuhren zu der Wohnung des Bäcker in der Keithstraße 15. Dort hatten sich die Gruppenmitglieder versammelt, welche die Bank in der Rheinstraße überfallen sollten, nämlich der Angeschuldigte Baader, Mahler, Irene Goergens, Grusdat und Astrid Proll. Man beschloß, daß sich die „Tatortgruppe Nonnendammallee“ am Überfall auf die Bank in der Rheinstraße beteiligen sollte. Der Angeschuldigte Baader und Mahler wiesen den Anwesenden neue Aufgaben zu (195). Nach den Angaben Ruhlands händigte Baader bei dieser Gelegenheit an zwei bisher nicht ermittelte Mädchen drei mit Brandsätzen kombinierte Sprengladungen aus, die mit Zeitzündvorrichtungen versehen waren; dabei sei davon gesprochen worden, die Sprengkörper im Schöneberger Rathaus und in einem diesem benachbarten öffentlichen Gebäude „zur Verwirrung der Polizei“ zur Entzündung zu bringen (196).

b) Die Mitglieder der so verstärkten „Tatortgruppe Rheinstraße“ fuhren von der Keithstraße getrennt zum Tatort. Dabei benutzten Grusdat und Ruhland den in Duisburg von Monika Berberich angemieteten und mit anderen Kennzeichen [97] versehenen Pkw „Mercedes”, DU - AL 836, den Bäcker steuerte. Bäcker sollte mit diesem Wagen, der mit einem Sender ausgestattet war, während der Überfälle in der Nähe der Tatorte Rheinstraße und Südwestkorso umherfahren und den Polizeifunk abhören und stören (197).

Der Angeschuldigte Baader und Irene Goergens bedienten sich für die Fahrt zum Tatort des von Monika Berberich in Düsseldorf angemieteten sandfarbenen „VW 1300“, früheres Kennzeichen D - PC 564, und stellten das Fahrzeug danach vor dem Rathaus Friedenau ab (198). Mahler war bereits am Tatort, als der Angeschuldigte Baader sowie Ruhland, Grusdat und Irene Goergens dort eintrafen (199).

Gegen 9.45 Uhr stürmten der Angeschuldigte Baader, Mahler, Irene Goergens, Grusdat und Ruhland in den Schalterraum der Bankfiliale in der Rheinstraße. Sie hatten mit Sehschlitzen versehene Pudelmützen über den Kopf gezogen. Nur Grusdat war mit einer Perücke und einer großen Sonnenbrille getarnt. Außerdem trugen Ruhland und Grusdat blaue Perlonkittel, die sie in der Toreinfahrt des Grundstückes Hauptstraße 78/79 über ihre Kleidung gezogen hatten; diese Kittel hatte Grusdats Ehefrau am Vortage in einer örtlichen Textilhandlung gekauft. Alle Tatbeteiligten hielten Schußwaffen im Anschlag. Der Angeschuldigte Baader, Mahler und Irene Goergens waren mit Pistolen der Marke „Llama“, Kaliber 9 mm, [98] ausgerüstet; Ruhland führte ein Schnellfeuergewehr „Landmann-Preetz“ bei sich, das er unmittelbar vor der Fahrt zum Tatort in der Wohnung Bäckers erhalten hatte; Grusdat war mit einer Schrotflinte mit abgesägtem Lauf und Schaft ausgestattet. Der Angeschuldigte Baader und Mahler hatten die Gruppenmitglieder zuvor angewiesen, von der Schußwaffe möglichst nur Gebrauch zu machen, wenn ihre Flucht behindert werden sollte; in diesem Fall sollte allerdings keinerlei Rücksicht geübt werden.

In der Bank nahm Mahler in der Mitte des Schalterraumes Aufstellung, richtete seine Pistole auf Bankangestellte und Kunden und rief sinngemäß: „Überfall! Hände hoch und ruhig verhalten! Es geschieht nichts, es ist nicht Ihr Geld!“ Ruhland und Grusdat sicherten mit vorgehaltenen Waffen den Ausgang. Der Angeschuldigte Baader und Irene Goergens durchquerten den Schalterraum mit gezogener Waffe, übersprangen die Tresen der beiden Kassenschalter, rafften von den Ablagen das Geld zusammen und steckten es in Aktentaschen. Insgesamt erbeuteten sie 154.182,50 DM. Sodann verließen beide als erste die Bank; ihnen folgten Ruhland, danach als letzte Grusdat und Mahler. Dieser warnte die Anwesenden vor einer Verfolgung mit dem Hinweis, vor der Bank werde eine Bombe explodieren, und zündete mit Grusdat im Eingang einen Nebeltopf (200).

[99] Wie geplant flüchteten die Täter anschließend über ein Nachbargrundstück der Bank zur Lauterstraße. Auf dem Grundstück Nr. 25 dieser Straße versteckten Ruhland und Grusdat ihre Waffen in bereitgestellten Papprollen, die sie mitnahmen. Außerdem warfen die Flüchtenden Pudelmützen und Kleidungsstücke weg (201). In der von Irene Goergens zurückgelassenen Jacke wurde der Schlüssel für den Pkw VW D - PC 564 gefunden (202).

Auf der Lauterstraße warteten absprachegemäß Astrid Proll in dem dunkel-olivgrünen Pkw „Mercedes 230“ (früheres amtliches Kennzeichen LI - J 514) mit den Falschkennzeichen B - NW 979 und Ingrid Schubert in dem beigefarbenen Pkw „Mercedes 220 S“ (früheres amtliches Kennzeichen B - EV 939) mit den Falschkennzeichen B - UN 971. Der Angeschuldigte Baader, Mahler und Irene Goergens bestiegen das Fahrzeug der Astrid Proll und flüchteten damit bis zum Güterbahnhof Wilmersdorf. Dort stiegen sie in den von der Angeschuldigten Ensslin gesteuerten Pkw „Mercedes 220 S“ (früheres amtliches Kennzeichen B - HH 808) mit den Kennzeichen B - PN 240 um und setzten ihre Flucht zu einem Unterschlupf in der Nähe Ceciliengärten/Traegerstraße fort. Zuvor hatte die Angeschuldigte Ensslin die Umgebung der Tatorte abgefahren, um gegebenenfalls versprengte Tatbeteiligte aufzunehmen. Das Auto war, wie schon geschildert, Ende August 1970 gestohlen worden.

[100] Ruhland und Grusdat flohen mit dem von Ingrid Schubert gesteuerten Fahrzeug zunächst bis zum Volkspark Wilmersdorf. Dort wechselten sie in den bereitgestellten „Ford 20 M“ über, der, wie erwähnt, von Monika Berberich betrügerisch angemietet worden war und von Mahler benutzt wurde. Mit diesem Wagen fuhren sie bis zum Wittenbergplatz und gingen von dort zu Fuß in die Wohnung des Bäcker in der Keithstraße 15. Hier warteten sie, bis die Polizeifahndung abgeklungen war, und begaben sich sodann zur Werkstatt Grusdats (203).

Der Pkw „Mercedes“ mit dem Falschkennzeichen B - NW 979 wurde gegen 10.00 Uhr auf der Ladestraße des Güterbahnhofs Wilmersdorf mit noch warmem Auspuffrohr aufgefunden. In dem Zündschloß steckte zur Tarnung ein Zündschlüssel, der nicht paßte (204). Mit ihm war durch eine Büroklammer ein Tank- oder Kofferraumschlüssel der Marke „Huf“ verbunden (205). Ein Schlüssel dieses Fabrikats mit derselben eingestanzten Nummer konnte in der Wohnung Knesebeckstraße 89 sichergestellt werden (206), ebenso eine zusammen mit dem Pkw entwendete in der Form eines grünen Kissens gehaltene Autoapotheke (207).

Den Pkw „Mercedes“ mit dem Falschkennzeichen B - PN 240 entdeckte die Polizei gegen 11.00 Uhr mit noch warmem Motor in der Traegerstraße - Ecke Ceciliengärten. Spuren- [101] sicherungsmaßnahmen führten zur Feststellung eines Fingerabdruckes von Petra Schelm. Eine weitere gesicherte Abdruckspur weist auf die Angeschuldigte Ensslin hin (208).

Im Kofferraum des Fahrzeugs lagen überdies die von Grusdat und Ruhland beim Überfall benutzten Waffen (209).

Der Pkw „Mercedes“, B - UN 971, wurde gegen 10.20 Uhr in Schöneberg am Volkspark aufgefunden (210). In ihm befand sich ein Fingerabdruck der Ingrid Schubert. Eine weitere in dem Fahrzeug festgestellte Abdruckspur deutet zumindest darauf hin, daß sie von der Angeschuldigten Ensslin verursacht worden ist (211).

c) Gleichzeitig mit dem Raubüberfall auf die Bank in der Rheinstraße überfiel eine andere Tätergruppe, die aus zwei Männern und zwei Frauen bestand, die Sparkassenfiliale in der Altonaer Straße.

Die beiden Männer und eine der Frauen fuhren mit dem gestohlenen grün-weißen „VW-Combi-Bus“, B - XW 596, zum Tatort. Zu diesem Zeitpunkt trugen zwei der Täter bereits je eine kupferrote und eine graumelierte Perücke. In einer Nische zwischen dem Hauseingang verdeckten alle drei ihre Gesichter mit Stoffbeuteln, von denen zwei mit Sehschlitzen und einer mit einem rechteckigen Ausschnitt versehen wa- [102] ren (212). Dieser Trupp betrat sodann die Bank. Einer der Täter stellte sich beim Eingang auf, richtete das von ihm mitgeführte doppelläufige Gewehr auf die Kassiererbox und rief sinngemäß: „Hände hoch und Geld raus!“ Die weibliche Tatbeteiligte, die ebenfalls ein Gewehr im Anschlag hielt, durchquerte den Kundenraum, öffnete eine Klapptür zum Schalterraum und drängte dort die Bankangestellten in eine Ecke. Gleichzeitig übersprang der zweite männliche Täter den Tresen zur Kassiererbox, jagte von dort den Kassierer Poll mit vorgehaltener Pistole und den Worten: „Weg, weg, weg! Hände hoch!“ in einen angrenzenden Nebenraum und packte das Geld auf der Ablage in eine schwarze Tasche. Anschließend zwang er den Zweigstellenleiter Hundt, den Panzerschrank im Kassenraum zu öffnen, und entnahm ihm vier Säckchen mit Hartgeld. Die Gesamtbeute betrug 8.115,-- DM.

Sodann begab sich der zweite männliche Täter zum Ausgang und sicherte mit seiner Waffe den Rückzug der Tatgenossin, die zwischenzeitlich auf den Banktresen geklettert war und von dort aus die Bankangestellten mit ihrem Gewehr in Schach gehalten hatte. Danach verließen alle drei die Bank (213). Sie flüchteten durch die Geschäftsräume der neben der Bank gelegenen Drogerie zur Händelallee. Dort wartete verabredungsgemäß in dem grauen „Mercedes 220 SE“ [103] (früheres amtliches Kennzeichen B - WM 59) mit den Falschkennzeichen B - A 6582 die zweite weibliche Tatbeteiligte, die mit einer graumelierten Perücke getarnt war. Die Flüchtenden fuhren über die Klopstockstraße in Richtung Straße des 17. Juni davon (214).

Dieses Fluchtfahrzeug wurde gegen 21.00 Uhr auf dem Parkplatz der Technischen Universität sichergestellt (215). In ihm lagen u.a. vier Perücken, darunter eine kupferrote und eine graumelierte, zwei schwarze Beutel mit Sehschlitzen und ein Beutel mit einem rechteckigen Ausschnitt (216). Der zusammen mit dem Fahrzeug entwendete Führerschein der Ehefrau des Halters Rognlien befand sich in einem der bereits erwähnten „Kasseler Luftpostpäckchen“ (217).

d) Zur selben Zeit wie die Banken in der Rheinstraße und der Altonaer Straße wurde die Sparkassenfiliale auf dem Südwestkorso überfallen.

Gegen 9.45 Uhr drangen vier Bandenmitglieder in die Sparkasse ein. Drei von ihnen hatten dunkle Pudelmützen mit Sehschlitzen auf, einer hatte eine Strumpfmaske über den Kopf gezogen. Von den Tätern waren zwei mit Pistolen ausgerüstet, die beiden anderen waren mit einer abgesägten Doppelflinte und einem Kleinkalibergewehr bewaffnet. Wäh- [104] rend zwei der Täter in der Nähe der Tür stehenblieben und von dort aus die Bankangestellten und Kunden in der Schalterhalle mit ihren Schußwaffen in Schach hielten, begab sich ein dritter in die angrenzenden Räume und drängte die dort beschäftigten Personen mit gezogener Waffe in den Kundenraum. In der Zwischenzeit übersprang der vierte Täter den Tresen zur Kassiererbox, raffte vom Zahltisch Hart- und Papiergeld in Höhe von rund 55.000,-- DM zusammen und steckte es in eine mitgebrachte Tasche. Zuvor hatte er einen Zettel mit der Druckaufschrift: „Enteignet die Feinde des Volkes“ auf den Schaltertisch gelegt (218). Anschließend flüchteten alle Tatbeteiligten zu dem vor der Bank haltenden blauen „Mercedes 230“ (früheres amtliches Kennzeichen B - M 4193) mit dem Falschkennzeichen B - ML 751. Am Steuer saß ein weiteres Bandenmitglied. Nachdem die Flüchtenden eingestiegen waren, entfernte sich der Wagen in Richtung Bundesallee (219).

Auf dem am Tatort zurückgelassenen Zettel ist ein Fingerabdruck des Grashof festgestellt worden (220).

Das Fluchtfahrzeug wurde gegen 10.30 Uhr in Wilmersdorf auf dem Bergheimer Platz mit laufendem Motor aufgefunden (221). Im Zündschloß steckte zur Tarnung ein gleicher Schlüssel, wie er sich auch in dem bei dem Banküberfall in der Rheinstraße benutzten Fluchtwagen mit dem Falschkennzeichen [105] B - NW 979 befunden hatte (222). Verschiedene Gegenstände, die zusammen mit dem Pkw entwendet worden waren, sind später in der Wohnung Knesebeckstraße 89 sichergestellt worden (223).

In dem Fluchtwagen mit dem Falschkennzeichen B - ML 751 lagen zwei mit Sehschlitzen versehene braune Wollmützen und eine Strumpfmaske (224), außerdem eine abgesägte spanische Doppelflinte und ein Kleinkalibergewehr „Landmann- Preetz“ (225). Diese und die von Grusdat und Ruhland beim Überfall in der Rheinstraße benutzten Waffen hatte der geistesgestörte Mario Kromecke aus Hamburg im Auftrag einer „Hanna“ gekauft (226). Ferner wurden in diesem Wagen 15 von Grusdat und Ruhland gefertigte „Krähenfüße“ sichergestellt (227). Zwei dieser „Reifentoter“ wurden in der Wohnung Knesebeckstraße 89 (228) und 13 weitere in der Nähe des Grundstücks der Mutter von Grusdat im Teltowkanal versenkt aufgefunden (229). Alle „Krähenfüße“ sind aus gleichem Werkstoff und nach Art ihrer Herstellung von ein und derselben Person gefertigt worden (230). Das Material dazu hatte Ruhland im September 1970 bei der Finna Krupp-Druckenmüller in Berlin auf den Namen „Oldach“ gekauft (231). [106] Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, daß eine der beiden anderen Tätergruppen aus der Angeschuldigten Meinhof, Jansen, Grashof und Brigitte Asdonk bestand. Diese Gruppe hat wahrscheinlich den Überfall auf die Sparkassenfiliale in der Altonaer Straße ausgeführt (232).

V. Ausweichen der Gruppe nach Westdeutschland

Am 6. Oktober 1970 traf ein Teil der Gruppe in der Wohnung des Angeschuldigten Raspe in Berlin zusammen. Anwesend waren der Angeschuldigte Baader, außerdem Mahler, Astrid Proll, Irene Goergens, Ingrid Schubert, Grusdat, Ruhland und Petra Schelm. Sie erörterten den Verlauf der Überfälle und die Verwendung des geraubten Geldes. Von diesem erhielten einzelne Mitglieder nur geringe Beträge. Der Großteil der Beute wurde für den gemeinsamen „Kampffond“ bestimmt, aus dem der Unterhalt der Gruppe und ihre künftigen Aktionen finanziert werden sollten. Bei dieser Gelegenheit rechtfertigte Mahler die Raubüberfälle mit dem Hinweis, daß es sich bei dem Geld ja nur um solches der Kapitalisten handle, der „kleine Mann“ also nicht geschädigt werde.

Ferner kam zur Sprache, daß Jansen und Bäcker zur Vorbereitung eines Diebstahls von Waffen aus dem Bundeswehrdepot Munsterlager schon Erkundungen an Ort und Stelle durchge- [107] führt hatten. Der Plan ging von Mahler aus und war bereits vor den Banküberfällen innerhalb der Gruppe gebilligt worden. Mahler hoffte nämlich auf den Zustrom neuer Mitglieder; diese sollten ebenfalls mit Waffen ausgerüstet werden (233).

1. Zur Vorbereitung des vorgesehenen Waffendiebstahls waren Anfang Oktober 1970 zunächst Jansen und Bäcker nach Westdeutschland gereist. Ihnen folgten am 8. Oktober 1970 die Angeschuldigte Meinhof und am 1. November 1970 Ruhland (234).

Obwohl Mahler, Brigitte Asdonk, Monika Berberich, Irene Goergens und Ingrid Schubert am 8. Oktober 1970 in dem Berliner Anwesen Knesebeckstraße 89 verhaftet wurden, trieb die Gruppe ihre Vorhaben voran und schmiedete neue Pläne. Anläßlich der geschilderten Festnahmen geriet das Bandenmitglied Bäcker in der Verdacht, den Aufenthalt der Gruppe verraten zu haben. Diese Vermutung erhielt nach der Festnahme Grusdats am 3. Dezember 1970 in Berlin neue Nahrung.

Wie Ruhland und Beate Sturm hierzu angegeben haben, ist bei Zusammenkünften im Oktober 1970 „unter Vorsitz“ der Angeschuldigten Baader und Ensslin dieser Verdacht [108] erörtert und von den auf freiem Fuß befindlichen Gruppenmitgliedern im Dezember 1970 beschlossen worden, Bäcker als „Verräter“ zu töten. Astrid Proll hat Ruhland berichtet, an einem nicht mehr zu ermittelnden Tage in Berlin auf Bäcker geschossen zu haben (235).

Für den Fortbestand der Zielsetzungen der Gruppe zur damaligen Zeit sprechen die Erläuterungen der Angeschuldigten Meinhof Mitte November 1970 gegenüber Ruhland. Danach sollten die (sozialen) Klassen abgeschafft und die Herrschenden durch Terror verunsichert werden, um die Lebensbedingungen der Werktätigen zu verbessern. Insbesondere sei die Lage in West-Berlin auszunutzen. Zu diesem Zweck müßten Sprengstoffanschläge auf „führende Politiker und die Rathäuser“ durchgeführt werden. Nach dem Umsturz in Berlin sollten „die Aktionen auf die ganze Welt ausgedehnt werden“. Im übrigen sei alles zu unternehmen, um den „Genossen Mahler“ zu befreien (236).

Die in der Folgezeit in der Bundesrepublik eingesetzten Personen handelten in enger Verbindung mit den in Berlin verbliebenen Gruppenmitgliedern. Die Angeschuldigte Meinhof rief in der Zeit von November bis Dezember 1970 täglich [109] den Fernsprechanschluß der Wohnung „Otto“ in Berlin, Stresemannstraße 27, an, unter dem sich entweder die Angeschuldigte Ensslin oder Grashof, dieser mit dem Decknamen „Carlos“, meldete (237). In der genannten Unterkunft sind Abdruckspuren der Angeschuldigten Ensslin und Raspe gefunden worden (238).

Am 4. November 1970 fuhren Jansen und Ruhland nach Bremen und kauften dort ein Fernglas und eine Leiter (239). Am Abend desselben Tages überstiegen sie zum Zweck der Ausspähung der örtlichen Gegebenheiten mit Hilfe dieser Leiter den Zaun des Militärgeländes Munsterlager. Die Angeschuldigte Meinhof, die im Laufe des Tages unter dem Namen Sabine Marckwort für die Gruppe in Polle bei Hameln einen Ferienbungalow gemietet hatte, sicherte unterdessen außerhalb der Einfriedigung das Unternehmen ab. Jansen und Ruhland drangen bis zur Waffenkammer vor. Ruhland, der „Handwerker“ der Gruppe, stellte dort sachkundig fest, daß er das Sicherheitsschloß am Eingang in etwa 8 Minuten aufbohren könne (240).

Der Einbruch sollte in der Nacht zum 15. November 1970 stattfinden. Er war in allen Einzelheiten vorbereitet. Der Plan wurde jedoch aufgegeben, weil Jansen bei einer weiteren Informationsfahrt in der Nacht zum 9. November 1970 auf der Autobahn in der Nähe von Soltau einen Unfall verursacht [110] hatte und befürchtet wurde, dieses Vorkommnis könne die Aufmerksamkeit der Polizei auf die Aktionsgruppe in der Bundesrepublik gelenkt haben (241).

2. Die Angeschuldigte Meinhof sowie Jansen und Ruhland bemühten sich nunmehr, die Voraussetzungen für die Verlegung des Tätigkeitsfeldes der gesamten Gruppe in die Bundesrepublik zu schaffen. Dabei waren sie insbesondere bestrebt, sich in größerem Umfang mit Unterlagen zur Ausstattung der Gruppenmitglieder mit gefälschten Papieren zu versorgen und neue Möglichkeiten zum Erwerb von Waffen auszuspähen.

Die zur Anfertigung gefälschter Ausweispapiere notwendigen Hilfsmittel erlangte die Aktionsgruppe durch Einbrüche in Rathäuser. Zu diesem Zweck erkundeten Anfang November 1970 Jansen und Ruhland im Harz und in dessen Umgebung geeignete Objekte, während die Angeschuldigte Meinhof die Gegend um Kassel und Gießen absuchte. In die engere Wahl wurden schließlich die Rathäuser in Vienenburg, Oker, Einbeck, Melsungen und Lang-Göns (Oberhessen) gezogen. Da jedoch Jansen und Bäcker bereits früher das Rathaus in Neustadt am Rübenberge für ein mögliches Einbruchvorhaben ausersehen hatten, beschloß man anläßlich einer Fahrt zum Steinhuder Meer, die der Suche eines weiteren Ausweichquartiers für die Gruppe diente, zunächst dort einzubrechen (242).

[111] a) In der Nacht zum 16. November 1970 drangen die Angeschuldigte Meinhof, Jansen und Ruhland gewaltsam in das Rathaus in Neustadt am Rübenberge ein und entwendeten 32 Stempel, 16 ausgefüllte Reisepässe und einen Bundespersonalausweis (243). Am 19. November 1970 verpackte Ruhland auf Weisung der Angeschuldigten Meinhof die Beute aus diesem Einbruch in ein Paket, das er und Jansen noch am selben Tage von dem Hauptpostamt Hannover aus nach Berlin an die Anschrift „Herrn von dem Knesebeck, Berlin-Schöneberg; Albrecht-Schiller-Str. 14“, versandten. Als Absender gaben sie „Lore Klein, Köln, Uferstr. 16“, an. Die Paketkarte wurde von Heinrich Jansen, das Paketpapier von Ruhland beschriftet (244). Die Postsendung konnte in Berlin nicht zugestellt werden, weil dort eine Albrecht-Schiller-Straße nicht besteht. Der Empfänger von dem Knesebeck wurde in Berlin- Schöneberg, Apostel-Paulus-Straße, ermittelt (245).

b) Nach dem geschilderten Einbruch entschieden sich die Angeschuldigte Meinhof sowie Jansen und Ruhland nach nochmaliger Abklärung der in Betracht kommenden Dienstgebäude dafür, in die Bürgermeisterei in Lang-Göns (Landkreis Gießen) einzubrechen. In der Nacht zum 21. November 1970 verwirklichten sie ihr Vorhaben und stahlen aus den aufgebrochenen Schreibtischen u.a. 166 Blankoausweise, mehrere Dienstsiegel und eine Ösenzange mit dazugehörenden Nieten (246).

[112] Die Angeschuldigte Meinhof und Ruhland verpackten am 23. November 1970 einen Teil der Beute in drei Pakete, die Ruhland und Jansen in Hannover und Osnabrück an eine Deckadresse in Berlin zur Post gaben. Den Rest des Diebesgutes behielten sie bei sich, um ihn in Westdeutschland für Fälschungen verwenden zu können (247). Ein Teil der Beute wurde zuletzt in der Wohnung „Falkenberg“ in Frankfurt/M aufbewahrt (248); außerdem wurde bei der noch zu behandelnden Festnahme des Bandenmitglieds Grashof u.a. ein gefälschter Personalausweis gefunden. Zur Herstellung des Falsifikates wurde ein aus der Einbruchsbeute stammender amtlicher Vordruck verwendet (249).

Sowohl bei dem Einbruch in Neustadt am Rübenberge als auch bei der Tat in Lang-Göns führten die Angeschuldigte Meinhof und Jansen ihre geladenen Pistolen in der Absicht mit sich, sie notfalls zu gebrauchen (249a).

3. Zur Beschaffung von Waffen erwogen die Angeschuldigte Meinhof und Jansen einen Einbruch in die Grenzaufsichtsstelle Grafwegen bei Kleve. Nach Abklärung der örtlichen Verhältnisse stellten sie jedoch fest, daß keine geeigneten Fluchtmöglichkeiten bestanden. Die Gruppe gab deshalb auch diesen Plan zur Waffenbeschaffung auf (250). Ebenfalls erfolglos verliefen zwei zum Ankauf von Waffen bestimmte Zusammenkünfte mit einem unbekannten Waffenhändler am 22. und 25. November 1970, zu dem die Angeschuldigte Meinhof, Jansen und Ruhland nach Hamburg gereist waren; die genannten Ban- [113] denmitglieder hatten sich dort mit Grusdat und dessen Freund Hansjürgen Wunderlich, die aus Berlin gekommen waren, getroffen (251). Wunderlich war dem Bandenmitglied Grusdat jedoch bei der Beschaffung zweier KK-Gewehre, Marke „Anschütz“, behilflich (252).

Auf Anregung von Grusdat und Wunderlich fuhren die Angeschuldigte Meinhof, Jansen und Ruhland am 26. November 1970 nach Würzburg, um Möglichkeiten für einen Einbruch in die Waffenhandlung „Frankonia“ auszukundschaften. Auch dieser Plan scheiterte schließlich wegen der ungünstigen örtlichen Verhältnisse.

Nunmehr bemühte sich die Angeschuldigte Meinhof in Frankfurt/M um Waffen. Am 5. Dezember 1970 fuhr sie mit Ruhland zu der Frankfurter Gaststätte „Westend“, wo sie mit Waffenlieferanten verhandeln wollte. Ruhland selbst nahm an diesem Gespräch nicht teil. Er war jedoch in der Wohnung der Eheleute Bornheim in Frankfurt/M, Rückertstraße 26, zugegen, als die genannte Angeschuldigte einige Zeit später erschien und 23 Pistolen der Marke „Firebird Parabellum“, Kaliber 9 mm, mitbrachte. Ruhland und der ebenfalls anwesende Angeschuldigte Raspe, der am 28. November 1970 aus Berlin kommend in Polle eingetroffen war, erhielten je eine Pistole (253). Bei seiner Festnahme am 20. Dezember 1970 in Oberhausen trug Ruhland die ihm damals ausgehändigte Waffe durchgeladen bei sich (254). Fünf Pistolen wurden in der Wohnung Bornheim belassen, da sie für Gruppenmitglieder, [114] die aus Berlin eintreffen sollten (255) bestimmt waren. Aus diesem Bestand erhielten später die Angeschuldigten Baader und Meins sowie Beate Sturm je eine Pistole. Die restlichen 16 Pistolen wurden in eine Tasche verpackt und am folgenden Tag von den Angeschuldigten Meinhof und Raspe sowie von Ruhland zu Frau Roos nach Lützellinden (Krs. Gießen) gebracht und auf dem Dachboden ihrer Wohnung gelagert (256). Wenige Tage später kaufte die Angeschuldigte Meinhof erneut 12 oder 13 Pistolen der Marke „Firebird“ in der Gaststätte „Westend“. In der Wohnung Bornheim verpackte sie diese Waffen in zwei Pakete und ließ sie durch Ruhland und Beate Sturm an die Berliner Anschrift „Wilkens“, Berlin 33, Oberhaardter Weg 29-31, senden (257).

VI. Vorbereitungen für Banküberfälle in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen und Hessen

Ab Ende November 1970 befaßte sich die Teilgruppe in Westdeutschland nach fernmündlicher Abstimmung mit den in Berlin verbliebenen Bandenmitgliedern verstärkt mit der Vorbereitung neuer Banküberfälle (258).

1. Zu diesem Zweck wurde Jansen am 27. November 1970 in seine Heimatstadt Oberhausen entsandt, um dort Gelegenheiten zu Überfällen auf Banken auszukundschaften und um eine Fluchtwohnung zu mieten. Er kam dort zu dem Ergebnis, daß die [115] Hauptstelle der Stadtsparkasse in der Marktstraße, ihre Filiale in der Schwartzstraße und die Deutsche Bank in der Helmholtzstraße für einen Überfall in Erwägung zu ziehen seien (259).

2. Die Angeschuldigten Meinhof und Raspe begaben sich am 2. Dezember 1970 zusammen mit Ruhland zur Familie Küster in Gelsenkirchen-Buer, um ebenfalls von dort aus geeignet erscheinende Banken und außerdem für den Diebstahl von Kraftfahrzeugen günstig gelegene Parkplätze ausfindig zu machen.

Der Angeschuldigte Raspe und Ruhland überprüften vor allem den Bereich nördlich und westlich der Autobahn Oberhausen - Hannover, während die Angeschuldigte Meinhof das Gebiet südlich der Autobahn absuchte. Raspe und Ruhland ermittelten eine Bank in Bottrop und die Filiale der Commerzbank in Gladbeck, Horsterstraße 5, als erfolgversprechende Überfallobjekte. Der Plan, die Bank in Bottrop zu berauben, wurde allerdings später verworfen. Die Angeschuldigte Meinhof wies auf eine Bank in Recklinghausen hin, doch wurde ihr Vorschlag abgelehnt, weil die Räumlichkeiten zu groß und unübersichtlich waren (260).

[116] 3. Am 7. Dezember 1970 unternahmen die Angeschuldigten Meinhof und Raspe mit Ruhland eine Erkundungsfahrt in den Raum Frankfurt-Gießen, nachdem sie am Tag zuvor das Ferienhaus in Polle aufgegeben hatten, weil die Angeschuldigte Meinhof in eine Polizeikontrolle geraten war. Bei dieser Fahrt beobachteten sie in einem Dorf in der Nähe der Kreisstadt Gießen einen nur mit zwei Personen besetzten Geldtransportwagen, aus dem Geldbehälter ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen bei einer kleinen Bankfiliale ausgeladen wurden. Dies brachte sie auf den Gedanken, das Transportfahrzeug auf der Fahrt zwischen den Ortschaften auszurauben. Da die Gruppe aber nicht mehr genügend Mittel mitführte, um in der Nähe eine Fluchtwohnung zu mieten, ließ man auch diesen Plan wieder fallen (261).

4. Am 8. Dezember 1970 begaben sich Jansen und Ruhland auf eine Erkundungsfahrt in das Gebiet von Kassel. Ihr Ziel waren diesmal Raiffeisenbanken. Sie mußten aber feststellen, daß sämtliche Zahlschalter dieser Geldinstitute mit Panzerglas geschützt waren (262). Etwa zur gleichen Zeit fuhren der Angeschuldigte Meins sowie Beate Sturm und Ilse Stachowiak von einer Gruppenunterkunft in Frankfurt aus nach Aschaffenburg, wo sie Banken abklärten. Sie ermittelten zwei Sparkassen und eine Hypothekenbank, die sie [117] für die Durchführung von Überfällen in die engere Wahl zogen. Der Angeschuldigte Baader verwarf jedoch diese Vorhaben, weil er befürchtete, daß ihre Flucht wegen der besonderen örtlichen Verkehrsverhältnisse mißlingen könnte (263).

5. Ilse Stachowiak unternahm ferner mit Scholtze eine ähnliche Erkundungsfahrt in dessen Heimatstadt Nürnberg. Vier Zweigstellen der Nürnberger Sparkasse, nämlich die Zweigstellen Nr. 7 in der Schwabacher Str. 14, Nr. 26 an der Ecke Gibitzenhof-Meisen-Straße, Nr. 27 an der Ecke Wodan-Allersberger-Straße und Nr. 32 in der Rothenburger Straße 210 erschienen ihnen für einen Überfall geeignet. Scholtze mietete für die Gruppe in Nürnberg eine Unterkunft. Nach den Bekundungen von Beate Sturm hat der Angeschuldigte Baader diese Erkundungsfahrt angeordnet (264).

VII. Zusammentreffen von Gruppenangehörigen in Bad Kissingen

Inzwischen waren seit dem 6. Dezember 1970 auch die zunächst in Berlin verbliebene Restgruppe, u.a. Beate Sturm, Scholtze und Ilse Stachowiak sowie die Angeschuldigten Baader, Ensslin und Meins, bis auf Grashof und Petra Schelm nach und nach in die Bundesrepublik übergesiedelt. Treffpunkt war Frankfurt/Main. Dort fanden [118] die Gruppenmitglieder u.a. in den Wohnungen Bornheim, Schulte, Bohn-Schöberl und Seifert Aufnahme. Als letzte trafen Astrid Proll und Marianne Herzog in Frankfurt/M. ein (265). Den Aussagen Ruhlands zufolge wurden während dieser Zeit die an die Gruppe ergehenden Weisungen hauptsächlich von den Angeschuldigten Baader und Meinhof erteilt (266).

Unmittelbar nach dem 16. Dezember 1970 begab sich die Gruppe nach Bad Kissingen in ein leerstehendes Haus, das ihnen Frau Monika Seifert aus Frankfurt/M. zur Verfügung gestellt hatte (267). Dort waren Mitte Dezember 1970 die Angeschuldigten sowie Jansen, Marianne Herzog, Astrid Proll, Ruhland, Ilse Stachowiak und Beate Sturm versammelt. Scholtze sollte ebenfalls nach Bad Kissingen kommen, verfehlte aber die Gruppe.

Zuvor hatte sich noch folgender Zwischenfall ereignet: Astrid Proll geriet am 16. Dezember 1970 in Frankfurt/M. in eine Polizeikontrolle. Die Angeschuldigten Baader, Meinhof und Ensslin, die hiervon sogleich Kenntnis erlangt hatten, befürchteten, daß die gefälschten Ausweispapiere ihrer Gesinnungsgenossin einer Überprüfung nicht standhielten; sie beschlossen deshalb, unverzüglich mit Waffengewalt gegen den mit der Kontrolle befaßten Polizeibeamten vorzugehen. Dieses Vorhaben unterblieb nur deshalb, weil der Beamte die von Astrid Proll vorgewiesenen Papiere für echt hielt und sie auf freiem Fuß beließ (268).

[119] VIII. Weitere Vorbereitung von Banküberfällen und Schußwechsel am 21. Dezember 1970 in Nürnberg; Festnahmen von Ruhland, Jansen und Scholtze

Von Bad Kissingen aus fuhren die Angeschuldigten Baader, Ensslin und Meinhof in Begleitung von Jansen nach Oberhausen und Gladbeck und überprüften die dort abgeklärten Banken noch einmal (269). Zu demselben Zweck begaben sich Baader und Gudrun Ensslin zusammen mit Ilse Stachowiak auch nach Nürnberg (270). Schließlich kam man überein, die Filiale der Commerzbank in Gladbeck, zwei Sparkassen in Oberhausen und eine Bank in Nürnberg auszurauben. Die Überfälle im Ruhrgebiet sollten am 21. Dezember 1970 durchgeführt werden, weil man davon ausging, daß die Banken so kurz vor Weihnachten über besonders hohe Bargeldbestände verfügten. Nach den Straftaten sollten die Angeschuldigten Baader und Meinhof sowie Ruhland und Astrid Proll sofort nach Nürnberg reisen, um den dort geplanten Überfall durchzuführen, während die Angeschuldigte Ensslin mit dem geraubten Geld nach Bad Kissingen zu fliehen beabsichtigte. Für die übrigen Gruppenmitglieder war das Versteck in der Oberhausener Fluchtwohnung vorgesehen; die Anmietung dieses Unterschlupfs war Jansen übertragen worden. Für die Nürnberger Gruppe war die Beschaffung einer örtlichen Fluchtwohnung durch Scholtze vorgesehen. Den Mitgliedern dieser Tatortgruppe blieb außerdem die Möglichkeit, sich danach in Bad Kissingen zu verbergen (271).

[120] Plangemäß reisten die Angeschuldigten Meinhof und Raspe am 19. Dezember 1970 nach Gelsenkirchen zur Familie Küster (272), während Ruhland und Beate Sturm nach Oberhausen fuhren. Beate Sturm beabsichtigte, sich dort mit Jansen zu treffen. Beide sollten an Ort und Stelle noch zwei Personenkraftwagen entwenden; diese Fahrzeuge sollten bei den geplanten Überfällen eingesetzt werden (273). Als Jansen, Ruhland und Beate Sturm zusammen mit einem Bekannten zu diesem Zweck in der Nacht zum 20. Dezember 1970 durch Oberhausen fuhren, wurden sie von einer Polizeistreife angehalten. Dabei wurde Ruhland festgenommen. Seine Begleiter konnten sich unbehelligt entfernen. Während der polizeilichen Überprüfung beabsichtigte Jansen zunächst, auf die damit befaßten Beamten zu schießen. Ruhland lehnte dies jedoch ab, weil er auf die in seinem Besitz befindlichen falschen Ausweispapiere vertraute. Obgleich er sich im weiteren Verlauf der Ereignisse in dieser Erwartung getäuscht sah, ließ er sich widerstandslos festnehmen. Von der von ihm im Hosenbund schußbereit mitgeführten Pistole machte er keinen Gebrauch. Er mißachtete die einem derartigen Verhalten entgegenstehenden allgemeinen Anweisungen der Gruppe, weil er sich nicht entschließen konnte, „auf Familienväter zu schießen“ (274).

In derselben Nacht wurden auch die Angeschuldigten Meinhof und Raspe in Gelsenkirchen polizeilich überprüft, ohne daß [121] sie jedoch erkannt wurden (275). Wegen der geschilderten Vorfälle gab die Gruppe den geplanten Raubzug im Ruhrgebiet auf (276).

Statt dessen wurde nun ein Überfall auf die in Nürnberg abgeklärten Sparkassen in Angriff genommen. Zur Vorbereitung dieses Vorhabens kamen Scholtze und Astrid Proll im Laufe des 21. Dezember 1970 nach Nürnberg; sie besichtigten dort erneut die ausgewählten Geldinstitute und mieteten einen Pkw. Anschließend bemühte sich Scholtze unter dem Namen Peter Ursinus, über ein Maklerbüro eine Wohnung anzumieten (277). Bei einer Zusammenkunft am Abend desselben Tages mit den inzwischen in Begleitung von Beate Sturm und Jansen in Nürnberg eingetroffenen Angeschuldigten Meinhof und Meins wurde beschlossen, für die Überfälle noch ein zusätzliches „Fluchtfahrzeug“ zu stehlen. An der Suche nach einem geeignet erscheinenden Pkw beteiligten sich die Angeschuldigte Meinhof, Jansen, Scholtze und Astrid Proll. Als passendes Objekt fanden sie am 22. Dezember 1970 gegen 01.00 Uhr in der Watzmannstraße den Pkw „Mercedes“ des Zeugen Preißel. Es gelang ihnen auch, das Fahrzeug aufzubrechen und in Gang zu setzen. Durch das infolge eines Auspuffschadens besonders starke Motorengeräusch wurde der Halter jedoch auf den Diebstahlversuch aufmerksam; er alarmierte die Polizei und veranlaßte die Täter durch laute Hilferufe zur Flucht. Der Angeschuldigten Meinhof und [122] Astrid Proll gelang es zwar zu entkommen, doch wurden Jansen und Scholtze von zwei Polizeistreifen auf einem Parkplatz in der Nähe der Meistersingerhalle gestellt. Dabei kam es zwischen Jansen und den Polizeibeamten zu einem Schußwechsel, in dessen Verlauf Jansen festgenommen wurde (278).

Aufgrund dieses Vorfalls nahm man von den geplanten Banküberfällen in Nürnberg ebenfalls Abstand.

Jansen ist am 22. November 1973 von dem Schwurgericht bei dem Landgericht in Berlin (1 PKs 1/72) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt worden; das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (279).

IX. Zusammentreffen von Gruppenangehörigen in Stuttgart

Nach den gescheiterten Vorhaben im Ruhrgebiet und in Nürnberg traf sich jedenfalls ein Großteil der Gruppe Ende Dezember 1970 in Stuttgart, wo ihr zumindest die Wohnungen „Stoller“, Hauptmannsreute 16, und „Göltenboth“, Leibnizstraße 41, als Bleiben zur Verfügung standen. Anwesend waren dort: die Angeschuldigten, Marianne Herzog, Astrid Proll, Ilse Stachowiak und Beate Sturm. Außerdem stießen hier Petra Schelm und Grashof, die zunächst in Berlin geblieben waren, zur Gruppe. Zwischen den Angeschuldigten Meinhof und Baader kam es alsbald zu heftigen Aus- [123] einandersetzungen über die Gründe der jüngsten Fehlschläge. Dabei forderte Ulrike Meinhof für kommende Aktionen mehr Planung und erhöhte Sicherheitsmaßnahmen. Demgegenüber vertrat der Angeschuldigte Baader mit Nachdruck die Auffassung, die bisherige Gesamtplanung sei nicht zu beanstanden; künftige Vorhaben müßten blitzartig durchgeführt werden; die eingetretenen Mißerfolge seien allein auf ungeschicktes Verhalten einzelner zurückzuführen (280). Baader setzte sich schließlich durch, und man beschloß, umgehend weitere Banküberfälle vorzubereiten. Hierzu regte Astrid Proll an, in ihrer Heimatstadt Kassel Überfallobjekte auszukundschaften (281).

X. Banküberfälle in Kassel am 15. Januar 1971

Zur Ausführung dieses Entschlusses reisten der Angeschuldigte Meins und Astrid Proll am 25. Dezember 1970 nach Kassel. Als „Rosi“ und „Ben“ fanden sie zunächst bei der gesondert verfolgten Frau Laesker-Bauer (282), einer Bekannten der Angeschuldigten Meinhof aus früherer Zeit, Unterschlupf. Durch ihre Vermittlung gelang es dem Angeschuldigten Meins und Astrid Proll, weitere Unterkünfte für die übrigen in Kassel erwarteten Gruppenmitglieder u.a. bei den Eheleuten Shirani und Kaup zu beschaffen (283). Am 31. Dezember 1970 traf auch die Angeschuldigte Meinhof in Kassel ein und bezog zusammen mit Holger Meins Quartier [124] bei den Eheleuten Shirani. Sie nannten sich „Marion“ und „Rolf“ (284). Im weiteren Verlauf der Ereignisse siedelten der Angeschuldigte Raspe am 1. Januar 1971 und Beate Sturm am 2. Januar 1971 von Stuttgart nach Kassel über (285). Beate Sturm hatte zuvor noch in Bremen in der als Postanlaufstelle benutzten Wohnung „von Einem“ eine Geldsendung aus Berlin abgeholt (286). Die übrigen Gruppenmitglieder, die zunächst in Stuttgart verblieben waren, nämlich zumindest die Angeschuldigten Baader und Ensslin sowie Grashof und Petra Schelm, fanden sich zwischen dem 8. und 14. Januar 1971 in Kassel ein (287). Beate Sturm setzte sich allerdings schon am 8. Januar 1971 von der Gruppe ab (288), ebenso kurz danach Ilse Stachowiak (289).

Nachdem sich Ilse Stachowiak vom 12. April bis 21. Juli 1971 in Untersuchungshaft befunden hatte (290), schloß sie sich nach der Aussetzung des Vollzugs des gegen sie gerichteten Haftbefehls der Gruppe wieder an. Das ergibt sich u.a. aus der Tatsache, daß von ihr stammende Abdruckspuren in einer Vielzahl von Bandenunterkünften, die erst nach den Kasseler Banküberfällen angemietet worden sind, gesichert werden konnten (291). Am 4. Februar 1974 konnte Ilse Stachowiak in Hamburg erneut verhaftet werden.

Mit Auswahl und Abklärung der zu überfallenden Banken und der Fluchtwege waren insbesondere Astrid Proll und Beate [125] Sturm befaßt. Astrid Proll hatte zusammen mit dem Angeschuldigten Meins die Sparkassenfilialen in der Henschelstraße, der Akademiestraße und am Stockplatz in Kassel als günstige Überfallobjekte vorgesehen und überprüft. In der Sparkassenfiliale in der Akademiestraße wurde sie am 4. und 14. Januar 1971 beobachtet. Sie hielt sich dort längere Zeit auf und unterrichtete sich über den Umfang des Geschäftsbetriebes, ohne selbst ein Bankgeschäft zu tätigen. Beate Sturm hingegen erkundete die Verkehrsverhältnisse in der Nähe der drei Banken und suchte nach Fluchtwegen. Auch der Angeschuldigte Baader wurde am 11. Januar 1971 in der Nähe der Sparkassenfiliale Kirchweg (Stockplatz) gesehen (292).

Andere Gruppenmitglieder waren damit betraut, die für die Überfälle benötigten Fluchtfahrzeuge zu besorgen. Zu diesem Zweck fuhr Ulrike Meinhof am 7. Januar 1971 nach Göttingen, während sich Holger Meins und Jan-Carl Raspe nach Frankfurt/M begaben (293).

In der Nacht zum 9. Januar 1971 wurde in Göttingen der Pkw „Mercedes 220 S“ mit dem amtlichen Kennzeichen H - NX 283 gestohlen (294). Ein weiteres Fahrzeug, der Pkw „BMW 2000“ mit dem amtlichen Kennzeichen F - U 478, wurde am 12. Januar 1971 in Frankfurt/M entwendet (295). Bundespersonalausweis und Führerschein der Fahrerin dieses Kraftwagens sind in [126] der noch darzustellenden Gruppenunterkunft „Falkenberg“ in Frankfurt/M, Unterlindau 28, gefunden worden (296). Beide Fahrzeuge wurden bei den späteren Überfällen als Fluchtwagen benutzt.

Schließlich war man auch bemüht, ausreichende Tarnungsmittel für die Gruppenmitglieder in Kassel bereitzustellen. Hierzu wurden von Berlin aus zwei Pakete u.a. mit Perücken nach Kassel geschickt. Als Absender war der schon bei anderen Postsendungen benutzte Name „Lilo Groß“ angegeben. Die Kasseler Kontaktadresse hatte Astrid Proll durch Vermittlung von Frau Laesker-Bauer beschafft (297).

Am 15. Januar 1971 überfielen die in Kassel versammelten Gruppenmitglieder, also zumindest die Angeschuldigten sowie Grashof, Astrid Proll und Petra Schelm, gleichzeitig zwei der zuvor abgeklärten Banken, nämlich die Zweigstellen 6 und 8 der örtlichen Stadtsparkassen in der Akademiestraße 3 und im Kirchweg 1 (Stockplatz); dabei erbeuteten sie insgesamt 114.715,-- DM.

Die Taten wurden, wie folgt, ausgeführt:

Gegen 9.30 Uhr fuhren fünf Gruppenmitglieder, unter ihnen die Angeschuldigte Meinhof, mit dem am 8. Januar 1971 in Göttingen gestohlenen Pkw „Mercedes“, an dem das Falschkennzeichen KS - AE 864 angebracht war, vor der Sparkassenfiliale in der Akademiestraße vor. Während ein Gruppenmitglied in dem Pkw sitzen blieb, betraten [127] die Angeschuldigte Meinhof und drei weitere Täter, alle dunkel gekleidet, die Bank, zogen mit Sehschlitzen versehene Pudelmützen über den Kopf, brachten die mitgeführten Schußwaffen in Anschlag und riefen sinngemäß: „Überfall! Nehmen Sie die Hände hoch, verhalten Sie sich ruhig! Es geschieht Ihnen nichts!“ Außerdem wurden zwei ungezielte Warnschüsse abgegeben. Einer der Täter hielt mit schußbereiter Waffe von der Eingangstüre aus Kunden und Bankangestellte in Schach; die übrigen begaben sich zum Banktresen. Zwei von ihnen bedrohten von dort aus mit ihren Schußwaffen die Bankangestellten, während der dritte den Tresen zum Zahlschalter übersprang und dort Bargeld in Höhe von 54.185,-- DM zusammenraffte. Danach flüchteten die vier Bandenangehörigen aus der Bank und fuhren mit dem bereitstehenden „Mercedes“ in Richtung Mentzelstraße davon (298).

Das Tatfahrzeug konnte gegen 10.20 Uhr etwa 400 m von der überfallenen Bank entfernt in der Heckerstraße sichergestellt werden. In dem Wagen wurden u.a. zwei schwarze Pudelmützen mit Sehschlitzen und zwei schwarze Jacken, wie sie die Täter beim Überfall trugen, gefunden; außerdem ein beigefarbener Parka, den die Angeschuldigte Meinhof während ihres Aufenthalts in Kassel wiederholt getragen hatte (299).

[128] Zu derselben Zeit drangen die restlichen Gruppenmitglieder in die Zweigstelle der Stadtsparkasse Kassel, Kirchweg 1 (Stockplatz), ein.

Die Täter, zu denen Astrid Proll und Petra Schelm zu rechnen sind, erreichten mit dem am 12. Januar 1971 in Frankfurt/Main gestohlenen Pkw „BW 2000“ den Tatort. Zu viert eilten sie in die Bank. Sie waren durch dunkle Pudelmützen mit Sehschlitzen getarnt und hielten ihre Pistolen schußbereit. Sie riefen sinngemäß: „Überfall! Ruhig bleiben! Hände hoch!“ Eine der Tatbeteiligten, wahrscheinlich Astrid Proll, sicherte mit gezogener Waffe die Eingangstür, während zwei weitere Täter in den Kundenraum vordrangen und dort Bankangestellte und Kunden mit vorgehaltenen Pistolen bedrohten; der vierte Täter übersprang den Tresen zum Kassenraum und steckte dort 60.530,-- DM in eine mitgebrachte Tasche. Zur Einschüchterung der Bankangestellten und Kunden wurden auch hier zwei Warnschüsse abgegeben. Alle vier Täter entfernten sich sodann gemeinsam aus der Bank, bestiegen das Fluchtfahrzeug und fuhren in Richtung Kohlenstraße davon (300).

Der zur Flucht benutzte Pkw „BW 2000“ wurde gegen 10.06 Uhr in der Hansteinstraße in der Nähe der überfallenen Bank gefunden. An ihm war das Falschkennzeichen KS - HD 644 [129] angebracht. In dem Fahrzeug wurden u.a. zwei schwarze Jacken, wie sie die Täter beim Überfall trugen, sichergestellt (301). Die Pistole, aus der die Warnschüsse abgegeben worden waren, befand sich in einem der Pakete, welche die Gruppe im November 1971 von Hamburg nach Berlin versandte (302).

Noch am Tage der Banküberfälle versandte die Angeschuldigte Ensslin - wiederum unter der Absenderangabe „Lilo Groß“ - zwei Pakete von Kassel nach Stuttgart an die Kontaktanschriften Werner Stoller, Hauptmannsreute 16 und Klaus Werner, Leuchnerstraße 50. Am 22. Januar 1971 wurde von der Gruppe ein weiteres Paket aus Kassel an Werner Stoller in Stuttgart zur Post gegeben. Hierbei wurde der vorgetäuschte Absender „Richard Lange, Kassel, Ihringhäuserstraße 91“, verwendet (303).

XI. Schußwechsel in Frankfurt/Main am 10. Februar 1971

In der Zeit zwischen dem 13. und 17. Januar 1971 - wahrscheinlich jedoch erst nach den geschilderten Banküberfällen - fuhren Astrid Proll, Petra Schelm und vermutlich auch die Angeschuldigten Meins und Raspe sowie Marianne Herzog von Kassel nach Gießen und versuchten dort, bei Ferdinand Filusch, einem früheren Bekannten der Petra Schelm, Unter- [130] kunft zu erhalten. Als ihnen dies nicht gelang, kamen zumindest einige von ihnen erneut in der Wohnung des Schriftstellers Schulte in Frankfurt/Main unter (304). Da dieser seine Wohnung aufgeben wollte, wurde vereinbart, daß die Gruppe in dessen Mietvertrag eintreten sollte (305). Zu diesem Zweck bemühten sich der Angeschuldigte Meins sowie Astrid Proll und Petra Schelm - allerdings vergeblich -, einen „Strohmann“ zum Eintritt in das Mietverhältnis zu gewinnen (306). Zwischenzeitlich hatte der Angeschuldigte Raspe als neuen Schlupfwinkel die bereits mehrfach erwähnte Wohnung „Falkenberg“ in Frankfurt/Main, Unterlindau 28, besorgt. Dort hielten sich Anfang Februar 1971 die Angeschuldigten Baader und Raspe zusammen mit Grashof, Astrid Proll und Petra Schelm auf. Dieses Versteck war vorübergehend bis zu seiner Aushebung am 11. Februar 1971 der Hauptstützpunkt der Gruppe, wie aus dem Umfang des dort sichergestellten Diebesgutes, Fälschungsmaterials und Waffenbestands folgt (307). In dem Unterschlupf konnten u.a. Abdruckspuren der Angeschuldigten Baader und Raspe sowie schriftliche Unterlagen der Angeschuldigten Baader, Raspe, Meinhof und Ensslin gesichert werden (308).

Am 10. Februar 1971 wurden in der Nähe der Wohnung „Falkenberg“ Astrid Proll und Grashof von Kriminalobermeister Simons und Regierungsoberinspektor Grünhagen beobachtet. Simons forderte die beiden, die die Überwachung offensicht- [131] lich bemerkt hatten und sich schnell entfernen wollten, auf, sich auszuweisen. Astrid Proll überreichte daraufhin einen gefälschten, auf den Namen Lucie Przybilla lautenden Paß und Grashof einen gleichfalls falschen Paß, der auf den Namen Theodor Gärtner ausgeschrieben war. Als der Beamte Grünhagen auf dem Lichtbild im Paß „Przybilla“ eindeutig Astrid Proll erkannte und dies Kriminalobermeister Simons mitteilte, zog Grashof eine Pistole, richtete sie auf den Polizeibeamten Simons und rief „Hände hoch“. Gleichzeitig forderte er Astrid Proll auf wegzulaufen. In demselben Augenblick ergriff jedoch auch Astrid Proll die von ihr mitgeführte Pistole und schoß sofort auf Kriminalobermeister Simons. Dieser konnte noch hinter einem Baum Deckung nehmen. Währenddessen entwich Grashof über die angrenzenden Grünanlagen, feuerte aber aus etwa 10 m Entfernung gleichfalls auf Kriminalobermeister Simons. Dieser nahm dennoch die Verfolgung des Grashof auf, während Grünhagen der weglaufenden Astrid Proll nachsetzte. Auf der Flucht feuerte Astrid Proll dreimal auf ihren Verfolger und rief: „Komm doch näher, Du Scheißbulle, damit ich Dich umlegen kann!“ Regierungsoberinspektor Grünhagen gelang es, den Schüssen zu entgehen, indem er sich jeweils hinter parkende Fahrzeuge duckte. Auch Grashof gab flüchtend noch mehrere Schüsse auf den ihm nachsetzenden Kriminalobermeister Simons ab. Die Entfernung zwischen beiden war aber zu groß, so daß die Geschosse ihr Ziel verfehlten. Mit Hilfe der Schüsse gelang es den Tätern zu entkommen (309).

[132] Anläßlich ihrer Flucht verlor Astrid Proll u.a. einen Bundespersonalausweis und einen Führerschein. Beide Ausweispapiere waren auf den von ihr bei der Polizeikontrolle in Frankfurt/Main und bei einer Übernachtung in einem Nürnberger Hotel benutzten Namen „Doris Lemcke“ ausgestellt (310). Die Ausfüllschrift des genannten Führerscheins war mittels einer Schreibmaschine gefertigt worden, die sich in der am 20. Oktober 1972 entdeckten und noch näher darzustellenden Bandenunterkunft in Hamburg, Paulinenallee 36, befand (310a).

Grashof entledigte sich im Verlauf der Flucht seines Mantels und einer Aktentasche, die der Angeschuldigte Raspe kurze Zeit zuvor von dem Untermieter Frieder Ebel in der Wohnung „Falkenberg“ entliehen hatte (311). In der Tasche befanden sich Fälschungsunterlagen für Kraftfahrzeugscheine und u.a. auch die Originalkraftfahrzeugscheine für die von Monika Berberich betrügerisch angemieteten Personenkraftwagen „Opel-Admiral“, BO - WP 47, und „Audi 100 SL“, DU - CT 751 (312). Der Mantel wurde am 18. Februar 1971 auf einer Baustelle in der Nähe des Tatortes gefunden. Seine Taschen enthielten Schlüssel für die Haus- und Wohnungstür der Unterkunft „Falkenberg“ und einen Schlüssel für ein Schließfach im örtlichen Hauptbahnhof. In dem Schließfach wurden zwei Gewehre sichergestellt, die Grusdat unter dem Namen „Körber“ im November 1970 bei der Firma „Waffen-Frankonia“ in Würzburg erworben hatte (313).

[133] XII. Ausweichen der Gruppe nach Hamburg

Ende Februar/Anfang März 1971 hatte die Gruppe Hamburg als neues Betätigungsfeld ausgewählt.

1. a) Dort bemühte sich insbesondere die Angeschuldigte Ensslin um geeignete Unterkünfte. In Ausführung dieses Vorhabens ließ ein weibliches Gruppenmitglied - wahrscheinlich die Angeschuldigte Ensslin - zunächst am 27. Februar 1971 durch den Arzt Dr. Klaus Heinrich Wilde aus Heidelberg ein Appartement in Hamburg 13, Grindelhof 45, anmieten. Diese Unterkunft wurde bereits Ende März 1971 wieder aufgegeben. Gegenüber Dr. Wilde hatte die betreffende Frau sich „Marianne Herzog“ genannt und erklärt, sie sei telefonisch bei Stoller in Stuttgart zu erreichen (314).

b) Am 21. März 1971 mietete die Angeschuldigte Ensslin unter dem Namen „Gabriele Winkelmann“ ab 15. April 1971 eine Ein-Zimmer-Wohnung in Hamburg 22, Heinrich-Hertz-Straße 81. Diese Wohnung wurde auch von dem Gruppenmitglied Irmgard Möller benutzt (315). Die Mietunterschrift „Gabriele Winkelmann“ in dem Mietvertrag rührt von der Angeschuldigten Ensslin her (316).

c) Am 23. März 1971 bestimmte die Angeschuldigte Ensslin die Hausfrau Ruth Kohler aus Heidelberg, der sie sich als [134] „Hella Utesch“ vorgestellt hatte, zur Anmietung einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Hamburg 39, Bellevue 23, bis zum 18. April 1971. In dieser Unterkunft hielten sich wiederholt u.a. die Angeschuldigten Ensslin und Baader auf (317).

d) Eine weitere Wohnung in Hamburg ließ die Bande wiederum durch den Arzt Dr. Klaus Heinrich Wilde beschaffen. Am 25. März 1971 schloß dieser in ihrem Auftrag einen Mietvertrag über eine in dem Anwesen Hamburg 76, Lübecker Straße 139, gelegene Wohnung ab; diese Unterkunft wurde ebenfalls von Ensslin benutzt (318). Von den Angeschuldigten Ensslin, Meins, Raspe und Meinhof sowie von dem Gruppenmitglied Astrid Proll wurden Abdruckspuren in der am 10. Mai 1971 entdeckten Wohnung gesichert (319). Außerdem war Astrid Proll bei ihrer Festnahme im Besitz der entsprechenden Haustürschlüssel (320); auch befanden sich schriftliche Unterlagen der Angeschuldigten Meinhof in dem erwähnten Unterschlupf (321). Nach Art und Umfang der in der Wohnung Lübecker Straße sichergestellten Gegenstände war dort zumindest einer der Haupttreffpunkte der Gruppe (322).

e) Zu den im Rahmen der geschilderten Aktion angemieteten Wohnungen gehörte noch die gleichfalls im März 1971 von Margrit Schiller beschaffte Wohnung in dem Anwesen Mexiko- [135] ring 23. Der Unterschlupf wurde bis Ende Juli 1971 von Gruppenmitgliedern benutzt und Anfang August 1971 aufgegeben. Die jeweiligen Mietzahlungen wurden jedenfalls zu einem Teil von der Angeschuldigten Ensslin, von Margrit Schiller und möglicherweise auch von Petra Schelm getätigt (323).

2. Außer Unterkünften beschaffte sich die Gruppe erneut schnelle Fahrzeuge. So stahlen Gruppenmitglieder u.a. in der Zeit zwischen dem 4. und 9. März 1971 in Stuttgart den weißen „Alfa Romeo - Giulia Spider 1600“ mit dem amtlichen Kennzeichen S - ZP 30 (324). Das Kraftfahrzeug, versehen mit dem falschen Kennzeichen F - PC 49, wurde bei der Festnahme Astrid Prolls am 6. Mai 1971 in Hamburg sichergestellt (325).

Daneben entwendeten Bandenangehörige in der Nacht zum 6. Mai 1971 in Hamburg den roten „Alfa Romeo Berlina 1750“ mit dem amtlichen Kennzeichen HH - KD 181 (326). Ein von dem Fahrzeughalter Christian Feustel im Wagen aufbewahrter Aktenkoffer wurde in dem Bandenunterschlupf Lübecker Straße 139 gefunden (327). Das Fahrzeug selbst ist am 27. März 1972 in Flensburg entdeckt worden. Es stand ohne Kennzeichen auf einem Parkplatz (328).

Außerdem versuchten Gruppenmitglieder in der Nacht zum 27. März 1971, den „Alfa Romeo Spider“, HB - P 89, des Kaufmanns Helmut Lotz in Bremen zu stehlen (329). Das [136] Kraftfahrzeugkennzeichen, den Fahrzeugtyp und den Namen des Halters hatte Astrid Proll auf einem Zettel vermerkt, den sie bei ihrer Verhaftung bei sich trug (330).

Schließlich plante die Gruppe weitere Raubüberfälle. Zu deren Vorbereitung klärten Gruppenmitglieder - insbesondere Astrid Proll und die Angeschuldigte Meinhof - in Hamburg Geldtransportwagen örtlicher Banken ab und hielten deren Kennzeichen, Fahrtstrecken und Fahrtzeiten fest; entsprechende Vermerke führte Astrid Proll bei ihrer Festnahme mit sich (331). Weitere von der Angeschuldigten Meinhof und Astrid Proll gefertigte Aufzeichnungen über Geldtransportfahrzeuge befanden sich in der Wohnung Lübecker Straße 139 (332).

Nach der Verhaftung Astrid Prolls in Hamburg (332a) sind die in Aussicht genommenen Überfälle offensichtlich als zu gefährlich angesehen und deshalb aufgegeben worden.

3. Dennoch blieben Gruppenmitglieder zumindest zeitweise in Hamburg. Als Schlupfwinkel dienten die bereits erwähnten Unterkünfte im Mexikoring 23, in der Heinrich-Hertz-Straße 81 sowie Wohnungen in der Paulinenallee 36, im Heegbarg 13, in der Eichenstraße 59, in der Ohlsdorfer Straße 1-3 und im Thiedeweg 56.

a) Die am 20. Oktober 1972 ausgehobene Wohnung im Erdgeschoß des Anwesens Hamburg 19, Paulinenallee 36, war [137] durch Vertrag vom 3. Juni 1971 von der sich derzeit noch verborgen haltenden Sybille Marzahn angemietet worden (333). Der Angeschuldigte Raspe ist als Benutzer der Wohnung wiedererkannt worden (333a).

In der Unterkunft sind Abdruckspuren, welche die Angeschuldigte Ensslin sowie Carmen Roll und Ilse Stachowiak hinterlassen hatten, gesichert worden (334). Zu der Wohnung passende Schlüssel führten Gudrun Ensslin und Wolfgang Grundmann bei ihren Festnahmen mit sich (335). Auch in dieser Wohnung befanden sich schriftliche Aufzeichnungen; sie betreffen Notizen über Anschriften, Abrechnungen, Bankeinzahlungsbelege u.a.m. (336). Das in dem Unterschlupf aufgefundene Schriftgut stammt teilweise von der Angeschuldigten Meinhof sowie von Jünschke und Irmgard Möller (337). Zu den von Ulrike Meinhof beschrifteten Unterlagen zählen Anmerkungen in einem Exemplar des Druckwerkes „Militärhilfe und Rüstungsexporte der BRD“ sowie Vermerke in einem Entwurf der bereits behandelten RAF-Schrift „Das Konzept Stadtguerilla“ (338). Ferner wurde eine maschinengeschriebene Notiz entdeckt, bei der es sich offensichtlich um den Entwurf zu einer Tonbanderklärung der Angeschuldigten Meinhof handelt; diese Erklärung war bei einem sog. „teach-in“ der „Roten Hilfe“[129] am 31. Mai 1972 in der Universität Frankfurt/Main abgespielt worden (339). Bei der Bundespost konnte überdies ein Antrag auf Einrichtung eines Fernsprechanschlusses für die Wohnung sichergestellt werden; [138] der Antragsvordruck ist von dem ehemaligen Rechtsreferendar Pohle ausgefüllt und mit dem Namenszug der Mieterin unterzeichnet worden (340). Ferner wurden fünf maschinenbeschriftete Kohlebögen gefunden. Kriminaltechnische Untersuchungen haben ergeben, daß diese Bögen zur Vervielfältigung mehrerer sog. Bekennerbriefe verwendet worden sind (341). Bei den Bekennerbriefen handelt es sich - wie noch im einzelnen auszuführen ist - um Stellungnahmen der Bande zu ihr angelasteten Sprengstoffanschlägen und Bombendrohungen (342).

In dem Unterschlupf und in dem dazugehörigen Keller wurden überdies außer einer erheblichen Menge Pistolen- und Revolvermunition, einem Kopiergerät, einer „Olympia“-Büroschreibmaschine (Nr. 8 - 250 218), zwei Druckluftgewehren sowie verschiedenartigem Werkzeug, Uniformteilen und Kartenmaterial u.a. Batterien verschiedener Herstellerfirmen und zur magnetischen Befestigung von Bomben geeignete Türfeststeller entdeckt (343). Außerdem wurde Papierwolle sichergestellt, die materialidentisch ist mit Papierwolle, in die zwei der nicht detonierten Bomben beim Sprengstoffanschlag in Hamburg verpackt waren (343a). Schließlich ist auch noch ein in dieser Wohnung gefundener grüner Stoffrest von Bedeutung. Drei grüne Stoffreste, die bei den vorgenannten Bomben als Verpackungs- oder Abdeckmaterial dienten, und ein in der Frankfurter Garage Ginnheimer Landstraße gefundenes grünes Tuch sind von derselben Materialbeschaffenheit (343b).

[139] b) Die Wohnung im Heegbarg 13 hatte Anfang Juli 1971 der als „Protestsänger“ bekannt gewordene Hannes Wader angemietet und sie kurz darauf einer Frau überlassen, die er im Juni 1971 unter dem Namen „Hella Utesch“ in Karlsruhe kennengelernt haben will (344). In dieser Wohnung hielten sich jedenfalls die Angeschuldigten Meinhof, Meins und Ensslin sowie Grashof, Ilse Stachowiak, Irmgard Möller, Jünschke und Müller auf. Nach den noch zu schildernden Ereignissen des 22. Oktober 1971 wurde der Unterschlupf fluchtartig verlassen (345).

c) Den Unterschlupf im Anwesen Hamburg 19, Eichenstraße 19, hatte der Arzt Dr. Bromberger am 19. August 1971 angeblich im Auftrag einer noch nicht identifizierten „Elke Paschen“ gemietet (346). Die Wohnung, die am 13. Juni 1972 polizeilich durchsucht wurde, hatte die Gruppe zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon aufgegeben (347).

In der Eingangstür des Unterschlupfes befand sich ein von der Bande angebrachtes Zylinderschloß, Marke CES, das beim Ausbau beschädigt wurde (347a). Vergleichsuntersuchungen haben ergeben, daß Schlüssel, die anläßlich der Festnahme des Bandenmitgliedes Grashof (347b) und bei der Durchsuchung der Gruppenwohnung Hamburg, Ohlsdorfer Straße 1-3, (347c) sichergestellt worden sind, früher zu diesem Zylinderschloß paßten (347d). Ein Teil der in der Wohnung zurückgelassenen handschriftlichen Unterlagen - vorwiegend Ein- [140] zahlungsbelege - rührt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von Jünschke, Irmgard Möller und Carmen Roll her (348). Ein bei der Bundespost eingereichter Antrag auf Einrichtung eines Fernsprechanschlusses ist von der Angeschuldigten Ensslin ausgefüllt worden (349).

d) Die Wohnung Hamburg 19, Ohlsdorfer Straße 1-3, mietete der Diplomphysiker Heinrich Allers im September 1971 an (350). Der Unterschlupf, zu dem die Angeschuldigte Meinhof einen Schlüssel besaß (351), wurde am 22. Juni 1972 ausgehoben (352).

Bei der Durchsuchung dieser Wohnung stieß die Polizei u.a. auf eine große Anzahl von Kraftfahrzeugkennzeichenschildern. Ein Teil dieser jeweils getrennt verpackten Schilder war mit Aufklebern versehen (353). Auf beigegebenen Zetteln, dem Verpackungsmaterial, den Aufklebern und den Kennzeichen selbst angebrachte Beschriftungen rühren teils von der Angeschuldigten Meinhof, teils von Jünschke und höchstwahrscheinlich zu einem Teil auch von Ilse Stachowiak her (354). Eines dieser Kennzeichenschilder trug Abdruckspuren von Gerhard Müller und Ilse Stachowiak (355). Ein offensichtlich den Funkverkehr der Gruppe betreffender Vermerk wurde ebenso wie die Ausfüllschriften verschiedener Einzahlungsbelege von Jünschke gefertigt (356), während ein eben- [141] falls in der Wohnung aufgefundener weiterer Einzahlungsbeleg von Irmgard Möller beschriftet worden war (357). Ein dort sichergestelltes Exemplar der RAF-Schrift „Das Konzept Stadtguerilla“ enthielt Korrekturhinweise von der Hand der Angeschuldigten Meinhof (358).

In der vorstehend genannten Unterkunft wurden auch mehrere maschinenbeschriftete Kohlebögen entdeckt (359), die zum Teil mit der in der Wohnung „Marzahn“, Paulinenallee 36, gefundenen „Olympia“-Büroschreibmaschine beschrieben worden waren (360). Einige dieser Bögen lassen erkennen, daß damit Aufzeichnungen über zumeist im Stadtgebiet von Hamburg zugelassene Kraftfahrzeuge gefertigt wurden (361). Mit einem anderen Kohlebogen wurde einer der bereits erwähnten Bekennerbriefe (362) vervielfältigt (363).

Ferner wurden in dem Schlupfwinkel gefälschte Kraftfahrzeugscheine, verschiedenartige Munition, eine Reiseschreibmaschine (Wagen-Nr. 1022 114/A), 300 Stahlkugeln und mehrere Weckeruhren sichergestellt (364).

e) Am 6. November 1971 mietete Irmgard Möller unter dem Namen Karola von Bredow eine im Erdgeschoß des Hauses Hamburg 70, Thiedeweg 56, gelegene Einzimmerwohnung (365). Der zu diesem Zeitpunkt schon wieder aufgegebene Bandenstützpunkt wurde am 7. August 1972 entdeckt (366).

[142] In der Unterkunft haben die Angeschuldigte Meinhof sowie Grashof, Jünschke und Ilse Stachowiak Abdruckspuren hinterlassen (367). Ulrike Meinhof, Grashof und Astrid Proll besaßen Schlüssel, mit denen sich der in der Wohnung aufgefundene Schließzylinder einwandfrei betätigen ließ (368). Die Unterschrift „Karola v. Bredow“ auf dem Mietvertrag und auf einer in dem Unterschlupf gefundenen Inventarliste rührt von Irmgard Möller her, ebenso der Namenszug auf einem in dem Unterschlupf zurückgelassenen falschen Bundespersonalausweis ohne Lichtbild, der auf den Namen „Karola Maria von Bredow“ ausgestellt war. Für die Fälschung wurde ein Vordruck verwendet, der aus der Beute des Einbruchs in die Bürgermeisterei der Gemeinde Lang-Göns stammt (369). Einige der sichergestellten Einzahlungsbelege hat Jünschke beschriftet (370). Verschiedene dieser Belege sind mit der „Olympia“-Büroschreibmaschine ausgefüllt worden, die sich zuletzt in der Unterkunft „Marzahn“, Paulinenallee 36, befand (371). Die Bande hat in der Wohnung neben umfangreichem Kartenmaterial u.a. auch funktechnische Anleitungen und mehrere zerschnittene Kraftfahrzeugkennzeichen zurückgelassen (372).

Darüber hinaus wurden in dem Bandenstützpunkt auch ein Herren- und ein Damenhandschuh gefunden (372a). Die Zweitstücke hierzu konnten in dem Unterschlupf Hamburg, Paulinenallee 36, sichergestellt werden (372b).

[143] Erwähnenswert erscheint auch das in der Wohnung entdeckte Teilstück eines Briefumschlags. Das Teilstück ist mit einer 1,-- DM-Briefmarke und mit einem Eilzustellungsaufkleber versehen. Papiervergleichende und fertigungstechnische Untersuchungen haben ergeben, daß Briefumschläge gleicher Art bei den an anderer Stelle noch ausführlicher behandelten Bandenmitteilungen an die „Süddeutsche Zeitung“, die „Frankfurter Rundschau“ und die Deutsche Presseagentur, Hamburg, Verwendung gefunden haben. Weiterhin steht fest, daß die 1,-- DM-Briefmarke und der Eilzustellungsaufkleber ursprünglich jeweils mit der 1,-- DM-Briefmarke und dem Eilzustellungsaufkleber verbunden waren, die sich auf der Briefhülle des an die „Westfälische Rundschau“, Dortmund, gerichteten Bekennerbriefes befanden (372c).

Zu den von der Bande zurückgelassenen Gegenständen zählt auch das Typenschild eines Pkw „Opel-Manta“ (372d), dessen Fahrgestellnummer nachgeschlagen worden ist (372e). Für die Fälschung wurden Schlagzahlen benutzt, die in der im Januar 1972 angemieteten Frankfurter Bandenunterkunft „Pflug“ sichergestellt worden sind (372f). Auf die genannte Wohnung „Pflug“ wird noch an anderer Stelle näher einzugehen sein (372g).

[144] Außer geheimgehaltenen Wohnungen benötigte die Gruppe Garagen und Einstellplätze, um dort insbesondere die von ihr entwendeten Kraftfahrzeuge abzustellen. Zu diesem Zweck mietete der Gruppenangehörige Pohle im Sommer 1971 innerhalb weniger Wochen allein in Hamburg vier Garagen und zwei Einstellplätze an.

f) Am 15. Juli 1971 mietete Pohle unter dem Namen Dr. Hans Rosenberger eine Doppelgarage in der Johnsallee 58 (373). Von ihm wurden auch zwei Mieteinzahlungsbelege für diese Garage ausgefüllt (374). Zwei weitere Einzahlungsbelege wurden von dem Gruppenmitglied Jünschke, ein weiterer Einzahlungsschein von der Gruppenangehörigen Carmen Roll beschriftet (375). In der am 5. Februar 1973 entdeckten Garage, für die letztmals im April 1972 bis einschließlich September Miete bezahlt worden war, konnte der Pkw Porsche 911 S (Halter: VW-Porsche-Vertriebsgesellschaft Tamm, Kreis Ludwigsburg) sichergestellt werden (376). Dieser Pkw, der ursprünglich mit dem amtlichen Kennzeichen LB - TT 3 versehen war, war in der Nacht zum 7. Juni 1971 in Stuttgart, Neue Straße 157, entwendet worden (377). Unter der Fußmatte des Beifahrersitzes befanden sich zwei Kennzeichendoubletten HB - JU 770 und ein totalgefälschter, auf dieses Kennzeichen ausgestellter Kraftfahrzeugschein, [145] dessen maschinenschriftliche Ausfülldaten auf der in der Paulinenallee sichergestellten Büroschreibmaschine Marke „Olympia“ geschrieben worden sind (378).

g) Unter dem Falschnamen Dr. Karl-Heinz Dettner mietete Pohle am 30. Juli 1971 eine weitere Garage in der Haldesdorfer Straße 162 an (379). Außer der Unterschrift unter dem Mietvertrag stammen von Pohle auch die Eintragungen auf einem Mieteinzahlungsbeleg (380). Drei Mietüberweisungsformulare wurden von dem Gruppenangehörigen Jünschke ausgefüllt (381). Das Bandenmitglied Grashof hatte bei seiner Festnahme am 2. März 1972 in Hamburg einen zum Garagenschloß passenden Schlüssel bei sich (382). Als die Garage, für die Ende März 1972 letztmals Miete bis einschließlich September 1972 überwiesen worden war, am 26. Februar 1973 entdeckt wurde, befand sich darin der ursprünglich mit dem amtlichen Kennzeichen HH - RL 1318 und nunmehr mit dem Falschkennzeichen KI - S 205 versehene Pkw Opel Diplomat (383), der in der Nacht zum 10. Februar 1972 vor dem Anwesen [Anschrift] in Hamburg entwendet worden war (384). Der Führerschein und der internationale Führerschein, die dem Fahrzeughalter Horst Friedrich zusammen mit dem Pkw entwendet worden waren, wurden in dem Bandenstützpunkt in [146] der Heimhuder Straße in Hamburg gefunden (385). Am Lenkrad des Pkw wurden drei Fingerabdruckspuren der Angeschuldigten Meinhof festgestellt (386). Im Pkw befanden sich u.a. zwei Kennzeichendoubletten USI - S 335 und zwei totalgefälschte, auf die genannten Falschkennzeichen ausgestellte Kraftfahrzeugscheine, die druckbildidentisch mit weiteren in Gruppenunterkünften sichergestellten sind (387). Außerdem wurde in dem Fahrzeug ein Schild mit dem Aufdruck „Bayerischer Rundfunk Film“ gefunden (388). Dieses Schild gehörte Lothar Vogelbacher und befand sich in dem diesem in der Nacht zum 17. Dezember 1971 vor dem Anwesen [Anschrift] in München entwendeten VW-Bus, amtliches Kennzeichen M - VL 535 (389). Dieser Pkw wurde als Tatfahrzeug bei dem von Bandenmitgliedern verübten Banküberfall am 22. Dezember 1971 in Kaiserslautern verwendet (390).

h) Am 1. August 1971 mietete Pohle unter dem Namen Dr. Karl-Dietrich Fischer eine dritte Garage an, und zwar in der Schillingskoppel 55 (391). Zwei Einzahlungsbelege, mit denen die Miete für diese Garage überwiesen wurde, wurden von ihm ausgefüllt (392). Drei tragen die Handschrift des Bandenmitglieds Jünschke (393). In der am 2. März 1973 entdeckten Garage, für die ebenfalls letztmals im April 1972 die Miete bis einschließlich September 1972 bezahlt worden war, befand sich der mit dem Falschkennzeichen AB - AP 953 versehene Pkw Volvo 164 (Halter: Fa. Volvo- [147] Werke, Niederlassung Frankfurt/Main) (394), der in der Nacht zum 30. Dezember 1971 vor dem Anwesen [Anschrift] in Frankfurt/Main entwendet worden war (395). Zusammen mit dem Pkw, der mit dem amtlichen Kennzeichen F - SJ 959 versehen war, war ein kamelhaarfarbener Wendemantel, der dem Verkäufer Günter Weißkopf gehört, entwendet worden (396). Der Mantel wurde später in dem noch darzustellenden Gruppenstützpunkt in der Inheidener Straße in Frankfurt/Main gefunden (397).

i, j) Am 31. August 1971 und 1. September 1971 mietete Rolf Pohle je einen Stellplatz in den Tiefgaragen der Anwesen Hartwicusstraße 3 und Papenhuder Straße 6 an (398). Hierbei benutzte er den Falschnamen Dr. Christoph Hein(t)ze. Pohle füllte auch den Empfängerabschnitt einer Zahlkarte aus, mit der die Miete für den Stellplatz in der Hartwicusstraße überwiesen wurde (399). Das Gruppenmitglied Grashof hatte bei seiner Festnahme einen Schlüssel für die Eingangstür des Hauses Papenhuder Straße bei sich, mit dem auch die Kellereingangs- und -verbindungstür zur Tiefgarage geöffnet werden konnten (400). In der Nacht zum 22. November 1971 wurden aus dieser Tiefgarage zwei Kraftfahrzeuge entwendet, und zwar ein Ford Capri 2300 (Halter: Kamran Mäher) und ein Ford Capri 2600 (Halter: Arkady Klauta) (401). Der Ford Capri 2300 mit dem amtlichen Kenn- [148] zeichen HH - ME 1201 wurde am 13. Februar 1972 nach einem Verkehrsunfall, bei dem das Fahrzeug wahrscheinlich von dem Gruppenmitglied Holger Meins gesteuert worden war (402), in Marktheidenfeld/Bay. mit dem Falschkennzeichen BB - AU 160 sichergestellt (403). Im Pkw befanden sich u.a. die vorgenannten amtlichen Kennzeichen, zwei VW-Schlüssel, zwei Kennzeichendoubletten LG - C 388 und ein auf dieses Kennzeichen lautender, totalgefälschter Kraftfahrzeugschein (404). Die maschinenschriftlichen Eintragungen in diesem Kraftfahrzeugschein wurden auf der in der Paulinenallee sichergestellten Büroschreibmaschine „Olympia“ vorgenommen (405). Zwei gleiche, ebenfalls werkseitig gefertigte VW-Schlüssel wurden in der bereits angeführten Gruppenunterkunft Hamburg, Ohlsdorfer Straße, sichergestellt. Mit den Schlüsseln konnte jeweils das Lenkradschloß bzw. das Türschloß des marineblauen VW 1302 - Falschkennzeichen F - NE 971 - entsperrt werden, mit dem Gruppenangehörige zum Tatort des Sprengstoffanschlags auf das US-Hauptquartier in Frankfurt/Main gefahren waren (405a). Ein zum Kofferraumschloß des Pkw passender Schlüssel wurde zusammen mit anderem Bandengut am 27. Juli 1972 in Bad Homburg gefunden (406). Der zweite aus der Tiefgarage entwendete Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen HH - RD 1242 wurde am 23. Februar 1972 unverschlossen und ohne Kennzeichen in der Christoph-von-Gluck-Straße in München sichergestellt. Das linke Türschloß und das Zündschloß waren ausgewechselt worden (407).

[149] k) Unter dem Falschnamen Dr. Klaus Schillmann mietete Pohle am 15. September 1971 schließlich auch noch eine Garage im Teutonenweg 14-16 an (407a). Von ihm stammen die Unterschrift unter dem Mietvertrag und die Eintragungen auf einem Mieteinzahlungsbeleg (407b). Drei Mietüberweisungsformulare wurden von dem Gruppenangehörigen Jünschke ausgefüllt (407c). Als die Garage, für die Ende März 1972 letztmals Miete bis einschließlich September 1972 überwiesen worden war, am 14. Dezember 1973 entdeckt wurde, befand sich darin der mit dem Falschkennzeichen KI - WP 42 versehene Pkw Audi 100 LS und ein mit dem Falschkennzeichen HH - T 271 versehenes Krad BMW R 60 (407d). Der Pkw, der ursprünglich mit dem amtlichen Kennzeichen F - RX 646 versehen war, war in der Nacht zum 15. Oktober 1971 auf einem Parkplatz in Frankfurt/Main, Jakob-Karl-Junior-Straße, das Krad, an dem sich ursprünglich das amtliche Kennzeichen HH - ZP 546 befand, war in der Nacht zum 16. September 1971 vor dem Anwesen Schinkelstraße 18 entwendet worden (407e). Im Pkw befanden sich u.a. je zwei Kennzeichen-Doubletten WHV - HC 24, F - RZ 961, OD - DR 23 und je ein auf die Falschkennzeichen F - RZ 961, OD - DR 23 und KI-WP 42 ausgestellter, totalgefälschter Kraftfahrzeugschein, die druckbildidentisch mit weiteren in Gruppenunterkünften sichergestellten sind (407f). Der Kraftfahrzeugschein OD - DR 23 ist auf der in der Gruppenunterkunft Hamburg, Ohlsdorfer Straße, sichergestellten Reiseschreibmaschine, der Kraftfahrzeugschein KI - WP 42 und teilweise auch der Kraftfahr- [150] zeugschein F - RZ 961 sind auf der in der Bandenwohnung Hamburg, Paulinenallee, aufgefundenen Büroschreibmaschine „Olympia“ ausgefüllt worden (407g). Mit einem der im Pkw gefundenen Schlüssel konnte das Kofferraumschloß des Fahrzeugs betätigt werden. Ein gleicher Schlüssel wurde in der noch darzustellenden Gruppenunterkunft Berlin, Budapester Straße, sichergestellt (407h). Außerdem befand sich im Pkw ein schwarzer Handschuh, zu dem das Ergänzungsstück in dem Bandenstützpunkt Hamburg, Paulinenallee, gefunden wurde (407i). Schließlich sind noch zwei Kfz-Reparatur- und Ersatzteilrechnungen, die in einem im Pkw befindlichen Verbandskasten sichergestellt wurden, von Bedeutung. Diese Gegenstände gehörten Professor Dr. Klaus Dietrich und befanden sich in dem diesem in der Nacht zum 21. Mai 1971 in Heidelberg entwendeten Pkw BMW 2002 ti, amtliches Kennzeichen HD - AU 94 (407j). Dieser Pkw wurde am 25. September 1971 an der Autobahnraststätte Bremgarten bei Freiburg im Anschluß an einen Schußwechsel mit Polizeibeamten, in den Margrit Schiller und ein weiteres Bandenmitglied verwickelt waren, sichergestellt (407k).

4. In den vorstehend behandelten Zeitraum fallen auch zwei Schußwechsel mit Beamten der Hamburger Polizei.

Am 15. Juli 1971 gerieten Petra Schelm und Werner Hoppe, der sich wahrscheinlich erst nach dem 10. März 1971 der Gruppe angeschlossen hatte (408), mit dem von Gruppenangehörigen im Dezember 1970 in Stuttgart gestohlenen und mit dem Falsch- [151] kennzeichen HH - RH 285 ausgestatteten Pkw „BMW 2002“ (amtl. Kennzeichen S-U 9415; Halter: Fa. Pfleiderer KG) in eine Polizeikontrolle. Beiden Gruppenmitgliedern gelang zunächst die Flucht, in deren Verlauf sie ihre Verfolger, die Polizeibeamten Lavalette, Hinzmann und Hamann, durch gezielte Pistolenschüsse abzuschütteln versuchten. Daraufhin erwiderten die Beamten das Feuer. Petra Schelm wurde von einer Kugel aus der Waffe eines der Beamten tödlich getroffen. Hoppe wurde kurz darauf festgenommen (409). Er ist zwischenzeitlich von dem Schwurgericht bei dem Landgericht in Hamburg ((50) 10/72) wegen versuchten Totschlags in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt worden; das Urteil ist rechtskräftig (410).

In der Tasche der Getöteten befindliche handschriftliche Aufzeichnungen rühren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der Angeschuldigten Ensslin her; sie lassen darauf schließen, daß bisher noch nicht bekannte Bandenangehörige mit falschen Ausweispapieren ausgestattet werden sollten (411).

5. Zu einem weiteren Schußwechsel kam es am 22. Oktober 1971 in unmittelbarer Nähe des Unterschlupfs Heegbarg 13. Als dort die Polizeibeamten Schmid und Lemke die Personalien der Margrit Schiller überprüfen wollten, zogen deren Begleiter Müller und Irmgard Möller ihre Pistolen und schossen [152] auf die kontrollierenden Beamten. Der Polizeibeamte Schmid wurde von sechs Kugeln tödlich getroffen,[130] sein Kollege Lemke durch einen Schuß am Fuß verletzt. Die Täter konnten mit dem in der Nähe unverschlossen abgestellten Polizeifahrzeug, amtliches Kennzeichen HH - W 979, fliehen. Dieses Fahrzeug wurde unmittelbar darauf in der Nähe des Tatorts verlassen aufgefunden (412). Dort wurde die dem Ingenieur Gereon Versbach gehörende Pistole „Walther - TPH“, Nr. 254 444 sichergestellt, die sich in dessen Kraftfahrzeug RO 80, F - V 30, befand, als dieses am 12. Dezember 1970 in Frankfurt/M. von Gruppenmitgliedern gestohlen wurde (413).

Margrit Schiller, die bereits am 25. September 1971 an der Autobahnraststätte Bremgarten bei Freiburg/Br. zusammen mit einem anderen Bandenmitglied in einen Schußwechsel mit Polizeibeamten verwickelt worden war (414), wurde kurze Zeit später in der Nähe des Tatortes gestellt, als sie von einer öffentlichen Fernsprechzelle aus ein Gespräch führte (415). Sie war mit einer geladenen und entsicherten Pistole, Kal. 9 mm, bewaffnet und hatte einen durch Lichtbildaustausch verfälschten Bundespersonalausweis auf den Namen „Dörte Gerlach“ bei sich. Außerdem verwahrte sie in ihrer Handtasche die Schlüssel des zuvor zur Flucht benutzten Polizeifahrzeugs HH - W 979 (416).

[153] XIII. Anmietung von Stützpunkten in Neu-Ulm, Kiel und Frankfurt/M

1. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, daß die Gruppe - zumindest vorübergehend - auch in Neu-Ulm einen Stützpunkt besaß.

In der schon erwähnten (417) und noch näher zu behandelnden Berliner Gruppenunterkunft „Wallenberg“ (418) wurde am 1. Juni 1972 ein Schlüssel gefunden, der zu der von dem Schauspieler Wolf-Dieter Tropf bis Juni 1971 in Pforzheim, Erbprinzenstraße 11, innegehabten Wohnung gehörte (419). Daraufhin wurde am 27. September 1972 eine weitere Wohnung, die Tropf am 21. Juli 1971 in Neu-Ulm, Brückenstraße 3, angemietet hatte, durchsucht (420). Dabei wurden an einem Gefäß Abdruckspuren des Gruppenangehörigen Jünschke festgestellt. Bei einer weiteren Durchsuchung fanden sich auch an anderen Gegenständen Abdruckspuren dieses Bandenmitglieds (421). Irmgard Möller und Jünschke hatten außerdem Schlüssel in Besitz, die mit einem in der Unterkunft entdeckten Schlüssel übereinstimmen. Ein anderer bei Irmgard Möller gefundener Schlüssel paßt zu einem in diesem Unterschlupf sichergestellten Schloßzylinder (422).

[154] 2. Am 14. Juli 1972 wurde die Mitte September 1971 unter dem Falschnamen Karin Dunker in Kiel, Schweffelstraße 10, angemietete Gruppenunterkunft entdeckt (423). In dem Unterschlupf hatten Ingeborg Barz, Grashof, Gerhard Müller, Carmen Roll und Ilse Stachowiak Abdruckspuren hinterlassen (424). Ein weiterer Abdruck, der an einem in der Wohnung gesicherten Netzgerät abgenommen wurde, weist im Papillarlinienverlauf sowie in den erkennbaren anatomischen Merkmalen Übereinstimmungen mit dem Abdruck des rechten Daumens Jünschkes auf; ein weiterer Abdruck, der an einer Flasche gesichert worden ist, zeigt im Linienverlauf und in den wahrnehmbaren anatomischen Merkmalen Übereinstimmungen mit dem Abdruck des rechten Mittelfingers der Carmen Roll (425). In dem Unterschlupf aufgefundene handschriftliche Unterlagen stammen von Jünschke und Ingeborg Barz (426). Die Mietzinsüberweisungen nahmen zum Teil Jünschke, Weisbecker, Ingeborg Barz und möglicherweise auch Carmen Roll vor (427). Neben Werkzeug und 9-mm-Patronen wurden in der Wohnung u.a. ein zum Herausreißen von Kraftfahrzeugschlossern bestimmtes sog. Abziehgerät und eine 9-mm-Geschoßhülse gefunden (428). Diese Hülse stammt von einer aus der Maschinenpistole „Vigneron“ der Angeschuldigten Meinhof abgefeuerten Patrone (429).

Etwa zu der Zeit, zu der die vorerwähnte Wohnung „Dunker“ angemietet worden ist, hielten sich die Angeschuldigte [155] Meinhof und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch der Angeschuldigte Baader in der Schweiz auf. Einschlägige Funde lassen darauf schließen, daß sie sich auch dort um Beschaffung von Unterkünften und Einstellplätzen für Kraftfahrzeuge bemüht haben (429a).

3. Durch Vertrag vom 24. November 1971 hatte sich die Gruppe eine unter dem Falschnamen „Freimut Duve“ in dem Hause Frankfurt/M-Ginnheim, Raimundstraße 104, angemietete Wohnung verschafft. Die Unterkunft ist am 25. Juni 1972 ausgehoben worden (430). Abdruckspuren, die an verschiedenen dort aufbewahrten Gegenständen gesichert werden konnten, rühren von der Angeschuldigten Ensslin und Gerhard Müller her (431). Je ein zur Eingangstür der Wohnung passender Schlüssel konnte bei der Angeschuldigten Meinhof am 15. Juni 1972 in Langenhagen und der Gruppenangehörigen Carmen Roll am 2. März 1972 in Augsburg (440) sichergestellt werden (441). Außerdem steht fest, daß sich - worauf im folgenden noch einzugehen sein wird - die Angeschuldigten Baader und Ensslin in der Nacht zum 17. Mai 1972 in dem Unterschlupf aufgehalten haben (442).

Die Mietzinszahlungen wurden u.a. von Weisbecker und Carmen Roll getätigt (443); diese hat auch am 29. November 1971 die Mieterkaution überwiesen (444).

[156] 4. Auf Betreiben des Angeschuldigten Raspe hatte bereits Anfang August 1971 der auch bei der Beschaffung der später noch zu behandelnden Bandenunterkunft „Schütz“ in Kaiserslautern tätig gewordene Buchhändler Wolfgang Pracht eine auf dem Grundstück Frankfurt/Main, Ginnheimer Landstraße 42, gelegene Doppelgarage gemietet (445). In dem Raum, der am 14. Juni 1972 durchsucht wurde (446), waren der am 25. Februar 1972 im Stadtgebiet Frankfurt/Main entwendete Pkw „NSU Prinz TT“, amtliches Kennzeichen F - LP 375 der im Auffindungszeitpunkt mit den Falschkennzeichen USI - R 984 ausgestattet war, und der am 25. April 1972 gleichfalls in Frankfurt/Main gestohlene VW 411 „Variant“, amtliches Kennzeichen F - RZ 583, abgestellt (447).

An dem Pkw „NSU Prinz TT“ wurden Abdruckspuren des Bernhard Braun und an dem Volkswagen 411 „Variant“ Abdruckspuren des Gerhard Müller festgestellt. In der Garage selbst wurde eine Fingerspur gesichert, die im Linienverlauf und in acht erkennbaren anatomischen Merkmalen mit dem rechten Zeigefingerabdruck des Angeschuldigten Raspe übereinstimmt (448).

[157] In dieser Doppelgarage befand sich u.a. eine Schöpfkelle, die Anhaftungen von Holzkohleteilchen, Bleioxyd (Mennigepulver) und Aluminiumkörnchen aufwies. Die Metallteilchen besitzen Strukturen, die - worauf noch einzugehen sein wird (448a) - für das von der Gruppe bei der Sprengstoffherstellung verwendete Aluminiumpulver kennzeichnend sind (449).

Weiterhin stieß die Polizei auf einen Kunststoffsack mit etwa 21 kg Ammoniumnitrat, ein Ausgangsgrundstoff des sogenannten roten und grauen Sprengstoffs (450). Partikel des für die Bereitung des roten Sprenggemisches notwendigen Mennigepulvers sowie Aluminium- und Ammoniumnitratteilchen konnten auch auf dem Boden der Garage gesichert werden (451).

XIV. Rückkehr der Gruppe nach Berlin; erneute Zielsetzung durch weitere Schriften

1. Da die Gruppe in Hamburg mit verstärkten Fahndungsmaßnahmen rechnete, entschloß man sich, den Schwerpunkt der Bandentätigkeit wieder nach Berlin zu verlegen, jedoch die Hamburger Stützpunkte Paulinenallee 36 und Ohlsdorfer Straße 1-3 beizubehalten. In Berlin hatte u.a. die [158] Angeschuldigte Ensslin seit Anfang Oktober 1971 durch Einschaltung von Mittelsmännern für Unterkünfte gesorgt und weitgehend unbekannt gebliebene Helfer für die Gruppe angeworben. Zu den auf Betreiben dieser Angeschuldigten beschafften Unterkünften zählen Wohnungen in der Großbeerenstraße 65 und am Paul-Lincke-Ufer 42/43.

a) Die damals von den Kaufleuten Dieter Frank und Michael Rochan innegehabte Mietwohnung in dem Anwesen Berlin 41, Großbeerenstraße 65, stand der Gruppe bereits ab Mitte Oktober 1971 zur Verfügung (452). Später, am 6. November 1971, übernahmen die Gruppensympathisantinnen Edelgard Graefer und Katharina Hammerschmidt[131] die am 30. November 1971 durchsuchte Unterkunft als Untermieterinnen (453).

Von Katharina Hammerschmidt ist dort eine Abdruckspur gesichert worden (454). Nach den Angaben der Edelgard Graefer diente die Wohnung in erster Linie als Treffpunkt der Gruppenmitglieder; neben den Angeschuldigten Baader und Ensslin hat sich dort auch Bernhard Braun aufgehalten (455).

b) Die in Berlin 36, Paul-Lincke-Ufer 42/43, gelegene Wohnung wurde am 27. Oktober 1971 wahrscheinlich von Katharina [159] Hammerschmidt unter dem Namen Hilta Depser gemietet (456). Spurensicherungsmaßnahmen in der in der Nacht zum 30. November 1971 durchsuchten Unterkunft führten zur Feststellung von Abdruckspuren des Angeschuldigten Baader sowie der Gruppenangehörigen Braun, Katharina Hammerschmidt und Brigitte Mohnhaupt (457).

Weiterhin wurden Patronen, ein Stück Zeitzündschnur, Tageszeitungen, ein auf den Namen Hilta Depser lautender gefälschter Bundespersonalausweis und zwei Kraftfahrzeugkennzeichen mit dem Aufdruck WN - CJ 505 entdeckt (458). In der schon mehrfach erwähnten, noch näher zu behandelnden Berliner Wohnung „Wallenberg“ wurde ein gefälschter Kraftfahrzeugschein, der für ein Kraftfahrzeug mit derartigen Kennzeichen und der Fahrgestell-Nr. 911 130 0782 ausgeschrieben war, aufgefunden (459); die angeführte Fahrgestell-Nr. gehört zu dem Pkw „Porsche“, der in der Hamburger Garage Johnsallee 58 sichergestellt wurde (460). Eine der in dem Unterschlupf aufbewahrten Tageszeitungen wies mehrere handschriftliche Unterschriftsproben des Namens Gisela Zerbel auf (461). Unter diesem Namen wurde später, was im folgenden noch auszuführen ist, eine Gruppenunterkunft in Stuttgart angemietet (462).

Der für die Fälschung des Bundespersonalausweises verwendete Vordruck stammt aus der in Lang-Göns erlangten Einbruchsbeute (463).

[160] c) Nach den Angaben der Edelgard Graefer fand in der Zeit um den 9. Oktober 1971 in einer Unterkunft, die später als die Wohnung des Schriftstellers Wolfgang Körner, Berlin 33, Regerstraße 7-9, ermittelt worden ist, ein Treffen zwischen ihr, Katharina Hammerschmidt und den Angeschuldigten Baader und Ensslin statt. Die Zusammenkunft diente Besprechungen über die Beschaffung von Unterkunftsmöglichkeiten für die Gruppe (464).

2. Ferner verschaffte sich die Gruppe in der Zeit von Oktober 1971 bis Anfang Februar 1972 in Berlin u.a. die nachfolgend aufgeführten weiteren Wohnungen (465) und mehrere Garagen (466). Die Räumlichkeiten wurden - wie z.T. schon erwähnt - als Unterkünfte, Einstellplätze und zur Aufbewahrung von Waffen, von zur Sprengstoffherstellung bestimmten Chemikalien sowie zur Lagerung sonstigen Gruppenbesitzes verwendet.

a) Am 4. Oktober 1971 schloß der Formgestalter Peter Hübner aus Hamburg einen Mietvertrag über eine im ersten Obergeschoß des Anwesens Berlin 41, Grunewaldstraße 23, gelegene Zwei-Zimmer-Wohnung ab (467). Die bereits im Zusammenhang mit der Funktätigkeit der Gruppe erwähnte Unterkunft ist am 5. Juni 1972 ausgehoben worden (468). Hierbei konnten Abdruckspuren der Gruppenangehörigen Braun und Brigitte Mohnhaupt gesichert werden (469).

[161] Neben dem schon behandelten handschriftlichen Vermerk der Angeschuldigten Meinhof (471) wurden dort weitere handschriftliche Aufzeichnungen gefunden (472); sie stammen zum Teil von Gerhard Müller (473). Schriftvergleichende Untersuchungen haben ergeben, daß Angela Luther zumindest einen Teil der Mietzinsüberweisungen vorgenommen hat (474). Außer zwei gefüllten Magazinen für Maschinenpistolen, weiterer Munition, aus Kraftfahrzeugkennzeichen herausgeschnittenen Zulassungsstempeln und TÜV-Plaketten sind dort u.a. 165 Exemplare der RAF-Schrift „Stadtguerilla und Klassenkampf“ (475), auf die im folgenden noch einzugehen ist (476), sowie eine Gewindestange und ein verzinktes Rohrteil entdeckt worden (477). Beide Werkstücke sind zur Herstellung von Sprengkörpern geeignet (478).

b) Eine im 7. Stockwerk des Appartementhauses Berlin 30, Budapester Straße 39, gelegene und aus insgesamt sieben Räumen bestehende Wohnung ist am 13. Oktober 1971 unter dem Namen Marie-Luise Wallenberg wahrscheinlich von Angela Luther gemietet worden (479). Der Stützpunkt wurde am 1. Juni 1972 entdeckt, nachdem dort nach einer Explosion ein Brand ausgebrochen war (480). Spurensicherungsmaßnahmen führten zur Feststellung von Abdruckspuren der Gruppenangehörigen Augustin, Braun, Angela Luther, Irmgard Möller, Brigitte Mohnhaupt, Gerhard Müller und Ilse Stachowiak (481)

[162] Nach Lichtbildvorlage ist die derzeit noch flüchtige Angela Luther (483) von Hausmitbewohnern als Benutzerin des Unterschlupfs identifiziert worden (484). Nach dem Ergebnis schriftvergleichender Untersuchungen hat sie sehr wahrscheinlich auch einen Teil der Bankvordrucke beschriftet, mit denen Mietzinszahlungen geleistet worden sind (485).

Wie schon an anderer Stelle erwähnt, sind in der in Rede stehenden Wohnung Waffen und Fälschungsunterlagen entdeckt worden (486). Daneben stieß die Polizei u.a. auf Anleitungen zur Herstellung von Sprengstoff und auf ungefähr 38 kg Kaliumnitrat, 66 kg Ammoniumnitrat, 48 kg Bleimennige und ca. 50 kg Aluminiumpulver (487). Gleiche Bestandteile wiesen bei den noch zu behandelnden Anschlägen in Frankfurt/M, Augsburg, München, Karlsruhe, Hamburg und Heidelberg verwendete Sprengsätze auf (488).

Weiter wurden Exemplare von sog. „Bekennerbriefen“ gefunden, mit denen die Gruppe die Verantwortung für ihr zur Last gelegte Sprengstoffanschläge übernommen hat (489). Diese Schriften wurden auf der „Erika“-Reiseschreibmaschine gefertigt, die in der Frankfurter Wohnung „Pflug“ (490) sichergestellt worden ist (491).

[163] Schließlich befanden sich in dem Unterschlupf auch umfangreiche handschriftliche Aufzeichnungen (492). Sie stammen u.a. von den Angeschuldigten Ensslin und Meinhof sowie von Augustin, Grashof, Angela Luther, Brigitte Mohnhaupt, Irmgard Möller und Ilse Stachowiak (493).

c) Am 16. November 1971 mietete Brigitte Mohnhaupt unter dem Namen Dorothea Wachendorfer die Wohnung Berlin 21, Rostocker Straße 21 (494). Später bestimmte sie die Ärztin Dr. Viktoria Müller-Stüler zum Eintritt in das Mietverhältnis; ein entsprechender Vertrag mit den Hauseigentümern wurde am 16. Dezember 1971 geschlossen (495). In dieser am 1. Juni 1972 entdeckten Unterkunft (496) sind Abdruckspuren Augustins, Brauns, Brigitte Mohnhaupts und Ilse Stachowiaks gesichert worden (497). Unter den sichergestellten Gegenständen befinden sich eine Küchenwaage, fünf Kunststoffeimer und zwei Kunststoffschaufeln, die möglicherweise zum Abwiegen und Umfüllen von Chemikalien benutzt worden sind (499), weiterhin drei Kunststoffbeutel mit Sägemehl im Gesamtgewicht von 3,5 kg. Sägemehl wird zur Herstellung schwarzpulverähnlicher Brandgemische benötigt (500).

[164] d) Zu den von Brigitte Mohnhaupt angemieteten Schlupfwinkeln zählt auch die am 27. Oktober 1971 unter dem Namen Marlies Strunze beschaffte Unterkunft Berlin 41, Filandastraße 5 (501), die der Gruppe jedoch nur bis Ende Januar 1972 zur Verfügung stand (502).

e) Die Gruppenunterkunft im Hause Berlin 65, Weddingstraße 5, ist am 1. Februar 1972 unter dem Falschnamen Barbara Butter von Irmgard Möller beschafft worden (503). Mit einem bei der Gruppenangehörigen Brigitte Mohnhaupt vorgefundenen Schlüssel ließ sich die Wohnungstür des am 20. Juni 1972 durchsuchten Unterschlupfes öffnen (504); mit einem anderen bei ihr sichergestellten Schlüssel konnte das Haustürschloß des Anwesens Weddingstraße 5 einwandfrei betätigt werden (505). In der Wohnung festgestellte Abdruckspuren rühren z.T. von Rosemarie Keser her (506), ebenso dort aufgefundene handschriftliche Notizen (507). Unter dem sichergestellten Beweismaterial befand sich auch eine Weckeruhr des Fabrikates „Blessing” (508). Uhren dieser Art fanden - was an anderer Stelle noch ausführlicher darzustellen ist (509) - bei mehreren von der Gruppe begangenen Sprengstoffanschlägen Verwendung.

f) Die auf dem Grundstück Berlin 42, Tempelhofer Damm 176, gelegene Garage mietete Irmgard Möller unter dem Namen [165] Christiane Wittmann am 30. November 1971 (510). Schlüssel zu dem am 19. Juni 1972 entdeckten Einstellraum wurden in der bereits erwähnten Wohnung „Wallenberg“ gefunden (511). Den Mietzins für den Monat Januar 1972 hat Irmgard Möller überwiesen (512).

g) Ebenfalls am 30. November 1971 beschaffte sich eine bisher nicht ermittelte Gruppenangehörige unter dem Namen „Vera Günther“ den am 19. Juni 1972 bekanntgewordenen Einstellplatz in der Sammelgarage Berlin 19, Angerburger Allee 59 (513). In der Wohnung „Wallenberg“ wurde ein Schlüssel sichergestellt, mit dem sich das an dem Rolltor der Garage angebrachte Schloß betätigen ließ (514). Der Mietzins für die Monate Juni bis August 1972 ist am 30. Mai 1972 von Angela Luther überwiesen worden (515).

h) Auf dem Garagengrundstück Berlin 62, Tempelhofer Weg 10 (Sachsendamm 76/77), hob die Polizei ebenfalls am 19. Juni 1972 zwei Einstellboxen der Gruppe aus (516). Eine der Boxen hatte Irmgard Möller am 2. Dezember 1971 unter dem Namen Elke Kirschner gemietet (517). Den anderen Einstellplatz hatte am 14. Dezember 1971 eine bisher noch nicht identifizierte Gruppenangehörige beschafft, die unter dem Namen I. Lindau aufgetreten war (518).

[166] Auch zu den an diesen Garagenboxen angebrachten Schlössern paßten Schlüssel, die in dem Gruppenstützpunkt „Wallenberg“ entdeckt worden waren (519).

i) Daneben verfügte die Bande vom 1. Januar 1972 an über die am 23. Dezember 1971 von Irmgard Möller unter dem Falschnamen Anita Weber angemietete (520) Garage auf dem Grundstück Berlin 45, Kommandantenstraße 23. Irmgard Möller war es auch, die zumindest in einem Fall den Mietzins für diesen Raum überwiesen hat (521).

j) Als Abstellplatz von Bandenbesitz diente schließlich eine Doppelgarage auf dem Grundstück Berlin 61, Obentrautstraße 30, die am selben Tag wie die vorgenannten Garagen durchsucht worden ist (522). Einer der beiden Einstellplätze war am 28. Dezember 1971 von einer weiblichen Person unter dem Namen Christa Neumüller gemietet worden, der andere am 23. Februar 1972 von Stefan Schulz, bei dem es sich wahrscheinlich um das Gruppenmitglied Augustin handelt (523). In der Doppelgarage wurden größere Mengen zur Sprengstoffherstellung geeigneter Grundstoffe aufgefunden. Im einzelnen handelt es sich dabei um zwei Blechtonnen mit jeweils ungefähr 25 kg Aluminiumpulver, zwei Papiersäcke mit je 50 kg Ammoniumnitrat, einen Sack mit [167] ungefähr 50 kg Salpeter, ca. 25 kg Bleimennige und um sechs Blechtonnen mit je 50 kg Kaliumchlorat (524). Das in den beiden Blechtonnen aufgefundene Aluminiumpulver hat eine Berliner Fachhandlung am 29. Mai 1972 an ein Gruppenmitglied, möglicherweise an Augustin, geliefert (525). Auch ist festgestellt worden, daß das in der Doppelgarage gelagerte Ammoniumnitrat aus der Lieferung stammt, von der ein Teil schon wenige Tage zuvor in der Frankfurter Wohnung Inheidener Straße 69 entdeckt worden war (526). Mit einem in der Wohnung „Wallenberg“ sichergestellten Schlüssel ließ sich das Schloß der Berliner Doppelgarage, Obentrautstraße 30, ohne Schwierigkeiten betätigen (527).

Auch nach ihrer Rückkehr nach Berlin hat die Gruppe neue Raubüberfälle in Erwägung gezogen. So forderte die Angeschuldigte Ensslin zwischen Ende Oktober und dem 9. November 1971 Edelgard Graefer auf, eine Anstellung in einem Kaufhaus anzustreben, um Möglichkeiten für Überfälle auszukundschaften (528).

Die Angeschuldigte Ensslin sorgte auch für eine Anlaufstelle in Berlin, an welche die umfangreiche „Ausrüstung“ der Gruppe geschickt werden konnte.

[168] Anfang November 1971 wurden an die Anschrift des Keramikers Endrejat fünfzehn Pakete versandt, von denen - wie schon erwähnt - elf beschlagnahmt werden konnten. Sie enthielten u.a. Sprengmittel, zahlreiche Waffen, darunter die Pistole, die bei dem Banküberfall in Kassel, Kirchweg 1, benutzt worden war, große Mengen Munition, Uniformen und Funkgeräte sowie eine Vielzahl gestohlener und gefälschter Kraftfahrzeugkennzeichenschilder und Kraftfahrzeugpapiere sowie entsprechende Fälschungsunterlagen. Die Paketadressen waren zu einem Teil von der Angeschuldigten Meinhof, von Grashof und Carmen Roll geschrieben worden. An dem Inhalt der Postsendungen fanden sich Abdruckspuren des Angeschuldigten Meins sowie von Grashof, Gerhard Müller, Carmen Roll, Weisbecker und von dem erst später zur Gruppe gestoßenen Ralf Reinders (529).

Kennzeichnend für Lage und Zielsetzungen der Gruppe zur damaligen Zeit ist ein am 10. Dezember 1971 in Berlin auf dem Wittenbergplatz aufgefundener Teilentwurf eines Briefes „der Roten Armee Fraktion in der Bundesrepublik und Westberlin an DIE PARTEI DER ARBEIT IN DER VOLKSREPUBLIK KOREA“ mit der Bitte um Unterstützung durch militärische Ausbildung und politische Zusammenarbeit (530). Der Entwurf des Briefes besteht aus mehreren Ablichtungsblättern; die darin enthaltenen handschriftlichen Nachbesserungen rühren mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Angeschuldigten Meinhof [169] her (530a). Zusammen mit dem Entwurf sichergestellte schriftliche Unterlagen stammen ebenfalls von dieser Angeschuldigten, von der Angeschuldigten Ensslin sowie von Irmgard Möller und Ilse Stachowiak (531).

In dem Schreiben heißt es u.a. (532):

„Die Rote Armee Fraktion ist eine noch zahlenmäßig kleine Gruppe kommunistischer Arbeiter und Intellektueller, die begonnen hat, den antiimperialistischen Kampf in Westdeutschland und Westberlin bewaffnet zu führen. Wir meinen, daß die Organisierung von bewaffneten Aktionen in der Metropole Bundesrepublik der richtige Weg ist, die Befreiungsbewegungen in Afrika, Asien und Lateinamerika[132] zu unterstützen, der richtige Beitrag westdeutscher und westberliner Kommunisten zur Strategie der sozialistischen Weltbewegung, die Kräfte des Imperialismus durch Angriffe von allen Seiten zu zersplittern und zersplittert zu schlagen ...

Zwei Schriften, die wir im Frühjahr dieses Jahres veröffentlicht und illegal verbreitet haben, legen wir diesem Brief bei ...

Wir möchten mit diesem Brief die PARTEI DER ARBEIT um Unterstützung bitten. Was wir am nötigsten brauchen, ist eine militärische Ausbildung. Wir brauchen auch Waffen. Aber während wir uns Waffen, Wohnungen, Geld und Fahrzeuge noch am ehesten selbst beschaffen können, ist es für uns extrem schwer, uns selbst militärisch - vor allem im Pistolen- und Maschinenpistolenschießen - auszubilden.

Es gibt in der Bundesrepublik keine größeren unbewohnten Gebiete, wo man schießen könnte, ohne von der Polizei bemerkt zu werden. Einige von uns haben im Sommer 1970 in einem Camp der Palästinensischen Fedayin[133] einige militärische Grundkenntnisse erwerben können. Einige von denen, die dort waren, sind inzwischen verhaftet worden, viele sind dazugekommen. Wir glauben, daß wir unsere Arbeit, wenn wir militärisch besser ausgebildet wären, besser machen könnten.“

In dem Schreiben wird begründet, warum sich die RAF mit ihrer Bitte um Unterstützung an die Partei der Arbeit der Volksrepublik Korea, und nicht an die SED in der DDR [170] wendet. Die Verfasser, die sich einer Stellungnahme zu den Meinungsverschiedenheiten innerhalb des sogenannten sozialistischen Lagers enthalten, heben zwar die Bedeutung der DDR als „antifaschistisches Bollwerk in Deutschland“ hervor. Sie bedauern aber, daß die DDR die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition in Bonn in Übereinstimmung mit der DKP für eine echte Entspannungspolitik halte, und fahren wörtlich fort:

 „Wir schätzen den westdeutschen Imperialismus anders ein als die SED. Wir stimmen aber mit DEM VORSITZENDEN DER PARTEI DER ARBEIT KIM IL SUNG überein, wenn er sagt:

,Der Charakter der betreffenden Gesellschaft wird dadurch bestimmt, welche Klasse an der Macht ist und welcher Art die Formen des Eigentums an den Produktionsmitteln sind.‘

Unser Ziel ist ein einheitliches sozialistisches Deutschland mit der Arbeiterklasse der DDR und ihrer Partei und niemals gegen sie.

Die sozialistischen Errungenschaften der DDR verteidigen und den westdeutschen Imperialismus angreifen, die Grenzen der DDR sichern und dem Imperialismus in seinem eigenen Herrschaftsbereich in den Rücken fallen, den Prozeß, in dem die antikommunistischen Vorurteile gegen die DDR in der westdeutschen Bevölkerung beseitigt werden, unterstützen und den Prozeß der sich entwickelnden Kampfbereitschaft gegen die Kapitalisten hier vorantreiben - das sind unsere Aufgaben, ...“

Diese bis dahin noch nicht bekanntgewordenen politischen Ziele und Absichten der RAF werden durch folgende - im Hinblick auf den orthodoxen Kommunismus bemerkenswerte - Formulierungen ergänzt:

[171] „Erst eine kämpfende kommunistische Partei wird sie“ (die erwähnten Aufgaben der RAF) „gleichzeitig in Angriff nehmen können. Diese Partei gibt es noch nicht. Weil wir meinen, daß ... nur diejenigen sie werden gründen können, die am praktischen Kampf selbst teilnehmen, deshalb nennen wir - das sind die, die die Zeit für reif halten, bewaffnete Stadtguerillaeinheiten aufzubauen - uns Rote Armee Fraktion. ,Fraktion‘ nicht als Spaltergruppe einer zuvor einheitlichen Bewegung, sondern als Gruppe, die aufgrund der herrschenden Repression gezwungen ist, illegal zu arbeiten - nicht selbst Partei, wohl aber organisatorisch, praktisch, konzeptionell notwendiger Bestandteil einer kommunistischen Partei, die diesen Namen verdient.“

XV. Verlegung des Einsatzgebietes in den süd- und südwestdeutschen Raum

Gegen Ende des Jahres 1971 verlegte die Gruppe zu einem Teil ihr Einsatzgebiet in den süd- und südwestdeutschen Raum.

In der Nacht zum 13. Dezember 1971 entwendeten unbekannte Bandenangehörige in München den Pkw „VW-Käfer“ des Studenten Hermann Roßknecht, amtliches Kennzeichen M - KY 605. Als das Fahrzeug am 20. Januar 1972 in München gefunden wurde, war es mit den Falschkennzeichen M - SU 823 versehen (533).

An dem Personenkraftwagen und an darin aufbewahrten Gegenständen sind Abdruckspuren der Angeschuldigten Baader, Ensslin und Meins festgestellt worden (534). Weiterhin be- [172] fanden sich von der Hand der Angeschuldigten Baader, Ensslin und Meinhof herrührende Schriftstücke in dem Fahrzeug (535). Aus anderen darin entdeckten Unterlagen geht hervor, daß während dieser Zeit in der Gruppe Erwägungen angestellt wurden, in München, Bamberg und weiteren Orten Bayerns weitere Banküberfälle zu begehen (536).

Außerdem ist in dem Kraftwagen ein Verkaufsschein für Kennzeichenschilder mit dem Aufdruck M - EC 1743 gefunden worden (537). Ein mit diesem Kennzeichen ausgestatteter Pkw „VW“ wurde am 3. Februar 1972 auf der Staatsstraße 2260 zwischen Röbersdorf und Hermsdorf bei Bamberg sichergestellt (538). Nach dem Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen handelte es sich bei dem Fahrzeug um den in der Nacht zum 18. August 1971 in Kassel gestohlenen VW „Käfer“ mit dem amtlichen Kennzeichen KS - JM 170 (Halterin Else Görgl). An einem der an dem Kraftwagen angebrachten Falschkennzeichen ist eine von Weisbecker hinterlassene Abdruckspur gesichert worden (539). Ein im Fahrzeuginnern zurückgelassener handbeschrifteter Zettel rührt von dem Angeschuldigten Baader her (540).

Noch vor der Wiederauffindung der beiden Pkw war es zu den im folgenden noch zu schildernden Raubüberfällen auf Banken in Kaiserslautern und Ludwigshafen gekommen.

[173] XVI. Banküberfall und Schußwechsel am 22. Dezember 1971 in Kaiserslautern

Der Überfall in Kaiserslautern sollte, wie die ein Jahr zuvor im Ruhrgebiet geplanten Banküberfälle, kurz vor Weihnachten ausgeführt werden, weil man davon ausging, daß die Banken zu dieser Zeit über einen besonders hohen Kassenbestand verfügten. In Ausführung ihres Vorhabens mietete die Gruppe zunächst Anfang Dezember 1971 ein Zimmer in dem Studentenwohnheim Ludwig-Landmann-Straße 343 in Frankfurt/Main und am 18. Dezember 1971 eine Wohnung in dem Hause Kaiserslautern, Almenweg 7 E. Bei der Beschaffung des letztgenannten Unterschlupfs war ihr der bereits an anderer Stelle im Zusammenhang mit der Anmietung der Frankfurter Doppelgarage, Ginnheimer Landstraße, genannte Wolfgang Pracht behilflich (541). In diesen Unterkünften traf zumindest ein Teil der Bande zusammen, um die erforderlichen unmittelbaren Vorbereitungen für den Überfall zu treffen. In dem Unterschlupf Ludwig-Landmann-Straße wurden, neben von Ingeborg Barz herrührenden schriftlichen Unterlagen, von ihr, den Angeschuldigten Meinhof und Raspe sowie von Grundmann hinterlassene Abdruckspuren festgestellt; außerdem wurde eine Gebrauchsanweisung für Weckeruhren der Marke „Blessing“ entdeckt. Abdruckspuren von Ulrike Meinhof und Jünschke sowie schriftliche Aufzeichnungen dieser Angeschuldigten wurden auch in der Wohnung [174] Almenweg gefunden (542). Im weiteren Verlauf der Ereignisse übernahm es Ingeborg Barz, die räumlichen Verhältnisse innerhalb der als Tatobjekt ausgewählten Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank abzuklären, während jedenfalls das Bandenmitglied Jünschke das Gebäude von außen beobachtete und die Fluchtwege erkundete (543).

Ein Fluchtfahrzeug wurde in München beschafft. Gruppenangehörige stahlen dort in der Nacht zum 17. Dezember 1971 den roten „VW-Bus“, amtliches Kennzeichen M - VL 535. Außerdem entwendeten Gruppenmitglieder in der Nacht zum 20. Dezember 1971 in Wellesweiler/Neunkirchen, Bexbach/Bad Homburg und in Zweibrücken die Kennzeichenschilder NK - N 728, HOM - A 197 und ZW - D 596, die sie zur Tarnung des Fluchtwagens und zweier bereits früher gestohlener Fahrzeuge benötigten (544).

Am 22. Dezember 1971 überfiel die Gruppe in Stärke von mindestens vier Personen die Zweigstelle der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank in Kaiserslautern, Fackelstraße; sie erbeutete dort ungefähr 100.000,-- DM und ausländische Geldsorten im Werte von etwa 35.000,-- DM. Um den störungsfreien Ablauf der Straftat zu gewährleisten, hatten andere Gruppenmitglieder kurz vor der Ausführung des Raubes die Ausfahrten des in der Nähe des Tatortes gelegenen Gendarmeriekommandos mit Kraftfahrzeugen versperrt (545).

[175] Der eigentliche Überfalltrupp, zu dem jedenfalls Grashof gehörte, traf mit dem roten VW-Bus (gestohlenes Kennzeichen NK - N 728) kurz nach 8.00 Uhr am Tatort ein. Die als Grashof identifizierte Person, die den Bus steuerte, wartete in dem Fahrzeug vor dem Geldinstitut, während die restlichen Gruppenmitglieder in das Bankgebäude eindrangen. Bis auf den Fahrer hatten alle Täter Pudelmützen mit Sehschlitzen über den Kopf gezogen und sich mit grünen Parkas bekleidet. Mit vorgehaltener Schußwaffe und den Worten: „Überfall! Hände hoch! An die Wand!“ bedrohte einer der Täter vom Tresen des Buchhaltungsschalters aus die Bankangestellten. Ein anderer übersprang die Brüstung zur Sortenkasse und räumte sie aus, während ein dritter Tatbeteiligter in die Hauptkasse eindrang, von der Ablage das dort Vorgefundene Geld in eine Aktentasche packte und mit vorgehaltener Schußwaffe den Kassierer aufforderte, den Tresor zu öffnen.

In der Zwischenzeit war dem in der Nähe der Bank diensttuenden Polizeibeamten Schoner der vor der Bank verkehrswidrig haltende VW-Bus aufgefallen. Als er aus diesem Grunde von der Beifahrerseite an das Fahrzeug herantrat, schoß der in dem VW-Bus verbliebene Gruppenangehörige durch das geschlossene Seitenfenster auf ihn. Schoner wurde von Glassplittern im Gesicht und am Hals verletzt. Sodann gab [176] der Businsasse nochmals einen Schuß ab, der den Beamten in den Rücken traf. Schoner fiel lebensgefährlich verletzt zu Boden, konnte aber dennoch das Feuer erwidern. Danach schleppte er sich zum Eingang der Bank. Als er in gekrümmter Haltung durch die Tür zum Schalterraum trat, feuerte der Täter, der die Sortenkasse ausgeraubt hatte und noch auf dem Tresen hockte, einen gezielten Schuß auf ihn ab. Schoner brach - nunmehr in die Brust getroffen - erneut zusammen. Er verstarb an den Folgen der beiden Verletzungen, von denen jede für sich allein tödlich war (546). Für den im Innern der Bank abgegebenen Schuß fand mit sehr großer Wahrscheinlichkeit der Revolver „Smith & Wesson“ Verwendung, den der Angeschuldigte Raspe bei den noch zu schildernden Ereignissen des 1. Juni 1972 in Frankfurt/Main mit sich führte (547). Aufgrund dieses Vorfalles ergriffen die Bankräuber die Flucht, ohne das Öffnen des Tresors abzuwarten. Eine Damenhandtasche und einen Kassettenrecorder, den einer der Täter beim Betreten der Bank auf einem Tisch abgestellt und eingeschaltet hatte, ließen sie zurück und bestiegen hastig den bereitstehenden VW-Bus, der sich anschließend mit hoher Geschwindigkeit durch die Löwengasse, Wagnerstraße, Kerststraße und Pirmasenser Straße zur Eierstraße entfernte. Dort verließen sie das Fluchtfahrzeug, das von dem Fahrer weiter in Richtung Mozartstraße gesteuert wurde (548).

[177] XVII. Banküberfall am 21. Februar 1972 in Ludwigshafen

Der Überfall auf die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank in Ludwigshafen war für Ende Februar 1972 vorgesehen. Auch zur Vorbereitung dieser Tat beschaffte sich die Gruppe zunächst einen Unterschlupf in Ludwigshafen sowie Kraftfahrzeuge. Ingeborg Barz mietete unter dem Namen „Petra Roetzel“ Mitte Januar 1972 eine in der von-Leyden-Straße 17 gelegene Unterkunft an. Den für den Kalendermonat März fälligen Mietzins überwies Weisbecker. Den entsprechenden Zahlungsbeleg führte Carmen Roll bei ihrer Festnahme am 2. März 1972 in Augsburg mit sich (549).

Die Tatfahrzeuge, den Pkw „BMW 2000“ mit dem amtlichen Kennzeichen HD - JX 23 und den Pkw „Ford 20 M“ mit dem amtlichen Kennzeichen FR - CR 488, entwendete die Gruppe in der Nacht zum 10. Februar 1972 in Heidelberg auf dem Oberen Gaisbergweg (550).

Mit der Abklärung der zu überfallenden Bank und der Auskundschaftung der günstigsten Fluchtwege war u.a. Ingeborg Barz befaßt (551).

Am 21. Februar 1972 führten acht Gruppenmitglieder den Raubüberfall auf die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank in Ludwigshafen, Ludwigsplatz 1, aus. Sie erbeuteten Bargeld in deutscher und ausländischer Währung im Werte von ca. [178] 285.000,-- DM. Während eine weibliche Gruppenangehörige, bei der es sich möglicherweise um Carmen Roll handelte, und ein weiteres Gruppenmitglied als Fahrer der Fluchtfahrzeuge vor dem Bankgebäude warteten, drang gegen 8.30 Uhr Ingeborg Barz zusammen mit etwa fünf anderen Tätern in die Bank ein. Alle waren bewaffnet und hatten sich durch Tücher bzw. eine Fastnachtsmaske unkenntlich gemacht. Drei der Täter, unter ihnen Ingeborg Barz, bedrohten vom Kundenraum aus mit vorgehaltenen Schußwaffen Bankangestellte und Kunden und forderten sie auf, die Hände hoch zu heben und sich an die Wand zu stellen. Außerdem beschimpften sie die Anwesenden mit Worten wie „Drecksäue“ und „Schweine“. Zur weiteren Einschüchterung gab die weibliche Gruppenangehörige auch einen Schuß in die Decke ab. In der Zwischenzeit waren deren Komplizen über den Tresen der Bankschalter gesprungen und in die Hauptkasse eingedrungen. Sie nahmen das in der Kassenbox befindliche Geld in Höhe von ungefähr 100.000,-- DM an sich. Sodann zwangen sie den Kassierer Regh, den Tresor im Keller zu öffnen, wobei sie sich auch das darin verwahrte Papiergeld aushändigen ließen. Danach begaben sie sich zurück in den Schalterraum.

[179] Alle Täter bestiegen anschließend die bereitstehenden Fluchtwagen, die mit hoher Geschwindigkeit in Richtung „Alter Bahnhof“ und anschließend durch die Jägerstraße davonfuhren (552).

XVIII. Rückkehr der Gruppe nach Hamburg und Anmietung weiterer Bandenstützpunkte

Etwa zu derselben Zeit, zu der die Banküberfälle in Kaiserslautern und Ludwigshafen geplant und ausgeführt worden waren, hatte die Gruppe auch in Hamburg für weitere Unterkünfte gesorgt.

Am 5. Januar 1972 mietete Ingeborg Barz die Hamburger Wohnung Heimhuder Straße 82 an (553). Die Mietkaution und den Mietzins für Februar und März 1972 überwies Klaus Jünschke (554). In der Unterkunft, in der von Ingeborg Barz stammende schriftliche Unterlagen (555) und Abdruckspuren von Grashof und Ilse Stachowiak (555a) gesichert wurden, richtete die Gruppe eine neue Fälscherwerkstatt mit einer Repro-Kamera „Agfa Gevaert“ ein (555b). Bis zu der noch näher darzustellenden Entdeckung der Wohnung am 2. März 1972 (556) oblag es, wie schon früher, in erster Linie Grashof, hier die von der Gruppe benötigten Kraftfahrzeugpapiere und Kennzeichenplaketten herzustellen (557). Um in Frank- [180] furt/Main weiter Fuß fassen zu können, mietete die Gruppe auch dort noch eine Wohnung an, und zwar im Hochhaus Inheidenerstraße 69 (558). Auf Veranlassung des Gruppenmitglieds Thomas Weisbecker (559) mietete der Diplompsychologe Wolfgang Pflug am 7. Januar 1972 die vorgenannte Wohnung mit Wirkung ab 15. Januar 1972 (560). Von Weisbecker stammen handschriftliche Eintragungen auf einem Formular „Antrag zum Bezug von elektrischer Arbeit“ (561). Außerdem wurden von ihm drei Einzahlungsbelege, mit denen Miete und Kaution an Wolfgang Pflug überwiesen wurden, ausgefüllt (562). Die Wohnung wurde am 15. Juni 1972 entdeckt und einen Tag später durchsucht (563). Art und Umfang des dort gelagerten Bandenbesitzes (564) lassen erkennen, daß die Wohnung „Pflug“ zumindest einer der Hauptstützpunkte für die Sprengstofftätigkeit der Gruppe war (564a). So wurden bei der Durchsuchung der Wohnung (565) mehrere Sprengkörper und zahlreiches Sprengkörperzubehör sichergestellt. Im einzelnen handelt es sich um

- einen halbkugelförmigen Metallhohlkörper, der bereits mit Sprengstoff und mit Stahlkugeln gefüllt war (566); dazu eine Tragevorrichtung, die es ermöglichte, unter Vortäuschung einer Schwangerschaft den Explosivkörper unter der Kleidung unbemerkt zu transportieren - sog. Baby-Bombe - (567);

[181] - einen zur Zündung noch nicht vorbereiteten Sprengkörper mit Haftmagneten (568);

- zwei zündfertige, Stahlkugeln enthaltende Flüssiggasflaschen (569);

- drei Sprengkörper in Feldflaschenform, von denen zwei bereits gebrauchsfertig gemacht worden waren (570);

- verschiedene Zünder und Zündzubehör (571), Zünderdrähte und -litzen (572), sonstiges Sprengkörperzubehör (573), Schraubkappen und Rohrnippel (573a), Klebeband (574), Uhren und Uhrenteile (574a), Klebemittel (574b) und Spachtelmassen (574c).

Mit Ausnahme der sog. Baby-Bombe wurden gleichartige Sprengkörper und -zubehör bei den noch darzustellenden Sprengstoffanschlägen verwendet, in anderen Bandenstützpunkten gefunden und/oder bei der Festnahme einzelner Gruppenmitglieder sichergestellt (575).

Außer dem sog. roten und grauen Sprengstoff, mit dem die zündfertigen Sprengkörper gefüllt waren (576), wurden in dem Bandenstützpunkt insgesamt 128 kg rotes und 50 kg graues Sprengstoffgemisch gefunden (577). Mit gleichartigen Sprengstoffgemischen waren sowohl die bei den Sprengstoffanschlägen verwendeten, als auch die übrigen sichergestellten Explosivkörper gefüllt (578). Neben den erwähn- [182] ten zündfertigen Sprengstoffgemischen wurden Grundstoffe, die zur Herstellung dieser Sprengstoffe und von Knallquecksilber benötigt werden, entdeckt (579). Einen Teil dieser Grundstoffe, Ammoniumnitrat und Kaliumnitrat, hatte das Bandenmitglied Gerhard Müller im April 1972 in einer Fachhandlung in Frankfurt/Main gekauft (580). Ferner wurden Anleitungen zur Sprengstoffherstellung (581), die mit einschlägigen Funden in der Wohnung „Hübner“, Berlin, Knesebeckstraße, in der Wohnung „Wallenberg“, Berlin, Budapester Straße, und in Bad Homburg übereinstimmen, sowie ein Exemplar des in englischer Sprache abgefaßten „Anarchistisches Kochbuch“[134] mit Sprengstoffrezepten, u.a. auch für den sog. roten und grauen Sprengstoff, sichergestellt (582).

An weiteren Funden in dieser Wohnung sind insbesondere das Typenschild einer Flüssiggasflasche, ein Schraubendreher, ein Kraftfahrzeugkennzeichenpaar GL - CW 145, ein Plastikteil, ein Schweißbrennergriffstück und Schlagzahlen von Bedeutung. Das Typenschild war ursprünglich an einer der beim Sprengstoffanschlag in Heidelberg als Sprengkörper verwendeten Gasflasche befestigt (583). Mit dem Schraubendreher war ein anderes Typenschild, das in der noch darzustellenden Bandengarage im Hofeckweg in Frankfurt/Main sichergestellt worden ist, von einer weiteren beim Sprengstoffanschlag in Heidelberg als Sprengkörper verwendeten [183] Gasflasche abgetrennt worden (584). Bei dem Kennzeichenpaar handelt es sich um die Originalkennzeichen des einen der beiden beim Sprengstoffanschlag in Heidelberg eingesetzten Tatfahrzeuge, des Pkw Ford 17 M (585). Das Plastikteil ist das Paßstück zu einem beim Sprengstoffanschlag in Hamburg sichergestellten Plastikteil, das als Bodenteil an dem Zünder einer nicht detonierten Bombe angebracht war (586). Das Schweißbrennergriffstück war zusammen mit umfangreichem Sprengmaterial von der Gruppe am 2./3. April 1972 auf dem Steinbruchgelände der Casseler Basaltwerke in Oberaula/Hess, entwendet worden (587). Mit den Schlagzahlen wurden u.a. die Fahrgestellnummern an dem in der Gruppengarage Frankfurt/M, Ginnheimer Landstraße, aufgefundenen Pkw VW 411 „Variant“ und dem im Zusammenhang mit der Festnahme der Angeschuldigten Baader, Meins und Raspe sichergestellten Pkw Porsche 911 „Targa“ verändert und Zahlen in ein in der Bandenunterkunft Hamburg, Ohlsdorfer Straße, vorgefundenes Typenschild „Opel-Manta“ eingeschlagen (587a).

Neben diesen mit der Fertigung und Verwendung von Sprengkörpern in Zusammenhang stehenden Funden wurden in diesem Bandenstützpunkt u.a. Waffen, Munition (588), Werkzeug (589) - so u.a. eine Blindnietenzange, mit der das Typenschild an dem in der Garage Frankfurt/M, Ginnheimer Landstraße, sichergestellten VW Variant befestigt worden ist (589a) -, Kfz-Kennzeichenhalter (590), Kennzeichenfrag- [184] mente (591) und eine Vielzahl handschriftlicher Aufzeichnungen, darunter Rezepturen und Berechnungen für das sog. „graue Sprengstoffgemisch“ (591a), sichergestellt (592), von denen einzelne von den Angeschuldigten Meinhof (593) und Ensslin (594) sowie von den Bandenangehörigen Gerhard Müller (595), Raspe (595a) und Jünschke (596) abgefaßt sind. Die Angeschuldigte Ensslin ist auch als Kundin des neben dem Bandenunterschlupf gelegenen HL-Marktes wiedererkannt worden (597). Außerdem wurde in der Bandenunterkunft eine Schreibmaschine Marke „Erika“, Seriennummer 571 609/6, entdeckt (598), auf der zahlreiche mit der Bandentätigkeit in Beziehung stehende Schriftstücke - darunter auch in dieser Wohnung gefundene (598a) - geschrieben worden sind (599).

Mit Ausnahme der Angeschuldigten Meinhof, die nur als mögliche Spurenverursacherin in Betracht kommt, haben alle anderen Angeschuldigten und die Bandenangehörigen Braun und Gerhard Müller eindeutig ihnen zuzuordnende Fingerabdruckspuren in dieser Wohnung hinterlassen (600). Die Angeschuldigte Meinhof und das Bandenmitglied Irmgard Möller hatten bei ihren Festnahmen je einen Schlüssel zu dem Türschloß der Wohnung bei sich (601). Bei Irmgard Möller konnten noch weitere Schlüssel sichergestellt werden, und zwar ein zu einem von der Gruppe nachträglich [185] an einer Zimmertür angebrachten Sicherheitsschloß (602) und ein zum Briefkasten passender Schlüssel (603). Gleiche Briefkastenschlüssel wurden auch bei der Angeschuldigten Ensslin und dem Bandenmitglied Weisbecker gefunden (604).

Außer der Wohnung in der Inheidener Straße beschaffte sich die Gruppe in Frankfurt/M noch eine Garage, um auch dort wie schon in Hamburg insbesondere einen Abstellplatz für die von Gruppenangehörigen entwendeten Kraftfahrzeuge und einen Lagerraum für Bandengut zur Verfügung zu haben. Ein bisher noch nicht identifizierter Gruppenangehöriger oder Sympathisant mietete die im Anwesen Hofeckweg 2-4 gelegene Garage Nr. 2 unter dem Falschnamen „Gerhard Allemann“ am 31. Januar 1972 an (605). Von dem Mieter stammen wahrscheinlich auch zwei Mieteinzahlungsbelege für April und Mai (606).

Am 1. Juni 1972 wurden die Angeschuldigten Baader, Meins und Raspe in dieser Garage oder in ihrer Nähe festgenommen (607). Neben Abdruckspuren der Angeschuldigten Baader und Meins (608) wurde in der Garage zahlreiches beweiserhebliches Material gefunden. Im einzelnen handelt es sich um

eine Flüssiggasflasche (610);

die Gasflasche entspricht in ihrer Größe den beiden mit Sprengstoff und Stahlkugeln gefüllten [186] Sprengkörpern aus dem Bandenstützpunkt Frankfurt/M, Inheidenerstraße;

eine gleichgroße Gasflasche wurde auch beim Sprengstoffanschlag in Heidelberg verwendet (611);

das Typenschild einer Flüssiggasflasche (612);

das Typenschild befand sich ursprünglich an einer beim Sprengstoffanschlag in Heidelberg zur Explosion gebrachten Flüssiggasflasche und war mit einem in der Gruppenunterkunft Frankfurt/M, Inheidenerstraße, sichergestellten Schraubendreher abgetrennt worden (613);

ein Stück Rundstahl (614);

Rundstähle mit gleichem Durchmesser wurden in der Bandenunterkunft Inheidenerstraße an dem Sprengkörper mit Haftmagneten sichergestellt;

sie befanden sich außerdem an den bei Sprengstoffanschlägen in Karlsruhe und Augsburg verwendeten Explosivkörpern (615);

ein Stück Aluminiumrohr (616);

Aluminiumrohre mit gleichem Durchmesser und gleicher Wandstärke sind in dem Bandenstützpunkt Inheidenerstraße sichergestellt worden (6l6a);

einen Kunststoffeimer mit 9-10 kg grauen Sprengstoffgemisches (617);

drei leere Kunststoffeimer, eine Kunststoffschaufel, einen Abfülltrichter sowie weiteres Abfüllgerät (618);

an allen Gegenständen befanden sich Bestandteile des sog. grauen Sprengstoffes, an einigen Gegenständen Spuren von Bestandteilen des sog. roten Sprengstoffgemisches (619);

[187] vier Kartons mit je 1,6 kg Holzkohle und fünf Kartons mit je 2,3 kg Schwefel (620);

ein gleicher Karton Schwefel wurde in der Gruppenunterkunft Frankfurt/M, Inheidenerstraße, sichergestellt (620a);

Holzkohle und Schwefel sind Bestandteile des sog. grauen Sprengstoffgemisches (621);

verschiedenes Klebeband (622);

das Klebeband stimmt in Farbe, Breite und Qualität mit Klebebandteilen überein, die sich u.a. an Funden in Bad Homburg befanden (623) und beim Sprengstoffanschlag in Hamburg verwandt wurden (623a);

zwei Kennzeichendoubletten UL - CS 23;

an einem Kennzeichen befand sich ein Fingerabdruck des Angeschuldigten Meins (624);

ein zum Garagenschloß passender Schlüssel;

ein gleicher Schlüssel wurde bei dem Bandengut in Bad Homburg sichergestellt (625);

Brandreste eines Reisepasses und eines Bundespersonalausweises,

die auf die Personalien des Pfarrvikars Kornelius Burghardt ausgestellt waren (626); Burghardt hatte beide Ausweise im Herbst 1971 der Angeschuldigten Meinhof überlassen (627);

Brandreste eines weiteren Reisepasses und eines Führerscheins,

die mit den Personalien des Studenten Werner Georgi versehen waren (628); Georgi behauptet, die Ausweise verloren zu haben, oder sie seien ihm abhandengekommen (629).

[188] In der Garage konnte außerdem ein Pkw Iso Rivolta (Halter: Dr. Dietrich Gottwald) mit den Kennzeichendoubletten OF - R 821 sichergestellt werden (630), der am 11. April 1972 vor dem Anwesen [Anschrift] in Frankfurt/M entwendet worden war (631). Im Pkw, in dem zwei Fingerabdrücke des Angeschuldigten Baader gesichert werden konnten (632), befand sich neben den zwei für diesen Pkw ausgegebenen Kennzeichenschildern D - KY 761 (633) ein totalgefälschter, auf das Falschkennzeichen ausgestellter Kraftfahrzeugschein (634), der druckbildidentisch mit zahlreichen anderen sichergestellten Falsifikaten ist (635). Eine Messingdose mit Ostergras, die sich zum Zeitpunkt des Diebstahls im Pkw befunden hatte, sowie ursprünglich am Kraftfahrzeug angebrachte Typenschilder sind in der Bandengarage Ginnheimer Landstraße in Frankfurt/M gefunden worden (636).

Der Pkw Porsche Targa 911 S, mit dem die Angeschuldigten Baader, Meins und Raspe am Morgen des 1. Juni 1972 vor ihrer Festnahme zum Hofeckweg gefahren waren (636a), war mit den Kennzeichendoubletten KN - CU 90 versehen (637). Er war dem Halter Rainer Schlegelmilch in der Nacht zum 11. Januar 1972 vor dem Hause [Anschrift] in Frankfurt/M entwendet worden (638). Der Angeschuldigte Raspe ist Ende April/Anfang Mai 1972 im Stadtteil Bornheim von Frankfurt/M als Fahrer dieses Pkw gesehen worden (639). Auch der Angeschuldigte Baader ist in dem genannten [189] Zeitraum als Gast einer ebenfalls im Stadtteil Bornheim gelegenen Gaststätte wiedererkannt worden (640).

Um das Auffinden des Fahrzeugs zu erschweren, war nicht nur das amtliche Kennzeichen F - RS 700 gegen die angeführten Falschkennzeichen ausgewechselt worden, sondern auch die ursprüngliche Farbe des Pkw „chromgelb“ fachmännisch in „aubergine“ umgespritzt worden; außerdem war mit in dem Bandenstützpunkt Inheidenerstraße sichergestellten Schlagzahlen die Fahrgestellnummer teilweise verändert worden (641). Eine Segeljacke und zwei Fellbezüge, die sich zum Zeitpunkt des Diebstahls in dem Pkw befunden hatten, sind in den von der Gruppe benutzten Garagen Haldesdorfer Straße und Schillingskoppel in Hamburg gefunden worden (642). An beweiserheblichen Gegenständen wurden in dem Fahrzeug neben einer Kunststoffschaufel, an der sich Bestandteile des sog. roten Sprengstoffgemisches befanden (643), und einem totalgefälschten, auf das Falschkennzeichen KN - CU 90 ausgestellten Kraftfahrzeugschein (644), der druckbildidentisch ist mit weiteren in Gruppenunterkünften sichergestellten Kraftfahrzeugscheinen (644a), Sprengkörper sowie Waffen und Munition gefunden. Im einzelnen handelt es sich um

einen Sprengkörper in Kassettenform,

der mit 2,56 kg des sog. roten Sprengstoffgemisches gefüllt war (645); drei noch nicht zu Sprengkörpern umgearbeitete Geldkassetten wurden in Bad Homburg sichergestellt (646);

[190] einen zündfertigen Sprengkörper in Handgranatenform (647);

Sprengkörper dieser Art wurden in Bad Homburg sowie bei den Festnahmen der Angeschuldigten Meinhof und der Bandenmitglieder Müller, Braun und Brigitte Mohnhaupt sichergestellt (648);

einen mit fünf Patronen geladenen Revolver Marke Smith & Wesson (649);

eine Maschinenpistole Marke Sterling,

in der sich ein Magazin mit 31 Patronen befand, sowie zwei weitere Magazine, die mit 32 und 33 Patronen gefüllt waren (650).

Außerdem befand sich in diesem Kraftfahrzeug u.a. ein Schlüssel, der zu dem Lenkradschloß des Pkw Peugeot 504, amtliches Kennzeichen HH - RK 1690, paßte (651). Dieser Pkw, der Horst Köster in der Nacht zum 8. Mai 1972 vor dem Anwesen [Anschrift] in Hamburg entwendet worden war (652), wurde am 1. Juni 1972 nach der Festnahme der Angeschuldigten Baader, Meins und Raspe mit den Kennzeichendoubletten PLÖ - P 244 vor dem Hause Bergerstraße 379 in Frankfurt/M sichergestellt (653). Im Pkw wurde ein Fingerabdruck des Angeschuldigten Meins gesichert (654). Im Fahrzeug befanden sich die amtlichen Kennzeichen (655) und ein totalgefälschter, auf das Falschkennzeichen ausgestellter Kraftfahrzeugschein (656), der druckbildidentisch ist mit weiteren in Gruppenunterkünften sichergestellten Falsifikaten (656a). Eine der Ehefrau des Fahrzeughalters gehörende Brille mit rotem Etui, die zum Zeitpunkt des Diebstahls im Pkw gelegen hatte, wurde in der Bandenwohnung Hamburg, Ohlsdorfer Straße, sichergestellt (657).

[191] XIX. Der „Baader-Brief“

Bezeichnend dafür, wie die Bande selbst ihre Straftaten wertete, ist der sog. „Baader-Brief“. Hiermit hat es folgende Bewandtnis:

In der Nacht zum 24. Januar 1972 wies ein bisher noch unbekannter Informant eine Münchener Nachrichtenagentur fernmündlich auf ein in deren Briefkasten befindliches Schreiben der Baader-Meinhof-Gruppe hin.

In einem unbeschrifteten Luftpostumschlag befand sich ein mit Schreibmaschine gefertigtes Schriftstück ohne Empfängerangabe. Der Brief war von dem Angeschuldigten Baader unterschrieben und mit dem Abdruck seines rechten Daumens versehen worden. Außerdem konnten darauf zwei vom linken Ringfinger Baaders stammende Abdruckspuren und eine von ihm herrührende Teilhandflächenspur sichtbar gemacht werden (658).

Weitere kriminaltechnische Untersuchungen haben ergeben, daß das Schreiben u.a. druckbildidentisch ist mit dem Tatbekenntnisbrief der „Roten Armee Fraktion“ vom 14. Mai 1972 zum Sprengstoffanschlag am 11. Mai 1972 auf das Hauptquartier des V. US-Armee-Korps in Frankfurt/M (659). Die zur Fertigung der Mitteilung benutzte Schreibmaschine konnte am 16. Juni 1972 in der Unterkunft „Pflug“, Frankfurt/M - Bornheim, Inheidenerstraße 69, sichergestellt werden (660).

[192] Der Brief ist als Erwiderung auf eine am 22. Januar 1972 veröffentlichte Meldung einer westdeutschen Tageszeitung anzusehen. Dieser wahrscheinlich unrichtigen Pressenotiz zufolge hatte Baader einem Hamburger Rechtsanwalt über einen Mittelsmann angeboten, sich bei Zusicherung von Straffreiheit zu stellen und umfassend auszusagen (661).

Seinen Ausführungen in dem Brief stellt der Angeschuldigte Baader das Wort Marighellas voran:

„Die Bullen werden solange im Finstern tappen, bis sie sich gezwungen sehen, die politische in eine militärische Situation umzuwandeln.“

Im folgenden nimmt er Bezug auf die „Ausbildung der ersten zwanzig in Jordanien“ und führt u.a. aus, die Arbeit der RAF sei geheim; die „Sicherheitskräfte“ und die Presse wüßten nichts. Alles, was geschrieben worden sei, sei Spekulation oder Gegenpropaganda mit dem Ziel, Theorie und Praxis der Stadtguerilla zu diffamieren und einen Keil zwischen sie und ihre Basis zu treiben.

Wörtlich fährt er fort:

„Ich denke nicht daran, mich zu stellen. ...

Erfolgsmeldungen über uns können nur heißen: verhaftet oder tot. Die Stärke der Guerilla ist die Entschlossenheit jedes einzelnen von uns. ...

Wir sind hier, um den bewaffneten Widerstand gegen die bestehende Eigentumsordnung und die fortschreitende Ausbeutung des Volkes zu organisieren. Die Aktion der RAF jetzt ist die Bildung politisch-militärischer Kader, [193] die Verbesserung der Bewaffnung und der Ausbildung der Revolutionäre, die Verankerung der Gruppen in der Sympathisantenszene, die bereit ist, den bewaffneten Widerstand zu unterstützen.

Die taktische Linie, der wir jetzt folgen, ist die Entwicklung der Propaganda der Stadtguerilla in den noch legalen revolutionären Organisationen und der Aufbau einer breiten logistischen Basis in allen Schichten des Volkes. ...

Wenn der Preis für unser Leben oder unsere Freiheit der Verrat am antikapitalistischen Kampf sein soll, so ist dazu zu sagen: wir zahlen ihn nicht.

Der bewaffnete Kampf entwickelt sich nicht von Schlagzeile zu Schlagzeile.

Die politisch-militärische Strategie der Stadtguerilla reicht vom Widerstand gegen die Faschisierung der parlamentarischen Demokratie bis zum Aufbau der ersten regulären Einheit der Roten Armee im Volkskrieg. Der Kampf hat erst begonnen.“

XX. Schußwechsel am 17. Januar 1972 in Köln

Kurz bevor der Angeschuldigte Baader den vorgenannten Brief der Münchener Nachrichtenagentur zuspielte, war es zu einem Schußwechsel zwischen ihm und einem Polizeibeamten gekommen. Am 17. Januar 1972 gegen 19.40 Uhr schoß Baader im Hafen von Köln-Niehl auf den Polizeibeamten Holz, um sich dadurch der Festnahme zu entziehen. Holz war seinerzeit Polizeiobermeister, jetzt ist er freiberuflich tätig. Am Tattage fuhr er im Polizeiabschnitt Köln-Nord mit dem Krad K - 3516 Streife und gelangte gegen 19.40 Uhr auf das Gelände des Hafens in Köln-Niehl. Hier, auf der Ladestraße des West-Kai, bemerkte er am Ende einer Wendeschleife einen Pkw Marke BMW mit dem Falschkennzeichen B - MS 470. Das Fahrzeug stand unbeleuchtet, aber mit laufendem Motor [194] in Richtung auf das Tor I der Hafenausfahrt (662). Wegen des Fahrzeugtyps, BMW 2000 Tilux, und des Berliner Kennzeichens dachte der Polizeibeamte sofort an die Fahndung nach Mitgliedern der Baader-Meinhof-Gruppe und beschloß, die Fahrzeuginsassen zu überprüfen. Er stellte das Krad mit laufendem Motor und eingeschaltetem Scheinwerfer kurz hinter dem Pkw ab, so daß der Lichtkegel das Fahrzeuginnere durch die Heckscheibe erleuchtete (663). Holz zog die Handschuhe aus und nahm seine Dienstpistole durchgeladen und gesichert in die rechte Hand. Er trat von hinten an die Fahrertür heran und klopfte an die Scheibe. Die hinter dem Steuer sitzende Person, der Angeschuldigte Baader (664), drehte daraufhin die Seitenscheibe vollständig herunter und sah den Beamten an. Dieser stand jetzt halb schräg vor der Fahrertür. Er hatte das linke Bein, auf dem sein Körpergewicht ruhte, vorgestellt und eine leicht gebückte Haltung eingenommen, um ins Wageninnere blicken zu können. Die Dienstpistole hielt Holz in der rechten Hand, schräg abwärts gerichtet in Höhe der unteren Fensterkante (665).

Auf die Aufforderung, die Fahrzeugpapiere zu zeigen, antwortete der Angeschuldigte: „Einen Moment bitte“ und beugte sich nach rechts, über die Beine seines unbekannt gebliebenen Beifahrers hinweg zum Handschuhfach. Er entnahm ihm eine Faustfeuerwaffe mit langem Lauf, richtete sie auf Holz und schoß sofort (666).

[195] Der Polizeibeamte hatte die Waffe gesehen und die Gefahr erkannt. Er hatte deshalb das Körpergewicht auf den rechten Fuß verlagert, sich aufgerichtet und den Oberkörper bis in Höhe des Türschlosses zurückgezogen (667). Daher verfehlte ihn der Schuß. Baader nutzte diesen Augenblick, in dem Holz zurückgewichen war, fuhr sofort an und entkam. Zwei von dem Polizeibeamten auf den davonfahrenden Wagen abgegebene Schüsse konnten die Flucht nicht verhindern (668).

Bei dem Schuß aus kurzer Entfernung auf Holz nahm der Angeschuldigte dessen Tötung in Kauf. Er handelte damit dem übereinstimmenden Willen der Angehörigen der Baader-Meinhof-Gruppe, sich bei einer drohenden Festnahme den Fluchtweg freizuschießen und dabei keine Rücksicht auf Menschenleben zu nehmen (669).

XXI. Begründung und Ausbau von Stützpunkten in Stuttgart

Anfang 1972 bemühte sich die Gruppe im Raume Stuttgart um neue Stützpunkte. Das Bandenmitglied Irmgard Möller mietete unter dem Decknamen „Gisela Zerbel“ am 23. Februar 1972 eine in dem Anwesen Stuttgart, Seidenstraße 71, gelegene Wohnung an. Schlüssel, die bei der Festnahme der Angeschuldigten Ensslin am 7. Juni 1972 in Hamburg sichergestellt wurden, paßten zu der Schließanlage des am 25. Juni 1972 entdeckten Unterschlupfes; ein ebenfalls bei Gudrun Ensslin gefundener Briefkastenschlüssel stimmt völlig mit [196] einem Briefkastenschlüssel überein, der in der vorerwähnten Wohnung aufbewahrt worden ist (670). Neben schriftlichen Unterlagen von ihrer Hand konnten in der Wohnung auch Abdruckspuren der Irmgard Möller gesichert werden (671). Weiterhin verschaffte sich die Gruppe für die Zeit ab 1. März 1972 eine Unterkunft im Hause Stuttgart, Obere Weinsteige 66. In der von dem noch nicht identifizierten Winfried Strobel angemieteten Wohnung, die gleichfalls am 25. Juni 1972 ausgehoben wurde, trafen später die Angeschuldigten Baader und Ensslin u.a. mit Anarchisten aus der Schweiz zusammen (672).

Der bereits im Zusammenhang mit der Fälschertätigkeit des Konieczny erwähnte Rechtsanwalt Lang, Stuttgart, (673) brachte die Angeschuldigten Baader und Ensslin zwischen dem 14. und 19. Februar 1972 mit der Diplompsychologin Emiliane Molsen zusammen. Diese räumte den beiden in sechs Fällen Übernachtungsmöglichkeiten - letztmals in der Zeit um den 21. April 1972 - in ihrer Wohnung in Tübingen, Hallstattstraße 35, ein. Gleichzeitig gab sie ihnen Gelegenheit, sich dort mit anderen Personen zu treffen. Anläßlich dieser Besuche fiel der Quartiergeberin auf, daß jedenfalls der Angeschuldigte Baader mit einer Pistole bewaffnet war. Beide Angeschuldigten äußerten hierzu, sie würden sich „im Falle des Aufgestöbertwerdens ihren Fluchtweg freischießen“.

[197] Am 11. April 1972 mietete Emiliane Molsen für die Gruppe eine in Stuttgart-Degerloch, Pischeckestraße 17 A, gelegene Eigentumswohnung, für deren Einrichtung sie von der Angeschuldigten Ensslin 400,-- US-Dollar und später von Irmgard Möller weitere 2.300,-- DM erhielt.

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, daß die Angeschuldigten Baader und Ensslin sowie andere Mitglieder und Helfer der Bande in der Wohnung von Emiliane Molsen u.a. die Vorbereitung und Planung von Sprengstoffanschlägen erörtert haben. Dies folgt aus der Tatsache, daß Emiliane Molsen Ende März/Anfang April 1972 versehentlich ein für ihre Besucher bestimmtes Päckchen öffnete, das ersichtlich Hinweise für die Fertigung von Sprengmitteln enthielt. Auch erinnert sich Frau Molsen an Fotokopien eines wissenschaftlichen Beitrages über den Sprengstoff TNT. Eine umfangreiche handschriftliche Aufzeichnung bestand aus Angaben über bestimmte bei der Herstellung chemischer Gemische zu beachtende Wärmegrade. Zudem erkannte Frau Molsen bei Einblicken in das von den Angeschuldigten Baader und Ensslin benutzte Wohnzimmer zweimal verschiedene Gefäße, die üblicherweise der Aufbewahrung chemischer Substanzen dienen. Die Flaschen wurden von den Besuchern jeweils wieder aus der Wohnung gebracht (674).

[198] XXII. Schußwechsel am 2. März 1972 in Hamburg

Am 2. März 1972 hatte die Hamburger Polizei aufgrund eines Hinweises die Banden-Wohnung in der Heimhuder Straße 82 (675) überprüft und aus der Einrichtung geschlossen, daß sich hier Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe verborgen hielten. Der Unterschlupf wurde deshalb von den Kriminalbeamten Eckhardt, Petersen, Feske und Mann besetzt. Als gegen 22.45 Uhr Grashof und Grundmann die Wohnung betraten, rief ihnen Eckhardt zu: „Polizei! Hände hoch!“ Grundmann erhob sofort die Hände und rief wahrheitswidrig: „Nicht schießen, ich bin nicht bewaffnet!“ Eckhardt und Petersen gingen daraufhin auf Grundmann zu, um ihn zu durchsuchen. Dies nützte Grashof, der hinter Grundmann verdeckt stand, aus und schoß mit einem mitgeführten Revolver auf die Beamten. Dabei traf er Eckhardt mit je einem Schuß in den Unterleib und in die Brust. Die Beamten Petersen und Feske erwiderten sofort das Feuer. Grashof rannte ins Treppenhaus. Dort trafen ihn mehrere von Mann abgefeuerte Schüsse am Kiefer und am Arm. Grashof kam zu Fall und wurde festgenommen.

Eckhardt verstarb am 22. März 1972 an den Folgen der Schußverletzungen (676).

[199] Außer der von Grashof benutzten Waffe wurden am Tatort noch eine Selbstladepistole und eine in einem Koffer verpackte Maschinenpistole gefunden. Eine weitere Pistole wurde Grundmann abgenommen (677). Das Strafverfahren gegen Grashof und Grundmann ist derzeit bei dem Landgericht in Kaiserslautern (2 Js 357/71) anhängig; dieses Verfahren richtet sich auch gegen das Bandenmitglied Jünschke.[135]

XXIII. Schußwechsel am 2. März 1972 in Augsburg

Ebenfalls am 2. März 1972 wurde in Augsburg das inzwischen rechtskräftig abgeurteilte[136] (677a) Gruppenmitglied Carmen Roll festgenommen. Ihr Begleiter, der Bandenangehörige Weisbecker, wurde, als er zur Waffe greifen wollte, durch einen Polizeibeamten tödlich verletzt (678).

Der Schußwechsel gab Veranlassung, den bereits zuvor polizeilich beobachteten Bandenstützpunkt in dem Appartementhaus Georgenstraße 41/I in Augsburg zu durchsuchen. Diese Räumlichkeiten waren am 13. Dezember 1971 unter dem Namen „Martina Neuendorff“ für die Gruppe gemietet worden. Die Wohnung war jedoch schon Mitte Februar 1972 entdeckt worden, nachdem in dem im Zusammenhang mit dem Kaiserslauterner Banküberfall erwähnten Frankfurter Unterschlupf Ludwig-Landmann-Straße 343 (679) zerrissene schriftliche [200] Unterlagen gefunden worden waren, die auf in Augsburg abgeschlossene Wohnungsvermittlungsverträge hindeuteten (680). An einigen in der Unterkunft sichergestellten Gegenständen haben Weisbecker und Ingeborg Barz Abdruckspuren hinterlassen (681); auch Carmen Roll hielt sich dort auf (682). Ein in der Bekleidung Weisbeckers verwahrter Schlüssel paßte zu der Eingangstür des Unterschlupfes (683). Die Kaution war am 28. Dezember 1971 von Kassel aus an den mit der Vermittlung der Wohnung betrauten Makler überwiesen worden (684). Einen in der Unterkunft entdeckten Einzahlungsbeleg hat Weisbecker beschriftet (685).

XXIV. Die RAF-Schrift „Stadtguerilla und Klassenkampf“[137]

Im April 1972 wurde von Regensburg und Berlin aus unter dem Titel „Stadtguerilla und Klassenkampf“ eine weitere RAF-Schrift verbreitet. Die stilistische Ausgestaltung des Druckwerks sowie in der Schweiz vorgefundene handschriftliche Notizen der Angeschuldigten Meinhof lassen wie bei der RAF-Schrift „Das Konzept Stadtguerilla“ darauf schließen, daß wesentliche Teile der Schrift von Ulrike Meinhof zumindest mitverfaßt sind (686). Die 60seitige Kampfschrift behandelt vorwiegend tages- und wirtschaftspolitische Ereignisse sowie Fragen des Klassenkampfes.

In einem besonderen Unterabschnitt

„Über Bankraub“

heißt es:

[201] „Manche sagen: Bankraub ist nicht politisch. Aber seit wann ist die Frage der Finanzierung einer politischen Organisation keine politische Frage. Die Stadtguerillas in Lateinamerika nennen Bankraub ,Enteignungsaktionen‘. Niemand behauptet, daß der Bankraub für sich an der Ausbeuterordnung etwas verändert. Für die revolutionäre Organisation bedeutet er erstmal nur die Lösung ihres Finanzierungsproblems. Er ist logistisch richtig, weil anders das Finanzierungsproblem gar nicht zu lösen ist. Er ist politisch richtig, weil er eine Enteignungsaktion ist. Er ist taktisch richtig, weil er eine proletarische Aktion ist. Er ist strategisch richtig, weil er der Finanzierung der Guerilla dient.

Ein Politikbegriff, der sich von der parlamentarischen Demokratie herleitet, der Politikbegriff des Konkurrenzkapitalismus, der den Klassenantagonismus nur als Spiel der Kräfte erfaßt, der die Institutionen des Klassenstaates noch für Institutionen eines Rechtsstaats hält und Fortschritt und Humanität darin für gut aufgehoben, kann Bankraub nicht erfassen. In den Metropolen des Imperialismus kann die Organisierung des antiimperialistischen Kampfes als gleichzeitig legalem und illegalem, politischem und bewaffnetem Kampf auf den Bankraub nicht verzichten. Er gibt die Richtung an, die gemeint ist: Enteignung; und die Methode, mit der die Diktatur des Volkes gegen die Feinde des Volkes nur errichtet werden kann: bewaffnet.“

In einem weiteren Unterabschnitt, der die Überschrift

„Über Solidarität“

trägt, wird ausgeführt:

 „Der revolutionäre Prozeß ist eben deswegen einer, weil er die Gesetze kapitalistischer Warenproduktion und Austauschs sich zum Objekt macht und nicht ihr Objekt ist. Er kann nicht mit den Kriterien dieses Marktes gemessen werden. Er kann nur mit den Kriterien gemessen werden, die gleichzeitig die Erfolgskriterien dieses Marktes außer Kraft setzen.

Solidarität, indem sie nicht von den Kriterien des Marktes ausgeht, setzt diese außer Kraft, Solidarität ist politisch, nicht erst als Solidarität mit Politi- [202] schen, sondern als Weigerung, nur unter dem Büttel des Wertgesetzes, nur unter dem Aspekt von Tauschwert zu handeln. Solidarität ist ihrem Wesen nach herrschaftsfreies Handeln, als solches immer Widerstand gegen den Einfluß der herrschenden Klasse auf die Beziehungen der Menschen zueinander, als Widerstand gegen die herrschende Klasse immer richtig. Im Sinne des Systems sind Leute, deren Handlungen sich nicht an den Erfolgskriterien des Systems orientieren, Ausgeflippte und Trottel oder Versager. Im Sinne der Revolution ist jeder, der sich solidarisch verhält, wer es auch sei, ein Genosse.

Solidarität wird zur Waffe, wenn sie organisiert und konsequent angewendet wird: Gegenüber Gerichten, Polizei, Behörden, Vorgesetzten, Spitzeln, Verrätern. Wenn jede Zusammenarbeit mit denen verweigert wird, ihnen keine Mühe erspart, kein Beweis erleichtert, keine Information geschenkt, kein Aufwand abgenommen wird. Zur Solidarität gehört: den Liberalismus innerhalb der Linken bekämpfen, Widersprüche innerhalb der Linken wie Widersprüche im Volk behandeln und nicht so, als seien sie der Klassenwiderspruch.

Jede politische Arbeit ist auf Solidarität angewiesen. Ohne Solidarität ist sie der Repression schutzlos ausgeliefert“ (687).

XXV. Anmietung der Bandenwohnung Offenbach a.M, Schloßstraße 20-22

Anläßlich der Durchsuchung des in diesem Abschnitt bereits behandelten Bandenunterschlupfes Neu-Ulm, Brückenstraße 3, stieß die Polizei u.a. auf eine Ausfertigung eines am 10. Mai 1972 geschlossenen Vertrages, durch den ein Hamburger Versicherungsunternehmen den Schauspieler Wolf-Dieter Tropf eine Ein-Zimmer-Wohnung in dem Anwesen Offenbach a.M., Schloßstraße 20-22, vom 1. Juni 1972 an mietweise überlassen hatte (688). Daraufhin wurde am 27. September 1972 auch diese Wohnung durchsucht (689).

[203] Am 23. Mai 1972 ging bei dem Fernmeldeamt in Frankfurt/M ein Antrag auf Einrichtung eines Fernsprechanschlusses für diese Wohnung ein (690). Schriftvergleichende Untersuchungen ergaben, daß der mit dem Namen des Mieters unterzeichnete Vordruck mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von der Angeschuldigten Ensslin beschriftet worden ist (691). Verschiedene Zahlkartenformulare, mit denen Mietzinszahlungen getätigt worden sind, wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit von Gerhard Müller ausgefüllt (692). Verschiedene Zeugen haben Jünschke und Irmgard Möller als Benutzer der Unterkunft erkannt (693). Einer dieser Zeugen ist im Oktober 1973 von einem unbekannten Angehörigen, Helfer oder Sympathisanten der Bande bedroht worden (694).

[204] C

Die Sprengstoffanschläge

Der bewaffnete Kampf aus dem Untergrund war - wie bereits dargelegt - das erklärte Ziel der Gruppe. Er sollte beginnen, sobald eine Untergrundorganisation geschaffen war, die gestützt auf Sympathisanten aus allen Schichten des Volkes über Stützpunkte, Verstecke, Werkstätten, Nachrichtensysteme, Waffen, Munition, Autos, Papiere und dergleichen verfügen würde. Das war der notwendige illegale Apparat, der die erforderliche Beweglichkeit verschaffen sollte, um nennenswerte Angriffe mit möglichst geringem persönlichem Risiko durchführen zu können (1).

Das zum Aufbau einer solchen „soliden Infrastruktur“ (2) erforderliche Geld beschaffte sich die Gruppe durch dreist durchgeführte Banküberfälle, bei denen sie rücksichtslos von der Schußwaffe Gebrauch machte. Die Polizei reagierte mit gezielter Großfahndung unter Einsatz von Presse, Rundfunk und Fernsehen. Zahlreiche Schlupfwinkel wurden ausgehoben, weitere Gruppenmitglieder verhaftet. Für große Teile der Öffentlichkeit waren sie nur noch apolitische Kriminelle. Unter den „extrem Linken“ mehrten sich gleiche Verdächtigungen und Vorwürfe. Die Gruppe wurde unsicher. In ihr setzte sich deshalb mehr und mehr die Auffassung [205] durch, schon jetzt müsse die Gruppe mit gezielten Terrorakten ihre Schlagkraft beweisen. Dadurch sollte die Polizei gleichzeitig über den tatsächlichen Zustand der Gruppe getäuscht und die Fahndung durch möglichst viele Ermittlungseinsätze gestört werden.

In dieser Lage entschloß sich die Gruppe im März 1972, eine Serie von Sprengstoffanschlägen durchzuführen, mit der sie auch die Freilassung verhafteter Gruppenangehöriger erzwingen wollte (3).

In der Zeit vom 11. bis 24. Mai 1972 verübte die Gruppe in Frankfurt/M, Augsburg, München, Karlsruhe, Hamburg und Heidelberg sechs Bombenanschläge. Sie forderten vier Menschenleben, 72 zum Teil erheblich Verletzte und verursachten hohen Sachschaden.

I. Frankfurt/M, Grüneburgpark (Fürstenberger Straße)[138]

Hauptquartier des V. Corps der US-Armee

1. Am späten Nachmittag des 11. Mai 1972 brachten der Angeschuldigte Baader und das Gruppenmitglied Jünschke zusammen mit anderen Mitgliedern der Gruppe drei selbstgefertigte Sprengkörper auf das Gelände des V. Corps der US-Armee in Frankfurt/M im Grüneburgpark. Sie wollten die Bomben an belebten Plätzen zur Explosion bringen, um Menschen zu töten oder wenigstens zu verletzen. Zwei Bomben stellten sie im Vorraum der Eingangshalle (auch Rotun- [206] de genannt) des IG-Hochhauses[139] ab, in dem das Hauptquartier untergebracht ist, die dritte unmittelbar neben dem Windfang vor dem Haupteingang zum Offizierskasino. Zu dieser Zeit hielten sich in und vor beiden Gebäuden Menschen auf.

Der Grüneburgpark grenzt im Osten an die Hansastraße und die Bremer Straße, im Süden an die Fürstenberger Straße. Die Vorderfront und der Haupteingang des etwa parallel zur Fürstenberger Straße stehenden IG-Hochhauses sind rund 120 m von der Straße entfernt. Zum Hochhaus führen sowohl von der Fürstenberger Straße als auch von der Seite Hansastraße/Bremer Straße Zufahrtswege. Das Offizierskasino liegt hinter dem Hochhaus. Sein Haupteingang ist von dem in der Mitte befindlichen rückwärtigen Eingang zur Kantine des Hochhauses gut 100 m entfernt. Beide Eingänge liegen sich direkt gegenüber. Das Offizierskasino ist sowohl vom Hochhaus als auch von dem an der Ecke Hansastraße/Bremer Straße gelegenen Parkplatz über Zufahrtswege zu erreichen (4). Eintrittskontrollen gab es weder an den von den Stadtstraßen in den Grüneburgpark führenden Wegen noch an den Eingängen in die genannten Gebäude (5).

Zum Haupteingang des Hochhauses führt eine Freitreppe, die auf einem überdachten Vorplatz mit Auffahrt endet. Von dort aus gelangt man durch den 12,5 mal 4 m großen und etwa 3,5 m hohen, massiv gebauten Vorraum zur Eingangshalle des Hochhauses. An den beiden Längsseiten des Vor- [207] raums befanden sich je drei Schwingtüren mit je zwei Flügeln, deren Metallrahmen verglast waren. An den Enden der inneren Längswand war je eine weitere Tür ohne Glas. Im Inneren des Vorraums stand rechts neben der rechten Eingangstür zum Vorraum eine Telefonzelle aus Holz. Einen der Sprengkörper legten die Täter auf die in der Telefonzelle vorhanden gewesene Taschenablage, die etwa 0,4 m über dem Fußboden angebracht war (Sprengstelle 1). Er war in einem Lederbehältnis (Tasche, Koffer oder dergl.) verborgen. Den anderen Sprengkörper, dessen Verpackung nicht bekannt ist, stellten sie rechts neben die linke Innentür (Sprengstelle 2) (6).

Das Offizierskasino besteht aus einem Quertrakt mit zwei rechtwinklig vorgezogenen Seitenflügeln. Diese Gebäudeteile bilden einen offenen Vorhof von 35 mal 13 m. Den Haupteingang zum Kasino in der Mitte der Rückwand des Vorhofs erreichte man durch einen 5 mal 4 m großen Windfang, der zum Schutz der Auffahrt ein vorgezogenes Dach von 5 mal 6 m hatte. Der Vorhof mündet auf den 7 m breiten, am Kasino vorbeiführenden Zufahrtsweg. Der Windfang bestand aus einem Metallgerüst in Betonsockeln. Stützen und Verstrebungen waren aus Vierkantrohren gefertigt, die unten mit Metallplatten und oben mit Drahtglas ausgekleidet waren. Die Dachbedeckung bestand aus Wellblech. Unmittelbar neben diesen Windfang, und zwar in die Ecke zwischen Hauswand und der linken Seite des Windfangs, stellten die Tä- [208] ter den dritten Sprengkörper (Sprengstelle 3) (7).

2. Zwischen 18.58 und 18.59 Uhr explodierten in einem zeitlichen Abstand von 10 bis 15 Sekunden die im Vorraum der Eingangshalle zum Hochhaus abgestellten beiden Sprengkörper. Etwa 20 Sekunden nach der zweiten Explosion detonierte die dritte Bombe vor dem Haupteingang zum Offizierskasino (8).

Die Bomben an den Sprengstellen 1 und 2 hatten eine Sprengkraft von je etwa 2 kg Ammongelit 3 (9). Die Telefonzelle wurde vollständig zerstört. Die Wandverkleidung des Vorraums aus etwa 3 mm starken Buntmetallplatten wurde zum Teil erheblich verformt, zum Teil herausgerissen. Außerdem wiesen die Wand- und Deckenverkleidung durch Splitter hervorgerufene Löcher auf. Der rechte Rahmen der linken Innentür wurde am Fußteil aus der Verankerung gerissen. Der Fußboden aus 15 bis 20 cm starkem Stahlbeton mit aufgelegten Steinplatten von etwa 13 cm Stärke wurde bis zum Keller durchgeschlagen. Das Loch hatte einen Durchmesser von etwa 15 cm. Die Kellermauern wiesen an verschiedenen Stellen Risse auf. Der Boden des Sprengsatzes schlug in die ca. 40 cm starke Wand ein Loch mit einem Durchmesser von etwa 13 cm. Einzelne Deckenplatten mit einem Gewicht von ca. 15 kg pro Stück wurden angehoben, verlagert, beschädigt und von Splittern durchschlagen Sämtliche Glastüren und Fenster wurden durch den Explo- [209] sionsdruck und durch Bombensplitter zerstört. Metall- und Glassplitter wurden von den Sprengstellen mehr als 50 m weit weggeschleudert (10).

Die Bombe an der Sprengstelle 3 hatte eine Sprengkraft von etwa 10 kg Ammongelit 3 (11). Der Sprengsatz durchschlug annähernd trichterförmig (150 mal 90 mal 50 cm) die etwa 15 cm starke Stahlbetondecke und die Backsteinmauern des unter ihr befindlichen Luftschachtes. Der Betonkern der mit einer Backsteinmauer umgebenen und mit Naturstein verkleideten Säule, die hinter dem Explosionsherd stand, zerriß horizontal an drei Stellen. Das Metallgerüst des Windfangs wurde durch den Explosionsdruck zum Teil aus der Verankerung gerissen, gestaucht, geknickt und in sich verdreht. Ein zentnerschwerer Teil des mit Wellblech gedeckten Daches wurde abgerissen und etwa 17 m weit weggeschleudert. Von der Drahtverglasung blieb nur das Drahtgeflecht mit einzelnen Glasresten übrig. Die vom Explosionsherd 15 bis 20 m entfernten Seitenwände des Vorhofs wurden durch Bombensplitter und Metallteile des Windfangs beschädigt. Die in einer Entfernung von rund 21 bis 35 m von der Sprengstelle abgestellten Kraftfahrzeuge wurden durch Metallsplitter und den Explosionsdruck zum Teil völlig zerstört. Trümmerteile und Metallsplitter wurden etwa 50 m weit weggeschleudert. Die Druckwelle zerstörte den größten Teil der Fensterscheiben der Rückseite des gut 100 m entfernten IG-Hochhauses, Glassplitter waren [210] über die gesamten Anlagen zwischen Kasino und dem Hochhaus verstreut (12). Die Büros und der Blumenladen in der Lobby des Kasinos, deren Innenwände aus Holzrahmen mit Hartfaserplatten und Glas bestanden, wurden vollständig zerstört. Die Hartfaserplatten der eingehängten Zwischendecke wurden aus der Verankerung gerissen und zum Teil auf den Boden geworfen. Wände und Einrichtungsgegenstände der Lobby wurden durch Bombensplitter beschädigt (13).

Der Sachschaden beträgt insgesamt 872.000 US-Dollar (14).

Am Hochhaus herrschte in dem Zeitraum von der Bombenlegung bis zu den Explosionen ein ständiges Kommen und Gehen. Vor und in der Eingangshalle des Hochhauses trafen sich Fahrer, Begleitpersonal und Passagiere, die um 19.00 Uhr mit dem Bus der Reisegesellschaft „Swiss Hotelplan“ nach Paris fahren wollten. Außerdem hielten sich in der Eingangshalle die wachhabenden Militärpolizisten auf. Im Augenblick der Explosionen war zufällig niemand im Vorraum der Eingangshalle. In der Eingangshalle selbst befanden sich zu diesem Zeitpunkt etwa 15 und in dem etwa 14 m von dem Vorraum der Eingangshalle entfernt abgestellten Bus der Reisegesellschaft etwa fünf bis neun Personen (15). Sieben der Personen, die in der Eingangshalle waren, wurden durch Glassplitter, Trümmerteile und die Druckwelle leicht verletzt (16).

[211] Auch im und bei dem Offizierskasino war in der Zeit von der Bombenlegung bis zur Explosion ein reger Betrieb. Dort trafen nach und nach etwa 20 Toastmaster zu einer Versammlung ein, die um 18.30 Uhr in den oberen Räumen des Kasinos begann. Zur selben Zeit füllten sich langsam der im östlichen Seitenflügel des Kasinos neben der Lobby gelegene Speiseraum und die daneben befindliche Bar. Fast alle Personen betraten das Kasino durch den Windfang und die Lobby. Im Augenblick der Explosion waren im Speiseraum mindestens 15, in der Bar etwa 12 und in der Lobby drei Personen (17). Von ihnen wurden insgesamt sechs Personen verletzt (18). Angesichts der angerichteten Verwüstungen ist es ein Zufall, daß die Angestellten Buchholz und Mc Carey, die die Explosion in der in der Lobby neben dem Eingang gelegenen Wechselstube erlebten, und der wachhabende Militärpolizist Hunt, der sich ebenfalls in der Lobby aufhielt, nicht tödlich verletzt worden sind (19).

Die amerikanischen Offiziere Glyer und Bloomquist wurden vor dem Vorhof des Kasinos - höchstens 20 m von der Sprengstelle entfernt - von der Explosion überrascht. Der Oberleutnant Glyer wurde von Sprengtrümmern im Rücken und am Kopf getroffen; die 9. und 10. Rippe wurden ihm gebrochen. Außerdem erlitt er Quetschungen und Fleischwunden am Rücken sowie eine Verletzung der Kopfhaut. Er mußte 12 Tage stationär behandelt werden (20). Der Oberst- [212] leutnant Paul A. Bloomquist wurde von zahlreichen Metallsplittern getroffen. Ein Splitter war an seiner linken Halsseite unterhalb des Ohres eingedrungen. Er hatte die Schädelbasis vielfach gebrochen und den Hirnstamm verstümmelt. Bloomquist war sofort tot (21).

3. Nach dem Ergebnis der Untersuchungen der an beiden Sprengorten gesicherten Metallteile und Reste elektrischer Zündeinrichtungen handelte es sich bei den zur Explosion gebrachten Sprengkörpern um Bomben, welche die Gruppe selbst angefertigt hatte. Mindestens einer der im Vorraum der Eingangshalle (Sprengstelle 2) explodierten Sprengkörper bestand aus einem zylindrischen Behälter nach Art einer sogenannten Rohrbombe mit einer Mantelhöhe von etwa 180 bis 190 mm und einer Wandstärke von ca. 6 mm (22). Der Mantel dieser Bombe wurde demselben Rohr entnommen, aus dem die Mäntel der vier nicht zerstörten Rohrbomben in Augsburg (23) und Hamburg (24) stammen (25). Der aufgefundene Boden der Bombe rührt von demselben Halbzeug her, dem auch die Deckel und Böden der vier nicht zerstörten Bomben in Augsburg und Hamburg entnommen sind (26). Auch die Bearbeitungsspuren des in Frankfurt/M. aufgefundenen Bodens (27) entsprechen denen der Deckel und Böden der in Augsburg und Hamburg nicht detonierten Bomben (28).

Die drei in Frankfurt/M. gezündeten Bomben waren mit Sechskant-Rohrabschlüssen der Firma Bänninger aus Gießen [213] versehen (29). Gleiche Verschlußkappen wurden in dem Bandenstützpunkt in Frankfurt/M, Inheidener Straße 69 (30), bei zwei unter den Ausrüstungsgegenständen der Gruppe in Bad Homburg gefundenen Doppelrohrbomben (31) und an dem in der Polizeidirektion in Augsburg nicht explodierten Sprengkörper sichergestellt (32).

Die Bomben wurden, wie bei den Sprengstoffanschlägen der Gruppe in Augsburg und Hamburg, mit 50 Volt VARTA- Batterien über Kurzzeitmesser als Kontaktgeber gezündet (33). Batterien mit dieser Spannung wurden in Bad Homburg sichergestellt (34). In der Bandenunterkunft in Frankfurt/M, Inheidener Straße 69, wurden Pappfragmente mit den Aufklebern „50 Volt VARTA“ gefunden (35). Das Bandenmitglied Brigitte Mohnhaupt kaufte am 28. April 1972 über die Firma Auto-Burger in München bei der Verkaufsstelle der Firma VARTA in München, Nymphenburger Straße, 20 Stück 50 Volt VARTA-Batterien (36). An allen drei Sprengstellen wurden Teile von Uhren sichergestellt, die bei Kurzzeitmessern Verwendung finden. Bei der Uhr, die zur Zündung der an der Sprengstelle 1 explodierten Bombe eingebaut war, handelte es sich um einen Kurzzeitmesser der Firma Schatz & Söhne. Die an dieser Sprengstelle sichergestellte mittelgroße Messingplatte trägt die Aufschrift: „August Schatz & Söhne, K-M, Germany, 5, [214] NO JEWELS UNADJUSTED“. Der Kontaktgeber für die Bombe an der Sprengstelle 3 war ein Kurzzeitmesser vom Typ „Emes“ (37). Kurzzeitwecker dieser Firmen, die zum Teil bereits zu Zündvorrichtungen umgebaut waren, wurden in Frankfurt/M, Inheidener Straße 69, in Hamburg, Ohlsdorfer Straße 1-3, und in Bad Homburg sichergestellt (38).

Den zur Explosion gebrachten Sprengstoff hatte die Gruppe auf der Basis Mennige/Aluminiumpulver selbst hergestellt. Er gleicht z.B. den fertigen roten Gemischen in den vier nicht detonierten Sprengkörpern in Augsburg und Hamburg (39) sowie denen der Sprengkörper, die bei Mitgliedern der Gruppe und in verschiedenen ihrer Unterkünfte sichergestellt wurden (40).

Einige Minuten vor dem Attentat wies der wachhabende amerikanische Sergeant Larry D. Young dem Bandenmitglied Irmgard Möller auf Befragen den Weg zur Damentoilette in der Eingangshalle. Nachdem sie die Eingangshalle wenige Minuten später zur Straße hin wieder verlassen hatte, betrat kurz danach ein bisher nicht identifizierter junger Mann die Eingangshalle und fragte ebenfalls nach der Toilette. Noch ehe er sie erreicht hatte, explodierten die im Vorraum der Eingangshalle abgestellten Bomben (40a). Irmgard Möller gehörte offenbar zu dem „Kommando“, das das Attentat ausgeführt hat.

[215] Etwa eine Stunde vor den Explosionen gegen 17.50 Uhr sah der amerikanische Oberst Alvin Bruder das Gruppenmitglied Klaus Jünschke in unmittelbarer Nähe des Offizierskasinos aus einer Entfernung von 0,9 bis 1,2 m. Er war offensichtlich dabei, die Möglichkeiten für ein unbeobachtetes Abstellen der Bombe auf dem ihm schon bekannten Gelände zu erkunden (41).

Gegen 18.53 Uhr beobachtete Captain Moeller vom Eingang des Windfangs vor dem Kasino aus den marineblauen Volkswagen 1302 (Fahrgestellnummer 1112196695), den Angehörige der Gruppe in der Nacht zum 28. Dezember 1971 Horst Bippert aus Frankfurt/M gestohlen hatten (42). Das dem Fahrzeug gegebene amtliche Kennzeichen F - NH 425 hatten sie entfernt und durch eine Nachprägung des für den Volkswagen des Landgerichtsdirektors Dr. Zander aus Frankfurt/M ausgegebenen Kennzeichens F - NE 971 ersetzt. Die Originalkennzeichen waren unter der Fußmatte vor dem Beifahrersitz versteckt. Auf einem dieser Kennzeichenschilder konnte ein Fingerabdruck des früheren Gruppenmitglieds Thomas Weisbecker gesichert werden, der am 2. März 1972 in Augsburg erschossen worden war (43). Captain Moeller sah den Wagen aus Richtung Bremer Straße kommend entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung auf der vor dem Offizierskasino entlangführenden Einbahnstraße am Vorhof des Kasinos vorbei- und sodann rückwärts auf den Vorhof fahren. Dort hielt der Wagen rechts neben dem Windfang [216] in unmittelbarer Nähe der Stelle, an der etwa fünf Minuten später die Bombe gezündet wurde. Das Fahrzeug wurde von einem Angehörigen der Gruppe gefahren, der zu dieser Zeit schulterlanges blondes gewelltes Haar hatte (44). Als Captain Moeller den Vorhof vor dem Kasino verlassen hatte, fuhr dieses Gruppenmitglied, nachdem es zuvor die Bombe an der Sprengstelle deponiert und/oder den Zeitzünder eingestellt hatte, den Wagen auf der Einbahnstraße in Richtung Bremer Straße weg. Rund 220 m von der Sprengstelle entfernt stellte es den Wagen ab. Dort wurde das Fahrzeug noch am Tattage von Captain Tiffany entdeckt und am 17. Mai 1972 sichergestellt (45). Angehörige der Bande hatten das Zünd-Lenkradschloß und das Schloß der Fahrertür ausgebaut und durch andere Schlösser ersetzt. Die zu den eingebauten Schlössern passenden Originalschlüssel wurden in der geheimgehaltenen Wohnung der Bande in Hamburg, Ohlsdorfer Straße 1-3, und in dem Kofferraum des in Marktheidenfeld/Main sichergestellten Ford Capri gefunden, der dem Medizinstudenten Kamran Marer in der Nacht zum 22. November 1971 von Bandenmitgliedern aus der Tiefgarage in Hamburg 76, [Anschrift], entwendet worden war (45a).

Einige Minuten nach der Explosion beobachteten die Sekretärin Sonja Christa Siemsen und ihre Tochter Astrid aus einer Entfernung von einem Meter den Angeschuldigten Baader, als er das Gelände des US-Hauptquartiers über die Einbahnstraße zur Bremer Straße hin verließ. Während ihrer [217] Beobachtungen waren sie rund 50 m von dem abgestellten Volkswagen entfernt (46).

Mit dem an die Deutsche-Presse-Agentur München gerichteten Eilbrief der „Rote Armee Fraktion“ vom 14. Mai 1972 übernahm die Gruppe die Verantwortung für den Sprengstoffanschlag (47). Der Brief lautet:

„Am Donnerstag, den 11. Mai 1972 - dem Tag, an dem die Bombenblockade der US-Imperialisten gegen Nordvietnam[140] begann - hat das „Kommando Petra Schelm“ im Frankfurter Hauptquartier des V. Armee-Corps der amerikanischen Streitkräfte in Westdeutschland und West-Berlin drei Bomben mit einer Sprengkraft von 80 kg TNT zur Explosion gebracht. Für die Ausrottungsstrategen von Vietnam sollen Westdeutschland und West-Berlin kein sicheres Hinterland mehr sein. Sie müssen wissen, daß ihre Verbrechen am vietnamesischen Volk ihnen neue, erbitterte Feinde geschaffen haben, daß es für sie keinen Platz mehr geben wird in der Welt, an dem sie vor den Angriffen revolutionärer Guerilla-Einheiten sicher sein können.

Wir fordern den sofortigen Abbruch der Bombenblockade gegen Nordvietnam.

Wir fordern die sofortige Einstellung der Bombenangriffe auf Nordvietnam.

Wir fordern den Abzug aller amerikanischer Truppen aus Indochina.

Für den Sieg des Vietkong!

Die revolutionäre Guerilla aufbauen!

Habt Mut zu kämpfen und habt Mut zu siegen!

Schafft zwei, drei, viele Vietnam!

Rote Armee Fraktion - 14. Mai 1972“.

Dieser Brief wurde, wie andere „Bekennerbriefe“ auch, auf der Reiseschreibmaschine Marke „Erika“ geschrieben (48), die am 16. Juni 1972 in der geheimgehaltenen Unterkunft der Gruppe in Frankfurt/M., Inheidener Straße 69, sichergestellt wurde (49). Mit derselben Maschine war auch der bereits erörterte Brief (50) des Angeschuldigten Baader [218] vom 24. Januar 1972 hergestellt worden (51). Ein weiteres Original des oben mitgeteilten „Bekennerbriefs“ wurde in Bad Homburg v.d.H. im Heuchelbach zusammen mit anderen von der Gruppe stammenden Gegenständen gefunden (52). Es war ebenfalls auf der Schreibmaschine Marke „Erika“ geschrieben worden (53). Durchschriften desselben „Bekennerbriefs“ wurden in der Bandenwohnung in Berlin 30, Budapester Straße 39, gefunden (54). Sie waren ebenfalls mit der Schreibmaschine Marke „Erika“ angefertigt worden (54a). Der Angeschuldigte Baader selbst erklärte bei einem noch näher darzustellenden Treffen zwischen Angehörigen der Gruppe und dem Schweizer Anhänger der Gruppe Claude Meier am 16. Mai 1972, der „Bekennerbrief“ vom 14. Mai 1972 sei ebenso wie sein Brief vom 24. Januar 1972 auf derselben Schreibmaschine geschrieben worden (55). Daneben gab er in diesem Gespräch zu erkennen, daß die Gruppe den Anschlag auf das Hauptquartier in Frankfurt/M und die Bombenanschläge in Augsburg und München durchgeführt habe. Schließlich ließ Baader Claude Meier wissen, daß weitere Sprengstoffattentate geplant seien (55a).

I. Augsburg, Prinzregentenplatz[141]

Polizeidirektion

1. Am 12. Mai 1972, einen Tag nach dem Anschlag auf das amerikanische Hauptquartier in Frankfurt/M, brachten drei Mitglieder der Gruppe - wahrscheinlich die Angeschuldig- [219] ten Baader und Raspe sowie der anderweit verfolgte Bernhard Braun (56) - gegen 11.00 Uhr drei selbstgebaute Sprengkörper in das Gebäude der Polizeidirektion in Augsburg. Sie wollten damit Polizeibeamte töten und nahmen in Kauf, daß auch Besucher getötet oder verletzt würden. Der Gebäudekomplex der Polizeidirektion umfaßt die Anwesen Prinzregentenplatz 1 und zum Teil Holbeinstraße 12. Neben den Dienststellen der Polizeidirektion sind im 1. und 2. Obergeschoß Teile des Amtes für öffentliche Ordnung untergebracht. Da reger Publikumsverkehr herrschte und während der Dienststunden (freitags von 7.30 - 12.30 Uhr) keine Personenkontrolle vorgenommen wurde, konnten die Mitglieder der Gruppe das Gebäude ungehindert betreten (57).

a) Eine der Bomben, in einem kleinen Karton versteckt (30 mal 15 mal 14 cm) (59), stellte ein Bandenmitglied auf einen etwa 2 m hohen Schrank, der im Flur des 3. Stockwerks gegenüber den Büroräumen des 1. Kommissariats stand. In diesem Stockwerk wurde der Besucherverkehr mit der Kriminalpolizei und der Führung der Schutzpolizei abgewickelt. Neben dem Schrank befand sich eine Bank für wartendes Publikum. Die Bombe bestand aus einer Preßluftflasche mit einem Leergewicht von 1,78 kg und einem Fassungsvermögen von 0,8 l (60). Sie war mit einem von der Gruppe selbstgemachten grauen Sprengstoff gefüllt (61). Als Zündmittel dienten u.a. ein Wecker, eine 50 Volt-Varta- [220] Batterie Pertrix 49 und eine Aluminiumsprengkapsel (62).

b) Die beiden anderen Sprengkörper, die in zwei mitgebrachten Taschen versteckt waren, legten die Gruppenmitglieder im Vorplatz des 4. Stockwerks unter die an der Mauerbrüstung zum Treppenschacht aufgestellte Musteranlage der kriminalpolizeilichen Beratungsstelle. Über den allgemein zugänglichen Vorplatz gelangt man zu der kriminalpolizeilichen Beratungsstelle, den Aktenräumen, der Dienststelle für Staatsschutz-Delikte, dem Lehrsaal sowie der Funk- und Fernschreibzentrale. Etwa 2 m neben dem Ablageort der Bomben standen zwei Schränke, die zur Unterbringung der privaten Kleidung der Reinigungsfrauen und der von ihnen benötigten Geräte bestimmt waren (62a). Die Putzfrauen benutzten die Schränke kurz vor der Aufnahme ihrer regelmäßig gegen 12.30 Uhr beginnenden Arbeit (63).

Der eine Sprengkörper befand sich in einer braunen Einkaufstasche aus Skai (38 mal 15 mal 28 cm) (63a). Die von der Gruppe selbsthergestellte Rohrbombe hatte ein Leergewicht von 8 kg und ein Fassungsvermögen von etwa 3 l. Der andere im 4. Stockwerk abgelegte Sprengkörper mit runden Tragegriffen befand sich in einer Tasche aus schwarzem Kunstleder. Auch hier wurden - wie bei der Bombe im 3. Stockwerk - ein Wecker und eine 50 Volt-Varta-Batterie Pertrix 49 als Zündmittel verwandt. Mindestens [221] eine der beiden Bomben unter der Musteranlage war zur zusätzlichen Tarnung in einen brauen Filzstoff eingewickelt (65).

Nachdem die drei Mitglieder der Gruppe die Sprengkörper an den beschriebenen Stellen versteckt hatten, verließen sie unbemerkt das Gebäude. In zwei Pkw mit einem Münchener und einem Berliner Kennzeichen warteten sie in der nahegelegenen Fuggerstraße die Explosion der Sprengkörper ab (66).

2a) Um 12.15 Uhr detonierte im 4. Stockwerk die Bombe in der schwarzen Tasche. Sie zerschlug die aus Hohlblocksteinen bestehende Decke vom 4. zum 3. Stockwerk. Die fast kreisrunde Durchschlagstelle hatte einen Durchmesser von etwa 25 cm. Auch die Decke zum Dachgeschoß wurde an mehreren Stellen durchschlagen. Die Löcher erreichten Ausmaße bis zu 20 mal 25 cm. Die Geländermauer wies massive Druck- und Einschlagstellen auf. Ihre marmornen Abdeckplatten zerbrachen in mehrere Stücke. Einer der für die Reinigungsfrauen bestimmten Schränke barst auseinander. Die Holztüren zu der Aktenstelle, der Beratungsstelle und den beiden Lagerräumen wurden jeweils aus ihrer Verankerung gerissen und in die Zimmer geschleudert, die Musteranlage, unter der die Bombe detoniert war, völlig zerstört. Ein Stahlblech der Alarmanlage flog mit erheblicher Wucht, wie Splitter und Rißspuren an den Türpfosten zeigten, in den etwa 5 m von der Explosionsstelle entfern- [222] ten Büroraum der polizeilichen Beratungsstelle. An mehreren Stellen durchschlugen Stahlsplitter die Ziegelmauer. Die Treppenaufgänge waren mit Holzsplittern, Mauerbrocken und Bruchstücken von Metallrahmen der Alarmanlage übersät. Noch am Ende des Treppenschachts im 1. Stockwerk hatte eine Marmorplatte der Geländermauer einen dort stehenden Stuhl durchschlagen.

Die unter der Musteranlage in der braunen Tasche versteckte Bombe, die später von Technikern der Polizei entschärft wurde, detonierte nicht. Durch die Wucht der Explosion waren allerdings die Mantelfläche des Rohrkörpers und die Verschlußkappe seitlich eingedrückt worden. Die aufgefundenen Uhrwerks- und Batterieteile deuten darauf hin, daß auch diese Bombe ursprünglich mit einer selbständigen Zündanlage versehen war, die aber durch den Explosionsdruck der ersten Bombe abgerissen wurde (67).

Die Detonation im 4. Stockwerk war von einer Stärke, daß Menschen, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Nähe der Sprengkörper aufgehalten hätten, schwere bis tödliche Verletzungen hätten erleiden können. Dies wollte die Gruppe, wie sich schon aus der Auswahl des jedermann zugänglichen und von vielen Personen begangenen Ablageortes der beiden Bomben im Vorplatz des 4. Stockwerks ergibt. Die Gruppe nahm nämlich nicht an, daß sich gerade zum Zeitpunkt der Explosion niemand im unmittelbaren Streube- [223] reich der Bombe befinden würde. Einem Zufall ist es insbesondere zu verdanken, daß die Polizeibeamten Heuschneider, Meßmer und Rau in dem Büroraum der Beratungsstelle nicht verletzt oder getötet worden sind. Der Zeuge Heuschneider hatte etwa fünf Minuten vor der Detonation das Zimmer verlassen. Die aus der Verankerung gerissene Tür zu seinem Zimmer prallte mit voller Wucht gegen den Stuhl, auf dem er vorher gesessen hatte; der Stuhl wurde unter seinen Schreibtisch geworfen. Das in den Raum geschleuderte große scharfkantige Blechstück der Alarmanlage blieb vor seinem Schreibtisch liegen. Die ihm zur Ausbildung zugewiesenen Beamten Meßmer und Rau waren während seiner kurzfristigen Abwesenheit in den Nebenraum gegangen (69).

b) Nach der ersten Explosion liefen mehrere Bedienstete aus ihren Zimmern auf den Flur des 3. Stockwerks, um sich nach der Ursache der Detonation zu erkundigen. Währenddessen zündete um 12.18 Uhr, also etwa drei Minuten nach der ersten Explosion, die Bombe auf dem Schrank im 3. Stockwerk. Hierdurch wurden insgesamt sechs Personen verletzt.

Polizeiamtmann Nitzer wurde auf dem Gang, etwa 3 m von der Explosionsstelle entfernt, von der Druckwelle erfaßt und zu Boden geworfen. Teile des Schrankes und der Holzbank fielen ihm in den Rücken und in die Kniekehlen. Er [224] erlitt einen traumatischen Schock, eine Bindehautentzündung mit Hornhauterosion an beiden Augen, eine Trommelfellperforation des rechten Ohres und Prellungen an beiden Beinen. Er war bis zum 17. Mai 1972 dienstunfähig (70). Der Polizeiobermeister Kreissl, der sich etwa 5-6 m vom Tatort entfernt aufhielt, mußte sich wegen eines Trommelfellrisses und eines beiderseitigen inneren Ohrschalltraumas in ärztliche Behandlung begeben (71). Bei dem Arbeiter Bischof, der etwa 14 m von der Explosionsstelle entfernt stand (72), und bei der Angestellten Müller (73), die sich etwa 9 m hiervon entfernt aufhielt, war das Hörvermögen mehrere Tage beeinträchtigt. Der Polizeiamtmann Vogler wurde etwa 7 m vom Detonationszentrum entfernt von umherfliegenden Teilen an Rücken und Kopf getroffen. Sie rissen die Haut über dem rechten Ohr ein und verursachten Schwellungen. Sein linksseitiges Gehör ist seitdem etwas eingeschränkt (74). Der Polizeihauptmeister Bauer, der etwa 6 m weit vom Tatort stand, zog sich Prellungen und Abschürfungen am linken Unterschenkel zu (75). Der Polizeiamtsrat Roßkopf und die Angestellte Hansmann wurden im Zimmer Nr. 338 durch einen etwa 1,5 cm großen Metallsplitter gefährdet, der den Türstock durchschlug und in die Durchgangstür zum Zimmer Nr. 339 eindrang (76). Die im 3. Stockwerk detonierte Bombe hat darüber hinaus erheblichen Sachschaden angerichtet. Sie zerstörte den Schrank, auf den sie gelegt worden war, völlig und schlug [225] in die anliegende Nordwand und die Flurdecke große Löcher. Der Explosionsdruck riß die dem Tatort gegenüberliegende Tür zum Raum Nr. 337 aus ihrer Verankerung und warf sie in das Zimmerinnere, in das auch ein Bombensplitter flog. Die Tür zum benachbarten Zimmer Nr. 336 wurde in den Raum geworfen. Andere Türen wurden an der Verankerung beschädigt. Ein massiver Splitter durchschlug den Pfosten der offenen Tür zum Zimmer Nr. 338. Auch die Schreibtische dieses Zimmers wurden beeinträchtigt. Viele Fensterscheiben gingen zu Bruch. Der Flur war mit Splittern aus Glas und Metall sowie mit Mauerwerk bedeckt (76a).

c) Der durch die beiden Explosionen in dem Gebäude entstandene Sachschaden beläuft sich auf etwa DM 26.500,-- (77). Hinzu kommt ein Schaden in Höhe von etwa DM 400,-- an dem vor der Polizeidirektion geparkten Pkw Opel Manta A - XT 34 des Reg. Ass. Pankratz (78).

3. Die verwendeten Sprengkörper hat die Baader-Meinhof Bande selbst hergestellt.

a) Das Oberteil der nicht detonierten Rohrbombe war mit einem Tragegriff aus gebogenem, 1,5 cm breitem Flacheisen versehen. An den Rohrenden waren oben und unten Stahlscheiben angeschweißt. In der kreisrunden Öffnung in der Mitte der oberen Stahllatte befand sich ein Gewindestutzen, der mit der Platte verschweißt und auf den eine in der [226] Mitte durchbohrte Sechskant-Verschlußkappe aufgeschraubt war. Zur Verstärkung der Sprengwirkung sollte eine 1,2 m lange grüne Dynacord-Sprengschnur dienen, die durch ein blaues Kunststoffklebeband mit einer elektrischen Aluminiumsprengkapsel mit Millisekundenzünder der Firma Dynamit Nobel verbunden war (78a). Diese Rohrbombe haben dieselben Personen hergestellt, die auch die drei bei dem Sprengstoffanschlag in Hamburg nicht detonierten Rohrbomben und wenigstens eine der bei dem Anschlag in Frankfurt/M explodierten Bomben angefertigt haben. Die Deckel und Böden dieser Rohrbomben sind aus ein und demselben Halbzeug entnommen worden. Bei den Bombenmänteln handelt es sich um nahtlos gezogene Rohrstücke, die in ungleichmäßiger und unterschiedlicher Länge von einem Stahlrohr abgesägt worden sind (79). Leergewicht, Außendurchmesser und Wandstärke des bei den Anschlägen in Hamburg und Augsburg benutzten Rohres sowie Außendurchmesser, Wandstärke und Zollmaß der aufgeschweißten Gewinderohrstücke stimmen bei unterschiedlicher Höhe überein (80). Die aufgeschweißten Tragebügel sind von derselben Breite und Stärke, aber verschieden lang. Allerdings wurden in Hamburg achtkantige Schraubkappen mit Wulst, in Augsburg dagegen sechskantige Schraubkappen ohne Wulst, jedoch jeweils mit gleichem Gewindedurchmesser verwendet. Übereinstimmung weisen auch die Füllung mit dem gleichen charakteristischen roten und grauen Sprengstoffgemisch und die benutzte Detonationsschnur Dynacord auf (81). Bei der Anbringung der Ladung der Sprengkapseln in den nicht detonierten Bomben in Ham- [227] burg und Augsburg ist derselbe typische Fehler gemacht worden (82): Die Ladung der Sprengkapseln lag entgegen fachmännischer Anordnung am Schnurende.

Reißnadeln, mit denen die Anrißspur am Boden des nicht detonierten Sprengkörpers in Augsburg gezogen worden sein kann, sowie andere zur Herstellung der Sprengkörper benötigte Werkzeuge stammen aus den Gruppenunterkünften in Hamburg, Paulinenallee 36, und Frankfurt/M, Inheidenerstraße 69 (83). In der letztgenannten Wohnung lagen auch von Sperrventilen abgesägte Halsringventilschrauben von der Art, wie im 3. Stockwerk der Polizeidirektion in Augsburg sichergestellt (84), sowie ein Stecker des dort gefundenen Typs (85). Handbohrer sowie zahlreiche weitere zur Herstellung der Bomben notwendige Zubehörteile und Werkzeuge befanden sich in diesen Unterkünften und in der Wohnung Hamburg, Ohlsdorfer Straße 1-3 (86).

Die am Tatort gesicherten fünf Rundeisenfragmente sind Reststücke von Tragebügeln des im 4. Stockwerk detonierten Sprengkörpers. Wie die Übereinstimmung in der chemischen Zusammensetzung und in den Bearbeitungsmerkmalen der Schweißnahtreste ergibt, stammen diese Rundeisenfragmente aus demselben Halbzeug, aus dem die Griffe des Magnetsprengkörpers aus der Wohnung Frankfurt/M, Inheidenerstraße, und die Griffe der in Karlsruhe verwandten Bombe hergestellt worden sind (86a).

Die in der nicht detonierten Bombe vorhandene grüne Dynacord-Sprengschnur der Firma Dynamit Nobel (87) sowie die [228] von derselben Firma stammende Aluminiumsprengkapsel mit Millisekundenzünder (88) hat die Gruppe auch bei einer Vielzahl anderer von ihr hergestellter Sprengkörper verwendet. Originalrollen dieser Dynacord Sprengschnur fanden sich in der Wohnung Frankfurt/M., Inheidenerstr. 69 (89), sowie unter den Ausrüstungsgegenständen der Gruppe im Kurparkweiher von Bad Homburg (90). Die Rolle aus der Wohnung Frankfurt/M., Inheidenerstr. 69, mit der Kennzeichnung „4388/K“ stammt aus dem von der Gruppe am 3. April 1972 begangenen Sprengstoffdiebstahl zum Nachteil der Casseler Basaltwerke in Oberaula (91). Hierbei benutzte die Gruppe einen am 24. Februar 1972 in Frankfurt/M. gestohlenen Pkw Opel Manta, F - SL 582 (Halter: Firma Frama, Frankfurt/M.), den sie für ihre Zwecke umgestaltet und mit den falschen Kennzeichen DA - AN 141 ausgestattet hatte. Diese Kennzeichen, das zum Wagen gehörende Typenschild sowie handschriftliche Notizen des anderweit verfolgten Klaus Jünschke und der Angeschuldigten Meinhof über die zugehörigen Kfz-Daten wurden in der Gruppenunterkunft Hamburg, Ohlsdorfer Straße 1-3, sichergestellt (92). Eine gleiche Sprengkapsel mit Millisekundenzünder wie die aus der nicht detonierten Bombe in Augsburg, nämlich mit gelb-grün isoliertem Zünderdraht, einem Zündintervall von 20 msek der Zündstufe 9 (Bodenprägung TU 9), hergestellt von der Firma Dynamit Nobel AG in Troisdorf, befand sich neben neun weiteren Zündern mit [229] anderen Zündstufen in einer Tragetasche in der Wohnung Frankfurt/M., Inheidenerstr. 69 (93). Sprengkapseln mit Millisekundenzündern dieser Art waren von der Gruppe ebenfalls bei dem Sprengstoffdiebstahl in Oberaula entwendet worden (94). Eine Gebrauchsanweisung für Sprengkapseln der Firma Dynamit Nobel wurde unter den Ausrüstungsgegenständen der Gruppe in Bad Homburg gefunden (95).

50-Volt-Varta-Batterien des Typs „Pertrix 49“, die als Stromquelle für die Zündung dienten und relativ selten verkauft wurden, sind am 28. April 1972 in München von dem anderweit verfolgten Gruppenmitglied Brigitte Mohnhaupt erworben und in verschiedenen Unterkünften sichergestellt worden, wie oben im einzelnen dargelegt ist (96). Die in den Bomben in Augsburg eingebauten Varta-Batterien „Pertrix 49“ stammen wahrscheinlich - ebenso wie die in den Bomben der Gruppe in Hamburg verwendeten - aus dem Fertigungszeitraum Oktober bis November 1971 (97). Die 20 von Brigitte Mohnhaupt gekauften Varta-Batterien „Pertrix 49“ sowie die gleichen Batterien aus dem Bestand der Gruppe in Bad Homburg sind ebenfalls in den Monaten Oktober bis November 1971 hergestellt worden (98).

Die bei der nicht detonierten Bombe in Augsburg verwendete Sechskantschraubkappe mit einem Gewindedurchmesser von 2 ½ Zoll trägt das Zeichen der Firma Bänninger aus Gießen. Sechskantschrauben dieser Firma, allerdings mit einem [230] Gewindedurchmesser von 2 Zoll, hatte die Gruppe in der Wohnung Frankfurt/M, Inheidenerstr. 69, gelagert und für die bei dem Anschlag in Frankfurt/M eingesetzten und die in Bad Homburg Vorgefundenen Rohrbomben benutzt (99).

Bandentypisch ist auch die Verpackung der Bombenmäntel mit Filzstoff. Während hierfür bei den Bomben in Hamburg grünes Filztuch verwandt worden ist, hat die Gruppe für die Bomben im 4. Stockwerk der Polizeidirektion in Augsburg braunes Filztuch benutzt. Solcher Stoff ist in den Wohnungen Hamburg, Paulinenallee 36, und Berlin, Budapester Str. 39, gefunden worden (100).

Pappkartons von der Größe, wie einer als Tarnung für die auf dem Schrank im 3. Stockwerk abgelegte Bombe gewählt worden ist, haben Gruppenmitglieder in dem Unterschlupf Hamburg, Ohlsdorfer Str. 1-3, als Bombenbehälter umgebaut. Sie überklebten ein in den Deckel geschnittenes Loch mit Plexiglas. Das Loch paßte genau zu einem dort sichergestellten, als Zündvorrichtung umgebauten Wecker der Marke „Blessing“ (101). Ein Wecker der Marke „Blessing“ befand sich an der Bombe im 3. Stockwerk der Polizeidirektion in Augsburg (101a). An dem Wecker hatte die Gruppe ähnliche Veränderungen vorgenommen, wie sie an mehreren anderen Weckern aus verschiedenen Unterkünften festgestellt worden sind. „Blessing“-Wecker benutzte die Gruppe auch bei ihrem Bombenanschlag in Hamburg zum Auslösen der Zündung (101b).

In der Garage in Frankfurt/M, Ginnheimer Landstr. 42, wurde 12 mm breites graues Gewebeklebeband gefunden von der Art, wie es an den im 3. Stockwerk der Polizeidirektion in Augsburg sichergestellten Teilen des Zündmechanismus - ebenso [231] wie bei zwei der nicht detonierten Hamburger Bomben - befestigt gewesen war (102). Gleiches Klebeband hatte die Gruppe auch zur Befestigung des Zünders am Sprengkörper in Feldflaschenform benutzt, der im Heuchelbach von Bad Homburg gefunden worden ist (103). Bei den Bomben im 4. Stockwerk der Polizeidirektion in Augsburg hatten die Täter blaues 12 mm breites Gewebeklebeband sowie graues 14 mm breites Kunststoffklebeband verwandt (104). Gleiches blaues Gewebeklebeband fand sich in der Garage Frankfurt/M, Ginnheimer Landstr. 42, und am Zünder des Feldflaschensprengkörpers aus der Wohnung Frankfurt/M, Inheidenerstr. 69 (105); das entsprechende graue Kunststoffklebeband lag in der Küche der Wohnung Hamburg, Ohlsdorfer Straße 1-3 (106).

Die qualitative und quantitative Zusammensetzung des in der nicht detonierten Bombe in Augsburg enthaltenen Sprengstoffs ist nicht handelsüblich. Sie entspricht vielmehr den in mehreren Gruppenunterkünften Vorgefundenen Sprengstoffrezepten sowie den Mischungsverhältnissen anderer Sprengkörper der Gruppe.

Die quantitative und qualitative Untersuchung des grauen Gemisches aus der nicht detonierten Bombe ergab folgende Komponenten (107): Schwefel 1,8 %, Ammoniumnitrat (ca. 90 Teile) + Kaliumnitrat (ca. 10 Teile) 80 %, Holzmehl, Kohlepartikelchen sowie etwas Mörtelstaub (Verunreinigung vom Tatort) 18,1 %. Diese qualitative Zusammensetzung des grauen Gemisches entspricht voll, die quantitative im wesentlichen dem im Unterschlupf Berlin, Budapester Straße 39, aufgefundenen handschriftlichen Rezept (108). Es [232] stimmt überein mit einer in „The anarchist cookbook“ wiedergegebenen Formel zur Verwendung von Ammoniumnitrat für Sprengstoffe. Dieses Anarchisten-Kochbuch wurde im Bandenunterschlupf Frankfurt/M., Inheidenerstraße 69, sichergestellt (109). Die neben die oben genannte Formel geschriebenen deutschen Übersetzungen stammen wahrscheinlich von dem Angeschuldigten Raspe.

Auch das am Boden der Rohrbombe befindliche rote Gemisch entspricht in seiner qualitativen Zusammensetzung - Ammoniumnitrat, Aluminiumpulver, Mennige (110) - genau dem erwähnten handschriftlichen Rezept aus der Wohnung Berlin, Budapester Straße 39, sowie weiteren Rezepten, gefunden in der Gruppenwohnung Berlin, Knesebeckstraße 89, und im Heuchelbach in Bad Homburg (111). Die quantitative Zusammensetzung des roten Gemisches aus der Rohrbombe konnte nicht mehr überprüft werden (110).

b) Am 18. Mai 1972 ging bei der Deutschen Presseagentur in Hamburg ein am 17. Mai 1972 in Lörrach abgestempeltes Schreiben mit folgendem Wortlaut ein (112):

„Am Freitag, den 12. Mai 1972, hat das ,Kommando Thomas Weisbecker‘ im Polizeipräsidium in Augsburg und im Landeskriminalamt in München drei Bomben zur Explosion gebracht. - Thomas Weisbecker ist am 2. März in Augsburg im Zuge einer lange vorbereiteten Überraschungsaktion von einem Exekutionskommando aus Münchner Kripo und Augsburger Polizei ohne Anruf und ohne noch irgendwie reagieren zu können, ermordet worden. Die Polizei hat Thomas Weisbecker bewußt nicht gefangen genommen, sondern erschossen.[142]

[233] Die Fahndungsbehörden haben nunmehr zur Kenntnis zu nehmen, daß sie keinen von uns liquidieren können, ohne damit rechnen zu müssen, daß wir zurückschlagen werden. Die Schutzpolizei, die Bereitschaftspolizei, die Kripo, der Bundesgrenzschutz und ihre behördlichen und politischen Auftraggeber haben zur Kenntnis zu nehmen, daß ihre Anstrengungen, die sozialen Probleme dieses Landes faschistisch zu ,lösen‘- durch die Aufrüstung der Polizei, durch die Militarisierung der Klassenkämpfe, durch rücksichtslosen und hinterhältigen Schußwaffengebrauch - auf Widerstand stoßen werden. Das gilt auch für Polizeieinsätze wie beim Münchner Bankraub, beim Kölner Bankraub, wie gegen den Tübinger Lehrling Epple, gegen ausländische Arbeiter.

Die Taktik und die Mittel, die wir anwenden, sind die Taktik und die Mittel des Guerilla-Kampfes. Die Innenminister und die Bundesanwaltschaft schätzen die Situation falsch ein, wenn sie glauben, sie mit ihren Exekutionskommandos beherrschen zu können. Es ist das Wesen der Guerilla, daß sie - weil sie für die Interessen des Volkes kämpft - durch militärische Aktionen nicht ausgelöscht werden kann und ihre Handlungsfreiheit sooft wiedererlangen kann, wie sie sie zeitweilig verlieren mag. Der brutalen Selbstherrlichkeit der Fahndungsbehörden, dem ,kurzen Prozeß‘ der Faschisten setzen wir den schrittweisen Aufbau der revolutionären Guerilla entgegen, den langen und langwierigen Prozeß des Befreiungskampfes vom Faschismus, von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung des Volkes.

Kampf den Exekutionskommandos der Polizei!

Kampf der SS-Praxis der Polizei!

Kampf allen Ausbeutern und Feinden des Volkes!

ROTE ARMEE FRAKTION - 16. Mai 1972“.

Diesen Brief hatte der Schweizer Anhänger der Gruppe Claude Meier im Auftrag des Angeschuldigten Baader am frühen Morgen des 17. Mai 1972 in Lörrach in einen Postkasten geworfen. Hierzu kam es auf folgende Weise (113):

Claude Meier besuchte in der Nacht vom 16. zum 17. Mai 1972 die ihm schon aus früheren Zusammenkünften bekannten Angeschuldigten Baader und Ensslin in der geheimen Gruppenwohnung Frankfurt/M, Raimundstraße 104. Seine An- [234] kunft teilte er über den ihm als Kontaktnummer genannten Telefonanschluß Stuttgart 29 69 00 dem anderweit verfolgten Gruppenmitglied Irmgard Möller mit. Diese Telefonnummer gehörte zu dem Bandenunterschlupf in Stuttgart, Seidenstraße 71 (114). Nachdem Irmgard Möller fernmündlich die Angeschuldigten Baader und Gudrun Ensslin von der Ankunft des Claude Meier unterrichtet hatte, wurde dieser in die Wohnung Raimundstraße 104 eingelassen. Dort übergab er Baader und Gudrun Ensslin einen - später in Bad Homburg gefundenen - elektrischen Zündverzögerer zum Einbau in selbsthergestellte Sprengkörper sowie in der Schweiz gestohlene Autokennzeichenschilder (115). In dem sich anschließenden Gespräch wurden auch die am 11. und 12. Mai 1972 begangenen Bombenanschläge in Frankfurt/M, Augsburg und München erwähnt. Claude Meier hatte keinen Zweifel, daß sie von der sog. Roten Armee Fraktion verübt worden waren. Der Angeschuldigte Baader wies ihn darauf hin, daß diese Anschläge nur der Auftakt zu einer Serie weiterer Attentate seien. Er zeigte Claude Meier eine Faksimileabbildung eines Schreibens der sog. Roten Armee Fraktion, in der das Kommando „Petra Schelm“ die Verantwortung für den Bombenanschlag in Frankfurt/M übernahm. Der Angeschuldigte Baader erklärte Claude Meier sodann, daß er ihm eine ähnliche Kommandomeldung mitgeben wolle, die er nahe der Schweizer Grenze in einen Postkasten einwerfen solle. Hierdurch sollte das Gebiet der Schweiz in die [235] polizeiliche Fahndung nach den Bombenlegern einbezogen werden. Der Angeschuldigte Baader erwähnte auch, daß die Kommandomeldung „Petra Schelm“, der Brief mit seinem Fingerabdruck an die Deutsche Presseagentur in München und der Brief, den Claude Meier mitnehmen sollte, auf derselben Schreibmaschine geschrieben worden seien. Bei der Verabschiedung übergab die Angeschuldigte Ensslin an Claude Meier einen an die Deutsche Presseagentur in Hamburg adressierten verschlossenen Briefumschlag, den sie in seiner Gegenwart mit einer Briefmarke beklebt und in einen zweiten Umschlag gesteckt hatte. Diesen Brief warf Claude Meier auf der Rückfahrt in die Schweiz in Lörrach zwischen 5.30 und 6.00 Uhr in einen Briefkasten. Die spätere Untersuchung ergab, daß der Brief auf einer Schreibmaschine des Typs „Erika“ geschrieben worden sein kann (116). Von der im Unterschlupf Frankfurt/M., Inheidenerstr. 69, sichergestellten Schreibmaschine „Erika“ stammen auch die von dem Angeschuldigten Baader erwähnten beiden anderen Briefe (117).

Den „Bekennerbrief“ vom 16. Mai 1972 zu den Anschlägen in Augsburg und München hat die Angeschuldigte Meinhof geschrieben. Aufgrund ihrer journalistischen Fähigkeiten war sie innerhalb der Gruppe für öffentliche Erklärungen der sog. Roten Armee Fraktion zuständig. Auch aus den Funden in Bad Homburg und Hamburg, Paulinenallee 36, ergibt sich, daß sie den Brief vom 16. Mai 1972 verfaßt, [236] zumindest aber daran mitgewirkt hat. Im Heuchelbach von Bad Homburg wurde unter den von der Gruppe stammenden Gegenständen eine Kunstledertasche mit Schriftmaterial gefunden. Darunter befand sich ein inhaltlich mit dem von Claude Meier in Lörrach aufgegebenen Brief übereinstimmendes Originalschreiben, das auf der Schreibmaschine „Erika“ aus der Gruppenunterkunft in Frankfurt/M, Inheidenerstr. 69, geschrieben worden war, sowie zwei weitere Vorentwürfe hierzu (118). Den ersten maschinengeschriebenen Entwurf hat die Angeschuldigte Meinhof handschriftlich korrigiert (119); auch die Formulierungen entsprechen ihrer typischen Diktion (120). Der zweite Entwurf ist unter Berücksichtigung dieser Korrekturen wiederum auf der Schreibmaschine „Erika“ abgeschrieben und erneut maschinenschriftlich verbessert worden. Eine Durchschrift des Originals aus Bad Homburg brachte die Gruppe in ihre Berliner Unterkunft in der Budapester Straße 39 (121), eine Kopie zum Verlag „Roter Stern“ in Frankfurt/M, Unterlindau 74 (122).

In anderen an mehrere Nachrichtenredaktionen verschickten gleichlautenden Briefen hat die Gruppe nochmals hervorgehoben, daß die Anschläge auf die Polizeidirektion in Augsburg und das Bayerische Landeskriminalamt in München am 12. Mai 1972 insbesondere den Zweck hatten, Polizeibeamte zu warnen, sich an der weiteren Fahndung nach Mitgliedern der Gruppe zu beteiligen. In der mit den Worten „Rote Armee Fraktion - 28. Mai 1972“ abschließenden Erklärung heißt es u.a.:

[237] „Willi Brandt hat in seiner Fernsehansprache am 26. Mai behauptet, für die Bombenattentate der letzten Wochen gebe es keine einsehbare politische Begründung, das Leben Unschuldiger sei durch sie gefährdet worden. Der Bundeskanzler konnte mit diesen Behauptungen die Bevölkerung täuschen, weil die westdeutsche Presse die Erklärungen der Stadtguerillakommandos nahezu vollständig unterschlagen hat ...

Die Gründe für das Verfahren liegen auf der Hand: Die Erklärung des Kommandos Thomas Weisbecker würde jeden einzelnen Polizisten dazu bringen, noch einmal darüber nachzudenken, ob er sich an der Fahndung nach der Roten Armee Fraktion aktiv beteiligt oder nicht ...“

Diese Briefe waren gerichtet an den „Tagesspiegel“ in Berlin, den Saarländischen Rundfunk in Saarbrücken, die „Westfälische Rundschau“ in Dortmund, die „Frankfurter Rundschau“ in Frankfurt/M, die Deutsche Presseagentur in Hamburg, den „Stern“ in Hamburg und an das „Reuter“-Büro in Bonn (123). Sie sind auf der im Unterschlupf Hamburg, Paulinenallee 36, sichergestellten Schreibmaschine „Olympia“ geschrieben worden (124). Die zur Beförderung benutzten Briefumschläge sind fertigungs- und zum Teil auch materialidentisch mit einem Briefumschlagfragment, das in der Wohnung Hamburg, Ohlsdorfer Straße, gefunden worden ist. Der Briefumschlag, in dem sich die für die „Westfälische Rundschau“ in Dortmund bestimmte Ausfertigung befand, war mit Postwertzeichen - eine 1,-- DM-Briefmarke und eine Eilzustellungsmarke - freigemacht, die die Abrißstücke zu den beiden gleichen Postwertzeichen auf dem sichergestellten Briefumschlagfragment bildeten (124a).

[238] Ausfertigungen der mit den Worten „Rote Armee Fraktion - 28.5.1972“ abschließenden Briefe, die zum Teil auf der in der Wohnung Frankfurt/Main, Inheidenerstraße 69, sichergestellten Schreibmaschine „Erika“ geschrieben worden sind, befanden sich in einer Tasche, die mit weiteren Ausrüstungsgegenständen der Gruppe in Bad Homburg aufgefunden wurde (125).

Die durch die genannten „Bekennerbriefe“ für die Anschläge in Augsburg und München gegebene Begründung vermochte jedenfalls nicht alle der Gruppe nahestehenden Gesinnungsgenossen zu überzeugen. Die Angeschuldigte Meinhof bemühte sich daher, deren Kritik entgegenzutreten. Von solchen Versuchen zeugen auch die in der Gruppenunterkunft Hamburg, Paulinenallee 36, gefundenen zwei DIN-A-4-Blätter, auf denen sie mit der dort sichergestellten Schreibmaschine „Olympia“ folgende Sätze entworfen, dann aber wieder zum Teil durchgestrichen hat (126):

„Die Rote Hilfe in Frankfurt hat die Anschläge gegen das Polizeipräsidium in Augsburg und das Landeskriminalamt unpolitisch und begriffslos genannt. Die Aktion gegen das Ami-Kasino in Frankfurt fanden sie richtig.

[239] Wir haben die Aktion gegen Buddenberg und die in Augsburg und München gemacht, um das Leben der Genossen im Knast und von uns zu schützen, das Leben der Genossen, die die Anschläge in Frankfurt und Heidelberg durchgeführt haben. Der Widerspruch liegt auf der Hand: Wenn es richtig ist, solidarische Aktionen mit dem Vietcong zu machen, dann ist es nicht nur richtig sondern lebensnotwendig.“

„Diese Ansichten tragen den Stempel der Klassenlage, in der sich die Genossen befinden.“

„Was die Genossen als Vermittlungsproblem darstellen, ist ihr eigenes Problem. Sie wissen, daß der Terror, den die Bullen gegen uns machen, auch gegen sie laufen wird, wenn sie.“

c) Auch die in den vorstehend genannten Äußerungen für die Anschläge in Augsburg und München gegebene Rechtfertigung - Reaktion auf die Erschießung von Thomas Weisbecker - weist auf die Gruppe der Angeschuldigten als Urheber dieses Attentats hin. Thomas Weisbecker war ein wichtiges Mitglied dieser Gruppe. Sie hatte ein erhebliches Interesse, sich an den für seinen Tod am 2. März 1972 in Augsburg verantwortlich erscheinenden Behörden zu rächen und damit gleichzeitig vor ähnlichen Polizeimaßnahmen gegen andere Gruppenmitglieder zu warnen.

Die Bedeutung von Thomas Weisbecker für die Gruppe zeigt sich u.a. darin, daß er bei der Anmietung und Aufrechterhaltung von Bandenunterkünften sowie der Beschaffung und Umrüstung von Kraftfahrzeugen mitgewirkt hat. So überwies er die Februar-Miete 1972 für die Wohnung in Frank- [240] furt/M., Raimundstraße 104, durch die Sparkasse Frankfurt/M. (127) sowie die November- und Dezember-Miete 1971 für die Wohnung in Kiel, Schweffelstr. 10, durch die Kieler Spar- und Leihkasse (128). Die Miete für die Gruppenunterkunft in Augsburg, Georgenstr. 41a, die er bis zu seinem Tod benutzt hatte (129), zahlte er am 2. Februar 1972 (130). Die Schrift auf dem Einzahlungsbeleg der Dresdener Bank in Mannheim vom 2. März 1972 für die geheime Wohnung in Ludwigshafen, Van-Leyden-Str. 17, (Ausgangspunkt für den Banküberfall am 21. Februar 1972 in Ludwigshafen) stammt ebenfalls von ihm (131). Auch die Kaution sowie die Januar- und Februar-Miete 1972 für die zur Vorbereitung der Sprengstoffanschläge angemietete Wohnung in Frankfurt/M., Inheidenerstr. 69, überwies er; außerdem füllte er einen Antrag für den Bezug von Strom aus (132). Er beteiligte sich ferner an den von der Gruppe verübten Kraftfahrzeugdiebstählen. In einem der im November 1971 von Mitgliedern der Gruppe an den Berliner Kaufmann Endrejat geschickten Pakete mit Ausrüstungsgegenständen befand sich ein nachgeprägtes Kennzeichenschild WL - ME 89 mit seinem Fingerabdruck (133). Seine Fingerabdrücke wurden auch in dem von der Gruppe entwendeten und von dem Angeschuldigten Baader Anfang Februar 1972 im Landkreis Bamberg abgestellten Pkw M - EC 1743 gesichert (134). An dem zur Vorbereitung des Sprengstoffanschlags auf das amerikanische Haupt- [241] quartier in Frankfurt/M. gestohlenen VW mit den falschen Kennzeichen F - NH 425 hinterließ er ebenfalls einen Fingerabdruck (135).

Wie anläßlich einer Observation durch Beamte des Bayerischen Landeskriminalamts und des Bundeskriminalamts am 3. Februar 1972 festgestellt wurde, benutzte Weisbecker den von der Gruppe entwendeten Pkw Audi 100, den er mit den falschen Kennzeichen WEL - JV 44 ausgerüstet hatte, zusammen mit dem Gruppenmitglied Carmen Roll (136). Als er an diesem Tage gemäß einer Weisung der örtlichen Einsatzleitung von zwei Beamten der Sonderkommission des Bayerischen Landeskriminalamts festgenommen werden sollte, griff er trotz mehrmaliger Warnung zu der von ihm mitgeführten schußbereiten FN Hochleistungspistole, Kal. 9 mm, und versuchte, sich in eine günstige Schußposition zu bringen. Der eine Beamte kam ihm jedoch zuvor und traf ihn tödlich mit einem Schuß aus der Dienstpistole (137). Zu der Habe des getöteten Weisbecker gehörten eine von dem anderweit verfolgten Rolf Pohle beschaffte Faustfeuerwaffe, drei geladene Magazine, je zwei gefälschte Reisepässe und Führerscheine sowie ein falscher Kraftfahrzeugschein für den von ihm benutzten Pkw (138). Der totalgefälschte Kraftfahrzeugschein und die beiden totalgefälschten Führerscheine sind druckbildidentisch mit mehreren anderen von der Gruppe hergestellten Ausweispapieren (139).

[242] Bei diesem Sachverhalt muß die in dem „Bekennerbrief“ der Gruppe vom 16. Mai 1972 gegebene Darstellung des Geschehens am 2. März 1972 in Augsburg als bewußte Verfälschung bezeichnet werden, die den Zweck hat, den anarchistischen Terror und die Mordversuche an unbeteiligten Polizeibeamten am 12. Mai 1972 in Augsburg zu beschönigen.

III. München, Maillingerstraße[143]

Bayerisches Landeskriminalamt

1. Nachdem die Bomben in der Polizeidirektion in Augsburg abgestellt waren, fuhren im einzelnen nicht ermittelte Mitglieder der Gruppe noch am selben Tag, dem 12. Mai 1972, mit mindestens zwei Pkw auf den Parkplatz des Bayerischen Landeskriminalamts in München, um auch dort eine Bombe zur Explosion zu bringen. Sie sollte Personen, die sich zufällig im Detonationsbereich befanden, töten.

Der Parkplatz ist von den öffentlichen Verkehrsflächen deutlich abgegrenzt und mit einem Pkw nur durch zwei Tore zu erreichen. Die Umfriedung des Parkplatzes bilden im Westen - zur Maillingerstraße - das Hauptgebäude des Bayerischen Landeskriminalamts und eine etwa 2 m hohe Betonmauer bis zur Blutenburgstraße. Im Osten - zur Baudrexelstraße - wird der Parkplatz begrenzt durch die von [243] der Blutenburgstraße fortgesetzte Betonmauer und das Dienstgebäude der Landesbesoldungsstelle. Im Süden - zur Marsstraße hin - schließen sich an: das Gebäude der Kriminaltechnik, das Hauptgebäude und ein Verbindungstrakt zwischen beiden sowie im Norden - fast spitzwinklig zur Blutenburgstraße - die erwähnte Betonmauer. Die beiden zur Tatzeit geöffneten Einfahrtstore zum Parkplatz befinden sich an der Baudrexelstraße, die als Einbahnstraße nur in südlicher Richtung zu befahren ist. In die Betonmauer an der Maillingerstraße ist eine Fußgängertür eingebaut, die während der Dienstzeit nicht verschlossen war und durch die man ohne Kontrolle den angrenzenden Parkplatz erreichen konnte (140).

Gegen 12.30 Uhr fuhr ein männliches Mitglied der Gruppe einen blauen Ford Pkw mit den falschen Kennzeichen FFB - UW 31 von der Blutenburgstraße her kommend durch eines der Tore an der Baudrexelstraße auf den Parkplatz. Es setzte ihn rückwärts in das - von der Maillingerstraße her gesehen - 9. Parkfeld der ersten Parkreihe unmittelbar an die etwa 1,20 m hohe Betonstützmauer, welche die Nordseite des Hauptgebäudes des Landeskriminalamtes vom Parkplatz trennt (141). Der Wagen stand etwa 10 m von der Nordwand des Hauptgebäudes entfernt. In dem Kofferraum im Heck des Fahrzeugs befand sich eine von der Gruppe zum Sprengkörper umgebaute Gasflasche für 33 kg Propangas der Herstellerfirma Butan mit einem Fassungsraum [244] von etwa 80 Litern (142). Sie war wenigstens teilweise mit dem von der Gruppe auch sonst benutzten, selbst gemischten roten Sprengstoff gefüllt (143) und mit einem Wecker der Firma Jerger KG als Zündauslöser versehen (144). Sämtliche anderen jeweils etwa 2,50 m breiten Parkfelder dieser ersten Parkreihe waren mit Personenkraftwagen besetzt, die Angestellte der Landesbesoldungsstelle und des Landeskriminalamts dort abgestellt hatten. Nach dem Einparken verließ der Fahrer den Wagen und begab sich zu Fuß auf die durch den Parkplatz führende Zufahrtsstraße. Etwa zur gleichen Zeit fuhr ein Pkw, der wahrscheinlich von der Angeschuldigten Ensslin gesteuert wurde und ebenfalls mit einem Fürstenfeldbrucker Kennzeichen versehen war, auf den Parkplatz. In diesen Wagen stiegen der Fahrer des Tatfahrzeuges und ein weiteres Mitglied der Gruppe, das sich zur Absicherung in den anderen Parkreihen aufgehalten hatte. Etwa gegen 12.30 Uhr verließ der Fluchtwagen das Parkgelände durch die südliche Toreinfahrt (145).

Gegen 14.15 Uhr rief ein nicht ermitteltes weibliches Mitglied der Gruppe bei der Telefonzentrale der Landesbesoldungsstelle an und erklärte der Telefonistin Froschmeier (146): „In zirka 7 Minuten wird im Landeskriminalamt eine Bombe losgehen. Räumen Sie das Haus in Richtung Marsstraße!“ Aufgrund dieser Warnung wies der Amtsinspektor Scheiner die Bediensteten an, das Gebäude [245] zu verlassen (147). Die Räumung war nur durch die zum Parkplatz des Landeskriminalamts hinführenden Türen möglich, da ein Ausgang zur Baudrexelstraße nicht besteht.

2. Während sich die Räumung über den Parkplatz vollzog, explodierte etwa um 14.20 Uhr der in dem Pkw FFB - UW 31 versteckte Sprengkörper. Die Bombe zerfetzte den Wagen vollständig. Über den Parkplatz erhob sich eine bis zu den Dächern der umliegenden Gebäude reichende Rauchwolke. Die Sprengwirkung war gewaltig. Unter dem Detonationszentrum wurde der geteerte Boden muldenartig aufgerissen. Die unmittelbar hinter dem Detonationszentrum verlaufende 1,20 m hohe und 30 cm dicke Betonstützmauer wurde etwa 4 cm tief in das Erdreich eingedrückt und durchbrochen. Bombensplitter trafen die Nordwand des Hauptgebäudes bis in das oberste (sechste) Stockwerk (148).

Die schwersten Schäden entstanden an den in der Nähe des Tatwagens geparkten Kraftfahrzeugen. Zahlreiche Karosserie-, Motor- und andere Teile des Tatfahrzeugs und der neben ihm geparkten Wagen wirbelten durch die Luft und flogen zum Teil bis in den öffentlichen Verkehrsraum. So schleuderten größere Karosserieteile eines völlig demolierten Pkw noch 80 m vom Detonationszentrum entfernt über die 2 m hohe Betonmauer hinweg auf die für Fußgänger bestimmte Verkehrsinsel Blutenburg-/Maillinger-/Baudrexelstraße und vor die Litfaßsäule auf dem Bürgersteig der [246] Baudrexelstraße. Die scharfkantigen schweren Blech- und Eisenteile trafen nur zufällig niemanden. Der westlich neben dem Tatwagen in Parkreihe I Parkfeld 8 abgestellte Pkw Fiat 125 M - RJ 616 (149) wurde durch die Druckwelle völlig zerstört und 10 m weit durch die Luft geschleudert. Er blieb dann mit dem Vorderteil 1,70 m hoch auf dem in derselben Parkreihe Parkfeld 4 geparkten und total beschädigten Pkw Ford Capri STA - WD 50 liegen. Der östlich neben dem Tatwagen in Parkreihe I Parkfeld 10 abgestellte Pkw VW-Käfer M - SR 850 (150) wurde ebenfalls zertrümmert und über eine Strecke von 10 m in die Zufahrtsstraße zu den Parkreihen I und II geschleudert; sein Motor flog noch 4 m weiter und blieb an der Einfahrt zu den beiden Parkreihen liegen. Der Parkplatz bot, namentlich im Bereich der Sprengstelle, ein Bild völliger Verwüstung und Zerstörung. Etwa 100 Pkw wurden zum Teil total beschädigt (151).

An den Gebäuden des Bayerischen Landeskriminalamts entstand - etwa bis zu einer Entfernung von 80 m vom Sprengzentrum - ebenfalls erheblicher Sachschaden. 124 Glasscheiben wurden zerstört. Etwa 106 Zimmer sowie Gänge und Toiletten wiesen Schäden am Mauerwerk, an den Türen, Fensterstöcken und Einrichtungsgegenständen auf. Auch die Dienstgebäude der Landesbesoldungsstelle in der Baudrexelstraße Nr. 2 und 5 wurden von der Explosionswirkung betroffen. Die schwersten Schäden entstanden an dem Gebäude Nr. 5, das [247] auf dem Gelände des Bayerischen Landeskriminalamts steht. Die Dachhaut dieses Gebäudes, 47 Fensterstöcke, 24 Türen und Türstöcke wurden teilweise, 75 Fenster völlig zerstört.

Auch in dem äußeren Tatortbereich - dem Bereich außerhalb der Gebäude des Bayerischen Landeskriminalamts und der Landesbesoldungsstelle sowie des dazwischen liegenden Parkplatzes - kam es überwiegend durch Druckwellen und vereinzelt durch Splitterwirkung zu erheblichen Beschädigungen. Dort gingen insgesamt zwei große Schaufenster, 184 Fenster-, 17 Tür- und 7 Balkonscheiben zu Bruch. Die schwersten Schäden entstanden bis zu einer Entfernung von etwa 110 m vom Tatort an den Wohnungen in der Maillinger- und in der Elvirastraße, die übrigen Schäden in der Blutenburg-, Nymphenburger- und Klarastraße (152).

Der durch die Explosion im inneren und äußeren Tatortbereich insgesamt eingetretene Sachschaden beträgt etwa 588 000 DM (Kfz-Schäden etwa 157 000 DM (153); Schäden am Gebäude des Landeskriminalamts etwa 306 000 DM (154); Schäden am Gebäude der Landesbesoldungsstelle etwa 60 000 DM (155); Gebäude- und Einrichtungsschäden im äußeren Tatortbereich etwa 65 000 DM (156)).

Während der Explosion befanden sich mehrere Personen in unmittelbarer Lebensgefahr. Der Parkplatz war zur Tat- [248] zeit von den öffentlichen Straßen her frei zugänglich. Über ihn führten die Ein- und Ausgänge zur Landesbesoldungsstelle. Auch am Tattage wurde er namentlich von den Bediensteten des Landeskriminalamts und der Landesbesoldungsstelle benutzt.

So begab sich die Ehefrau des beim Landeskriminalamt beschäftigten Technikers Dr. Weber gegen 14.15 Uhr durch die Fußgängertür an der Maillingerstraße auf den Parkplatz, um den von ihrem Mann in der Parkreihe II etwa 6 m schräg gegenüber dem Tatwagen geparkten Pkw Renault 4 DAH - N 862 abzuholen. Sie hatte gerade den Motor angelassen, als die Bombe explodierte. Der Wagen, in dem sie saß, wurde total beschädigt. Schwere Karosseriebeile des Tatfahrzeuges flogen unmittelbar neben ihn. Frau Weber erlitt einen schweren Schock und Gehörschäden. Ihre Kleidung und Haare waren mit Glassplittern durchsetzt, das Gesicht blutverschmiert (157). Hätte Frau Weber während der Explosion noch neben ihrem Wagen gestanden, so wäre sie durch die dort hingeschleuderten Karosserieteile des Tatwagens getötet worden.

Außer Frau Weber wurden noch 9 Personen durch umherfliegende Gegenstände und den Explosionsdruck verletzt. Den zehnjährigen Jochen D[...], der mit seinem Roller auf dem Bürgersteig der Blutenburgstraße etwa 130 m vom Tatort entfernt fuhr, warf die Druckwelle zu Boden. Er er- [249] litt einen leichten Schock und Schürfwunden am rechten Knie, in das auch ein Glassplitter gedrungen war (158). Bei den übrigen Verletzten handelte es sich um Bedienstete der Landesbesoldungsstelle, die sich noch in ihrem Dienstgebäude aufhielten oder es wegen der Bombenwarnung schon verlassen hatten (159). Zum Teil hatten sie sich im unmittelbaren Streubereich der Bombe und der von ihr zertrümmerten Kraftfahrzeugteile befunden. Sie entgingen nur durch Zufall schweren oder tödlichen Verletzungen. Angehörige des Landeskriminalamts, denen der Anschlag in erster Linie gegolten hat, sind nicht verletzt worden.

3. Neben den Wrackteilen des Tatfahrzeugs, das durch die Explosion in die Parkreihe II zwischen die Parkfelder 6 und 7 geschleudert wurde und neben dem Pkw der Frau Weber liegen blieb, befand sich ein Kraftfahrzeug-Typenschild der Ford-Werke, aus dem sich die Farbe, der Typ und die Fahrgestellnummer des Tatwagens ergaben (160). Mit Hilfe des Typenschildes konnte die Gothaer Feuerversicherung in Ulm als Eigentümerin des Pkw ermittelt werden. Sie hatte den auf das amtliche Kennzeichen UL - AR 71 zugelassenen Wagen dem für sie tätigen Versicherungskaufmann Manfred Lawrowicz zur Verfügung gestellt. Diesem war er in der Nacht vom 27. zum 28. April 1972 vor seinem Reihenbungalow in Neu-Ulm, [Anschrift], gestohlen worden. Manfred Lawrowicz konnte mehrere nach der Explosion auf [250] dem Parkplatz des Bayerischen Landeskriminalamts sichergestellte Papierfetzen als Teile von Versicherungsunterlagen erkennen, die beim Diebstahl im Wagen gelegen hatten (161).

In den Wrackteilen des Tatfahrzeugs befand sich auch die Lenksäule mit dem Zündschloß (162). Der Schlüsselkanal des Schließzylinders wies Gewindespuren auf, die mit Sicherheit von einem besonders konstruierten Aufsperrwerkzeug verursacht worden sind, das damals nur von der Baader-Meinhof-Gruppe verwandt wurde (163). Dieses Werkzeug drehten sie in das Lenkradschloß und rissen damit den Schließzylinder aus dem Schloßgehäuse. So kann ein Lenkrad-Zündschloß mit geringer körperlicher Kraft in verhältnismäßig kurzer Zeit entsperrt und das Kraftfahrzeug wieder fahrbereit gemacht werden. Dieses dem üblichen Kurzschließen überlegene Verfahren war vorher weder bei den Ermittlungsbehörden noch in Fachkreisen der Kraftfahrzeugindustrie bekannt (164). Mitglieder der Gruppe haben es z.B. angewandt, als sie in der Nacht zum 17. Dezember 1971 den VW-Bus M - VL 535 - Tatfahrzeug beim Kaiserslauterner Banküberfall - in München (165) und in der Nacht zum 10. Februar 1972 den Pkw BMW HD - JX 23 - Tatfahrzeug beim Ludwigshafener Banküberfall - in Heidelberg (166) stahlen. Auch das Lenkradschloß des am 3. Februar 1972 von dem Angeschuldigten Baader im Landkreis Bamberg abgestellten Pkw VW mit den falschen Kennzeichen [251] M - EC 1743 wies gleiche charakterische Gewindespuren auf wie das anläßlich des Sprengstoffanschlags in München sichergestellte Lenkradschloß (167). Dasselbe gilt für die Lenkradschlösser der beiden Pkw Porsche Targa (l67a) und Iso Rivolta (l67b), die die Angeschuldigten Baader, Meins und Raspe zur Zeit ihrer Festnahme im Besitz hatten. Gleiche Gewindespuren fanden sich auch an einem in der Wohnung Hamburg, Thiedeweg, sichergestellten Zündschloß (l67c). Die genannten - als Tatwerkzeuge in Betracht kommenden - Aufsperrgeräte hatten das Gruppenmitglied Carmen Roll bei ihrer Festnahme am 2. März 1972 in Augsburg (168) und die Angeschuldigte Meinhof bei ihrer Festnahme am 15. Juni 1972 in Langenhagen (169) bei sich. Sie wurden ferner in zahlreichen Unterkünften der Bande gefunden (170), so allein in der Wohnung Frankfurt/M, Inheidenerstraße, vier Stück (l70a). In dem Unterschlupf Hamburg, Ohlsdorfer Straße, befand sich ein fünfteiliger Satz von Schraubenausdrehern, aus dem lediglich der zur Herstellung der Aufsperrwerkzeuge erforderliche Schraubendreher der Größe 2 fehlte (l70b). Die zur Konstruktion benötigten Metallhülsen lagen u.a. in den Wohnungen Hamburg, Paulinenallee, und Frankfurt/M, Inheidenerstraße (l70c).

Die Gruppe hatte zu der Zeit, als der später zum Bombentransport in München benutzte Wagen in Neu-Ulm mittels eines damals nur von ihr benutzten Aufsperrwerk- [252] zeuges entwendet wurde, mindestens eine nahegelegene Unterschlupfmöglichkeit, und zwar in der Wohnung des Schauspielers Wolf-Dieter Tropf in Neu-Ulm, Brückenstraße 3 (171). Ebenfalls in Neu-Ulm hat die Gruppe, und zwar in der Nacht zum 23. Mai 1972, von zwei in der Breslauer Straße 16 und 18 geparkten amerikanischen Pkw die Kennzeichenschilder ET - 2778 und EL - 3136 entwendet, die sie an den beiden für den Sprengstoffanschlag in Heidelberg benutzten Pkw anbrachte (171a).

Die an dem Tatfahrzeug UL - AR 71 zur Zeit des Sprengstoffanschlags in München angebrachten falschen Kennzeichen FFB - UW 31 (171b) waren am 25. April 1972, also drei Tage vor dem Diebstahl dieses Fahrzeugs, bei dem Schilder-Hersteller Georg Sanktjohanser in München gekauft worden (172). Entsprechend der auch sonst zum Zwecke der besseren Tarnung geübten Praxis der Gruppe handelte es sich hierbei um sog. Doubletten, die für ein ähnliches Fahrzeug, nämlich den blauen Pkw Ford-Taunus des Versicherungskaufmanns Heinrich Reischig aus Fürstenfeldbruck, amtlich ausgegeben waren (173). Die Wohnung von Reischig in Fürstenfeldbruck, [Anschrift], liegt in der Nähe der Garage des Pfarrers Bachmaier und des Kaplans Frania in Fürstenfeld- [253] bruck, [Straße]. In dieser - damals offenstehenden - Garage hatten Mitglieder der Gruppe am 15. April 1972 zwischen 20.00 und 22.00 Uhr aus den vorderen Kennzeichen der dort geparkten Volkswagen FFB - KE 90 und FFB - RY 56 mit einer Blechschere die Zulassungsplaketten herausgeschnitten (174). Das aus dem Kennzeichen FFB - KE 90 herausgeschnittene Paßstück, von dem die Originalplakette fachmännisch abgelöst worden war, wurde in der Gruppenwohnung Frankfurt/M, Inheidenerstraße 69, die zur Tat benutzte Blechschere in der Gruppenwohnung Stuttgart, Seidenstraße 71, sichergestellt (175). Die Gruppe verfügte somit über Originalplaketten des Landkreises Fürstenfeldbruck, die sie an den für den Tatwagen benutzten falschen Kennzeichen befestigen konnte (176).

Den mit den Kennzeichen FFB - UW 31 versehenen Tatwagen benutzten vor dem Sprengstoffanschlag mindestens der Angeschuldigte Raspe und das Gruppenmitglied Bernhard Braun. Der Angeschuldigte Raspe wurde am 5. Mai 1972 zwischen 15.00 und 16.00 Uhr in München in der Nähe des Kreuzhofes als Fahrer des Wagens erkannt (177). Am 9. Mai 1972 fuhr er zusammen mit Bernhard Braun zwischen 13.00 und 14.00 Uhr mit diesem Wagen in das Mühltal Krs. Wolfratshausen, wo die beiden auf der für den [254] Durchgangsverkehr gesperrten Zufahrtsstraße beobachtet wurden (178). Zu den angegebenen Zeiten befand sich der rechtmäßige Inhaber der Kennzeichen FFB - UW 31, der Kaufmann Reischig, mit seinem Pkw an anderen Orten, so daß auch deswegen eine Verwechslung mit seinem Fahrzeug ausgeschlossen ist (179).

Am Tatort wurde etwa 13,5 m ostwärts des Sprengzentrums unmittelbar am Fuß der Betonstützmauer ein Halsringsplitter gefunden (180). Die darauf vorhandenen Einprägungen lassen erkennen, daß es sich um das Reststück einer Gasflasche für 33 kg Propangas der Firma Butan mit einem Füllvolumen von etwa 80 Litern handelt (181). Eine solche Flasche hat die Bande auch bei dem noch zu schildernden Sprengstoffanschlag in Heidelberg als Sprengkörper benutzt (181a). Ein Typenschild, das von der in München eingesetzten Gasflasche stammen kann, wurde in der Wohnung Frankfurt/M, Inheidener Straße 69, sichergestellt (182). In demselben Zimmer dieses Unterschlupfes befand sich ein anderes Typenschild, das von einer dort sichergestellten Gasflasche für 11 kg Propangas entfernt worden war. Auch diese Flasche hatte die Gruppe bereits zu einem zündfertigen Sprengkörper umgebaut und mit 32 kg Sprengstoff gefüllt, der auf derselben Basis wie der in München verwandte Sprengstoff, nämlich mit der für die Bande typischen Mischung von Mennige und Aluminium, hergestellt worden war (183).

[255] Die am Tatort sichergestellten Uhrenteile gehören zu einem Wecker der Firma Jerger KG aus Niedereschach/Schwarzwald. Die darin befindlichen Lötstellen und Drahtreste lassen darauf schließen, daß mit der Uhr eine elektrische Zündung gekoppelt war und der Wecker als Kontaktgeber benutzt wurde (184). Die Bande hat auch sonst von ihr umgebaute Wecker der Firma Jerger als Zündauslöser für Sprengkörper verwandt. Bei den von ihr stammenden in Bad Homburg sichergestellten Ausrüstungsgegenständen befanden sich neben zahlreichen Weckern verschiedenster Herstellerfirmen auch ein Wecker der Firma Jerger sowie mehrere zu einem solchen Wecker gehörende Einzelteile (184a). Mehrere dort sichergestellte Wecker waren nach dem gleichen Verfahren und unter Verwendung gleichartiger Materialien wie die am Tatort in München gefundenen Uhrenteile für das Schließen eines Stromkreises umgebaut (184b). In gleicher Weise als Kontaktgeber präparierte Uhren und Uhrenteile wurden ferner in dem Unterschlupf Frankfurt/M, Inheidener Straße 69, gefunden (184c). Darunter befand sich auch ein von einem roten Tischwecker der Firma Jerger abgetrennter Rahmen (184c) sowie ein aus einem solchen Wecker stammender Aufzugsknebel aus Kunststoff (184d). Die für den Umbau erforderlichen Lötgeräte konnten dort sichergestellt werden (184e). Zwei weitere Wecker der Firma Jerger befanden sich in der Wohnung Stuttgart, Seidenstraße 71 (184f). Die beiden von der Bande in Heidelberg [256] zur Explosion gebrachten Gasflaschenbomben waren, wie noch unter C VI darzulegen sein wird, ebenfalls mit solchen Tischweckern der Firma Jerger ausgerüstet; sie wiesen dieselben Umbaumerkmale auf wie der bei dem Sprengstoffanschlag in München verwendete Wecker (184g).

Die Untersuchung der am Tatort in München gesicherten Schmauchspuren ergab, daß sie von einem Sprengstoff stammen, der unter anderem Ammoniumnitrat, Mennige und Aluminiumpulver enthielt (185). Das sind die wesentlichen Bestandteile des von der Bande auch sonst als Sprengstoff verwandten, bisher mindestens in Europa unbekannten sogenannten roten Gemisches (186).

Die von der Gruppe zu dem Sprengstoffanschlag in Augsburg abgegebenen, oben unter C II 3 b geschilderten Tatbekenntnisse betreffen zugleich den Sprengstoffanschlag in München. Beide Anschläge sollten nach Auffassung der Angeschuldigten als Reaktion auf die Erschießung des Gruppenmitglieds Thomas Weißbecker bei der Fahndung durch Beamte des Bayerischen Landeskriminalamts und der Augsburger Polizei verstanden werden.

IV. Karlsruhe, Klosestraße 38[144]

Bundesrichter Buddenberg

Drei Tage nach den Anschlägen in Augsburg und München setzte die Baader-Meinhof-Bande - wie von vornherein geplant und wie vom Angeschuldigten Baader gegenüber Claude [257] Meier angekündigt - die Serie der Sprengstoffanschläge fort.

1. Am 15. Mai 1972 versuchten Mitglieder der Gruppe den damals in dem vorliegenden Verfahren tätig gewesenen Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof[145] Wolfgang Buddenberg[146] und/oder ein Familienmitglied in seinem Volkswagen 1300 L (KA - PE 890) zu töten.

Der Richter hatte sein Kraftfahrzeug am 14. Mai 1972 gegen 18. Uhr vor seiner Wohnung in Karlsruhe, Klosestraße 38, mit verschlossenen Türen abgestellt. Der Motorraum war nicht verschließbar (187). Während der folgenden Nacht brachten Gruppenmitglieder unter dem Bodenblech des Fahrzeugs in Höhe des hinteren Teils des Beifahrersitzes neben dem Mitteltunnel einen feldflaschenförmigen Sprengkörper mit Magnetfüßen an (188).

2. Als Frau Gerta Buddenberg, die Ehefrau des Richters, am 15. Mai 1972 gegen 12.35 Uhr den Anlasser des Wagens betätigte, wurde die Sprengladung gezündet (189). Die explodierende Bombe riß das Bodenblech des Fahrzeugs in einer Länge von etwa 1,20 m und einer Breite von ca. 0,40 m von unten nach oben auf. Sie zerriß das Motorgehäuse im Bereich des Getriebes, zerfetzte den Beifahrersitz, riß das Stahlschiebedach heraus und schleuderte es etwa 9 m weit. Reifen, Bodenblech und Dach wurden an vielen Stellen von Splittern durchschlagen. Die hintere Sitz- [258] bank wurde hochgerissen und zum Teil zerfetzt. Die Hitze der Explosion verschmorte einen Teil des Beifahrersitzes und sengte die Polsterung der übrigen Sitzflächen an. Der Explosionsdruck verformte die Kotflügel, die rechte Tür und die Trittbretter. Zum Teil wurden sie eingerissen, zum Teil abgerissen. Die Windschutzscheibe, die hinteren Seitenfenster, das Heckfenster, die Zierleisten, das Glas der Scheinwerfer, die Rückleuchten und die Radkappen wurden herausgedrückt, teils zerstört, teils weggeschleudert. Unter dem Fahrzeug in Höhe des Beifahrersitzes entstand ein etwa 9 cm tiefer, fast runder Sprengtrichter mit einem Durchmesser von etwa 25 cm. Teile des Sprengsatzes, Metallsplitter und die Druckwelle beschädigten fünf in der Nähe abgestellte Kraftfahrzeuge und zerstörten insgesamt 29 Fensterscheiben der umliegenden Wohnhäuser. Sprengsatzteile und sonstige Metallsplitter wurden bis zu 38 m weit weggeschleudert (190). Die Beschädigungen am Fahrzeug lassen erkennen, daß für jeden Insassen - gleichgültig auf welchem Sitz - tödliche Verletzungen zu erwarten waren.

Frau Buddenberg, die noch während des Explosionsvorganges das Fahrzeug fluchtartig verlassen konnte, wurde am rechten Schultergelenk und an beiden Beinen von Splittern getroffen. Die Splitter wurden bei der ersten Wundversorgung in Narkose entfernt. Außerdem erlitt Frau Buddenberg eine exogene Depression, eine Leberschädi- [259] gung und eine erhebliche Beeinträchtigung ihres Hörvermögens. Ihr physischer und psychischer Zustand erforderten Krankenhausaufenthalte von insgesamt 13 Wochen. Frau Buddenberg leidet heute noch unter den Folgen der Verletzungen. Sie ist für dauernd geschädigt (191).

3. Mitglieder der Gruppe hatten den Sprengsatz selbst hergestellt. In seiner Bauart und seinen Bauelementen entsprach er dem Sprengkörper mit Haftmagneten, der in dem Unterschlupf der Gruppe in Frankfurt/M, Inheidenerstr. 69, sichergestellt wurde (192). Der Sprengkörper bestand aus zwei mit einem Bord versehenen gewölbten Stahlteilen, wie sie Heizungsfirmen unter der Bezeichnung „Klöpperböden mit Bord“ für Druckrohrabschlüsse verwenden. Diese Böden waren zu einem Hohlkörper in der Form einer Feldflasche zusammengeschweißt. In die eine Seite des Körpers war ein Rohrstück mit Gewinde eingelassen, das mit einer Sechskant-Schraubkappe verschlossen war. Beiderseits des eingefügten Rohrstückes war je ein Tragebügel aus Rundeisen 8 mm angeschweißt. Außerdem waren um den Hohlkörper in gleichem Abstand drei Magnetfüße angebracht, die geeignet waren, ihn am Bodenblech eines Kraftfahrzeugs anzubringen. Der Sprengkörper hatte einen Außendurchmesser von knapp 16 cm und eine Höhe (ohne die Magnetfüße) von etwa 10 cm.

[260] Auf den Magnetfüßen des in Frankfurt/M., Inheidenerstr. 69, sichergestellten Sprengsatzes hafteten die zu den Magneten gehörenden eloxierten Stahlscheiben. In dieser Wohnung wurden noch drei weitere solcher Scheiben gefunden, nicht aber dazugehörende Magnete (193). Rundeisen 8 mm wurden sowohl in dieser Wohnung als auch in der Garage in Frankfurt/M., Hofeckweg, sichergestellt (194). Weitere aus Klöpperböden mit Bord hergestellte funktionsfähige Sprengkörper wurden in der Unterkunft der Gruppe in Frankfurt/M., Inheidenerstr. 69, im Heuchelbach in Bad Homburg v.d.H. und in dem von der Angeschuldigten Ulrike Meinhof in die Wohnung des Lehrers Fritz Rodewald, Hannover-Langenhagen, Walsroder Straße 11, mitgebrachten Gepäck gefunden (195). Sie unterschieden sich vom Tatsprengkörper und dem in der Inheidenerstraße gefundenen Vergleichsstück allerdings dadurch, daß an ihnen seitlich ein aus zwei Rohrstücken rechtwinklig zusammengeschweißter Tragegriff aus Stahlrohr angebracht und die Oberfläche der Klöpperböden zur Erhöhung der Splitterwirkung in Abständen von 4 cm gitterartig angefräst war (196).

Der zur Tat benutzte Sprengsatz wurde durch Einschalten des Anlassers mit Hilfe der 12-Volt-Batterie des Fahrzeugs durch Abnahme der Spannung von der Zündspule gezündet (197). Der Sprengkörper war entweder mit einem elektrischen Momentzünder, einem Brückenzünder mit Sprengkapsel oder mit einem selbstgefertigten Elektrozünder [261] ausgerüstet (198). Solche selbstgefertigten Zünder wurden sowohl in der Unterkunft Frankfurt/M, Inheidener Straße 69 (199), als auch im Schloßteich in Bad Homburg v.d.H. (200) gefunden. In allen Zündern befand sich eine Knallquecksilberfüllung (201). Ausgangsmaterialien zur Herstellung von Knallquecksilber wurden in der Wohnung Frankfurt/M, Inheidener Straße 69, sichergestellt (202). Anleitungen zur Herstellung von Knallquecksilber wurden sowohl in der Bandenunterkunft Berlin, Knesebeckstraße 89 (203), als auch in Bad Homburg v.d.H. (204) gefunden. Zünder und Zündspule waren durch kupferüberzogene Eisendrähte verbunden, deren gelbe Isolation im Motorraum mit einem nicht gleichmäßig aufgetragenen schwarzen Überzug versehen war (205). Drähte derselben Beschaffenheit fanden sich in den Unterkünften in Frankfurt/M, Inheidener Straße 69 (206) und in der Ginnheimer Landstraße (207). Zum Isolieren der Verbindungsstellen von isolierter Kupferlitze und Zündkabel wurde schwarzes ca. 38 mm breites Klebeband verwandt (208). Gleiches Klebeband wurde in der von der Gruppe benutzten Garage in Frankfurt/M, Ginnheimer Landstraße 42 (209), und in der Bandenunterkunft in Hamburg, Ohlsdorfer Straße 1-3 (210), sichergestellt.

Nach dem Ergebnis der chemischen Untersuchungen der Schmauchanhaftungen an der Unterseite des Bodenblechs des zerstörten Kraftfahrzeugs ist es sehr wahrscheinlich, daß das sogenannte „graue Gemisch“, bestehend aus Kalium- [262] nitrat, Ammoniumnitrat, Schwefel, Holzteilchen und Kohlepartikel, als Sprengstoff verwendet worden ist (211). Dieses Gemisch wurde in verschiedenen Unterkünften der Bande und in den drei nicht detonierten Bomben in Hamburg sichergestellt (212).

Mitglieder der Gruppe hielten sich sowohl zur Tatzeit als auch in den Tagen vor und nach dem Anschlag in Karlsruhe und in der näheren Umgebung von Karlsruhe auf (213).

Nach dem Anschlag veröffentlichte die „Rote Hilfe“ in ihren in Berlin und Hamburg erschienenen Mitteilungsblättern auf hektographierten Beiblättern die Erklärung der „Rote Armee Fraktion“ vom 20. Mai 1972, mit der sich die Gruppe zu dem Attentat auf den Richter Buddenberg und dessen Familie bekannte. Die Erklärung lautet (214):

„Am Montag, den 16. Mai 1972 hat das „Kommando Manfred Grashof“ einen Sprengstoffanschlag gegen den Karlsruher BGH-Richter Buddenberg durchgeführt. Buddenberg ist der beim Bundesgerichtshof zuständige Haft- und Ermittlungsrichter[147] für die wegen § 129[ StGB][148] laufenden politischen Verfahren.

Buddenberg, das Schwein, hat Grashof zu einem Zeitpunkt vom Krankenhaus in die Zelle verlegen lassen, als der Transport und die Infektionsgefahr im Gefängnis noch lebensgefährlich für ihn waren.[149] Er hat den Mordversuch an Grashof, der den Bullen nicht gelungen ist, an dem wehrlosen Grashof wiederholt.

Buddenberg, das Schwein, ist dafür verantwortlich, daß Carmen Roll narkotisiert[150] worden ist, um sie zum Reden zu bringen. Der voraussehbare Verlauf der Narkose hat bewiesen, daß das ein Mordversuch war.

Buddenberg, das Schwein, kümmert sich einen Dreck um geltende Gesetze und Konventionen. Die strenge Isolation, in der die Gefangenen gehalten werden, um sie psychisch fertig zu machen: Einzelhaft, Einzelhofgang, [263] Redeverbot mit Mitgefangenen, permanente Verlegungen, Arreststrafen, Beobachtungszelle, Briefzensur, Unterschlagung von Briefen, Büchern, Zeitschriften - die Maßnahmen, mit denen sie physisch fertiggemacht werden: grelle Zellenbeleuchtung nachts, häufiges Wecken und Durchsuchen, Fesselung beim Hofgang, körperliche Mißhandlungen - das sind nicht die Schikanen von kleinen, frustrierten Gefängniswärtern, das sind Buddenbergs Anordnungen, um die Gefangenen zur Aussage zu erpressen. Das ist der bereits institutionalisierte Faschismus in der Justiz. Das ist der Anfang von Folter.

Wir verlangen, daß ab sofort die Untersuchungshaftvollzugsordnung,[151] die Genfer Menschenrechtskonvention,[152] die Charta der Vereinten Nationen bei der Durchführung der U-Haft der politischen Gefangenen[153] angewendet werden. Wir verlangen von der Justiz, daß das Leben und die Gesundheit der Gefangenen nicht länger systematisch angegriffen und zerstört werden.

Wir werden sooft und solange Sprengstoffanschläge gegen Richter und Staatsanwälte durchführen, bis sie aufgehört haben, gegen die politischen Gefangenen Rechtsbrüche zu begehen. Wir verlangen damit nichts, was für diese Justiz unmöglich wäre. Andere Mittel, um sie dazu zu zwingen, haben wir nicht.

Freiheit für die politischen Gefangenen!

Kampf der Klassenjustiz!

Kampf dem Faschismus!

ROTE ARMEE FRAKTION - 20. Mai 1972.“

Das Original der Erklärung, die in dem in Berlin erschienenen Mitteilungsblatt verbreitet worden war, wurde in Bad Homburg v.d.H. im Heuchelbach gefunden (215). Es war mit der Reiseschreibmaschine Marke „Erika“ geschrieben worden, die in dem Bandenunterschlupf in Frankfurt/M., Inheidenerstraße 69, sichergestellt wurde (216). In den Räumen des Verlages „Roter Stern KG“ in Frankfurt/M., Unterlindau 74, wurden neben Fotokopien anderer Bekennerbriefe auch Kopien der den Anschlag auf den Richter Buddenberg behandelnden Erklärung gefunden (217). Letztere sind [264] schreibaktidentisch mit dem in Bad Homburg v.d.H. im Heuchelbach gefundenen Original der Erklärung (218).

Ein weiteres Bekenntnis der Gruppe zu dem Anschlag auf den Richter Buddenberg wurde in der Bandenunterkunft in Hamburg, Paulinenallee 36, gefunden (219). In diesem nicht beendeten Entwurf einer Rechtfertigung gegenüber Gesinnungsfreunden, der von der Angeschuldigten Ulrike Meinhof (220) auf der in demselben Bandenunterschlupf sichergestellten Schreibmaschine Marke „Olympia“ geschrieben wurde (221), heißt es u.a.:

„Die Rote Hilfe in Frankfurt ...

Wir haben die Aktion gegen Buddenberg und die in Augsburg und München gemacht, um das Leben der Genossen im Knast und von uns zu schützen, das Leben der Genossen, die die Anschläge in Frankfurt und Heidelberg durchgeführt haben.

Der Widerspruch ...“

V. Hamburg, Kaiser-Wilhelm-Straße 6[154]

Axel-Springer-Hochhaus

1. Ziel eines weiteren Sprengstoffanschlages der Baader-Meinhof-Gruppe war das Axel-Springer-Verlagshaus in Hamburg. Dem Springer-Konzern sollte eine „Lektion für seine antikommunistische Hetze gegen die neue Linke und die Befreiungsbewegungen in der 3. Welt“ erteilt werden. Die Bande nahm billigend in Kauf, daß hierdurch Mitarbeiter und Be- [265] sucher des Springer-Hauses verletzt oder getötet würden.

Am Freitag, dem 19. Mai 1972, brachten im einzelnen nicht identifizierte Mitglieder der Gruppe (222) fünf selbsthergestellte Rohrbomben in das Axel-Springer-Verlagshaus. In diesem Gebäude waren zur Tatzeit etwa 3000 Personen beschäftigt (223). Die Sprengkörper waren von gleicher Bauart wie die von der Gruppe bei den Anschlägen in Frankfurt/M. und Augsburg verwendeten Rohrbomben (223a).

a) Gegen 14.30 Uhr brachte ein männliches Mitglied der Gruppe eine Rohrbombe in das zweite Stockwerk (224). Sie befand sich zwischen weißer Papierwolle in einem Karton für 6 Flaschen der Firma Scharlachberg (Größe: 32 mal 24 mal 16,5 cm). Die Außenwände des Kartons waren von oben bis 10 cm zum Boden mit blauen, gelben und roten Klebebändern umwickelt. Der Täter versteckte den Karton in einem oben offenen Blechfaß für - auch farbige - Abfälle von Putzlappen und Zeitungsmakulatur. Diese Tonne stand im Flur des zweiten Stockwerks auf der Besucherbrücke vor der Trennwand zu dem Rotationsraum. Die Trennwand bestand aus einem etwa 15 cm breiten, etwa 9 m langen und 1,20 m hohen Mauersockel, einem bis zur Höhe von 2,3 m auf den Sockel gesetzten Drahtglas und darüber aus Hartfaserplatten. Hinter dieser Wand befand sich die Rotationsmaschine. Mit deren Wartung waren 6 Arbeiter beschäftigt, die sich bis zu 15 m von der Blechtonne entfernt aufhielten (225).

[266] b) Die zweite Bombe brachten die Täter in den Flur des 3. Stockwerks und legten sie entweder auf die vor der Wand zum Korrekturraum stehende, etwa 1,60 m hohe Klimaanlage oder auf den durch den Flur führenden Frischluftschacht. Dieses aus Leichtblech bestehende Rohr verlief in einer Höhe von etwa 2 m von der zur Straße Fuhlentwiete hin gelegenen Außenwand des Gebäudes über die Toilettenanlage und den Gang zum gegenüberliegenden Korrekturraum. In ihm arbeiteten zur Tatzeit 15 Angestellte (226).

c) Die 3. Bombe versteckten die Täter im 6. Obergeschoß. Sie stellten sie auf einen mit Abwässern der Kantine gefüllten sog. Fettabscheider mit den Maßen 2 mal 1,20 mal 1,00 m. Dieser mit einer großen Eisenplatte abgedeckte Behälter befand sich in einem nur von der Damentoilette her zugänglichen, unverschlossenen Verschlag. Gegenüber der Damentoilette, durch einen 1,85 m breiten Gang getrennt, liegen vier Büroräume der Verlagsleitung der Bildzeitung. Hierhin kamen viele Besucher, die sich damals auf dem Gang unkontrolliert aufhalten konnten (226a).

d) Zwei weitere Rohrbomben sollten Teile des 12. Obergeschosses zerstören. Dort befanden sich, wie schon an dem Eingangsschild erkennbar, die Räume der Geschäftsleitung und des Verlegers Axel Springer. Dessen Zimmer lag am Ende eines schmalen, keine Versteckmöglichkeit bietenden Ganges. Deshalb entschlossen sich die Täter, die beiden [267] Bomben in dem diesem Gang vorgelagerten größeren Vorraum abzustellen. Die eine Bombe versteckten sie hinter einem dort befindlichen Sessel, etwa 10 cm von der Wand entfernt. Im unmittelbaren Streubereich der Bombe befanden sich die Eingänge zu acht Räumen der Verlagsleitung „Bild“, der Verlagsleitung „Bild am Sonntag“ und des Chefs des Verlagshauses Hamburg (226b). Zur besseren Tarnung hatten die Täter den Sprengkörper mit grünem filzartigem Tuch (Größe etwa 133 mal 33 cm) umwickelt. Der Stoff war an verschiedenen Seiten zusammengeleimt und mit einem etwa 3,8 cm breiten Kunststoffband verklebt. Versteck und Tarnung der Bombe waren so gut, daß auch die nach den Explosionen eingesetzten Suchtrupps der Polizei und des Verlages diesen - nicht detonierten - Sprengkörper übersehen haben. Die andere für die 12. Etage bestimmte Rohrbombe versteckten die Täter nur wenige Meter hiervon entfernt in einem Feuerlöschschrank, der im Vorraum der Herrentoilette eingebaut war. Die Bombe lag unmittelbar vor der Wand, die die Toilette von den sich daran anschließenden Arbeitsräumen der Direktion trennt. Sie war in einem grau-braunen, mit Bindfaden verschnürten Karton (Größe 33 mal 22 mal 20,5 cm) verpackt. Im Innern des Kartons hatten die Täter den Sprengkörper mit weißer Papierwolle und einem etwa 27,5 mal 19,5 cm großen Stoff abgedeckt (227)

[268] Nachdem die Mitglieder der Gruppe die 5 Rohrbomben an den beschriebenen Stellen versteckt und die Kurzzeitwecker auf den vorgesehenen Explosionszeitpunkt eingestellt hatten, verließen sie unbemerkt das Verlagshaus.

Etwa 6 Minuten vor der Zündung „warnten“ sie die Telefonzentrale durch anonyme Anrufe. Die Gruppe wußte, daß das Büro-Hochhaus während der Dienststunden nicht innerhalb des bis zur Explosion verbleibenden Zeitraumes geräumt werden konnte. Die Anrufe hatten deshalb nur den Zweck, gegenüber der Öffentlichkeit die Schuld an etwaigen Verletzungen oder Tötungen der 3000 zu dieser Zeit dort tätigen Arbeiter und Angestellten einer nicht rechtzeitigen Räumung durch die Verlagsleitung zuzuschreiben. Um 15.35 Uhr erhielt Frau Tilge in der Telefonzentrale den ersten anonymen Anruf aus dem Ortsnetz Hamburg mit folgendem Wortlaut: „In einer Viertelstunde geht bei Ihnen eine Bombe los!“ Zwei Minuten später meldete sich bei der Telefonistin Roller wiederum ein Unbekannter, der mit hoher und erregter Stimme erklärte: „In 15 Minuten geht eine Bombe hoch. Räumt sofort das Haus, Ihr Schweine!“ Vier Minuten später, um 15.41 Uhr, detonierte die im 3. Stockwerk auf dem Frischluftschacht abgelegte Bombe. Unmittelbar danach, etwa um 15.42 Uhr, ging ein weiterer Anruf bei der Vermittlung ein, den die Telefonistin Poorth entgegennahm. Der Anrufer erklärte, daß es gleich noch einmal knallen werde. Drei Minuten nach dieser War- [269] nung explodierte die Bombe im 6. Stockwerk. Etwa zu dieser Zeit erkundigte sich eine Frau fernmündlich bei Frau Roller danach, ob eine Bombe im Haus explodiert sei. Der unbekannte Anrufer, der das Explodieren der 2. Bombe angekündigt hatte, rief einen Tag später erneut bei Frau Poorth an und sagte: „Es sind noch mehr Bomben im Haus, die hochgehen. Die Polizisten sind alle Trottel, die suchen an der verkehrten Stelle.“ Tatsächlich sind die beiden nicht detonierten Sprengkörper erst am 20. Mai 1972 entdeckt worden (228).

2a) Der Sprengsatz in dem 3. Obergeschoß explodierte um 15.41 Uhr (229). Er zerstörte im Flur die etwa 15 cm starke Hohlsteinwand zwischen dem Gang und dem Korrekturraum sowie die Klimaanlage und den Frischluftschacht völlig. Im Korrekturraum, in dem sich zur Zeit der Explosion 15 Angestellte aufhielten (229a), entstanden schwere Schäden an der Decke und dem Mobiliar. Sämtliche Fensterscheiben zersprangen. Die an die Wasch- und Toilettenräume grenzende Wand des Ganges wurde in einer Höhe ab 1 m in die dahinterliegenden Räume gedrückt und zerstörte einen erheblichen Teil der sanitären Anlagen. Mauerteile wurden auf das davor befindliche Flachdach des Anbaus und die Straße Fuhlentwiete geschleudert. Die Explosionsstelle auf dem Gang und den nach beiden Seiten angrenzenden Zimmern bot ein Bild völliger Verwüstung. Der Boden war mit Mauerwerk-, Eisen- und Mobiliarteilen bedeckt. Die Druckwelle verur- [270] sachte auch beträchtlichen Schaden an der Flügeltür im Treppenhaus, dem Paternoster, der Trennwand zwischen Korrekturraum und Setzerei und dem Zimmer des Leiters der Korrekturabteilung (230).

Folgende Arbeiter wurden im Korrekturraum zum Teil schwer verletzt:

Hans Markmann (u.a. Quetschung des linken Brustkorbes),

Karl Schneider (Prellungen, Kopfplatzwunde und Schädigung des rechten Innenohrs),

Lorenz Burgmann (stumpfes Bauchtrauma, Kopfplatzwunde; 21-tägiger Krankenhausaufenthalt),

Bruno Gottschalk (Rißwunde an der rechten Hand, Gehörschaden, Prellung des rechten Knies und des linken Ellenbogens ),

Georg Brunkhorst (stark blutende Platzwunde am Kopf, Beeinträchtigung der Halswirbelsäule),

Georg Hoffmann (u.a. 3 Rippenbrüche, Hautabschürfungen am Brustkorb, an beiden Schultern, am unteren Rippenrand und in der Gegend des rechten Beckenkamms),

Helmut Röhrs (Gehirnerschütterung, Unterkiefertrümmerbruch, Fleischwunden im Gesicht und an der linken Hand, erhebliche Entstellung des Gesichts, Krankenhausaufenthalt vom 19. Mai bis 14. Juni 1972),

Hans Sellmann (Kopfverletzungen, Gehörschäden, Schock),

Rudolf Schielke (Abschürfung am rechten Unterarm, Beule am Kopf und leichtere Verletzungen an den Händen),

[271] Karl Thiel (Bruch am vorderen Rippenbogen, Schnitt- und Brandverletzungen am Kopf, Rücken und beiden Armen) (231).

Nachdem die im Korrekturraum beschäftigten Arbeiter sich gegenseitig von den auf ihnen liegenden Trümmern befreit hatten, flohen die meisten durch die zerschlagenen Fensterscheiben auf das zur Kaiser-Wilhelm-Straße gelegene Flachdach. Daß niemand aus diesem Raum getötet worden ist, ist nur dem Zufall zu verdanken.

In der an den Korrekturraum angrenzenden Setzerei wurden von den etwa 30 anwesenden Personen

Franz Tiefner, Willi Ahrens, Hans Cichon, Hans Gerdes und Günther Zähren verletzt.

Auf dem Gang zum Korrekturraum wurden Joachim Rocznick und Klaus Kuhnigk ebenfalls verletzt (232).

b) Um 15.45 Uhr zündete die Bombe im 6. Stockwerk. Die Sprengwirkung war gewaltig. Die Explosion riß in die zur Fuhlentwiete hin gelegene, etwa 25 cm starke Außenwand ein etwa 3 mal 3 m großes Loch, zerstörte die gegenüberliegende Mauer, die die Damentoilette vom Flur trennt, völlig und drückte die Trennwand zur Herrentoilette ein. Die Mauerbrocken flogen teils auf das zur Fuhlentwiete hin gelegene Flachdach, teils in die der Toilette gegenüberliegenden vier Räume der Verlagsleitung „Bild“, die ebenfalls erheblich beschädigt wurden. In weitem Bereich [272] um die Explosionsstelle war der Boden mit Schutt, Gesteinsbrocken und abgerissenen Teilen von Einrichtungsgegenständen bedeckt. Der eiserne Fettabscheider, das Zentrum der Explosion, befand sich nunmehr in einem durch die Mauerabrisse weitgehend freigelegten Raum. Das Oberteil des Behälters war nach allen Seiten hin stark deformiert. Teile des Deckels, auf dem die Bombe gestanden hatte, und eines an der Wand angebrachten Ventilators lagen zerfetzt im Innern des Behälters. Dort wurden auch einzelne Teile der Rohrbombe gefunden. Insbesondere in Höhe des Fettabscheiders wies die Zimmerdecke erhebliche Beschädigungen auf (233).

Im unmittelbaren Bereich der Explosion hielt sich zufällig niemand auf. Benutzer der Toiletten und des angrenzenden Ganges hätten sich in unmittelbarer Lebensgefahr befunden. In den gegenüberliegenden Räumen der Verlagsleitung fand gerade eine Konferenz statt. Einige Teilnehmer hatten nach der ersten Detonation die Besprechung bereits verlassen. Durch umherfliegende Gesteinsbrocken und Einrichtungsgegenstände wurden folgende Personen zum Teil erheblich verletzt (234):

Klaus Horster (Unfallschock, Quetschungen, Prellungen, Schürfwunden an Armen, Beinen, Brust und Hüfte),

Bernhard Damm (Platzwunde am Hinterkopf, Knochenabsplitterung am linken Ellenborgen),

[273] Arnd Pötter (Prellungen und Schock),

Hans Skolik (Hautabschürfungen an Gesicht und Händen, Prellungen an Armen und Beinen),

Jürgen Kleidt (sternförmige Platzwunde am Kopf mit freiliegendem Knochen,

Heinrich Meyer (Kopfverletzung, äußere Schnittwunde) (235),

Wolfgang Berkenbaum (Schnittwunde an Arm und Schulter, Verbrennungen ersten Grades am Oberschenkel),

Liz Hiller (Fingerverletzung, 7 m weit geschleudert),

H. Dieter Schmitt (voraussichtlicher Dauerschaden am Gehör).

Auch außerhalb des engeren Tatortbereichs wurden infolge der beiden Explosionen 8 Personen, allerdings leicht, verletzt (236).

Der Sachschaden am Axel-Springer-Verlagshaus beträgt etwa 340 000 DM (237).

c) Die drei anderen im Axel-Springer-Haus versteckten Bomben detonierten nicht. Sie hätten, wie sich aus ihren Ablageorten und den Sprengwirkungen der beiden gezündeten Bomben gleicher Art und Bauweise ergibt, verheerende Folgen gehabt.

Die in dem Blechfaß im 2. Stockwerk versteckte Bombe entdeckten Suchtrupps um 18.35 Uhr. Nachdem die oberen Kartonteile mit einem Messer eingeschnitten und ausein- [274] andergedrückt worden waren, konnte man die Zündvorrichtung erkennen. An dem Kurzzeitwecker Kienzle-Signal mit einer Laufzeit von 60 Minuten befanden sich bei der Zahl 60 zwei geschlossene Kontakte. Ein Schalter mit der Kennzeichnung „ON“ und „OFF“ stand auf „OFF“. Da das Kennzeichenschild drehbar war, blieb bei der anschließenden gefahrvollen Delaborierung unklar, ob ein Schalt- oder ein Kontaktfehler das Versagen des Sprengkörpers bedingt hatte. Erst bei der späteren kriminaltechnischen Untersuchung ergab sich, daß die Zündung tatsächlich durch die Stellung des Kippschalters auf „OFF“ unterbrochen worden war (238).

Die Durchsuchung des Verlagsgebäudes wurde um 22.50 Uhr beendet, ohne daß die beiden im 12. Stockwerk versteckten Sprengkörper gefunden worden waren (239). Am nächsten Morgen, dem 20. Mai 1972, entdeckte die Raumpflegerin Helga Kern (240) beim Reinigen der Zimmer der 12 Etage die hinter dem Stuhl abgestellte, mit grünem Filztuch umwickelte Rohrbombe. Sie erlitt hierdurch einen Schock, unter dessen Einwirkung sie gegen das Treppengeländer lief. Dabei verletzte sie sich unterhalb des Knies. Nach diesem Bombenfund wurde das Gebäude ab der 7. Etage erneut geräumt. Die Entschärfung nahm Kriminalhauptkommissar Krapp unter Lebensgefahr vor. Nach Zurückschlagen des oberen Filztuches konnte er einen Stahlkörper erkennen, an dem ein Kurzzeitwecker mit Batterie mittels eines [275] Klebebandes befestigt war. Das Uhrwerk war abgelaufen. Die bei der Zahl 60 angebrachten beiden Kontakte hatten einen Zwischenraum von etwa 2 mm. Nachdem KHK Krapp einige Klebebandstreifen abgelöst hatte, entfernte er den freigelegten Draht der Zündanlage und entschärfte so den Sprengkörper. Die an sich funktionsfähige Zündung hatte versagt, weil sich der Fest-Kontakt infolge ungenauer Arbeit verbogen hatte. Durch leichtes Bewegen des an diesem Kontakt angebrachten Schaltdrahtes hätte der Zündkreis ohne weiteres geschlossen werden können.

Nunmehr wurde das Gebäude erneut nach weiteren Sprengkörpern durchsucht. Dabei entdeckte man in dem Feuerlöschschrank der Toilette um 13.50 Uhr auch die zweite im 12. Stockwerk abgestellte Bombe. Obwohl ihr Aufbau wegen der Verpackung in dem Karton nicht zu erkennen war und eine Delaborierung an Ort und Stelle wegen der schwierigen Zugangsmöglichkeit in dem engen Holzverschlag sehr gefährlich erschien, erklärten sich der Angestellte Wischnath und KHK Krapp bereit, die Entschärfung unter Einsatz ihres Lebens manuell durchzuführen. Sie hoben das Paket aus dem Verschlag und öffneten es. Der Kurzzeitwecker der Bombe stand auf 40 Minuten. Das Uhrwerk lief nicht. Bei der Trennung der Verkabelung kam es in Gang. Daraufhin wurden sämtliche Kabel durchgeschnitten und so die Bombe entschärft. Die Zündung hatte versagt, weil eine Zahnradachse durch unvorsichtiges Löten etwas [276] gehemmt worden war. Durch leichtes Schütteln konnte die Uhr wieder in Gang gesetzt werden. Eine Bewegung des Sprengkörpers hätte daher auch beliebig lange Zeit nach Einstellen des Uhrwerks noch zur Explosion führen können (241).

3a) Die drei in Hamburg nicht detonierten Bomben haben einen Außendurchmesser von 159 mm, eine Wandstärke von 8,5 - 8,8 mm und sind 190 - 199 mm hoch (242). Sie sind von demselben Rohr abgesägt worden, aus dem die Mäntel der bei den Sprengstoffanschlägen in Frankfurt/M. und Augsburg eingesetzten Rohrbomben genommen worden sind. Auch ihre Deckel und Böden stammen von demselben Material (Halbzeug) wie die Deckel und Böden der Rohrbomben in Augsburg und Frankfurt/M. Aus den Bearbeitungsspuren ergibt sich, daß diese Rohrbomben von denselben Personen hergestellt worden sind (243).

b) In der nicht detonierten Bombe im Flur des 12. Stockwerks des Axel-Springer-Verlagshauses befand sich ein von einem Geschirrtuch herausgetrennter viereckiger Stoffrest. Die Täter hatten ihn zur besseren Isolierung zwischen die Zündeinrichtung und den Deckel der Bombe gelegt. Das Geschirrtuch, von dem der Stoffteil stammt, wurde in der Wohnung der Bande in Hamburg, Paulinenallee 36, sichergestellt (244). In dieser Wohnung fanden sich noch weitere Zubehörteile und Werkzeuge, die zur Herstellung der [277] Bomben gedient haben können (244a). Auch Verpackungsmaterial von derselben Art, wie zum Bombentransport in das Springer-Hochhaus benutzt, wurde dort sichergestellt, u.a.:

zusammengeklebter grüner Frotteestoff und grüner Filzstoff,

so wie ihn die Täter als Umhüllung der Bombe im Flur des 12. Stockwerks und als Abdecktuch für die Bombe in der Toilette dieses Stockwerks verwandt haben (245);

zwei angebrochene Tuben Pattex,

materialgleich mit dem Klebemittel, mit dem der grüne Filzstoff an die Bombe im Flur des 12. Stockwerks geklebt worden ist;

eine angebrochene Tube Uhu Alleskleber,

materialgleich mit dem Klebemittel, mit dem der Geschirrtuchrest an diese Bombe geklebt worden ist (246),

ein Karton mit weißer Papierwolle,

materialgleich mit der Papierwolle, die zum Verpacken der Bomben im 2. Obergeschoß und in der Toilette des 12. Stockwerks gebraucht worden ist (247).

c) In der Wohnung der Gruppe in Frankfurt/M, Inheidenerstr. 69, wurde ein weißes zylindrisches Plastikteil gefunden, von dem ein Stück abgesägt worden war. Das abgetrennte Stück hatten die Täter als Boden für die Zünduhr der Bombe in der Toilette des 12. Stockwerks verwandt (248). Ferner wurden in dieser Wohnung verschiedene Gegenstände sichergestellt, wie sie zur Herstellung der drei nicht detonierten Bomben benötigt worden sind, z.B.

[278] 2 Geschirrtücher aus einer Dreierpackung der Firma Föcking & Cohausz,

aus einer solchen Packung stammt das Geschirrtuch, von dem das Reststück abgetrennt worden ist, das zwischen der Zündeinrichtung und dem Deckel der Bombe in der Toilette des 12. Stockwerks lag (249);

grüne Sprengschnur „Dynacord“ (250),

sie war in den drei nicht detonierten Bomben verlegt;

Aluminiumsprengkapseln der Firma Dynamit-Nobel AG in Troisdorf,

wie bei den Bomben im 2. Obergeschoß und in der Toilette des 12. Stockwerks, nämlich von der Größe Nr 8 und mit dem Bodenzeichen „T“ (251) sowie mit dem Bodenzeichen „TU“ und weißgelb isolierten Zünderdrähten (252);

6 Kurzzeitwecker der Marken Blessing und Kienzle, Teile von solchen Weckern sowie drei schon zu Zündvorrichtungen umgearbeitete Kurzzeitwecker der Marke Blessing (253),

- in gleicher Weise umgearbeitete Kurzzeituhren waren als Zündauslöser in den drei nicht detonierten Bomben eingebaut, und zwar der Marke Blessing in der Bombe in der Toilette des 12. Stockwerks, der Marke Kienzle in den Bomben im 2. Obergeschoß und im Flur des 12. Stockwerks (254) -;

mehrere Teile eines Kurzzeitweckers der Marke Emes,

wie er bei der detonierten Bombe im 6. Stockwerk (255) und auch bei dem Sprengstoffanschlag in Frankfurt/M (255a) verwandt worden ist;

[279] zwei leere Verpackungen für je einen Schalter Nr. 30 „ON/OFF“ der Firma Racimex (256),

- ein solcher Schalter war an dem Wecker Kienzle- Signal in der Bombe im 2. Stockwerk angeklebt (257); der zweite Schalter Nr. 30 der Firma Racimex befand sich unter den Ausrüstungsgegenständen der Gruppe in Bad Homburg, jedoch ohne das Bezeichnungsschild, welches in der Wohnung Frankfurt/M, Inheidenerstraße, gefunden wurde (258) -;

Pappfragmente mit dem Aufkleber „50 Volt Varta“,

- solche 50-Volt-Varta-Batterien Pertrix 49 waren als Stromquellen für die drei nicht detonierten Bomben vorgesehen (259); diese Pappfragmente lagen in demselben Beutel, in dem sich auch Verpackungsmaterial der Firma Arlt aus Frankfurt/M befand, bei der das Bandenmitglied Gerhard Müller am 9. Mai 1972 5 solche 50-Volt-Varta-Batterien Pertrix 49 unter dem falschen Namen Cremer gekauft hat (260) -;

Kunststofflitzen,

artgleich mit den Litzen in der Bombe im 2. Stockwerk (260a);

19 - 20 mm breites mittelbraunes Gewebeklebeband,

- dieses war zur Isolation des Zünders der Bombe in der Toilette des 12. Stockwerks verwendet worden (261) -;

12 mm breites blaues Gewebeklebeband,

wie am Zünder der Bombe im 2. Stockwerk (262);

12 mm breites schwarzes Gewebeklebeband,

wie an den Zündern der Bomben im 2. Obergeschoß und im Flur des 12. Stockwerks (263);

[280] ein Brennzünder mit zwei weiß isolierten Zünderdrähten,

wie bei der Bombe im 2. Stockwerk (264);

2 angebrochene Tuben Pattex Klebemittel,

materialgleich mit dem Klebstoff, mit dem der grüne Filzstoff an die Bombe im Flur des 12. Stockwerks geklebt worden ist (265);

2 Tuben Uhu Alleskleber,

materialgleich mit dem Klebemittel, mit dem der Geschirrtuchrest an die Bombe im Flur des 12. Stockwerks geklebt worden ist (266);

2 angebrochene Tuben Uhu hart,

materialgleich mit dem Klebstoff, mit dem der Geschirrtuchrest an die Bombe in der Toilette des 12. Stockwerks geklebt worden ist (267);

Klebemittel „Stabilit Express“,

materialgleich mit dem Klebstoff, mit dem der Schalter „Racimex“ an den Kienzle-Wecker in der Bombe im 2. Stockwerk geklebt worden ist (267a);

Spachtelmaterial,

das in physikalischer und chemischer Hinsicht völlig mit dem Spachtelmaterial übereinstimmt, das zum Verschluß des Sprengkörpers im 2. Stockwerk verwendet worden ist.

Die in der Wohnung Frankfurt/M, Inheidenerstraße, sichergestellte materialidentische Spachtelmasse befand sich u.a. an gebrauchten Werkzeugen und einer selbstgefertigten Abdeckung für einen Bombenbehälter, an der Bestandteile des in Ham- [281] burg verwendeten roten Sprengstoffes (267b) nachgewiesen werden konnten (268). Diese Abdeckung entspricht in Material und Abmessungen dem Verschlußpfropfen der Bombe im 2. Stockwerk (268a).

d) Weitere Gegenstände von der Art, die zur Herstellung der in Hamburg eingesetzten Bomben benötigt worden sind, fanden sich u.a. in folgenden Unterkünften der Gruppe:

In der Wohnung Hamburg, Ohlsdorfer Straße 1 - 3:

1 Schneidrad für einen Rohrabschneider (268b);

4 Kurzzeitwecker der Marke Blessing,

wie bei dem Sprengkörper in der Toilette des 12. Stockwerks (269);

1 Kurzzeitwecker der Marke Emes,

wie bei der Bombe im 6. Stockwerk (270) und bei einer der Bomben in Frankfurt/M (270a);

38 mm breites gelbes Gewebeklebeband,

wie zur Verschnürung des Kartons verwandt, in dem sich die Bombe im 2. Stockwerk befand (271);

14 - 15 mm breites schwarzes Kunststoffklebeband,

wie an den Zündern der Bomben im 2. Obergeschoß und im Flur des 12. Stockwerks (272).

[282] In dem Unterschlupf der Gruppe in Neu-Ulm, Brückenstraße 3:

1 zweiadrige Kunststoff-Flachleitung,

gleichartig mit dem Kabelmaterial, das die Gruppe zur Herstellung der Bombe im 2. Stockwerk verwandt hat (272a).

In der Garage Frankfurt/M, Hofeckweg, und dem von den Angeschuldigten Baader, Meins und Raspe auf dem Wege dorthin gefahrenen Porsche-Pkw mit den Falschkennzeichen KN - CU 90:

Grüne Dynacord-Sprengschnur,

wie bei den drei nicht detonierten Bomben (273);

eine Aluminiumsprengkapsel, Bodenzeichen T, Größe Nr. 8,

wie bei der Bombe im 2. Stockwerk (274);

Klebebänder der bei der Herstellung der Bomben verwandten Art,

nämlich 38 mm breites weißes Klebeband wie an der Verpackung der Bombe in der Toilette des 12. Stockwerks (275), 12 mm breites schwarzes Gewebeklebeband wie an den Zündern der Bomben im 2. Obergeschoß und im Flur des 12. Stockwerks (276), 12 mm breites mittelbraunes Gewebeklebeband wie am Zünder der Bombe in der Toilette des 12. Stockwerks (277);

und Kunststofflitzen,

artgleich mit den Litzen in der Bombe im 2. Stockwerk (277a).

[283] In der Garage Frankfurt/M, Ginnheimer Landstraße:

Grünes Filztuch,

gleichartig mit den grünen Tüchern, die bei der Verpackung der Bomben im 12. Stockwerk verwandt und auch in der Wohnung Hamburg, Paulinenallee 36, gefunden worden sind (278);

12 mm breites graues Gewebeklebeband,

wie an den Zündern der Bomben im 2. Obergeschoß und im Flur des 12. Stockwerks;

12 mm breites blaues Gewebeklebeband,

wie am Zünder der Bombe im 2. Stockwerk (279);

sowie Spachtelmasse,

artgleich mit dem Material, das zum Verschluß des Sprengkörpers im 2. Obergeschoß verwendet worden ist (279a).

Unter den Ausrüstungsgegenständen der Gruppe in Bad Homburg:

Grüne Dynacord-Sprengschnur,

wie bei den drei nicht detonierten Bomben (280);

mehrere Aluminiumsprengkapseln

der Größe Nr. 8 mit dem Bodenzeichen T wie bei der Bombe im 2. Stockwerk (281);

ein Millisekundenzünder der Firma Dynamit-Nobel

aus einer Aluminiumkapsel mit gelb-grün isolierten Zünderdrähten und der Bodenprägung TU 14 wie bei der Bombe im Flur des 12. Stockwerks (282);

[284] 1 Schalter Nr. 30 „ON/OFF“ der Firma Racimex,

material- und fertigungsgleich mit dem an den Kienzlewecker der Bombe im 2. Stockwerk angeklebten Schalter (282a);

sechs 50-Volt-Varta-Batterien Pertrix 49

aus demselben Herstellungszeitraum (Oktober und November 1971) wie die beiden nicht detonierten Bomben in Hamburg verwandten und von Brigitte Mohnhaupt gekauften 50-Volt-Varta-Batterien Pertrix 49 (283);

verschiedene Kurzzeitwecker,

von denen einige zu einem funktionsfähigen Schaltmechanismus für einen Zündstromkreis umgebaut worden waren, unter ihnen auch solche der Marke Kienzle-Signal - wie bei den nicht detonierten Bomben im 2. Obergeschoß und im Flur des 12. Stockwerks -, der Marke Blessing - wie bei der Bombe in der Toilette des 12. Stockwerks - und der Marke Emes - wie bei der Bombe im 6. Stockwerk - (284);

mehrere Elektroden,

die zum Schweißen der Rohrbombe benutzt worden sein können (284a);

Klebeband

der bei der Herstellung der drei nicht detonierten Bomben benutzten Art, nämlich 14 - 15 mm breites schwarzes Kunststoffklebeband, 12 mm breites schwarzes Gewebeklebeband und 12 mm breites graues Gewebeklebeband wie an den Zündern der Bomben im 2. Obergeschoß und im Flur des 12. Stockwerks (285);

eine Tube Uhu hart,

materialgleich mit dem Klebemittel, mit dem der Geschirrtuchrest an die Bombe in der Toilette des 12. Stockwerks geklebt worden ist (286).

e) Grüne Sprengschnur Dynacord der Firma Dynamit-Nobel - wie bei den drei nicht detonierten Bomben - und eine Aluminiumsprengkapsel der Größe 8 mit dem Bodenzeichen „T“ - wie bei der Bombe im 2. Stockwerk - waren auch zur Konstruk- [285] tion der Handgranaten und des Sprengkörpers in Feldflaschenform benutzt worden, die die Angeschuldigte Meinhof und das Gruppenmitglied Bernhard Braun bei ihren noch zu schildernden Festnahmen am 9. und 15. Juni 1972 bei sich trugen. In den von der Angeschuldigten Meinhof mitgeführten Taschen fanden sich außerdem Schweißperlen und Bestandteile des in den Bomben in Hamburg enthaltenen roten Sprengstoffgemisches sowie Spachtelreste, materialgleich mit der Spachtelmasse in der Bombe im 2. Stockwerk (287).

f) Der in den drei nicht detonierten Bomben enthaltene Sprengstoff ist nicht handelsüblich. In der Bombe im 2. Stockwerk befanden sich 3.720 g, in den beiden Bomben im 12. Stockwerk 4.250 g und 4.040 g des grauen und roten Sprengstoffgemisches in der für die Gruppe typischen Zusammensetzung.

Die Untersuchung des grauen Materials ergab folgende Bestandteile:

Ammoniumnitrat + Kaliumnitrat 87 - 90,3 %

Schwefel 2,3 - 3,1 %

Kohle und Holz 6,7 - 10,7 % (288).

Diese Zusammensetzung entspricht dem Mischungsverhältnis, das in den Rezepten der Gruppe aus den Wohnungen Berlin, Budapester Straße 39, und Frankfurt/M, Inheidenerstraße 69, angegeben ist (289).

[286] Die Untersuchung des roten Gemisches ergab folgende Bestandteile:

Ammoniumnitrat und wenig

Kaliumnitrat 47,2 - 50 %

Mennige 25,8 - 27,2 %

Aluminium 20,3 - 23,4 %

Eisenoxid 0 - 1,8 %

Schwefel 0,1 - 0,3 %

Verunreinigungen wie Kohle 0,4 - 1,9 % (290).

Nach den in den Wohnungen der Gruppe in Berlin, Budapester Straße 39, und Frankfurt/M, Inheidenerstraße 69, sichergestellten handschriftlichen Aufzeichnungen soll das rote Gemisch zu 4 Teilen aus Ammoniumnitrat, zu 2,5 Teilen aus Bleimennige und zu 2 Teilen aus Aluminiumpulver bestehen (291). Das entspricht einem Mischungsverhältnis von 47 % : 29,4 % : 23,6 %. In anderen - überwiegend maschinengeschriebenen - Aufzeichnungen der Gruppe, die in ihren Wohnungen Berlin, Knesebeckstraße 89 (292) und Budapester Straße 39 (293), Frankfurt/M, Inheidenerstr. 69 (294), und unter ihren Ausrüstungsgegenständen in Bad Homburg (295) gefunden wurden, wird der Mennige-Anteil dagegen mit drei Teilen angegeben, was ein Mischungsverhältnis von 44,4 % : 33,3 % : 22,2 % bedeutet.

[287] Die Komponenten des in Hamburg verwandten roten Gemisches entsprechen den handschriftlichen Rezepten aus den Wohnungen Berlin, Budapester Straße 39, und Frankfurt/M, Inheidenerstraße 69. Das dort nicht genannte Eisenoxid kann als Verschnitt in dem verwendeten Mennige von vornherein enthalten gewesen oder von der Gruppe zusätzlich beigemischt worden sein. Auf die zusätzliche Beimischung deutet der Fund einer Tüte mit dem Originaletikett „Eisen(III)oxid (Ferrioxid) ...“ der Firma „Riedel - de Haen AG“ in der „Sprengstoff-Wohnung“ Frankfurt/M, Inheidenerstraße 69, hin (295a). Die bei der Untersuchung der nicht detonierten Bomben festgestellten Verunreinigungen sind auf eine Vermischung des grauen und roten Sprengstoffes zurückzuführen. Das - den Sprengstoffrezepten der Gruppe entsprechende - rote Gemisch auf der Basis Mennige/Aluminium ist nach den bisherigen Erkenntnissen vor der Tätigkeit der Gruppe, zumindest im europäischen Raum, weder als gewerblicher noch als selbsthergestellter Sprengstoff verwandt worden (296).

Auch die für die Herstellung des roten und grauen Gemisches wesentlichen Bestandteile wurden in den Unterkünften der Gruppe gefunden, so z.B.

in der Wohnung Berlin, Budapester Straße, (297)

48 kg Bleimennige, 38,5 kg Kaliumnitrat, 66 kg Ammoniumnitrat und 50 kg Alumniumpulver;

[288] in der Garage Berlin, Obentrautstraße, (298) - teilweise von dem Bandenmitglied Gerhard Müller beschafft (298a) -

25 kg Bleimennige, 100 kg Ammoniumnitrat, 50 kg Kaliumnitrat (Salpeter), 50 kg Aluminiumpulver;

in der Wohnung Frankfurt/M, Inheidenerstraße, (299)

51 kg Aluminiumpulver, 12 kg Ammoniumnitrat, 24 kg Kaliumnitrat, 3,3 kg Schwefel;

in den Garagen Frankfurt/M, Ginnheimer Landstraße und Hofeckweg, (300)

11,5 kg Schwefel und 21,6 kg Ammoniumnitrat.

Zündfertige Mischungen, die mit den Füllungen der nicht detonierten Bomben in Hamburg übereinstimmen, konnten ebenfalls mehrfach sichergestellt werden (301). In der Wohnung Frankfurt/M, Inheidenerstraße 69, fanden sich auch mehrere Handschuhe, die die Gruppenmitglieder - wie die chemischen Anhaftungen zeigen - beim Mischen der Sprengstoffe benutzt haben (301a).

g) Zur Zeit des Sprengstoffanschlages auf das Axel-Springer-Haus standen der Gruppe in Hamburg mehrere - bereits oben erwähnte - geheimgehaltene Unterkünfte und Garagen zur Verfügung, von denen aus sie den Anschlag unternehmen und in die sie sich nach der Tat zurückziehen konnte, nämlich die Wohnungen in der Ohlsdorfer Straße 1-3, Paulinenallee 36, Thiedeweg 56 und Eichenstraße 59 sowie die Garagen in der Johnsallee 58, der Haldesdorferstraße 162, der Schillingskoppel und dem Teutonenweg 14-16.

[289] h) Die Gruppe unter Führung der Angeschuldigten Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof hat öffentlich eingestanden, den Anschlag auf das Axel-Springer-Verlagshaus am 19. Mai 1972 ausgeführt zu haben.

In der Nacht zum 20. Mai 1972 gab ein Mitglied der Gruppe einen mit „Kommando 2. Juni“ unterzeichneten maschinengeschriebenen Brief „an die Nachrichtenredaktion des NDR“ an der Pforte des Norddeutschen Rundfunks in Hamburg ab. Der Brief hat folgenden Wortlaut (302):

„Heute um 15 Uhr 55 sind zwei Bomben im Springerhochhaus in Hamburg, Kaiser-Wilhelmstraße explodiert. Um 15 Uhr 29 ist im Axel-Springer-Verlag unter der Nummer 3471 die erste Warnung durchgegeben worden mit der Aufforderung, das Haus innerhalb der nächsten Viertelstunde wegen Bombenalarm zu räumen. Die Antwort war: Hören Sie auf mit dem Blödsinn. Es wurde aufgelegt. Zweiter Anruf um 15 Uhr 31: Wenn Sie nicht sofort räumen, passiert etwas fürchterliches. Hohngelächter auf der andern Seite. Das macht uns nichts aus. Das kennen wir schon. Dritter Anruf um 15 Uhr 36 bei den Bullen unter 110: Sorgen Sie, verdammt nochmal, dafür, daß endlich geräumt wird.

Es ist nicht geräumt worden.

Springer geht lieber das Risiko ein, daß seine Arbeiter und Angestellten verletzt, getötet werden als das Risiko, ein paar Stunden Arbeitszeit, also Profit durch Fehlalarm zu verlieren. Das ist das Wesen der Ausbeutung: Für die Kapitalisten ist der Profit alles, sind die Menschen, die ihn schaffen, nur ein Dreck.

Wir haben alles versucht, um rechtzeitig räumen zu lassen. Wir sind zutiefst betroffen darüber, daß Arbeiter und Angestellte verletzt worden sind.

Kommando 2. Juni.“

Dieser Text ist wahrscheinlich auf der Reiseschreibmaschine geschrieben worden, die am 22. Juni 1972 in der Wohnung der Gruppe in Hamburg, Ohlsdorfer Straße 1-3, [290] sichergestellt worden ist (303). In dem Brief werden die Zeitpunkte der Explosionen und der telefonischen Warnungen falsch dargestellt. Die Detonationen werden auf eine spätere, die Warnungen auf eine frühere Uhrzeit verlegt, so daß der unrichtige Eindruck erweckt wird, als ob genügend Zeit zur Räumung des Gebäudes zur Verfügung gestanden hätte. Auch die weitere Behauptung in dem Brief, die Polizei sei rechtzeitig telefonisch gewarnt worden, trifft nicht zu (304). Die Unterzeichnung mit „Kommando 2. Juni“ soll offensichtlich nach Stadtguerilla Art auf den Todestag von Benno Ohnesorge hinweisen, der am 2. Juni 1967 in Berlin im Zusammenhang mit den Demonstrationen gegen den Schahbesuch von einem Polizeibeamten erschossen worden ist. [155]

Auch in einem anderen Schreiben übernimmt die Gruppe die Verantwortung für den Anschlag. Am 22. Mai 1972 gab sie in Hamburg 4 textgleiche Eilbriefe an die Deutsche Presseagentur in Hamburg, die Bildzeitung in Hamburg, die United Press International (UPI) in Hamburg und die Süddeutsche Zeitung in München zur Post. Diese Briefe haben folgenden Wortlaut (305):

„Gestern, am Freitag den 19. Mai um 15 Uhr 55 sind zwei Bomben im Springerhochhaus in Hamburg explodiert. Weil trotz rechtzeitiger und eindringlicher Warnungen das Haus nicht geräumt worden ist, sind dabei 17 Menschen verletzt worden. Um 15 Uhr 29 ist unter der Nummer 3471 die erste Warnung durchgegeben worden mit der Aufforderung, das Haus wegen Bombenalarm binnen 15 Minuten zu räumen. Die Antwort war: Hören Sie auf mit dem Blöd- [291] sinn. Es wurde aufgelegt. Zweiter Anruf um 15 Uhr 31: Wenn Sie nicht sofort räumen, passiert etwas Fürchterliches. Aber die Telefonistinnen hatten offenbar Anweisung, solche Anrufe nicht zu beachten. Der dritte Anruf um 15 Uhr 36 ging an die Bullen: Sorgen Sie, verdammt nochmal, dafür, daß endlich geräumt wird. Weil der Springerkonzern die Tatsache, daß er gewarnt worden ist, nicht unterschlagen kann, verdreht er die Nachricht: Es sei nur ein Anruf gewesen und der sei zu spät gekommen. Zwei Telefonistinnen und die Bullen können bestätigen, daß die Springerpresse einmal mehr lügt.

Springer ging lieber das Risiko ein, daß seine Arbeiter und Angestellten durch Bomben verletzt werden als das Risiko, ein paar Stunden Arbeitszeit, also Profit durch Fehlalarm zu verlieren. Für die Kapitalisten ist der Profit alles, sind die Menschen, die ihn schaffen, ein Dreck. - Wir sind zutiefst betroffen darüber, daß Arbeiter und Angestellte verletzt worden sind.

Wir fordern von Springer:

daß seine Zeitungen die antikommunistische Hetze gegen die Neue Linke, gegen solidarische Aktionen der Arbeiterklasse wie Streiks, gegen die kommunistischen Parteien hier und in anderen Ländern einstellen;

daß der Springerkonzern die Hetze gegen die Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt einstellt, besonders gegen die arabischen Völker, die für die Befreiung Palästinas kämpfen; daß er seine propagandistische und materielle Unterstützung für den Zionismus - die imperialistische Politik der herrschenden Klasse Israels - einstellt;

daß die Springerpresse aufhört, über die ausländischen Arbeiter hier rassistische Lügenberichte zu verbreiten.

Wir verlangen, daß die Springerpresse diese Erklärung abdruckt. - Wir verlangen nichts Unmögliches. Wir werden unsere Aktionen gegen die Feinde des Volkes erst einstellen, wenn unsere Forderungen erfüllt sind.

Enteignet Springer!

Enteignet die Feinde des Volkes!

Kommando 2. Juni“

Auch diese Briefe sind auf der in der Gruppenwohnung Hamburg, Ohlsdorfer Straße 1-3, sichergestellten Reiseschreibmaschine geschrieben worden (306). Dort befand sich auch ein Briefumschlagfragment, das material- und fertigungsidentisch ist mit dem Briefumschlag, in dem die Gruppe das Schreiben an die „Süddeutsche Zeitung“ verschickt hat (306a).

[292] Ein wahrscheinlich mit derselben Maschine geschriebenes textgleiches Original wurde am 27. Juli 1972 unter den Ausrüstungsgegenständen der Gruppe in einer Reisetasche (307) im Heuchelbach in Bad Homburg gefunden (308). In dieser Tasche befand sich noch ein weiteres textgleiches Original, das ein Gruppenmitglied auf der Schreibmaschine „Erika“ aus der Wohnung Frankfurt/M., Inheidenerstr. 69, geschrieben hatte (309). Eine Durchschrift dieses Originals brachte die Gruppe in ihre Berliner Sprengstoffwohnung, Budapester Straße 39 (310). Mehrere Kohlebogen aus der Gruppenwohnung Hamburg, Paulinenallee 36, sind zum Durchschreiben des Textes des „Bekennerbriefes“ mit der dort sichergestellten Büroschreibmaschine „Olympia“ benutzt worden (311).

Ein mittelbares Bekenntnis zur Tatherrschaft über den Bombenanschlag in Hamburg enthält der bereits erwähnte, mit den Worten „Rote-Armee-Fraktion - 28. Mai 1972“ abschließende Brief, den die Gruppe auf der Maschine „Olympia“ in der Wohnung Hamburg, Paulinenallee 36, geschrieben und an mehrere Nachrichtenredaktionen verschickt hat (312). Dort heißt es u.a.:

„Nachforschungen würden ergeben, daß das Kommando 2. Juni den Springer-Konzern rechtzeitig gewarnt hat, daß Springer wie immer lügt ... Springer hat unter der Drohung weiterer Bombenanschläge die an ihn gerichteten Forderungen, wenn auch verstümmelt, publiziert. Die übrige Presse muß wissen, daß sie selbst Aktionen gegen den Springer-Konzern provoziert, wenn sie sich auf Grund des ökonomischen Druckes, der von [293] Springer ausgeht, freiwillig und opportunistisch seiner Zensurpraxis unterwirft. Wir fordern sie deshalb auf, die Bevölkerung nicht länger über den politischen Inhalt der Bombenanschläge zu täuschen, die Situation nicht unnötig zu verschärfen. Wir fordern sie auf, diese Erklärung, die Erklärung des Kommandos Thomas Weisbecker, des Kommandos 2. Juni, des Kommandos 15. Juli vollständig abzudrucken.“

i) Aktionen gegen den Springer-Konzern gehörten von Anfang an zum Programm der Gruppe. Der Haß gegen diesen Verlag als den vermeintlichen publizistischen Wegbereiter für den Polizeieinsatz gegen die sog. Rote-Armee-Fraktion kommt auch in den beiden von der Gruppe herausgegebenen Schriften „Das Konzept Stadtguerilla“ sowie „Stadtguerilla und Klassenkampf“ mehrfach zum Ausdruck (313). In der zuletzt genannten Schrift heißt es auf Seite 45 u.a. (314):

„Die Rolle der Springerpresse bei der Militarisierung der Klassenkämpfe ist schon 1968 in der Kampagne ,Enteignet Springer‘[156] genau beschrieben worden:

,Man kann das Schema, nach dem die Springerpresse Öffentlichkeit produziert, auf folgende einfache Formel bringen: Jeden Befreiungsversuch der Menschen aus den Zwängen des Spätkapitalismus stellt die Springerpresse als Verbrechen dar. Der politische Revolutionär erhält die Attribute des Gewaltverbrechers. Der politische Kampf erscheint als individualistischer und abstrakter Terror, die imperialistischen Verhinderungsfeldzüge als Ungeziefervertilgungsaktion.‘ ,Der Springerkonzern bildet die propagandistische Vorhut des agressiven Antikommunismus. Die Springerpresse ist der Feind der Arbeiterklasse. Sie verstümmelt die Fähigkeit zum politischen Willensausdruck und zum solidarischen Handeln. Aus dem Wunsch des Lesers nach Gerechtigkeit macht die Springerpresse Lynchinstinkte, aus der Sehnsucht nach einer freien Gesellschaft den Haß gegen diejenigen, die sie errichten wollen. Die Springerpresse dient der psychologischen Kriegsvorbereitung!‘ ...

Die Situation hat sich seit der Molotowcocktailveranstaltung im Februar 68[157] verschärft.“

[294] VI. Heidelberg, Römerstraße[158]

Hauptquartier der US-Streitkräfte für Europa

1. Am späten Nachmittag des 24. Mai 1972 brachten Mitglieder der Bande unter Führung der Angeschuldigten Baader und Gudrun Ensslin zwei selbsthergestellte Sprengkörper in zwei zuvor gestohlenen Personenwagen auf das Gelände des amerikanischen Hauptquartiers in Heidelberg. Sie wollten die Sprengkörper zünden, um Angehörige der US-Armee zu töten. Auch mit diesem Anschlag sollte Nordvietnam in seinem Kampf gegen die Vereinigten Staaten von Amerika und gegen Südvietnam unterstützt werden. Gleichzeitig war das Attentat als Vergeltung für die Bombardierung Vietnams gedacht.

Das eine Fahrzeug, einen metallfarbenen türkis-grünen VW 1302 S, ausgerüstet mit den gestohlenen amerikanischen Kennzeichenschildern EL - 3136, fuhren die Täter in der Zeit von 17.00 bis 17.50 Uhr auf den „Parkplatz am Kasino“. Dort stellten sie es rückwärts in der zweiten Box am südlichen Ende des unmittelbar vor dem Gebäude 22 entlangführenden Parkstreifens in Höhe des Funkmastes ab und setzten die Zündung der auf dem Rücksitz des Wagens mitgeführten Bombe in Gang (320).

Der „Parkplatz am Kasino“ befindet sich auf einem etwa 15.000 m2 großen Platz, der im Westen durch das Gebäude 31 (Kasino), im Norden und Süden durch die Seitenflügel [295] desselben Gebäudes und im Osten durch das Gebäude 22 begrenzt wird. Man erreichte ihn durch die im Nordosten zwischen dem nördlichen Seitenflügel des Gebäudes 31 und dem Gebäude 22 gelegene Einfahrt. An der zwischen dem südlichen Seitenflügel des Gebäudes 31 und dem Haus 22 befindlichen Ausfahrt im Südosten des Platzes stand ein Funkmast. Er gehörte zu einer transportablen Funkstelle, die aus dem Funkmast, einer Kommandostation (auch Bedienungsteil genannt) und vier Versorgungsteilen (Kraftanlagen, Stromumsetzer und dergl.) bestand. Die Kommandostation befand sich in einer auf einem 8 m langen und 2,5 m breiten Sattelschlepperaufleger aufgestellten Kabine. Man erreichte sie über eine Leiter mit sieben Stufen (321).

Den zweiten Wagen, einen weißen Ford 17 M, ausgestattet mit den gestohlenen amerikanischen Kennzeichenschildern ET - 2778, fuhr ein weibliches Mitglied der Baader-Meinhof-Gruppe gegen 17.50 Uhr auf den Parkplatz vor dem Gebäude 28, in dem die Diensträume des Secret Service untergebracht waren. Dieses Gebäude steht im äußersten nordwestlichen Teil des Militärgeländes, und zwar unmittelbar hinter dem nördlichen Seitenflügel des Gebäudes 31. Der zum Gebäude 28 gehörende kleine Parkplatz mit fünf Einstellplätzen befindet sich direkt vor den Eingangstüren des Hauses und wird an beiden Seiten von Erweiterungsbauten desselben Hauses begrenzt. Dort stellte [296] die Täterin das Fahrzeug rückwärts in der ersten Box etwa 3 m vom südlichen Seitentrakt des Hauses 28 entfernt ab. Danach schärfte sie die ebenfalls auf dem Rücksitz des Wagens mitgeführte Bombe, stieg aus, verschloß das Fahrzeug und verließ das Militärgelände zu Fuß durch den Haupteingang an der Römerstraße (322).

Während die Gruppenangehörigen die Fahrzeuge abstellten, hielten sich auf beiden Parkplätzen und auch sonst im Gelände Menschen auf (323).

Die Gruppenmitglieder hatten an den Bombenfahrzeugen amerikanische Kennzeichenschilder angebracht, weil sie wußten, daß solche Fahrzeuge an den für den Kraftfahrzeugverkehr geöffneten Toren des umzäunten Militärgeländes von den bewaffneten Posten nicht kontrolliert wurden. Ihnen war ersichtlich bekannt, daß Fußgänger beim Verlassen des Militärgeländes sich nicht auszuweisen brauchten (324).

2. Um 18.10 Uhr explodierte der vor dem Gebäude 28 in dem Ford 17 M abgelegte Sprengkörper (Sprengstelle 1). Schon 5 bis 15 Sekunden später detonierte die im VW 1302 S in die Nähe des Funkmastes gebrachte Bombe (Sprengstelle 2) (325).

[297] a) Der Ford 17 M wurde vollständig zerstört. Das Fahrzeug wurde auf die Nordseite des kleinen Parkplatzes geschleudert. Dabei riß es den kurz vor der Explosion von Captain Bonner auf den zweiten Einstellplatz gefahrenen Ford Capri, der gleichfalls zertrümmert wurde, bis zu dem etwa 14 m von der Sprengstelle 1 entfernten nördlichen Erweiterungsbau des Hauses 28 mit. Größere Teile beider Fahrzeuge wurden bis zu 70 m, kleinere Fahrzeugteile und sonstige Sprengtrümmer mehr als 100 m weit weggeschleudert (326). Das Sprengzentrum befand sich auf dem ersten Einstellplatz vor dem südlichen Erweiterungsbau des Hauses 28. Dort wurde nach der Explosion ein Sprengtrichter mit einem Durchmesser von etwa 120 cm und einer Tiefe von ungefähr 20 cm festgestellt (327). Die Außenwände des Hauses 28 wurden erheblich beschädigt, beide Eingangstüren im südlichen Gebäudeteil ins Innere des Hauses geschleudert. Die säulenähnlichen Mauern zwischen den Fenstern der den kleinen Parkplatz im Süden begrenzenden Hauswand wurden zerbrochen, das zugemauerte Fenster hinter dem ersten Einstellplatz herausgeschleudert und die etwa 30 cm starke Mauer in großen Brocken in den hinter der Mauer befindlichen Büroraum geworfen (328). Die in der Nähe des Hauses 28 bis zu etwa 55 m von der Sprengstelle entfernt geparkten sieben Kraftfahrzeuge wurden durch den Explosionsdruck, Metallsplitter und Gebäudetrümmer zum Teil völlig zerstört (329). Im Innern des Hauses 28 [298] bot sich nach der Explosion ein Bild totaler Verwüstung. Zwischenwände waren teils gerissen, teils verworfen, teils geborsten. Eingehängte Zwischendecken waren in Teilen heruntergefallen, Türen herausgerissen. Das Inventar war fast vollständig zerstört. Am schlimmsten betroffen waren die um den kleinen Parkplatz herum gelegenen Räume (330).

Etwa drei bis vier Minuten vor der Explosion verließen die Soldaten Captain Clyde R. Bonner, Specialist 6 Ronald A. Woodward und Specialist 4 William R. Cooper für kurze Zeit das Haus 28 durch die Eingangstür im südlichen Erweiterungsbau. Cooper ging zur Snackbar im Gebäude 18. Bonner fuhr seinen Wagen, den er kurz zuvor auf dem kleinen Parkplatz vor dem Hause 28 im fünften Einstellplatz abgestellt hatte, auf den zweiten Einstellplatz unmittelbar neben den Ford 17 M. Woodward sah ihm dabei zu (331). Im Augenblick der Explosion befand sich Bonner entweder neben oder in seinem Wagen. Er wurde mehrfach zerrissen und war sofort tot. Sein Unterkörper ohne Beine wurde gegen das über 40 m entfernt geparkte Fahrzeug des Soldaten Cotellese geworfen, sein Oberkörper mehr als 20 m weit weggeschleudert; die Beine befanden sich nach der Explosion in dem vor der Stirnseite des Gebäudes 20 stehenden Baum, von wo sie geraume Zeit später herunterfielen. Fetzen seiner Haut, zum Teil mit Fleischanhaftungen, wurden auf den Dächern des Hauses 28, [299] des nördlichen Seitentrakts des Hauses 31, der Häuser 20, 26 und 19, auf dem zwischen den Häusern liegenden Gelände, an den den kleinen Parkplatz begrenzenden Wänden und an der etwa 15 m entfernt stehenden Müllkiste gefunden (332).

Woodward wurde auf dem kleinen Parkplatz auf dem Weg zwischen der Hauswand und den Einstellplätzen von der Explosion überrascht. Von zahlreichen Blechsplittern unterschiedlicher Stärke und Größe getroffen, wurde er etwa in Höhe des vierten und fünften Einstellplatzes gegen die Hauswand geschleudert. Dort blieb er schwerverletzt liegen. Obwohl der Arzt Captain Hayden ihm schon wenige Minuten nach dem Attentat erste Hilfe leisten und zur Kreislaufunterstützung „einen Tropf anlegen“ konnte, verstarb Woodward noch auf dem Weg ins Krankenhaus infolge akuter Ausblutung. Er hatte neben einer Vielzahl kleinerer Verletzungen einen Lungendurchschuß, einen Leberstreifschuß, zahlreiche Rippenzertrümmerungen, Zertrümmerungsbrüche des rechten Handgelenks und rechten Unterarms, beider Unterschenkelknochen sowie große Weichteilverletzungen an der rechten Hand und an beiden Beinen erlitten. Außerdem wies sein Körper eine Fülle von Hautdurchtrennungen unterschiedlicher Größe auf, die schwärzlich verunreinigt waren und in denen sich helle Lacksplitter, körniger Schmutz und Metallsplitter befanden. Woodward hatte einen qualvollen Tod: [300] er stöhnte, warf sich herum und biß den Ambulanzfahrer Knobel derart in die Hand, daß dessen Wunde ärztlich versorgt werden mußte (333).

Der Specialist 5 Charles L. Peck war kurz vor der Explosion zum Wasserbehälter gegangen, der sich im Flur des südlichen Erweiterungsbaus im Hause 28, etwa 8 m von der Eingangstür entfernt, befand. Dort traf ihn aus einer Entfernung von etwa 3 m die durch den Explosionsdruck herausgerissene eiserne Gittertür, die den Flur etwa in der Mitte geteilt hatte. Peck wurde insbesondere am Kopf getroffen und bis zum Ende des mehr als 9 m langen Flurs mitgerissen. Sein Gesicht und sein Schädel wurden vollständig zertrümmert. Die basalen Teile seines Vorderhirns wurden zerquetscht, seine Rippen vorn rechts gebrochen. Seine Leber wurde zerrissen; Milz, untere Hohlvene und rechte Nierenarterie wurden eingerissen. Peck verstarb innerhalb kürzester Zeit an Hirnquetschung und Ausblutung (334).

Zur Zeit der Explosion befanden sich in den Räumen des Hauses 28 außer Peck die amerikanischen Soldaten Williams, Everett, Edgecomb, Theuer, Cotellese, Andrews, Stanton, Collins, Salzgiver, Lippert, Parham und Pierce. Sie blieben trotz der gewaltigen Zerstörungen infolge glücklicher Umstände unverletzt (335).

[301] b) Der VW 1302 S an der Sprengstelle 2 wurde vollständig zerrissen. Das Sprengzentrum, zwei voneinander etwa 15 cm entfernte Löcher in der Betondecke mit einem Durchmesser von 50 bis 60 cm und einer Tiefe von 4 bis 5 cm, befand sich von Süden gesehen in der zweiten Parkbox vor dem Funkmast (336). Größere Teile des Fahrzeugs wurden bis zu 68 m weit geworfen. Der Motor des Wagens lag nach der Explosion am Fuße des Funkmastes rund 16 m östlich, das Bodenblech mehr als 11 m westlich der Sprengstelle. Kleinere Fahrzeugteile wurden bis vor und in das mehr als 80 m entfernt gelegene Kasino im Mittelteil des Gebäudes 31 geschleudert. Durch Sprengteile und die Druckwelle wurden eine Reihe der auf dem „Parkplatz am Kasino“ abgestellten Kraftfahrzeuge zum Teil völlig zerstört. Auch der Funkmast, die Kommandostation und die Versorgungsanlagen der Funkstation wurden durch Sprengtrümmer zum Teil erheblich beschädigt (337).

Unmittelbar vor den Explosionen war LTC Bizzell zusammen mit drei seiner Angehörigen in seinem Personenwagen Marke Renault auf den „Parkplatz am Kasino“ durch die im Nordosten gelegene Zufahrt eingefahren. Als er sich etwa in der nordwestlichen Ecke des Platzes befand, explodierte die Bombe vor dem Hause 28. Bizzell hatte sofort erkannt, daß ein Fahrzeug gesprengt worden war. Er versuchte deshalb, den Parkplatz so schnell wie möglich zu verlassen. Als er in Richtung Süden am Kasino vorbeigefahren [302] war, explodierte der VW 1302 S vor dem Funkmast. Bizzell sah einen Blitz und spürte fast gleichzeitig die Druckwelle, die seinen Wagen versetzte und die Beifahrertür nach draußen zog. Etwa zur selben Zeit krachte ein größeres Trümmerteil auf die Motorhaube seines Fahrzeugs. Außerdem schlug ein etwa 5 mal 2 cm starker Metallsplitter in die Tür an der Fahrerseite ein, wo er steckenblieb. Als Bizzell, der dennoch weiterfuhr, vor dem südlichen Seitenteil des Gebäudes 31 nach links abbog, wurde das Trümmerteil zur Seite geworfen. Die Insassen des Fahrzeugs blieben unverletzt, obwohl der Wagen Totalschaden erlitt (338).

Die amerikanischen Soldaten Josef Kosalko und Paul Saccoccie erlebten die Explosion in der Kommandostation der transportablen Funkstelle. Kosalko wurde durch die Druckwelle zu Boden geworfen und gleichzeitig an seinem linken Handgelenk von einem Gegenstand getroffen. Er erlitt eine Schnittwunde (339). Außerdem wurden im Gebäude 22 eine Person durch eine herabfallende Lampe, im Kasino drei Personen durch Glas- oder Metallsplitter und außerhalb des Militärgeländes etwa 180 m von der Sprengstelle entfernt eine weitere Person durch die Druckwelle leicht verletzt (340).

Der im Militärgelände durch beide Sprengungen angerichtete Sachschaden beträgt insgesamt 130.943,47 US-Dollar (341).

[303] 3. Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe hatten den Ford 17 M (Fahrgestell- und Motornummer KT 77246) in der Nacht zum 10. Mai 1972 dem technischen Angestellten Ernst Happ vom Parkplatz Am Rittersteeg in Bensberg-Frankenhorst gestohlen. Zur Zeit des Diebstahls war der Wagen mit den Original-Kennzeichenschildern GL - CW 145 ausgestattet. Auf der Rückseite des vorderen Kennzeichenschildes befand sich der handschriftliche Vermerk „17 M weiß KT 77246 Happ“, den der Verkäufer Gernot Golle nach Zulassung des Fahrzeugs für Happ darauf geschrieben hatte (342). Diese Kennzeichenschilder wurden am 17. Juni 1972 im Wohnraum der geheimgehaltenen Wohnung der Gruppe in Frankfurt/M., Inheidenerstr. 69, sichergestellt (343). Nach der Explosion wurden am Tatort ein Schutzheft für das Fahrzeug GL - YS 84, ein Garantieschein, ein Aral-Fahrtenbuch, lose Blätter der Bedienungsanleitung und Teile der grünen Versicherungskarte für den Tatwagen sowie Notizblätter und eine zerrissene Quittung der Adler-Tankstelle in Bensberg-Refrath gefunden. Diese Papiere gehören dem technischen Angestellten Happ, der sie in seinem Fahrzeug aufbewahrt hatte (344). Außer den Papieren führte Happ in seinem Fahrzeug einen Plastik-Benzinkanister von der Firma Hünersdorf mit. Ein solcher Kanister wurde in der Garage der Gruppe in Frankfurt/M., Hofeckweg 2-4, sichergestellt (345).

[304] Den VW 1302 S (Fahrgestellnummer 1122574443, Motornummer AD 445939) hatten Angehörige der Gruppe in der Nacht zum 22. Mai 1972 der Hausfrau Dörthe Jaeck geborene Schimper vom Abstellplatz Spinozastraße 7 in Mannheim entwendet. Die Original-Kennzeichenschilder MA - ES 271 wurden bisher nicht gefunden. Am Tatort konnte jedoch das zu dem Fahrzeug gehörende, stark beschädigte Kundendienstscheckheft der Frau Jaeck sichergestellt werden (346).

In der Nähe der Sprengstellen wurden eines der amerikanischen Kennzeichenschilder ET - 2778, mit denen der Ford 17 M, und beide amerikanischen Kennzeichenschilder EL - 3136, mit denen der VW 1302 S ausgerüstet war, gefunden (347). Mitglieder der Gruppe hatten die Kennzeichenschilder ET - 2778 in der Nacht zum 23. Mai 1972 dem Sergeant Robert W. Leonhard von seinem vor dem Grundstück Breslauer Straße 18 in Neu-Ulm/Ludwigsfeld abgestellten Ford Taunus und die Kennzeichenschilder EL - 3136 in derselben Nacht dem Specialist 4 John Garth Cox von seinem vor dem Grundstück Breslauer Straße 16 in Neu-Ulm/Ludwigsfeld abgestellten Volkswagen gestohlen (348).

Die beiden im Hauptquartier gezündeten Sprengsätze bestanden aus Flüssiggasflaschen, die mit einem Gemisch selbsthergestellten Explosivstoffs gefüllt und mit einer elektrischen Zündeinrichtung versehen waren. An der Sprengstelle 1 wurde der in eine Flüssiggasflasche für [305] 33 kg Propan- oder 38 kg Butangas eingeschweißt gewesene Halsring gefunden (349). Er stammte von einer von der Firma Butan KG in Berlin hergestellten Gasflasche, die mindestens 95 kg roten Sprengstoff faßte (350). Das zu der Gasflasche gehörende Typenschild konnte nach der Festnahme der Angeschuldigten Baader, Meins und Raspe in Frankfurt/M. in der Garage im Hofeckweg 2-4 sichergestellt werden (351). Dieses Typenschild hatten Gruppenmitglieder mit einem in dem Unterschlupf in Frankfurt/M., Inheidenerstr. 69, aufgefundenen Schraubendreher aus dem Rahmen der Gasflasche gehebelt (352).

Unmittelbar nach der Explosion fand der amerikanische Soldat Baker auf der im Westen am Militärgelände vorbeiführenden Straße Im Bosseldorn, gut 100 m von der Sprengstelle 2 entfernt, ein noch heißes Bruchstück (44 mal 25 mal 15 mm) eines Halsringes einer weiteren Flüssiggasflasche für 11 kg Propan- oder 12,8 kg Butangas (353). Er gehörte zu einer von der Firma Wilhelm Siebel in Freudenberg für die Firma Gebrüder Lotter in Ludwigsburg hergestellten Gasflasche (354), die ein Füllvolumen von etwa 30 kg hatte (355). Das Typenschild dieser Gasflasche konnte in dem Bandenunterschlupf in Frankfurt/M., Inheidenerstr. 69, sichergestellt werden (356).

Beide Bomben wurden mit einer elektrischen Zündeinrichtung über einen Tischwecker der Firma Jerger als Kontakt- [306] geber gezündet (357). Ein solcher Wecker wurde auch bei dem Anschlag auf dem Parkplatz des Bayerischen Landeskriminalamts in München als Zeitverzögerer der elektrischen Zündeinrichtung benutzt (358). Ein weiterer Wecker der Firma Jerger wurde unter den in Bad Homburg sichergestellten Ausrüstungsgegenständen der Bande gefunden (359). In dem Unterschlupf in Frankfurt/M, Inheidener Straße 69, wurde ein Aufzugsknebel aus Kunststoff eines Weckers der Firma Jerger sichergestellt (360). Schließlich konnten auch in der Bandenunterkunft in Stuttgart, Seidenstraße 71, zwei Wecker Marke Jerger aufgefunden werden (361).

Auch in Heidelberg verwandte die Bande ein selbstangefertigtes Sprengstoffgemisch, das Mennige und Aluminium sowie wahrscheinlich auch Ammoniumnitrat enthielt. Die flächigen roten Anhaftungen an einem an der Sprengstelle 2 gefundenen Blechteil ließen unter dem Mikroskop glänzende Metallteilchen erkennen. Röntgenfeinstrukturanalytisch konnten in den Antragungen Mennige und Aluminium, naßchemisch Spuren von Ammonium und Nitrationen nachgewiesen werden. Spektralanalytisch wurden die Elemente Blei, Aluminium, Eisen, Silizium, Calcium, Kupfer, Magnesium und Silber gefunden. Dieses Untersuchungsergebnis wurde durch die Analysen der in der Nähe der Sprengstelle 2 auf dem Boden gesicherten roten Substanzprobe bestätigt (362). In der Bandenunterkunft in Berlin, Budapester Straße 39, wurde eine Anleitung zur Herstellung von Sprengstoff gefunden, [307] in der auf der maschinengeschriebenen Seite in der letzten Zeile eine „Thermitmischung“ beschrieben wird (363). Die mitgeteilten Analyseergebnisse sprechen für die Annahme, daß die Gruppe den in Heidelberg eingesetzten Sprengstoff nach diesem Rezept hergestellt hatte (364).

In dem Bandenunterschlupf in Frankfurt/M., Inheidenerstr. 69, wurden neben anderen Sprengsätzen auch zwei funktionsfähige Sprengkörper aus Flüssiggasflaschen für 11 kg Propan- oder 12,8 kg Butangas sichergestellt. An beiden Flaschen, die mit selbstgefertigtem, pulverförmigem rotem Sprengstoff und rund 350 bis 400 Stahlkugeln mit einem Gewicht von insgesamt gut 32 kg gefüllt waren, hatten Gruppenangehörige die Typenschilder abgehebelt. Beide Sprengkörper, die noch ohne Stromquelle und ohne Kontaktgeber waren, sollten nach ihrer Einrichtung elektrisch gezündet werden. Sie waren bereits transportfähig in Segeltuchtragetaschen verpackt (365). In dem Sprengstoff beider Flaschen konnten röntgenfeinstrukturanalytisch Mennige und Kaliumnitrat, chemisch Schwefel, Ammonium und Nitrationen sowie spektralanalytisch Blei, Aluminium, Kalium, Eisen, Calcium, Kupfer, Silizium und Magnesium nachgewiesen werden (366).

In den Fußmatten vor dem Fahrer- und dem Beifahrersitz des von der Gruppe dem Angestellten Heinecke aus Frankfurt/M. entwendeten Personenwagens Audi-NSU Prinz TT mit dem Kennzeichen F - LP 375 (367) wurden Ziegelsteinmate- [308] rial und in der Fußmatte vor dem Fahrersitz desselben Fahrzeugs zwei grüne Glassplitter gesichert. Das Ziegelsteinmaterial ist von gleicher Art wie das des Paradeplatzes auf dem Militärgelände in Heidelberg. Einer der Glassplitter stimmt in seinen physikalischen und chemischen Daten mit Glassplittern vom Paradeplatz überein (368).

Der zur Tatzeit im Hauptquartier in Heidelberg beschäftigt gewesene Buchhalter Horst Kühn sah den Angeschuldigten Baader etwa 35 Minuten vor den Explosionen auf dem Paradeplatz des Militärgeländes. Baader verließ das Gelände durch den Haupteingang an der Römerstraße. Außerhalb des Geländes traf er sich mit einer jungen Frau (369).

Die Angeschuldigte Gudrun Ensslin hielt sich am Tattage in der Sickingenstraße in Heidelberg auf. Diese Straße kreuzt im rechten Winkel die Straße Im Bosseldorn und verläuft unmittelbar südlich des Militärgeländes. Zusammen mit einer Frau und einem Mann war die Angeschuldigte gegen 16.30 Uhr in der Werkstatt des Autoschlossers Alfons Huber in Heidelberg, Sickingenstraße 33, erschienen, um sich den dort reparierten roten VW 1200 (pol. Kennzeichen B - TZ 836) herausgeben zu lassen (370). Halterin des Volkswagens war die Medizinalassistentin Christa Graef aus Berlin. Sie war die Freundin des Bandenmitgliedes Ronald Augustin (371). Am 6. August 1972 war Annerose [309] Reiche, Mitglied der anarchistischen „Bewegung 2. Juni“[159] aus Berlin (372), zusammen mit zwei Männern mit dem Volkswagen der Frau Graef unterwegs. Annerose Reiche konnte an diesem Tage von einem Verkehrskommando der Polizei verhaftet werden. Sie war damals zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe wegen Brandstiftung zur Festnahme ausgeschrieben. Ihre beiden Begleiter konnten unerkannt entfliehen (373).

Die Gruppe bekannte sich ausdrücklich auch zu dem Attentat auf das amerikanische Hauptquartier in Heidelberg. Textgleiche Durchschriften ihres Bekenntnisses, die auf der in der Bandenunterkunft in Hamburg, Paulinenallee 36, sichergestellten Schreibmaschine Marke „Olympia“ angefertigt worden waren, schickte sie von München aus am 26. Mai 1972 in Eilbriefen an die Deutsche Presse-Agentur in München, die Frankfurter Rundschau in Frankfurt/M. und den Westdeutschen Rundfunk in Köln (374). Eine schreibaktidentische Durchschrift desselben Bekenntnisses wurde dem Verlag DER SPIEGEL in Hamburg am 31. Mai 1972 durch die Post zugestellt (375). Eine weitere Durchschrift des Bekenntnisses, die ebenfalls auf derselben Schreibmaschine geschrieben worden war, fand sich unter den am 27. Juli 1972 in Bad Homburg im Heuchelbach sichergestellten Ausrüstungsgegenständen der Gruppe (376). Eine mit den zuvor erwähnten Durchschriften nicht schreibaktidentische Durchschrift desselben Bekenntnisses wurde [310] bei der Durchsuchung der Räume des Verlages „Roter Stern KG“ in Frankfurt/M., Unterlindau 74, aufgefunden. Auch diese Durchschrift war mit der bereits genannten Schreibmaschine Marke „Olympia“ angefertigt worden (377). Die zur Herstellung dieser Durchschrift benutzten Kohlepapiere konnten in der Bandenunterkunft in Hamburg, Paulinenallee 36, sichergestellt werden (378). Das Bekenntnis lautet:

„ALLE ARTEN VON UNGEHEUERN WERDEN BESIEGT WERDEN!

Im Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Europa in Heidelberg sind gestern abend, am Mittwoch den 24. Mai 1972 zwei Bomben mit einer Sprengkraft von 200 kg TNT explodiert. Der Anschlag wurde durchgeführt, nachdem General Daniel James, Abteilungsleiter im Pentagon, am Mittwoch in Washington erklärt hatte: ,Für die US-Luftwaffe bleibt bei Bombenangriffen in Vietnam künftig kein Ziel nördlich und südlich des 17. Breitengrades ausgenommen.‘ Am Montag hatte das Außenministerium von Hanoi die Vereinigten Staaten erneut beschuldigt, dichtbesiedelte Gebiete in Nordvietnam bombardiert zu haben.

Die amerikanische Luftwaffe hat in den letzten sieben Wochen mehr Bomben über Vietnam abgeworfen[160] als im Zweiten Weltkrieg über Japan und Deutschland zusammen. Von weiteren Millionen Tonnen Sprengstoffen ist die Rede, die das Pentagon einsetzen will, um die nordvietnamesische Offensive zu stoppen. Das ist Genocid, Völkermord, das wäre die ,Endlösung‘, das ist Ausschwitz.

Die Menschen in der Bundesrepublik unterstützen die Sicherungskräfte bei der Fahndung nach den Bombenattentätern nicht, weil sie mit den Verbrechen des amerikanischen Imperialismus und ihrer Billigung durch die herrschende Klasse hier nichts zu tun haben wollen; weil sie Ausschwitz, Dresden und Hamburg[161] nicht vergessen haben; weil sie wissen, daß gegen die Massenmörder von Vietnam Bombenanschläge gerechtfertigt sind; weil sie die Erfahrung gemacht haben, daß Demonstrationen und Worte gegen die Verbrechen des Imperialismus nichts nützen.

[311] Wir fordern die Einstellung der Bombenangriffe auf Vietnam.

Wir fordern den Abbruch der Minenblockade gegen Nordvietnam.

Wir fordern den Abzug der amerikanischen Truppen aus Indochina.

Wir werden unsere Anschläge gegen die Massenmörder von Vietnam fortsetzen bis zum Sieg des Vietkong.

Wir fordern die Militanten in der Bundesrepublik und West-Berlin auf, in ihrem politischen Kampf gegen den US-Imperialismus alle amerikanischen Einrichtungen zum Ziel ihrer Angriffe zu machen.

SOLIDARITÄT MIT DEM VIETNAMESISCHEN VOLK!

ZERSPLITTERT UND ZERSCHLAGT DIE KRÄFTE DES AMERIKANISCHEN IMPERIALISMUS!

SIEG IM VOLKSKRIEG!

Kommando 15. Juli[162] -

Rote Armee Fraktion“.

Schließlich hat die Angeschuldigte Ulrike Meinhof in ihrem bereits mehrfach erwähnten (379), nicht beendeten Entwurf zur Rechtfertigung der Anschläge zum Ausdruck gebracht, daß die Gruppe auch das Attentat auf das amerikanische Hauptquartier in Heidelberg durchgeführt hat (380).

[312] D

Das Tatgeschehen nach den Sprengstoffanschlägen

Am Vormittag des 9. Juni 1972 wurden Bernhard Braun und Brigitte Mohnhaupt in Berlin, Hanseatenweg, festgenommen. Sie wurden inzwischen durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. August 1974 - 1 PKLs 11/73 - wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und unerlaubten Waffenbesitzes zu Freiheitsstrafen von je 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Zwei weitere Mitglieder der Gruppe, Klaus Jünschke und Irmgard Möller, wurden am 8. Juli 1972 gegen 14.15 Uhr und 16.30 Uhr in Offenbach, Sprendlinger Landstraße, verhaftet (1).

Nach den Sprengstoffanschlägen wurde die Fahndung weiter verstärkt. Die Öffentlichkeit sah in der Baader-Meinhof-Bande noch mehr als bisher gefährliche, nichtpolitische Kriminelle und verfolgte die polizeilichen Maßnahmen mit gesteigerter Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt durch Hinweise aus der Bevölkerung konnten schließlich die den Kern der Gruppe bildenden Mitglieder verhaftet werden.

I. Festnahme der Angeschuldigten Baader, Meins und Raspe am 1. Juni 1972 in Frankfurt/Main, Hofeckweg[163]

Am 1. Juni 1972 zwischen 6.00 und 8.00 Uhr wurden die Angeschuldigten Baader, Meins und Raspe in Frankfurt- [313] Dornbusch, in der Francstraße und im Hofeckweg festgenommen. Vorher schossen sie auf Polizeibeamte, um sich der Festnahme zu entziehen.

Durch polizeiliche Beobachtungen hatte sich der Verdacht bestätigt, daß Angehörige der Baader-Meinhof- Gruppe im Frankfurter Stadtteil Dornbusch, Hofeckweg 2-4, eine Garage gemietet hatten. Das Gebäude und seine Umgebung wurden daraufhin überwacht.

Der Hofeckweg liegt in der Nähe des Hauptfriedhofs. Er wird im Norden durch die Kaiser-Sigmund-Straße, im Süden vom Kühhornshofweg begrenzt. Zwischen Kühhornshofweg und Hofeckweg sind Pfähle aufgestellt, die eine Einfahrt vom Kühhornshofweg verhindern. Eine Zufahrt zum Hofeckweg ist daher nur über die Kaiser-Sigmund-Straße möglich. Parallel zum Hofeckweg verläuft im Westen die Francstraße, im Osten die Eckenheimer Landstraße (2). Das Haus Hofeckweg 2-4 ist ein zweigeschossiges Appartementgebäude. Seine 24 Wohneinheiten liegen zum Hofeckweg und zum Kühhornshofweg. Der Eingang zum Treppenhaus, die Treppenflure und die Einfahrt zu den Garagen befinden sich an der Nordseite des Hauses. Links neben dem Hauseingang liegen vier mit Doppelflügeltüren verschließbare Garagen. Sie sind vom Hofeckweg über den zum Haus gehörenden Parkplatz zu erreichen (3).

[314] Am 1. Juni 1972 gegen 5.50 Uhr befuhren die genannten drei Angeschuldigten in dem gestohlenen und mit dem falschen Kennzeichen KN - CU 90 versehenen auberginefarbigen Porsche Targa (4) die Kaiser-Sigmund-Straße in östlicher Richtung. Sie bogen nach rechts in die Eckenheimer Landstraße und von dieser wiederum nach rechts in den Kühhornshofweg ab. Diese Straße, eine Einbahnstraße, befuhren sie entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Der Wagen wurde schließlich gewendet und an der rückwärtigen Seite des Hauses Hofeckweg 2-4 am linken Fahrbahnrand des Kühhornshofwegs in Fahrtrichtung Eckenheimer Landstraße angehalten (5).

1. Nachdem die Angeschuldigten ausgestiegen waren, begaben sich Baader und Meins sofort in die zweite der vom Eingang des Hofeckwegs 2-4 aus gesehenen Garagen. Der Angeschuldigte Raspe blieb, offenbar als Sicherungsposten, an den Absperrpfählen Ecke Kühhornshofweg/Hofeckweg zurück (6). Die Polizeibeamten Küllmer und Amthor, zu deren Aufgabe die Beobachtung der Garage gehörte, hatten ihr Dienstfahrzeug inzwischen aus Richtung Eckenheimer Landstraße in den Kühhornshofweg gefahren. Sie näherten sich Raspe und forderten ihn durch Zuruf zum Stehenbleiben auf. Daraufhin wandte sich dieser in Richtung Hofeckweg, griff in die rechte Tasche seines Mantels [315] und zog eine Schußwaffe (7).

Im Hofeckweg kamen dem Angeschuldigten die Polizeibeamten Gabriel und Pfeiffer, die ebenfalls die Garage beobachtet hatten, entgegen. Sie waren mit einem Polizeiwagen von der Kaiser-Sigmund-Straße in den Hofeckweg eingefahren und hatten das Fahrzeug etwa 10 m vor der Garageneinfahrt Hofeckweg 2-4 auf der Fahrbahnmitte angehalten, als sie den Angeschuldigten Raspe an der Ecke Hofeckweg/Kühhornshofweg stehen sahen. Der Beifahrer Gabriel sprang rechts aus dem Wagen und rief den Angeschuldigten an. Raspe lief den beiden Beamten noch wenige Meter entgegen und schoß dann aus einer Entfernung von etwa 28 m mindestens drei Mal auf sie (8). Die Schüsse verfehlten ihr Ziel, weil Gabriel hinter einem parkenden, Pfeiffer im Polizeiwagen Deckung fand. Raspe floh dann zwischen den Eingängen der Häuser Hofeckweg 1 und 3 hindurch über einen Garagentrakt hinweg in Richtung Francstraße (9). Er konnte schließlich durch Polizeihauptkommissar Irgel an der Grenze des Grundstücks Francstraße 6 gestellt und ohne Widerstand festgenommen werden (10).

Bei dem Angeschuldigten wurde eine Pistole FN, Kaliber 9 mm Parabellum Nr. 32192 gefunden. In ihr befand sich [316] ein mit 12 Patronen gefülltes Magazin. Außerdem wurden bei dem Angeschuldigten zwei in schwarzer und beiger Lederhülle steckende Magazine, jeweils mit 13 Patronen gefüllt, sichergestellt (11). Die Schüsse auf die Polizeibeamten sind nicht aus dieser Pistole abgefeuert worden (12). Am 2. Oktober 1972 fand der Schüler Klaus M[...] im Vorgarten des Hauses Francstraße 6 den Revolver Smith & Wesson, Modell 10/5 Kaliber 38 Spezial Nr. D 363241. Die Waffe war von Raspe dort in das lockere Erdreich gesteckt worden, wo er am 1. Juni 1972 entdeckt und festgenommen worden war (13). Wie schon an anderer Stelle erwähnt, ist mit dem Revolver Smith & Wesson mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch einer der tödlichen Schüsse auf den Polizeibeamten Schoner bei dem Bankraub in Kaiserslautern abgegeben worden (14).

Der Revolver ist von Rolf Pohle am 28. September 1971 bei der Firma Waffen-Stiegele in München gekauft worden (15). In der Trommel des Revolvers befanden sich 6 Patronenhülsen der Munition Kaliber 38 Spezial. Die waffentechnische Untersuchung ergab, daß diese in dem Revolver gezündet worden sind (16). Ein Geschoßmantel der in der Waffe verschossenen Munition wurde in der Parterrewohnung Hofeckweg 2-4 des Mieters Ma[...] ge- [317] funden. Die Wohnung liegt an der Westseite des Hauses Hofeckweg 2-4 an der Ecke Hofeckweg/Kühhornshofweg (17). Das Geschoß hat eine Fensterscheibe durchschlagen, ist von einer Wand abgeprallt und zu Boden gefallen. Diese Umstände deuten darauf hin, daß der Angeschuldigte Raspe auch einen Schuß in Richtung auf den Kühhornshofweg abgegeben hat, bevor er, wie er einräumt, auf Gabriel und Pfeiffer schoß (18).

Bei dem Angeschuldigten Raspe wurden u.a. folgende Gegenstände sichergestellt: 2 Personalausweise, die auf den Namen Wolfgang Kasubek (Nr. [...]) und Wolfgang Pracht (Nr. [...]) lauten. Beide Ausweise sind Originale, in die statt der Lichtbilder der berechtigten Inhaber Raspes Lichtbild eingefügt worden war (19). Ferner wurde bei Raspe ein auf den Namen des im Verfahren gegen Mitglieder des sog. SPK[164] bekanntgewordenen Wolfgang Kasubek lautender Führerschein gefunden. Dieser ist totalgefälscht, wobei das Original vorgelegen hat (20). Bei der persönlichen Habe des Angeschuldigten wurden außerdem 2 Stahlkugeln vom Durchmesser 7,94 mm gefunden, die aus der gleichen Werkstoff-Charge stammen wie die in den Sprengkörpern in der Wohnung Frankfurt/M, Inheidener Straße 69, und im Schloßteich von Bad Homburg gefundenen Kugeln (21). In dem Schmutz des rechten Mittelfingerna- [318] gels des Angeschuldigten Raspe sowie an seiner Hose, den Strümpfen und den Schuhen befanden sich Aluminiumteilchen von einer Größe bis zu 0,5 mm. Diese Teilchen sind chemisch und morphologisch gleichartig mit den Aluminiumbestandteilen des von der Baader-Meinhof-Gruppe verwendeten Sprengstoffs (22).

2. Die Angeschuldigten Baader und Meins hatten die Türen der Garage sofort hinter sich geschlossen. Als sie die von Raspe abgegebenen Schüsse hörten, öffnete Meins die linke Flügeltür und blickte in Richtung Hofeckweg, offenbar um den Grund des Schießens festzustellen (23). Der Polizeibeamte Herrmann, der sich der Garage auf etwa 15 m genähert hatte, forderte Meins mit vorgehaltener Maschinenpistole auf, in die Garage zurückzutreten (24). Nachdem die Tür wieder geschlossen war, wurde der Dienst-Pkw des Polizeibeamten Pfeiffer, ein Audi, vor die Garage geschoben, um Ausbruchsversuche der Angeschuldigten zu verhindern (25). Der Polizeibeamte Pfeiffer schlich für kurze Zeit zum Pkw, um das Funkgerät abzuschalten. Beim Verlassen schlug er die Wagentür zu. In diesem Augenblick schoß der Angeschuldigte Baader durch den geschlossenen rechten Flügel der Garagentür. Das Geschoß durchschlug die Tür in Höhe von 1,54 m bei dem dort angebrachten Schild „Rauchen verboten“. Es verfehlte aber den Polizeibeamten Pfeiffer (26).

[319] Von der Rückseite der Garage, im Kühhornshofweg, wurden durch eine Glasziegelöffnung Tränengaskörper in das Garageninnere geworfen (27). Die Angeschuldigten wurden von Regierungskriminaldirektor Scheicher durch Lautsprecher auf ihre ausweglose Lage hingewiesen und aufgefordert, ihre Waffen auf den Hof zu werfen, ihre Oberbekleidung auszuziehen und mit erhobenen Händen die Garage zu verlassen (28). Dem kamen die Angeschuldigten nicht nach.

Gegen 7.00 Uhr wurde der Pkw Audi mit einem Seil fortgezogen, nachdem die Angeschuldigten einen Türflügel mehrfach gegen den Wagen gestoßen und damit den Eindruck erweckt hatten, sich ergeben zu wollen. Baader und Meins öffneten beide Seiten der Tür, jedoch nur um das Tränengas entweichen zu lassen und Tränengaskörper zurückzuwerfen (29). Baader befand sich zu diesem Zeitpunkt vorne rechts in dem Garagenraum. Er stand am Heck des silbermetallfarbigen Pkw Fabrikat Iso Rivolta mit dem falschen Kennzeichen OF - R 821 und hielt einen Revolver in der linken Hand. Meins lag links neben dem Pkw hinter einer Gasflasche in Deckung und hatte seine Schußwaffe nach draußen gerichtet. Die Polizeibeamten Brandau, Bergmüller, Stumpf und [320] Reinke standen hinter dem der Garage schräg rechts gegenüberliegenden Garagengebäude auf dem Grundstück Hofeckweg Nr. 6, Sie schossen abwechselnd Tränengasmunition in die Richtung der Angeschuldigten. Immer wenn einer der Beamten zum Schuß kurze Zeit hinter der Garagenecke hervorschaute, hob der Angeschuldigte Baader seinen Revolver und zielte. Schließlich schoß er auf einen der hinter der Garage Hofeckweg 6 stehenden Beamten (30). Das Geschoß traf auf die linke Seite des Garagentores, prallte ab und ging in der Nähe der Beamten Glatzel, Stein, Opel und Verch ins Erdreich. Diese standen hinter einem Balkonvorbau des Hauses Hofeckweg Nr. 8, welcher der Garage, in der sich die Angeschuldigten befanden, direkt gegenüberliegt (31).

Etwa um 7.45 Uhr wurde ein mit vier Polizeibeamten besetzter gepanzerter Sonderwagen eingesetzt. Mit ihm sollten beide Flügel der Garagentür zugedrückt werden, um dem Tränengas im Garageninnern größere Wirkung zu verschaffen. Es gelang jedoch nur, die rechte Flügeltür zu schließen. Die linke Tür war so weit geöffnet, daß sie parallel zur Hauswand stand und dem Sonderwagen keine Berührungsfläche bot (32).

Der Angeschuldigte Meins nutzte den Einsatz des Sonderwagens, um einen Ausbruch zu versuchen. Als [321] der Wagen ein Stück nach rechts an der Garage vorbeifuhr, lief er, das Fahrzeug als Deckung benutzend, wenige Meter in Richtung auf die Treppe am Ende des Hofeckweges 2-4 zu, die vom Hofeckweg zum Kühhornshofweg führt. Er gab dabei mindestens einen Schuß aus seinem Revolver ab (33). Mit großer Wahrscheinlichkeit drang das Geschoß durch den verschlossenen Rolladen und eine Scheibe des Doppelglasfensters in der Wohnung W[..] im 1. Stockwerk des Hauses Hofeckweg 6 und blieb im linken Holzrahmen stecken (34). Nach mehreren Schüssen aus Waffen der in der näheren Umgebung postierten Polizeibeamten gab der Angeschuldigte Meins sein Vorhaben auf und lief in die Garage zurück.

Gegen 8.00 Uhr wurde der Angeschuldigte Baader in der Garage verletzt. Ein Geschoß drang in die Vorderseite des linken Oberschenkels ein und trat im unteren linken Gesäßabschnitt aus (35). Der Schuß war von dem Polizeibeamten Honke aus einem Gewehr mit Zielfernrohr abgegeben worden. Honke hatte aus einem an der Rückseite des Hauses Eckenheimer Landstraße Nr. 281 gelegenen Küchenfenster geschossen (36).

Kurze Zeit nach der Verletzung Baaders warf Meins entsprechend den ständig durch Lautsprecher wieder- [322] holten polizeilichen Aufforderungen seinen Revolver aus der Garage, trat bis auf die Unterhose entkleidet mit erhobenen Händen auf den Hof und ließ sich festnehmen. Auch er war, allerdings nur leicht, verletzt.

Wenig später wurde auch Baader aus der Garage geholt; er wurde ärztlich versorgt (37).

Baader erklärte bei einem Gespräch mit Polizeibeamten, daß etwa fünf Schüsse aus der Garage abgegeben worden seien. Diese seien jedoch in die Garagendecke und auf einen Tränengaskörper abgefeuert worden (38). Seine Darstellung ist mit den festgestellten Tatsachen nicht zu vereinbaren. Lediglich ein Schuß kann auf einen Tränengaskörper abgegeben worden sein (39).

Bei der von dem Angeschuldigten Meins aus der Garage geworfenen Waffe handelt es sich um eine Pistole FN, Kaliber 9 mm, Nr. 40061. Im Magazin befanden sich zwölf Patronen. Die Waffe war gespannt und entsichert. Außerdem wurde ein weiteres mit dreizehn Patronen gefülltes Magazin von Meins aus der Garage geworfen (40). Ein bei dem Angeschuldigten sichergestellter Schlüssel paßt zu einem Schloß- [323] Zylinder und einem hierzu gehörigen Schlüssel, die am 3. August 1972 im Teich des Kurparkweihers in Bad Homburg gefunden worden sind (41).

Im Schmutz der Nägel der beiden Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger des Angeschuldigten Meins ließen sich Aluminiumteilchen nachweisen, die chemisch und morphologisch gleichartig mit den Aluminiumbestandteilen sind, welche in den von der Baader-Meinhof-Gruppe gefertigten Sprengkörpern verwendet wurden (42). An einem bei Meins sichergestellten braunen Pullover ließen sich gleichfalls Aluminiumteilchen nachweisen, die mit dem von der Baader-Meinhof-Gruppe zur Sprengstoffherstellung verwendeten Aluminiumpulver übereinstimmen (43).

Unter dem Körper des verletzten Angeschuldigten Baader wurde die blutverschmierte Pistole Smith & Wesson, Kaliber 9 mm, Nr 129 368 gefunden. Die Waffe war geladen, gespannt und entsichert. Eine Patrone befand sich im Lauf, im Magazin steckten sechs weitere Patronen. Ferner wurden ein zweites Magazin mit sechs Patronen sowie zwei lose Patronen sichergestellt (44).

Auch bei Baader ließen sich im Schmutz seiner Fingernägel Aluminiumbestandteile nachweisen, die in [324] Größe und Materialzusammensetzung den Aluminiumteilchen gleich sind, die in dem von der Baader-Meinhof-Gruppe verwendeten Sprengstoff gefunden wurden (45). Außerdem ließen sich in einer Tasche der von ihm getragenen Hose Bestandteile feststellen, wie sie zur Sprengstoffherstellung verwendet worden sind (46).

II. Festnahme der Angeschuldigten Ensslin am 7. Juni 1972 in Hamburg[165]

Am 7. Juni 1972, sechs Tage nach der Festnahme der Angeschuldigten Baader, Meins und Raspe, wurde die Angeschuldigte Gudrun Ensslin in Hamburg festgenommen. Vorher versuchte sie, zu einem schußbereiten Revolver in ihrer rechten Jackentasche zu greifen, um sich durch Schüsse auf Polizeibeamte ihrer Festnahme zu entziehen.

Die Angeschuldigte betrat gegen 13.00 Uhr die Mode-Boutique „Linette“ in Hamburg, Jungfernstieg 41-42. Um einen von ihr ausgesuchten weißen Pullover anzuprobieren, legte sie ihre dunkelblaue Wildlederjacke im hinterenes Verkaufsraums ab. Dort fand sie die Geschäftsführerin Rühle, die erkannte, daß die Jacke nicht zu den zum Verkauf angebotenen Kleidungsstücken der Boutique gehörte. Sie hob die Jacke auf, bemerkte das ungewöhnliche Gewicht und stellte nach [325] wiederholtem Abtasten fest, daß sich in der rechten Außentasche eine Schußwaffe befand. Nachdem die Verkäuferinnen Esser, Graumann, Reinhardt und Bierbaum diese Wahrnehmung bestätigt hatten, benachrichtigte die Geschäftsführerin die Polizei (47).

Die Angeschuldigte begab sich wenig später zu einer Umkleidekabine, um den Pullover anzuziehen. Bevor sie die Kabine betrat, nahm sie die Lederjacke hastig wieder an sich (48). Beim Verlassen des Umkleideraums trug sie die Lederjacke über dem weißen Pullover und hatte ihre lederne Umhängetasche über die linke Schulter gehängt. Durch Verzögerung der Verkaufsformalitäten gelang es den Verkäuferinnen Esser und Rühle, die Angeschuldigte hinzuhalten. Als Polizeimeister Millhahn gegen 13.30 Uhr die Boutique als erster Polizeibeamter betrat, stand die Angeschuldigte im hinteren Teil des Raums an einem Verkaufstisch. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt. Nachdem Millhahn bis auf etwa 2 ½ m auf die Angeschuldigte zugegangen war, drehte diese sich um und kam ihm in Richtung auf den Ausgang entgegen. Sie versuchte, rechts an dem Beamten, zwischen ihm und einem Verkaufstisch, vorbeizukommen, wobei sie ihr Gesicht nach links abwendete. Millhahn trat einen Schritt nach rechts und stellte sich der Angeschuldigten [326] mit den Worten „Was ist los?“ in den Weg (49). In diesem Augenblick griff die Angeschuldigte mit der rechten Hand in die rechte Außentasche ihrer Lederjacke. Es gelang ihr jedoch nicht mehr, den darin befindlichen Revolver zu ergreifen und auf den Polizeibeamten zu schießen. Sie konnte nur noch mit der Hälfte ihrer Finger in die Tasche greifen (50). Millhahn hatte die Gefahr erkannt, schob seinen rechten Arm in die Armbeuge der Angeschuldigten und riß zugleich ihren rechten Arm hoch. Die Angeschuldigte wollte sich seinem Griff entziehen, indem sie sich nach rechts um ihn herum zu drehen versuchte und sich zu Boden fallen ließ. Trotz heftigen Widerstandes gelang es jedoch dem Beamten, mit Hilfe des inzwischen hinzugekommenen Polizeiobermeisters Freiberg die Angeschuldigte zu überwältigen (51). Bei ihrer Gegenwehr versuchte die Angeschuldigte immer wieder, mit der rechten Hand an die Waffe zu gelangen (52). Freiberg nahm ihr die Umhängetasche ab und gab sie zum Öffnen an eine der in der Nähe stehenden weiblichen Personen. Sodann griff er in die rechte Außentasche der Lederjacke und fand hier den Revolver „Smith & Wesson“ 38 Spezial, Kaliber 9 mm. Der Revolver war schußbereit, mit fünf Patronen, Teilmantelgeschoß mit Hohlspitze, geladen und entsichert (53). In der Umhängetasche fand der Polizeibeamte Freiberg [327] eine weitere Waffe, nämlich eine Pistole FN 9 mm. In ihr befanden sich eine Patrone im Lauf und 14 Schuß im Magazin. Die Pistole war ebenfalls durchgeladen und entsichert (54).

Mit dem Griff zum schußbereiten Revolver handelte die Angeschuldigte nach dem von Angehörigen der Baader-Meinhof-Gruppe wiederholt erklärten und verwirklichten Willen, bei einer drohenden Festnahme ohne Rücksicht auf Menschenleben den Fluchtweg freizuschießen (55). Sie hat in ihrem bei der Mitangeschuldigten Meinhof gefundenen Kassiber zu ihrer Festnahme folgendes erklärt: „... ich hab gepennt, sonst wäre jetzt eine Verkäuferin tot (Geisel), ich und vielleicht zwei Bullen. ...“ (56). Außer den beiden Faustfeuerwaffen wurden bei der Angeschuldigten u.a. sieben Schlüssel sichergestellt. Ein Schlüssel paßt zum Schloß der Wohnung Stuttgart, Seidenstraße 71 (57). Ein Briefkastenschlüssel ist identisch mit einem in derselben Wohnung gefundenen (58). Ein weiterer Schlüssel stimmt mit den bei Irmgard Möller am 8. Juli und Thomas Weisbecker am 2. März 1972 sichergestellten Schlüsseln überein. Mit diesen drei Schlüsseln läßt sich das Briefkastenschloß der Gruppenwohnung Frankfurt/M., Inheidener Straße, sperren und entsperren (59). Mit einem anderen Schlüssel ließ [328] sich die Wohnungstür der Gruppenunterkunft Hamburg, Paulinenallee, öffnen und schließen. Gleiche Schlüssel hierzu wurden ferner in der Wohnung Hamburg, Ohlsdorfer Straße, und bei der Festnahme des Wolfgang Grundmann in Hamburg am 2. März 1972 gefunden (60). Ein anderer Schlüssel paßte zur Zentralschließanlage in der Haustür der Wohnung Hamburg, Paulinenallee 36. Auch ein solcher Schlüssel ist bei Wolfgang Grundmann sichergestellt worden (61). Schließlich weist ein Schlüssel im Profil Übereinstimmung mit drei in der Wohnung Berlin, Budapester Straße, gefundenen auf. Gleichartige Schlüssel fanden sich bei der Mitangeschuldigten Ulrike Meinhof und bei Brigitte Mohnhaupt (62).

Die Angeschuldigte Ensslin trug ferner einen Reisepaß und einen Führerschein bei sich, die auf den Namen Rosmarie Reins lauteten. Der Reisepaß ist ein Originaldokument, das durch Einsetzen des Lichtbildes der Angeschuldigten verfälscht worden ist (63). Der Führerschein ist totalgefälscht (64). Ein bei der Angeschuldigten sichergestellter roter Damenlederhandschuh für die rechte Hand gehört zu dem linken Handschuh, der in der Wohnung Hamburg, Ohlsdorfer Straße, gefunden wurde (65).

[329] III. Festnahme der Angeschuldigten Meinhof am 15. Juni 1972 in Langenhagen[166]

Am 15. Juni 1972 gegen 19.00 Uhr wurden die Angeschuldigte Meinhof und das Gruppenmitglied Gerhard Müller in der Walsroderstraße in Langenhagen bei Hannover festgenommen.

In der Nacht zuvor war eine bislang unbekannt gebliebene weibliche Person bei dem Lehrer Fritz Rodewald erschienen. Sie hatte ihn gebeten, am 15. Juni zwei Personen für zwei bis drei Tage in seiner Wohnung in Langenhagen, Walsroderstraße 11, zu beherbergen. Rodewald hatte das zugesagt und angegeben, wann er für die beiden Besucher zu erreichen sei. Im Laufe des Tages kam ihm wegen der gesamten Umstände jedoch der Verdacht, bei den angemeldeten Besuchern handele es sich um Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe. Rodewald benachrichtigte daraufhin die Polizei, die die Wohnung ab etwa 16.30 Uhr beobachtete (66). Gegen 17.50 Uhr betraten die Angeschuldigte Meinhof und Müller das Haus Walsroderstraße 11. Da Rodewald nicht anwesend war, verschafften sie sich gewaltsam Zutritt, indem sie das Fenster der Wohnungstür eindrückten und die innen angebrachte Klinke betätigten.

Etwa um 19.00 Uhr verließ Müller das Haus und ging zu einer nahe gelegenen Telefonzelle an der Ecke Walsroder- [330] straße/Friesenstraße. Hier wurde er von den Polizeibeamten Schmidt, Hücker, Severin und Traenapp festgenommen, nachdem sein Versuch vereitelt worden war, zu einer im Hosenbund steckenden Pistole zu greifen (67).

Gegen 19.10 Uhr begaben sich Schmidt, Hücker, Severin und Kriminalmeister Staggenborg zur Wohnung Rodewalds. Auf ein dreimaliges kurzes Läuten öffnete die Angeschuldigte Meinhof die Tür. Sie wurde sofort von den Beamten Schmidt und Hücker festgenommen, wobei sie körperlichen Widerstand leistete. Eine Waffe trug sie nicht bei sich (68).

In der Wohnung wurden zahlreiche von der Angeschuldigten und Müller mitgeführte Gegenstände sichergestellt. In einem roten Kosmetikkoffer befand sich eine feldflaschenförmige, selbstgefertigte Bombe mit einem Gewicht von etwa 4,5 kg (69). Zwei Sprengkörper in Handgranatenform wurden in einer grau-grünen Wildleder- und einer braunen Ledertasche gefunden (70). Sprengkörper in Form von Feldflaschen wurden, wie bereits erwähnt, in der Gruppenunterkunft in Frankfurt/M., Inheidener Straße, und in Bad Homburg entdeckt (71). Sprengkörper in Handgranatenform fanden sich in dem in Frankfurt/M., Hofeckweg 2-4, sichergestellten Porsche Targa, im Schloßteich von Bad Homburg und bei der Festnahme von Bernhard Braun und Brigitte Mohnhaupt [331] am 9. Juni 1972 in Berlin (72).

Ferner wurde eine Maschinenpistole „Vigneron M 2“ Kaliber 9 mm Parabellum Nr. 089172 mit selbstgefertigter Schulterstütze sichergestellt. Neben einem in der Waffe befindlichen Magazin mit 31 Patronen wurden zwei weitere zu der Maschinenpistole gehörige Magazine mit 25 bzw. 33 Patronen gefunden (73). Eine in dem Unterschlupf in Kiel, Schweffelstraße, gesicherte Patronenhülse war in der Maschinenpistole gezündet worden (74).

In der Wohnung wurden außerdem zwei Pistolen gefunden. Eine „Walther“ P 58 Kaliber 9 mm Nr. 23324 E in einer Pistolentasche und eine „Heckler & Koch“ Mod. P 9 S Nr. 100752 Kaliber 9 mm (75). Im Magazin der „Walther“ Pistole steckten acht Patronen, ein weiteres Magazin enthielt gleichfalls acht Patronen. In der Waffe „Heckler & Koch“ befand sich ein mit neun Patronen gefülltes Magazin, ein weiteres war mit derselben Anzahl Patronen gefüllt (76). Beide Pistolen sind von Rolf Pohle erworben worden (77).

Neben den Waffen wurden in zwei Pappbehältern und einem Lederetui insgesamt 164 Schuß Munition des Kalibers 9 mm gefunden (78).

Bei den von der Angeschuldigten und Müller mitgeführten Gegenständen wurden außerdem zahlreiche Schlüssel sicher- [332] gestellt. Es ergeben sich folgende Zusammenhänge: Ein Flachschlüssel stimmt mit je einem bei den Festnahmen der Mitangeschuldigten Ensslin und des Gruppenmitglieds Mohnhaupt gefundenen Flachschlüssel überein. Zwei gleiche Schlüssel sind in der Gruppenunterkunft Berlin, Budapester Straße, gefunden worden (79). Ein weiterer Schlüssel entspricht zwei anderen in derselben Wohnung sichergestellten Schlüsseln (80). Ein Zylinderschloßschlüssel paßt zur Wohnungstür Budapester Straße und stimmt mit einem Schlüssel überein, der in einem Opel-Commodore mit dem Falschkennzeichen HG - TU 40 in Berlin gefunden wurde (81). Ein weiterer Zylinderschloßschlüssel für eine Zentralschließanlage paßt zur Wohnungstür Frankfurt/M., Inheidener Straße, und ist in gleicher Form bei der Festnahme von Irmgard Möller am 8. Juli 1972 in Offenbach sichergestellt worden (82). Die Angeschuldigte Meinhof besaß weiter einen Schlüssel, der in entsprechender Form anläßlich der Festnahme der Astrid Proll am 6. Mai 1971 in Hamburg gefunden wurde und der zu einem Schloß paßt, das in der Gruppenunterkunft Hamburg, Thiedeweg 56, gefunden worden ist (83). Ein anderer Schlüssel aus dem Besitz von Meinhof und Müller wurde in gleicher Form bei der Festnahme der Carmen Roll am 2. Mai 1972 in Augsburg gefunden (84). Ein Zylinderschloßschlüssel paßt für eine Zentralschließanlage, der in gleicher Form bei Carmen Roll gefunden wurde, zum Schloß der Wohnung Frankfurt/M., [333] Raimundstraße 104 (85). Schließlich wurde noch ein Schlüssel sichergestellt, der zu einem in der Wohnung Hamburg, Ohlsdorfer Straße, gefundenen Schloß gehört (86).

Unter den sichergestellten Gegenständen der Angeschuldigten Meinhof fanden sich mehrere handschriftliche Notizen, die von der Mitangeschuldigten Ensslin stammen (87). Insbesondere befand sich in der Seitentasche einer schwarzen Samtjacke ein zwei Blatt umfassender konspirativer Brief, den die Mitangeschuldigte Ensslin geschrieben und aus der Justizvollzugsanstalt Essen geschmuggelt hatte (88).

Im Besitz der Angeschuldigten Meinhof wurden weiter ein Reisepaß mit der Nr. [...] und ein Ersatzführerschein gefunden. Beide lauten auf den Namen Dr. Marion Luckow geborene Cotterell (89). Bei dem Reisepaß handelt es sich um ein Originaldokument, das durch Einfügen eines Lichtbildes einer unbekannten Person gefälscht wurde (90). Der Ersatzführerschein, dessen Lichtbild ebenfalls eine Unbekannte zeigt, ist totalgefälscht (91).

Schließlich wurden an der von der Angeschuldigten Meinhof getragenen schwarzen Jacke Aluminiumteilchen entdeckt. Chemisch und morphologisch stimmen sie mit dem Material überein, das Angehörige der Baader-Meinhof- [334] Gruppe zur Sprengstoffherstellung verwendet haben (92). Bestandteile von Sprengstoffen konnten außerdem in einer braunen Damenumhängetasche, einer schwarzen Kunststoffeinkaufstasche, einer schwarzen Reisetasche und einer grauen Wildledertasche nachgewiesen werden (93).

IV. Sicherstellung von Bandenbesitz in Bad Homburg v.d.H.

Auch nach den obengeschilderten Festnahmen wurden noch umfangreiche Funde gemacht, die eindeutig der Baader-Meinhof-Bande zuzuordnen sind. So wurde in der Zeit vom 27. Juli bis 7. August 1972 im Gemeindegebiet von Bad Homburg v.d.H. eine Fülle offenbar überstürzt aufgegebenen Bandenbesitzes sichergestellt, der in verschiedenen Gewässern der genannten Kreisstadt oder an Uferrändern abgelegt war (94). Im einzelnen wurden neben Schußwaffen, Munition, Zielfernrohren, Kraftfahrzeugscheinen und -kennzeichen, Siegelplaketten, Wohnungs- und Kraftfahrzeugschlüsseln sowie hand- und maschinenschriftlichen Aufzeichnungen (95) insbesondere folgende Gegenstände entdeckt:

2 sog. Doppelrohrbomben, die Stahlkugeln und insgesamt 2007 g des hier mit grauen Sprengstoffteilen versetzten roten Bandensprengstoffs enthielten (96),

1 aus den USA stammender Sprengsatz (97) und 1 Nebelkerze (98),

1 in Feldflaschenform gehaltener ungefähr 4 kg schwerer mit dem grauen Sprengstoff gefüllter Explosivkörper (99),

[335] 3 handgranatenförmige, jeweils etwa 850 bis 900 g schwere Sprengkörper, die ebenfalls das graue Sprengstoffgemisch enthielten (100),

3 zur Herstellung sog. Kassettenbomben geeignete Geldkassetten (101),

5 Kunststoffdosen mit zusammen ca. 2600 g Sprengstoff (102),

11 Sprengstoffpatronen und Reste einer weiteren Sprengstoffpatrone (103),

32 Platten eines gummiartigen gelb-olivgrünen Sprengstoffs im Gesamtgewicht von 7,6 kg (104),

z.T. mit Drahtanlötungen versehene und zum Schließen von Stromkreisen geeignete Kurzzeitmesser und Weckeruhren (105) sowie elektronische Zündverzögerungsglieder (106),

100 originalverpackte Aluminiumsprengkapseln, 8 Millisekundenzünder, etwa 200 Zündlichter sowie Spreng- und größere Mengen Zeitzünd-Schnur (107),

eine Vielzahl von Batterien sowie mehrere Kipp-, Druck- und Zugschalter (108).

Kunststoffklebeband, das an den Zündern der Doppelrohrbomben befestigt war, entspricht im Material, in der Farbe und der Breite dem Klebeband, das in der Frankfurter Wohnung „Pflug“ an den Zündern der beiden Gasflaschenbomben (109) und in der Hamburger Wohnung „Allers“ (110) gesichert werden konnte (111). Genauso verhält es sich mit dem vom Zünder des feldflaschenförmigen Sprengkörpers abgenommenen Klebeband und Klebebandteilen, die in der Frankfurter Doppelgarage Ginnheimer Landstraße 42 gefunden worden sind (112).

Zu den in Bad Homburg v.d.H. geborgenen Beweismitteln zählen auch:

[336] 1 gedruckte Gebrauchsanweisung für Sprengkapseln der Dynamit-Nobel AG (113),

29 Blatt Ablichtungen aus dem 1964 in der DDR erschienenen Band III des Handbuchs „Chemie und Technologie der Explosivstoffe“,

Veröffentlichungen über Hohlladungen, Handgranaten und Sabotagebrandmittel (114),

Ablichtungen der in der Berliner Wohnung „Hübner“, Knesebeckstraße 89, gefundenen maschinenschriftlichen Sprengstoffanleitungen (115).

Zu den entdeckten Schriftstücken gehören auch Entwürfe für die schon aufgeführten Briefe, mit denen die „Rote-Armee-Fraktion“ die Verantwortung für die von ihr von Mai 1972 an begangenen Sprengstoffanschläge übernommen hat. Eines in Maschinenschrift gehaltenen Textentwurfs ist mit Hilfe der „Erika“-Schreibmaschine aus der Frankfurter Wohnung „Pflug“ gefertigt worden; ein weiteres Textblatt ist wahrscheinlich mit Hilfe einer Schreibmaschine beschriftet worden, die in der Hamburger Wohnung „Allers“ sichergestellt worden ist. Einige der Textblätter sind mit Anmerkungen von der Hand der Angeschuldigten Meinhof versehen (116). Darüber hinaus wurden auch zwei maschinenbeschriftete Kohlebögen gesichert. Diese Bögen waren zur Vervielfältigung der schon erwähnten RAF-Erklärung vom 28. Mai 1972 benutzt worden (116a).

Von der Angeschuldigten Meinhof stammen auch Beschriftungen auf Zeitungspapier, das zur Verpackung einiger der gefundenen Kennzeichenschilder diente (117). Eine Notiz über eine Tapetenhandlung in Darmstadt sowie auf denselben Zettel geschriebene Zahlenreihen rühren mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von dem Angeschuldigten Meins her; ein Vermerk über ein grünes Pritschenfahrzeug stammt von Irmgard Möller [337] (118). Weitere Aufzeichnungen, die u.a. spreng- und funktechnische Literatur zum Gegenstand haben, sowie Notizen über in Darmstadt und Saarbrücken zugelassene Kraftfahrzeuge sind von dem Bandenmitglied Jünschke geschrieben worden (119).

Ein in Bad Homburg v.d.H. aufgefundener Schlüssel paßt zu dem Zündschloß des Pkw „NSU - Prinz TT“, der sich in der Frankfurter Doppelgarage Ginnheimer Landstraße 42 befand (120). Der Angeschuldigte Meins führte bei seiner Verhaftung einen Schlüssel mit sich, durch den sich ein Zylinderschloß aus dem in Bad Homburg v.d.H. geborgenen Bandenbesitz einwandfrei betätigen ließ (121).

Bei Fahndungsmaßnahmen, die anläßlich der geschilderten Bergungsaktionen getroffen worden sind, stellte sich heraus, daß der Gruppe vom 21. Mai 1972 an eine Wohnung in dem Bad Homburger Anwesen Dietigheimer Straße 1 zur Verfügung stand (121a). Der am 17. April 1972 von dem österreichischen Staatsangehörigen Uwe Henning angemietete Unterschlupf ist jedoch spätestens am 3. August 1972 aufgegeben worden (121b). Das Bandenmitglied Jünschke hat zu einem Teil einen Banküberweisungsauftrag ausgefüllt, mit dem eine Gebührenforderung des örtlichen Elektrizitätswerks für den Monat Mai 1972 beglichen worden ist. Jünschke war es auch, der einen weiteren Banküberweisungsvordruck beschriftet hat; mit diesem Überweisungsauftrag ist später die Mietzinszahlung für August 1972 getätigt worden (121c).

[338] V. Fortführen der kriminellen Vereinigung aus der Haft heraus

Die Angeschuldigten gaben selbst nach ihrer Verhaftung ihr Ziel nicht auf, die in der Bundesrepublik Deutschland bestehende Gesellschaftsordnung auch mit Hilfe der noch in Freiheit befindlichen Bandenmitglieder gewaltsam zu ändern. Das folgt aus einer Vielzahl schriftlicher Äußerungen, die am 16. und 18. Juli 1975 in ihren Zellen in den Vollzugsanstalten, in Zellen anderer Gruppenmitglieder sowie in den am 4. Februar 1974 ausgehobenen und von Mitgliedern der Bande bewohnten Unterkünften in Hamburg und Frankfurt/M sichergestellt wurden. In diesen Schreiben wird daneben deutlich, daß die Angeschuldigten trotz ihrer Inhaftierung ihre führende Rolle innerhalb der Bande behalten haben.

1. Alle Angeschuldigten bringen in den Schriftstücken zum Ausdruck, daß zur Verwirklichung ihres gemeinsamen Zieles Gewalt anzuwenden sei.

a) Der Angeschuldigte Baader fordert in den Befreiungsplänen (122), die er teils mit der Hand, teils mit der in seiner Zelle befindlichen Schreibmaschine geschrieben hatte, die noch in Freiheit befindlichen Bandenmitglieder auf, nach einem Stillstand von etwa eineinhalb Jahren endlich von der Öffentlichkeit beachtete „starke Aktionen mit verschiedenen Mitteln: Gewehr etc.“ zu unternehmen und damit gleichzeitig seine gewaltsame, ggf. durch Geiselnahme [339] zu erzwingende Befreiung aus der Haft vorzubereiten. Dabei belehrt er die angesprochenen Bandenmitglieder wörtlich:

„Fangt das aber nicht an wie Kinder. Die Kriterien (die minimalen Kriterien) bringen die Aktionen im Mai 72. Darunter läuft nichts.“

Das heißt: Die vom Angeschuldigten Baader zum Handeln aufgerufenen Bandenmitglieder sollten „Aktionen“ durchführen, die in ihren Auswirkungen mindestens denen der von der RAF unter der Führung der Angeschuldigten zwischen dem 11. und 23. Mai 1972 begangenen Sprengstoffanschlägen gleichkommen sollten. Eine solche Anweisung für die in Freiheit befindlichen Bandenmitglieder enthält auch ein weiterer aus seiner Zelle geschmuggelter Kassiber (123), in dem er u.a. sagt:

„So auf dem Niveau der Aktion gegen Buddenberg (und darunter läuft nichts, was raf heißt).“

In seinen Ausführungen zum Verhältnis der RAF zur Justiz (124) fordert der Angeschuldigte Baader ebenfalls, mit Gewalt gegen die Einrichtungen der bestehenden staatlichen Ordnung vorzugehen. Dort heißt es:

„Wir sagen, diese Justiz mit ihren faschistischen Traditionen und ihrer faschistischen Praxis ist ein Feind des Volkes. Ist ein Ungeheuer das vernichtet werden muß. Unser Standpunkt zum Imperialismus und seinen Mitteln ist bewaffneter Kampf.“

[340] Ähnlich hatte sich bereits das inzwischen rechtskräftig verurteilte Bandenmitglied Mahler[167] in seiner abschließenden Erklärung vor dem Kammergericht geäußert, indem er u.a. ausgeführt hatte (125):

„Mit der bürgerlichen Justiz ist endlich abzurechnen. Mit den Bütteln des Kapitals redet man nicht, auf die schießt man.“

b) Die Angeschuldigte Gudrun Ensslin vertritt in den von ihr verfaßten sichergestellten Schreiben dieselbe Auffassung.

Zum Verhalten der RAF-Mitglieder gegenüber der Justiz stellt sie u.a. fest (126):

„Man redet nicht, man schießt auf sie.“

In dem Zellenzirkular „Der Imperialismus bildet eine Einheit“ (127) führt sie zur Frage der Gewaltanwendung u.a. aus:

„... die Bourgeoisie hat viele Mittel - wir wollen nur eins von ihr: die Gewalt ...

Diese schwächste Stelle (des Imperialismus) trifft die bewaffnete Aktion: Von vornherein in’s Schwarze gezielt und getroffen, von vornherein ein ideologischer Sieg, egal ob militärisch Sieg oder Niederlage. ...

Jede Analyse ... ergibt das: in’s Zentrum des Feindes getroffen; das mit ihm gemacht, was er ununterbrochen tut: keine Wahl lassen; Maske ab, Gewalt und Tod seine wahre Fresse, ...

Daraus folgt, die bewaffnete Aktion ist in jedem Fall auch ein politischer Sieg der Revolutionäre, wiederum egal ob Sieg oder Niederlage, denn sie verändert die Situation.“

[341] Dasselbe Gedankengut findet sich auch in einer anderen, von ihr stammenden handschriftlichen Aufzeichnung (128). Dort heißt es hierzu:

„Totalität der Rev. heißt: Aufhebung der Trennung von Praxis und Theorie, von Sein + Bewußtsein, Politik und Gewehr heißt sein um zu werden, Alternative, Losung, Funktion von Besitzlosigkeit, SEIN um nicht weniger als alles zu kriegen, um befreit zu werden, heißt Haß, wirksame Tötungsmaschine, SEIN um Mensch zu werden, heißt Gewalt anwenden, um die Gewalt: Ausbeutung der Menschen abzuschaffen.“

c) Auch die Angeschuldigte Ulrike Meinhof hält nach ihren schriftlichen Äußerungen an dem gemeinschaftlichen Ziel einer gewaltsamen Systemveränderung fest. Das wird vor allem aus folgendem deutlich:

In einem als Zellenzirkular vorgesehenen Schriftstück mit der Überschrift: „Noch was zu münchenpaper und der Kritik daran“ (129) führt sie u.a. aus:

„Was die RAF, der schw.sept.,[168] das paper im auge haben, ist: materielle vernichtung/zerstörung von imperialistischer herrschaft - zerstörung des mythos (von) der allmacht des systems - im materiellen angriff die propagandistische/aufklärerische aktion - der akt der befreiung im akt der vernichtung.“

In einem weiteren von ihr verfaßten Entwurf zu einem Zellenzirkular (130) heißt es in diesem Zusammenhang:

„also vor allem anderen muß jedem klar sein, daß wir nicht marxismus, also marxistische klassiker studieren, um gegenüber der legalen linken diskussionssiege zu erlangen. von rh. bis ao. das ganze klassikerstudium dient nur einem zweck, demselben, dem alles andere studium dient: der praxis, unserem job, was wir vorhaben, die revolution ... praxis ist: bewaffneter kampf, organisation, propaganda.“

[342] d) Der Angeschuldigte Raspe, der das Wesen der RAF („Identität RAF“) als bewaffneten Kampf begreift (131), führt in einer handschriftlichen Notiz (132) aus, die historische Analyse beweise, daß „RAF, SPK usw.“ die einzig realistischen Kampfformen seien. Die Frage der Gewalt sei mehr denn je eine Frage des Bewußtseins (133).

e) Schließlich sieht auch der Angeschuldigte Meins den „bewaffneten Kampf“ als die „Hauptform“ des Kampfes gegen das System an (134). Er führt hierzu folgendes aus (135):

„d. Kampf in d. Metrop. zu führen ist von höchster Wichtigkeit. + größter Bedeutung. Ihn aufzunehmen, voranzutreiben und auf die Stufe d. bew. Kampfes zu heben, ist heute, morgen + in Zukunft d. HAUPTAUFGABE DER REVOLUTIONÄRE. d. erste Schritt ist die Vorbereit. + d. Beginn des GUERILLAKRIEGES IN DEN STÄDTEN. Darauf müssen wir all unsere Energie, Intelligenz + Phantasie richten, ...

Wir müssen sorgfältig die Praxis d. Guerillakrieges studieren, d. Erfahrungen auswerten, d. Lehren aus den Niederlagen ziehen, auf d. besonderen Bedingungen achten + die spezifische Situat. berücksicht. Wir müssen ständig das Ziel vor Augen haben: DEN SIEG IM VOLKSKRIEG. ...“

2. Um ihr Ziel verwirklichen zu können, entwickelten die Angeschuldigten unter maßgeblicher Führung der Angeschuldigten Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof in Arbeitsteilung ein Schulungs- und Ausbildungsprogramm. Hierzu bedienten sie sich eines umfassenden Kommunikationssystems.

[343] Bei den im Juli 1973 erfolgten Durchsuchungen der Zellen der Angeschuldigten und der Bandenmitglieder Irmgard Möller, Gerhard Müller und Bernhard Braun wurden u.a. 49 Zellenzirkulare teils bei einer, teils bei mehreren der genannten Personen aufgefunden (136). Sie waren überwiegend außerhalb der Haftanstalten in Reinschrift gefertigt und vervielfältigt worden (137). In acht Fällen waren sie noch mit Übersendungsschreiben versehen (138). Die Verteilung des Schriftmaterials erfolgte nach einem an dessen Inhalt orientierten Plan. Hierzu hatte die Angeschuldigte Gudrun Ensslin befohlen (139):

„4. ist nun vollends klar, daß alles zu ,II‘ an alle gefangenen geht, daß bestimmte Sachen zu ,I‘ nur an raf und spk, daß bei bestimmten themen aber auch da noch mal unterschieden werden muß, je nach absicht, also notwendigkeit/kanal. ohne diese systematisierung/orientierung/kanalisation kommt sonst früher oder später scheiße zustande und dann ne sekte raus, eingesperrt fromm und doof.“

Zur Tarnung der Kommunikation hatte sie außerdem den inhaftierten Bandenmitgliedern Decknamen (140) und -zahlen (141) zugeteilt. Letztere wurden in einem Rundbrief (142) den Adressaten als verbindlich mitgeteilt. Dieses Kommunikationssystem diente gleichzeitig als Druckmittel zur Aufrechterhaltung der Banden-„Disziplin“, weil bei Verstößen gegen sie der Ausschluß von der Kommunikation drohte (143).

[344] 3. Das Schulungs- und Ausbildungsprogramm hatte in erster Linie den Zweck, taktisch-technische Kenntnisse für die revolutionäre Alltagspraxis zu vermitteln. Der Angeschuldigte Baader hat hierzu in einem Entwurf zu einem Zellenzirkular folgendes niedergelegt (144):

„... halte ich für wenigstens zwei jahre weniger theorierezeption als systematisches wissenschaftliches lernen von kram der unmittelbare bedeutung für struktur, taktik und operation der guerilla hier hat, für wichtiger ...

strategie und taktik der guerilla hierzu entwickeln ist unser job.“

Daneben haben die Angeschuldigten Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof die Mitarbeit aller inhaftierten Bandenmitglieder an dem Programm koordiniert. Baader hat eine Einteilung in strategisches, taktisches, operatives und technisches Wissen vorgenommen und diese Einteilung im einzelnen erläutert (145). Ferner hat er eine umfangreiche Literaturliste erstellt und in dieser im einzelnen gekennzeichnet, welche Titel jeweils von den einzelnen Gefangenen gelesen werden müßten (146). Über seine eigene Tätigkeit an der Ausarbeitung hat er sich u.a. wie folgt geäußert (147):

„ich bin mit Militärstrategie/nd (was alle machen werden) so gut wie fertig - mache jetzt die ganze technokratiekiste was sicher ein halbes jahr dauert + internationale beziehungen immer mit dem blick auf Militärstrategie.“

[345] Die Angeschuldigte Gudrun Ensslin hat sich ebenfalls maßgeblich an der Literaturauswahl beteiligt (148) und zur Benennung von weiterer Literatur zu dem in drei Gebiete aufgeteilten Schulungsstoff aufgefordert (149). Darüber hinaus hat sie sich mit der Ausarbeitung einer Schrift zum Projekt „bassa“ befaßt (150), für das sie „uneingeschränkte Priorität“ (151) gefordert hat. In dieser Schrift führt sie u.a. aus (152):

„alles was material, stoff oder text zu ,stadtguerilla und metropole brd‘ ist, hat in zukunft das stichwort ,bassa‘ ... ziel bewußt den materiellen zweck des dings ansteuern: stadtguerilla hier und jetzt ... die zwei jahre haben uns eine menge beigebracht, was nirgends steht, und man hört uns zu, ... und solange man nichts weiter machen kann - bassa kann man schreiben, es fehlt sonst, und nat. in bezug auf jede politische arbeit, ob kampagne oder was immer kommen mag ...“

Schließlich hat die Angeschuldigte Gudrun Ensslin auch bestimmend auf den Verteilungsmodus für das auszuarbeitende Material eingewirkt, wie sich aus ihren folgenden Anordnungen ergibt (153):

„sagte ich das klar genug: anbei ... th. ergänzt/korrigiert blatt A 1 und schickt das oder ihr ,plazet‘ sowohl ans sekretariat wie in die kajüte, von dort überhaupt los oder erst nochmal ans sekretariat: B und korrekturen zu A 1 ...

(wenn sich nun was kreuzt: sekretariat wartet solange wie irgend etwas nicht ganz klar ist - einfürallemal).

eine arbeitsteilige achse verläuft auf jeden fall schon mal so: th. und smutje und der zimmermann (und je nach lust und beschäftigung viell. quiqueg) die politische linie (strategische analyse, kampagne, kongreß und zz. dieser Richtung) ahab und pip und starbuck und quiqueg die operative Linie ...“

[346] Mit den vorstehend verwandten Decknamen sind folgende Personen gemeint: th. - Ulrike Meinhof; sekretariat - Gudrun Ensslin; kajüte - Andreas Baader; smutje - Gudrun Ensslin; zimmermann - Jan-Carl Raspe; quiqueg - Gerhard Müller; ahab - Andreas Baader; pip - Manfred Grashof; starbuck - Holger Meins.

Die Angeschuldigte Ulrike Meinhof hat ebenfalls zur Literaturauswahl beigetragen (154) und weiteres Material hierzu zusammengestellt (155). Sie war von der Angeschuldigten Gudrun Ensslin als Sammelpunkt für „bassa“ bestimmt worden, was nach deren Auffassung Arbeit für etwa ein Jahr mit sich bringen würde (156). Außerdem hat sie die Werkschutzserie zum Thema „Wie schütze ich meinen Betrieb“ ausgewertet und die ihr im Hinblick auf Sabotageanschläge bedeutsam erscheinenden Stellen unterstrichen (157).

Die Mitwirkung der Angeschuldigten Raspe und Meins sowie der übrigen inhaftierten Bandenmitglieder an dieser Arbeit ergibt sich neben den obigen Darlegungen auch aus weiteren Umständen. So erwartete die Angeschuldigte Gudrun Ensslin, daß „innerhalb der 8 jeder so weiterreicht, was er für brauchbar hält“ (158). Dementsprechend wird in einem Rundbrief (159) ausgeführt:

„... jeder soll angeben, welche Zeitungen, Periodika, er hat, welche Sprachen er kann für ausländ. Zeitungen.“

[347] Besonders deutlich wird dies aber aus dem im Februar 1974 in Frankfurt/M sichergestellten von dem Angeschuldigten Baader verfaßten Schreiben, beginnend „sprengstoffbunker in steinbrüchen zu finden ...“. Darin heißt es u.a. (160):

„jetzt arbeiten wenigstens 4 (soviel weiß ich) gefangene, weil das mit ihrem job/lernprozeß imperialismusanalyse zusammenhängt an konzernanalyse

unternehmensorganisation

unternehmerverbände

finanzkapital

zwei: edv

sechs: nachrichtendienst (struktur, funktion, methode, konzept)

sechs: reguläre/irreguläre kriegsführung (guerilla etc.) gehört dazu wie psychologische kampfführung, die uns schließlich geschnappt hat und die ganzen counterstrategien die jetzt aus der amerikanischen wehrforschung (73 % für special warefare = counterguerilla) übernommen werden.

vier: bullen, bgs, organisation.“

In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Schulungs- und Ausbildungsprogramm steht der Gedanke einer zentralen Informationsstelle. Neben der Sammlung und Verteilung des Schulungsmaterials sollte sie sowohl der Beobachtung der Aktivitäten der sog. legalen Linken anhand ihrer Veröffentlichungen dienen, deren Berücksichtigung für die Fortsetzung des revolutionären Kampfes der RAF besondere Bedeutung zukam, als auch Kontaktstelle für die erstrebte Basisarbeit außerhalb der Haftanstalten (insbesondere Antijustizkampagne mit sog. Folterdokumentationen[169] und der Initiierung von Komitees gegen Folter[170]) sein (161). Ob und gegebenenfalls wo diese Zentrale tatsächlich entstanden ist, konnte [348] bisher nicht mit letzter Sicherheit erwiesen werden. Fest steht dagegen, daß sich die Angeschuldigten nachhaltig um ihre Einrichtung bemüht haben. Sie haben konkrete Vorstellungen über ihre Aufgaben und ihre Ausgestaltung entwickelt (162). Der Angeschuldigte Baader hat darüber hinaus die Einrichtung einer solchen Informationszentrale mit einem Rechtsanwalt erörtert, der seinerseits mit zwei anderen Verteidigern Näheres besprechen sollte (163). In dem Rundbrief vom 12. Juni 1973 (164) berichtet der Verfasser: „Mit Essen (gemeint ist die Angeschuldigte Ensslin) hatte ich besprochen, daß ich es mache ...“. Gleichzeitig entwickelte er Vorstellungen über die Person, die ihn hierbei unterstützen sollte. In dem Schriftstück, beginnend „Diskussionsstand vom 25.5.1973“ (165), ist unter der Überschrift „Diskussionsstand 7.6.1973“ - vermutlich von der Angeschuldigten Gudrun Ensslin - ausgeführt, wer die in dem Informationsbüro vorzunehmende zentrale Presseauswertung finanzieren sollte.

Die besondere Bedeutung der Informationsstelle im Rahmen des Gesamtkonzepts der Angeschuldigten läßt sich auch aus der Bewertung ersehen, die die Angeschuldigte Gudrun Ensslin dieser Arbeit gibt (166):

„vermutlich für ziemlich lange ... irre viel arbeit, energie, identifizierung, disziplin, phantasie ...“

[349] Auch von anderer Seite wurde sie als ein großes Projekt bezeichnet, das allen Arbeit für Monate und Jahre bringen werde (167).

Alle diese Bestrebungen dienten dem Ziel der Angeschuldigten, den Fortbestand ihrer Gruppe zu sichern, um die Ziele der RAF auch aus der Haft heraus verwirklichen zu können.

[350] E

Zur Täterschaft der Angeschuldigten

Die Angeschuldigten haben zur Person und Sache keine Angaben gemacht. Sie werden durch die angeführten Beweismittel überführt werden.

Die Angeschuldigten Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof waren zusammen mit Horst Mahler von Anfang an die Rädelsführer der Gruppe. Sie haben alle wesentlichen Aktionen geplant, die Art der Ausführung bestimmt, die unmittelbar handelnden Personen ausgewählt und ihnen Anweisungen erteilt. Die Angeschuldigten Meins und Raspe gehörten zum „harten Kern“ der Gruppe. Die Mitglieder dieses Kreises bestimmten zusammen mit den Rädelsführern, wann und wie die Vorhaben im einzelnen auszuführen waren und welche Rollen hierbei die bereits ausgewählten Personen zu übernehmen hatten. Alle Angeschuldigten wirkten bei der Begehung der von ihnen gemeinsam beschlossenen Straftaten in wechselnder Beteiligung mit. Sie haben den damit erstrebten Erfolg als eigenen gewollt.

I. 1. Der Angeschuldigte Baader ist einer der Gründer der Gruppe. Er war maßgeblich an ihrem Ausbau zu einer schlagkräftigen anarchistischen Bande beteiligt. Seine Spitzenposition im Führungskollektiv ist unbestritten. [351] Noch aus der Untersuchungshaft förderte er den organisatorischen Zusammenhalt der Bande und erteilte ihren inhaftierten und auf freiem Fuß befindlichen Mitgliedern Weisungen für bestimmte Aktionen, z.B. Hungerstreiks oder Befreiungsversuche.

2. Die Angeschuldigte Gudrun Ensslin, die schon am 2. April 1968 zusammen mit Andreas Baader und anderen Gesinnungsgenossen in Frankfurt/M ein Kaufhaus in Brand gesetzt hatte, „um das Proletariat für ihre revolutionären Ziele zu gewinnen“, war an der Gründung der Gruppe, der Beschaffung von Unterkünften, Geld, Waffen und sonstigen Ausrüstungsgegenständen sowie der Planung und Ausführung der Sprengstoffanschläge maßgeblich beteiligt. Diese Aktivitäten und ihre enge persönliche Bindung an Baader verschafften ihr innerhalb der Gruppe eine Führungsposition, die in dem bei der Angeschuldigten Ulrike Meinhof am 15. Juni 1972 sichergestellten Kassiber besonders deutlich sichtbar wird. Hier weist sie die noch in Freiheit befindlichen Mitglieder an, neue Sprengstoffanschläge zu begehen, Geiseln zu nehmen und die Bombenwerkstätten der Gruppe in Frankfurt/M und Hamburg zu räumen. In der Haft befaßt sie sich nunmehr mit neuen Plänen zur gewaltsamen Durchsetzung ihrer anarchistischen Ziele.

3. Die Angeschuldigte Ulrike Meinhof gehört mit Andreas Baader [352] und Gudrun Ensslin sowie Horst Mahler zu den Anführern der Gruppe. Als bekannter Journalistin fiel ihr insbesondere die Aufgabe zu, die begangenen Gewalttaten ideologisch zu rechtfertigen. Sie wirkte maßgeblich an der Abfassung der drei RAF-Schriften „Das Konzept Stadtguerilla“, „Stadtguerilla und Klassenkampf“ und „Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes“[171] mit. Ulrike Meinhof beteiligte sich aber auch an Banküberfällen, beschaffte Waffen, entwendete Kraftfahrzeuge und mietete Unterkünfte für die Gruppe an. Sie wirkte bei den Bombenanschlägen mit und rechtfertigte sie vor der Öffentlichkeit. Aus der Haft heraus rief sie zum bewaffneten Kampf auf.

II. Die Angeschuldigten Raspe und Meins waren bereits im Herbst 1970 zur Gruppe gestoßen. Sie erwarben sich alsbald das Vertrauen des Führungskaders und waren seit Anfang 1971 an allen Planungen und Aktionen der Gruppe maßgeblich beteiligt. Sie nahmen an Banküberfällen und zahlreichen Kraftfahrzeugdiebstählen teil. Sie beschafften Waffen, Sprengmittel und sonstige Ausrüstungsgegenstände. Sie wirkten an der Herstellung der zum Einsatz bestimmten Bomben, insbesondere des Sprengstoffs, mit. Der Angeschuldigte Raspe verfügte über entsprechende chemische Grundkenntnisse. Nach dem Sprengstoffanschlag auf das [353] US-Hauptquartier in Heidelberg bereiteten sie in Frankfurt in der Inheidener Straße, im Hofeckweg und in der Ginnheimer Landstraße weitere Sprengstoffanschläge vor. Als sie zusammen mit dem Angeschuldigten Baader am 1. Juni 1972 im Hofeckweg festgenommen wurden, führten sie zündfertige Sprengkörper mit sich. In der Kleidung und unter den Fingernägeln der Angeschuldigten Meins und Raspe befanden sich Bestandteile des roten Sprengstoffes. Beide Angeschuldigten hielten auch in der Untersuchungshaft die Verbindung zu den Anführern der Gruppe aufrecht und arbeiteten weiter an der Verwirklichung der Ziele der „RAF“.

[354] Ich beantrage,

gemäß §§ 142a Abs 1, 120 Abs 1 und 2, 74a Abs 1 Nr. 4, Abs 2 GVG, §§ 7 , 207 Abs 1 und 4 StPO[172]

1. das Hauptverfahren vor dem Oberlandesgericht[173] in Stuttgart[174] zu eröffnen und die Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen; [175]

2. die Haftfortdauer anzuordnen.[176]

(Buback)


[1] Am 2. April 1968 verübten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein Brandanschläge auf Kaufhäuser in Frankfurt am Main, bei denen zwar erhebliche Sachschäden entstanden, aber keine Menschen verletzt wurden. Die Kaufhausbrandstiftungen zählen zu den ersten politischen Gewalttaten von Baader und Ensslin vor Gründung der RAF. Motiviert wurden sie durch eine Kampagne der Kommune I, die eine Brandtragödie mit mehr als 200 Toten in einem Brüsseler Kaufhaus im Jahr 1967 für Kritik am Vietnamkrieg nutzte. Im Oktober 1968 begann der Prozess am Landgericht Frankfurt gegen Baader, Ensslin, Proll und Söhnlein. Mit Urteil vom 31.10.1968 wurden sie zu Haftstrafen in Höhe von je drei Jahren verurteilt. Da der BGH auch im Juni 1969 noch nicht über die Revision entschieden hatte, das Urteil also noch nicht rechtskräftig war, und die in der Zwischenzeit in Untersuchungshaft verbrachte Zeit einer ausgeurteilten Haftstrafe angerechnet werden würde, hob das LG Frankfurt den Haftbefehl am 13. Juni 1969 vorläufig auf. Als der BGH die Revision schließlich im November 1969 zurückwies, tauchten Baader, Ensslin und Proll unter, um sich der weiteren Haft zu entziehen (s. die Aufsätze von Bressan/Jander, sowie Hakemi/Hecken, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 398, 407 ff., sowie S. 316 f., 322 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 27 ff.).

[2] In den Fällen der notwendigen Verteidigung ist die Mitwirkung eines Verteidigers oder einer Verteidigerin gesetzlich vorgeschrieben (§ 141 StPO a.F.; seit dem 13.12.2019 [Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019, BGBl. I, S. 2128] ist die Bestellung in manchen Fällen von einem Antrag des/der Beschuldigten abhängig, § 141 Abs. 1 StPO). Die notwendige Verteidigung ergab sich in diesem Verfahren daraus, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht stattfand (§ 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO) und dem Vorwurf eines Verbrechens (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO; ein Verbrechen liegt vor bei einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr, § 1 Abs. 1 StGB aF.; heute: § 12 Abs. 1 StGB), sowie der Inhaftierung der Beschuldigten für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO a.F.; heute ist die zeitliche Vorgabe entfallen). Auch zuvor gewählte Verteidiger/innen können als Pflichtverteidiger/innen bestellt werden. Für einige der sog. Vertrauensverteidiger/innen war dies geschehen, und zwar nach damaliger Rechtslage antragsgemäß allen Angeklagten gemeinschaftlich (sog. Blockverteidigung). Mit dem Gesetz zur Ergänzung des Ersten Strafverfahrensreformgesetzes vom 20.12.1974 (BGBl. I, S. 3686) wurde mit Wirkung zum 1.1.1975 das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) eingeführt. Dies hatte zur Folge, dass jede/r Verteidiger/in fortan nur noch eine/n Beschuldigte/n vertreten durfte und die Verteidigung neu sortiert werden musste (s. hierzu auch die Ausführungen des Vorsitzenden Dr. Prinzing auf den S. 229 ff., insbesondere S. 235 des Protokolls der Hauptverhandlung, 3. Verhandlungstag). Zusätzlich zu den Vertrauensverteidiger/innen wurden den Angeklagten je zwei weitere Verteidiger (gegen ihren Willen) zur Sicherung des Verfahrens beigeordnet.

[3] § 137 StPO a.F. lautete: „Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen (Abs. 1). Hat der Beschuldigte einen gesetzlichen Vertreter, so kann auch dieser selbständig einen Verteidiger wählen (Abs. 2).“ Mit dem Ergänzungsgesetz zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) wurde mit Wirkung zum 1.1.1975 u.a. eine Beschränkung der Zahl der Wahlverteidiger/innen auf drei eingeführt (§ 137 Abs. 1 Satz 2 StPO).

[4] Auch Gudrun Ensslin war für ihre Beteiligung an der Frankfurter Kaufhausbrandstiftung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren verurteilt worden (Fn. 1).

[5] Ab dem Zeitpunkt der Erhebung der öffentlichen Klage durch Einreichen einer Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft (§ 170 Abs. 1 StPO) wird die Person als Angeschuldigte/r bezeichnet, ab der Eröffnung des Hauptverfahrens als Angeklagte/r (§ 157 StPO); die Bezeichnung als Beschuldigte/r bleibt als Oberbegriff aber weiter möglich.

[6] Die Annahme von Mittäterschaft (§ 47 StGB a.F.; heute: § 25 Abs. 2 StGB) ermöglicht das wechselseitige Zurechnen objektiver Tatbeiträge anderer Beteiligter, wenn die gemeinschaftliche Tatausführung auf einem gemeinsamen Tatplan beruht. Wie diese Form der Täterschaft von der bloßen Teilnahme an der Tat einer anderen Person abgegrenzt wird, ist umstritten. Während die Rechtsprechung bis in die 70er einen vorwiegend subjektiven Ansatz verfolgte, der maßgeblich auf den Täterwillen abstellte (sog. animus-Theorie; s. noch BGH, Urt. v. 17.3.1977 - Az.: 1 StR 39/77, GA 1977, S. 306) stellt die Literatur überwiegend darauf ab, ob die beteiligte Person objektiv einen wesentlichen Beitrag geleistet hat (funktionelle Tatherrschaft). Inzwischen zieht die Rechtsprechung neben subjektiven auch objektive Elemente heran (sog. normative Kombinationstheorie). Für einen Überblick s. Joecks/Scheinfeld, in Joecks/Miebach [Hrsg.], Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 1, 4. Aufl. 2020, § 25 Rn. 24; für eine ausführliche Darstellung der Entwicklung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung von 1962 bis 2015 sowie eine weitere Differenzierung innerhalb der Literatur s. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 9. Aufl. 2015, S. 559 ff.; 674 ff.).

[7] Hat eine Person mehrere Straftaten begangen, wird bei gleichzeitiger Aburteilung auf eine Gesamtstrafe erkannt (§ 74 StGB a.F.; heute: § 53 StGB). Bei der Bildung der Gesamtstrafe werden zunächst für alle Taten Einzelstrafen gebildet. Die Gesamtstrafe wird anschließend durch Erhöhung der höchsten verwirkten Strafe gebildet (§ 75 Abs. 1 StGB a.F.; heute: § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB), wobei die Summe der Einzelstrafen nicht erreicht werden darf (§ 75 Abs. 2 StGB a.F.; heute: § 54 Abs. 2 StGB).

[8] Diese sechs Fälle beziehen sich auf die sechs Sprengstoffanschläge im Rahmen der sog. Mai-Offensive zwischen dem 11. und 24. Mai 1972.

[9] § 211 StGB enthält den Straftatbestand des Mordes, d.h. die vorsätzliche Tötung einer Person bei gleichzeitigem Vorliegen eines sog. Mordmerkmals, etwa die heimtückische Tötung einer Person oder eine Tötung mit „gemeingefährlichen Mitteln“. Heimtückisch handelt nach ständiger Rechtsprechung, wer eine zum Zeitpunkt des Angriffs bestehende Arg. Und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tat ausnutzt (BGH, Urt. v. 4.7.1984 - Az.: 3 StR 199/84, BGHSt 32, S. 382, 388 m.w.N.). Gemeingefährlich sind Mittel, die geeignet sind, in der konkreten Tatsituation eine größere Zahl von Personen an Leib und Leben zu gefährden, weil die Ausdehnung der Gefahr für den/die Täter/in nicht beherrschbar ist (BGH, Urt. v. 13.2.1985 - Az.: 3 StR 525/84, NJW 1985, S. 1477, 1478). Dazu kann auch der Einsatz von Sprengkörpern gehören. Die einzig vorgesehene Strafe für Mord ist eine lebenslange Freiheitsstrafe.

[10] Eine Straftat versucht, wer „den Entschluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Verbrechens oder Vergehens enthalten, betätigt hat“ (§ 43 Abs. 1 StGB a.F.; heute mit abweichender Definition § 22 StGB). Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist (§ 23 Abs. 1 StGB; § 43 Abs. 2 StGB a.F.; heute: § 23 Abs. 1 StGB). Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind; Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bedroht sind (§ 1 Abs. 1 und 3 StGB a.F.; heute: § 12 Abs. 1 und 2 StGB). Die versuchte Tat kann milder bestraft werden als die vollendete (§ 44 Abs. 1 StGB a.F.; heute: § 23 Abs. 2 StGB).

[11] Nach § 73 Abs. 1 StGB a.F. (heute: § 52 Abs. 1 StGB) wird nur auf eine Strafe erkannt, wenn „dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals“ verletzt (Tateinheit). Was unter einer Handlung zu verstehen ist, ist im Einzelnen durchaus umstritten. Auch bei mehreren Einzelakten kann unter bestimmten Voraussetzungen eine einheitliche Handlung angenommen werden (s. zu den Fallgruppen v. Heintschel-Heinegg, in Joecks/Miebach [Hrsg.], Münchener Kommentar zum StGB, Band 2, 4. Aufl. 2020, § 52 Rn. 12 ff.). Richten sich einzelne Akte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter wie das Leben, kommt die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit in der Regel nicht in Betracht, da höchstpersönliche Rechtsgüter grundsätzlich nicht additiv betrachtet werden. Ausnahmen bestehen aber, wenn ein derart enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht, dass es gekünstelt erschiene, das Tatgeschehen in Einzelhandlungen aufzuspalten (BGH, Urt. v. 10.09.2019 - Az.: 3 StR 180/19, NStZ-RR 2020, S. 136, 137). Die tateinheitliche Begehung hat zur Folge, dass die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht; weist einer der verwirklichten Tatbestände eine Mindeststrafe auf, so darf die Strafe nicht milder sein (§ 73 Abs. 2 StGB a.F.; heute: § 52 Abs. 2 StGB).)

[12] Eine Entsprechung für § 311 Abs. 2 StGB a.F. (Gefährdung durch Explosion in einem besonders schweren Fall) gibt es heute nicht mehr. Der Grundtatbestand der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion (§ 311 Abs. 1 StGB a.F.) ist heute in § 308 Abs. 1 StGB geregelt. Das damalige Regelbeispiel des § 311 Abs. 3 StGB a.F. - die leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen durch die Tat - ist heute als (Erfolgs-)Qualifikation der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion in § 308 Abs. 3 StGB mit einer Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bedroht.

[13] Diese zwei Fälle beziehen sich auf zwei Banküberfälle, einen am 15. Januar 1971 in Kassel und einen weiteren am 22. Dezember 1971 in Kaiserslautern, in dessen Verlauf ein Polizeibeamter erschossen wurde (S. 123 ff., 173 ff. der Anklageschrift).

[14] Das Mitsichführen einer Waffe sowie das Mitwirken von mehreren Personen, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub verbunden haben, erfüllt den Qualifikationstatbestand des schweren Raubes, der mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren bedroht war (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB a.F.; heute würde die bandenmäßige Begehung mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren führen, § 250 Abs. 2 Nr. 2 StGB).

[15] Der Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB) wird als Erfolgsqualifikation des Raubes mit einer Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft. Die alte Fassung des § 251 StGB verlangte allerdings, dass der Tod durch die gegen das Opfer geübte Gewalt herbeigeführt wurde (insoweit enger als die heute geltende Fassung, die ausreichen lässt, dass der Tod „durch den Raub“ verursacht wird), qualifizierte daneben aber auch die „Marterung“ und die durch Gewalt verursachte schwere Körperverletzung.

[16] Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht umfasst solche Fälle, in denen zwar die Tat selbst, nicht aber die Täterschaft bekannt ist und der/die Täter/in handelt, um unerkannt zu entkommen. Gleiches gilt, wenn der/die Täter/in der Tat zwar bereits verdächtig ist, die genauen Tatumstände aber noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt sind. Nicht ausreichend ist, wenn der/die Täter/in bei bekannter Tat und Täterschaft lediglich handelt, um sich der Verhaftung zu entziehen (BGH, Urt. v. 17.5.2011 - Az.: 1 StR 50/11, BGHSt 56, S. 239, 244 f.).

[17] Das Verabreden zu einem Verbrechen wird gem. § 49a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StGB a.F. (heute: § 30 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StGB) gleich den Vorschriften über den Versuch des Verbrechens bestraft. Die Strafe ist jedoch nach § 44 Abs. 1 StGB a.F. (heute: § 49 Abs. 1 StGB) zu mildern. Verbrechen sind Straftaten mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr (§ 1 Abs. 1 StGB a.F.; heute: § 12 Abs. 1 StGB).

[18] Der Anklagepunkt B bezieht sich auf weitere Raub- und Diebstahlsdelikte. Die Anklage wurde später auf die Straftaten im Zusammenhang mit den Sprengstoffanschlägen, den Festnahmen der Angeklagten sowie der Bildung einer kriminellen Vereinigung beschränkt, sodass über diese Anklagevorwürfe kein Beweis mehr erhoben wurde; gleiches gilt für die Anklagepunkte A.2 lit. a und b (S. 13938 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 192. Verhandlungstag; s. auch den Antrag der Bundesanwaltschaft am 113. Verhandlungstag, S. 9859 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, sowie den Hinweis des Vorsitzenden Dr. Prinzing am selben Tag auf S. 9867 f. des Protokolls der Hauptverhandlung).

[19] Das Einbrechen in ein Gebäude ist als Regelbeispiel eines besonders schweren Falls des Diebstahls in § 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB enthalten; das Beisichführen einer Waffe führt nach § 244 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. (heute: § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB) zur Annahme einer Qualifikation mit einer angedrohten Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

[20] Am 1. Juni 1972 versuchten Andreas Baader und Holger Meins gemeinsam, sich der Festnahme in Frankfurt a.M. durch die Abgabe von mehreren Schüssen zu entziehen (S. 318 ff. der Anklageschrift).

[21] Am 17. Januar 1972 soll Andreas Baader in Köln versucht haben, sich durch den Schuss auf einen Polizeibeamten einer Festnahme zu entziehen, nachdem er von dem Polizeibeamten zum Vorzeigen von Fahrzeugpapieren aufgefordert worden war (S. 193 ff. der Anklageschrift).

[22] Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sieht bei Annahme eines besonders schweren Falls (der u.a. vorliegt, wenn der/die Täter/in eine Waffe bei sich führt; heute auch: wenn er/sie die Tat gemeinschaftlich mit einer anderen Person begeht) nach § 113 Abs. 1, 2 StGB einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vor.

[23] Gudrun Ensslin versuchte, sich am 7. Juni 1972 in Hamburg ihrer Festnahme zu entziehen; dabei versuchte sie, an eine in ihrer Handtasche befindliche Schusswaffe zu gelangen, konnte aber durch Polizeibeamte daran gehindert werden (S. 234 ff. der Anklageschrift).

[24] Jan-Carl Raspe versuchte, sich seiner Festnahme am 1. Juni 1972 in Frankfurt a.M. durch die Abgabe von mehreren Schüssen zu entziehen (S. 312 ff. der Anklageschrift).

[25] Das Gründen einer kriminellen Vereinigung ist strafbar nach § 129 Abs. 1 StGB. Das Beteiligen als Rädelsführer/innen ist als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles nach § 129 Abs. 4 StGB a.F. (heute: § 129 Abs. 5 StGB) mit einem Regelstrafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ausgestaltet. Die Art der Straftaten, auf die die Tätigkeit oder der Zweck der Vereinigung ausrichtete, war nach § 129 Abs. 1 StGB a.F. nicht eingeschränkt; heute sind nur noch Straftaten mit einer Mindesthöchststrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe umfasst. Für viele schwerere Straftaten ist inzwischen § 129a StGB - die Bildung terroristischer Vereinigungen - einschlägig. Der Tatbestand des § 129a StGB wurde allerdings erst mit Gesetz vom 18.8.1976 (BGBl. I, S. 2181) eingeführt. Er konnte für die hier angeklagten Taten auf Grund des Rückwirkungsverbots (Art. 103 Abs. 2 GG) keine Anwendung mehr finden.

[26] Die Beteiligung als Mitglied an einer kriminellen Vereinigung ist ebenfalls strafbar nach § 129 Abs. 1 StGB. Auch für die Beteiligung als Mitglied findet das Regelbeispiel der Rädelsführer/innenschaft nach § 129 Abs. 4 StGB a.F. (heute: Abs. 5) Anwendung.

[27] Die schwächste Form des Vorsatzes ist der sog. bedingte Vorsatz (dolus eventualis; auch: Eventualvorsatz), der nach überwiegender Auffassung voraussetzt, dass der/die Täter/in die Verwirklichung des Tatbestandes durch seine Handlung jedenfalls für möglich hält und sich damit abfindet (zu den im Einzelnen durchaus umstrittenen Voraussetzungen s. auch BGH, Urt. v. 22.4.1955 - Az.: 5 StR 35/55, NJW 1955, S. 1688, 1690; Puppe, in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen [Hrsg.], Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 15 Rn. 31 ff.; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil Band 1, 5. Aufl. 2020, § 12 Rn. 27; Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 2012, S. 976, 978).

[28] Dieser Vorgang war ab dem 65. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[29] Dieser Vorgang war ab dem 85. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[30] Dieser Vorgang war ab dem 87. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[31] Dieser Vorgang war am 96. und 97. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[32] Dieser Vorgang war ab dem 100. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[33] Dieser Vorgang war ab dem 74. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[34] Dieser Vorgang war ab dem 43. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[35] Dieser Vorgang war ab dem 55. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[36] Nach § 2 Abs. 2 StGB a.F. (heute: § 2 Abs. 1 StGB) ist für die Bestimmung der Strafe und ihrer Nebenfolgen das zum Zeitpunkt der Tat geltende Gesetz anzuwenden. Eine Ausnahme gilt nur, soweit das zum Zeitpunkt der Verurteilung geltende Recht milder ist; in diesem Fall ist das mildere Gesetz anzuwenden (§ 2 Abs. 2 StGB a.F.; heute: § 2 Abs. 3 StGB). Soweit in den Anmerkungen genannte Vorschriften aus dem materiellen Strafrecht auf eine alte Fassung (a.F.) verweisen, ist daher die Fassung des jeweiligen Tatzeitpunktes gemeint. Durch das Zweite Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969 (BGBl. I, S. 717) traten zum 1.1.1975 einige Änderungen in Kraft; so wurde etwa der Allgemeine Teil des StGB vollständig neu strukturiert, sodass viele der anzuwendenden Vorschriften im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits nicht mehr galten. § 2 StGB ist Ausdruck des in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Rückwirkungsverbots.

[37] Die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, war zum Tatzeitpunkt noch unter dem Begriff der „Zurechnungsfähigkeit“ in § 51 StGB a.F. geregelt. Im Falle einer nur eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit kam eine Strafmilderung nach § 44 StGB a.F. in Betracht. Seit dem 1.1.1975 (BGBl. I, S. 1) wird die beschriebene Fähigkeit als „Schuldfähigkeit“ bezeichnet; die Folgen ihres Fehlens bzw. ihrer Einschränkung finden sich in §§ 20, 21 StGB. Eingeschränkte Schuldfähigkeit hat nach § 21 StGB weiterhin eine fakultative Strafmilderung (§ 49 Abs. 1 StGB) zur Folge.

[38] Zentrale Aktenbestandteile sind inzwischen in einer editierten Version veröffentlicht in Gallus (Hrsg.), Meinhof, Mahler, Ensslin. Die Akten der Studienstiftung des deutschen Volkes, 2016.

[39] Im Frühjahr 1962 wurden der Gründer und Chefredakteur des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL, Rudolf Augstein, sein stellvertretender Chefredakteur, Conrad Ahlers, sowie weitere Redaktionsmitglieder wegen des Verdachts des Landesverrats verhaftet. Konkret lautete der Vorwurf auf Verrat von Militärgeheimnissen in dem Artikel „Bedingt abwehrbereit“. Die Verhaftungen, die als Angriff auf die Pressefreiheit gewertet wurden, lösten große Proteste aus. Auf politischer Ebene führte die Affäre zum Rücktritt des für die Verhaftungen verantwortlichen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß und zum Scheitern der Koalition von CDU/CSU und FDP (Merseburger, in Doerry/Janssen [Hrsg.], Die SPIEGEL-Affäre, 2013, S. 86, 97 ff., 109 ff.; Möller, Franz Josef Strauß, 2015, S. 243 ff.; Richter, Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft Vol. 17 (1998), S. 35, 37 ff.). Einen Großteil der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse sowie den Haftbefehl gegen Rudolf Augstein unterzeichnete Bundesrichter Buddenberg (Fn. 146).

[40] Bei der Ostermarschkampagne handelte es sich um eine seit 1960 gewachsene Protestbewegung, die von sozialistischen, aber auch christlichen und pazifistischen Gruppen getragen wurde. Sie richtete sich gegen Atomwaffen und später gegen Rüstung allgemein. Ihr offizieller Name lautete von da an „Kampagne für Abrüstung - Ostermarsch der Atomwaffengegner“. Im Laufe der Jahre wuchs die Bewegung bei den Ostermärschen auf bis zu 300.000 Protestierende an. Als eine der ersten breit aufgestellten Bewegungen schuf sie eine personelle und organisatorische Grundlage für die Entstehung der Außerparlamentarischen Opposition (Richter, Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft Vol. 17 (1998), S. 35, 37 ff.).

[41] Der Student Benno Ohnesorg starb am 2. Juni 1967 während der Demonstrationen gegen den Besuch des iranischen Schahs in Berlin. Am Abend des 2. Juni reagierten die Sicherheitskräfte mit großer Härte auf Auseinandersetzungen vor der Deutschen Oper. Ohnesorg wurde dabei auf einem Hinterhof von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen. Ohnesorgs Tod löste große Empörung und Bestürzung in weiten Teilen der Linken aus und gilt als Wendepunkt in der Studentenbewegung, die nun von West-Berlin in die ganze Bundesrepublik ausstrahlte (Kraushaar, Die blinden Flecken der 68er Bewegung, 2018, S. 72 ff.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 89 ff.; Siegfried, 1968, 2018, S. 157 ff.).

[42] Zentrale Aktenbestandteile sind inzwischen in einer editierten Version veröffentlicht in Gallus (Hrsg.), Meinhof, Mahler, Ensslin. Die Akten der Studienstiftung des deutschen Volkes, 2016.

[43] Der Ständige Kongress gegen die atomare Aufrüstung in der Bundesrepublik wurde 1958 in Gelsenkirchen von der Aktionsgemeinschaft gegen atomare Aufrüstung der Bundesrepublikgegründet. Die Aktionsgemeinschaft selbst war ebenfalls erst 1958 u.a. von Renate Riemeck, der Ziehmutter von Ulrike Meinhof, im Zusammenhang der Friedensbewegung und der Entstehung der zunächst SPD-nahen „Kampf dem Atomtod“-Kampagne für eine atomwaffenfreie Zone in Europa ins Leben gerufen worden. Von diesen wurden die Aktionsgemeinschaftebenso wie der Ständige Kongress jedoch als kommunistisch unterwandert abgelehnt. Im Fall von Ulrike Meinhof, die zu diesem Zeitpunkt noch Studentin und Präsidiumsmitglied im Ständigen Kongress war, führte ihr Engagement innerhalb der Anti-Atomwaffenbewegung zu einer ersten und nachhaltigen Politisierung (Appelius, Pazifismus in Westdeutschland 2. Aufl. 1999, S. 416 ff.; Seifert, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 350, 353).

[44] Das Gesetz über Straffreiheit 1970 (BGBl. I, S. 509) vom 20.5.1970 gewährte Straffreiheit für bestimmte Straftaten nach Vorschriften, die durch das Dritte Gesetz zur Reform des Strafrechts aufgehoben oder geändert worden waren, sowie für solche, die zwischen dem 1.1.1965 und dem 31.12.1969 durch Demonstrationen oder im Zusammenhang hiermit begangen worden sind (§ 1 Straffreiheitsgesetz). Das Dritte Gesetz zur Reform des Strafrechts - ebenfalls vom 20.5.1970 - (BGBl. I, S. 505) führte u.a. zu Entschärfungen des Demonstrationsstrafrechts.

[45] Vom 9. bis zum 14. Juli 1962 fand in Moskau der Weltkongress für allgemeine Abrüstung und Frieden statt. Organisiert wurde der Kongress vom Weltfriedensrat, einem 1950 gegründeten Gremium der sowjetisch beeinflussten Weltfriedensbewegung. Auf dem Kongress im Juli 1962 versammelten sich fast 2.500 Delegierte und Beobachter/innen. Mit der schließlich verabschiedeten „Botschaft an die Völker der Welt“ forderten sie zum Abschluss eines Teststoppabkommens und eines internationalen Abrüstungsvertrags auf (Schlaga, Die Kommunisten in der Friedensbewegung, 1991, S. 79 ff., 183 ff.).

[46] Am 17. und 18. Februar 1968 organisierte der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) an der Technischen Universität (TU) in West-Berlin die Internationale Vietnam-Konferenz. Dort diskutierten ungefähr 4000 Teilnehmer/innen, darunter viele ausländische Organisationen, Wissenschaftler/innen und Intellektuelle, über neue und militantere Aktionsformen zur Unterstützung der Befreiungsbewegungen. Am Ende der Konferenz wurde eine Schlusserklärung gefasst, in der Unterstützung für den Vietcong, der Kampf gegen den US-amerikanischen Imperialismus und die Ausweitung der Proteste hin zu „politischem Widerstand“ gefordert wurden. Im Anschluss protestierten ca. 12.000 Menschen in West-Berlin für Solidarität mit dem Vietcong (Schmidtke, Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft Vol. 17 (1998), S. 188, 204; Siegfried, 1968, 2018, S. 191 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 26 f.).

[47] In Anlehnung an amerikanische Vorbilder und zunächst mit dem unmittelbaren Ziel einer Hochschulreform entstand Mitte der 1960er Jahre in Berlin eine studentische Bewegung, die mit Protesten und Demonstrationen auf sich aufmerksam machte und sich rasch auch in anderen westdeutschen Städten formierte. Die Kritik der Studierenden richtete sich bald sowohl gegen den Vietnam-Krieg als auch gegen die mediale Monopolstellung des Axel-Springer-Verlags in West-Berlin, die unterbliebene Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und die geplante Notstandsgesetzgebung. Gleichzeitig griffen Studierende tradierte Wertvorstellungen der westdeutschen Gesellschaft an. Als eine der treibenden Kräfte innerhalb der entstehenden Außerparlamentarischen Opposition wurde die Studentenbewegung in den folgenden Jahren zu einer wesentlichen gesellschaftlichen Stimme. Nach einer Radikalisierungswelle in Teilen der Bewegung infolge der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 sowie des Attentats auf den Studentenführer Rudi Dutschke im April 1968 erreichten die Proteste ihren Höhepunkt. In der darauffolgenden Zeit zerfiel die Bewegung jedoch mehr und mehr in verschiedene Splittergruppen (Frei, 1968, 2008, S. 112 ff., 141ff.; Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, 2014, S. 849 ff.; Straßner, Historisch-Politische Mitteilungen 14, 2007, S. 99, 102 ff.).

[48] Der Springer-Verlag wurde in den 1960er Jahren u.a. wegen seiner Monopolstellung von unterschiedlichen Akteur/innen in der westberliner Gesellschaft und Politik kritisiert. Der SDS (Fn. 46) und bald auch die APO (Fn. 49) forderten seit 1967 in der „Anti-Springer-Kampagne“ die Enteignung des Verlegers. Der Konflikt zwischen dem SDS und dem Springer-Verlag eskalierte, als die Führungsperson des SDS, Rudi Dutschke, am 11. April 1968 von einem jungen Attentäter niedergeschossen wurde. Die Empörung über die Tat mobilisierte tausende Demonstrant/innen, die Kampagnen des Springer-Verlags gegen Dutschke mittelbar für das Attentat verantwortlich machten. Es kam zu schweren Straßenunruhen und Blockadeversuchen gegen die Auslieferung von Druckerzeugnissen des Verlags. Außerdem versuchten Demonstrant/innen in der Nacht auf den 12. April 1968, das Springer-Gebäude in der Kreuzberger Kochstraße zu stürmen. Dabei wurden Hallen und Fahrzeuge auf dem Gelände des Hochhauses in Brand gesetzt (Kraushaar, in Ders. [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 2, 2006, S. 1075, 1088 ff.; Siegfried, 1968, 2018, S. 163 f.).

[49] Die Außerparlamentarische Opposition (APO) entstand 1966 als Antwort auf die Große Koalition und die damit einhergehende Schwächung der Opposition im Bundestag. Getragen wurde die APO von der Studentenbewegung, insbesondere dem Sozialistischen Studentenbund (SDS), von einer breiten bürgerlichen Bewegung gegen die geplanten Notstandsgesetze, von der Ostermarschbewegung bzw. der Kampagne für Abrüstung und von einzelnen Gewerkschaften. Einen gemeinsamen Nenner fanden sie vor allem in ihrer Ablehnung der geplanten Notstandsgesetzgebung und später in der Anti-Springer-Kampagne. Die APO vermochte eine Vielzahl von Unterstützer/innen zu mobilisieren und mit Protestmärschen, Kundgebungen, politischen Diskussionsrunden, Flugblättern und vermehrt auch politischen Aktionen auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Mit der Verabschiedung der Notstandgesetzgebung im Mai 1968 und einer fortschreitenden Distanzierung verschiedener Strömungen innerhalb der Bewegung, zerfiel auch die APO schließlich im Laufe des Jahres 1968 (Kraushaar, Die blinden Flecken der 68er Bewegung, 2018, S. 129 ff.; Siegfried, 1968, 2018, S. 163 f.; Straßner, Historisch-Politische Mitteilungen 14, 2007, S. 99, 104 ff.).

[50] Nach § 154 Abs. 1 StPO kann die Staatsanwaltschaft von der Erhebung der öffentlichen Klage von der Strafverfolgung absehen, wenn die zu erwartende Strafe neben einer anderen Strafe, die bereits rechtskräftig gegen den/die Beschuldigten wegen einer anderen Tat verhängt wurde, oder zu erwarten ist, nicht ins Gewicht fällt. Nach Erhebung der öffentlichen Klage kann das Gericht das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft (vorläufig) einstellen (Abs. 2).

[51] Im Wege der einstweiligen Verfügung (§§ 935 ff. ZPO) kann die Sicherung eines gefährdeten Anspruchs auf dem Privatrechtsweg durchgesetzt werden. Sie setzt einen Verfügungsanspruch (das Bestehen einer entsprechenden Rechtsposition) und einen Verfügungsgrund (eine drohende Vereitelung oder Erschwerung des Anspruchs bei Veränderung des bestehenden Zustands) voraus.

[52] Die Strafprozessordnung kennt verschiedene Verdachtsstufen. Für die Eröffnung eines Hauptverfahrens ist ein sog. hinreichender Tatverdacht (§ 203 StPO) erforderlich. Hierfür genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung, beurteilt zum Zeitpunkt des Abschlusses der Ermittlungen. Fehlt es an einem hinreichenden Tatverdacht, ist das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen.

[53] Die „Jungen Pioniere“, eigentlich Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, war eine politische Organisation für Kinder in der DDR, der nahezu alle Schüler/innen zwischen sechs und 14 Jahren angehörten. Sie unterstand der FDJ (Fn. 54), von der sie 1948 auf Beschluss des Politbüros der SED gegründet worden war (Kaiser, Die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, 2013, S. 17).

[54] Die „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ) war eine politische Organisation für Jugendliche in der DDR, die bereits 1946 gegründet wurde und deren erster Vorsitzender Erich Honecker war. Ab Mitte der 1950er Jahre entwickelte sich die FDJ zu einer sozialistischen Massenorganisation und stellte ein zentrales Element der Kinder- und Jugendpolitik des SED-Regimes dar (Lehmann, Jugendpolitik in der DDR, 2019, S. 25).

[55] Am 13. August 1961 begann die Grenzpolizei auf Geheiß der SED-Führung mit dem Mauerbau in Berlin, wodurch die bisherigen Sektorengrenzen abgeriegelt wurden. Die Berliner Bevölkerung war von den am Sonntagmorgen beginnenden Arbeiten überrascht worden (Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, 2014, S. 725 ff.; Wolfrum, Die Mauer, 2. Aufl. 2011, S. 11 ff.).

[56] Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) entstand 1945 als studentische Organisation der SPD. Nachdem sich der SDS Ende der 1950er Jahre zunehmend radikal gesellschafts- und kapitalismuskritisch ausgerichtet hatte, erfolgte 1961 die Abspaltung von der SPD. Der SDS widmete sich in den 60er Jahren neben universitätsinternen Konflikten auch Themen wie der Wiederbewaffnung, der atomaren Aufrüstung, der geplanten Notstandsgesetzgebung oder dem Vietnam-Krieg. Dabei nahm er großen Einfluss auf die Entstehung und Gestaltung der Studentenbewegung und Außerparlamentarischen Opposition. Die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 (Fn. 41) führte innerhalb des SDS und der Studentenbewegung zu einer Radikalisierung vieler Mitglieder. Zu den bekanntesten Vertretern des SDS zählte der Student Rudi Dutschke, der im Frühjahr 1968 Opfer eines Anschlags wurde (Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, 2014, 849 ff; Schmidtke, Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft, Vol. 17 (1998), S. 188, 189 f., 195 ff.; für eine ausführlichere Darstellung s. Albrecht, Der Sozialistische Deutsche Studentenbund [SDS], 1994).

[57] Die Kommune 2 (K2) wurde im August 1967 in Berlin-Charlottenburg u.a. von Uwe Bergmann, Klaus Gilgenmann, Rainer Langhans, Eike Hemmer und Jan-Carl Raspe gegründet. Wie andere Kommunen sollte die Wohn- und Lebensform der K2 den Einzelnen aus seiner bürgerlichen Individualität auch auf privater Ebene in die sozialistische Gemeinschaft einführen. Die K2 war jedoch stärker als die Kommune 1 von antiautoritären Vertreter/innen des SDS geprägt und sollte als „Arbeitskollektiv“ die Organisation des SDS erleichtern. In diesem Sinne war die Kommune auch unter den Namen Polit-oder SDS-Kommune bekannt (Holmig, in Klimke/Scharloth [Hrsg.], 1968, 2007, S. 107, 109 f.).

[58] Stokely Carmichael wurde als Anführer des Student Nonviolent Coordinating Committee innerhalb der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung bekannt. Zugleich haderte er mit der Bürgerrechtsbewegung, weil er entgegen des integrativen Ansatzes Martin Luther Kings stets für eine starke Widerstandsbewegung  der Citizens/ People of color eintrat. Im Juni 1966 prägte Carmichael im Rahmen des „March against Fear“ den Begriff und das Konzept der „Black Power“. In den Jahren 1967 und 1968 konzentrierte er sich auf die Black Panther Party, die er 1965 in Lowndes County (Alabama) unter dem Namen Lowndes County Freedom Organization für die dortige Wähler/innenschaft der Citizens/ People of Color gegründet hatte. Trotz des nahezu gleichen Namens ist sie jedoch nicht mit der 1966 in Kalifornien entstandenen Black Panther Party for Self-Defense zu verwechseln. Ab 1969 entfremdete sich Carmichael zunehmend von seiner Partei, zog zur Unterstützung der damaligen ghanaischen Regierung nach Ghana und schloss sich Ende der 1970er Jahre der panafrikanischen All African People’s Revolutionary Party (AAPRP) an (Eskridge, in Levy[Hrsg.], The Civil Rights Movement in America, 2015, S. 59 ff.).

[59] Herbert Marcuse war ein Professor für Philosophie und Politologie und ehemaliger Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in Frankfurt a.M. Seine Thesen zur Herrschaft struktureller, repressiver Gewalt in westlichen Staaten machten ihn zu einem bedeutenden Intellektuellen der 68er. Besonders seine Ansicht, gegen diese Herrschaft sei Gewalt als Mittel des Widerstands in Form eines revolutionären Aktes gerechtfertigt, traf einen Nerv in Teilen der Studentenbewegung. Obwohl sich auch die RAF zur Rechtfertigung ihrer Taten u.a. auf Marcuse berief, distanzierte sich dieser von der Gleichsetzung seiner Vorstellung von revolutionärer Gewalt mit linkem Terrorismus (Gursch, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 115 ff., 122 ff.).

[60] S. Fn. 47.

[61] Die Tupamaros (vollständiger Name: Moviemiento de Liberación Nacional - Tupamaros) waren linke Guerillakämpfer/innen, die sich während der 1960er Jahre in Uruguay formierten. Sie kämpften für ein revolutionär umgestaltetes, sozialistisches Uruguay. Dafür trugen sie als Erste den Partisanenkampf in die Städte. Ihre Strategie, aus dem Untergrund in hierarchisch organisierten Zellen in Aktion zu treten, wurde schnell zum Vorbild für andere gewaltbereite Gruppen in Südamerika und darüber hinaus. In der BRD benannten sich die Tupamaros West-Berlin und die Tupamaros München nach den südamerikanischen Partisan/innen. Auch die RAF bezog sich auf das Stadtguerilla-Konzept. Die Tupamaros in Uruguay wurden nach anfänglichen Erfolgen 1972 zerschlagen (Fischer, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 2, 2006, S. 736, 739 ff.; Huthöfer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 345 f., 348 ff.; Sturm, in Weinhauer/Requate/Haupt[Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 99 ff., 106 ff.).

[62] Fritz Teufel war ein Mitglied der Bewegung 2. Juni, die ihren Namen in Erinnerung an den Todestag des erschossenen Studenten Benno Ohnesorgs trug und in den 1970er Jahren neben der bekannteren RAF das Bild des linken Terrorismus in der Bundesrepublik prägte. Im Gegensatz zur RAF vertrat die Bewegung 2. Juni ein wesentlich undogmatischeres Konzept. Teufel selbst wurde als Mitglied der Kommune 1 mit politischen Spaß- und Satireaktionen bekannt. Dieses Bild einer „Spaßguerilla“ prägte in der Anfangszeit auch die Wahrnehmung der Bewegung 2. Juni (Korndörfer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 237, 242 ff., 252 ff.; Wunschik, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 531, 537 f., 541 ff., 549 ff.).

[63] Die gewaltsame Befreiung Baaders aus der Haft wird auch als „Geburtsstunde der RAF“ bezeichnet (Peters, Tödlicher Irrtum, 2004, S. 178 ff.; Wieland, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, 2006, S. 332, 343).

[64] Ab September 1974 fand vor dem LG Berlin das Verfahren gegen Ulrike Meinhof, Horst Mahler und Hans-Jürgen Bäcker wegen der am 14. Mai 1970 durchgeführten gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader aus der Haft statt. Ulrike Meinhof wurde am 29. November 1974 zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von acht Jahren verurteilt, Horst Mahler unter Einbeziehung einer bereits zuvor ausgeurteilten Haftstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von 14 Jahren. Bäcker wurde in diesem Verfahren freigesprochen (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 94 ff., 252; Jander, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 372, 382 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 21 ff.).

[65] Ein Gerichtsurteil erwächst in (formelle) Rechtskraft, wenn kein Rechtsmittel mehr dagegen erhoben werden kann, es also im selben Verfahren unanfechtbar geworden ist. Dies ist der Fall, wenn die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels abgelaufen ist, oder wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind und eine letztinstanzliche Entscheidung ergangen ist. Mit der Rechtskraft entfaltet die Entscheidung auch ihre dauerhafte Wirkung, die nur in Ausnahmefällen wieder durchbrochen werden kann, etwa durch die begrenzten Wiederaufnahmemöglichkeiten in §§ 359 ff. StPO (Nestler, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 1. Aufl. 2019, § 449 Rn. 27).

[66] Rechtsanwalt Horst Mahler gehörte der ersten RAF-Generation an. Seine zentrale Rolle bei der Entstehung der RAF ist jedoch gegenüber den hier Angeklagten Baader, Ensslin und Meinhof in den Hintergrund gerückt. Er war maßgeblich an der Vorbereitung der als „Geburtsstunde der RAF“ bezeichneten Befreiung Baaders aus der Haft im Mai 1970 beteiligt. Im September 1970 überfiel er u.a. zusammen mit Andreas Baader und Irene Goergens eine Bank in West-Berlin; bereits eine Woche später wurde er verhaftet. Im Jahr 1972 begann der Prozess gegen ihn vor dem Kammergericht Berlin wegen gemeinschaftlich begangenen Raubes in Tateinheit mit der Gründung einer kriminellen Vereinigung. Im Februar 1973 wurde er zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwölf Jahren verurteilt. Unter Einbeziehung dieser Strafe wurde er im November 1974 aufgrund seiner Beteiligung an der Baader-Befreiung zu einer (Gesamt-)Freiheitsstrafe in Höhe von 14 Jahren verurteilt (in einem ersten Verfahren, das gegen ihn, Schubert und Goergens geführt wurde, war er noch freigesprochen worden; der Freispruch wurde jedoch vom BGH aufgehoben). Zwischen Mahler und dem Führungsduo Baader/Ensslin ergaben sich immer wieder Differenzen. Spätestens mit der Ablehnung seiner Freilassung im Austausch gegen den im Februar 1975 entführten Politiker Peter Lorenz sagte er sich endgültig von der RAF los. Nach seiner Haftentlassung im Jahr 1980 durchlief Mahler eine radikale politische Kehrtwende. Ende der 90er Jahre bekannte er sich erstmals öffentlich zum Rechtsradikalismus, im Jahr 2000 trat er in die NPD ein. Wegen antisemitischer Hetze wurde er mehrfach wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt (Jander, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 372 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 40 ff., 53, 67 f.).

[67] Die Ärztin Ingrid Schubert wurde zusammen mit Irene Goergens, Horst Mahler, Brigitte Asdonk und Monika Berberich im Oktober 1970 in einer Berliner Wohnung verhaftet. Das Verfahren gegen Schubert, Goergens und Mahler wegen ihrer Beteiligung an der Baader-Befreiung vor dem Landgericht Berlin war einer der ersten Prozesse gegen Mitglieder der RAF. Schubert wurde im Mai 1972 zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von sechs Jahren, später mit Urteil vom 28.6.1974 unter Einbeziehung dieser Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von 13 Jahren verurteilt. Sie nahm sich am 12. November 1977 in ihrer Gefängniszelle das Leben (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 157; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 71 ff., 328; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 38, 93; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 169, 760 Anm. 47).

[68] Die Schülerin Irene Goergens wurde wegen ihrer Beteiligung an der Baader-Befreiung durch das Landgericht Berlin zu einer Jugendstrafe in Höhe von vier Jahren verurteilt. Unter Einbeziehung dieser Strafe verurteilt das LG Berlin Goergens später wegen Teilnahme am „Dreierschlag“ (der gleichzeitige Überfall auf drei Banken am 29. September 1970 in West-Berlin) zu sieben Jahren Jugendstrafe (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 71 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, S. 21 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 169, 760 Anm. 47).

[69] Der Maschinenschlosser Hans-Jürgen Bäcker gehörte zur ersten Generation der RAF. Er war u.a. Teil der Gruppe, die Sommer 1970 für eine paramilitärische Ausbildung nach Jordanien reiste. Als er anschließend in die DDR einreiste, wurde er über zwei Tage vernommen; zum ausführlichen Vernehmungsprotokoll s. Stasi-Unterlagen-Archiv 2021, Protokoll vom 6.8.1970, Aktenzeichen BStU 000023, abrufbar unter https://www.stasi-mediathek.de/medien/protokoll-ueber-die-vernehmung-hans-juergen-baeckers-nach-seiner-einreise-in-die-ddr/blatt/23/, zuletzt abgerufen am: 25.10.2021). Im sog. Asdonk-Verfahren wurde er mit Urteil vom 28.6.1974 vom Landgericht Berlin zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von neun Jahren verurteilt. In einem weiteren Verfahren, in dem ihm zusammen mit Horst Mahler und Ulrike Meinhof die Beteiligung an der Befreiung Baaders aus der Haft vorgeworfen wurde, wurde er freigesprochen (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 83 ff., 92, 252).

[70] Die Erklärung zur Befreiung Andreas Baaders vom 5. Juni 1970 ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 24 ff.

[71] Die Soziologiestudentin Brigitte Asdonk gehörte zur ersten Generation der RAF. Zusammen mit Horst Mahler, Ingrid Schubert, Monika Berberich und Irene Goergens wurde sie bereits im Oktober 1970 in einer konspirativen Wohnung in der Berliner Knesebeckstraße verhaftet. Vorgeworfen wurde ihr die Bildung einer kriminellen Vereinigung, die Beteiligung an Banküberfällen und unbefugter Waffenbesitz. Die Hauptverhandlung gegen sie und fünf weitere RAF-Mitglieder (Monika Berberich, Irene Goergens, Ingrid Schubert, Hans-Jürgen Bäcker und Eric Gusdat) begann am 24. November 1972 vor dem LG Berlin und galt zu diesem Zeitpunkt mit über 300 vorgesehenen Zeug/innen und fast 80 geplanten Verhandlungstagen als einer der „umfangreichsten und wahrscheinlich auch längsten Prozesse der deutschen Justizgeschichte“ (zitiert nach Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 83). Mit Urteil vom 28.6.1974 wurde Asdonk zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zu zehn Jahren verurteilt (Diewald-Kerkmann, a.a.O., S. 86).

[72] Manfred Grashof war Mitglied der RAF und schon Teil der Gruppe, die nach Jordanien gereist war, um sich für den „bewaffneten Kampf“ ausbilden zu lassen. Er war außerdem an dem Banküberfall in Kaiserslautern am 22.12.1971 beteiligt, in dessen Verlauf der Beamte Herbert Schoner erschossen wurde. Bei seiner Festnahme am 2. März 1972 wurde er im Rahmen eines Schusswechsels, bei dem er einen Polizeibeamten erschoss, selbst schwer verletzt. Gegen ihn sowie gegen die Angeklagten Jünschke und Grundmann fand zu dieser Zeit die Hauptverhandlung vor dem LG Kaiserslautern statt. Mit Urteil vom 2.6.1977 wurde er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, im Jahr 1988 jedoch bereits begnadigt (Peters, Tödlicher Irrtum, 3. Aufl. 2007, S. 199 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 30 ff., S. 283 f.; s. zum Prozess vor dem LG Kaiserslautern auch DER SPIEGEL, Ausgabe 24/1977 vom 6.6.1977, S. 104).

[73] Heinrich Jansen war ein frühes Mitglied der RAF. Nach der militärischen Ausbildung im Nahen Osten war er mit Meinhof und Ruhland u.a. verantwortlich für die Beschaffung von Waffen, Geld und Pässen. Darüber hinaus nahm er an den Berliner Banküberfällen vom 29. September 1970 teil. Im Dezember desselben Jahres wurde Jansen nach einem gescheiterten Autodiebstahl verhaftet. Da er sich seiner Festnahme durch Schüsse auf zwei Polizeibeamte entziehen wollte, wurde er 1973 vom LG Berlin wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zehn Jahren verurteilt (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 254 ff., 274 f.; Straßner, in Ders. [Hrsg.] Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 209, 218).

[74] Die Fotografin Astrid Proll hatte bereits im Oktober 1967 im Zuge der Vietnam-Demonstration versucht, mit Baader einen Sprengstoff-Anschlag auf das Berliner Amerikahaus durchzuführen, der jedoch scheiterte. Zusammen mit Baader und Ensslin ging sie 1969 in den Untergrund. Anfang Mai 1971 wurde sie in Hamburg verhaftet. Während ihrer Einzelhaft in der JVA Köln-Ossendorf verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand, sodass das Verfahren gegen sie vor dem LG Frankfurt im Herbst 1973 unterbrochen und sie im Februar 1974 schließlich wegen Haftunfähigkeit entlassen werden musste. Anschließend tauchte sie unter. Im September 1978 wurde sie schließlich in London verhaftet und im Sommer 1979 in die Bundesrepublik ausgeliefert, wo sie zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von fünfeinhalb Jahren verurteilt wurde. Da Proll bereits längere Zeit in Untersuchungshaft gesessen hatte, wurde ihr diese Zeit angerechnet und sie wurde auf Bewährung entlassen (Edschmid, Frau mit Waffe, 3. Aufl. 2014, S. 171 f.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 41; Kraushaar, Die blinden Flecken der RAF, 2017, S. 47, 150; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 125 f.).

[75] Die 20-jährige Petra Schelm starb am 15. Juli 1971 in Hamburg. Sie entkam in ihrem Auto zunächst einer Polizeisperre und flüchtete schließlich, nachdem sie durch ein weiteres Polizeifahrzeug gestoppt werden konnte, mit ihrem Begleiter Werner Hoppe zu Fuß vor der Polizei. Bei einem Schusswechsel mit zwei Polizeibeamten wurde sie durch einen Kopfschuss getötet. Sie war das erste Todesopfer aus den Reihen der RAF. Ihr Tod löste nach Angaben von Mitgliedern eine Radikalisierung der Gruppe aus (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 312 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 64).

[76] Über Bernhard Wolff liegen im Zusammenhang mit der RAF keine gesicherten Erkenntnisse vor.

[77] Der Hamburger Kunststudent Peter Homann war Teil der Gruppe, die nach der Befreiung Baaders aus der Haft für eine paramilitärische Ausbildung nach Jordanien ausreiste. Da sich insbesondere die Reibungspunkte mit Andreas Baader häuften, flog Homann frühzeitig zurück nach Deutschland und stellte sich nach einigen Monaten im Jahr 1971 den Behörden. Im April 1973 wurde er vom Landgericht Berlin wegen Beihilfe zur Gefangenenbefreiung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von drei Monaten verurteilt, die allerdings zur Bewährung ausgesetzt wurde (Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 72, 143, 201 ff., 205, 759 Anm. 41).

[78] Über Wolfgang Thoms liegen im Zusammenhang mit der RAF keine gesicherten Erkenntnisse vor. In Peters, RAF: Terrorismus in Deutschland, 1991, S. 84, wird er zu denjenigen Personen gezählt, die im Sommer 1970 nach Jordanien reisten. Er taucht ferner in einem Vernehmungsprotokoll von Hans-Jürgen Bäcker vom 6.8.1970 auf, der nach einer Einreise in die DDR über zwei Tage vernommen wurde (Stasi-Unterlagen-Archiv 2021, Protokoll vom 6.8.1970, Aktenzeichen BStU 000023, S. 5; das Protokoll ist abrufbar unter https://www.stasi-mediathek.de/medien/protokoll-ueber-die-vernehmung-hans-juergen-baeckers-nach-seiner-einreise-in-die-ddr/blatt/23/, zuletzt abgerufen am: 25.10.2021).

[79] Bei der Stadtguerilla handelte es sich um eine Form des Partisanenkampfes. Die ersten Guerillakämpfer/innen, die ihren Kampfplatz vom Land in die Städte verlagerten, waren die Tupamaros in Uruguay. Während der 1960er Jahre wurden sie mit dieser neuen Strategie zum Vorbild für andere gewaltbereite Gruppen in und außerhalb Südamerikas. Auch die RAF orientierte sich an ihnen und veröffentlichte 1971 mit dem „Konzept Stadtguerilla“ ihre erste Programmschrift (Fischer, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 2, 2006, S.736, 739 ff.; Huthöfer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 345 f., 348 ff.; Sturm, in Weinhauer/Requate/Haupt[Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 99 ff., 106 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 47 ff.).

[80] Mao Tse-tung (1893-1976) war offiziell von 1945 bis 1976 Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Von 1927 bis 1937 sowie von 1945 bis 1949 führte er im chinesischen Bürgerkrieg gegen die nationalistische Kuomintang-Partei einen Partisanenkrieg, den er auch theoretisch ausarbeitete (Haffner, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 157, 160 ff.). Als Staatsoberhaupt der 1949 gegründeten Volksrepublik China verfolgte er die kommunistische Umgestaltung der chinesischen Gesellschaft. Eine landesweit umgesetzte Bodenreform und der ungeordnete Versuch, die agrarisch geprägte Wirtschaft innerhalb kürzester Zeit zu industrialisieren, führten zu einer Hungerkatastrophe und dem Tod von - groben Schätzungen zufolge - 20 bis 40 Millionen Menschen. Als Mao den Rückhalt in der KPCh zu verlieren drohte, rief er 1966 mit Hilfe einer fanatisch entfesselten Jugend die sog. Kulturrevolution aus, die die Ausschaltung „reaktionärer“ Kräfte innerhalb der Partei und dem Staat zum Ziel hatte und in deren Folge erneut Millionen Menschen ihr Leben verloren. Von verschiedenen Guerillabewegungen weltweit wurde Mao dagegen als Theoretiker und Stratege bewundert (Dabringhaus, Mao Zedong, 2008, S. 31 ff., 53 ff., 61 ff., 83 ff., 89 ff.; Nerb, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 87 f., 93 f.).

[81] Karl Marx (1818-1883) war ein deutscher Philosoph und Ökonom. Er gehört bis heute zu den einflussreichsten Theoretiker/innen der politökonomischen Ideengeschichte. Unter seiner Leitung wurde 1847 der »Bund der Kommunisten« in Brüssel gegründet. In enger Zusammenarbeit mit Friedrich Engels verfasste er zahlreiche Schriften. Sein Hauptwerk „Das Kapital“ umfasst drei Bände, von denen er allerdings nur den ersten 1867 selbst herausbringen konnte; Band zwei und drei veröffentlichte Engels posthum 1884 und 1885 auf Grundlage seiner Aufzeichnungen. Marx und Engels gelten als Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus (Wächter, in Ders. [Hrsg.], Ökonomen auf einen Blick, 2017, S. 170 ff.).

[82] Lin Piao (1907-1971) war ein chinesischer Politiker und Marschall der Roten Armee, die er 1927 mitgegründet und auf dem „Langen Marsch“ 1934/1935 kommandiert hatte (DER SPIEGEL, Ausgabe 11/1974 vom 10.3.1974). Er galt lange Zeit als enger Vertrauter Mao Tse-tungs und war seit 1969 auch dessen Stellvertreter als Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chinas und designierter Nachfolger Er verstarb 1971 bei einem Flugzeugabsturz. Zuvor soll er nach offizieller Darstellung einen Staatsstreich geplant haben, der jedoch aufgedeckt worden sei und ihn zur Flucht in die Sowjetunion veranlasst habe (Bridgham, The China Quarterly 55 (1973), S. 427 ff.).

[83] Ursprünglich aus Argentinien stammend schloss sich Ernesto „Che“ Guevara 1954 in Mexiko einer Gruppe kubanischer Revolutionäre um Fidel Castro an. Zuvor hatte er sich bereits auf Reisen in verschiedenen südamerikanischen Staaten politisiert. Im Zuge der kubanischen Revolution entwickelte Guevara ein theoretisches Konzept zur Ausbreitung der sozialistischen Revolution, das als Fokustheorie bekannt wurde. Nach dem Sturz des Batista-Regimes in Kuba und der von ihm mitorganisierten Erschießung hunderter politischer Gegner/innen wurde Guevara 1961 Industrieminister. 1965 trat er jedoch aus der Regierung aus und starb zwei Jahre später bei dem Versuch, in Bolivien eine ganz Lateinamerika erfassende Guerilla-Bewegung aufzubauen. Sein früher Tod beförderte den weltweiten Kult um seine Person und seine Revolutionstheorie (Annino, in Tobler/Bernecker [Hrsg.], Lateinamerika im 20. Jahrhundert, Band 3, 1996, S. 483, 526 ff.; Werz, in Wende [Hrsg.], Große Revolutionen der Geschichte, 2000, S. 276, 281 ff.).

[84] Võ Nguyên Giáp (1911-2013) war ein (nord-)vietnamesischer General und Politiker, der sowohl im vietnamesischen Unabhängigkeitskampf gegen die französische Kolonialmacht kämpfte, als auch im Vietnam-Krieg gegen das von den USA unterstützte Südvietnam die nordvietnamesischen Truppen anführte. Nach dem Sieg über die französische Kolonialmacht war er Verteidigungsminister Nord-Vietnams und später stellvertretender Premierminister Vietnams (BBC News vom 13.10.2013, Vietnam’s General Vo Nguyen Giap dies, abrufbar unter https://www.bbc.com/news/world-asia-24402278, zuletzt abgerufen am: 24.8.2021).

[85] Gemeint ist hier das „Das Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes Berlin“ (UZwGBln) vom 11.6.1970, das den Einsatz „besonderer Waffen“, darunter Handgranaten und Maschinengewehre, bei einer drohenden Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung zuließ (DER SPIEGEL, Ausgabe 26/1970 v. 21.6.1970, abrufbar unter https://www.spiegel.de/politik/schrecklich-verfilzt-a-7aa48297-0002-0001-0000-000045197139?context=issue, zuletzt abgerufen am: 25.10.2021).

[86] Die sog. Notstandsgesetze umfassen eine Reihe von Verfassungsänderungen und -ergänzungen, die Fragen des inneren und äußeren Staatsnotstandes betreffen. Sie wurden durch das Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24.6.1968 eingeführt (BGBl. I, S. 709). Diese sog. Notstandsgesetzgebung regelte insbesondere den Verteidigungsfall (Art. 115a ff. GG), traf Regelungen zum Einsatz der Streitkräfte im Inneren und sah Einschränkungsmöglichkeiten für gewisse Grundrechte vor. Begleitet wurde die Notstandsgesetzgebung durch einen breiten gesellschaftlichen Diskurs und massiven Protest (zur Entstehungsgeschichte der sog. Notstandsgesetze s. Epping, in Maunz/Dürig [Begr.], Grundgesetz Kommentar, 92. Ergänzungslieferung, Stand: August 2020, Art. 115a Rn. 1 ff.).

[87] Der brasilianische Revolutionär Carlos Marighella (1911-1969) kämpfte ab 1967 mit der von ihm gegründeten Ação Libertadora Nacional (ALN) gegen die brasilianische Militärdiktatur. Die ALN verstand sich als Stadtguerilla. Ihr theoretisches Fundament wurde von Marighella selbst aufgestellt. Es fand seinen Niederschlag vor allem in dem 1970 veröffentlichten „Minihandbuch des Stadtguerilleros“. Diese Schrift wurde international unter anderem von der RAF rezipiert. In der Bundesrepublik fanden daneben auch die Tupamaros München und West-Berlin Anleihen für ihre Organisation und Aktionen bei Marighella (Rübenach, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 411 f., 424 ff., 433 f.).

[88] Die erste Programmschrift der RAF ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 27 ff.

[89] Louis-Auguste Blanqui (1805-1881) war ein französischer Berufsrevolutionär und ab den 1860er Jahren auch Identifikationsfigur für einige intellektuelle Anhänger/innen, den sog. Blanquisten. Blanqui hatte bereits in den Revolutionen von 1830 und 1848 für einen kommunistischen Umsturz und das Ende der Unterdrückung der Arbeiterschaft gekämpft. Von anderen kommunistischen Theoretiker/innen unterschied er sich jedoch insofern, als dass er annahm, dass die Revolution nicht von einer proletarischen Massenbewegung im Sinne eines Klassenkampfes gegen die Bourgeoisie zu führen sei, sondern von einer relativ kleinen, bewaffneten Verschwörungsgruppe. Dieser sog. „Blanquismus“ stieß bei marxistischen Denkern jedoch auf Ablehnung (Deinet, in Pelzer [Hrsg.], Revolution und Klio, 2004, S. 162 ff.; Deppe, Politisches Denken im Kalten Krieg, Teil 2, 2008, S. 291 ff.).

[90] Beate Sturm studierte Physik an der Freien Universität Berlin. Im Herbst 1969 lernte sie Holger Meins kennen. Über seine Vermittlung schloss sie sich im November 1970 der RAF an. Sturm war bis Januar 1971 an Autodiebstählen und Planungen für weitere Aktionen beteiligt. Dann schied sie freiwillig aus der Gruppe aus (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 261 ff., 270 ff., 278 f.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 45, 256).

[91] Ulrich Scholze (verschiedentlich auch als Scholz oder Scholtze geführt) kam zur gleichen Zeit wie Beate Sturm zur RAF. Im Untergrund wirkte der Physikstudent mit daran, der Gruppe Wohnungen, Autos und Geld für weitere Aktionen zu sichern. Nach einem gescheiterten Autodiebstahl wurde Scholze festgenommen, am nächsten Tag aber wieder entlassen. Danach verließ Scholze die RAF (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 261 ff., 273 ff.; Peters, RAF: Terrorismus in Deutschland, 1991, S. 100).

[92] Im Jahr 1972 begann der Prozess gegen Horst Mahler vor dem Kammergericht Berlin wegen gemeinschaftlich begangenen Raubes in Tateinheit mit der Gründung einer kriminellen Vereinigung. Im Februar 1973 wurde er zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwölf Jahren verurteilt (s. bereits Fn. 64).

[93] S. Fn. 71.

[94] Der niederländische Student Ronald Augustin war Teil der Bewegung 2. Juni und Mitglied der ersten RAF-Generation. Er wurde im Juli 1973 festgenommen und im Mai 1974 in die JVA Hannover verlegt, wo er in strenger Einzelhaft saß. Die Hauptverhandlung in Bückeburg wurde, ähnlich wie die in Stuttgart-Stammheim, in einer eigens dafür eingerichteten Mehrzweckhalle durchgeführt. Der Prozess wurde nicht nur deshalb von manchen als Generalprobe für das Verfahren in Stuttgart angesehen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 108 ff.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 206; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 367 ff.).

[95] S. Fn. 69.

[96] Ingeborg Barz war ein frühes Mitglied der RAF. Zuvor war sie Teil der Hilfsorganisation Schwarze Hilfe und bildete u.a. gemeinsam mit Angela Luther, Inge Viett, Verena Becker und Waltraud Siepert eine feministische Gruppe namens Die schwarze Braut. Über Barz’ Position in der RAF ist nicht viel bekannt. 1971 soll sie beim Überfall auf eine Bank in Kaiserslautern mitgewirkt haben. Von der Verhaftungswelle 1972 war Barz nicht betroffen, gilt aber wie Angela Luther seitdem als verschwunden. Über ihren Verbleib existieren nur Spekulationen. Unter anderem stand der Verdacht im Raum, dass sie als Spitzel des Verfassungsschutzes enttarnt und von Baader erschossen worden sei (Kraushaar, Verena Becker und der Verfassungsschutz, 2010, S. 31 ff., 37 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S 299, 820).

[97] Monika Berberich gehörte zur ersten RAF-Generation. Während ihrer Hinwendung zur RAF in deren Gründungsphase, bestand sie ihr zweites juristisches Staatsexamen. Eine Station ihres Referendariats absolvierte sie bei Rechtsanwalt Horst Mahler. Am 8. Oktober 1970 wurde sie verhaftet und vom LG Berlin mit Urteil vom 28.6.1974 zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwölf Jahren verurteilt. Im Sommer 1976 gelang ihr zusammen mit Gabriele Rollnik, Inge Viett und Juliane Plambeck, die zur Bewegung 2. Juni gehörten, die Flucht aus einem Berliner Gefängnis. Nach ihrer erneuten Festnahme blieb Berberich bis 1988 in Haft (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 54 f., 86 ff.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 169, 760 Anm. 47).

[98] Der Kfz-Schlosser Bernhard Braun war seit 1971 Mitglied der RAF. Gemeinsam mit Brigitte Mohnhaupt war Braun vor allem in Berlin aktiv. Im Juni 1972 lösten in einer von ihnen genutzten Wohnung gelagerte Sprengstoffe eine Explosion aus. Eine Woche später wurden sie in West-Berlin festgenommen. Die Polizei konnte in der Wohnung Chemikalien und Anleitungen zur Herstellung von Bomben sicherstellen. Mohnhaupt und Braun wurden wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und unerlaubtem Waffenbesitz zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von je vier Jahren und sechs Monaten verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 54, 92 ff., 250; Stuberger, Die Akte RAF, 2008, S. 112 f.).

[99] Über Hilmar Buddee liegen im Zusammenhang mit der RAF kaum gesicherte Erkenntnisse vor. Er soll allerdings Mitglied der Tupamaros West-Berlin gewesen sein (Kraushaar, in Ders., Die RAF und der linke Terrorismus, Band 2, 2006, S. 512, 520). Mit Urteil vom 7. Juli 1971 wurde er gemeinsam mit Annerose Reiche und Peter Knoll für das Werfen zweier Molotow-Cocktails in eine Sparkassenfiliale am 6. Oktober 1970 wegen gemeinschaftlicher versuchter menschengefährdender Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 103 f.). Nach Angaben des später als „Kronzeugen“ auftretenden Karl-Heinz Ruhland in seinem eigenen Verfahren soll Buddee zudem für die Beteiligung an den West-Berliner Banküberfällen der RAF am 29. September 1970 vorgesehen gewesen, jedoch offenbar am Vorabend ausgestiegen sein (DER SPIEGEL, Ausgabe 5/1972 vom 23.1.1972, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/politik/in-die-bank-und-durchgeladen-a-1649b0fb-0002-0001-0000-000043019974, zuletzt abgerufen am: 25.10.2021).

[100] S. Fn. 68.

[101] S. Fn. 72.

[102] Wolfgang Grundmann gehörte der ersten Generation der RAF an. Er wurde am 2. März 1972 in einer Hamburger Wohnung zusammen mit Manfred Grashof verhaftet. Mit Urteil vom 2.6.1977 wurde er wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren verurteilt (Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 258 f.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 31 f.; s. zum Prozess vor dem LG Kaiserslautern auch DER SPIEGEL, Ausgabe 24/1977 vom 6.6.1977, S. 104).

[103] Werner Hoppe wurde am 15.7.1971 verhaftet. Dabei soll er versucht haben, sich seiner Festnahme durch mehrere Schüsse auf Polizeibeamte zu entziehen. Hoppe verbrachte ca. zehn Monate in Untersuchungshaft in einer isolierten Einzelzelle. Er wurde schließlich durch das LG Hamburg mit Urteil vom 26.7.1972 wegen dreifachen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zehn Jahren verurteilt. Der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung wurde bereits im Ermittlungsverfahren wegen fehlender Beweise eingestellt. Das Urteil wurde insbesondere für seine Beweiswürdigung stark kritisiert (Overath, Drachenzähne, 1991, S. 54 ff., 62).

[104] Die Buchhändlerin Marianne Herzog lernte Ulrike Meinhof in den Jahren 1968 bis 1970 kennen, während sie sich als Journalistin mit der Thematik der Fürsorgeerziehung auseinandersetzte. Sie war politisch aktiv, gehörte dem „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“ in Berlin an und trat zwischenzeitlich u.a. der Organisation Marxisten-Leninisten (ML) bei. In der RAF war sie nur für wenige Wochen zwischen Dezember 1970 und Januar 1971 aktiv. Das Landgericht Frankfurt verurteilte sie mit Urteil vom 17.12.1973 u.a. wegen der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie der Verabredung eines schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwei Jahren und drei Monaten (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 82 f.).

[105] S. Fn. 73.

[106] Klaus Jünschke war Psychologiestudent und ehemaliges Mitglied des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK). In der RAF überfiel er 1971 mit anderen eine Bank in Kaiserslautern. Im Verlaufe des Geschehens wurde der Beamte Herbert Schoner erschossen. Jünschke wurde am 9. Juli 1972 zusammen mit Irmgard Möller in Offenbach verhaftet. Ihm wurde neben den Straftaten im Zusammenhang mit dem Banküberfall auch die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie die Beteiligung an der Herbeiführung der Sprengstoffexplosion in Frankfurt a.M. am 11. Mai 1972 vorgeworfen. Im Hinblick auf die Sprengstoffexplosion wurde er zwar freigesprochen; das LG Kaiserslautern verurteilte ihn am 2.6.1977 aber u.a. wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe (Overath, Drachenzähne, 1991, S. 89 ff.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 257, 761 Anm. 59; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 30 ff.; DER SPIEGEL, Ausgabe 24/1977 vom 6.6.1977, S. 104).

[107] Über Rosemarie Keser lassen sich in der einschlägigen Literatur zum Umfeld der RAF kaum Informationen finden. Sie tauchte ab Frühjahr 1971 auf Fahndungsplakaten im Zusammenhang mit „Anarchistischen Gewalttätern“ bzw. der „Baader/Meinhof-Bande“ auf (s. die abgebildeten Plakate in Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 53 f.).

[108] Angela Luther war Teil der Tupamaros West-Berlin (TW), die seit Ende 1969 in Berlin Anschläge verübte und Anfang 1972 in der Bewegung 2. Juni aufging. Im Sommer 1971 wechselte Angela Luther gemeinsam mit Thomas Weisbecker zur RAF. Dort soll sie an auch an dem Bombenanschlag auf das Hauptquartier der 7. US-Armee und der US-Landstreitkräfte in Europa (USAREUR) am 24. Mai 1972 beteiligt gewesen sein. Angeblich plante Luther nach dem Tod Weisbeckers, zur Bewegung 2. Juni zurückzukehren. Im Laufe des Jahres 1972 verschwand sie jedoch unter weiterhin ungeklärten Umständen (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 246; König, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 430, 459 f.; Kraushaar, Verena Becker und der Verfassungsschutz, 2010, S. 31ff.; Wunschik, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 531, 547).

[109] S. Fn. 66.

[110] Irmgard Möller schloss sich im Sommer 1971 der RAF an. Zuvor lebte sie in der Münchner Kommune Wacker Einstein, hatte 1969 als Teil der „Rechtshilfe der APO“ zum „Knastcamp“ aufgerufen und war Mitglied der Tupamaros München. Am 8. Juli 1972 wurde sie verhaftet, am 30. Juni 1975 begann das Verfahren gegen sie und Gerhard Müller vor dem Landgericht Hamburg. Irmgard Möller wurde mit Urteil vom 16.3.1976 u.a. wegen Urkundenfälschung und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von viereinhalb Jahren verurteilt. 1976 erfolgte ihre Verlegung zu den Angeklagten Baader, Ensslin und Raspe nach Stammheim. Dort überlebte sie als Einzige die sogenannte Todesnacht von Stammheim (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 68; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 111 ff.; Sturm, in Weinhauer/Requate/Haupt [Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 99, 100 f.).

[111] Bevor Brigitte Mohnhaupt ab Frühjahr 1971 zur ersten RAF-Generation in den Untergrund ging, war sie bereits in verschiedenen linken Zusammenhängen in München wie den Tupamaros und der Kommune Wacker Einstein vernetzt. Innerhalb der RAF konzentrierte sie sich gemeinsam mit dem Kfz-Schlosser Bernhard Braun auf Aktivitäten in Berlin, wo sie im Juni 1972 zusammen verhaftet wurden, nachdem der in einer von ihnen genutzten Wohnung gelagerte Sprengstoffe eine Explosion auslöste. Am 30.8.1974 wurde sie vom Landgericht Berlin wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und unerlaubtem Waffenbesitz zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Einen Teil ihrer Haftstrafe verbrachte sie zusammen mit den Stammheimer Gefangenen. Diese Nähe zu den führenden Mitgliedern ließ sie nach ihrer Entlassung im Februar 1977 selbst zu einer Führungsperson der zweiten RAF-Generation aufsteigen. Als solche war sie auch für die Gewalttaten während des sogenannten Deutschen Herbstes 1977 mitverantwortlich. Bis zu ihrer erneuten Festnahme 1982 war sie an weiteren Aktionen der Gruppe beteiligt. Sie blieb bis zum Jahr 2007 in Haft (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 92 ff.; Sturm, in Weinhauer/Requate/Haupt[Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 99, 100., 105, 111 f., 118 f.; Wunschik, Baader-Meinhofs Kinder, 1997, S. 196 f., 248 ff., S. 367 ff.).

[112] Gerhard Müller - ehemals Mitglied der RAF - wurde später zu einem der Hauptbelastungszeugen in diesem sowie in weiteren Verfahren gegen Mitglieder der RAF. Er wurde ab dem 124. Verhandlungstag als Zeuge vernommen. Das LG Hamburg verurteilte ihn mit Urteil vom 16.3.1976 u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Beihilfe zum Mord, Beteiligung an Bombenanschlägen und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 113 ff.; Riederer, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29).

[113] Rolf Pohle war ein linker Aktivist aus München. 1969 wurde er aufgrund seiner Teilnahme an den Osterunruhen nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke zu 15 Monaten Haft (ohne Bewährung) verurteilt, jedoch im Rahmen der „Brandt-Amnestie“ wieder freigelassen. Nachdem ihm aufgrund seiner Vorstrafe jedoch die Zweite Juristische Staatsprüfung verwehrt blieb, bewegte er sich ab 1970/71 im Umfeld der militanten Münchner Formation „Tupamaros München“. Am 18. Dezember 1971 wurde er verhaftet, als er versuchte, mit einem gefälschten Ausweis Waffen zu erwerben und im März 1974 wegen illegalen Waffenbesitzes und aufgrund seiner angeblichen Zugehörigkeit zur RAF wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Haftstrafe in Höhe von fast sechseinhalb Jahren verurteilt. Er gehörte zu denjenigen Insass/innen, die 1975 durch die Lorenz-Entführung in den Südjemen ausgeflogen wurden. Er verließ den Jemen aber und ging nach Griechenland, wo er 1976 verhaftet wurde. Zunächst lehnten griechische Behörden und Gerichte eine Überstellung in die Bundesrepublik ab. Pohles Auslieferung wurde zum Skandal, als sich viele Unterstützer/innen in Griechenland mit Parolen wie „Übergebt Pohle nicht den Nazis!“ mobilisierten und der Fall vor dem obersten Gericht für Zivil- und Strafsachen (Areopag) verhandelt wurde. Letztlich wurde Pohle im Oktober 1976 ausgeliefert und in die JVA Straubing verlegt. Pohle bestritt bis zu seinem Tod seine Mitgliedschaft in der RAF und wird von der aktuellen Forschung eher der im Entstehen befindlichen Bewegung 2. Juni zugerechnet (Danyluk, Blues der Städte, 2019, S. 513 f.; Hocks, in Kiesow/Simon [Hrsg.], Vorzimmer des Rechts, 2006, S. 129 ff.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 761 Anm. 56; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 388 f.).

[114] S. Fn. 74.

[115] Der gelernte Drucker Ralf Reinders politisierte sich im Umfeld verschiedener militanter Gruppen der West-Berliner Subkultur wie der Gammlerbewegung, den Haschrebellen, dem Bluesund den TupamarosWest-Berlin. 1972 gehörte Reinders zu den Gründern der Bewegung 2. Juni. Obwohl die Bewegung stets betonte, über keine hierarchisch geordnete Führung zu verfügen, gilt Reinders als einer ihrer Köpfe. Nach einer Flucht ins Ausland wurde Reinders im September 1975 festgenommen. Der Prozess gegen Reinders und fünf weitere Mitglieder der Bewegung 2. Juni begann im April 1978 vor dem Kammergericht Berlin; die Anklage enthielt Taten im Zusammenhang mit der Lorenz-Entführung im Februar 1975 sowie der Erschießung des Kammergerichts-Präsidenten von Drenkmann im November 1974. Mit Urteil vom 13.10.1980 wurde Reinders für seine Beteiligung an der Lorenz-Entführung sowie der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von 15 Jahren verurteilt (Korndörfer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 227, 239, 243 f., 252; Overath, Drachenzähne, 1991, S. 100, 135, 177 f.; Wunschik, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 531, 534, 536, 548, 557).

[116] Carmen Roll war Teil des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK). Nach einem Schusswechsel mit der Polizei infolge einer Verkehrskontrolle bei Heidelberg und den anschließenden verstärkten Ermittlungen der Polizei gegen das SPK ging sie in die Illegalität zur RAF. Am 2. März 1972 wurde sie in Augsburg wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verhaftet und am 19. Juli 1973 zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 80 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 761 f. Anm. 60).

[117] Der Schlosser Karl-Heinz Ruhland wurde im Dezember 1970 verhaftet. Erst wenige Monate zuvor hatte Ruhland wohl aus Geldsorgen begonnen, die RAF mit dem Frisieren gestohlener Autos zu unterstützen. Am 29. September 1970 beteiligte sich Ruhland an den Berliner Banküberfällen. Bis zu seiner Verhaftung kundschaftete er u.a. gemeinsam mit Meinhof und Jansen mögliche Einbruchsziele aus und beging Diebstähle. In mehreren Verfahren gegen RAF-Mitglieder fungierte Ruhland, der sich von der RAF losgesagt hatte, als umstrittener Belastungszeuge. Mit Urteil vom 15.3.1972 wurde er vom OLG Düsseldorf wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; nach nur zweieinhalb Jahren wurde er vom damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann begnadigt. Im Laufe seiner verschiedenen Aussagen verstrickte er sich in zahlreiche Widersprüche (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 243 ff., 253 ff., 260, 271 ff.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 243 ff.). Rechtsanwalt Heinrich Hannover bezeichnete ihn auch als „berühmtesten oder richtiger ruhmlosesten aller bisherigen Kronzeugen“ (Hannover, Terroristenprozesse, 1991, S. 140).

[118] Die Psychologiestudentin Margrit Schiller war ein ehemaliges Mitglied des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK). Sie schloss sich im Laufe des Jahres 1971 der RAF an. Bereits am 22.10.1971 wurde sie zum ersten Mal festgenommen und am 5.2.1973 vom Landgericht Hamburg wegen Unterstützen einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und unerlaubtem Waffenbesitz zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen Auflagen wurde sie allerdings aus der Haft entlassen. Daraufhin schloss sie sich erneut der RAF an. Zusammen mit anderen RAF-Mitgliedern wurde sie am 4. Februar 1974 verhaftet. In Anlehnung an das Verhaftungsdatum wurde die Gruppierung als Gruppe 4.2. bezeichnet. Schiller wurde mit Urteil vom 28.9.1976 vom Landgericht Hamburg zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 78 ff., 116 ff.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 357 ff.; Straßner, in Ders. [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 209, 219).

[119] S. Fn. 67.

[120] S. Fn. 73.

[121] S. Fn. 91.

[122] Ilse Stachowiak war ein frühes Mitglied der RAF. Im Sommer 1970 reiste sie im Alter von 16 Jahren mit anderen RAF-Mitgliedern für eine paramilitärische Ausbildung nach Jordanien. Stachowiak wurde zusammen mit Christa Eckes, Helmut Pohl und Eberhard Becker am 4.2.1974 in Hamburg verhaftet. Das Landgericht Hamburg verurteilte sie am 28.9.1976 zu einer Jugendstrafe in Höhe von vier Jahren und sechs Monaten. Am 19.6.1978 wurde sie aus der Haft entlassen (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 116 ff.; Stuberger, Die Akte RAF, 2008, S. 277; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 835).

[123] S. Fn. 90.

[124] Thomas Weisbecker trat im Juli 1971 zusammen mit Angela Luther von den Tupamaros West-Berlin zur RAF über. Bereits seit dem 14. Februar 1972 wurde er observiert. Er starb am 2. März 1972 in Augsburg. Die genauen Umstände von Weisbeckers Tod wurden nie geklärt. Bekannt ist nur, dass Weisbecker, der vermutlich bewaffnet war, am Nachmittag des 2. März von zwei Polizeibeamten verfolgt und dann von einem der beiden erschossen wurde. Weisbecker gehörte mit Petra Schelm und Georg von Rauch zu den ersten Opfern der RAF und galt fortan als Ikone der RAF (s. die Beiträge von König und Wunschik in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 430, 459 f., 464 ff., bzw. S. 531, 546 ff.).

[125] S. Fn. 76.

[126] Über Renate Wolff liegen im Zusammenhang mit der RAF kaum gesicherte Erkenntnisse vor. In einem SPIEGEL-Artikel aus dem Jahr 1971 wird sie als Freundin von Horst Mahler genannt (DER SPIEGEL, Ausgabe 9/1971, S. 30).

[127] Der Kfz-Schlosser Eric Grusdat war an dem sog. Dreierschlag, dem gleichzeitigen Überfall dreier Banken in West-Berlin am 29. September 1970, beteiligt. Hierfür wurde er vom LG Berlin am 28. Juni 1974 zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zehn Jahren verurteilt (Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 213, 215 ff., 760 Anm. 47).

[128] Der Druckerlehrling Hans-Peter Konieczny fälschte für die Gruppe Dokumente und Schreiben. Nach seiner Festnahme am 7. Juli 1972 half er den Behörden bei weiteren Verhaftungen und sagte als Zeuge aus (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 370 ff., 411 f.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 250 f.).

[129] Die Rote Hilfe e.V. versteht sich als Solidaritätsorganisation für politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum (Selbstbeschreibung unter https://www.rote-hilfe.de/ueber-uns, zuletzt abgerufen am: 25.10.2021). Sie ging 1970 aus einer für APO-Aktivisten gegründeten Rechtshilfe hervor und engagierte sich in den folgenden Jahren verstärkt und in vielfältiger Weise für die Belange inhaftierter Mitglieder linksradikaler Gewaltorganisationen wie der RAF und der Bewegung 2. Juni (März, Linker Protest nach dem Deutschen Herbst, 2012, S. 139 ff.). Die Tonbanderklärung vom 31.5.1972 ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 148 ff.

[130] Der Polizeibeamte Norbert Schmid wurde bei einem Festnahmeversuch des RAF-Mitglieds Margrit Schiller erschossen. Er war das erste Todesopfer der RAF. Der genaue Tatvorgang, insbesondere die Täterschaft, konnte bis heute nicht aufgeklärt werden. Schiller selbst belastete Gerhard Müller schwer, der mit Urteil vom 16.3.1976 vom LG Hamburg zwar für andere Taten, darunter Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Beihilfe zum Mord, nicht aber für den Mord an Schmid verurteilt wurde (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 113 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29). Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass der Freispruch Müllers in Bezug auf den Mord an Norbert Schmid Teil einer unzulässigen Absprache mit den Strafverfolgungsbehörden gewesen sei (s. dazu etwa die Beweisanträge in den Anlagen 8 und 12 zum Protokoll vom 20.7.1976, S. 10649 f., 10659 des Protokolls der Hauptverhandlung, 128. Verhandlungstag).

[131] Katharina Hammerschmidt unterstützte die RAF mit Kurierdiensten und der Bereitstellung illegaler Wohnungen, war aber an keinen Gewalttaten beteiligt. Im Juni 1972 stellte sie sich der Polizei und wurde entgegen den Erwartungen ihres Anwalts Schily in Berlin inhaftiert. Dort traten schon bald erste Symptome einer Krebserkrankung auf. Die von Hammerschmidt geäußerten gesundheitlichen Probleme wurden von den Gefängnisärzten aber nur unzureichend untersucht, weshalb der Tumor lange Zeit unerkannt blieb. Noch während ihres Strafprozesses wurde Hammerschmidt aufgrund der fortschreitenden Erkrankung im Januar 1974 entlassen. Sie starb Ende Juni 1975 in West-Berlin (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 135 ff.; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 329; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 196 ff.).

[132] Im Zuge der Dekolonisierung kam es im Verlauf des 20. Jahrhunderts zum Erstarken nationaler Befreiungs- und Unabhängigkeitsbewegungen in vielen (ehemaligen) europäischen Kolonialgebieten. Die Formen des Unabhängigkeitskampfes variierten dabei - insbesondere in Abhängigkeit vom Widerstand der Kolonialmächte - zum Teil stark. Neben gewaltsamen Aufständen und kriegerischen Auseinandersetzungen (z.B. im Algerienkrieg) vollzogen sich auch friedliche(re) Loslösungsprozesse (Indien). Darüber hinaus wurden viele Befreiungsbewegungen von Intellektuellen und Theoretiker/innen geprägt. Von der Neuen Linken wurden ihre Theorien breit rezipiert und die „Dritte Welt“ zum „revolutionären Subjekt“ (Fanon) stilisiert (Deppe, Politisches Denken im Kalten Krieg, Teil 2, 2008, S. 301 ff.; Jansen/Osterhammel, Dekolonisation, 2013, S. 25, 107 f.).

[133] Als Fedajin („die Opferbereiten“) traten zum ersten Mal 1951 palästinensische Geflüchtete auf, die sich bewaffneten und zwischen 1951 und 1956 Angriffe auf Israelis verübten. In den folgenden Jahren entwickelten sich die Fedajin zu einer Guerillaeinheit innerhalb der palästinensischen Befreiungsbewegung (Krautkrämer, APuZ, Band 20, 2004, S. 7; Pabst, Der Nahostkonflikt, 2018, S. 93 f., 115 f; Schreiber/Wolffsohn, Nahost, 1987, S. 184 f., 204 f.).

[134] Der Amerikaner William Powell veröffentlichte 1971 „The Anarchist Cookbook“, welches u.a. Anleitungen zur Herstellung von Waffen, Sprengstoffen, Drogen und elektronischer Überwachung enthielt sowie Informationen zu Guerilla-Training und Nahkampf. Das FBI wurde schnell auf das „Kochbuch“ aufmerksam, verboten wurde es allerdings nicht (Sanomir, The New York Times vom 30.3.3017, S. 16). Später distanzierte sich der Autor von dem Buch, das er als 19-jähriger verfasst hatte (Powell, The Guardian vom 19. Dezember 2013, abrufbar unter: https://www.theguardian.com/commentisfree/2013/dec/19/anarchist-cookbook-author-william-powell-out-of-print, zuletzt abgerufen am: 25.10.2021). Zu Teilübersetzungen aus dem „anarchistischen Kochbuch“ s. S. 9727 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (111. Verhandlungstag).

[135] Jünschke und Grashof wurden später mit Urteil vom 2.6.1977 jeweils zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, Grundmann zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren verurteilt (Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 30 ff., 322).

[136] Carmen Roll wurde mit Urteil vom 23. Juli 1973 zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren verurteilt (Fn. 116).

[137] Der RAF-Text „Dem Volk dienen. Stadtguerilla und Klassenkampf“ (April 1972) ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 112 ff.

[138] Dieser Vorgang war ab dem 65. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[139] Das I.G.-Farben-Haus in Frankfurt am Main wurde zwischen 1928 und 1931 im Auftrag der Interessen-Gemeinschaft Farbenindustrie Aktiengesellschaft (I.G. Farben) errichtet, die sowohl an der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Rüstungspolitik als auch an der Zwangsarbeit und der Vernichtung von KZ-Häftlingen beteiligt war. Nach Kriegsende beherbergte das Haus den Hauptsitz der amerikanischen Militärverwaltung. 1951 zog das 5. amerikanische Armeekorps ein (Jeßberger, JZ 2009, S. 924, 925; Stokes, in Lillteicher [Hrsg.], Profiteure des NS-Systems?, 2006, S. 45, 48 ff.).

[140] Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und mit dem Ziel, die Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien einzudämmen, führten die USA in Vietnam von 1964 bis 1973 einen Luft- und Bodenkrieg gegen die südvietnamesische Befreiungsfront und nordvietnamesische Truppen. Trotz wachsender Proteste in der amerikanischen Bevölkerung und entgegen den Einschätzungen und Warnungen hochrangiger Berater, entschieden sich mehrere US-Präsidenten für die Fortsetzung der Kampfhandlungen. Während dieses Krieges griff das US-amerikanische Militär auf Methoden zurück, die darauf ausgerichtet waren, möglichst viele Gegner/innen auszuschalten und deren Strukturen zu zerschlagen. Am 13. Mai 1968 begannen die Pariser Friedensverhandlungen zur Beendigung des Vietnamkriegs. Die zähen Friedensverhandlungen wurden immer wieder von der Kompromisslosigkeit der amerikanischen Regierung beeinflusst und nahezu weitere fünf Jahre von Kämpfen in Vietnam begleitet. Nordvietnam reagierte am 30. März 1972 auf die schwierigen Friedensverhandlungen in Paris mit der sogenannten Oster-Offensive, bei der ca. 120.000 Soldaten nach Südvietnam vordrangen. Dies veranlasste wiederum die USA zu schweren Bombardierungen. Am 8. Mai erging eine Anordnung von Präsident Nixon zur Verminung nordvietnamesischer Häfen, um Nordvietnam durch die Unterbrechung der Versorgung weiter unter Druck zu setzen und damit neue Verhandlungen zu erzwingen. Bei der „Operation Linebacker“ wurden innerhalb von sechs Monaten Angriffe mit Bomben im Umfang von 155.000 Tonnen geflogen (Fischer, Die USA im Vietnamkrieg, 2009, S. 104 ff.; Frey, Geschichte des Vietnamkriegs, 2016, S. 83 ff., 126 ff., 144 ff., 173 ff., 187 ff., 205 ff.; Greiner, Krieg ohne Fronten, 2007, S. 56 ff., 72 f.).

[141] Dieser Vorgang war ab dem 85. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[142] S. Fn. 124.

[143] Dieser Vorgang war ab dem 87. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[144] Dieser Vorgang war am 96. und 97. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[145] Vor Erhebung der öffentlichen Klage ist für die Vornahme gerichtlicher Untersuchungshandlungen grundsätzlich dasjenige Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die antragstellende Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat (§ 162 StPO). Hat, wie in diesem Verfahren, der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen, so sind auch die Ermittlungsrichter/innen des BGH zuständig (§ 168a Abs. 1 Satz 2 StPO a.F.; heute § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO). Grundsätzlich ist zwar die Staatsanwaltschaft die Herrin des Ermittlungsverfahrens, d.h. Ermittlungshandlungen führt sie entweder selbst oder unter Zuhilfenahme der Polizeibehörden durch (§§ 160 Abs. 1, 161 StPO). Auch jenseits derjenigen Untersuchungshandlungen, für die richterliche Anordnungen gesetzlich vorgeschrieben sind, kann sie allerdings gerichtliche Untersuchungshandlungen beantragen (§ 162 StPO). So hat die richterliche im Vergleich zur polizeilichen Zeugenvernehmung den Vorteil, dass in bestimmten Situationen nur die Verlesung des richterlichen, nicht jedoch des polizeilichen Vernehmungsprotokolls in der Hauptverhandlung zulässig ist (§ 251 Abs. 1 StPO a.F.; entspricht heute weitestgehend § 251 Abs. 2 StPO). Auch die Vernehmung der Verhörperson ist im Falle einer richterlichen Vernehmung in bestimmten Fällen von dem aus § 252 StPO hergeleiteten Beweisverwertungsverbot ausgenommen (s. dazu Ellbogen, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 252 Rn. 47 ff.). Im Verfahren gegen die vernommene Person selbst kommt zudem - sofern sie als Beschuldigte richterlich vernommen wurde - eine Verlesung nach § 254 Abs. 1 StPO in Betracht (heute ergänzt um die Möglichkeit der Vorführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen einer solchen Vernehmung).

[146] Wolfgang Buddenberg, der 1937 in die NSDAP eingetreten war, war zudem im Jahr 1962 an den Geschehnissen um die sog. SPIEGEL-Affäre (Fn. 39) beteiligt, indem er u.a. den Haftbefehl gegen Rudolf Augstein sowie diverse Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse unterzeichnete (DER SPIEGEL, Ausgabe 43/2002 vom 20. Oktober 2002, S. 62, 80).

[147] Bevor die Zuständigkeit in Haftsachen auf das Gericht der Hauptsache übergeht (nämlich im Zeitpunkt der Erhebung der öffentlichen Klage, § 126 Abs. 2 StPO) liegt die Zuständigkeit bei dem Gericht, das den Haftbefehl erlassen hat (§ 126 Abs. 1 StPO). Dies ist in der Regel ein/e Richter/in am Amtsgericht (§ 125 Abs. 1 StPO). Führt aber der Generalbundesanwalt beim BGH die Ermittlungen, ist auch der/die Ermittlungsrichter/in des BGH zuständig (§ 168a Abs. 1 Satz 2 StPO a.F.; heute § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO).

[148] § 129 StGB enthält den Straftatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen.

[149] Bei seiner Festnahme im März 1972 wurde Manfred Grashof im Rahmen eines Schusswechsels, bei dem er einen Polizeibeamten erschoss, selbst schwer verletzt (s. die Schilderung auf S. 198 der Anklageschrift).

[150] Nach ihrer Festnahme im März 1972 sollten die Fingerabdrücke des RAF-Mitglieds Carmen Roll in der JVA Aichach abgenommen werden. Als Roll sich dagegen zur Wehr setzte, wurde sie festgebunden und narkotisiert. Gegen dieses Vorgehen stellten die Rechtsanwälte Dr. Croissant und Lang Strafanzeige gegen den Anstaltsarzt und weitere Beteiligte (Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 139 f.).

[151] Die Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) enthält Verwaltungsvorschriften des Bundes über die Ausgestaltung der Untersuchungshaft. Dabei handelt es sich nicht um ein förmliches Gesetz, sondern um eine Verwaltungsvorschrift des Bundes zur Ausgestaltung der Untersuchungshaft, die sich an die Leitungen der Haftanstalten richtet. Für Gerichte ist sie nicht bindend (BVerfG, Beschl. v. 19.2.1963 - Az.: 1 BvR 610/62, BVerfGE 15, S. 288, 294). Sie hat mittlerweile an Bedeutung verloren, seit durch das Föderalismusreformgesetz vom 28.8.2006 die Gesetzgebungskompetenz für die Untersuchungshaft den Ländern übertragen wurde und diese sämtlich von ihrer Ersetzungskompetenz (Art. 125a Abs. 1 GG) Gebrauch gemacht haben.

[152] Gemeint sein könnte das Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen (III. Genfer Konvention) von 1949. Für die Behandlung von Kriegsgefangenen gelten nach dem humanitären Völkerrecht (welches im internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt anwendbar ist) besondere Bestimmungen. Diese sind u.a. im Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen (III. Genfer Konvention) von 1949, sowie in den beiden Zusatzprotokollen von 1977 niedergelegt. Danach sind Kriegsgefangene jederzeit mit Menschlichkeit zu behandeln (Art. 13 der III. Genfer Konvention), sie haben unter allen Umständen Anspruch auf Achtung ihrer Person und ihrer Würde (Art. 14 der III. Genfer Konvention). In Art. 13 heißt es außerdem: „Jede unerlaubte Handlung oder Unterlassung seitens des Gewahrsamsstaates, die den Tod oder eine schwere Gefährdung der Gesundheit eines in ihrem Gewahrsam befindlichen Kriegsgefangenen zur Folge hat, ist verboten und als schwere Verletzung des vorliegenden Abkommens zu betrachten.“ Auch während der Hauptverhandlung reklamierte Prof. Dr. Azzola, Verteidiger von Ulrike Meinhof, für die Angeklagten den Status von Kriegsgefangenen und beantragte, die Angeklagten in Kriegsgefangenschaft zu überführen (S. 5673 ff. des Protokolls, 65. Verhandlungstag).

[153] Gemeint sein könnten die „Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen“ der Vereinten Nationen von 19757/77, die von dem ersten Kongress der Vereinten Nationen über die Verhütung von Verbrechen und die Behandlung der Straffälligen, der vom 22. August bis 3. September 1955 in Genf stattfand, einstimmig angenommen wurden. Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (Art. 61 ff. der Charta der Vereinten Nationen) billigte sie am 31. Juli 1957 mit der Resolution 663 C (XXIV) und empfahl sie den Mitgliedstaaten. Sie wurden 2015 in den sog. „Mandela-Rules“, einer Resolution der VN-Generalversammlung (Art. 9 ff. der Charta der Vereinten Nationen) in einer revidierten Fassung beschlossen. Ebenfalls gemeint sein könnten aber die justiz- und verfahrensrechtlichen Garantien des Internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte (IPbpR, auch: UN-Zivilpakt), der als Teil der menschenrechtlichen Abkommen der Vereinten Nationen 1966 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen wurde. Art. 10 IPbpR begründet in allen Fällen der Freiheitsentziehung das Gebot menschenwürdiger Behandlung und verbietet insbesondere unzureichende Haftbedingungen. So verstößt beispielsweise eine Haft ohne Licht, Heizung oder Schlafmöglichkeiten gegen Art. 10 Abs. 1 IPbpR, zudem haben Staaten die Verpflichtung, die Grundsätze des ebenfalls im IPbpR niedergelegten Folterverbots (Art. 7 IPbpR) zu beachten (Hofmann/Boldt, Internationaler Bürgerrechtspakt, 1. Aufl. 2005, Art. 10 Rn. 1).

[154] Dieser Vorgang war ab dem 100. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[155] S. Fn. 41.

[156] „Enteignet Springer“ ist die wohl bekannteste Parole in der „Anti-Springer-Kampagne“. Der Springer-Verlag wurde in den 1960er u.a. wegen seiner Monopolstellung in West-Berlin von unterschiedlichen Akteur/innen in Gesellschaft und Politik kritisiert. Der SDS (Fn. 46), der in besonderer Weise von Springer-Zeitungen angegriffen wurde, und kurz danach auch die APO (Fn. 49) forderten seit 1967 in der „Anti-Springer-Kampagne“ die Enteignung des Verlegers (Kraushaar, in Ders. [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 2, 2006, S. 1075, 1088 ff.).

[157] Die „Molotow-Veranstaltung“ vom 1. Februar 1968 sollte ursprünglich nur eine Vorbereitung für das „Springer-Hearing“ im Rahmen der „Anti-Springer-Kampagne“ darstellen. Die Vorbereitungsveranstaltung gelangte letztlich jedoch zu größerer Bekanntheit als das „Hearing“ selbst. Grund dafür war eine umstrittene Vorführung des von Holger Meins produzierten Kurzfilms „Wie stelle ich einen Molotow-Cocktail her?“, in welchem am Ende eine Sequenz auftaucht, die als Anspielung auf einen Molotow-Anschlag auf das Springer-Hochhaus verstanden werden kann. Das SDS-Mitglied Christian Semler regte anschließend auf der Bühne ebenfalls nicht gerade subtil zum Gebrauch von Molotowcocktails an (Gilcher-Holtey, Die 68er Bewegung, USA, 6. Aufl. 2018, S. 68 ff.; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 101 f.).

[158] Dieser Vorgang war ab dem 74. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[159] Die Bewegung 2. Juni gründete sich im Jahr 1972. Sie war unmittelbar aus den Tupamaros West-Berlin und München sowie der Schwarzen Hilfe hervorgegangen, bestand jedoch auch aus ehemaligen Mitgliedern anderer Gruppierungen der Berliner Subkultur. Ihren Namen trug die Bewegung in Anlehnung an den Todestag des Studenten Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967. Sie machte mit Aktionen auf sich aufmerksam, die ihr teilweise den Namen einer „Spaßguerilla“ einbrachten. Allerdings schreckte sie auch nicht vor Entführungen oder Morden wie im Fall des Kammgerichtspräsidenten von Drenkmann zurück. Im Gegensatz zur RAF operierte die Bewegung jedoch nicht aus dem Untergrund, blieb auf West-Berlin beschränkt und ging bei ihrer Bekämpfung des „kapitalistischen Systems“ weniger planvoll vor. Gleichzeitig bestanden jedoch teils enge, auch personelle Verbindungen zur RAF. Nach einer Verhaftungswelle im Jahr 1975 konnten im Juli 1976 drei Mitglieder der Bewegung aus ihrem Gefängnis in Berlin flüchten und in der Folgezeit noch einmal terroristische Aktivitäten entfalten, darunter die Entführung des österreichischen Unternehmers und Millionärs Walter Michael Palmers (Korndörfer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus. Theorie, Ideologie, Fallbeispiele, Zukunftsszenarien, 2008, S. 237 ff., 245 ff.; Wunschik, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 531 f., 541 ff.).

[160] S. Fn. 140.

[161] Die Gleichsetzung der im Vietnamkrieg begangenen Verbrechen und der deutschen Verbrechen im Rahmen des Holocausts, die an dieser Stelle mit der Chiffre „Auschwitz“ eingeführt werden, stellte ein wiederkehrendes Motiv dar, mit dem die RAF und ihre Sympathisant/innen ihren terroristischen Kampf legitimierten. „Dresden“ und „Hamburg“ stehen hingegen sinnbildlich für die Bombardierungen deutscher Städte am Ende des Zweiten Weltkriegs durch die Alliierten. Diese Verknüpfung der drei Schlagworte „Auschwitz“, „Dresden“ und „Hamburg“ spiegelt ein seinerzeit verbreitetes Faschismusverständnis wider, das einem Großteil der Deutschen Unwissenheit gegenüber den nationalsozialistischen Verbrechen attestierte und sie daher ebenfalls zu Opfern stilisierte (Klimke/Mausbach, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 620, 623 ff.; Riegler,Terrorismus, 2009, S. 231 ff.; Terhoeven, Rote Armee Fraktion, 2017, S. 53).

[162] Der Name „Kommando 15. Juli“ nimmt Bezug auf den Todestag des RAF-Mitglieds Petra Schelm, die im Alter von 20 Jahren am 15. Juli 1971 in Hamburg bei einem Schusswechsel mit zwei Polizeibeamten durch einen Kopfschuss getötet wurde (Fn. 75).

[163] Dieser Vorgang war ab dem 43. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[164] Das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) war eine 1970 gegründete Gruppe von Patient/innen des Heidelberger Arztes Wolfgang Huber. Das SPK übte Kritik an zeitgenössischen Psychiatrieformen und einer als krankmachend empfundenen kapitalistischen Gesellschaft. Dagegen setzte die Gruppe auf antiautoritäre Therapien und Forderungen nach einer revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft. Im Sommer 1971 wurden acht Mitglieder des SPK unter dem Verdacht der RAF-Unterstützung und der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verhaftet. Ab November 1972 folgten Prozesse u.a. wegen Sprengstoffherstellung und Urkundenfälschung. Besondere Bekanntheit erlangte das SPK darüber hinaus durch den Übertritt einiger seiner Mitglieder in die Reihen der RAF (Brink, in Weinhauer/Requate/Haupt [Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 134, 137 f.; Forsbach, Die 68er und die Medizin, 2011, S. 90 ff.).

[165] Dieser Vorgang war ab dem 56. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[166] Dieser Vorgang war am 59. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[167] S. Fn. 64.

[168] Der „schwarze September“ ist die von palästinensischer Seite geprägte Bezeichnung für den Beginn des jordanischen Bürgerkrieges im September 1970. Der jordanische König Hussein nahm einen Anschlag auf sich durch die Palestine Liberation Organization (PLO) zum Anlass, diese in Jordanien zu zerschlagen. Nach diesem Ereignis benannte sich auch jene Terrorgruppe, die für das Olympia-Attentat in München 1972 verantwortlich war (Ashton, Pulling the Strings, in International History Review 28 (2006), S. 94 ff.). Dort überfiel die Gruppe während der Olympischen Spiele am 5. September 1972 die israelische Mannschaft. Mit der Geiselnahme von elf israelischen Sportlern versuchten die Terroristen über 200 palästinensische Inhaftierte in Israel freizupressen. Das Attentat endete mit einem Schusswechsel auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck, von dem die Geiselnehmer ausgeflogen werden wollten. Insgesamt starben an diesem Tag alle elf israelischen Geiseln, fünf Terroristen und ein Polizeibeamter (Dahlke, Demokratischer Staat und transnationaler Terrorismus, 2011, S. 57 ff.).

[169] Die Justizkampagne von 1973 war eine von der RAF und Unterstützer/innen im Rahmen der Komitees gegen Folterorganisierte Aktion. Mit einer materialreichen „Folterdokumentation“ sollten auch auf internationaler Ebene Unterstützung gegen die angeblich seitens der Bundesrepublik gegen inhaftierte Angehörige der RAF ausgeübte „Vernichtungshaft“ mobilisiert werden. Die Justizkampagne von 1973 ist nicht zu verwechseln mit der Justizkampagne des SDS von 1968 und den damaligen Bemühungen der APO-Rechtshilfe (Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 263). S. zu den Haftbedingungen Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97 ff., insbesondere S. 103 ff. zum Vorwurf der Isolationsfolter; s. auch Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014.

[170] Nach den von der RAF und ihrer Verteidigung erhobenen Vorwürfen, die Bundesrepublik Deutschland betreibe die „Vernichtung“ der inhaftierten RAF-Mitglieder mittels „Isolationsfolter“, gründeten sich 1973 bundesweit die ersten Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD. Die Komitees arbeiteten in enger Zusammenarbeit mit der RAF an der öffentlichen Verbreitung der Folter-Vorwürfe (März, Linker Protest nach dem Deutschen Herbst, 2012, S. 150 ff.; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 262 ff.).

[171] Die Schrift „Die Aktion des ‚Schwarzen September‘ in München. Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes“ (November 1972) ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 151 ff.

[172] § 207 StPO enthält Vorgaben über den Eröffnungsbeschluss, mit dem das Gericht die Anklage zur Hauptverhandlung zulässt und damit das Hauptverfahren eröffnet (§ 207 Abs. 1 StPO). Nach § 207 Abs. 4 StPO beschließt das Gericht zugleich über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft. Untersuchungshaft setzt neben einem dringenden Tatverdacht auch einen Haftgrund voraus (§ 112 Abs. 1 StPO). § 112 Abs. 2 Abs. 2 StPO zählt konkrete Gründe auf, die die Durchführung eines Strafverfahrens beeinträchtigen könnten, nämlich Flucht (Nr. 1), Fluchtgefahr (Nr. 2), sowie Verdunkelungsgefahr (Nr. 3 lit. a-c). Präventiver Natur ist der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 Abs. 3 StPO a.F.; seit dem 1.1.1975: § 112a StPO). § 112 Abs. 4 StPO a.F. (seit dem 1.1.1975: § 112 Abs. 3 StPO) enthält zudem bestimmte Straftatbestände, die im Falle eines dringenden Tatverdachts auch ohne Vorliegen eines gesonderten Haftgrundes die Anordnung der Untersuchungshaft ermöglichen. Das Bundesverfassungsgericht legt diese Vorschrift wegen eines andernfalls anzunehmenden Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzips so aus, dass weitere Umstände hinzutreten müssen, welche die Gefahr begründen, dass ohne Festnahme die Ahndung oder Aufklärung der Straftat eingeschränkt wäre, etwa aufgrund nicht auszuschließender Fluchtgefahr im Hinblick auf die hohe Strafandrohung (BVerfG, Beschl. v. 15.12.1965 - Az.: 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, S. 342, 350). Da es bei der Untersuchungshaft noch kein rechtskräftiges Urteil gibt, gilt weiterhin die Unschuldsvermutung. Die Anordnung von Untersuchungshaft ist daher als Ausnahmeregelung an strenge Voraussetzungen geknüpft und muss stets mit dem Zweck der Sicherung des Strafverfahrens abgewogen werden (BVerfG, Beschl. v. 15.12.1965 - Az.: 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, S. 342, 347; Kühne, Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2015, Rn. 425 ff.).

[173] Die hier angeklagten Straftaten unterliegen grundsätzlich der Zuständigkeit der Landgerichte (§ 74 Abs. 1 GVG). Für einige besondere Straftaten - darunter die Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB - bestimmt allerdings § 74a Abs. 2 GVG, dass der Generalbundesanwalt beim BGH die Verfolgung wegen der besonderen Bedeutung des Falles übernehmen kann. Dies ist auch für dieses Verfahren geschehen. In diesem Fall geht die gerichtliche Zuständigkeit auf das Oberlandesgericht über (§ 120 Abs. 2 Nr. 1 GVG).

[174] Für die örtliche Zuständigkeit sieht die Strafprozessordnung verschiedene Anknüpfungspunkte vor, insbesondere den Tatort (§ 7 StPO a.F. wie n.F.), den Wohnsitz oder Aufenthaltsort der beschuldigten Person (§ 8 StPO a.F. wie n.F.), oder den Ergreifungsort (§ 9 StPO) (näher Scheuten, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, Vorbemerkung zu §§ 7ff. Rn. 1 f.). Bei einem erstinstanzlich tätigen Oberlandesgericht bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit danach, in welchem Bezirk die Landesregierung des jeweiligen Gebiets ihren Sitz hat (§ 120 Abs. 1, 5 GVG). Zwar wurden die angeklagten Taten nicht nur in Baden-Württemberg (Heidelberg und Karlsruhe) begangen. Kommen aber für mehrere zusammenhängende Straftaten verschiedene Gerichtsstandorte in Betracht, steht der Staatsanwaltschaft ein Wahlrecht zu (§ 13 Abs. 1 StPO), das seine Grenze in dem Verbot willkürlicher Entscheidung findet (Ellbogen, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band. 1, 1. Aufl. 2014, § 7 Rn. 1; s. auch OLG Hamm, Beschl. v. 10.9.1998 - Az.: 2 Ws 376/98, StV 1999, S. 240). Denkbar wäre z.B. auch ein Verfahren in Hessen vor dem OLG Frankfurt a.M. gewesen (erster Sprengstoffanschlag in Frankfurt a.M. am 11.5.1972, regelmäßiger Aufenthaltsort verschiedener RAF-Mitglieder, Herstellungsort der Sprengstoffe, Verhaftungsort der Angeklagten Andreas Baader und Jan-Carl Raspe, sowie des früheren Mitangeschuldigten Holger Meins).

[175] § 207 StPO enthält Vorgaben über den Eröffnungsbeschluss, mit dem das Gericht die Anklage zur Hauptverhandlung zulässt und damit das Hauptverfahren eröffnet (§ 207 Abs. 1 StPO).

[176] Nach § 207 Abs. 4 StPO beschließt das Gericht zugleich über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft. Untersuchungshaft setzt neben einem dringenden Tatverdacht auch einen Haftgrund voraus (§ 112 Abs. 1 StPO). § 112 Abs. 2 Abs. 2 StPO zählt konkrete Gründe auf, die die Durchführung eines Strafverfahrens beeinträchtigen könnten, nämlich Flucht (Nr. 1), Fluchtgefahr (Nr. 2), sowie Verdunkelungsgefahr (Nr. 3 lit. a-c). Präventiver Natur ist der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 Abs. 3 StPO a.F.; seit dem 1.1.1975: § 112a StPO). § 112 Abs. 4 StPO a.F. (seit dem 1.1.1975: § 112 Abs. 3 StPO) enthält zudem bestimmte Straftatbestände, die im Falle eines dringenden Tatverdachts auch ohne Vorliegen eines gesonderten Haftgrundes die Anordnung der Untersuchungshaft ermöglichen. Das Bundesverfassungsgericht legt diese Vorschrift wegen eines andernfalls anzunehmenden Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzips so aus, dass weitere Umstände hinzutreten müssen, welche die Gefahr begründen, dass ohne Festnahme die Ahndung oder Aufklärung der Straftat eingeschränkt wäre, etwa aufgrund nicht auszuschließender Fluchtgefahr im Hinblick auf die hohe Strafandrohung (BVerfG, Beschl. v. 15.12.1965 - Az.: 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, S. 342, 350). Da es bei der Untersuchungshaft noch kein rechtskräftiges Urteil gibt, gilt weiterhin die Unschuldsvermutung. Die Anordnung von Untersuchungshaft ist daher als Ausnahmeregelung an strenge Voraussetzungen geknüpft und muss stets mit dem Zweck der Sicherung des Strafverfahrens abgewogen werden (BVerfG, Beschl. v. 15.12.1965 - Az.: 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, S. 342, 347; Kühne, Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2015, Rn. 425 ff.).


[a] PersSA Baader, Bd I Bl 49-52

[b] PersSA Baader, Bd I Bl 441, 442

[c] PersSA Baader, Bd I Bl 398

[d] PersSA Baader, Bd I Bl 441, 442

[e] PersSA Baader, Bd I, Bl 334

[f] PersSA Baader, Bd I Bl 174-176

[g] PersSA Baader, Bd I Bl 411-419

[h] PersSA Baader, Bd V Bl 191-193

[i] PersSA Baader, Bd I Bl 9, 49d

[j] Bl 45

[k] Bl 7

[l] Bl 20

[m] Bl 16

[n] Bl 40

[o] Bl 32

[p] Bl 26

[q] PersSA Ensslin, Bd I Bl 95-100

[r] PersSA Ensslin, Bd I Bl 181

[s] PersSA Ensslin, Bd I Bl 176-178

[t] PersSA Ensslin, Bd I Bl 350-338

[u] PersSA Ensslin, Bd I Bl 430

[v] PersSA Ensslin, Bd I Bl 318

[w] PersSA Ensslin, Bd I Bl 429

[x] PersSA Ensslin, Bd I Bl 277

[y] PersSA Ensslin, Bd VI Bl 122- 124

[z] PersSA Ensslin, Bd I Bl 53, 53b

[aa] Bl 93b

[bb] Bl 84

[cc] Bl 80

[dd] Bl 93d

[ee] Bl 67

[ff] Bl 75, 77, 93

[gg] PersSA Meinhof, Bd I Bl 42-44

[hh] SO Festnahme Meinhof, Bd I Bl 12, 13

[ii] PersSA Meinhof, Bd V Bl 8-12

[jj] PersSA Meinhof, Bd VI Bl 67c- 67j

[kk] PersSA Meinhof, Bd V Bl 528

[ll] PersSA Meinhof, Bd VI Bl 104, 106

[mm] PersSA Meinhof, Bd V Bl 516

[nn] PersSA Meinhof, Bd VI Bl 174-176

[oo] PersSA Meinhof, Bd VII Bl 490-492

[pp] PersSA Meinhof, Bd I Bl 37, 37a

[qq] Bl 16

[rr] Bl 19

[ss] Bl 3, 5, 14

[tt] Bl 25

[uu] Bl 40b

[vv] Bl 29

[ww] Bl 22c

[xx] PersSA Meins, Bd I Bl 28, 29

[yy] PersSA Meins, Bd II Bl 18

[zz] PersSA Meins, Bd II Bl 4-6

[aaa] PersSA Meins, Bd II Bl 116-117

[bbb] PersSA Meins, Bd II Bl 452- 459

[ccc] PersSA Meins, Bd II Bl 500-502

[ddd] PersSA Meins, Bd V Bl 405- 407

[eee] PersSA Meins, Bd I Bl 19, 26b

[fff] Bl 26f

[ggg] Bl 1

[hhh] Bl 8

[iii] Bl 26j

[jjj] Bl 26

[kkk] Bl 17

[lll] PersSA Raspe, Bd I Bl 37, 38

[mmm] PersSA Raspe, Bd II Bl 17

[nnn] PersSA Raspe, Bd II Bl 5

[ooo] PersSA Raspe, Bd II Bl 167, 168

[ppp] PersSA Raspe, Bd III Bl 160/16-23

[qqq] PersSA Raspe, Bd III Bl 155

[rrr] PersSA Raspe, Bd III Bl 155, 155e

[sss] PersSA Raspe, Bd III Bl 3

[ttt] PersSA Raspe, Bd III Bl 160/68-70

[uuu] PersSA Raspe, Bd V Bl 491-493

[vvv] PersSA Raspe, Bd I Bl 14, 14a

[www] Bl 8

[xxx] Bl 2

[yyy] Bl 11

[zzz] Bl 25

[aaaa] Bl 33d

[bbbb] Bl 32

[cccc] Bl 23

[dddd] C I - VI

[eeee] C I, C VI

[ffff] C II, III, IV, V

[gggg] C I - VI

[hhhh] B X, B XVI

[iiii] B XVI

[jjjj] B VI, B VIII

[kkkk] B IV

[llll] B V

[mmmm] D I

[nnnn] B XX

[oooo] D II

[pppp] D I

[qqqq] D I

[rrrr] A - D

[ssss] A - D

[tttt] A - D

[uuuu] B IV

[vvvv] B V

[wwww] B V

[xxxx] B VI, B VIII

[yyyy] B X

[zzzz] B XVI

[aaaaa] B XX

[bbbbb] C I

[ccccc] C II

[ddddd] C III

[eeeee] C IV

[fffff] C V

[ggggg] C VI

[hhhhh] D I

[iiiii] D II